Vorbei. Eine Geschichte aus Heidelberg - Rudolf Stratz - E-Book

Vorbei. Eine Geschichte aus Heidelberg E-Book

Rudolf Stratz

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Beschreibung

"Ihre Stimme klang ihm ins Herz. Darin lebte ihm alles auf, was er in Heidelberg hatte erleben wollen und bisher nicht gekonnt hatte, weil er noch keinen Widerhall für die seltsame Mischung von Übermut und Wehmut, von Lächeln und Entsagen gefunden, mit dem man als gereister, im Ernst des Lebens erprobter Mann die Stätten einstiger, zwanzigjähriger Torheit und Tollheit wiedersieht." Viktor von Brunold kehrt zusammen mit seiner Frau Herta zu einem Korpsfest seiner Verbindung, der Curonen, in seine einstige Studienstadt Heidelberg zurück. Dort trifft er auf seinen ehemaligen Korpsbruder Leopold von Mähler, inzwischen Großindustrieller und skrupelloser Chemiefabrikant in Berlin, der mit seiner jungen Gattin Barbara angereist ist. In jener eigenartigen Stimmung, in der Vergangenes wieder lebendig wird, aber genauso auch aufscheint, wie fremd und fern das Vergangene nun geworden ist und was sich inzwischen alles an gelebtem und ungelebtem Leben dazwischengeschoben hat, setzt die Begegnung mit der jungen, lebenslustigen Barbara, die die Welt noch immer mit jugendlichen Augen sieht, in Brunold einen Prozess in Gang, durch den ihm klar wird, wie verfehlt sein bisheriges Leben seit dem Studium in vielfacher Hinsicht war. Als er Barbara gesteht, seine Frau nie wirklich geliebt zu haben, reagiert sie ihrerseits mit einem Geständnis, das nun vieles in Bewegung bringt. ¬– Eine anrührende, emotional tiefschürfende Geschichte, die der im Grunde so behäbigen Alt-Heidelberg-Nostalgie einen ganz neuen, bittersüßen und sehr lebensechten Impuls verleiht.-

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Rudolf Stratz

Vorbei. Eine Geschichte aus Heidelberg

Illustriert von C. Münch

Saga

Vorbei. Eine Geschichte aus HeidelbergCopyright © 1920, 2019 Rudolf Stratz und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711507056

1. Ebook-Auflage, 2019Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

ls die blauen Höhen des Odenwaldes immer deutlicher über der Rheinebene hervortraten und der Zug sich Heidelberg näherte, hielt er es nicht mehr auf seinem Platze in dem Abteil erster Klasse aus, das er mit seiner Frau allein inne hatte. Er trat zum Fenster und schaute hinaus in den goldig warmen Hochsommertag.

„Da ... sieh, Herta!“ sagte er fröhlich aufgeregt. „Das ist schon Ladenburg ... da stecken die Kanonenkugeln von 1849 noch im Stationsgebäude — und jetzt gleich ... pass auf ... da fahren wir über den Neckar …“

Die junge Frau blickte auf den Fluss hinunter. Ihr Gesicht, das an sich ganz hübsch war, hatte einen teilnahmlosen Ausdruck. „Der ist aber schmal!“ meinte sie.

„Ja. Hier! Weiter oben, bei Heidelberg, ist er breiter. Ganz breit. Gott … Heidelberg! Da ist man nun endlich ’mal wieder da — nach so viel Jahren — und morgen abend um zehn Uhr muss man schon wieder weg! In die Tretmühle hinein! Dafür ist der Mensch nun ’mal preussischer Regierungsrat!“

„Anderthalb Tage sind doch genug für das Stiftungsfest von solch einem Korps!“

„Ja. Dir! Dir ist immer gleich alles genug!“ Er unterdrückte ein leichtes Seufzen und spähte wieder in die Ferne. „Da ... jetzt kann ich schon den Turm auf dem Königstuhl erkennen … siehst du ihn? Schön — wie der alte Berg sich so gerade über der Stadt erhebt — nicht?“

„Ja. Sehr hoch ist er nicht!“

„Nun ja ... Alpen gibt’s keine in der Pfalz! Das kannst du auch nicht verlangen!... Gott ... Herta, freu dich doch mit mir! Sei doch ein bisschen vergnügt ...“

„Ich bin’s ja!“

„Aber du zeigst es nicht! So wie ich!“ Er lachte übermütig, riss sich plötzlich die Reisemütze vom Kopf und warf sie zum Fenster hinaus, in ein Wäldchen von grünumrankten Hopfenstangen.

Gie blieb auch dabei gelassen und frug ohne Erstaunen: „Was soll denn das nun wieder heissen?“

„Das heisst, dass die Kappe ihre Schuldigkeit getan hat! Alt genug war sie. Jetzt kommt was Besseres an die Reihe.“ Er öffnete seinen Handkoffer und nahm eine silbergraue Korpsmütze und ein dreifarbiges Band heraus. „Hilf mir, bitte, einmal das Curonenband umlegen ... so ... unter der rechten Schulter durch ... danke ... und nun die Mütze auf! Weiss Gott … man fühlt sich wahrhaftig gleich um zehn Jahre jünger …“

Und er sah jugendlich genug aus, wie er heiter in den Spiegel blickte. Ein kluges, lebendiges Gesicht schaute ihm da entgegen, vernarbte Schmisse einer wilden Burschenzeit überall unter dem spitzgeschnittenen braunen Vollbart, aber in den dunklen Augen der Ernst des mitten im Leben stehenden Mannes. Er drehte sich nach seiner Frau um und lachte wieder. „Na — wie gefall’ ich dir jetzt?“

Ihr spitzes Kindergesicht war unbelebt wie bisher, und sie antwortete: „Du siehst wie ein alter Gymnasiast aus! Das ist doch zu sonderbar ... ein erwachsener Mann mit solch einer Mütze ...“

„Ja — die trägt das Korps Curonia in Heidelberg nun einmal seit neunzig Jahren!“

„Aber bei uns daheim haben die Schüler vom Gymnasium farbige Mützen getragen. Da muss ich immer an die dummen Jungen denken.“

Er behielt die silberfarbene Kappe auf, aber seine Züge hatten sich verdüstert. „Du hast wirklich ein Talent, einem die Stimmung zu verderben!“ sagte er und setzte sich müde wieder hin und schwieg, bis der Zug in den langgestreckten Bahnhof einfuhr. Da verscheuchte er seine dunklen Gedanken und sprach halblaut, wie zu sich selbst: „Das ist Heidelberg!“

„Das ist Heidelberg? Aber da sind ja lauter Fabriken und Rauch und graue Mietshäuser!“

Er nickte trübe: „Wo du hinschaust, Herta — da ist eben Rauch und ist es grau! Nun komm! ... Wir wollen uns eilen!“

Sie stiegen aus. Durch einen Kofferträger wurde ihr Gepäck in eins der vielen Hotels am Bahnhof gebracht. Dort bat er seine Frau noch einmal: „Zieh dich nur recht rasch um, damit wir noch rechtzeitig zum Frühschoppen kommen! Sonst fahren die Leute ohne uns weg!“ Dann trat er wartend vor den Gasthof und sah die Anlagen hinab und lächelte erinnerungsvoll. Das war alles noch wie damals! Die Sonne schien wie einst durch das Laubdach der Kastanienzweige, vom Berghang schimmerten ganze Wälder der südlichen Edelbäume über graue Häuser und Häuschen, und wie einst bummelten buntbemützte Studenten mit grossen Doggen des Weges und fuhren die Engländerinnen in ihren grünen und braunen, um den Hut gewundenen Reiseschleiern hinauf zum Schloss und schauten erstaunt auf den bärtigen Mann in dem farbigen akademischen Jugendschmuck und blätterten im Bädeker, als ob er da irgendwo als Sehenswürdigkeit verzeichnet sein müsse.

Eine halbe Stunde stand er da, in Gedanken an eine Zeit verloren, die ihm so nahe schien, als sei er vor wenigen Wochen erst, von allen Korpsbrüdern umringt und von jedem einzeln Abschied nehmend, um Mitternacht in den Schnellzug gestiegen und hinaus in das Dunkel und in das Leben gefahren. Dann erschien endlich seine Frau. Er winkte dem nächsten Kutscher, und sie fuhren in die Stadt hinein.

Die war wegen des Korpsjubiläums an vielen Orten beflaggt. Vor Konditoreien und Elfenbeinschnitzerläden, vor Kneipen, Friseurgeschäften und Paukzeughandlungen hingen die Curonenfahnen und waren grüne Reiser an den Türen angebracht. Aber er achtete jetzt nicht darauf. Er schaute nur nach vorn, ob sie noch zurecht kämen, und sagte dann, ehe noch die Droschke um die letzte Wegbiegung rasselte: „Na — Gott sei Dank — sie sind noch da!“

Von zwanzig, dreissig schrillen Bubenstimmen tönte das althergebrachte, unermüdlich abgeleierte:

„Juchheirassasa!

Die Curonen sind da!

Die Curonen sind lustig!

Sie rufen Hurra!“

und dann ein allgemeines Geschrei und Getümmel, wenn von oben aus den Fenstern des Korpshauses, vor dem die Bengel sich drängten und sangen, ein Regen von Nickelstücken niederging. Auch viele andere Leute standen neugierig um das schmucke Schlösschen, eine Menge Wagen war davor aufgefahren, die Peitschen knallten, die Hunde bellten, die Diener in bunten Röcken sprangen, und innen im Hause und Garten schmetterte die Musik ihre Weisen in das Gelächter und Stimmengewirr der Festgäste. Es waren ihrer wohl ein paar hundert. Auf weissen Haaren wie auf kahlen Platten und den Blondköpfen der jungen Füchse schimmerten die silbergrauen Mützen, und unter ihnen schauten Gesichter aller Art wieder wie einst zum Schloss empor und zum Neckar hinab — altersstreng und verwittert oder milde geworden im Lauf der Zeit — tatenfroh und müde — gesund und kränklich — geistig gewachsen unter der Last des Lebens oder allmählich abgestumpft und verflacht — sie alle, die da sassen, waren auf tausend verschiedenen Wegen in die Welt hinausgewandert — in die Schreibstuben des Staates und auf eigene Scholle, auf Exerzierplätze, in Krankenräume und Gerichtssäle, auf Ahnenschlösser und das Parkett des Hofes und in stille Gelehrtenzimmer — viele selbst weit übers Meer — und doch waren sie alle Brüder des Korps Curonia und trugen alle das gleiche Band. Und ebenso hatten alle die Damen, die zur Feier mitgekommen — von den gutmütig lächelnden, rundlichen Studentenmamas bis zu den vergnügten jungen Frauen der ebenfalls jungen „alten Herren“ und den insgeheim auf den Glanz ihrer Brüder neidischen Backfischen — jede einen kleinen buntsilbernen Korpszirkel als Schmuck an der Brust. Überall war ein solches Gedränge, dass das neu angekommene Ehepaar kaum hindurch konnte. Herta spürte auch gar keine Lust dazu. Sie hatte etwas Kopfschmerzen. So blieb sie stehen und sah das bunte Bild an — ohne Abneigung, aber auch ohne Interesse, so wie man etwa in das Getümmel eines Wartesaals auf dem Bahnhof schaut. „O Goot ... die vielen Leute!“ sagte sie, weiter nichts, und folgte dann doch ihrem Gatten auf dem Weg, den er ihr bahnte, bis in das Allerheiligste, den mit unzähligen Photographien und Daguerreotypien, Schlägern, Trinkhörnern, Tierfellen und silbernen Weihgeschenken geschmückten Kneipsaal.