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Alle drei Jahre fährt der Ägyptologe Dr. Philipp Bechtold zu Forschungszwecken als Privatgelehrter nach Ägypten. Immer mit dabei seine Frau und sein Berliner Faktotum Emil. Doch der diesjährige Aufenthalt scheint spannend zu werden. Ein deutschamerikanischer Millionär hält sich zur gleichen Zeit wie die Bechtolds im Tal der Könige auf. Er möchte als Erster das immer noch nicht entdeckte Grab des Pharao Scheschonk finden und öffnen. Die Expedition hat sich in Europa schon herumgesprochen. Selbst der Journalist Arthur Nothombs ist dem schwerreichen Ehepaar Sanders hinterhergereist. Und noch jemand hat seine Reiseroute geändert. Die bekannte Theosophin Jane Adams warnt eindringlich, die Totenruhe des Pharao zu stören. Doch Dr. Sanders lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen laden er und seine Frau zur Unterhaltung der europäischen Gesellschaft zu einem Kostümball ein. Als Nofretete bestimmt er die junge Reisebegleitung von Mrs. Adams, Sabine Ritter, während seine Frau fern jeder Eifersucht sich prächtig als Nilpferd amüsiert. Plötzlich erscheint ein verhutzeltes Männchen auf dem Fest und behauptet, die Mumie von Scheschonk zu sein. Seine Todesdrohungen ängstigen Sanders nicht. Aber es wird nicht die einzige Warnung bleiben. Und dann gibt es die ersten, mysteriösen Todesfälle.-
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Seitenzahl: 386
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Rudolf Stratz
Saga
Der Fluch des PharaoCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1935, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507384
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
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– a part of Egmont www.egmont.com
Vorbericht des Privatgelehrten Dr. Philipp Bechtold
Ich habe diesen letzten Winter wieder einmal, mit meinen Forschungen beschäftigt, in Ägypten verbracht. Ich tue es alle drei Jahre. Ich kann es tun. Ich bin Privatgelehrter. Ich bin Herr meiner Zeit und meiner Tätigkeit, an keinen Lehrstuhl in Deutschland und an keinen Lehrauftrag gebunden. Ich hätte mich seinerzeit, vor einem Vierteljahrhundert — jetzt zähle ich schon an die Fünfzig —, gern an einer Universität habilitiert. Aber ich fühlte selbst zu gut: ich besitze nicht die Gabe und die Geduld, vom Katheder zu dozieren. Ich bin für die Erforschung des Wissens, nicht für die Weitergabe des Wissens veranlagt und geniesse in ersterer Hinsicht Gott sei Dank einen guten Ruf in der internationalen Gelehrtenwelt.
So habe ich mit meiner getreuen Gehilfin und Begleiterin auf so mancher Reise in das Pharaonenland, meiner lieben Frau Wilburg, und mit meinem langjährigen Faktotum Emil Krause aus Berlin für diesmal mein Hauptquartier in Luxor aufgeschlagen und mich ungesäumt an die Arbeit gemacht.
Freilich: meine privaten Mittel sind bescheiden. Ich kann keine grossen Sprünge machen wie der Lord Carnavon. Ich kann nicht im Tal der Könige das Unterste zuoberst kehren, so gerne ich es auch täte. Ich kann nur einen winzigen Bruchteil des unermesslichen Totenfeldes beackern, das das Pharaonenland heisst, und habe mich für meinen nunmehrigen Aufenthalt auf die Aufhellung einiger dunkler Stellen aus dem siebzehnten Kapitel des altägyptischen Totenbuchs beschränkt und daneben an meinem grossen Lebenswerk: „Der Sinn des Seins“, weitergearbeitet.
So wäre also über meine eigene Tätigkeit am Nil für Nichtfachgelehrte nichts Bemerkenswertes zu berichten. Aber ich war Augenzeuge der die ganze Kulturwelt bewegenden Tragödie, die sich in diesem Winter im Totental von Theben abspielte. Ich war Vertrauensmann der Beteiligten. Ich fühle die Pflicht in mir, als der einzige, der in die ganzen Ereignisse eingeweiht war, Licht auf das unheimliche Dunkel zu werfen, das über der Sprengung des Grabs des Pharao Scheschonk und dessen wirklichem, wie die einen glauben, oder vermeintlichem, wie die andern wollen, Fluch wider die Störer seiner Ruhe lastet.
Ich selber habe in diesem Streit keine Partei ergriffen, um die Darstellung der Ereignisse durch die Beteiligten nicht zu beeinflussen. Ich habe mich damit begnügt, meine eigenen Beobachtungen und die von mir erbetenen schriftlichen und mündlichen Beurkundungen vieler anderer zu einem einheitlichen Bericht zu gestalten. Ich habe — ich betone das nochmals — meine eigenen Zweifel als Mann der Wissenschaft zurückgestellt.
Mögen also in den folgenden Blättern in bunter Folge die junge Deutsche, deren Schicksal für mich und meine Frau im Mittelpunkt des menschlichen Erlebens stand — möge der fahrende Krösus mit Frau und Tross — mögen britische Theosophinnen und schottische Gardeoffiziere, ägyptische Grosse, deutsche Fabrikanten und Schweizer Zimmermädchen, Hoteliers, Missionare und Fellachen, Altertumsfälscher, Dragomane, Schlangenbeschwörer, Geldwechsler — möge der dunkle Gast aus Indien selber uns offenbaren, was sie zu sagen haben oder was über sie zu sagen ist.
Bericht des Dr. Philipp Bechtold
Ich habe für meinen Winteraufenthalt ein kleines eigenes Haus in der Schari el Muntazah mit netter Aussicht auf den palmenbepflanzten Platz gemietet. Wir, meine Frau und ich, führen da eigene Wirtschaft mit unserem Berliner Faktotum Emil Krause, einem Hausknecht aus Nubierland und einer alten koptischen Köchin. In den grossen Hotels raubt mir das Fremdentreiben jede Stimmung. Es geht einem auf die Nerven: — dies Getümmel von Schiffsladungen und Schnellzugspackungen von Reisekarawanen aus Old England und U.S., die Cook und Sohn täglich mit einem neuen Schub nilaufwärts und -abwärts verfrachtet — das Gehupe der Mietautos und das Geschrei der Reitesel, die Aufdringlichkeit der Dragomane, der indischen Silberschmiede, der persischen Teppichverkäufer, der eingeborenen Strassenhändler und bettelnden Greise und Kinder, und am Abend noch Smoking, Flirt und Foxtrott.
Ich sass an diesem sonnigen Nachmittag am offenen Fenster an meinem Schreibtisch und grübelte über einer dunklen Stelle in dem altägyptischen Totenbuch. Kein Wunder, dass sie dunkel ist. Denn sie stammt aus dem vierten Jahrtausend vor Christi Geburt. Ich hörte hinter mir ein Geräusch, als sei die Tür aufgegangen. Ich drehte mich um: Ein mir unbekannter Gentleman war eingetreten. Ich hatte wohl bei dem langgezogenen Eselgejammer, dumpfen Kamelgebrüll und heiseren Hundegekläff draussen sein Klopfen überhört.
Die kleine stämmige Gestalt des Fremden stak in einer weissen Leinenjacke und Knickerbockers. Er hatte den Tropenhelm von dem zeitlosen Napoleonkopf genommen. Immerhin schien er der Schätzung nach schon in den Fünfzig.
„Morgen, Professor!“ sagte er leutselig in fliessendem Deutsch mit dem leicht näselnden amerikanischen Anklang. „Ich sah Sie an dem Fenster sitzen und trat ein.“
„Ja, das sehe ich.“
Mein Besucher nahm einen Stuhl und setzte sich. Er hatte das verbindliche Yankeelächeln um die dünnen, glattrasierten Lippen. Er nickte mir bedeutungsvoll zu.
„Ich bin Nothomb!“
Da er an meinem Gesicht merkte, dass mir das nicht viel sagte, wiederholte er:
„Nothomb. Wo leben Sie, Professor, dass Sie nichts von mir gehört haben? Ich bin einer der prominentesten Zeitungsmänner der Welt. Ich versorge mehr als hundert Blätter in den Vereinigten Staaten, in Europa, Asien und Australien mit meinen Berichten!“
„Und was verschafft mir . . . .“
„Ich bekam in Bagdad vorgestern einen Funkspruch aus New York, dass hier in Theben ein gutes Ding für die Weltpresse sei. Ich flog hierher. Ich erkundigte mich nach der Landung auf dem Flugplatz nach dem nächsten Professor, der mit den Pharaonen Bescheid weiss . . . .“
„Ich bin nicht Professor!“
„Well, Professor!“ Mein Gast liess sich nicht stören. „Ich bekam Ihre Adresse. Ich kam hier vorbei. Sah Sie. Da bin ich.“ Er legte sich einen Notizblock auf die Knie, bereit zum Stenographieren. „Es handelt sich, scheint es, um eine grosse wissenschaftliche Entdeckung, die die Aufmerksamkeit des Erdballs erregt?“
„Vorläufig nur um die Möglichkeit einer Entdeckung“, sagte ich. „Die Auffindung des Grabes des Pharao Scheschonk des Ersten.“
,,Scheschonk des Ersten“, verzeichnete gewissenhaft Mr. Nothomb. „Ich bin siebenmal um die Erde gefahren. Aber niemals hörte ich diesen Namen.“
„Es ist der Sesostris, den Sie jedenfalls aus der Bibel kennen“, erklärte ich, unwillkürlich vom Eifer des Fachmanns ergriffen. „Dass dieses Grab existiert, dass es existieren musste, das wussten wir längst. Denn im Berliner Alten Museum steht der kunstvoll geschnitzte Kasten, der in vier zusammenhängenden Erzkrügen die einbalsamierten Eingeweide dieses lybischen Pharao aus der Zeit um 1000 vor Christus barg. Aber wo die Königsmumie selber, mit all dem Prunk, der sicher ihren Sarg umgab, ihren Ruheplatz gefunden hat, das war völlig unbekannt.“
„Unbekannt . . .“ stellte Dr. Nothomb stirnrunzelnd mit seinem Stift fest.
„Es gab Kundige“, fuhr ich fort, „die die These aufstellten, die Lybier hätten den Totenschrein des Pharao weit hinaus gen Westen in die Wüste, nach dem berühmten Ammonstempel der Oase Siwa, verschleppt. Andere vermuteten die Reste des einstigen Bezwingers Jerusalems im Nildelta, in den Trümmern von Bubastis, seiner eigentlichen Residenz. Da durcheilt jetzt eben die wissenschaftlichen Kreise eine verblüffende Kunde: In dem Institut d’Égypte in Kairo hatte man einen anscheinend unwichtigen Papyrus aufgewickelt, der auf der Brust der Mumie des königlichen Wedelträgers Kenamun in Theben gefunden worden war. Eine Stelle des kaum mehr leserlichen Streifens zeigte den eiförmigen Königsring — die Umrahmung der Herrschernamen der Pharaonen — und in der Kartusche die Hieroglyphenzeichen des Pharao Scheschonk. Aus dem begleitenden Text geht klar hervor, dass auch dieser Herrscher Ägyptens im Tal der Könige beigesetzt worden ist!“
„Ah — sehr interessant“, murmelte der Napoleon in Knickerbockers.
„Es gibt also auch heute noch dort ein unentdecktes Königsgrab“, schloss ich, „reicher vielleicht, prunkvoller noch als das des Tutanchamen, dessen Aufdeckung vor zehn Jahren ein Ereignis von Weltbedeutung war. Denn dieser Scheschonk war nicht ein jugendlicher, von den Priestern gegängelter Schwächling wie der jung verstorbene Tutanchamen. Dieser Scherchonk hatte ein Menschenalter hindurch mit starker Faust regiert. Er hatte den Tempel Salomos in Juda zerstört und seine Siegestaten durch mächtige, heute noch sichtbare Wandbilder in den Säulenhallen von Karnak verewigt, auf denen er als brauner Riese mit einer gewaltigen Keule ganze Bündel gefangener Hebräer an den Schöpfen packt und erschlägt, und die Namen von genau hundert eroberten Städten aufgezählt. Sein Grab wäre eine wissenschaftliche Fundgrube von unermesslicher, über die ganze Erde hallender Bedeutung. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen!“
„Danke!“ Der Napoleon der Presse vertauschte seinen Notizblock mit einem Scheckbuch. „Wieviel Dollar darf ich Ihnen für Ihre Auskunft gutschreiben?“
„Das kostet nichts und hilft auch nichts!“ sagte ich. „Denn das Grab ist noch nicht entdeckt, und Ihr Landsmann Sanders . . . .“
„Oh nein! Herr Sanders ist Deutscher!“
„Nun — dann hat er eben diese steinreiche Lady, Ihre Landsmännin, geheiratet. Also Herr Sanders, der dieser Tage mit seinem Reisetross eines regierenden Fürsten hier angekommen ist . . .“
„. . . und viele Hunderte von Neugierigen hinter ihm her! Man findet kaum mehr einen Platz in den Hotels!“
„Herr Sanders kann es sich noch so fest vornehmen, koste es, was es wolle, das Grab des Scheschonk zu entdecken — es wird ihm mit all seinen Reichtümern oder denen seiner Gattin nicht gelingen, dies verschleierte Bild von Sais zu enthüllen. Sein Vorhaben ist nichts als die Donquichotterie eines viel zu reichen und, wie es scheint, gelangweilten Mannes, der eine neue Sensation sucht. Er ist ja volkommen Laie!“
„Ich auch!“ sprach Mr. Nothomb offenherzig, „und soll doch vier Erdteile darüber aufklären, was hier in dem fünften vorgeht. Nun — derlei ist mir schon öfters passiert. Ich habe mir ein Telegramm kabeln lassen und daraus heute morgen in Kairo, ehe ich nach dem Frühstück weiterflog, einen vorläufigen Bericht zusammengestellt“.
Er kramte ein paar Blätter hervor.
„Sehen Sie doch das einmal durch, Professor!“ bat er, „und beachten Sie dabei, dass es für Leser über dem Grossen Wasser geschrieben ist, die starke Kost lieben! Vor dem Dinner hole ich mir das Ding bei Ihnen wieder!“
„Ich danke Ihnen!“ Er wartete meine Einwilligung nicht erst ab, sondern schüttelte mir kräftig die Hand. „Leben Sie wohl! Es wäre schön, wenn Herr Sanders diesem Pharao ins Antlitz leuchten könnte!“
Weiterer Bericht des Dr. Philipp Bechtold
Es war ein Winternachmittag, wie jeder Wintertag in Ägypten ist: Strahlend blauer Himmel, heisse Sonne, kühler Wind. Mr. Nothomb war gegangen. Vor mir lagen seine Quartblätter, in englischer Sprache mit der Schreibmaschine beschrieben. Ich musste mich wohl oder übel mit ihnen beschäftigen. Aber vorher trat ich, etwas unmutig über die Behelligung, meiner Gewohnheit nach mit blossem Kopf für ein paar Minuten in die grelle Helle unter den Palmen des Platzes hinaus, um etwas die kühle Nilbrise zu geniessen, die in den Mittagsstunden durch das breite Tal flussaufwärts weht.
Eine junge Dame kam da mit dem raschen und flüchtigen Gang der europäischen Touristin vom Nilufer her. Sie war ein grosses, schlankes, lebhaftes Mädchen von etwa vierundzwanzig Jahren mit intelligenten braunen Augen in dem hübschen, heiteren und freimütigen Gesicht, das kein Schleier unter dem weissen Tropenhelm schützte. Es hätte auch nicht mehr viel geholfen. Denn ihre freundlichen Züge waren schon so braun gebrannt, als käme sie eben vom Äquator statt vom Nil. Es stand ihr übrigens ganz gut. Es passte zu ihrem unbekümmerten, offenbar entschlossen zupackenden Wesen.
Sie sah mich — es war sonst niemand in der Nähe —, blieb stehen, lächelte liebenswürdig und frug mit einer frischen und hellen Stimme auf englisch:
„Bitte, Sir, wie komme ich denn am schnellsten hier aus dem Städtchen ’raus?“
Ich erkannte ihre deutsche Aussprache des Englischen und erkundigte mich auf deutsch:
„Ja — wohin wollen Sie denn?“
„Ach — Sie sind Deutscher! Das ist ja famos!“ Sie kam zutraulich näher. Sie hatte, dabei im Wesen völlig Dame, eine grosse Sicherheit des Auftretens. Sie war offenbar schon weit in der Welt herumgekommen. Sie schaute mir vergnüglich ins Gesicht. Sie schien mir immer reizender, wie sie da, die Hände in den Jackentaschen ihres knappen, grauen Reisekleids, im Sonnengeflimmer durch die Palmenzweige fest in ihren derben, hellbraunen Schnürschuhen stand und dabei lachend die weissen Zähne zeigte.
„Wohin? Gott — vorläufig nur ein bisschen bummeln!“
„Allein?“
„Na — mich stiehlt doch keiner!“ sagte die junge Dame mit grosser Gemütsruhe. „Sonst wäre ich da im Südzipfel von Indien längst abhanden gekommen. Da komme ich nämlich her!“
„Auch allein?“
,,Ach nein! Doch mit Mrs. Jane Adams!“
„Der berühmten alten Theosophin?“
„Ja — der! Ich bin ihre Reisebegleiterin! Wir sind eben aus Alexandrien mit dem Schnellzug angekommen. Wir mussten doch plötzlich Hals über Kopf hierher!“ Sie trat unbefangen noch einen Schritt näher, eine Frage in den glänzenden braunen Augen. „Bitte — seien Sie nicht böse — aber vielleicht können Sie mir Auskunft geben und ich kann es Mrs. Adams gleich rapportieren: dieser Deutschamerikaner, der sich in den Kopf gesetzt hat, das Grab des Königs Sche . . . Sche . . . Herrgott — wie heisst der Pharao nun wieder?“
„Sie meinen Scheschonk den Ersten?“
„Ja — des Königs Scheschonk zu entdecken — der wahnsinnig reiche Mensch — der ist doch hoffentlich noch da?“
„Drüben bewohnt Herr Sanders mit Frau, Gefolge und Dienerschaft ein ganzes Stockwerk in dem Luxushotel!“
„Na — Gott sei Dank! Mrs. Adams wird so froh sein! Als sie gestern abend in Alexandrien in der,Egyptian Gazette’ las, Herr Sanders wisse nun den Ort, wo das lang gesuchte Grab des Scheschonk sei, und werde es bald betreten, da war sie nicht zu halten. Sie müsse rechtzeitig zu seinem Begräbnis hierher — sagte sie!“
„Zu seinem Begräbnis?“
„Nun ja. Er muss doch sterben!“
,,Sterben?“
„So sagt Mrs. Adams! Sie ist überzeugt, dass die ersten, die einen Pharao in seiner Ruhe stören — dass die das nun mal mit ihrem Leben bezahlen müssen!“
„Und das glauben Sie? Sie machen doch sonst einen ganz vernünftigen Eindruck?“
„Ich will nicht klüger sein als Mrs. Adams. Wir haben da im dunkelsten Südindien tolle Sachen genug gesehen. Wenn ich die zu Hause erzähle, glaubt es mir kein Mensch, und ich selber würde es nicht glauben, wenn ich es nicht persönlich gesehen und erlebt hätte!“
„Das sind Autosuggestionen!“
„Lassen Sie das bloss nicht Mrs. Adams hören! Sonst wird die alte Lady ungemütlich. Sie sagt: der Fluch des Pharao sei doch über jedem Königsgrab eingemeisselt und müsse sich erfüllen. Das wisse doch jeder vernünftige Mensch ausserhalb Europas. In Europa gäbe es überhaupt keine Vernunft. Wenn Mrs. Adams das sagt, wird es schon so sein. Ich vertrau’ ihr. Sie ist doch meine mütterliche Freundin!“
„Ja. Das scheint ein hoffnungsloser Fall!“ sagte ich. „Die alte Dame ist Theosophin und als solche in allen Erdteilen bekannt. Da sind Sie ja beide hier in Ägypten, im Land der Rätsel, am rechten Ort!“
„Und Sie wohnen hier und haben da Ihr Haus?“ Das Fräulein schüttelte bedauernd den hübschen gebräunten, nur von der Wölbung des Tropenhelms beschatteten Kopf. „Und sind gewiss Direktor einer Baumwollspinnerei oder Rohzuckerfabrikant, weil Sie dabei so ungläubig lächeln!“ Sie wurde lebhafter. „Fabrikanten — die kenn’ ich nämlich! Die lächeln immer, wenn Plus und Minus nicht glatt aufgeht. Eine Rechnung, die stimmt — die ist nämlich falsch, sagt Mrs. Adams!“
„Sehr richtig!“
„Das sagen Sie auch?“
„Ich bin auch nicht des Geldverdienens wegen am Nil!“ sprach ich freundlich. „Ich bin Privatgelehrter! Gelehrter, gnädiges Fräulein — nicht Geisterseher!“
Das junge Mädchen zuckte die Achseln.
„Ach — ohne das wäre die Welt furchtbar langweilig!“ sagte sie. „Da lohnte es sich ja gar nicht erst, aus Europa wegzugehen. Es ist bei mir schon das zweite Mal. Ich war schon einmal in Peru, bei den Inkas. Das war fein. Da war ich Sekretärin und Photographin bei einer ganz kleinen deutschen wissenschaftlichen Expedition. Ich erzähle es Ihnen nur, weil Sie Gelehrter sind!“ Sie schirmte das kluge, junge Augenpaar mit der Hand und reichte sie mir dann mit einem kräftigen Druck. „Also da geht’s hinaus ins Freie? Danke schön! Ich bin ja so wahnsinnig gespannt auf Ägypten. Alexandrien — das war ja noch nichts Rechtes!“
Sie wanderte davon. Sie hatte einen ein wenig wiegenden flotten Gang und trug dabei den Kopf im Nacken. Ich schaute ihr nach, wie sie durch die vor Hitze zitternde Luft gross und schlank dahinschritt. Meine Frau blickte aus dem Fenster und frug lachend: „Na — du alter Schwerenöter — wer war denn das hübsche, dunkeläugige Mädel, wegen der du dir beinahe den Sonnenstich geholt hast?“
„Ja. Ich weiss nicht! Jedenfalls ein abenteuerliches Menschenkind!“ sagte ich. „Da könnte sie sich doch jetzt eine Droschke mit einem Sonnendach nehmen. Nein! Sie schlägt doch wahrhaftig in der prallen Mittagsglut zu Fuss den Weg nach dem Karnaktempel ein! Na — dort kann sie gerade heute was erleben! Heute ist da ja ein ganz besonderer Abend. Da werden alle Nilgeister lebendig!“
Bericht Arthur Nothombs an die Weltpresse.
Kein härteres Ding, als augenblicklich in Luxor ein Bett zu finden! Die Ladies übernachten in Badewannen und reihenweise auf dem Bodenteppich des Drawing-Rooms, die Gentlemen auf Matratzenlagern auf den flachen Dächern. Manche schlafen sitzend in Automobilen, andere auf mondscheinbeschienenen Bänken in den Hotelparks. Man erwarte höchstens einen Stehplatz in dem Luxusexpress von Kairo! Ich möchte den Apfel sehen, der auf dem Deck der Nildampfer noch zur Erde fallen kann, wenn sie sich Luxor nähern!
Das alles Herrn Konrad Sanders zu Ehren, der den Pharao Scheschonk aus seinem vieltausendjährigen Schlaf aufrütteln will!
Wer in den kleinen und auserwählten Kreisen, die mit ihrem Geld zu ihrem Teil die Welt kontrollieren, kennt Herrn Sanders nicht, diesen vorbildlichen Gentleman zweier Erdhälften? Vor wenigen Jahren leuchtete plötzlich sein Name wie ein Meteor am Gesellschaftshimmel Amerikas und Europas auf, und man weiss nicht, was man an diesem Löwen der Salons als erstes erwähnen soll: seine glänzende Erscheinung, seinen Ruf als Sportsmann, seine Liebenswürdigkeit, sein Glück in allen Dingen, die er anfasst.
Herr Sanders ist kein Mann der grossen Menge. Aber er wird es jetzt, als der Grüftesprenger der Totenstadt von Theben, werden.
Kirchenmänner mahnen: Lasset die Toten ruhen! Hausväter meinen: Mögen die Toten die Toten begraben! Geschäftsleute fragen: Lohnt es sich, in diese Katakomben einzudringen?
Ja. Es lohnt sich. Denn dies sind keine einfachen Keller, voll von Särgen und moderndem Gebein. Dies sind unterirdische, tausendjährige Museen. Dies sind Schatzkammern aus Tausendundeiner Nacht. Dies sind märchenhafte Fundgruben für die Wissenschaft, in die Aladins Wunderlampe in der Hand des Herrn Konrad Sanders hineinleuchten will.
Der tote Pharao brauchte diesen Prunk. Denn er starb nicht. Von seinem Tod ab begann er erst zu leben. Er und seine Untertanen am Nil.
Dass dem so ist und warum dem so ist — darüber hat mich mein gelehrter hiesiger Freund, der deutsche Professor Philipp Bechtold, aufgeklärt. Er hatte die Güte, in den wenigen noch zur Verfügung stehenden Stunden diese ernstliche Frage an der Hand meiner vorläufigen Aufzeichnungen mit mir durchzusprechen, ohne sich freilich, wie er ausdrücklich bemerken möchte, mit meinen Schlussfolgerungen einverstanden zu erklären. Das ist begreiflich. Denn er ist strenger Fachmann, und wir sind Gott sei Dank leichtgläubige Kinder der Welt. Wo kämen wir hin, wenn wir al das beweisen müssten, was wir für wahr halten?
Wir hören also in meinen nun folgenden Worten eines auf Motor, Morseapparat und Schalltrichter eingestellten Globetrotters der Druckerschwärze die Stimme der vorurteilslosen Wissenschaft, die sich die Geheimnisse Ägyptens zum Ziel gesetzt hat.
Ich kenne Ägypten zu allen Jahreszeiten. Ägypten ist ein glühendes Sonnenland. Man kann Monate dort zubringen, ohne dass ein Wölkchen das flammende Blau des Himmels trübt. In einem satten Blaugrün gleissen zu beiden Seiten die fruchtbaren Niederungen. In violettem Dunst umrahmen kahle Steingerippe die riesige grüne Oasenschlange mit dem Nil als Rückgrat, die Ägypten heisst, oder brennend schwefelgelb wie sonst in dem Innern der Sahara schlägt gleich einem erstarrten Meer der Wellenschlag der Sanddünen. Alles ist ein Rausch von Farben und Feuer.
Man sollte meinen, dass unter dieser ewig heiteren Himmelswölbung ein unbeschwertes Geschlecht sich seines Lebens freuen würde, sorglose Söhne der Sonne, eins mit blauem Himmel, Spiel der Nilwogen, fächelnder Brise, wie der Lazzarone in Neapel. Nein. So lange wir um die Ägypter wissen — und wir wissen von ihnen länger in die Urzeit hinauf als von irgendeinem Volk der Weltgeschichte —, haben sie sich auf dieser schönen Gotteswelt nie recht zu Hause gefühlt. Ihre Koffer waren immer gepackt zur Reise ins Jenseits.
Sie waren ein Geschlecht gigantischer Ameisen, in ihrem praktischen Verstand, ihrer kribbelnden Geschäftigkeit, ihrer Freude an Mammutbauten die Amerikaner ihrer Zeit. Und zugleich so bigott, so weltabgewandt, so daseinsverneinend wie heute etwa noch der Dalai - Lama von Tibet und sein Land voll Mönche und Gebetsmühlen.
Sie errichteten Bauwerke, gegen die unsere Zentralbahnhöfe, Talsperren, Schwimmdocks nur Babyklappern sind. Aber diese Quadergebirge der Pyramiden waren Grabmale über einem einzigen winzigen Königssarg, und in dem Karnaktempel bei Luxor, wahrscheinlich dem grössten Bauwerk, das Menschen je auf Erden geschaffen haben, grüsst überall, wie in einem ungeheuren Vorhof zu einem andern Leben, mit seinem Schakalskopf Anubis, der Tutengott, und raunen die Hieroglyphen: „Er öffnet dir die Strasse, wenn du dich zur Unterwelt begibst!“
Die Unterwelt. Die eigentliche Welt.
Denn nach der düsteren altägyptischen Glaubenslehre ist das Menschenleben nur ein flüssiges Flackerpünktchen zwischen zwei schwarzen Unendlichkeiten. Das Erdendasein ist nur ein kurzer Traum. Man erwacht aus ihm im Sterben. Der Tod ist die Wirklichkeit. Darum heissen in den Rätselstellen der Hieroglyphen die Verstorbenen „die Lebenden“, die Häuser „Herbergen auf der Wanderschaft“, die Gräber „Ewige Wohnungen“, die Särge „Schreine des ewigen Lebens“.
Jenseits des breiten fruchtbaren Überschwemmungsgeländes des linken Flussufers lag damals und liegt heute noch in furchtbarer Einsamkeit einer wildzerklüfteten, baum- und strauchlosen, viele Hunderte von Fuss hohen Berg- und Steinwildnis die Totenstadt Theben. Nicht nur die Pharaonen fanden da ihr neues Heim. Sie hatten nur ihr eigenes „Tal der Könige“ oder eigentlich zwei in den Felsschlünden sich gabelnde, schauerlich öde Wüstenschluchten. Ziemlich entfernt davon besitzen die Königinnen ihr eigenes Schattenreich. Überall im Umkreis gähnen aus gelbem Gestein die schwarzen Pforten zu den in den Felsen gehauenen Gräbern: Massengrüfte thebanischer Priesterfamilien, Friedhöfe der hohen ägyptischen Bürokratie, Grabkammern ehrbarer Bürger, von Bestattungsgesellschaften angelegte Massenkatakomben, mit Reihenstätten rechts und links des Bergtunnels für die weniger bemittelten Mumien. Dazwischen Kapellen, zerfallene Mauern, in den Tälern und in die Ebene hinausgebaute riesige Tempel — das war Theben. Das ist heute noch Theben. Denn seine Totenkammern haben viele Jahrtausende der Lebenden, der Völker Kommen und Gehen, die Schicksale der Weltteile, Kriege, Thronkämpfe, Entdeckungen — alle die Nichtigkeiten des Erdendaseins überdauert.
Die Toten von Theben und ihre Könige.
Konnte man die Königskatakomben, die unermessliche Schätze bargen, in weltverlorener Einsamkeit vor den Hyänen der Grüfte bewahren? Man vermochte es, solange der Staat stark genug war, sie mit seinen Polizeimitteln zu schützen. In der Blüte des Pharaonenreichs war die Totenstadt links des Nils auch von vielen Tausenden von Lebenden bewohnt — von Priestern, Wandmalern, Friedhofbeamten, Aufsehern, Einbalsamierern, Steinmetzen — allem, was zum Betrieb des ungeheuren Bergfriedhofs gehörte.
Aber dann verödete im Verfall des Reiches das lebende Theben, die Hauptstadt am anderen Ufer des Nils, an deren Stelle heute nur noch, mit Ausnahme der Tempel, armselige Dörfer und Weiler stehen. Nur noch die Schatzale winselten nächtens drüben im Tal der Könige! Unbehütet standen die viereckigen, schmalen, vermauerten Pforten, von denen aus Treppenstufen und Gänge mit Seitenkammern und Zwischentoren tief in das Innere des Berges bis zur Mumiengruft führten. Wohl waren diese Tore mit Baststricken versiegelt. Aber was half das gegen Gottlose und Gierige in stundenweiter Wildnis?
So sind diese sechzig und mehr Grüfte im Tal der Könige, in denen an die dreissig Pharaonen ihre ewige Ruhe zu finden wähnten, grösstenteils schon zur Zeit der alten Ägypter selbst erbrochen und ausgeraubt worden. In Theben bestand bereits um das Jahr 1000 vor Christus eine organisierte Gangstergesellschaft, deren sich Chicago nicht zu schämen brauchte, zur Ausplünderung der Königsgrüfte unter Führung des Oberpriesters, zweier Stadtmeister und dreier königlicher Räte. Ganze Bündel von Königsmumien wurden, da man keinen andern Rat mehr wusste, von Getreuen in Felsspalten vor den Grabräubern versteckt und schliesslich doch nach vielen Jahrhunderten 1875 von Fellachen aufgestöbert, denen man sechs Jahre später ihren Raub abnahm. So liegt jetzt der einstige Herr der Welt, Ramses der Grosse, der siebenundsechzig Jahre über Ägypten geherrscht hat, als schwärzliches Bündel im Schaukasten des Salon Septentrional, des grossen Nordsaals, als Nr. 3874 unter Glas und Rahmen im Ägyptischen Museum zu Kairo. Neben ihm drei weitere numerierte Pharaonen, viele einstige Prinzessinnen und Grosse. Man verarge mir meinen Freimut nicht — aber ich habe manchmal den Eindruck, als ob es unserer Zeit ein ganz klein wenig an Feingefühl mangelt.
Was im Tal der Könige zu stehlen war, das wurde fast restlos im Lauf der Zeiten gestohlen. Der Grieche Strabo kannte schon vierzig geöffnete Königsgräber. Die Schlussarbeit besorgte dann der Islam bis gegen das Ende der Kreuzzüge hin. Es schienen von da ab alle die Totenkammern der Herrscher von Räuberfüssen entweiht, von Räuberfäusten kahl ausgebeutelt zu sein.
Von da ab schwieg das Tal der Toten und gab seine Geheimnisse nicht mehr preis. Seit Menschengedenken hatte man keine neue Königsgruft mehr aufgefunden, geschweige denn betreten.
Bis um die Jahrhundertwende Lord Carnavon kam, erst seiner Gesundheit wegen, dann unter dem Zauber des ewigen Nils. Isis und Osiris nahmen den steinreichen Peer von Grossbritannien an der Hand und geleiteten ihn in ihre geheimnisvolle Welt.
Lord Carnavon begann zu graben. Durch Jahrzehnte haben er und Mr. Howard Carter, ein britischer Ägyptologe, samt einem Stab von Mitarbeitern und Scharen von Fellachen das Totental der Pharaonen mit der Geschäftigkeit des zwanzigsten Jahrhunderts erfüllt.
Wenn man in diesem Gespenstertal zwischen niederen, senkrechten Felsmauern wie in einem Kanalschacht durch die trostlose, gelb glühende Bergwildnis reitet und sich nach links wendet, so gab es da eine Stelle, wo hohes Steingeröll aus einem dereinst in halber Berghöhe ausgeschachteten Grab die Talsohle füllte. Die braunen Werkleute der Pharaonenzeit hatten die Massen der Felsbrocken einfach da hinuntergeworfen, ohne sich viel darum zu kümmern, ob sie mit ihnen nicht vielleicht einen schon vorhandenen, tiefer gelegenen Grufteingang für immer verschütteten.
An dieser Stelle, im Tal der Toten, scharrte und schürfte der Gelehrte. Carter unermüdlich sechs Winter hindurch mit seinen Fellachen und war schliesslich doch schon nahe daran, das Rennen aufzugeben. Da stiess am 4. November 1922 der Spaten eines Arbeiters auf eine in den Fels gemeisselte Steinstufe: das Grab des Pharao Tutanchamen war entdeckt. Die Welt hallte davon wider.
Tutanchamen war dabei durchaus keiner der grossen Pharaonen. Er sass nur etwa sechs Jahre auf dem Thron. Er starb, kaum achtzehnjährig, wahrscheinlich eines gewaltsamen Endes. Die allmächtigen Hohenpriester hatten etwas gegen ihn — den Nachfolger des grossen Ketzerkönigs Amenophis.
Und doch: was hat man alles mit seiner Mumie dreifach im Tal der Könige eingemauert! Sein Sarg aus massivem Gold hat allein einen Wert von 300 000 Dollar. Eine goldene Maske deckt sein Angesicht. Die Augen sind aus Lapislazuli. Über und über vergoldete Thronsessel aus Ebenholz. Goldene Diademe und Halskragen, goldene Fingerringe, Sandalen, Fächer und Zepter. Elfenbeinkästen, Alabasterlampen, vergoldete Streitwagen und Pferdegeschirre, Stöcke aus Elfenbein, Truhen aus Zedernholz, Dolchknaufe aus Bergkristall, Skarabäen, Kinderstühle, Amulette, Leuchter, Vasen, Salbenbüchsen, Bogen, Götterfiguren. Die Sammlung umfasst jetzt im Museum von Bulak bei Kairo allein mehr als fünfzig Glasschränke.
Und nun tritt unheimlich das Schicksal in Erscheinung. Die Mumie Tutanchamens wehrt sich mit Mitteln über Menschenmacht gegen ihre Bezwinger des zwanzigsten Jahrhunderts.
Es heisst, dass schon 1914 der Forscher Theodor Davis an derselben Stelle ganz nahe dem grossen Fund gewesen, aber am selben Tag plötzlich gestorben sei. Jedenfalls waren Lord Carnavon und Carter die ersten, die am 26. November 1922 die Gruft öffneten. Nur langsam drang man im Lauf der Wochen durch die mit unermesslichen, nie geahnten Schätzen an Königsgerät gefüllten Räume vor. Dabei steckte der Earl von Carnavon, wie als Augenzeuge der amerikanische Altertumsforscher Tom Terris schildert, seine Hand in eine Alabastervase und zog sie mit einem kleinen blutigen Stich wieder heraus. Aus dem Krug summte, wie der Geist des toten Pharao, eine kleine grüngoldene Fliege. Lord Carnavon starb nach kurzem an Blutvergiftung.
Er hatte fünfzehn Begleiter, die mit ihm zusammen als die ersten Menschen nach Jahrtausenden die Totenkammer des Pharao betraten. Von diesen insgesamt 16 Wissenschaftlern — nach andern wären es sogar 19 gewesen — weilen jetzt, nach wenig mehr als elf Jahren, nur noch zwei unter den Lebenden. Beide von schwerer Krankheit genesen: Carter und Terris.
Laut Terris äusserte Lord Carnavons Halbbruder vor dem Betreten der Gruft: „Ich wünschte, er hätte dieses Grab niemals entdeckt.“ Er starb im Laufe des Jahres. Der bei den Ausgrabungen beteiligte Prinz Ali Bey von Ägypten wurde im Londoner Savon-Hotel ermordet. Der ägyptische Gelehrte Hallah Bey entleibte sich einige Tage darauf. Der Sekretär Howard Carters, Mr. Bethell, ein rüstiger Sportsmann von dreissig Jahren, starb rasch an einer unbekannten Krankheit. Sir Archibald Douglas, aus dem berühmten schottischen Geschlecht, machte im Innern des Grabes, wenige Monate nach der Entdeckung, photographische Aufnahmen und starb ganz plötzlich. Der Ägyptologe Evelyn Whyte, der zugleich mit ihm das Grab betreten, verübte im gleichen Jahr Selbstmord. Als Vertreter der amerikanischen Wissenschaft stand der Professor Lafleur von der McGill-Universität in der Gruft und verschied nach wenigen Tagen in Luxor. Der Konservator der in dem Grab gefundenen Altertümer, Arthur Weigall, wurde in London vor kurzem von einer schleichenden Krankheit dahingerafft. Als letztes Opfer endlich starb jetzt in Boston der berühmte amerikanische Ägyptologe Lythgon, der bei der Öffnung des Grabes hervorragend mittätig gewesen war.
Diese Totenliste, die wiederholt und unwidersprochen durch die Weltpresse ging, zeigt die Unglückszahl dreizehn. Der vierzehnte Eindringling ist spurlos verschollen. Zwei, wie gesagt, genasen nach langem Siechtum.
„Die Göttin der Wolken“, sprechen die Hieroglyphen auf des Pharao Tutanchamen Totenschrein, „breite ihre Flügel über mich, dass ich still ruhe wie unter den unvergänglichen Sternen.“
Und wehe dem, der die Ruhe stört!
Und die Frage ging durch die Welt: Wohnte in dieser Gruft der tausendjährige Tod und harrte — sei es durch unsichtbares Gift, durch mystische Wirkung — der ersten Eindringlinge?
Stand nur als leere Drohung über den Königsgräbern der Fluch eingemeisselt: „Tod wird auf raschen Schwingen den ereilen, der den Grabfrieden des Pharao stört!“?
Oberflächliche Menschen werden vielleicht aus ihrem Klubsessel heraus antworten: „Die früheren Gräber wurden ja auch ausgeplündert!“ Ja: von Nilbauern und Wüstenhirten! Wer hat sich darum gekümmert, was aus ihnen nach der Entdeckung wurde? Das Dasein eines Beduinen wog nicht mehr als das eines Schakals. Sein oder Nichtsein eines Fellachen war dem einer Fliege gleich. Es ist sehr leicht möglich, dass diese ersten Entdecker alle bald darauf gestorben sind. Man hat sie in ihrem Dorf oder im Wüstenfand verscharrt und am nächsten Tag vergessen.
Wer ernstlich an diese vertrackten Dinge herantritt, der sieht der Sphinx und ihren Rätseln ins steinerne Antlitz. Die Ägypter konnten wahrhaftig mehr als Brot essen. Sie galten von alters her als Zauberer. Sie hatten unzweifelhaft geheimes Wissen, das sie mit sich ins Grab nahmen. Ist es wirklich weise, zu glauben, dass einem Volk, das so im Tod lebte, das so am Tod wahrhaft hing, dem nichts zu heilig und zu kostbar für seine Abgeschiedenen war — dass diesem Volk für seinen toten König ein paar Mauern aus Nilschlammziegeln, ein Tor aus Palmenholz, ein versiegelter Kokosstrick als genügender Schutz für die Ewigkeiten schien?
Wir wissen es nicht. Vielleicht werden wir es bald wissen — dank Herrn Sanders. Wir werden sehen, ob er am Leben bleibt.
Noch träumt, irgendwo im schauerlichen Tal der Könige, der Pharao den Traum des Todes oder des Lebens.
Eine starke Faust pocht an die Grabpforte.
„Halloh! Hier die Neue Welt!“
Es ist Herrn Konrads Sanders’ frische, jugendstarke Stimme. Er begehrt Einlass in den unterirdischen Hofhalt. Tutanchamen ist tot! Es lebe Scheschonk!
Ja. Er lebe — lebe wieder mit uns, in dem hellen Tageslicht. Schenke uns seine Schätze! Wir wollen sie nicht stehlen und einschmelzen und heimlich verhökern! Wir wollen sie nur haben!
Wir wollen sie in Glaskästen zur Schau stellen und dicke Bücher darüber schreiben. Wir wollen wissen! Immer mehr wissen, obwohl wir unter der Bürde jahrtausendealten Wissens schon fast zusammenbrechen. Wir können keine Rücksicht auf den Frieden der Gräber nehmen. Wir Söhne Adams halten uns an den Baum der Erkenntnis.
Noch hat uns Herr Sanders nicht verraten, wie er als Laie sein Werk anzugreifen gedenkt. Wer werden sehen, wer stärker ist — er oder der Pharao!
Aufzeichnung des Dr. Philipp Bechtold
Ich hatte Mr. Arthur Nothomb den Gefallen getan, seinen Artikel über das Pharaonengrab zu überfliegen, den er jetzt wohl schon als Sturmschwalbe unerhörter kommender Sensationen in drei Erdteile flattern lässt. Ich hatte hinterher Zweifel, ob ich recht getan, ich, der Mann der Wissenschaft, der da, wenn auch unter entschiedener Verwahrung, in den Spuk der Gräber hineingezogen wird.
Aber es ist schwer, diesem beweglichen, redesprudelnden, elektrisch geladenen kleinen Napoleon der Presse zu widerstehen. Seine gebieterische Liebenswürdigkeit entwaffnet. Er hat eine ganz sonderbare Art, nicht die Dinge an sich zu sehen, sondern nur ihre Wirkung auf die Menschen.
„Wenn es keine Gespenster gäbe, müsste man sie erfinden!“ sagte er. „Wenn es keine unerklärlichen Dinge in Ägypten gäbe — ja: um Cook und Sohn zu besichtigen, fährt niemand an den Nil! Halloh — alter Freund — wir brauchen die Gänsehaut den Rücken ’runter! Dann ist uns wohl!“
„Das ist nicht Aufgabe der Wissenschaft!“ sagte ich.
„Wissenschaft ist schädlich!“ entschied Arthur Nothomb. „Das heisst: das sage ich jetzt, weil es mir in meinen Kram passt. Morgen bin ich vielleicht entgegengesetzter Ansicht. Augenblicklich behaupte ich: Nichts macht das Leben langweiliger als die Erkenntnis. Wenn Sie ein Silbenrätsel gelöst haben, werfen Sie das Blatt weg. Es interessiert Sie nicht mehr!“
„Nein — der normale Mensch strebt nach Nichtwissen, um das grosse Geheimnis des Lebens nicht zu entweihen!“ Mr. Nothomb stand schon, die Uhr in der Hand, auf der Schwelle. „Darum rückt er Tische und sieht Zweite Gesichte und glaubt an die Geheimnisse Ägyptens. Und wenn er an sie glaubt — dann sind sie! Der Wille erzeugt die Vorstellung — hat einer Ihrer Philosophen gesagt — oder umgekehrt? Na — so ähnlich! Ich muss auf das Telegraphenamt! Guten Abend, Professor!“
Ich setzte mich wieder an die Arbeit. Aus dem Totenbuch von Theben stieg das Grauen der Unterwelt. Die vierbeinigen Schlangen, die wandelnden Leichen, der Triumphmarsch der Krokodile, die Riesenschlangen — sie alle schienen mir fremde Fratzen. Es war, als riefen die Toten: Rührt nicht an die letzten Dinge! Es sind nie die letzten! Es kommen immer neue nach! Wer mit der Fackel der Erkenntnis durch das tiefe Dunkel schreitet, der erhellt nur so weit vor sich die Finsternis, als sie hinter ihm zusammenschlägt.“
„Ich habe eigentlich ein bisschen Reue“, sagte ich zu meiner Frau, „dass ich dem Humbug des Mr. Nothomb meinen Segen gegeben habe!“
„Wer weiss denn, ob es ein Humbug ist? Die Todesfälle stehen fest!“
„Du bist auch schon angekränkelt, Wilburg!“ versetzte ich. „Du sagst auch: Was wäre das Leben ohne das Unerklärliche?“
„Vielleicht . . . .“
„Und jedenfalls muss, gerade vom Standpunkt der Wissenschaft, alles unterstützt werden, was den Laienplänen dieses Herrn Sanders dient“, schloss ich. „Und darum habe ich es getan. Gelänge es ihm durch ein Wunder des Himmels, den Pharao zu finden, so wäre der Gewinst für uns Fachleute unberechenbar!“
Unser Berliner Faktotum Emil Krause trat ein. Aus einem der Nilhotels habe eine alte Dame geschickt, ob ich nicht wüsste, wo Fräulein Sabine Ritter sei.
„Sabine Ritter?“ frug ich. „Wer ist das?“
„Herr Doktor hätten vor drei oder vier Stunden hier auf der Strasse vor dem Haus mit ihr gesprochen!“
„Sabine Ritter — das ist offenbar das grosse, hübsche, sonnenverbrannte Mädchen, dem du vorhin den Weg nach dem Karnaktempel gewiesen hast, du alter Schwerenöter!“ sagte meine Frau.
„Die alte Dame ist etwas in Unruhe, indem es sachteken dunkel wird!“
„Ja — bitte — ich lasse Mrs. Adams bestellen, das Fräulein fei vor die Stadt hinaus zu Fuss in der Hitze nach dem Karnaktempel abmarschiert!“ versetzte ich. „Hier vorbeigekommen ist sie seitdem nicht wieder. Also muss sie wohl noch draussen sein!“
Ein Briefumschlag und ein aufgefangener Brief Sabine Ritters
An Herrn Josef Hilgenstock, Schraubenfabrik A.G. in Schöllnitz (Freistaat Sachsen)
Lieber Freund!
Ja! Ägypten! Da sind wir jetzt! Aus Indien gelandet, wie ich Ihnen schon von Alexandrien schrieb. Mrs. Adams und ich. In diesem Museum. Ägypten ist ein einziges grosses Museum. Nur Steine und Jahrtausende. Die Menschen wimmeln darin unglaublich überflüssig herum. Menschen haben am Nil nur einen Sinn, wenn sie Mumien sind.
Der Tod ist hier der Sinn des Lebens, sagt Mrs. Adams. Das klingt unfreundlich. Ich lebe wahnsinnig gern. Ich passe gar nicht in so ein Totenland. Aber trotzdem: Alles in der Welt ist besser als ein Sonntagnachmittag in Schöllnitz!
Und dort könnten wir beide jetzt so nett spazierengehen als . . . das ist es. Nett wäre das — das finden Sie! Wenn ich vernünftig wäre, wurde ich es auch finden. Denn ich habe Sie wirklich sehr gern. Aber da ist dann wieder der Freiheitsdrang, und ich war wieder einmal unvernünftig. Ich bin fort, ehe es bei uns zum Klappen gekommen ist, und fühle mich hier draussen wie ein Fisch im Wasser.
Das heisst: nicht immer! Das will ich Ihnen gestehen! Manchmal habe ich Anwandlungen von einer ganz sonderbaren Wehmut. Dann wird mir ganz weich zu Sinn. In solch einer Stimmung habe ich dann eine Träumerei, eine Sehnsucht: Du könntest es ja so gut haben daheim — einen, der dich lieb hat — und überhaupt Familie — und bist auf Lebenszeit geborgen, und man ist in Deutschland, das ich doch so treulich liebe und nie mehr, als wenn ich recht weit weg bin — und dann stütze ich den Kopf in die Hand und frage mich: Was hast du denn eigentlich da draussen verloren, du tolle Liese? Und da kann es tatsächlich passieren, dass einem ohne Grund die Tränen kommen.
Und auf einmal ist man wieder ganz fidel und sagt sich: Gott sei Dank — du bist draussen! Du erlebst was draussen! Und das ist doch gerade deutsch! Und es ist doch noch nicht aller Tage Abend, und du findest doch auch wieder mal nach Deutschland zurück, und vorläufig ist es hier draussen doch so wunderschön!
Herrlich: die Hitze — die Fliegen — der Staub — die Welt brennt in Farben. So was gibt’s nicht wie das Rote Meer — es ist nämlich himmelblau, und die Fische fliegen über das Verdeck, und über dem Sinai steht die Fata Morgana, und man kommt aus Indien. Aus dem tiefsten und dunkelsten Indien. Ich erzähle Ihnen nichts davon, wo wir waren — die gute alte Adams und ich — allein unter Tausenden von Eingeborenen, die vor Mrs. Adams einen abergläubischen Respekt haben, und mitten in den Geheimnissen Indiens. So was versteht man in Schöllnitz nicht. Ich will Ihnen nur Nachricht geben, dass ich noch lebe und gesund bin, weil Sie soviel Anteil an mir nehmen. Sagen Sie’s bitte auch meinen Eltern und grüssen Sie alles, was in Schöllnitz kreucht und fleucht.
Nachschrift: Sie ahnen nicht, wo ich Ihnen diese Zeilen schreibe. In den „Thronen der Welt“. Dem Tempel von Karnak, grösser als ganz Schöllnitz und auch interessanter. Ich sie in der riesigen Säulenhalle, durch die die letzte Abendsonne fällt. Zwölf Männer können solche Säule nicht umspannen, und auf den riesigen Säulen und an den riesigen Wänden lebt eine ganze bunte, lebensgrosse gemalte Götterwelt. Das heisst: Götter sind es eigentlich nicht. Es sind mehr Tiere. Oder vielmehr Menschen mit Tierköpfen. Ein krauses Volk: da sind gerade vor mir Frauen mit Löwen- und Raken- und Kuhköpfen und ein Kerl mit einem Krokodilskopf und ein anderer mit einem Falkenkopf, und sie marschieren alle ganz verquer und verwerfen die Schultern im rechten Winkel, und das zwischen sind die Hieroglyphen, die kein Mensch versteht. Immer wieder ein Käfer. Das scheint die Hauptsache. Mrs. Adams sagt: Der Skarabäus ist nämlich die Sonne, und die besseren Mumien tragen diesen Mistkäfer aus Edelsteinen geschnitten als Herz. Das begreife, wer mag!
Ich bin ganz allein in dieser merkwürdigen Gesellschaft. Es geht schon sehr gegen Abend und dämmert schon ganz merklich über dem sonderbaren Land am Nil, und es sind keine Europäer da. Die dressen jetzt alle schon zum Dinner. Und die Eingeborenen werden überhaupt nicht in die Tempel gelassen. Die machen da doch nur Unordnung. Es ist ganz still. Ganz märchenhaft. Mir ist nicht unheimlich zumut unter den vielen Pharaonen und Göttern und Tieren, die zum Glück auch von meiner Anwesenheit nicht die geringste Notiz nehmen. Denn sie schauen ja alle an mir vorbei nach rechts oder links. Eher feierlich. Es ist beklemmend schön. Und immer noch furchtbar heiss. Sobald ich jetzt mit der Epistel an Sie zu Ende bin, will ich auch schauen, dass ich heimstiefele. Ich bin rechtschassen müde. Ich bin, in meiner Wissbegierde, den ganzen Nachmittag, viele Stunden lang, im Sonnenbrand in den Ruinen herumgeklettert. Ich schreibe Ihnen hier wirklich nur noch schnell aus Pflichtgefühl — und so müssen Sie — Gott — die Fliegen machen einen beim Schreiben rein wahnsinnig — das auffassen — nicht wahr? Nicht mehr — verstehen Sie? — und nicht etwa denken, dass ich . . . . . .
Eine Seite aus dem Reisetagebuch Sabine Ritters
Ich muss ganz plötzlich über meinem Brief an den guten Hilgenstock eingeschlafen sein. Ein Wunder war es schliesslich nicht — bei der Hitze und so müde, wie ich war. Erst die Nachtfahrt aus Alexandrien und dann tagsüber das Herumgelaufe in dem Tempel.
Der Brief muss mir, als ich einduselte, aus der Hand gefallen sein. Als ich wieder erwachte, lag er, samt dem Umschlag, neben mir am Boden im Mondschein. Denn nun war schon volle Nacht, und der Mond schien beinahe taghell durch den Wald von Säulen, die riesige schwarze Schatten warfen. Und dazwischen war ganz helle bläuliche Luft. Es hatte direkt etwas Geisterhaftes. Es war so klar, dass man weithin die Figuren an den Säulen und Wänden sehen konnte.
Nun kommt das merkwürdigste Ereignis meines Lebens.
Ich habe plötzlich in meiner Einsamkeit beinahe das Weinen gekriegt und die Zähne zusammengebissen und mich am Ohr gezupft und mich gefragt: Sabine — träumst du eigentlich noch? Oder bist du übergeschnappt? Oder was ist eigentlich mir dir los?
Die Göttergestalten in dem Tempel waren, während ich schlief, alle lebendig geworden. Es waren noch genug Bilder von ihnen an den Wänden und Säulen geblieben. Aber viele waren schon heruntergestiegen und wandelten in der Halle des Tempels und begrüssten sich und unterhielten sich miteinander. Das Stimmengewirr hatte mich geweckt.
Ich schluckte vor Angst. Ich bin sonst wirklich nicht so ein Hasenfuss. Aber das war mir doch zu toll, dass mich so die Nerven im Stich liessen und ich Visionen oder so was bekam. Ich suchte mich zu beruhigen. Ich sprach mir gut zu: Da klingt bloss so ein Traum nach. Das ist so ein Zustand zwischen Schlaf und Wachen — das ist ja alles Unsinn. Du musst jetzt ein paar Minuten die Augen zumachen, und wenn du sie wieder aufmachst, ist der ganze Spuk einfach weg!
Also das habe ich getan und dagesessen und dabei immer die Götter schwurbeln gehört, und wie ich die Augen wieder aufgemacht habe, stiess ich einen schwachen Schrei des Schreckens aus. Es waren bloss noch mehr Gottheiten geworden und so Volks inzwischen. Immer wieder kamen neue zwischen den Säulen hervor und mischten sich unter die andern. Sie vertrugen sich miteinander ausgezeichnet. Sie plauderten lebhaft miteinander. Mich sahen sie zum Glück nicht. Ich sass im Schatten der Säule und duckte mich ganz betäubt und verwirrt in mich zusammen. So was war mir doch noch nie passiert.
Ich dachte mir dumpf: Na — schön, Sabine — kurz und gut — du bist verrückt geworden! Aber wird man denn aus heiler Haut verrückt? Abenteuerlich — behaupten sie wenigstens in Schöllnitz — veranlagt bin ich vielleicht — aber doch nicht verdreht im Kopf! Das hat mir auch dort noch niemand nachgesagt! Überhaupt: wenn man weiss, dass man verrückt ist, dann ist man’s gerade nicht! Also das konnte nicht stimmen.
Wenn man nicht in solcher Aufregung gewesen wäre, so wäre es ja ein phantastisches Bild gewesen. Die vielen Götter und Göttinnen mit den verschiedenen Tierköpfen und goldenen Kronen und Sonnenscheiben drauf und Pharaonen mit mächtigen blauen und roten Federn und Krieger mit weissen Schürzen und goldenen Schilden und darauf die Sphinx und Priester und derlei — die trugen Pantherfelle — und braune Tempelmädchen mit Harfen und Flöten.
Das schien denen ganz selbstverständlich, dass sie da nachts geisterten. Nur mir, dem einzigen Menschen, nicht. Ich fühlte mir in meinem Versteck den Puls. Na — der schlug nicht schlecht. Nun wurde mir klar: das war einfach ein ausgewachsener Fieberanfall! Seit wir aus Indien weg waren, hatten Mrs. Adams und ich unsere tägliche gewohnte Prise Chinin nicht mehr genommen. Nun kam das vielleicht nach. Das hatte ich mir nun glücklich aus den Tropen mitgebracht.
Ohne solch eine blödsinnige Fieberphantasie hätte ich es mir gar nicht erklären können, dass dies Volk von vor vieltausend Jahren unter sich englisch und französisch sprach. Ich hörte es ganz deutlich. Es machte mich ganz krank, weil es doch so gar nicht stimmte.
Ich will nicht sagen, dass mir die Zähne klapperten. Das ist wohl nur so eine Redensart. Aber zumut war mir danach. Es war eigentlich schade. Denn so etwas — das fühlte ich dabei — würde ich doch nie wieder in meinem Leben sehen: die ungeheure Halle mit den vielen bunten Zaubergestalten und dem bläulichen Mondschein und den schwarzen Säulenschatten. Es schien, als ob alle auf etwas Besonderes warteten. Es lag so eine Stimmung über ihnen. Sie schauten alle nach der fernen Rückwand des Tempels, als ob dort, von dort, von den Obelisken draussen her, durch das grosse Tor etwas Besonderes kommen müsste.
Das Stimmengewirr und Durcheinander wurde immer lauter und heiterer. Ein Widder mit Menschenleib ordnete seitwärts die musizierenden Tempelmädchen. Braune Sängerinnen hockten da mit gekreuzten Beinen und flirteten ganz heftig mit ein paar jungen Göttern, die Krummstäbe und eine Art Schlüssel in den Händen hielten und hohe, spitze, goldene Blechmützen trugen. Jeden Augenblick konnte hier offenbar ein grosses Geisterfest beginnen.
Mir war ganz weh. Ich hatte nur die Idee, dass das so nicht weiterging. Es musste etwas geschehen — ich sagte mir: Das ist ein ausgewachsener Fiebertraum. Wenn du dem davonläufst, kann die ganze Gesellschaft doch nicht mitlaufen, und du bist sie los . . . . . .
Also nichts wie ’raus! Und daheim in die Klappe! Und Chinin und den Doktor . . . .
Jetzt stimmten sie schon ihre Harfen, und es war allgemeines Gelächter und Getriebe unter den Schatten, und fern am Tor sah man viele Fackeln und hörte neues Stimmengewirr. Was da nun noch kommen würde, wollte ich nicht noch erleben. Ich konnte mir ja mit wahrscheinlich 40 Grad Celsius im Leibe Gott weiss noch was Greuliches einbilden, wenn ich hier noch lange herumtrödelte. Dabei war mir gar nicht nach Fieber zumute. Das war das Komische bei der Sache.