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Es könnte so schön sein. Lonny Straßmann, Sekretärin in einer Kanzlei, und der Chauffeur des Chefs Lutz Hennersberg lernen sich während ihrer Arbeit für Rechtsanwalt Dr. Friesen kennen. Mit der Zeit verbindet die beiden eine immer größere Zuneigung zu einander. Doch Hermine Straßmann sieht dies nicht gerne. Sie möchte ihre Stieftochter mit einem reichen und angesehenen Mann verheiraten...-
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Seitenzahl: 268
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Der Abschiedsbrief
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1930, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950366
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Der Chauffeur stand stumm, unbeweglich wartend neben dem eleganten Auto, einer fast neuen Limousine. In seinem gebräunten, energischen Gesicht bewegte sich kein Muskel. Nur die Augen schienen Leben zu haben, tiefliegende, stahlblaue Augen, in denen sich die ganze Energie des kraftvollen, schlankgewachsenen Mannes zu konzentrieren schien. Sie blickten zuweilen flüchtig in das hell erleuchtete Vestibül hinein, zu dem Marmorstufen, mit dicken roten Teppichen belegt, hinaufführten, flogen aber dann immer wieder in brennender Unruhe zu den erleuchterten Fenstern im ersten Stock der Villa empor, vor deren Portal er hielt.
Diese vornehme Villa gehörte dem bekannten Rechtsanwalt Doktor Friesen. Sie lag inmitten eines grossen Gartens, der bis zum See hinunterführte. Rechts hinter der Villa befand sich, von Bäumen und Sträuchern verborgen, die Garage, in der noch ein grosser Tourenwagen stand, ausser der jetzt am Portal haltenden Limousine, die Doktor Friesen nur zu seinen Fahrten nach der Stadt benutzte.
Immer ungeduldiger sah der Chauffeur zu dem erleuchteten Fenster hinauf, aber endlich sah er drinnen im Vestibül zwei Gestalten die Treppe herabkommen. Es ging wie ein Ruck durch seine sehnige Gestalt, die wie die eines trainierten Sportmannes wirkte. Seine Augen flammten auf, und die Muskeln seines Gesichts zuckten wie in verhaltener Erregung.
Gleich darauf aber stand er in scheinbar gleichmütiger Haltung am Wagenschlag und wartete auf das Nähertreten der beiden Personen. Es waren ein Herr und eine Dame. Der Herr war Doktor Friesen, der Besitzer der Villa, und neben ihm ging eine schlanke junge Dame, in einfacher, aber trotzdem vornehm wirkender Kleidung. Sie machte nicht den Eindruck, als wenn sie in diese Villa gehörte. Sie hatte auch dem Rechtsanwalt gegenüber nicht die Haltung einer Dame aus feinem Gesellschaftskreise, und er zeigte ihr gegenüber eine gewisse geschäftliche Förmlichkeit. Die Dame war Fräulein Lonny Strassmann, die Sekretärin Doktor Friesens. Sie schienen beide in ein wichtiges geschäftliches Gespräch vertieft zu sein. Fräulein Strassmanns Gesicht zeigte gespannte Aufmerksamkeit. So, immer noch in das Gespräch vertieft, kamen sie aus dem Vestibül heraus und standen nun unter dem hell erleuchteten Portal.
Die Zähne des Chauffeurs bissen sich fest aufeinander, als er den Wagenschlag öffnete. Schnell schaltete er das Licht im Wagen ein, und dann trat er zur Seite. Seine Augen hingen dabei an dem Antlitz der jungen Dame. Wie in fieberhafter Unruhe forschten sie in ihren Zügen, und als er sah, dass sie sehr gleichmütig und förmlich, wenn auch aufmerksam waren, hob ein erleichterter Atemzug seine Brust.
Doktor Friesen machte eine einladende Handbewegung. „Steigen Sie ein, Fräulein Strassmann, Sie können gleich mit mir zur Stadt fahren.“
Er sah nach seiner Uhr. Dann fuhr er fort:
„Wahrhaftig, schon wieder acht Uhr. Also bitte, steigen Sie ein. Hennersberg setzt mich am Klub ab, wo ich schon längst sein sollte; sonst würde ich erst Sie nach Hause fahren. Sie kommen heute wieder spät zum Feierabend. Hennersberg fährt Sie nach Hause und wartet dann am Klub auf mich. Hören Sie, Hennersberg?“
Der Chauffeur verneigte sich. Er liess erst Fräulein Strassmann einsteigen, dann Doktor Friesen. Schnell schloss er den Wagen und nahm seinen Platz ein. Der Führersitz war von den beiden anderen Sitzen im Fond des Wagens nur durch eine verschiebbare Scheibe getrennt, die zum Teil offen stand. So konnte der Chauffeur einen Teil der Unterhaltung hören, die Doktor Friesen mit Fräulein Strassmann führte.
„Also ich verlasse mich darauf, Fräulein Strassmann, wenn ich morgen früh nach dem Termin ins Büro komme, werden Sie die Protokolle fertig haben und auch den Vertragsentwurf?“ hörte er Doktor Friesen sagen.
Die junge Dame antwortete ruhig und bestimmt:
„Sie können unbesorgt sein, Herr Doktor, ich werde alles bereit haben.“
„Gut, ich weiss, dass Sie sehr verlässlich sind. Wie ich ohne Sie fertig werden sollte, weiss ich nicht. Aber für Sie ist es gar nicht gut, dass man sich so fest auf Sie verlassen kann, dadurch verleiten Sie mich, Ihnen immer mehr aufzupacken. Ich glaube, das ist schon das zweitemal in dieser Woche, dass ich Sie mit in meine Privatwohnung hinausschleppen musste, damit Sie noch nach der Bürozeit Stenogramme aufnehmen konnten.“
,,Das macht ja nichts, Herr Doktor, ich freue mich sehr darüber, dass ich Ihnen nützen kann. Es ist doch auch mein Vorteil, wenn ich Ihnen unentbehrlich bin. Und Sie haben ja auch jeden Tag Überstunden zu machen, wenn Sie alles schaffen wollen.“
Bei dem ruhigen, geschäftsmässigen Ton, in dem die beiden miteinander sprachen, glättete sich langsam der gespannte Zug im Gesicht des Chauffeurs, der unwillkürlich gelauscht hatte. Aus den Augen wich die brennende Unruhe.
Die Limousine hielt nach kaum einer Viertelstunde vor dem Klub. Doktor Friesen stieg aus und sagte freundlich, aber etwas eilig und sehr nüchtern und sachlich:
„Guten Abend, Fräulein Strassmann, also morgen früh alles pünktlich erledigen; erinnern Sie bitte auch meinen Bürovorsteher noch einmal an die Sache mit Klemm, er ist leider Gottes sehr vergesslich. — Also Hennersberg, wenn Sie Fräulein Strassmann nach Hause gefahren haben, holen Sie mich hier wieder ab. Ich habe nur eine halbe Stunde im Klub zu tun.“
Wieder verneigte sich der Chauffeur, und während Doktor Friesen die Treppe zum Klubhaus emporstieg, nahm er den Führersitz ein und fuhr mit Lonny Strassmann davon. Aber er fuhr jetzt entschieden langsamer. Er wusste, wo Fräulein Strassmann wohnte, hatte sie schon öfter nach Hause gefahren, wenn sie, wie heute, Überstunden gemacht hatte und Doktor Friesen den Wagen entbehren konnte.
Lonny Strassmann aber widmete dem vor ihr sitzenden Chauffeur ihre Aufmerksamkeit mit einer seltsamen Intensität. Sie konnte zuweilen sein scharf gezeichnetes Profil sehen. Und wie so oft musste sie denken, was für einen eigenartig vornehmen Eindruck dieser Chauffeur Hennersberg machte.
Der seltsam herbe Duft, der dem Lederanzug entströmte, den er trug, drang durch die halb geöffnete. Scheibe zu ihr herein. Sie atmete diesen Duft ein wie ein Parfüm. Er gehörte zu Lutz Hennersberg, und wenn sie zuweilen an ihn dachte, wenn er nicht zugegen war, spürte sie in der Erinnerung immer diesen Duft. Und — sie dachte sehr oft an ihn, wenn sie sich das auch nicht eingestand.
Immer langsamer fuhr Lutz Hennersberg, als wollte er die Minuten verlängern, in denen ihm Lonny Strassmann anvertraut war. Seine Augen strahlten wie in heimlicher Freude. Die heimliche Eifersucht gegen Doktor Friesen, die ihn immer überfiel, wenn er Lonny mit diesem allein wusste, hatte ihn wieder einmal verlassen. Hatte er doch sein Herz an dieses schöne, reizvolle Geschöpf verloren, seit er sie zum erstenmal gesehen. Und weil er wusste, dass er, der „Chauffeur“, sich nie um sie bewerben durfte — was hätte sie wohl zu solcher Vermessenheit gesagt —, deshalb war er auf jeden Mann eifersüchtig, der in ihre Nähe kommen durfte, und natürlich am meisten auf ihren Chef, mit dem sie, wie er wusste, oft stundenlang allein war.
Viel zu schnell für ihn — und auch für Lonny Strassmann — war nun das Haus erreicht, in dem sie wohnte. Schnell sprang der Chauffeur aus dem Wagen, um Lonny die Tür zu öffnen und ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Er stützte sie sorgsam, und das Licht aus dem Wagen fiel auf seine in verhaltener Erregung zuckenden Züge. Lonnys Blick traf in den seinen, und einen Augenblick hingen die beiden Augenpaare weltvergessen ineinander. Aber dann stand Lonny auf festem Boden, und er musste sie loslassen. Mit einer knappen Verbeugung trat er zurück, die Lippen hart aufeinanderpressend. Aber da reichte ihm Lonny, einem plötzlichen Gefühl gehorchend, mit einem unsicheren Lächeln die Hand. „Es tut mir so leid, Herr Hennersberg, dass Sie sich so oft meinetwegen bemühen müssen, und doch bin ich so froh, wenn Doktor Friesen mich heimfahren lässt, wenn es so spät geworden ist. Hier in dieser abgelegenen Strasse ist es so unbehaglich, wenn die Schaufenster ringsum ihr Licht verlöscht haben. Ich bin dann immer froh, wenn ich Ihren Schutz geniessen kann, bis ich im Hause bin.“
Lutz Hennersberg hatte die kleine, warme Mädchenhand wie im Krampf festgehalten. Ihre Worte beglückten ihn unsagbar, und von seinen Empfindungen hingerissen, vergass er einen Augenblick, dass er jetzt nur Chauffeur war. Er beugte sich über ihre Hand und zog sie impulsiv an seine Lippen.
„Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, wenn ich Ihnen einen Dienst erweisen kann“, sagte er mit verhaltener Stimme, aber in einer so weltmännisch-ritterlichen Art, dass sie stutzte. Auch der Handkuss, der auf ihrer Hand brannte, da sie den Handschuh schon abgelegt hatte, brachte sie ausser Fassung. Sie sah noch einmal in sein erregtes Gesicht, in seine stahlblauen, tiefliegenden Augen hinein, und eine helle Röte stieg ihr ins Gesicht.
„Gute Nacht“, hauchte sie verwirrt, schloss schnell das Tor auf und verschwand.
,,Gute Nacht!“
Dieser Ruf, der mit einer seltsamen Wärme und Innigkeit über seine Lippen drang, klang noch zu ihr hinüber.
Wie auf der Flucht vor sich selber schloss sie hastig die Tür hinter sich zu und eilte die Treppe hinauf, nachdem sie den elektrischen Lichtknopf berührt hatte. Hennersberg stand wie ein Steinbild und schaute durch die Glasscheiben der Tür in den hellen Hausflur hinein. Er hatte Lonnys Verwirrung bemerkt und fragte sich nun unruhig, ob er sich darüber freuen durfte oder nicht. Galt diese Verwirrung dem Manne — oder der Überheblichkeit eines Chauffeurs, der es gewagt hatte, ihr die Hand zu küssen wie ein Gleichberechtigter? Er wusste, dass Lonny die Tochter eines Majors war, der freilich nach dem Kriege, der Not gehorchend, Versicherungsagent geworden war und seiner Tochter gestatten musste, ihr Brot zu verdienen, weil er es ihr nicht mehr schaffen konnte. Aber immerhin war Lonny Strassmann eine Dame im besten und edelsten Sinne des Wortes.
Doch — hatte sie ihm nicht freundlich, wie einem Gleichberechtigten, die Hand gereicht? Hatte sie damit nicht betont, dass sie keinen Unterschied gelten lassen wollte? Das hatte ihn ja so sehr beglückt, dass er selbstvergessen aus seiner Rolle als Chauffeur fiel, die er nun doch einmal zu spielen gezwungen war.
Galt ihre Verwirrung wirklich nur dem Manne?
Seufzend setzte er den Wagen wieder in Gang und fuhr davon. Und während der ganzen Fahrt bis zum Klub hielt er sich eine Vernunftpredigt. Er musste ablassen von seinen Träumen, durfte sich nicht den Luxus erlauben, sich in dies süsse, entzückende Mädchen zu verlieben. Wozu sollte das führen? Doch nur zu Kummer und Herzeleid. Er musste vernünftig sein! So redete er sich zu.
Eine Weile später hielt er vor dem Klub, mitten zwischen anderen Chauffeuren, die von seinem Herzenskummer keine Ahnung hatten.
*
Lonny war hastig die Treppe hinaufgestiegen bis zum dritten Stock. Dort öffnete sie mit einem Drücker die Korridortüre zur Wohnung ihrer Eltern. Ihre Stiefmutter, eine noch sehr hübsche und stattliche Blondine, kam ihr auf dem Korridor entgegen. Mit einem forschenden und kritischen Blick sah sie in Lonnys noch immer etwas gerötetes und erregtes Gesicht.
„Guten Abend, Mama! Ihr habt hoffentlich nicht mit dem Essen auf mich gewartet?“ fragte Lonny, Huf und Mantel ablegend.
„Nein, nein, was denkst du denn, das wäre doch viel zu spät für Papa. Du weisst doch, er schläft schlecht, wenn er spät isst. Aber sag mal, Lonny, was war denn das für ein seltsam inniger Abschied, den du da von dem Chauffeur Doktor Friesens genommen hast? Ich stand am Fenster, hatte den Wagen anfahren hören und wollte sehen, ob du darin kamst. Und da sah ich, dass dir der Chauffeur sehr zärtlich aus dem Wagen half, dass ihr euch ansaht wie ein Liebespaar, und dass du ihm die Hand reichtest, die er zum Überfluss auch noch wie ein Kavalier an die Lippen zog. Ich bitte dich, Lonny, du wirst doch nicht so unklug sein, dich in eine Liebelei mit dem Chauffeur einzulassen?“
Lonny war glühend tot geworden bei diesen wenig zartfühlenden Worten ihrer Stiefmutter. Diese zeichnete sich nie durch grossen Takt aus, was sie aber jetzt gesagt hatte, das erschien Lonny taktloser als alles andere bisher. Und dabei fühlte sie in brennender Verlegenheit, dass ihr das Blut unter diesen taktlosen Worten jäh ins Gesicht stieg. Nur mit Mühe konnte sie sich so weit fassen, dass sie entrüstet hervorstiess:
,,Aber Mama, wie kannst du nur so etwas aussprechen oder nur denken?“
Und dabei fühlte sie doch innerlich einen tiefen Schmerz, dass sie diese Möglichkeit so entrüstet zurückweisen musste. Es tat ihr weh, dass eine solche Möglichkeit ihr so ungeheuerlich erscheinen musste. Frau Major Strassmann zuckte die Achseln.
„Was ich sah, liess eben keine andere Deutung zu. Es ist doch nicht üblich, dass eine Dame dem Chauffeur die Hand reicht.“
„Ich wollte ihm danken, dass er mich hergefahren hat.“
„Das wird ja wohl Doktor Friesen so bestimmt haben.“
,,Gewiss, aber er wartet immer, bis ich im Hause in Sicherheit bin, und das ist eine Gefälligkeit, die er mir erweist und wozu ihn Doktor Friesen nicht beauftragt hat.“
„Diese Gefälligkeit konntest du mit einem Trinkgeld bezahlen.“
Wieder schoss Lonny das Blut ins Gesicht.
,,Er ist kein Chauffeur wie andere, er ist ein gebildeter Mann. Es wäre mir unmöglich, ihm ein Trinkgeld anzubieten. Wer mag wissen, welcher Schicksalsschlag ihn dazu brachte, Chauffeur zu werden.“
„Das sind Phantastereien! Weil er dir die Hand küsst, muss er nicht gleich aus einem anderen Kreise stammen. Ein Chauffeur bleibt ein Chauffeur, eine ganz untergeordnete Persönlichkeit. Und von einem Chauffeur lässt sich eine Dame nicht die Hand küssen. Ich bin ernstlich empört. Vergiss doch um Himmelswillen nicht, dass du darauf angewiesen bist, eine gute Partie zu machen.“
Lonny richtete sich stolz auf. Gerade, weil sie fühlte, dass sie dem Chauffeur Hennersberg nicht ruhig und gleichgültig gegenüberstand, bäumte sie sich dagegen auf, das einzugestehen.
„Du kannst ganz unbesorgt sein, Mama, es liegt kein Grund vor, empört zu sein. Und du solltest Papa nicht mit solchen Besorgnissen aufregen. Sie entbehren jeder Berechtigung. Was aber deine nun schon sehr oft geäusserte Ansicht anbelangt, dass ich auf eine reiche Partie angewiesen sein soll, muss ich dir doch einmal sagen, dass das durchaus nicht der Fall ist. Ich bin gottlob in der Lage, mir mein Brot selbst zu verdienen.“
Die Stiefmutter lachte heiser auf.
„Lieber Gott, du willst doch nicht ewig in abhängiger Stellung bleiben. Ein so schönes Mädchen wie du gehört in eine andere Lebensstellung. Bedenke doch, dass es Papas einzige Hoffnung ist, dass du eine reiche Heirat machst.“
„Liebe Mama, ich glaube, diese Hoffnung hast du Papa beigebracht, er wäre von selbst nicht daraufgekommen.“
„Aber Lonny! Es ist doch geradezu deine Pflicht, uns alle aus diesem elenden Leben herauszuheben. Und wenn du klug bist — es liegt wirklich nur an dir. Doktor Friesen ist ein sehr reicher und eleganter Mann und mit seinen vierzig Jahren geradezu zur Heirat reif. Du hast so viel Gelegenheit, mit ihm allein zu sein. Nur klug musst du sein und deine natürlichen Waffen brauchen, dann wird es dir nicht schwer fallen, ihn zu fesseln. Bei deinem Aussehen kann man jeden Mann gewinnen, wenn man nur ernstlich will.“
Lonny zog gequält die Stirn zusammen, sie konnte es nur schwer ertragen, solche Ermahnungen ihrer Stiefmutter anzuhören.
„Ich bitte dich, Mama, sprich nicht so zu mir, du weisst, dass mich das peinigt.“
„Mein Gott, du bist doch ein sonderbares Mädchen, Lonny. Ich möchte nur wissen, wie du bei deinen Ansichten zu einem Manne kommen willst.“
,,Ich sorge mich nicht darum, mir eilt es nicht, ich bin noch jung.“
„Mit einundzwanzig Jahren ist ein Mädchen nicht mehr so jung, dass sie nicht daran denken müsste, wie sie zu einem Manne kommt. Und du solltest nicht nur an dich denken. Wenn du deinen Vater wirklich lieb hast, dann solltest du auch ein wenig überlegen, wie du seine Sorgen erleichtern könntest. Du weisst, dass er alles verloren hat in der Inflation, und was er jetzt verdient, ist erbärmlich wenig. Es wäre dir bestimmt ein leichtes, ihm — uns allen ein besseres Leben zu schaffen.“
Dass ihre Stiefmutter dabei viel mehr an sich selber dachte als an den Vater, wusste Lonny sehr genau, sie kannte sie zur Genüge. Aber Lonny glaubte auch, dass Doktor Friesen gar nicht daran dachte, sie mit anderen Augen anzusehen, als mit denen eines Chefs, der ausserordentlich zufrieden mit seiner Angestellten ist. Wohl erwies er ihr zuweilen kleine Aufmerksamkeiten, was ihre Stiefmutter immer mit grossen Hoffnungen erfüllte, doch Lonny wusste, dass das nur geschah, weil sie oft mehr als ihre Pflicht tat und weil er sich ihr dafür dankbar erweisen wollte.
Wenn Lonny freilich darauf bedacht gewesen wäre, ihn zu erobern, dann hätte ihre Stiefmutter doch vielleicht recht behalten. Zuweilen sah Doktor Friesen das junge Mädchen mit einem ästhetischen Wohlgefallen an, wenn sie vor ihm sass und er ihr diktierte oder geschäftliche Dinge mit ihr besprach. Sie hätte dann sicher durch ein wenig Koketterie ihrem gegenseitigen Verhältnis mehr Wärme geben, hätte ihn doch vielleicht aus seiner trockenen Sachlichkeit herauslocken können. Aber Lonny dachte nicht daran. Ja, hätte Doktor Friesen um sie geworben, sie hätte ihn nur abweisen können!
So gern Lonny ihrem Vater alle Sorgen abgenommen hätte — um diesen Preis hätte sie es nicht gekonnt. Gern — o wie gern hätte sie ihm ein leichteres Leben schaffen mögen! Es quälte sie namenlos, wenn ihr die Stiefmutter wieder und wieder vorwarf, dass sie nur an sich selber denke, dass sie nur ernstlich zu wollen brauche, um dem Vater und sich selbst ein leichteres Leben zu schaffen. Sie tat ohnedies, was in ihren Kräften stand, um dem Vater zu helfen. Aber sich selbst zum Opfer bringen — dazu wäre sie nicht fähig gewesen. Und so sagte sie auf den Vorwurf der Stiefmutter, sich mit einer müden Bewegung über die Stirn streichend:
„Du tust mir Unrecht, Mama, ich denke sehr viel an Papa und möchte ihm gern alle Sorgen abnehmen, aber so, wie du denkst, kann ich das nicht. Doch ich bin sehr froh, dass ich vom nächsten Ersten an etwas mehr zur Führung unseres Haushaltes beisteuern kann. Doktor Friesen hat mir eine Gehaltsaufbesserung von fünfzig Mark zugesagt. Ich kann also Papa ausser der Hälfte meines jetzigen Gehaltes, die ich ihm immer zur Verfügung stellte, noch diese fünfzig Mark geben. Ich brauche ja für mich nicht mehr, als ich bisher hatte.“
Frau Hermine Strassmann seufzte auf.
„Lieber Gott, diese fünfzig Mark mehr machen uns auch nicht glücklich“, sagte sie unzufrieden und verdriesslich.
Ehe Lonny etwas darauf erwidern konnte, wurde das Wohnzimmer geöffnet, und Major Strassmann, eine grosse, soldatische Erscheinung mit grauem Haar, stand auf der Schwelle.
„Was habt ihr denn hier draussen für lange Reden zu halten? Warum kommt ihr nicht herein, ich möchte auch was von eurer Unterhaltung haben.“
Lonny eilte auf den Vater zu und umarmte und küsste ihn.
„Guten Abend, Papa! Verzeih, dass ich so lange auf mich warten liess. Mama und ich hatten in aller Eile noch einiges zu besprechen. Aber nun kommen wir hinein.“
„Nun ja, was ihr zu besprechen hattet, hättet ihr doch im Wohnzimmer abmachen können. Staatsgeheimnisse werden es doch nicht gewesen sein.“
Lonny hängte sich in seinen Arm und führte ihn ins Wohnzimmer zurück.
„Nein, nein, mit Staatsgeheimnissen geben wir uns nicht ab. Komm schnell ins Zimmer, hier draussen ist es kalt, und du hast nur deinen leichten Hausrock an.“
„Bist wieder so spät heimgekommen, Lonny; mir scheint, Doktor Friesen kann sich gar nicht mehr von dir trennen.“
Es sollte scherzhaft klingen, aber Lonny hörte doch aus diesen Worten, dass die Stiefmutter wieder am Werke gewesen war. Ein leichter Schaffen flog über ihr Gesicht, aber sie zwang sich zur Unbefangenheit.
„Ich musste noch ein langes Stenogramm aufnehmen, und da Doktor Friesen bis zum Büroschluss noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, zu speisen, bat er mich, mit ihm hinauszufahren in seine Villa, wie es ja zuweilen vorkommt. Er hat wirklich riesig viel zu tun und hetzt den ganzen Tag hin und her. Während er speiste, hat er mir diktiert und verschiedene geschäftliche Sachen mit mir besprochen. Ich muss morgen früh, während er Termin hat, ein Protokoll ausarbeiten und einen Vertrag aufsetzen. Das alles haben wir erledigt, und dann hat er mich in seinem Wagen mitgenommen.“
„Nun wirst du hungrig und durstig sein, Lonny?“ fragte der Major.
„Nein, Papa, Hunger habe ich nicht; Doktor Friesen liess mir ein paar belegte Brote vorsetzen. Ich bin völlig gesättigt, aber eine Tasse Tee trinke ich gern noch mit euch.“
Die Stiefmutter füllte ihr eine Tasse, und ihr und ihres Mannes Blick trafen sich über Lonnys Kopf. Es war ein verständnisinniger Blick, denn Frau Hermine hatte ihm vorher beigebracht, dass Doktor Friesen wohl nur immer geschäftliche Vorwände suchte, um Lonny möglichst viel um sich haben zu können.
Der Major wandte sich zu Lonny hin:
„Eigentlich müsste dir Doktor Friesen Überstunden bezahlen, Lonny.“
,,Das hat er mit schon wiederholt angeboten, Papa, aber es erschien mir nicht richtig, dafür eine Extrabezahlung anzunehmen. Er zahlt mir ein sehr anständiges Gehalt, und wie ich eben Mama draussen berichtet habe, hat er mir vom Ersten an eine Zulage von fünfzig Mark zugebilligt. Das hat mich natürlich sehr gefreut, zumal ich daraus entnehme, dass er sehr mit mir zufrieden ist. Diese fünfzig Mark kann ich dir noch zur Verfügung stellen, Papa, und ich hoffe, dass du dir nun auch einige kleine Annehmlichkeiten leisten kannst. Zu einer Flasche Wein an den Sonntagen und einer guten Zigarre muss es mit reichen.“
Es zuckte wie Rührung über das Gesicht des alten Soldaten, und er legte seine Hand auf die Lonnys.
„Bist ein liebes, gutes Kind, Lonny — und leider bin ich nicht in der Lage, auf deine Beihilfe zu verzichten, da mein Verdienst immer mehr zurückgeht. Wirst du aber auch mit dem, was du zurückbehältst, für deine Kleidung und sonstige kleine Ausgaben ausreichen?“
Lonny umfasste seine Hand und legte einen Augenblick ihre Wange darauf. „Unbesorgt, lieber Papa, ich richte mich schon ein. Es bleibt mir an den Sonntagen Zeit genug, mir meine Kleider selbst zu arbeiten, und ich kann mich daher sehr gut kleiden.“
„Ich wollte, ich hätte so viel Geld für Kleider wie Lonny, sie ist doch wahrhaftig sehr viel besser daran als ich“, bemerkte Frau Hermine verdriesslich. Sie war überhaupt immer schlechter Laune, wenn sich ihr Mann mehr mit Lonny beschäftigte als mit ihr.
Schnell wandte sich ihr der Major nun zu. Er fasste begütigend ihre Hand.
„Du hast recht, Hermine, leider muss ich dich viel knapper halten. Aber Lonny muss in ihrer Stellung auf gute Kleidung halten — und — es lässt sich leider nicht ändern.“
„Lass nur, ich beklage mich ja auch nicht, ich weiss, dass ich mich bescheiden muss; ich wollte ja auch nur feststellen, dass Lonny immer noch sehr gut daran ist im Vergleich zu mir.“
Die Aufmerksamkeit des Majors wandte sich nun fast ungeteilt seiner Gattin zu. Lonny fühlte, wie immer, dass der Vater ihr viel weniger Interesse entgegenbrachte als der Stiefmutter. Diese sorgte schon dafür, immer lenkte sie die Aufmerksamkeit des Gatten von Lonny ab und war bemüht, dass eine Annäherung zwischen Vater und Tochter nicht stattfand. Lonny nahm deshalb bald ein Buch und vertiefte sich noch ein Stündchen in das Lesen. Dann sagte sie den Eltern gute Nacht und zog sich in ihr kleines Zimmerchen zurück.
Sie sah die Papiere in ihrer Aktentasche noch einmal durch und dachte über die Arbeit nach, die Doktor Friesen ihr aufgetragen hatte. Dann verschloss sie die Papiere wieder und trat ans Fenster. Sie sah hinab nach der Stelle, wo sie vorhin vor Lutz Hennersberg vor dem Auto gestanden und wo er ihr die Hand geküsst hatte. Die Strasse war nur matt durch eine Laterne an der Strassenecke beleuchtet. Hier draussen sparte der Magistrat der Stadt Berlin mit der Strassenbeleuchtung. Solange in den wenigen Schaufenstern Licht brannte, mochte das angehen, aber wenn die Läden geschlossen wurden, war es sehr dunkel. Lonny musste an die Abschiedsszene mit Lutz Hennersberg denken, die ihre Mutter von hier oben mit angesehen hatte, und ihr Gesicht rötete sich wieder, wie auf einem Unrecht ertappt. Sie fühlte, wie ihr das Herz unruhig klopfte bei dem Gedanken an den „Chauffeur“. Ihr war, als brenne die Stelle auf ihrer Hand noch, die seine Lippen berührt hatten. Dieser Handkuss und die weltmännische Verbeugung des Chauffeurs hatten ihr verraten, dass ihre Vermutung, dass er einem anderen Gesellschaftskreise angehört hatte, richtig war. Was hatte ihn in diese Stellung gebracht?
Sie musste an den Vater denken. Er war doch auch aus seiner Karriere herausgerissen worden und hatte sich bescheiden müssen mit der Stellung eines Versicherungsagenten. Konnte es Hennersberg nicht auch so ergangen sein? Krieg und Inflation hatten doch so manchen Mann aus seiner Lebensstellung herausgedrängt. Vielleicht hatte er auch Unterschlupf suchen müssen, ohne wählen zu dürfen, wie so viele.
Ganz sicher war er kein ungebildeter Mensch. Die durchgeistigte Gesichtsbildung, die sichere, elegante Haltung, die schmalen, wenn auch kraftvollen Hände, die immer sorgsam gepflegt waren und eher an einen Sportsmann erinnerten — überhaupt seine ganze Art verrieten ihr, dass er ein Mann von gesellschaftlicher Bildung war.
Und ihr Herz jubelte plötzlich: „Ich liebe ihn!“ Aber der Verstand fragte: ,,Was soll daraus werden?“ An eine Verbindung war ja gar nicht zu denken — selbst dann nicht, wenn er sie wieder liebte. Er war arm, sonst hätte er nicht eine Stelle als Chauffeur angenommen, und sie war es auch. Sie musste deshalb diese Liebe, die immer eine aussichtslose sein würde, fest in ihr Herz verschliessen. Niemand durfte davon ahnen, am wenigsten er. Wenn er es wüsste, was würde er denken? Aber bei dieser Frage tat ihr Herz einen lauten Schlag — sie musste an seinen Blick denken, mit dem er sie heute abend selbstvergessen angesehen hatte, an diesen sehnsüchtigen, flehenden Blick. Hatte dieser Blick nicht erst in ihrem Herzen die Liebe erweckt? Sieht ein Mann eine Frau so an, wenn sie ihm gleichgültig ist?
Erregt sprang sie auf, wie auf der Flucht vor diesem Gedanken. Nur nicht weiter denken, nur nichts hoffen, nichts erwarten. Niemand brauchte darum zu wissen, als sie allein.
Und langsam kleidete sie sich aus und suchte ihr Lager auf. Schlaf fand sie nicht sogleich, aber es war schön, von einer Liebe zu träumen, die man still in sich verschloss, und — von einem Glück, das freilich unerreichbar war.
*
Am nächsten Morgen trat Lonny mit hellen, klaren Augen, wie sonst, ins Wohnzimmer, um mit dem Vater und der Stiefmutter zusammen das Frühstück einzunehmen.
Man hatte nicht viel Zeit, sich zu unterhalten. Lonny musste zuerst fort, weil sie heute besonders pünktlich sein wollte, um mit ihrer Aufgabe zur rechten Zeit fertig zu werden. Der Vater ging erst eine Weile später seinem Beruf nach. Herzlich verabschiedete sich Lonny vom Vater, von der Stiefmutter etwas kühler. Trotz aller Mühe, die sie sich gab, konnte sie ihrer Stiefmutter keine Liebe entgegenbringen. Sie waren beide zu sehr verschieden in ihrer Wesensart.
Mit elastischen, schnellen Schritten ging Lonny zur Haltestelle der Elektrischen, um ins Büro zu fahren. Um diese Zeit waren meist nur Menschen unterwegs, die zu ihrer Arbeitsstelle eilten. Alle sahen ernst und geschäftig aus. Auch Lonny blickte heute wieder ruhig und zielbewusst aus den Augen. Sie war mit sich im klaren, dass es für sie keine Träume von Liebe und Glück geben durfte, dass ihr Dasein auch weiterhin mit strenger Pflichterfüllung angefüllt sein musste. Das, was gestern abend in ihr zur Klarheit gekommen war, dass sie Lutz Hennersberg liebte, das musste stillverschwiegen im Herzen getragen werden. Im Alltag durfte das keinen Platz einnehmen — nur in Feierstunden durfte man sich heimlich daran freuen.
Im Büro angelangt, ging sie ohne Säumen an die Arbeit, nachdem sie den Bürovorsteher an die Sache mit Klemm erinnert hatte, wie es ihr von Doktor Friesen aufgetragen ward. Sie wurde auch pünktlich fertig mit ihrer Aufgabe, und als ihr Chef vom Termin ins Büro kam, händigte sie ihm die tadellosen Ausführungen ein. Er sah die Papiere durch und blickte dann mit einem Lächeln zu ihr auf.
„Auf Sie kann man sich doch immer verlassen, Fräulein Strassmann. Das haben Sie wieder grossartig gemacht. Ich danke Ihnen!“
„Keine Ursache, Herr Doktor, ich tat nichts als meine Pflicht.“
Mit einem sinnenden Blick sah er sie etwas länger an als sonst.
„Nichts als Ihre Pflicht? Und dabei sehen Sie durchaus nicht aus wie ein trockener, starrer Pflichtenmensch. Eigentlich sind sie viel zu jung und schön, als dass man Sie im Aktenstaub verkümmern lassen dürfte. Aber ich bin viel zu egoistisch, um mich nicht zu freuen, dass ich in Ihnen eine so ausserordentlich tüchtige Sekretärin gefunden habe. Ich kann mir gar nicht denken, dass ich einmal ohne Sie auskommen müsste. Hoffentlich verlassen Sie mich nicht so bald.“
„Nicht, solange Sie mit mir zufrieden sind, Herr Doktor“, erwiderte Lonny ruhig.
Er lachte ein wenig.
„Na, versprechen Sie nicht zu viel! Ein so schönes Mädchen, wie Sie sind, wird nicht lange unbeachtet bleiben. Wenn es nicht ein Verbrechen an Ihrer Jugend wäre, würde ich Sie mit einem langjährigen Vertrag binden. Aber dann kommt eines Tages ein Mann und will Sie heimführen — dann könnte ich doch nicht auf meinem Vertrag bestehen, so ein Unmensch bin ich nicht.“
Sie sah ihn mit einem seltsam traurigen Blick an.
„Daraufhin können Sie ruhig einen Vertrag mit mir machen, Herr Doktor, ich heirate nicht.“
Das klang schwer und bestimmt.
Kopfschüttelnd sah er sie an.
„Das sagen alle jungen Damen so lange, bis der Rechte kommt. Wie gesagt, ich würde es für ein Unrecht halten, Sie zu binden. Ich könnte ja dabei nur gewinnen, wenn Sie nicht heiraten würden und immer bei mir blieben. Aber — um Sie wäre es schade, Sie sind so ganz dazu geschaffen, einen rechtschaffenen Mann glücklich zu machen.“
Während er das sagte, war es, als würde seine Stimme wärmer, als erwache plötzlich in seinem Innern ein Interesse für sie, das nichts mit seinen Geschäften zu tun hatte.
Lonny mochte das fühlen, sie wusste, das war so ein Fall, wo sie den Ermahnungen ihrer Stiefmutter hätte nachkommen sollen. Ganz sicher war das eine Gelegenheit, einen vertraulicheren Ton zwischen sich und Doktor Friesen anzubahnen. Wie gut, dass die Stiefmutter das nicht wusste.
Lonny richtete sich plötzlich wie in starrer Abwehr auf. Ihr Kopf hob sich stolz und ruhig.
„Was haben Sie sonst noch für Befehle, Herr Doktor?“ fragte sie kurz und sachlich.
Er fühlte ihre Abwehr — und Doktor Friesen war nicht eitel, er konnte verstehen, dass dieses schöne Mädchen auf sich hielt und keine Vertraulichkeiten mit ihm aufkommen lassen wollte. Seine Hochachtung vor ihr war so gross, dass er ihrer Abwehr sogleich Folge leistete.
Ruhig und korrekt gab er ihr weitere Aufträge und kämpfte die leise Regung, die ihn bestimmt hatte, einen etwas vertraulicheren Ton anzuschlagen, in sich nieder. Als alles Nötige besprochen war, entliess er Lonny. Aber ehe sie das Zimmer verliess, sagte er rasch: „Da fällt mir ein, ich habe meine Zeitung unten im Auto liegen lassen. Bitte, schicken Sie doch Zörner hinunter, mein Chauffeur soll ihm die Zeitung geben. Es ist ein ausführlicher Bericht des Naumann-Prozesses darin. Bitte, legen Sie diesen Bericht mit zu den Akten.“
„Es wird geschehen, Herr Doktor.“
Damit ging Lonny hinaus, froh, dass Doktor Friesen sich wieder zu seinem korrekten, sachlichen Ton zurückgefunden hatte. Sie rief draussen den Bürodiener Zörner herbei und richtete den Auftrag aus. Als sie in ihrem kleinen Büro angelangt war, trat sie unwillkürlich an das Fenster heran, um einen kurzen Blick hinunterzuwerfen — auf den Chauffeur. Aber sie fuhr sofort erschrocken — zurück, denn Lutz Hennersberg stand unten neben dem Auto und blickte gerade empor — in ihre Augen hinein — und machte eine Verbeugung. Er hatte schon die ganze Zeit nach dem Fenster emporgeblickt, hinter dem er Lonny Strassmanns Büro wusste. Als er sah, dass Lonny erschrocken zurückfuhr, zuckte er ein wenig zusammen und wurde blass vor Erregung. Warum war sie so erschrocken zurückgewichen bei seinem Anblick?
Ganz vertieft war er in seine unruhigen Gedanken. Aber plötzlich wurde er angesprochen.
„Sie sollen mich die Zeitung jeben, Chauffeur, die der Herr Doktor in seiner Benzindroschke hat liegen lassen“, sagte der Bürodiener zu ihm, ihn mit seinen kleinen, vergnügten Augen anblinzelnd.
Lutz Hennersberg öffnete den Wagen, legte die auf dem Sitz ausgebreitete Zeitung zusammen und überreichte sie Zörner.
„Nich ne Zigarette, Chauffeur? Mir rochert so sehr, und ick habe keene mehr.“
Lutz zog sein Zigarettenetui und reichte es Zörner offen hin.
„Nehmen Sie, Zörner!“
Dieser starrte auf das elegante Etui.