Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 2): Blütenzauber - Regina Meißner - E-Book

Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 2): Blütenzauber E-Book

Regina Meißner

5,0

Beschreibung

Kennt ihr das Schloss über den Wolken? Das Schloss, in welchem ein verwunschenes Biest wohnt? Und die Geschichte der Schönen, die sein Herz zu erweichen vermag? Gefangen in einem Raum, der zu ebendiesem Schloss gehört, erwacht Prinzessin Tatjana. Der einzige Hinweis darauf, wie sie ihren Fluch brechen und wieder auf die Erde zurückkehren kann, ist ein Wort. Doch dieses ist eng mit dem Schicksal des Biests verwoben und lautet: Blütenzauber.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Kennst du schon die Vorgeschichte von “Blütenzauber”?

Dank

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Regina Meißner

 

 

Blütenzauber

Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 2)

 

 

Fantasy

 

Der Fluch der sechs Prinzessinnen (Band 2): Blütenzauber

Kennt ihr das Schloss über den Wolken? Das Schloss, in welchem ein verwunschenes Biest wohnt? Und die Geschichte der Schönen, die sein Herz zu erweichen vermag?

Gefangen in einem Raum, der zu ebendiesem Schloss gehört, erwacht Prinzessin Tatjana. Der einzige Hinweis darauf, wie sie ihren Fluch brechen und wieder auf die Erde zurückkehren kann, ist ein Wort. Doch dieses ist eng mit dem Schicksal des Biests verwoben und lautet: Blütenzauber.

 

Die Autorin

Regina Meißner wurde am 30.03.1993 in einer Kleinstadt in Hessen geboren, in der sie noch heute lebt. Als Autorin für Fantasy und Contemporary hat sie bereits viele Romane veröffentlicht. Weitere Projekte befinden sich in Arbeit.

Regina Meißner studiert Englisch und Deutsch auf Lehramt in Gießen. In ihrer Freizeit liebt sie neben dem Schreiben das Lesen, Nähen und ihren Dackel Frodo.

 

 

Kontakt:

- Facebook: www.facebook.com/reginameissnerautorin

- Instagram: www.instagram.com/regina_meissner_author

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Januar 2018

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | Kopainski Artwork

Illustrationen : Melis Art | redbubble.com/de/people/melisart

Kapitelillustrationen Schloss, Blüten, Banner: Fotolia.de | berdsigns, Elena Efremova, kilkavbanke

Lektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH

Korrektorat: Jennifer Papendick | Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-906829-66-1

ISBN epub: 3-906829-67-8

 

 

 

 

 

Für Michelle – Dein Wunsch sei mir Befehl. 

Kapitel 1

Alles hatte ein Ende. Blumen verwelkten, Schnee schmolz, Menschen starben. Nichts war für immer und deshalb würde auch dies irgendwann vorbei sein. Daran musste sie denken, wieder und wieder. Jeden Tag klammerte sie sich an diese Hoffnung, jede Stunde war von diesem Gedanken besetzt. Sie würde nicht auf ewig hierbleiben. Ihre Geschichte hatte einen Anfang und irgendwann würde es einen Schluss geben.

Tatjana sah sich in dem kleinen Raum um, der das Einzige war, das sie seit sehr langer Zeit gesehen hatte. Dennoch weigerte sie sich, ihn Zuhause zu nennen, denn das war an einem anderen Ort. Einem Ort, den sie wahrscheinlich nie wieder betreten würde.

Ihre Augen glitten über das braune Regal, welches exakt vierundsiebzig Geschichten beherbergte. Sie hatte jede einzelne davon gelesen. Damals, in Brahmenien, wäre es ihr undenkbar erschienen, die Nase in ein Buch zu stecken. Es hatte eine ganze Welt zu erkunden gegeben.

Doch nun war diese auf einen einzigen Raum geschrumpft. Tatjana kannte ihn auswendig, jede Unebenheit an der Wand und jede Fluse im Teppich. Sie wusste, dass das Bett quietschte, wenn sie ihr Gewicht zu sehr auf den unteren Teil verlagerte, und kannte das Geheimfach des Schreibtisches, in dem sich nichts weiter befunden hatte als ein Tintenfässchen.

Sie zupfte an den roten Brokatvorhängen, die ein Fenster verdeckten. An guten Tagen ertrug sie den Anblick der Welt, die draußen lag und doch unerreichbar war. An schlechten Tagen jedoch hatte sie die Vorhänge zugezogen und stattdessen eine Kerze angezündet.

Tatjana setzte sich an den kleinen hölzernen Schreibtisch und blätterte durch den Stapel Pergamentpapier, den sie in den letzten Tagen, Wochen und Monaten beschriftet hatte.

Sie wollte nichts mehr als verstehen – den Fluch und ihr Schicksal als verwunschene Prinzessin, gefangen in einem Zimmer. Hinzu kam, dass der Raum verzaubert sein musste, denn sie verspürte keinerlei körperliche Bedürfnisse. Nicht einmal hungrig oder durstig war sie.

Um den Fluch zu verstehen, schrieb sie und schrieb, aber bisher war nichts geschehen, das ihr wirklich weitergeholfen hatte. Nichts, das sie befreien konnte.

Seufzend vergrub sie ihren Kopf zwischen den Händen. Sie war keine ängstliche Frau – niemand, der Furcht vor der eigenen Stimme hatte oder sich um das scherte, was andere sagten. Aber hier, in ihrem persönlichen Gefängnis, half ihr das alles nicht.

Sie ballte die rechte Hand zur Faust, merkte, wie Zorn Besitz von ihr ergriff. Obwohl – oder gerade weil – sie jeden Tag dasselbe sah, durchlebte sie die unterschiedlichsten Emotionen. Mal war sie wütend, so wie jetzt. So wütend, dass sie wie eine Furie schrie und mit aller Kraft gegen die Tür trat. Mal war sie tieftraurig – und diese Tage hasste sie am meisten. Denn dann lag sie auf dem Bett, vergraben unter drei schweren Decken, und weinte sich die Augen aus dem Kopf.

In den traurigen Stunden dachte sie an ihre Vergangenheit, ihre Familie, an das, was sie verloren hatte. Alle Hoffnung verschwand.

Manchmal ergriff die Angst von ihr Besitz und sie fürchtete sich vor dem, was hinter der Tür lauerte. Ihre innere Unruhe wuchs, während sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Wenn sie Angst hatte, wurde ihr bewusst, dass etwas mit diesem Raum – und mit ihr – nicht stimmte. Dass sie keinen Hunger und keinen Durst hatte und auch nichts zum Überleben brauchte. Sie gruselte sich vor den Umständen, die sie in diese Situation gebracht hatten.

Diese Gefühle beherrschten die dunklen Tage: Wut, Trauer und Angst. Doch ab und zu, so selten wie Wärme im Schnee, gab es auch die anderen Tage. Die, an denen sie hoffen konnte. Die Tage, an denen sie sich sicher war, voranzukommen. Manchmal entdeckte sie ein neues Detail, einen kleinen Hinweis, den sie vorher nicht bemerkt hatte. Und dann ging es weiter.

»Blütenzauber«, murmelte sie. Tatjana war sich sicher, dass noch nie ein Mensch zuvor so lange über dieses Wort nachgedacht hatte. Dieses lächerliche Wort, das sie in den Wahnsinn trieb und das doch den Schlüssel darstellte, den sie brauchte.

Fakt war: In diesem Raum gab es keine Blüten. Nicht einmal die Bücher erzählten davon. Und Tatjana beherrschte nicht das kleinste bisschen Magie.

»Blütenzauber«, wiederholte sie abermals.

Irgendetwas musste sie übersehen haben, irgendetwas in diesem Raum war die Antwort.

Sie lehnte sich im Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. Wenn sie wenigstens mit irgendjemandem sprechen könnte! Doch die Tür war verschlossen – und das schon seit Ewigkeiten. Wie oft hatte sie daran gerüttelt und auch versucht, das Schloss zu knacken, aber jedes Mal war sie gescheitert. Das Fenster stellte ebenfalls keine Möglichkeit zur Flucht dar, und das lag nicht an Gitterstäben, denn die gab es nicht.

Nein, das Problem war vielmehr, dass sie sich in mehreren hundert Metern Höhe befinden musste. So zumindest sah es aus, wenn sie nach unten schaute. Da war nichts als Wolken, die je nach Wetterlage mal weiß, mal grau und mal rosa aussahen. Tatjana wusste, dass dies eigentlich unmöglich war, aber es wirkte, als würde sie sich in einem Haus über den Wolken befinden – mitten im Himmel sozusagen.

Ihre Schwester Penelopé hätte vielleicht die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich aus dem Fenster gestürzt, hinein ins bodenlose Nichts. Es wäre ein sicherer Tod und ein schneller Ausweg aus dem Leid.

Aber Tatjana dachte nicht einmal daran. Dafür war sie viel zu wütend, viel zu aufgebracht! Sie würde nicht aufgeben und ganz sicher würde sie ihrer Stiefmutter nicht kampflos das Feld überlassen.

Die Prinzessin presste die Lippen aufeinander und wühlte sich durch den Pergamentstapel. In der letzten Zeit hatte sie nicht nur geschrieben, sondern auch Zeichnungen angefertigt. Dunkle Bilder, die all das zeigten, was in ihr vorging. Endlich hatte sie das Papier gefunden. Es bestand aus vielen aggressiven Linien, die zusammengenommen die Konturen eines weiblichen Gesichts ergaben.

»Wenn ich je hier rauskomme«, zischte Tatjana und starrte auf das Bild, das ihre Stiefmutter zeigte, »werde ich dich töten!«

Wütend fegte sie den Blätterstapel vom Tisch, bis er sich über den Boden ergoss. Dann stand sie auf, griff nach einem beliebigen Buch und legte sich auf das Bett, um es zu lesen.

Früher war ihr nie langweilig gewesen. Früher hatte sie nicht genug Zeit gehabt, um all das zu tun, was ihr wichtig war. Jetzt saß sie in einem goldenen Käfig fest und es kam ihr vor, als wären alle Uhren zum Stillstand gekommen.

Die Geschichte erzählte von einer Prinzessin, die in einen Schwan verwandelt worden war und auf einen Jäger traf, dem sie ihr Geheimnis anvertraute. In der Nacht war sie Frau, am Tag Federvieh.

Die Prinzessin gähnte und klappte das Buch nach ein paar Kapiteln wieder zu. Schon beim ersten Mal hatte ihr diese Geschichte nicht besonders gut gefallen.

Tatjana starrte an die Decke und dachte an all das, was sie verloren hatte. Sie vermisste die Hitze Brahmeniens, vermisste die Freunde ihres Vaters, vermisste sogar ihre Schwestern, auch wenn diese sie regelmäßig in den Wahnsinn getrieben hatten. Zwar war sie die Zweitälteste, aber insgeheim hatte sie sich immer wie die Erstgeborene gefühlt.

Sie vermisste ihre Stute Landorsa, mit der sie alle Wälder der Umgebung erkundet hatte und mit der sie oft stundenlang unterwegs gewesen war. Überhaupt fehlte ihr nichts so sehr wie die Freiheit. Ihr jetziger Bewegungsradius beschränkte sich auf das ewig selbe Zimmer, in dem sie nichts unternehmen konnte. Früher war Tatjana nur schwer aus der Natur wegzubekommen gewesen.

Sie seufzte, als sie sich an ihre geröteten Wangen und das Gefühl, lebendig zu sein, erinnerte.

Sie wusste, dass sie noch lebte – oder wenigstens existierte. Sie atmete, schlief und wachte auf, aber das waren die einzigen Bedürfnisse, die ihr geblieben waren. Einmal hatte sie sich gefragt, ob das Zimmer eine Vorstufe zum Tod darstellte und sie lediglich noch nicht den Weg ins Licht gefunden hatte.

 

Manchmal, wenn sie so allein war, dass sie an ihrer Einsamkeit beinahe erstickte, dachte sie an Fernando. Er war der Sohn eines Freundes ihres Vaters, die beiden hatten sich letztes Jahr in einer Sommernacht kennengelernt.

Der junge Mann hatte südländisches Blut, war voller Temperament und Überraschungen. Tatjana liebte es, erobert zu werden, genoss das Gefühl, wenn ein Mann um sie warb. Fernando hatte ihr die Welt zu Füßen gelegt, ihr kleine und große Geschenke gemacht und sie auf eine Weise verstanden wie noch niemand zuvor. Ihre Liaison hatte nicht länger als einen Monat gehalten und doch dachte Tatjana gern an die Zeit zurück, in der sich alles ein wenig leichter angefühlt hatte. Sorgenfreier.

Manchmal, wenn sie die Stille um sich herum nicht ertrug, redete sie mit ihm. Und obwohl er Welten entfernt war und sicher nicht mehr an sie dachte, halfen ihr die Gespräche. Sie vergaß, wo sie war, und träumte sich an einen Ort, der mal ihr liebster gewesen war.

»Ich bin froh, dass du hier bist, Fernando«, sprach sie.

Sie sah ihn vor sich, den groß gewachsenen, dunkelhaarigen Mann aus Mercur. Seine beinahe schwarzen Augen blitzten vergnügt, als er auf dem Bett Platz nahm und nach Tatjanas Hand griff.

»Wie geht es dir, meine Schöne?«, fragte er und schenkte ihr ein Lächeln, das ein wohliges Gefühl in ihrem Inneren hervorrief.

»Es könnte besser sein«, entgegnete sie wahrheitsgemäß, aber die Anwesenheit ihrer früheren Romanze machte es besser.

»Was hast du heute erlebt?«, wollte Fernando wissen, doch Tatjana schüttelte den Kopf.

»Erzähl du«, forderte sie ihn auf und schloss die Augen.

Als sein Bariton zu berichten begann, seufzte sie. Brahmenien wurde vor ihren Augen lebendig, ebenso wie Mercur und die kurze Zeit, die sie geteilt hatten.

Der Prinzessin war es nicht wichtig, sich an einen Mann zu binden oder die Liebe ihres Lebens zu finden, aber sie mochte es, Zeit mit dem anderen Geschlecht zu verbringen. Sie mochte Komplimente, Einladungen zum Essen oder einen Ausritt zu zweit in freier Natur.

Fernando besaß das schönste Lachen, das sie je gehört hatte. Es war frei von jeglichen Sorgen, laut und lebensbejahend. Er war nicht von blauem Blut, doch sein Vater ein angesehener Kaufmann, der eine hohe Stellung genoss. In Mercur herrschte Wohlstand und niemand musste Hunger leiden.

In diesem Moment war Tatjana froh, dass sie im Voraus für schöne Erinnerungen gesorgt hatte, dass sie etwas besaß, auf das sie zurückblicken konnte, und so für einen kurzen Moment der trostlosen Realität entkam.

»Ich erinnere mich an die Nacht unter dem Sternenhimmel«, sagte Fernando gerade. »Ich erinnere mich an jeden Tag, den ich mit dir verbracht habe.«

»Es war ein guter Sommer«, entgegnete sie, »einer meiner liebsten. Was machst du jetzt, Fernando?«

Seine Antwort konnte Tatjana nur erraten, denn nach einem Streit im Stall waren sie getrennter Wege gegangen. Seitdem hatte die Prinzessin nie mehr etwas von ihm gehört, auch wenn ein Teil von ihr sich noch immer nach ihm sehnte. Vielleicht machte er mittlerweile einer anderen Frau den Hof. Vielleicht galt sein Lächeln einer Neuen.

Das war in Ordnung. Tatjana hatte seine Nähe eine Zeit lang genießen dürfen.

»Mein Zuhause fehlt mir«, sagte sie in einem stillen Moment und merkte, wie sich ihr Herz zusammenzog. »Vater fehlt mir. Ich würde so gern wissen, wie es ihm geht.«

»Ich bin mir sicher, dass er dich auch vermisst«, antwortete Fernando, doch seine Stimme klang weit weg.

Tatjana öffnete die Augen und setzte sich kerzengerade im Bett auf.

War das gerade …?

Nein, unmöglich.

»Fernando?«

»Was hast du, Liebste?«

»Danke, dass du mich besuchen kommst. Ich werde mich irgendwann erkenntlich zeigen.«

»Wenn du mich brauchst, bin ich immer …«

Abrupt stoppte Tatjana ihren Gedanken und spitzte die Ohren. Sie wagte es nicht einmal, zu atmen. Da war doch … etwas gewesen. Ein … Geräusch! Sie zwang sich zur Ruhe, zwang sich dazu, tief ein- und auszuatmen. Wahrscheinlich verlor sie langsam den Verstand. In diesem Raum hatte sie noch nie etwas gehört außer ihrer kläglichen Stimme, die sich mit einem Mann unterhielt, der nicht da war. Aber dieses Mal klang es so, als würde ein Geräusch … von außen kommen.

Tatjana merkte, wie sich Hoffnung in ihr ausbreitete. Wie sie nervös und aufgekratzt zugleich wurde. In diesem Moment erklang das Geräusch ein drittes Mal und nun konnte sie es besser identifizieren. Es hörte sich an, als würde jemand an etwas schaben – an Holz vielleicht.

Die Tür!

Überstürzt sprang sie auf und lief zu dem Durchgang. Sie wollte nach der Klinke greifen, hielt aber inne.

Was wäre, wenn hinter der Tür etwas lauerte, das ihr schadete? Etwas Gefährliches, das sie überwältigte?

Tatjana biss sich auf die Unterlippe, ihre Hand schwebte über der Klinke. Sie lauschte in die Stille hinein, aber mittlerweile war nichts mehr zu hören.

»Hallo?«, rief sie mit zitternder Stimme. »Ist da jemand?«

Sie fasste ihren ganzen Mut zusammen und drückte die Klinke herunter. Ihre Hand zitterte, die innere Unruhe wuchs. Gleich würde sie sehen, was sich hinter der …

Oder auch nicht.

Denn es hatte sich gar nichts verändert. Die Tür war nach wie vor abgeschlossen.

Tatjana presste sich die Fäuste vor die Augen und schluckte ihren Schrei herunter.

Kapitel 2

 

Sie erwachte in der Scheinwelt, an jenem Ort, an dem sie noch immer ihre Schwestern sehen konnte. Im echten Leben waren sie weit voneinander entfernt und keine von ihnen wusste, wo sich die jeweils anderen aufhielten, denn in der Glaskuppel, in der sie sich trafen, galten strenge Regeln. Keiner der Schwestern war es je gelungen, von ihrem Schicksal zu berichten. Jedes Mal, wenn sie versuchten, etwas zu erzählen, wurde ihnen die Zunge taub und sie waren nicht mehr in der Lage, Wörter zu formulieren.

Tatjana belasteten die Treffen in der Scheinwelt, aber sie zog auch Kraft aus ihnen, denn nur dort hatte sie die Möglichkeit, ihre Schwestern wiederzusehen. Der Fluch, unter dem sie alle litten, war tückisch.

»Ich kann nicht mehr«, schluchzte Valyra, die Jüngste, und klammerte sich an den Rockzipfel ihrer Schwester Estelle. Valyras Stimme war leise und kaum zu hören, sie wimmerte wie ein Neugeborenes.

Estelle, deren hellblonde Haare zu einem Zopf geflochten waren und die ein hellblaues Kleid trug, das die Farbe ihrer Augen widerspiegelte, beugte sich zu ihrer Schwester hinunter und legte den Arm um ihre Schultern. »Es tut mir so leid, Valyra. Es wird alles wieder gut«, säuselte sie.

Tatjana rümpfte die Nase. Den Glauben, dass alles wieder gut werden würde, hatte sie schon lange aufgegeben.

Ihr Blick wandte sich nach oben, direkt auf die gläserne Bespannung, die sie von der Außenwelt trennte.

Sie hätte den vieren gern von ihrem Rätsel erzählt, denn sie wusste, dass jede eines zu lösen hatte. Aber immer wenn sie es versuchte, wurde ihre Zunge lahm. Irgendwann hatte sie es aufgegeben.

Aus sicherer Entfernung beobachtete sie Valyra, deren Augen rotgerändert waren und die immer noch schluchzte. Estelle, die Älteste, tat alles, um Trost zu spenden, aber in Wahrheit konnte auch sie nichts tun.

Niemand wusste, was das sollte.

Tatjana verschränkte die Arme vor der Brust und gähnte. Hinten, am Rand der Kuppel, standen die Zwillinge Genevieve und Penelopé, beide trugen ihre feurig roten Haare offen.

Ihre Schwester Arabella, die Drittälteste, war nie in der Zwischenwelt aufgetaucht und sehr wahrscheinlich von Rania getötet worden.

Blütenzauber, dachte Tatjana und lachte freudlos auf. Das Ganze war doch ein schlechter Scherz. Eine Farce, der sie sich stellten. Wahrscheinlich saß das Stiefmonster irgendwo vor einer Kristallkugel und lachte sich ins Fäustchen, weil fünf dumme Schwestern versuchten, Rätsel zu lösen, die keine waren.

»Alles in Ordnung mit dir, Tati?«, fragte Estelle auf einmal und näherte sich ihr.

Tatjana zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, das letzte Mal war alles in Ordnung, als ich mit Landorsa durch die Felder geritten bin.«

Sie wich Estelles Blick aus, hatte keine Lust auf Konversation, die sie doch nicht weiterbringen würde.

Je mehr Zeit sie in dieser Kuppel verbrachte, desto größer wurde ihre Wut auf Rania. Im Gegensatz zu ihren Schwestern hatte Tatjana nie Angst vor der alten Hexe gehabt. Und auch hier würde sie ihr ohne Weiteres die Stirn bieten. Doch Rania war meilenweit entfernt, in einer Welt, die Tatjana wie der traurige Nachhall eines Traums vorkam. Wahrscheinlich würde sie gleich mit ihrem Vater zu Abend essen und ihn davon überzeugen, dass das Leben ohne seine Töchter besser war. Weil sie ihm ja doch nur Ärger und Scherereien bereitet hatten.

Tatjana spürte, wie die Wut in ihr untragbar wurde. Als sie ein Kind gewesen war, hatte sie ihren Vater geliebt. Als sie heranwuchs, war er ihr Held gewesen. Als ihre Mutter starb, konnte sie nicht von seiner Seite weichen. Doch als Rania erschienen war, hatte sich alles geändert.

»Tatjana, wieso schaust du so böse?«, fragte Valyra ängstlich und auch Ginny war auf sie aufmerksam geworden.

Eben hatte Tatjana ihre Wut herunterschlucken können, jetzt überrollte sie sie wie eine Kutsche, deren Pferde nicht mehr zu kontrollieren waren. »Ich fasse es einfach nicht, was Vater uns angetan hat«, stieß sie hervor.

Ginny legte den Kopf schief. »Was meinst du?«, wollte sie wissen.

»Was hat Papa gemacht?«, fragte Valyra.

Tatjana blickte auf ihren goldenen Ring, den sie an ihrer rechten Hand trug und in dem ein winziger Rubin ruhte. »Er würde dieser Hexe alles glauben. Wahrscheinlich feiert er gerade ein Fest, weil es uns nicht mehr gibt.«

Estelle zog hörbar die Luft ein. »Tatjana!«, rief sie. »Du darfst so etwas nicht sagen!«

»Wieso denn nicht? Ist doch wahr.«

Penelopé stellte sich neben die Zweitälteste und sah sie streng an. »Vater liebt uns über alles«, sagte sie.

Verhärmt schüttelte Tatjana den Kopf. »Nein. Er hat unsere Mutter über alles geliebt. Und jetzt ist es Rania, der er all seine Gefühle schenkt.«

 

Tatjana schreckte hoch. Sie hatte keine Zeit gehabt, das Gespräch mit ihren Schwestern fortzuführen, da die Kuppel auf einmal vor ihren Augen verschwunden war.

Weil sie vergessen hatte, eine der Kerzen anzuzünden, herrschte im Zimmer völlige Dunkelheit. Tatjana setzte sich im Bett auf und ging zum Tisch, um für Licht zu sorgen. Sie gestand es sich selbst nicht gern ein, aber die Nacht bereitete ihr eine Furcht, die sie nicht näher bestimmen konnte. Und auch in diesem Moment klopfte ihr Herz wie verrückt, obwohl sie sicher sein konnte, dass sich nichts geändert hatte.

Seufzend straffte sie die Schultern und schalt sich selbst eine Närrin. Dennoch zitterten ihre Finger, als sie die Kerze entzündete und panisch den Raum absuchte, kaum dass die Flamme erschienen war.

Gerade wollte Tatjana erleichtert ausatmen, als ein Luftzug sie traf. Sie runzelte die Stirn und dachte im ersten Moment, ihn sich eingebildet zu haben. Doch auf ihn folgte ein weiterer.

Unruhe breitete sich in der Prinzessin aus. Gleichzeitig merkte sie, wie ihre Kehle trocken wurde. Auf leisen Sohlen schlich sie in die Richtung, aus der der Luftzug gekommen war.

Die Tür.

Tatjana biss sich auf die Unterlippe, während sie langsam einen Fuß vor den anderen setzte.

In diesem Moment fing es an, zu regnen. Dicke Tropfen prasselten gegen die Fensterscheibe. Ein Sturm schien aufzuziehen, begleitet von einem Gewitter. Auf einen hellen Blitz, der den Raum für eine Sekunde in gespenstisches Licht tauchte, folgte tiefes Donnergrollen.

Was geschah hier? Das Wetter schlug doch sonst nicht so plötzlich um.

Als ein zweiter Donner den Boden zum Beben brachte, lief Tatjana mit der Kerze in der Hand zum Fenster. Der Himmel war ein dunkles, unheilverkündendes Grau, auf dem sich dicke Wolken tummelten. Es regnete wie aus Eimern.

Sie nahm Abstand von der gespenstischen Szenerie, drehte sich um … und erstarrte.

Ihr Herzklopfen, das ihr schon eben unnatürlich laut vorgekommen war, verwandelte sich in ein regelrechtes Beben. Tatjana biss sich so fest auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte. Sie konnte sich nicht regen, während ihre Augen an der Tür klebten, die sperrangelweit offen stand.

Sie atmete tief durch und blinzelte zweimal, in der festen Überzeugung, dass die Tür sich wieder schließen würde, wenn sie nur lange genug wartete. Doch während sie wie festgefroren dastand, musste sie über ihre eigenen Gedanken lachen.

Sie wollte warten, bis die Tür sich wieder schloss? Sie hatte diesem Augenblick monatelang entgegengefiebert und nun wollte sie aufgeben? Sie wusste nicht, wie viel Zeit wirklich vergangen war, sie konnte es nur schätzen. Fest stand jedoch, dass die Tage, die sie in diesem Raum hatte verbringen müssen, ihr wie Jahre vorkamen.

Tatjana reckte das Kinn und schluckte die Angst herunter. Dann ging sie auf die Tür zu, die noch immer offen war. Mit der rechten Hand umklammerte sie die Kerze, die linke war zu einer Faust geballt. In dem Moment, in dem sie über die Türschwelle trat, blieb ihr Herz beinahe stehen.

 

Tatjana fand sich in einem langen Korridor wieder, der von Fackeln an den Wänden erhellt wurde. Ein muffiger Geruch lag in der Luft. Sie sah sich nach einem Fenster um, mutmaßte dieses schließlich hinter langen, dichten Brokatvorhängen.

Vor einer Ritterrüstung blieb die Prinzessin stehen und legte den Kopf in den Nacken. Das Blech war nicht blank geputzt, Spinnenweben übersäten die silberne Verkleidung.

Wo war sie gelandet? Wieso hatte sich die Tür ausgerechnet jetzt geöffnet? Wollte jemand, dass sie zu ihm kam?

Sie spitzte die Ohren, doch hörte nicht das leiseste Geräusch. Sie hätte schwören können, dass sie ganz allein war.

Unter ihren Füßen spannte sich ein dunkelroter Teppich, der die Mitte des Korridors bedeckte. An den Wänden hingen Bilder in goldenen Rahmen, wie Tatjana nun erkannte, indem sie die Kerze anhob. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um die Motive besser sehen zu können. Ein erstes zeigte eine grüne Wiese im Sommer, auf der eine Familie picknickte. Die Mutter trug einen scheußlichen weißen Hut, der Vater tollte mit dem Hund über das Feld und das Mädchen schob sich ein Brot in den Mund.

Tatjana ging einen Schritt weiter und hielt vor einem Porträt an, das einen jungen Mann zeigte. Er war höchstens drei Jahre älter als sie, hatte dunkle lange Haare und einen Bart, der ihm etwas Verwegenes verlieh. Seine Stirn war hoch und markant, die Wangenknochen ausgeprägt, die Lippen rot und voll. Er trug ein stattliches Oberteil, das mit Gold und Silber bestickt war. Trotz seines scheinbaren Reichtums blickte er finster.

Das nächste Bild zeigte abermals eine Familie, doch nicht die vom Picknick, denn anstelle einer Tochter hatten Vater und Mutter einen Sohn. Dieser saß in der Mitte auf einem Stuhl, war vielleicht zehn Jahre alt und grinste spitzbübisch. Sein Vater hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Sein Haupt zierte eine weiße Perücke, er war von stämmiger Statur, seine Finger wie dicke Würste. Im Gegensatz dazu stand seine Frau, hager und schlank, beinahe zierlich. Sie hielt den Blick gesenkt, sodass ihrem Gesicht nichts zu entnehmen war.

Ob diese Familie das seltsame Haus bewohnte? Waren sie es gewesen, die Tatjana eingesperrt hatten und ihr nun die Chance gaben, den Ort zu erkunden? Oder, so kam es der Prinzessin vor, war das Öffnen der Tür gar nicht beabsichtigt gewesen, sondern vielmehr zufällig? War es vielleicht besser, die Zeit nicht mit dem Beschauen fremder Bilder zu verbringen und lieber einen Fluchtweg zu finden?

Abermals maß Tatjana den Korridor mit ihren Blicken, doch er lag noch immer verlassen da. Wie von selbst wanderten ihre Augen zum nächsten Gemälde. Je mehr sie sah, desto neugieriger wurde sie.

Als sie das Bild eines Gänseblümchens entdeckte, zuckte sie zusammen. Sie war auf Blumen jeder Art fixiert und ein einzelnes Wort lauerte in ihren Gedanken: Blütenzauber. Vielleicht fand sich hier, an diesem Ort, die Lösung für ihr Rätsel. Vielleicht würde sie schon bald nach Hause kommen.

Vorfreude breitete sich in der Prinzessin aus, die sie gar nicht wahrhaben wollte. Zeit ihres Lebens hatte sie sich immer in den Pessimismus geflüchtet, weil man auf diese Weise nur positiv überrascht werden konnte. Aber jetzt war die kleine Flamme der Hoffnung da – und Tatjana konnte nichts dagegen tun.

Als die Bilder nur noch Landschaften zeigten, die sich allesamt sehr ähnelten, beschloss sie, dass es an der Zeit war, weiterzugehen. Am Ende des Korridors befand sich eine weitere Tür und Tatjana betete, dass sie nicht verschlossen war.

War sie nicht.

Entweder war heute ihr Glückstag oder der Anfang vom Ende. So oder so, jetzt würde sie nicht aufgeben.

Tatjana griff nach der Klinke und huschte in den nächsten Raum, der in völliger Dunkelheit dalag. Auch hier vernahm die Prinzessin kein einziges Geräusch und die Vermutung, dass der Ort ausgestorben war, kam ihr immer plausibler vor. Doch wer hatte dann die Fackeln angezündet?

Sie trat ein paar Schritte nach vorn, doch ihre Kerze reichte nicht aus, um das Zimmer zu erleuchten. Daher drehte sie noch einmal um und nahm sich eine der Fackeln.

Der Raum war in einem grauenhaften Zustand, war wohl mal ein Wohnzimmer gewesen, doch daran erinnerten nur noch die Grundzüge. Tatjana wäre beinahe über einen Stuhl gestolpert, der auf dem Boden lag. Daneben befanden sich die Überreste einer Vase. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, auf dem sich Teller stapelten.

Tatjana trat näher auf ihn zu und rümpfte die Nase. Es roch so verfault, dass ihr schlecht wurde. Eine Sekunde später erkannte sie, woher der Geruch kam. Auf einer Platte lag etwas, das entfernt an einen Apfel erinnerte, nur dass dieser mit einer dicken Schicht Schimmel bedeckt war. Vor Ekel hielt sich die Prinzessin die Nase zu und ging weiter.

In die Wand war ein Kamin eingelassen, der aussah, als hätte er schon sehr lange Zeit keine Wärme mehr verbreitet. Als Tatjana sich weiter nach links bewegte, sah sie zwei Regale mit Büchern.

Mit der linken Hand griff sie nach einem und bereute es postwendend, da eine dicke Schicht Staub sie zum Niesen brachte. Ohne einen Blick auf das Buch zu werfen, stellte sie es zurück. Hier gab es sicherlich noch mehr zu erkunden.

Tatjana hatte noch nie einen Raum gesehen, in dem es so unaufgeräumt war. Ihre Schwester Genevieve war die Meisterin des Chaos, aber selbst in ihren Gemächern hatte es nie so schlimm ausgesehen.

Ihr Blick glitt über den Boden, der eine Ansammlung von Glasscherben, Stühlen und Stofffetzen beherbergte. Sie musste aufpassen, wohin sie ihre Füße setzte.

Links neben den Bücherregalen stand ein beigefarbenes Sofa. Tatjana nahm es kurz in Augenschein, dann setzte sie sich. Die Federn quietschten unter ihrem Gewicht. Neben ihr auf der Lehne lag ein goldener Gegenstand, der ihr Interesse weckte. Er erinnerte sie an ein Schmuckstück, genau zuordnen konnte sie dieses aber erst, als sie es mit der freien Hand aufnahm und umdrehte.

Tatjana erschrak, als sie in dem milchigen Glas ihr eigenes Gesicht erspähte. Auf den ersten Blick mochte sie aussehen wie immer, doch sie kannte ihren Anblick zu gut, um die kleinen Veränderungen nicht wahrzunehmen.

Ihre Wangen waren eingefallen, die Lippen spröde und farblos. Tatjana hielt den Spiegel weiter von sich weg, um ihr Haar betrachten zu können. Einst war es ihr ganzer Stolz gewesen: dunkelbraun und beinahe bis zu ihren Knien reichend. Sie hatte es gehegt und gepflegt, ihre Zofe sich immer wieder neue Frisuren einfallen lassen. Momentan trug die Prinzessin es zu einem geflochtenen Zopf. Ihr war bereits aufgefallen, wie spröde die Spitzen geworden waren, und nun im Spiegel bemerkte sie, dass auch ihr Ansatz brüchig war. Weil sie ihren eigenen Anblick nicht mehr ertrug, legte sie das Silberglas weg und stand wieder auf.

Erst jetzt bemerkte sie, dass es auch in diesem Zimmer Gemälde gab. Nicht so viele wie im Flur, aber immerhin drei. Auf dem ersten war ein Schloss abgebildet, mit weißer Fassade und spitzen roten Türmen. Am höchsten Punkt war eine Fahne gehisst, die wahrscheinlich das Wappen des Landes abbildete, in dem der Palast stand.

Tatjana kniff die Augen zusammen, während sie angestrengt nachdachte. Doch sie konnte sich an keine Flagge erinnern, die einen violetten Untergrund hatte und in deren Mitte eine silberne Krone abgebildet war.

Ob das Schloss weit entfernt war? Ob sie sich … vielleicht gerade in diesem Schloss befand? Dieser Gedanke kam plötzlich und unerwartet, doch als er sich in ihr festgesetzt hatte, ließ er sich nicht mehr vertreiben. Der Korridor war lang gewesen, die Bilder erinnerten an eine Adelsfamilie. Auch dieses Zimmer schien eine teure Einrichtung zu besitzen. Nicht zu vergessen der Spiegel aus Gold.

Tatjana biss sich auf die Unterlippe. Hatte Ranias Fluch sie in ein Schloss gebracht?

Neugierig wandte sie sich dem zweiten Gemälde zu, das etwas tiefer hing als das vorherige. Allerdings konnte man darauf nicht viel erkennen. Es schien, als hätte es jemand mitten entzweigerissen. Tatjana konnte nur ahnen, was es einmal abgebildet hatte, und wandte sich daher dem letzten Bild zu.

Es dauerte nicht lange, bis sie den dicklichen Mann wiedererkannte. Dieses Mal war er allein abgebildet. In der rechten Hand hielt er ein Zepter, auf seinem Kopf ruhte eine Krone, die Tatjana sofort an die Flagge des Schlosses denken ließ. Wie es aussah, war dieser Mann der König. Wo er sich wohl gerade aufhielt? Ob er noch lebte?

Die Prinzessin hatte keine Gelegenheit, ihren Gedanken weiter nachzuhängen, denn ein lautes Poltern ließ sie zusammenzucken. Wie von der Tarantel gestochen, schoss ihr Kopf herum. Panisch sah sie sich im Zimmer um, als das Geräusch erneut erklang, nur dass es sich dieses Mal viel lauter anhörte. Tatjana umklammerte ihre Fackel. Ihre Sinne standen auf Flucht, gleichzeitig waren ihre Beine wie festgefroren.

Das Krachen verwandelte sich in etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Schritte.

Und sie kamen näher!

Tatjanas Blick glitt zur Tür, durch die sie getreten war. Sie hatte sie geschlossen, aber …

»Was machst du hier? Bist du wahnsinnig?«

Die Stimme war hoch und aus ihr sprach nackte Angst.

Tatjanas Herz klopfte wie verrückt, während sie sich umsah.

»Du kannst hier nicht bleiben!«

Sie ließ ihre Fackel so hektisch durch den Raum wandern, dass sie beinahe das ganze Zimmer auf einmal sah. Doch da war niemand!

»Wer …. Was …«, stammelte sie.

»Hörst du schlecht? Du musst hier raus! Der Herr ist auf dem Weg!«

»Der Herr?«, wiederholte Tatjana fragend. Zeitgleich spürte sie, wie etwas ihre Hand berührte.

Etwas … oder jemand.

Doch … sie sah noch immer nichts.

Tatjana schrie, als sie auf einmal nach vorn gerissen wurde. Sie schaffte es gerade noch, ihre Schritte zu koordinieren, sonst wäre sie hingefallen. Eine unbekannte Kraft zog sie durch den Raum, zur Tür hinaus, den Korridor entlang, und blieb schließlich vor dem Zimmer stehen, in dem alles angefangen hatte. Die Fackel wurde ihr aus der Hand gerissen.

»Du musst da rein, schnell!«, trug die fremde Stimme ihr auf.

»Ich kann da nicht mehr rein«, erwiderte Tatjana prompt.

Ihre Angst galt nicht mehr den Schritten, sondern sie fand die Vorstellung, zurück in ihr Gefängnis zu müssen, hundert Mal schlimmer.

»Ich kann da nicht mehr rein!«, schrie sie und wollte in die andere Richtung des Korridors weglaufen. Sie schaffte exakt drei Schritte, dann wurde sie wieder herumgerissen.

»Wenn dir dein Leben lieb ist, geh da rein!« Die Stimme klang fordernder. Das, was sie sagte, wirkte bedrohlich.

Binnen Sekunden war Tatjana wieder bei der Tür und es brauchte nur eine weitere, um sie in den Raum zu stoßen. Unsanft landete die Prinzessin auf den Knien, doch es blieb keine Zeit für Schmerz. Blitzschnell stand sie auf, rannte zur Tür, rüttelte am Griff, schrie, tobte und schlug gegen das Holz.

Doch alles war wie immer. Die Tür war verschlossen.

Tränen rannen Tatjanas Wangen hinab. Es war, als hätte sich eine eiskalte Hand um ihr Herz gelegt. Sie nahm Anlauf, sprang gegen die Tür. Ihre Schulter tat höllisch weh, doch Tatjana gab nicht auf.

Da draußen gab es eine Welt – und egal, wie gefährlich diese war, sie musste zurück.

»Lasst mich raus!«, schrie sie. »Hilfe! Ich bin hier gefangen!«

Wieder und wieder schlug sie gegen das Holz. Ihre Hand war schon taub, aber sie hörte nicht auf.

»Bitte! Ich bin eingesperrt. Ich …«

Sie hielt inne, als die Schritte lauter wurden. Ein Wunder, dass sie sie durch ihr Geschrei gehört hatte. Tatjana blieb stocksteif stehen und glaubte zu hören, wie jemand über den Korridor lief. Der Boden schien unter ihren Füßen zu beben, so laut bewegte sich derjenige fort. Doch die Schritte waren nicht das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Ein tiefes Grollen erreichte Tatjanas Ohren und verursachte ihr eine Heidenangst. Es klang wie ein wildes Tier, das gegen seinen Willen gefangen gehalten wurde. Ein Tier, das irgendjemand quälte!

Tatjana sehnte sich danach, durch das Schlüsselloch zu spähen, doch das hatte noch nie geklappt. Irgendetwas stimmte mit der Tür nicht, denn egal, wann sie durch das Loch sah, es war immer alles schwarz.

Das Grollen verwandelte sich in ein Brummen, das in einem schrecklichen Schrei gipfelte. Auf einmal hatte es Tatjana nicht mehr so eilig, aus dem Zimmer zu kommen. Sie verkroch sich unter der Decke ihres Bettes und zitterte wie Espenlaub.

Kapitel 3

Sie zählte die Sekunden, bis es aufhörte. Zahlen formten sich in ihren Gedanken, die sich an dem maßen, was da draußen vor sich ging. 112 bedeutete, dass die Schreie leiser wurden. 260 ließ die Schritte verstummen.

Erst als Tatjana 540 Sekunden ausgeharrt hatte, war nicht ein einziges Geräusch mehr zu vernehmen. Weitere 430 brauchte es, bis sie die Decke zurückschlug und wieder in Richtung Tür ging. Dort presste sie ihr Ohr gegen das Holz, um sicherzugehen, dass ihr kein Laut entging. Gänsehaut überzog ihre Arme, die der Angst geschuldet war. Tatjanas Lippen bebten noch immer.

»Kann ich reinkommen?«, hallte es auf einmal durch die Stille.

Die Prinzessin zuckte zusammen und wich reflexartig zurück. Sie kannte die Stimme, es war jene, die sie eben zurück in dieses Zimmer geschickt hatte.

Ob sie sie gerettet hatte? Tatjana wusste es nicht und schaffte es auch nicht, zu antworten. Dafür klopfte ihr Herz noch zu laut.

»Du musst keine Angst mehr haben«, sagte die Stimme in diesem Moment. »Der Herr war heute schnell.«

Herr. Waren es seine Schreie gewesen?

»Ich weiß, dass du da drinnen bist.«

Natürlich weißt du das. Du hast mich ja erst hier reingebracht.

»Lässt du mich zu dir?«

»Wer bist du?«, hauchte Tatjana, als sie ihre Stimme wiedergefunden hatte.

»Mein Name ist Liv. Ich will dir nichts Böses.«

Tatjana atmete tief durch. Konnte sie der Fremden trauen?

»Ich … Was war das eben?«

»Lass mich zu dir, dann erkläre ich dir alles.«

Unentschlossen sah sich Tatjana in ihrem Zimmer um. Im Ernstfall gäbe es nur die Tür, durch die sie fliehen konnte. Andererseits war diese Liv vielleicht eine Chance, mehr über den sonderbaren Ort zu erfahren.

»Warte, ich möchte ein paar Kerzen anzünden.«

Bei Licht wirkte alles weniger angsteinflößend. Dennoch zitterten Tatjanas Finger verräterisch, als sie die Stummel im Zimmer verteilte und entzündete.

»Du kannst reinkommen«, sagte sie schließlich. Gleichzeitig sah sie sich nach etwas um, mit dem sie sich notfalls verteidigen könnte.

Doch dafür blieb keine Zeit, denn die Tür schwang auf. Tatjana wurde immer nervöser und wartete auf den Moment, in dem die Fremde eintrat.

»Wo bist du?«, fragte sie, als sich nichts tat.

»Ich stehe direkt vor dir«, antwortete Liv. Die Tür schloss sich wie von selbst.

»Ich sehe dich nicht.« Tatjana runzelte die Stirn.

»Streck deine Hand nach mir aus, ich bin hier.«

»Was … Ich …«

Abermals wurde die Prinzessin an der Schulter berührt, dieses Mal um einiges sanfter.

»Siehst du? Hier bin ich.«

»Wieso kann ich dich nicht sehen?«

»Glaub mir, das ist besser so.« Die Stimme klang beinahe traurig.

»Bist du allein?«, wollte Tatjana wissen. »Oder sind hier noch mehr … Unsichtbare?«

»Ich bin allein in diesem Raum, aber im Schloss gibt es noch mehr wie mich. Mehr wie … uns.«

»Also ist das wirklich ein Schloss?«

Tatjanas Angst wurde kleiner. An ihre Stelle traten Neugierde und der Drang, endlich herauszufinden, wo sie hier war.

Liv antwortete: »Oh ja, wir sind in einem Schloss. Aber was ich nicht verstehe, ist, wie du hierherkommst. Und … wieso du so aussiehst.«

Tatjana schaute an sich herunter, als würde sie so den vermeintlichen Fehler finden. Dann strich sie sich durch die Haare.

»Das meine ich nicht«, sagte Liv sogleich. »Du siehst so … hübsch aus.«

»Und … das ist verboten?«

»Verboten nicht, aber ungewöhnlich. Warum bist du hier?«

Tatjana starrte auf die Tür. Befand sich dort wirklich etwas oder bildete sie sich die Stimme ein? Sie war nun schon so lange allein, da wäre die eine oder andere Halluzination zu erklären.

Vorsichtig streckte sie ihren Arm aus und keuchte, als sie mit den Fingerspitzen auf ein Hindernis stieß.

»Das war mein Kinn«, meinte Liv lachend.

»Dein … Kinn? Du bist klein. Wie alt bist du?«

»Ich habe aufgehört, zu zählen«, war die einzige Antwort, die sie bekam. Erneut haftete Livs Stimme Traurigkeit an.

»Wollen wir uns setzen? Ich stehe nicht gern.«

Noch bevor Tatjana auf das Bett deuten konnte, spürte sie, wie etwas an ihr vorbeihuschte. Es fühlte sich an wie ein Windhauch. Überrascht sah die Prinzessin, wie ihre Matratze sich nach unten bog, als Liv darauf Platz nahm. Sie tat es ihr gleich, doch achtete darauf, Abstand zu wahren.

»Nun sag mir, was du hier machst«, wollte Liv wissen, doch Tatjana zuckte nur die Schultern. Ihr eigenes Schicksal erschien ihr im Moment nicht interessant genug. Sie wollte vielmehr etwas über das Schloss und seine seltsamen Bewohner erfahren.

»Wo bin ich hier?«, fragte sie daher und legte die Hände auf ihren Schoß.

»Das Schloss stand einst in Alapania und der Herr war der Herrscher über das stolze Land. Doch das ist lange her.«

»Alapania?«, wiederholte Tatjana das fremde Wort. »Noch nie gehört. Weißt du, wie weit es bis nach Brahmenien ist?«

»Tut mir leid, aber das kenne ich nicht«, erwiderte Liv und stahl damit einen kleinen Teil von Tatjanas Hoffnung. »Kommst du da her? Aus Brahmenien?«, fragte die unsichtbare Gestalt.

Die Prinzessin nickte nur. »Ich weiß nicht, wieso ich hier bin. Ich bin in diesem Zimmer aufgewacht, vor vielen Monaten. Heute hat sich die Tür zum ersten Mal geöffnet.«

»Wie konntest du so lange überleben?«

»Ich … hatte keine Bedürfnisse. Weder Hunger noch Durst.« Noch bevor Tatjana zu Ende gesprochen hatte, presste sie ihre Hand vor den Magen. »Aber … gerade könnte ich etwas zu essen vertragen«, meinte sie verwundert.

»Darum kümmern wir uns später«, erwiderte Liv. »Ich werde immer noch nicht schlau aus deiner Geschichte.«

Tatjana lachte freudlos. »Ich auch nicht, glaub mir. Aber … erlaube, dass ich ein paar Fragen stelle …«

Auf einmal spürte die Prinzessin, wie sich eine Hand auf ihre legte. Ihr erster Impuls war es, sie wegzuziehen, doch die Berührung fühlte sich tröstlich an, also beließ sie es dabei.

»Ich habe meine Meinung geändert«, sagte Liv. »Es ist besser, wenn wir dir jetzt etwas zu essen machen. Wer weiß, wie lange die Luft noch rein ist.«

Anhand eines erneuten Lufthauchs spürte Tatjana, wie sich Liv erhob.

»Na los, komm mit mir.«

»Bist du dir sicher, dass es ungefährlich ist?«, erkundigte sich die Prinzessin.

»Der Herr ist schlafen gegangen.«

»Der Herr ist der, der eben so laut geworden ist?«, mutmaßte Tatjana.

Liv seufzte. »Ja, genau der. Wir sollten dennoch keine Zeit verlieren.«

Das unsichtbare Mädchen öffnete die Tür. Tatjana saß noch immer auf dem Bett, doch gab sich schließlich einen Ruck. Sie wusste selbst nicht, wieso, aber das Hungergefühl nagte immer mehr an ihr. Vielleicht musste sie nun die vielen Monate aufholen, in denen sie nichts zu sich genommen hatte.

Als Tatjana die Tür hinter sich geschlossen hatte, wusste sie nicht, in welche Richtung Liv verschwunden war. »Liv?«, hauchte sie in die Stille.

Kurz darauf griff die Unsichtbare nach ihrer Hand. »Tut mir leid. Ich habe nicht mitgedacht. Wir gehen in den Raum, in dem ich dich eben gefunden habe, und nehmen die Tür neben dem Kamin. Dann laufen wir die Treppe hinunter, biegen rechts ab und sind schon in der Küche.«

Der Prinzessin schwirrte der Kopf angesichts der Wegbeschreibung. Dieses Mal war sie froh, von Liv mitgezogen zu werden, so musste sie nicht einer Unsichtbaren hinterherjagen.

Als sie den verwüsteten Raum hinter sich gelassen hatten, fanden sie sich in einem zweiten Korridor wieder, von dem aus mehrere Treppen nach unten führten. Obwohl hier zahlreiche Fackeln brannten, wirkte alles immer noch sehr dunkel. Wie lange die Nacht wohl andauern würde?

»Vorsicht«, sagte Liv in diesem Moment. »Die Stufen sind morsch.«

Tatsächlich verursachte es einen Höllenlärm, als die Prinzessin die Treppe nach unten ging. Liv wiederum machte keine Geräusche, so als wüsste sie genau, wo sie ihre Füße hinsetzen musste.

Früher war Tatjana wegen ihrer Anmut gelobt worden, nun kam sie sich wie ein Trampel vor.

Die Treppe schien kein Ende zu nehmen, schlängelte sich um eine Säule. Liv legte ein Tempo vor, bei dem Tatjana kaum mithalten konnte. Sie biss die Zähne zusammen und hoffte, nicht zu fallen. Unten angekommen, atmete sie auf.

»Diese Tür führt zur Küche.« Vermutlich meinte Liv jenen schlichten Eingang, der auf der rechten Seite lag. »Der Koch ist wahrscheinlich schon schlafen gegangen, aber ich bin mir sicher, dass wir etwas zu essen finden.« Ein letztes Mal griff sie nach Tatjanas Fingern und zog sie mit sich.

In der Küche schließlich ließ Liv ihre Hand los. Die Unsichtbare entzündete zwei Laternen sowie einige Kerzen und trug Tatjana auf, am Tisch Platz zu nehmen. Die Prinzessin, die mit einem kleinen Raum gerechnet hatte, staunte nicht schlecht angesichts des weitläufigen Zimmers. Allein die Kochstelle war größer als jene in Brahmenien. Es musste sich um ein riesiges Schloss handeln, mit einer mindestens genauso großen Dienerschaft.

»Auf was hast du Lust?«, fragte Liv, doch Tatjana zuckte nur mit den Schultern. Ihr ging es primär darum, das Hungergefühl zu beseitigen.

In den folgenden Minuten hörte sie Geschirrklappern und sah, wie eine unsichtbare Hand einen Teller aus dem Schrank über der Spüle nahm. Ein Brotkasten wurde wie von selbst geöffnet. Kurz darauf lag vor Tatjana eine Scheibe Toast, dicht bestrichen mit Marmelade.

»Morgen wirst du etwas Besseres bekommen, versprochen«, sagte die Dienerin mit warmer Stimme. »Wir hatten seit Ewigkeiten keinen Gast mehr und das sollte gefeiert werden.«

Die Prinzessin biss hungrig in das Brot und nahm dankbar das Wasser entgegen, das Liv ihr auf den Tisch stellte. »Wieso kommen keine Menschen hierher?«, wollte sie wissen und wischte sich die Krümel aus den Mundwinkeln.

Obwohl sie Liv nicht sehen konnte, spürte sie, dass diese zögerte. »Sagen wir es so: Man findet das Schloss nicht allzu leicht.«

Ihre Antwort erinnerte Tatjana an etwas. »Das Fenster«, murmelte sie. Dann lauter: »In dem Zimmer, in dem ich eingesperrt war, gibt es ein Fenster. Als ich hinausgeblickt habe … waren da Wolken. Unter mir.« Es kostete sie Überwindung, die Sätze auszusprechen, sie kam sich dabei minderbemittelt und dumm vor.

Tatjana sah, wie ein Stuhl nach hinten geschoben wurde.

»Wir bekommen keine Gäste, weil das Schloss unerreichbar ist. Einst war es ein Teil von Alapania, doch seit einem … traurigen Vorfall hat es seinen Ort gewechselt.«

»Wie kann ein Schloss plötzlich woanders sein?«, wollte Tatjana wissen. Das Sandwich hatte sie aufgegessen, doch das Hungergefühl war noch nicht verschwunden.

Als hätte Liv ihre Gedanken gelesen, sah die Prinzessin, wie der Stuhl sich erneut bewegte und die Brotbox geöffnet wurde. Ein paar Minuten später war ihr Teller wieder gefüllt.

»Magie ist imstande, alles zu tun«, sagte Liv, als sie sich gesetzt hatte.

»Magie?«

»Ein Fluch.« Liv sprach so leise, dass Tatjana Mühe hatte, sie zu verstehen. »Dieses Schloss wurde verflucht, und wir alle mit ihm. Aus diesem Grund befinden wir uns über den Wolken.«

»Aber … wie überlebt ihr? Warum … wurdet ihr verflucht?« Tatjanas Kopf war voller Fragen.

»Das Überleben ist uns garantiert. Vorräte füllen sich von selbst wieder auf, Wasser haben wir im Überfluss. Uns mangelt es an nichts … außer an unserer Freiheit, die wir nie wiederbekommen werden.«

Etwas Endgültiges haftete ihrer Stimme an, Tatjanas Kehle schnürte sich zu. Sie wollte erneut eine Frage stellen, doch Liv unterbrach sie, bevor sie etwas sagen konnte.

»Es ist mir nicht gestattet, dir so viel zu verraten. Dazu habe ich kein Recht.«

»Wer hindert dich daran?«, wollte Tatjana wissen. »Der Herr?«

Liv blieb still.

»Wer ist der Herr?«

Nach einer Weile, in der die Stille so dicht gewesen war, dass man beinahe an ihr erstickt wäre, sagte Liv: »Er ist der Herrscher über dieses Schloss. Er war der Herrscher über Alapania, doch das liegt weit in der Vergangenheit.«

»Kann ich ihn kennenlernen?«

»Oh nein«, antwortete die Dienerin postwendend. »Glaub mir, es ist besser, wenn du ihn niemals siehst. Am besten erfährt er gar nicht, dass es dich gibt.«

»Aber …«

Die Unsichtbare griff nach Tatjanas Arm. »Du kennst ihn nicht, aber ich weiß, wovon ich spreche. Er ist eine Bestie, unbarmherzig und kalt. Er würde dich töten, wenn er dich sähe.«

Die Prinzessin spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich. »Wieso? Ich habe ihm nichts getan!«

»Er hasst alles und jeden. Er kennt keine Gnade. Es wäre ihm ein Fest, dich leiden zu sehen.«

»Wieso unternehmt ihr nichts gegen diesen Tyrannen?« Wut flammte in Tatjana auf. »Ihr solltet ihm gehörig ins Gewissen reden.«

Liv lachte leise. »Reden hilft nicht. Da fällt mir ein: Ich kenne deinen Namen gar nicht.«

»Tatjana«, stellte sich die Prinzessin vor.

»Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Tatjana«, erwiderte die Dienerin freundlich. »Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt.«

Die Prinzessin nahm einen Schluck Wasser. »Ich möchte nicht hierbleiben, Liv. Ich muss wieder nach Hause, nach Brahmenien. Gibt es gar keinen Weg, das Schloss zu verlassen?«

»Es gibt nur einen«, sagte das unsichtbare Mädchen knapp. »Und der mündet im sicheren Tod.«

Tatjanas Stirn legte sich in Falten. Sie aß ihren Toast auf, als ihr plötzlich ein Gedanke kam. »Liv, sagt dir das Wort Blütenzauber etwas?« Anspannung breitete sich in ihr aus, während sie auf eine positive Antwort hoffte.

»Blütenzauber? Nie gehört.«

So leicht wollte die Prinzessin nicht aufgeben. »Gibt es hier im Schloss eine Stelle, an der Blumen wachsen? Eine Wiese oder … irgendetwas?«

»Wir haben einen Teil unseres Schlossgartens behalten. Aber dort blüht schon lange nichts mehr. Der Fluch hat alles Helle und Schöne getötet.«

»Was ist das für ein Fluch?«

»Das musst du nicht wissen«, sagte die Dienerin.

Vielleicht weil sie dachte, die Prinzessin hätte keine Ahnung. Vielleicht weil sie ihr nicht traute. Vielleicht weil sie nicht wusste, dass Tatjana auch verflucht war.

»Du solltest nun zurück auf dein Zimmer gehen«, meinte Liv. Kurze Zeit später schabte ihr Stuhl über den Boden.

 

»Bitte sperr mich nicht ein«, sagte Tatjana flehend, als sie die Tür erreicht hatten.

»Ich kenne dieses Zimmer nur verschlossen. Als du heute herausgekommen bist, war die Tür zum ersten Mal in all der Zeit geöffnet. Ich habe keinen Schlüssel, aber ich glaube nicht, dass sie noch einmal verschlossen bleiben wird.«

»Wieso nicht?«

»Es ist nur ein Gefühl. Aber schlaf nun, es ist schon spät.«

Liv schob Tatjana in das Zimmer, doch diese war noch nicht überzeugt.

Noch immer wurde ihr übel bei der Vorstellung, wieder allein in dem Raum zu sein.

»Was wird morgen passieren?«, fragte sie die Unsichtbare.

Wie gern hätte sie ihr ins Gesicht gesehen! Wie gern hätte sie ihre Reaktionen analysiert, denn man konnte so viel aus Mimik und Gestik ziehen.

Doch das Einzige, was ihr blieb, war die Stimme, und diese war bekanntlich verstellbar.

»Verlasse das Zimmer auf keinen Fall auf eigene Faust. Das ist viel zu gefährlich. Ich hole dich ab, wenn die Luft rein ist.«

»Versprochen?«

»Ich gebe dir mein Wort.«

Dann spürte Tatjana, wie das unsichtbare Mädchen sie umarmte. Seit vielen Monaten hatte sie keinen Menschen mehr berührt. Ihre Schwestern in der Scheinwelt zählte sie nicht dazu, weil sie nicht einschätzen konnte, wie real sie waren. Doch Liv fühlte sich trotz ihrer Unsichtbarkeit unglaublich lebendig an.

Die Prinzessin schlang ihre Arme um den Rücken der Dienerin und vergaß dabei, dass sie diese erst vor ein paar Stunden kennengelernt hatte.

Tränen stiegen in ihre Augen, als ihr bewusst wurde, wie sehr sie sich nach Berührungen sehnte.

Der Moment, in dem Liv sie losließ und sich entfernte, bohrte sich wie ein Pfeil in ihr Herz.

Kapitel 4

In der Scheinwelt trug sie ein zartrosa Kleid, das mit Blumen bestickt und an der Hüfte gerafft war. Es hatte Dreiviertelärmel und einen Reifrock, doch der Stoff war dünn und durchlässig, passend zu einer Garderobe im Frühling. Ihre Haare waren hochgesteckt, um ihren Hals lag eine schlichte Silberkette, die sie sehen konnte, wenn sie an sich herunterblickte. Sie und ihre Schwestern waren immer zurechtgemacht, sahen stets adrett aus.

Ob es einen Grund dafür gab? Ob ihre Kleider Hinweise darauf waren, wo sie sich aufhielten?

Tatjanas Kleid selbst war ihr keine große Hilfe, aber das musste nichts heißen. Valyra trug heute einen Traum aus Zartgelb, auf dem Schmetterlinge zu sehen waren. Genevieve war in ein Satinkleid gehüllt, cremeweiß und im Gegensatz zu dem ihrer Zwillingsschwester Penelopé sehr schlicht, denn diese hatte ein dunkelrotes Kleid an, das so lang war, dass sie beinahe darüberfiel. Blumenranken zierten den Rock, die Korsage war mit schwarzen Mustern bestickt. Estelle wiederum …

Tatjana stutzte und sah sich in der Scheinwelt um. Valyra stand allein am Rand der Kuppel, Ginny und Penny unterhielten sich miteinander. Doch von der ältesten Schwester fehlte jede Spur.

»Verflixt!«, rief sie aufgebracht. »Wo ist Estelle?«

Penny wurde als Erste auf sie aufmerksam und ließ ihren Blick schweifen. Genevieve legte ihre Stirn in Falten. Schließlich war es Valyra, die einen Schrei ausstieß. »Wo ist Estelle?«, wiederholte sie panisch.

»Vielleicht kommt sie noch«, meinte Ginny und ging zusammen mit Penny zu ihr.

Valyras Gesicht war käseweiß. »Aber sie hat doch noch nie gefehlt!«, wimmerte sie und griff nach Pennys Hand. Diese strich ihr beruhigend über die Finger, doch Tatjana sah, dass sich auf ihrem Gesicht ebenfalls Sorge ausbreitete.

»Vielleicht ist sie tot«, sagte sie, doch sobald sie ihre Worte ausgesprochen hatte, bereute sie sie bereits.

Valyra brach in Tränen aus und Genevieve stieß ihr so hart in die Seite, dass Tatjana einen Aufschrei unterdrücken musste.

»Wag es nicht, so was zu sagen«, zischte Penny und funkelte ihre Schwester böse an. »Estelle ist die Älteste und Klügste von uns. Sie würde ihr Leben nie leichtfertig aufs Spiel setzen!«

»Das habe ich nicht gesagt.« Die zweitälteste Prinzessin stemmte die Hände in die Hüfte. »Aber gegen schwarze Magie sind wir machtlos und wenn Rania Spaß daran hat, eine von uns zu töten, dann tut sie es.«

Ginny, die ebenso wie Estelle in allem stets das Gute sah, meinte: »Jeder Fluch hat einen Gegenzauber. Ich bin mir ganz sicher, dass wir Rania nicht schutzlos ausgeliefert sind. Keine Magie könnte so stark sein, als dass sie keine Opfer fordert.«

Tatjana ließ sich von Ginnys Optimismus nicht anstecken. Obwohl Valyra weinte, sagte sie: »Wir haben monatelang alles gegeben und es hat sich nichts getan. Wahrscheinlich ist Estelle genauso tot wie Arabella.« Sie presste die Lippen aufeinander, dann schlug ihr jemand mit voller Wucht gegen die Wange.

»Penny, was fällt dir ein?« Ginny presste sich die Hände vor den Mund und schüttelte den Kopf, sodass ihre roten Locken hin und her flogen.

Tatjana musste blinzeln und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, doch sie würde vor ihren Schwestern keine Schwäche zeigen.

Penny baute sich vor der Zweitältesten auf. »Hüte deine Zunge, Tatjana, oder dich wird es ein weiteres Mal treffen«, drohte sie ihr. »Außerdem verbiete ich dir, Estelle oder Arabella als tot zu bezeichnen! Bevor wir nichts Sicheres wissen, werden wir daran glauben, dass sie leben.«

»Wie wahrscheinlich soll das sein?«, keifte Tatjana. Der Optimismus ihrer Schwestern erschütterte sie. Wo blieb da die Logik?

»Vielleicht hat sie den Fluch gebrochen«, ertönte auf einmal Valyras unsichere Stimme. Sie stand so dicht bei Genevieve, dass man glauben könnte, die beiden wären miteinander verschmolzen. »Vielleicht hat sie es geschafft, das Rätsel zu lösen. Irgendwann hat sie uns doch einmal gesagt, dass sie weitergekommen ist, auch wenn sie das nicht genau bestimmen konnte. Möglicherweise hat sie den Bann gebrochen.«

Mit jedem Wort wurde Valyras Stimme sicherer, doch Tatjana schüttelte nur den Kopf.

Ginny wiederum hörte der Jüngsten aufmerksam zu und nickte schließlich. »Das könnte stimmen. Und wisst ihr was? Vielleicht bedeutet das auch, dass Arabella ihr Rätsel gelöst hat und in Sicherheit ist. Möglicherweise wurde sie nie verflucht und ist deshalb nicht bei uns.«

Penny fiel ihr ins Wort: »Sie könnte bei Vater sein und zusammen mit ihm nach uns suchen!«

Abschätzig nahm Tatjana wahr, wie Valyras Augen glänzten und sich Hoffnung in den Gesichtern ihrer Schwestern ausbreitete. Ihrer Ansicht nach war all das Humbug, wilde Theorien, an die sie sich klammerten, weil sie die Wahrheit nicht ertrugen.

»Estelle und Arabella haben sicher schon zueinander gefunden und können über alles reden. Zusammen werden sie uns befreien.«

Valyra floh sich in eine Traumwelt. Auf Pennys Wangen hatte sich eine sanfte Röte ausgebreitet und Ginny lächelte leicht.

Tatjana schnaubte. »Ihr werdet warten, bis ihr schwarz seid«, sagte sie grimmig. »Wir haben das Rätsel nicht gestellt bekommen, damit uns jemand anderes daraus befreit. Der einzige Weg aus der Hölle führt durch uns selbst.«

»Das kannst du nicht sicher sagen.« Ginny reckte das Kinn.

»Jedenfalls werde ich nicht nichts tun und meine Zeit damit verschwenden, auf etwas zu hoffen, das nie kommen wird. Ich gebe mein Bestes, um das Rätsel zu lösen, damit Rania nach Estelle und Arabella nicht auch noch mich bekommt.«

 

Liv kam zu ihr, noch bevor Tatjana auf sie warten konnte. Nachdem sie angeklopft hatte, öffnete sich die Tür wie von selbst, doch anders als gestern gruselte sich die Prinzessin nicht, sondern freute sich, mehr über Liv und das Schloss zu erfahren.

An den Anblick der schwebenden Waschschüssel und des Kleides musste sie sich allerdings erst gewöhnen.

»Guten Morgen«, sagte Liv warmherzig und reichte Tatjana das Gewand, das einen schweren dunkellila Stoff hatte. »Ich dachte, du möchtest dich vielleicht etwas frisch machen und deine Garderobe wechseln. Wenn du sonstige Bedürfnisse hast, gibt es zwei Türen links von hier eine Möglichkeit.«

Tatjana verstand, worauf Liv hinauswollte, und nickte dankbar.

Dann kümmerte sie sich zuerst um ihre körperlichen Bedürfnisse, wusch sich und ließ sich von Liv in das Kleid helfen. Mit ein paar geschickten Bewegungen flocht die Unsichtbare ihr einen neuen Zopf und strich ihr anschließend zufrieden über das dichte Haar.

»Du siehst wunderschön aus«, sagte sie, woraufhin die Prinzessin lächelte. Sie hatte es vermisst, Komplimente zu bekommen.

»Zeigst du mir heute das Schloss?« Die Aufregung war ihrer Stimme zu entnehmen.

Liv blieb zunächst still, dann meinte sie: »Einen Teil kann ich dir zeigen. Außerdem … würde ich dich gern ein paar meiner Freunde vorstellen. Sie sind alle ganz aufgeregt, dich kennenzulernen.«

Zwei Gefühle kämpften in Tatjana um die Oberhand. Auf der einen Seite wusste sie, dass die Wahrscheinlichkeit, ihr Rätsel zu lösen, stieg, je mehr Menschen involviert waren und ihr helfen konnten. Auf der anderen Seite plagten sie Zweifel.

»Sind diese Freunde … unsichtbar?«, erkundigte sie sich.

»Ja. Aber schon bald wirst du damit keine Probleme mehr haben. Wir sind zwar unsichtbar, aber nicht körperlos. Du wirst lernen, unsere Präsenz zu spüren.«

»Ist das denn möglich?«

»Aber natürlich. Die einfachen Dinge kannst du sogar jetzt schon bestimmen. Du siehst, wenn sich Türen öffnen, ohne dass da jemand ist. Oder wenn Schubladen aufgehen und eine Kerze entzündet wird. Außerdem spürst du, wenn dich jemand anrempelt.« Liv kicherte.

»Und die schwierigen Dinge? Wann werde ich die lernen?«

»Dafür braucht es ein bisschen Zeit. Ich selbst spüre meine unsichtbaren Freunde immer und überall, aber das kann daran liegen, dass sie mein Schicksal teilen. Doch ich bin mir sicher, dass auch du uns verstehen wirst. Wenn einer von uns in der Nähe ist, wird die Luft schwer. Man … fühlt sich beobachtet.«

»Unwahrscheinlich, dass ich das je begreifen werde«, bezweifelte Tatjana.

Die Dienerin griff nach ihrer Hand. »Wenn du verstanden hast, dass du deine Augen nicht brauchst, um zu sehen, wirst du uns spüren. So einfach ist das.«

Tatjana kam das alles andere als einfach vor, doch sie ließ Livs Aussage unkommentiert. Stattdessen kam ihr ein anderer Gedanke. »Der Herr … Ist der auch unsichtbar?«

»Oh nein.«

»Dann hat der Fluch also nur euch getroffen und nicht ihn?«

Liv lachte traurig. »Er hat ihn selbst am härtesten getroffen, Tatjana. Aber lass uns nicht über die dunklen Tage reden.«

Die Prinzessin spürte einen Windhauch und starrte zur Tür. »Bist du schon draußen, Liv?«

»Siehst du, so schwer ist das doch gar nicht«, erwiderte diese fröhlich. »Komm, ich zeige dir das Schloss.«

»Wieso sind die Vorhänge nicht zurückgezogen?«, fragte die Prinzessin, als sie durch den Korridor gingen. Es war nicht mehr so finster wie noch in der Nacht, aber das Tageslicht drang nur spärlich durch den dicken Brokat.

»Der Herr mag das Licht nicht«, antwortete Liv.

Tatjana fiel auf, dass ihre Stimme leise und ängstlich wurde, wenn sie von dem Herrn sprach. »Du fürchtest dich vor ihm, oder?« Sie blieb stehen.

»Er ist der Herr über dieses Schloss«, antwortete die unsichtbare Dienerin ausweichend. »Sein Wort hat Gesetz. Komm jetzt, wir müssen weiter.«

Unbefriedigt blickte die Prinzessin in den Korridor. Was hatte es mit dem Schlosseigentümer auf sich? Wieso versetzte er Liv so in Angst und Schrecken? Welcher dunkle Fluch umgab ihn?

Tatjana konnte es nicht leugnen, aber der Herr faszinierte sie. Sie wollte mehr über ihn wissen.

»Willst du Wurzeln schlagen oder kommst du noch?«, schallte Livs Stimme über den Korridor.

Tatjana zuckte zusammen, dann beeilte sie sich und lief auf den Raum zu, aus dem sie gestern vertrieben worden war.

»Na endlich.«

»Wieso ist es hier so chaotisch, Liv? Gibt es keine Dienerschaft, die sich um so etwas kümmert? Niemanden, der …«

»Der Herr möchte nicht, dass wir uns um diesen Teil des Schlosses kümmern.«

»Natürlich. Der Herr«, wiederholte Tatjana sarkastisch. Dann folgte sie der Dienerin in das große Treppenhaus, durch das sie schon gestern die Küche erreicht hatten.