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Eine orientalisch-fantasievolle Zeitreise in das Osmanische Reich.In Konstantinopel, Hauptstadt des Osmanischen Reichs, leben Türken, Griechen, Armenier und Europäer nicht immer friedlich zusammen. In diesem angespannten Klima sind Spionage und Bestechung die Mittel der Wahl, vor allem für die Baugenehmigung der Bagdad-Bahn. Der deutsche Ingenieur Eduard Reck, der mit seiner Schwester Imme in der Stadt ist, hat mit den Vorarbeiten schon angefangen. Doch auch der Deutschrusse Paul Buddenhaus und ein französisch-russisches Syndikat versuchen, Einfluss auf die Vergabe der Baukonzession zu gewinnen. Gleichzeitig beginnt Paul sich für Imme zu interessieren, allerdings hat schon ein anderer ein Auge auf die schöne Europäerin geworfen... Unterhaltende Spannung garantiert! -
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Seitenzahl: 390
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Rudolf Stratz
Saga
Wer baut die Bahn?Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1934, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507360
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Als junger aktiver deutscher Offizier war der Verfasser zur Zeit dieses Romans, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, nach der Türkei beurlaubt und lernte das Reich Abd ul Hamids in Europa und Asien kennen. Die Umwelt dieses Werkes ist von ihm selbst gesehen und erlebt.
Auf hohem Hügel über Konstantinopel, vergittert, halbstundenweit ummauert, mit kriegerisch bewachten Toren, lag lauernd, wie eine giftige, argwöhnische Kreuzspinne im Netz, der Iildis-Kiosk, aus dessen blutumwittertem Gewebe Abd ul Hamid der Zweite, Grosssultan der Türkei, Herr in drei Erdteilen, sich in diesen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts seit langem mit keinem Schritt mehr in die Aussenwelt hinauswagte, und darunter, flammend überblaut, sonnenvergoldet, frühlingsgrün das silberne Märchen des Bosporus mit seinen unzähligen weissen Palästen, Landsitzen, Dörfern, Segeln, seinen grauen Schlössern und schwarzen Zypressenhainen, und drüben, sonnenverschwimmend, wie eine geisterhafte Luftspiegelung aus Tausendundeiner Nacht, die Hunderte von Moscheenkuppeln und Gebettürmen, die Tausende von flachen Dächern Stambuls.
Vor dem Marmorportal des riesigen Renaissancepalastes stand der nach dem Sultan mächtigste Mann des Osmanischen Reiches, Seine Exzellenz der Obereunuch, Aufseher des grossherrlichen Harems mit Hunderten der schönsten Weiber der Welt in dem blumenumblühten Seitenpalais neben dem Sternenkiosk. Es war ein walfischbäuchiges, nachtschwarzes afrikanisches Ungetüm in schwarzem Rock, den hellroten Tarbusch auf dem besorgten Wollhaupt. Er führte feierlich zum Abschied die Rechte an Brust und Stirne.
Vor ihm setzte mit gleichem Gruss Schükri Pascha den Fuss in den Bügel der Vollblutstute, Schükri Pascha, Marschall des Reichs, Sieger im Glauben, Löwe des letzten Russenkrieges, den Ehrensäbel eines Günstlings des Sultans an der Seite, auf der Brust den Nischan-i-Jftichar, den Orden des Ruhms. Auch sein bärtiges, kluges und würdevolles Antlitz war sehr ernst, als sich die beiden Exzellenzen, der Marschall und der Eunuch, freundschaftlich trennten.
„Baga-Ban! Augen rechts!“ kommandierte mit geller Fistelstimme der Rittmeister der zwischen dem Jildis-Kiosk und dem Harem aufgerittenen Wache von braunen tripolitanischen Spahis in langen, blutroten, halb die Schimmel deckenden Henkersmänteln. Er war ein weisser Eunuch. Finster das bleiche, bartlose Eulengesicht unter dem purpurnen Turban.
„Ihm gefallen die neuen deutschen Kommandos statt der französischen nicht!“ sagte lachend, neben dem Marschall reitend, sein Neffe und Adjutant, der Major Hünif, in dem hellblauen, schwarz ausgeschlagenen Rock, den taubengrauen Hosen, der hohen schwarzen Mütze des türkischen Reiterregiments Ertogrul. „Er ist nicht der einzige Missvergnügte im Heer!“
Und nach einer Weile:
„Wer wie ich bei den preussischen Gardeulanen gedient hat, Moabit und Mekka kennt, Deutsch spricht — aber belehre einmal unsere asiatischen Offiziere, die kaum lesen und schreiben können!“
Oheim und Neffe ritten, das Gefolge hinter sich, schweigend durch den riesigen, wie eine Festung gegen die Aussenwelt vermauerten Park des Jildis-Kiosk mit seinen vielen kleineren, überall zwischen den Platanen und Agaven zerstreuten Palais, Pavillons, Theatern, Gewächshäusern, Marställen, Museen.
Und es war, als verwandelten sich aus den Geheimnissen des totenstillen Sternenkiosks und seiner rosenumdufteten Harems daneben die Odalisken in die schimmernden Goldfasanen, die vor den Reitern über den Kiesweg liefen, und der gigantische afrikanische Obereunuch in einen der Affen, die in den Zweigen der Lebensbäume spielten, und der weisse, bartlose Rittmeister der Afrikanischen Spahis in die gefleckte Pantherkatze dort hinter den Gittern.
Scheckige Axishirsche hoben die Schaufeln. Dromedare weideten zwischen Springbrunnen. Papageien kletterten in der Zypressen. Das Kreischen, Flattern, Flüchten dieser Kreatur beim Anblick fremder Gesichter sollte den einsamen Herrn der islamischen Welt dort oben hinter den dicken, eisernen Zuchthausgittern seiner vielhundert Fenster rechtzeitig vor einem Überfall seiner Feinde warnen.
Der Marschall Schükri wandte im Reiten noch einmal das Haupt mit dem dunkelroten Fes eines Beamten des Säbels nach dem Jildis-Kiosk zurück — nach dem unheimlichen Labyrinth voll von Tausenden von Schranzen, Derwischen, Scharfrichtern, das kaum ein einziger Sterblicher in seinem ganzen Umfang kannte. Denn jedem Würdenträger, auch dem höchsten, war nur ein kleiner Teil dieser Gänge, Treppen, Säle, Höfe zur Aufsicht zugewiesen. Bei jeder Neugier nach den Nebenräumen kitzelte schon die grünseidene Schnur den Hals.
„Der Grossherr wechselt aus Furcht vor Mördern jetzt jede Nacht dreimal das Schlafgemach!“ sprach der Marschall Schükri gedämpft zu seinem Neffen auf französisch. Er trug, noch aus seiner Jugend, die Krimmedaille. Er hatte damals, kaum sechzehnjährig, mit den Franzosen Schulter an Schulter vor Sebastopol gekämpft. Er hatte dann lange Jahre an der türkischen Gesandtschaft in Paris gewirkt. Sein Herz hing an Frankreich.
„Fuad Pascha ist aus seiner Verbannung nach Damaskus entflohen und wird, wie ich ihn kenne, eine neue Verschwörung anzetteln!“ sprach er sorgenvoll nach einer Weile. „Ich war damals gleich dafür, ihn zu erdrosseln. Aber der Padischah war von ungewohnter Milde gegen seinen verräterischen Hofintendanten!“
Von Tschadir-Kiosk, inmitten der Jildisgärten, an dem die beiden hielten, öffnete sich weit der Blick über Stadt und Meer. Überall ragten an beherrschenden Stellen mit ganz neuen Mauern und Dächern die festungsähnlichen Kasernen Abd ul Hamids. Der Major Hünif wies auf die riesigen Exerzierplätze der Infanterie und Artillerie, die den grossen Friedhof von Pera umschlossen, auf die Schiessstände der Marine weiter hinten, die Kastelle am Goldenen Horn und drüben, jenseits des Bosporus, bei Skutari, die stadtgrossen Lager der Garde.
„Aber nicht alle Truppen sind sicher!“ Dumpf die Stimme des Marschalls. „Es gärt bei den Arnauten. In der Linie. Bei den Irregulären!“
„Und woher das Geld zu einem Handstreich? Wer will den Jildis-Kiosk bestechen?“
„Wir haben sichere Nachricht, dass unter den Hunden, den Armeniern, sich der Geheimbund ,Gregor der Erleuchter’ wieder regt! Selbst dieser Dreck des Teufels, die Levantiner, wühlen im Verborgenen!“
„Und doch . . .“ Der Sieger im Glauben brach ab. Plötzlich überschattete die Resignation des Morgenlandes sorgenschwer die mühsam beherrschte Unruhe seiner Züge. „Wie lange kann es hier nach alter Art weitergehen?“
Dort drüben, vor seinen Augen, flimmerte Stambul, die Märchenstadt, in Blau und Gold von Sonne, Himmel und Meer. Von Hunderten von Gebettürmen riefen weissgekleidet die Muezzin. Auf einem weissen Meer von Häussern wölbten sich wie riesige Inseln die Moscheenkuppeln. Ein ungeheures Brausen der Basare und Gassen, ein Heulen der Schiffssirenen, Hundegebell und Eselgeschrei und Glockengebimmel vom Hals der Dromedare entstieg der fast unendlichen, viele Stunden weit in Europa und Asien hingelagerten Stadt. Das war alles wie einst.
Aber da, wo von Stambul die Spitze des alten, jetzt verlassenen Serails in die blauen Fluten vorsprang — in diesem Mittelalter grauer Byzantinermauern und alttürkischer Palastruinen und verwahrloster einstiger Haremsgärten — da schwankte plötzlich in der Ferne eine der turmhohen, Jahrhunderte alten Zypressen, die das Ufer säumten. Sie kippte um. Sie war nicht mehr da.
„Sie fällen die Bäume des Glaubens!“ sprach der Marschall mehr zu sich als zu seinem Neffen. „Sie machen Platz für den Bahnhof. Die Eisenbahn kommt!“
Der Schienenstrang, den der Baron Hirsch aus Wien, der Türkenhirsch, seit Jahren mit Tausenden von Arbeitern, mit Hunderten von Millionen Gulden, durch den Balkan trieb. Noch war die europäische Grenze der Türkei gegen Bulgarien hin unberührt. Aber bei Adrianopel wurde schon fieberhaft nach dem Goldenen Horn zu gebaut. Noch ehe die achtziger Jahre dieses neunzehnten Jahrhunderts zu Ende gingen, würde — das stand in Allahs Ratschluss — der Pfiff der Lokomotive von Konstantinopel aus durch alle Länder der Ungläubigen schrillen und Stambuls heilige Abgeschiedenheit entweihen.
„Dort kommt Europa . . .“
Der Marschall wandte sich von der fernen gestürzten Zypresse zu dem Neffen neben ihm. Der schnurrbärtige junge Türke im Regiment Ertogrul hörte nur halb zu. Seine dunklen Augen hingen an einem Gewimmel von Kähnen unten auf den weissen Schaumkämmen des blauen Bosporus, an bunten Mauern von Menschen des Morgenlandes weithin an beiden Ufern der Meerenge.
„Warum versammelt sich da unten das Volk?“
„Auch da kommt Europa!“ Der Major Hünif, der einstige Berliner Gardeulan, lachte. „Da schwimmt ein Mädchen durch den Bosporus!“
Maschallah! Was doch Allah alles vermag!
Stundenweit standen am europäischen und asiatischen Strand die farbigen Völker des Morgenlandes — Türken, Perser, Tataren, Kurden, Armenier, Hebräer, Griechen, Albanesen, Tscherkessen, Zigeuner. Die beiden Reiter oben sahen die vielen roten Kopftücher und Leibschärpen, die schwarzen Glocken verschleierter Frauen, die weissen Gewänder der Christinnen, die bunten der Jüdinnen. Alles da unten starrte auf ein Gestrudel reissend rasch am anatolischen Ufer dahingetriebener Boote — Männer in ihnen aufrecht stehend — schreiend — winkend — eine Aufregung um irgend etwas in den Wasserwirbeln, das man zwischen den vielen Nachen nicht sah.
„Sie hat mit andern Deutschen gewettet, dass sie die Strömung des Bosporus bezwingt!“ sagte der Major Hünif. „Ich hörte es gestern in der neuen Militärschule durch die von-der-Goltzschen Offiziere!“
Der Marschall Schükri konnte unter Abendländern, zwischen Damen im Salon, täuschend ein Pariser Weltmann sein. Aber tief in ihm wohnte der ewige Asiate, der Sohn Allahs. Er war bewusst und mit Willen ein Stocktürke aus der guten alten Janitscharenzeit. Seine hellen braunen Augen in dem dunkelbärtigen Antlitz waren blind gegen ein Weib, das da drüben vor tausend Männern zwischen zwei Erdteilen herumplätscherte.
„Sie ist ganz oben am Teufelskap ins Wasser gestiegen!“ Der Major ritt neben seinem Oheim über eine Marmorbrücke und an einem neuen riesigen Sultansschloss vorbei, und blickte plötzlich, wie erschrocken, schweigend zur Seite. Vornehme Osmanen im Dienst Abd ul Hamids taten gut, nicht allzulange nach den hohen, dicht verhängten Arabeskenfenstern des Palastes Tschiragan hinzusehen. In diesem zweistöckigen schneeweissen maurischen Prunkbau hielt Sultan Abd ul Hamid seit Jahren seinen des Thrones entsetzten, für wahnsinnig erklärten Bruder gefangen.
Das marmorne Irrenhaus blieb hinter den beiden Reitern und ihrem Gefolge zurück. Der junge Türke spähte nach dem fernen Gewimmel und Geschunkel der Kaiks auf schaumweisser blauer Flut.
„Das Wasser strömt zu reissend vom Schwarzen Meer herein!“ sagte er. „Das Mädchen wird ins Marmarameer hinausgespült werden, statt hier an das europäische Ufer . . .“
Wieder ein Schweigen an schwarzer Stätte! Da drüben lag, hinter dem Tschiragan-Palast, der unheimliche kleine Nebenkiosk Ferije Serai. In ihm hatte man den Oheim Abd ul Hamids, den vorletzten Sultan der Türkei, ein paar Tage nach seiner Absetzung plötzlich tot, mit aufgeschnittenen Pulsadern, gefunden. Das kam, wie der Jildis-Kiosk dort oben der Welt berichtete, von dem unvorsichtigen Spielen mit einer Stickschere.
In den Menschenmassen an den Ufern zitterte eine Bewegung. Der Major richtete sich in den Steigbügeln auf.
„Sie kämpft sich in die Mitte des Bosporus hinaus!“ rief er. „Sie wird ertrinken!“
Der Pascha schaute gleichgültig auf einen truthahngrossen, nackthalsigen, am Weg hüpfenden Geier. „Was liegt an einer Frau!“
„Vielleicht erreicht sie doch, wie sie gewettet hat, Ortaköi!“
Das Dorf Ortaköi zog sich mit seinen wie Vogelbauer kleinen Armenier- und Judenhäuschen dort am Ufer hin, gefährlich nahe dem Jildis-Kiosk. In Schükri, dem Günstling des furchtbaren Sternenschlosses, wurde jäh das Misstrauen des Morgenlandes wach — die Sorge um Abd ul Hamid.
„Was tut sie in Ortaköi?“
„Sie wohnt dort mit ihrem Bruder! Sie ist mit ihm vor einem halben Jahr aus Deutschland gekommen, sagten gestern die deutschen Offiziere, um ihm den Haushalt zu führen!“
„Und was tut der Bruder in Ortaköi?“
„Er ist nicht der einzige Deutsche hier, der in aller Stille Studien für den Bau einer Bahn in das Innere Asiens macht, wenn erst die Bahn von Wien nach Stambul fertig ist . . . Da! Jetzt sehe ich sie! Die rote Badekappe im blauen Meer! Die weissen Striche von zwei Armen! Sie schwimmt mitten im Bosporus!“
Die Pferdehufe klapperten. Leise klirrten hinten die Waffen der berittenen Leibwächter.
„Wenn — was Allah verhüte — diese Bahn nach Asien — über die jetzige kurze Strecke nach Ismid hinaus — auch noch gebaut werden sollte“, tief nach einer Weile der Bass des Marschalls, „dann werden, dank meinem Einfluss, die Franzosen sie bauen!“
„Und die Russen!“ Der Major Hünif wandte sich hitzig im Sattel. „Die ,Neue Russische Studiengesellschaft‘ hat sich mit dem Pariser Finanzsyndikat verbündet! Ihr Vertreter ist mit seinem Stab von Odessa hierher unterwegs!“
„Sein Schiff hat schon vor ein paar Stunden das Christenfeuer am Eingang des Bosporus passiert! Wir wissen es! Wir kennen sogar den deutschen Namen dieses Russen: Buddenhaus!“
„Nun — und sind die Russen nicht unsere Todfeinde?“
„Sie sind neuerdings überall in Europa die Freunde der Franzosen!“
„Sie schwimmt! Sie schwimmt!“
„. . . und die Freunde unserer Freunde sind auch unsere Freunde, heisst ein französisches Sprichwort!“
„Jetzt ist sie wieder mitten in den Wasserwirbeln — zwischen springenden Delphinen!“
„Mein Wort in dein Ohr, statt dies Mädchen in dein Auge!“ sagte der ordenflimmernde Held vom Schipkapass. „Die wahren Feinde des Osmanenreichs sind nicht Europa — sind nicht die Franken draussen — nicht einmal die Russen —, sondern die Ungläubigen in unserer eigenen Mitte! Vor allem diese Söhne des Satans: die Armenier, und diese Brut von Strassenkötern — die Levantiner!“
Er lenkte vorsichtig sein Pferd um ein Nest voll hochbeiniger strohgelber wilder Hunde in einem tiefen Loch inmitten des Weges herum und fuhr fort:
„Diese Verfluchten fordern als Untertanen des Sultans dank ihrem Reichtum Teilnahme an Eisenbahnbauten in Vorderasien! Vor allem dieser eine! Sieh dort!“
Am asiatischen Ufer des Bosporus spiegelte sich, da, wohin der Finger des Marschalls über die Wasser wies, ein blendendweisses, mächtiges, ganz modernes Palais im Blau des Meeres. Ein riesiger Park von Zedern, Zypressen, Rhododendren umgrünte seine Säulen.
„Soll ich diesem Sohn eines Stiefelputzers in Saloniki . . .“, Schükri Pascha ritt um ein zottiges Dromedar herum, das stumpfsinnig mitten auf der Strasse stand, „heute vielleicht dem reichsten Abenteurer zwischen Alexandria und Pera . . .“
„Jetzt nähert sie sich draussen dem Palais Lamba!“
„Soll ich seinem Eigentümer drüben — soll ich Palamidi Lamba, dem gewissenlosesten Menschen des Mittelmeeres — einem Spieler — einem Buhler — einem Säufer . . .“
„. . . sie kommt in einen Strudel — sie sinkt unter — nein: sie taucht wieder auf — sie hat die Badekappe verloren . . . sieh dies blonde Haar . . .“
„Soll ich Lamba und seinen Levantinern und Armeniern zu einer Eisenbahnkonzession in Asien verhelfen? Dann schon lieber die Franzosen und, wenn es sein muss, die Russen!“
„Und warum nicht den Deutschen?“
„Ich habe nichts gegen die Deutschen! Es sind tapfere Krieger. Ihr greiser Kaiser ist ein Held. Aber ich kenne sie nicht!“
„Gleich dort drüben in Ortaköi . . .“
„Der Deutsche dort in Ortaköi sollte lieber seine Schwester hüten, ehe er die Klageweiber für ihr Begräbnis bestellen muss!“
„Ach — der passiert nichts!“ sagte der Major Hünif. „Das ist doch die, die neulich vor allen Engländern das Kamelrennen auf dem Exerzierplatz der Gardezuaven bei Haidar Pascha gewonnen hat!“
„Gott ist gross!“
„Vorige Woche hat sie mit ihren Freunden, den Tscherkessen, im Urwald hinter Ismid zwei Wölfe geschossen und auf dem Rückweg die Lokomotive selbst gefahren. Der Generaldirektor der Polizei hat sich durch den Grosswesir beschwert!“
„Es ist keine Hilfe vor den Franken ausser bei Gott!“ Der Marschall Schükri hielt vor seinem Konak, hart am Meer, am Hang des Hügels, auf dem der nahe Jildis-Kiosk lag. Es war ein Haus von alttürkischer Bauart — in zierlichen hölzernen Erkern und Galerien vorspringend der Oberstock, holzgeschnitztes Gitterwerk vor den Fenstern des Harems, weiss ummauert, mit grünen Feigenbäumen um den Brunnen, der Vorhof.
Die in Rot und Gold gekleidete albanesische Torwache, die sich Schükri Pascha nach dem Brauch der Grossen zum Schutz gegen Überfälle hielt, stürzte ihrem Brotherrn entgegen und half ihm vom Pferde. Der Führer der bis an die Zähne bewaffneten riesigen Kerle erstattete flüsternd eine Meldung. Der Marschall wandte sich sehr ernst auf französisch an seinen Neffen.
„Iskander Beg berichtet, es sei ein unruhiges Kommen und Gehen in den Linienkasernen in Skutari! Verdächtige Versammlungen um die Koranausleger in den Klosterschulen und hinter den Armenküchen verschiedener Moscheen . . .“
Der Major im Regiment Ertogrul stieg aus dem Sattel und starrte auf das Meer.
„. . . und ein Zeichen des nahen Zornes Allahs: Fuad Pascha, der aus Damaskus entflohen ist, wurde gestern im Basar, als persischer Teppichhändler verkleidet, gesehen. Wo er ist, ist ein Anschlag gegen den Grossherrn nicht weit.“
„Fangt ihn und hängt ihn an der grossen Platane auf dem Seraskierplatz!“ Der Major und Adjutant des Marschalls, Hünif, folgte seinem Oheim in den Konak, mit einem letzten Blick auf das Meer: „Eben schwimmt sie drüben am Palais Lamba vorüber!“
In einem der Bosporussäle seines Palais stand Lamba selber am Fenster — Lamba — der grosse Hecht im Karpfenteich der Levante —, bekannt am ganzen Mittelmeer, wo nur seine Dampfer mit überverpfändeter Ladung rauchten — wo seine Wechsel über schwindelnde Summen von Piastern und Drachmen und ägyptischen Pfunden mit äusserster Vorsicht von Hand zu Hand gingen — wo seine Seide-, Baumwolle-, Zuckerspekulationen die Börsen von Marseille bis Alexandria erschütterten — Palamidi Lamba, knabenhaft schmächtig, aber elegant gewachsen, ein bräunlicher Vierziger mit schwarzem Haar und Schnurrbart, perlgrau nach Pariser Mode gekleidet, einen vierzigkarätigen Diamanten in dem Seidenschlips vom Altgold der Kirchenbilder seines griechisch-orthodoxen Glaubens.
Aus seinem sinnlich-weichen, wächsernen, regelmässigen Antlitz war die lauernde Trägheit des Halbasiaten geschwunden. Die sonst undurchdringlich ausdruckslosen Züge zeigten eine leidenschaftliche Spannung. Er spähte über die Marmorstatuen und goldgesprenkelten Orangenbäume und Palmenwedel seiner Gartenterrassen hinaus auf das Meer, als hätte er das Blau des Bosporus noch nie gesehen.
Dies tiefe Blau und in ihm der weit ausgebreitete blonde Fächer auf den Wogen. Der Schwimmerin draussen hatte sich nach dem Verlust der roten Badekappe das Haar im Spiel der Wellen gelöst. Wie eine lange goldene Schleppe flutete es im Sonnenschein hinter ihr her. Und drüben in Lambas schwarzen Augen glühte heiss die ewige Leidenschaft des brünetten Südländers, des dunklen Mittelmeermenschen, nach dem kühlen Blond und Weiss des fernen Nordens.
Und nur eines beschäftigte Palamidi Lamba, den Sohn des Stiefelputzers von Saloniki, den skrupellosen Millionär, den Schrecken jedes ehrbaren Handelsherrn zwischen Pera und Piräus — nur eines beschäftigte ihn, wie er, stumm auf die Wasserfläche starrend, dastand. Ob sie wohl auch blaue Augen hat? Grosse blaue Augen — so blau wie Himmel und Meer? . . .
„Ein persischer Händler ist, mit einer Rolle Seidenteppiche vor sich, auf dem Esel angeritten!“ Das Flüstern eines Dieners im Hintergrund des ganz europäisch, in weissseidenem Louis-Seize von einer Pariser Firma ausstaffierten Saals. „Er sagt, er sei von Eurer Herrlichkeit bestellt!“
Lamba fuhr herum. Er kam zu sich. Sein Gesicht färbte sich plötzlich etwas blass. Ein Kopfwink: „Herein!“
Der Perser war ein grosser, hagerer, nicht mehr junger Mann mit Hakennase, Schwarzbart, Glutaugen. Er stand, seinen Packen neben sich auf dem Parkett, demütig an der Tür, die schwarze Fellmütze auf dem tiefbraun gebrannten wilden Kopf, den schwarzen Kaftan bis zum Hals zugeknöpft, die Hände ehrerbietig vor dem Leib gefaltet. Er murmelte unterwürfig, so dass es der heraushuschende Diener noch hören konnte:
„Mein Ernährer: Ihr Fussstaub erwartet Ihre Befehle!“
Der Levantiner wurde noch bleicher. Er überzeugte sich mit einem Blick, dass sich die Pforte hinter dem Diener geschlossen. Er zog den Teppichhändler am Arm mit sich in die Mitte des Saals, wo unmöglich ein Menschenohr im Palais sein angstvolles Flüstern vernehmen konnte.
„Exzellenz Fuad — Gott hat Ihre Flucht aus Damaskus begünstigt . . .“
„Lob sei Allah!“
„Aber wie konnten Sie es wagen, Fuad Pascha, hierher nach Konstantinopel . . . unter die Augen des Sultans . . .“
„Nicht als sein abgesetzter Palaisintendant, sondern als ein reisender Teppichhändler unter dem Schutze Allahs!“
„Warum bringen Sie mich durch Ihren Besuch in Lebensgefahr?“ Der Levantiner schluckte vor Angst.
„Es ist alles zum Handstreich auf den Jildis-Kiosk bereit!“ Die schwarzen Pupillen des falschen Persers funkelten unter den buschigen Brauen. „Unser neuer Sultan — der künftige sechsunddreissigste Grossherr — aus dem Stamme Osmans . .“
„Der Prinz ist seit Jahren im Ausland flüchtig!“
„Er hat heimlich seinen Zufluchtsort in Korfu verlassen und ist hier in Konstantinopel verborgen! Wir brauchen nur noch Geld, um die Kammerherren des Jildis-Kiosk zu bestechen — viel Geld — von euch Griechen und Armeniern!“
Der Levantiner Lamba war geschmeichelt, dass man ihn einen Griechen nannte. Aber er schritt unruhig in dem Saal auf und ab. Er schaute leer durch das hohe Fenster hinaus in die Sonnenblendung. Da schwamm immer noch leuchtend die goldene Haarflut auf dem blauen Spiegel der See.
„Es wäre der dritte Sultan, der innerhalb eines Jahrzehnts entthront und ermordet wird!“ keuchte er heiser. „Was gehen eure blutigen Serailhändel uns Christen an?“
„Ihr Griechen und Armenier hofft vergeblich, durch Rhodokanaki und die anderen Christen im Senat eine Eisenbahnkonzession in Vorderasien zu erreichen!“ sagte Exzellenz Fuad Pascha, der gestürzte Grosse. „Drüben im Jildis-Kiosk“, er wies über den Bosporus hinüber, „offenbart sich der Wille Allahs — Lob ihm! Haben wir dort die Macht . . .“ Er griff sich mit der Rechten in das wirre Haargestrüpp unter dem Kinn: „Bei meinem Bart — so habt ihr von uns die Eisenbahnkonzession und damit zehnfach das Geld wieder, das ihr uns jetzt im Namen des Allerbarmers leiht!“
„Lasst mir Zeit!“
„Morgen ist es für eure Pläne zu spät. Franzosen und Russen verfolgen dieselben Pläne. Sie haben sich geinigt!“
„Ich weiss es!“
„Der Vertreter der Russen nähert sich jetzt eben auf dem Odessaer Dampfer Konstantinopel!“
„Der Deutschrusse Buddenhaus! Was bleibt im Orient unbekannt?“
„Er ist ein noch junger Mann. Ein Mann wie Sturm über der Steppe. Ich komme selbst aus Vorderasien. Die geringsten Kameltreiber zwischen Bagdad und Beirut sprechen dort von ihm. Er hat dort die Paschas der Provinzen für seine Eisenbahnpläne gewonnen. Er hat die halbwilden Kurdenbegs und die ganz wilden Tatarenkhane bestochen. Er wird im Jildis-Kiosk alle eure Pläne zunichte machen, wenn ihr ihm nicht durch unsern Handstreich zuvorkommt!“
Lamba sank auf einen Seidensessel und brach in Tränen aus. Der Perser betrachtete düster den Kampf zwischen Feigheit und Geldgier in dem kraftlosen Mann. Der Diener stand hinter ihm im Saal. Der Hausherr hatte sich erhoben und an einem persengestickten Glockenstrang gezogen.
„Geleite den ehrwürdigen Mekkapilger zu seinem Esel!“ befahl er auf türkisch. Und weiter zu dem finster schweigenden Perser: „Lass deine Seidenteppiche hier! Ich werde sie mustern! Beim Erschliesser der Pforten des Erwerbs: Du sollst bis zum Abend Nachricht von mir erhalten, ob sie mir gefallen!“
Lamba, der Levantiner, war allein. Er stand auf und trocknete sich mit einem weissseidenen Tuch die Angsttränen aus den Augen und rang im Goldfieber nach Luft. Er schaute wieder hinaus auf das Meer, auf den fernen, von einem andern Gold umflossenen Kopf im Geleit der Boote, der jetzt, in den Wellen auf und nieder tauchend, durch ruhigere Strömung, eine schräge, aber unbeirrte Richtung nach dem europäischen Ufer einhielt. Leidenschaftlich starrte der Levantiner auf das blonde Haar und frug sich leise zitternd wieder: Ob sie wohl blaue Augen hat . . .?
In seinem Garten Eden um das Palais Lamba standen zwischen Lorbeerbüschen und Kakteenhecken da, wo ihr Anblick nicht den Abscheu fanatischer Bettelderwirche und frommer Moscheenhodschas jenseits der Strassenmauer erwecken konnte, marmorne Statuen aus der Welt Homers, den Palamidi Lamba für seinen Landsmann hielt.
Und wenn von diesen Griechengöttinnen eine ihren Leib mit einer kostbaren Pariser Toilette umgürtet und sich in Wolken von Parfüm gehüllt und ihr klassisch schönes, längliches Antlitz mit den beweglichen Nasenflügeln und dem verwöhnten, üppigen Mund durch eine Puderhülle alabastern weiss gefärbt hätte, aus dem nur, anders als in den Tempeln und Museen, zwei unergründliche Augen, schwarz wie die Nacht, lebendig leuchteten — wenn solch eine Statue von ihrem Sockel herniedergestiegen wäre, dann stand sie jetzt im Saal vor Lamba, ihrem Mann, sich den einen Handschuh zuknöpfend, den andern zwischen den Zähnen, von einem breitrandigen, blumenbeladenen Strohhut das dunkle Haupt beschattet, einen weissen Spitzensonnenschirm zwischen dem Ellenbogen und der enggeschnürten Taille ihrer schon leicht zur Fülle der Dreissig neigenden Junogestalt geklemmt.
Und der Levantiner Lamba sah seiner Frau, der Smyrniotin Charis, teilnahmlos zu. Sie hielt mit demselben Gleichmut seinen Blick aus. In ihren feuchtglänzenden Augen lagen alle Geheimnisse der Welt — Schwermut — Leidenschaft — Sehnsucht. Aus diesen Augen sprach ein träumerisches, rätselhaftes Wissen um die letzten Dinge. Diese wissenden Augen warteten gläubig auf ein Wunder . . . .
Und Lamba, ihr Gatte — Seele und Sinn erfüllt von dem Blond da draussen —, Lamba lächelte nur müde und wusste: Diese Augen täuschen. Dahinter ist nichts als eine leichtsinnige Levantinerin . . . . . .
Charis Lamba hatte ihren Mann schon eine Weile beobachtet, ohne dass er es merkte. Jetzt blinzelte sie spöttisch unter den langen, nachtdunklen Wimpern. Ihr Haupt mit dem kaum merklichen Ansatz eines Doppelkinns — dem frühen Alterszeichen der Levantinerin —, dies aus irgendeinem Griechentempel in das neunzehnte Jahrhundert hinübergeborgte Haupt vom Olymp — legte sich verächtlich, mit der Bewegung einer Fischverkäuferin, schief zur Schulter. Schnell und schwatzhaft unbeseelt ihre zweite kleinasiatische Muttersprache, das Französisch.
„Nun — macht dich dieser Delphin im Bosporus verrückt?“
Lamba antwortete nicht. Seine niedere Stirn mit dem glatt hineingekämmten Schwarzhaar lief in unheimlichen Falten.
„Schwimm doch hinter ihm her, mein Armer!“
Der Levantiner Emporkömmling musterte die Pariser Juno mit dem stillen Stechen der Augäpfel, durch das er am Kartentisch die fingerfertigsten Griechen, im Kontor die ausgepichtesten Perser und Armenier lähmte. Es kam, in einer Zigarettenwolke, nur aus seinem Mund:
„Du — und eifersüchtig? . . . Du?“
„Du tust mir leid, mein Freund! Du machst dich lächerlich! Die Gärtnerjungen da an den Papyrusstauden lachen, der Eseltreiber drüben am Schöpfrad!“
„Was geht es dich an?“
„Mein Gott — ich kenne doch diesen Fisch da draussen! Diese kleine Bettlerin aus Deutschland! Ich sah sie öfter in der Grande Rue! Wie sie angezogen geht — man möchte ihr einige Paras in die Hand drücken — in einem selbstgemachten weissen Fähnchen — nicht der geringste Schmuck!“
„Und du? — Da draussen hält deine Equipage!“ Ihr Mann kreischte. Plötzlich brach bei ihm durch die europäische Tünche der Asiate durch. „Wohin fährst du jetzt? Zu Pappadiamantopulo?“
„Pappadiamantopulo?“ In dem weissen, antiken Gesichtsoval zwei schmerzliche schwarze Sonnen der Unschuld.
„Zu Kostolan?“
„Kostolan!“ Charis rang mit einem Blick zum Himmel die nicht kleinen, aber wundervoll geformten Hände, an denen in wechselndem Wasser die Riesendiamanten über der Puderschicht blitzten.
„Zu Tschepati? . . . Zu diesem Goilou? . . . Zu Benetato? Zu Kaftanzoglu?“
„Still!“ Jetzt kreischte auch die schöne Charis auf. Die Unkultur der Levante verzerrte beiden die Gesichter. Sie fauchten wie Kater und Katze aufeinander los.
„Zu Renieri? Zu Kantschur? . . . Gott allein weiss all die Namen!“
„Ich gehe!“
Lamba wandte sich zur Tür. Sie war eine berückend schöne Frau. Sie hatte den majestätischen Gang einer Göttin.
„Zu Ronis?“
Lamba keuchte es hinter ihr her. Die Smyrniotin wandte an der Tür das dunkle Haupt über die Schulter zurück. Sie wiederholte, merkwürdig sanft und geringschätzig:
„Schwimme ihr doch nach!“
Sie war weg. Draussen rollte ihr Wagen. Ihr Mann schaute wirr der Staubwolke nach und dann hinaus auf das Meer.
Plötzlich sprang er mit drei Sätzen zwischen den Marmorlöwen die breiten Steinstufen von der Halle auf die Gartenterrasse hinab. An deren Seemauer schaukelten an Pfählen seine Kaiks. Ein Boot, mit einer Hinterkajüte aus geschnitztem Rosenholz, sechs braune Kerle in weissen Hemden mit roten Kopftüchern und Leibschärpen auf den Ruderbänken, lag fahrbereit. Er stieg ein. Er befahl atemlos dem Steuermann:
„Halte auf die vielen Boote zu, die sich drüben dem Christenufer nähern!“
Und während die Ruderschaufeln sich unter schnellenden Schlägen bogen, spähte er in zitternder Ungeduld über die schaumgekräuselte, sonnenglitzernde Wasserfläche: Ich muss wissen, ob sie blaue Augen hat . . . . . .
Der Kaik schoss, lang und schmal wie ein Lineal, mit dem spitz hochgekrümmten Vordersteven durch die spritzenden Wellen. Lamba hielt es auf den bunten Seidenpolstern der Kajüte nicht aus. Er stand breitbeinig auf schwanken Planken hinten im Boot und spähte nach vorn.
Er sah nicht, in der Mitte der Meerenge, das ungeheure Rundbild der beiden Bosporusufer: die weissen Marmorschlösser und schwarzen Zypressenfriedhöfe, die grauen Burgtrümmer, die Landhäuser, die Leuchttürme, die flachen Dächer der Dörfer, die efeudunklen Mauern, die Moscheen und Minarehs, stundenweit, mit bunten, beschaulichen Morgenländern im Schatten der Platanen. Er sah nicht dort drüben sonnenverschwommen Stambul, mit seinen Tausenden von Kuppeln und Türmen und Masten, seinen Botschaftspalästen und Brandstätten und Kasernen. Er drängte nur die schweissglänzenden Bronzegestalten der Ruderknechte:
„Rascher — rascher an den vielen Booten mit Franken vorbei nach Ortaköi!“
Aber dort liess er vor dem Landungssteg der kleinen Raddampfer seine Luxusgondel in einer kurzen Kehre auf den Wogen tanzen und fuhr der Flottille entgegen, die dem goldblonden Schopf im Wasser folgte, und sah, ganz nahe, mit ihren rudernden weissen, dünnen Armen im Spiel der Wellen die Schwimmerin von vorn.
Ein pudelnasses, frisches, hübsches Mädchengesicht, das heiter, aber hartnäckig entschlossen im Sprühen der Wassertropfen mit den Lidern zwinkerte. Die Farbe der Augen konnte er noch immer nicht erkennen.
Aber jetzt öffneten sich ihre verbissenen roten Lippen mit weissen Zähnen, und sie rief atemlos auf deutsch über den Wellenschlag:
„Herrgott — gehen Sie mir doch aus dem Weg!“
Und dann wiederholte sie das in gutem Französisch und bekam dabei den Mund voll Seewasser, direkt noch aus dem salzgesättigten Schwarzen Meer, und gab mit einem „Brr!“ dem Bosporus zurück, was ihm zukam, und Lamba sah, mit einem hastigen Wink an seine Leute auszuweichen: sie hatte wirklich die grossen blauen Augen, die zu dem nassen Gold ihrer Haare, dem klaren Weiss ihres Nackens und ihrer Arme gehörten. Und diese Augen waren ärgerlich auf ihn gerichtet.
„Steuere weiter zur Seite! Belästige die Signora nicht!“ schrie er laut und leidenschaftlich auf italienisch, mit der Rücksichtslosigkeit des Levantiners gegen seine Untergebenen, dem Bootführer zu, und der Bärtige noch lauter, mit einem Händegefuchtel der Abwehr:
„Eccellenza: Soll die ,Zariza‘ uns in den Grund fahren?“
Riesenhaft rauschte da plötzlich, vom Schwarzen Meer her, der Sechstausendtonnendampfer der Odessaer „Freiwilligen Flotte“ heran. Sein Bug ragte hoch wie ein Haus über das Gewimmel der Boote. Er näherte sich ihnen mit gefährlicher Schnelligkeit. Seine Sirenen heulten. Unten gellten in einem halben Dutzend Sprachen Warnungsschreie aus den Nachen. Von der Kommandobrücke oben rief der Kapitän auf russisch einige Freundlichkeiten zu den Nussschalen hinunter, die ihn mitten im Bosporus, dem gefährlichsten Gewässer des Mittelmeeres, auch noch zu Ausweichmanövern zwangen.
Glasgrüne Schaummassen perlten hinter dem herumgeworfenen Steuerruder der „Zariza“. Sie wich brüllend zur Seite. Aber mächtige Wogenkämme des aufgewühlten Meeres liefen mit weissen Mähnen von ihrer Flanke auf die Schwimmerin zu. Der blonde Kopf verschwand in den Wellenbergen und Wellentälern. Es war ein wildes Durcheinandergeschrei da unten: Hilferufe. Zank. Befehle. Ein Rettungsring platschte. Deutsche in den Booten rissen schon ihre Jacken ab, um hemdärmelig sich zur Rettung in die See zu stürzen.
Über die Bordwand der „Zariza“ beugten sich die Köpfe der Passagiere — ein Museum aller Menschen des Mittelmeers — aufgeregt in die Tiefe. Ein Geschrei in vielen Zungen: „Sie ertrinkt . . . sie ertrinkt . . . .“
Aber da tauchte schon wieder zuerst wie treibender blonder Seetang eine weitgefächerte Haarmasse aus den Strudeln, und dann der unbekümmerte lachende junge Kopf, der dazugehörte, und ein langer dünner Arm schnippte tröstend aus den Fluten — ungefähr ein Zeichen: „Unkraut verdirbt nicht!“ — und das Wesen in nassem Feuerrot warf mit neuer Entschlossenheit die weisse Brust wider die blauen Wellen.
Und oben, ganz an der Spitze des Dampfers, lehnte in Bordmütze und windflatterndem Mantel ein junger Mann, mager und straff, mittelgross, zu Anfang der Dreissig. Das stählerne Grau seiner Augen lachte abenteuerlich gleichgesinnt hinüber zu der Schwimmerin. In dem Sonnenbraun des Gesichts zuckte ihm unter dem blonden Schnurrbart die mitfühlende Verwegenheit um die verschlagenen Mundwinkel. Er beugte sich vor und klatschte mit energischen Handflächen Beifall hinab zu dem Mädchen im Meer.
Dann schaute er sich suchend auf dem Deck um. Dort drüben sass weltabgeschieden und erschöpft eine dicke alte Dame. Der Abschiedsstrauss von Blüten der Akazie, des Steppenwahrzeichens Odessas, den sie noch von dem Hafen her neben sich liegen hatte, spottete in seiner Maifreude ihrer Seekrankheit. Der junge Mann trat schnell und entschieden an sie heran.
„Sie erlauben gewiss!“ sagte er mit einer Verbindlichkeit, die gar keinen Widerspruch aufkommen liess, und ergriff die lichtgrün gefiederten Zweige und sandte sie mit weit ausholendem Schwung gerade vor der Schwimmerin ins Meer, dass sie nur die nasse kleine Faust auszustrecken brauchte, um den Gruss von oben zu ergreifen. Da packte sie unten schon die treibende Traube weisser Schmetterlingsblüten, sog einen Augenblick im Wasser ihren süssen Duft, winkte dankend und lachend mit dem Strauss nach oben und schleuderte ihn dann weithin von sich vor den weisskochenden Wasserschwall am Bug der „Zariza“, in der Richtung gegen das Goldene Horn. Eine Gekunde überschatteten sich die Züge des jungen Mannes. Dann erhellten sie sich in blitzschneller Genugtuung: — das war ein glückliches Vorzeichen! Da flogen ihm von Mädchenhand Blumen auf den Kriegspfad gegen Konstantinopel voraus! — und er verbeugte sich dankend und lachte kampflustig und winkte wieder.
Unten schwamm das Mädchen weiter in den hohen Wellen der „Zariza“, die hinter ihr her rollten und sie hilfreich dem Ufer zutrieben, und ganz da oben auf dem Hochdeck des Dampfers wie auf einer Warte stand der junge Mann und schaute ihr nach und hörte, wie der Kapitän im Vorbeigehen sagte:
„Diese unnütze Ente wird dort drüben gerade bei dem Dorf Ortaköi das Land erreichen!“
Eine Stunde weit entrollte sich von Ortaköi bis Stambul das letzte Wandelbild des Bosporus. Da lag zwischen Zypressen und Platanen der altmodische Konak des Marschalls Schükri Pascha. Düster webte der Irrsinn um die ungeheuren maurischen Marmormassen des Palastes Tschiragan. In seinem Schatten umraunte der Mord den Ferije Serai. Und in dem mauerumschlossenen, fenstervergitterten, von ganzen Regimentern bewachten Jildis-Kiosk weiter hinten fand, inmitten seiner Garden, Kammerherren, Eunuchen, Henker, Spitzel in drei Erdteilen, Abd ul Hamid, der Herr der Zeit, keine Ruhe bei Tag und keinen Schlaf bei Nacht.
Der junge Mann auf der leise stampfenden Kielhöhe der „Zariza“ blickte nicht nach der unheimlichen Fata Morgana am Ufer. Er schirmte das lebhafte, aber kühl entschlossene Gesicht mit der Hohlhand gegen den Nordwind und blickte nach Ortaköi zurück — nicht in der Laune eines Verliebten, sondern mit dem freundlichen Interesse eines fixen jungen Kerls, der Wagstücke, welcher Art auch, bei sich und anderen willkommen heisst.
Und drüben vor Ortaköi schnellten die Delphine in triumphierenden Purzelbäumen aus dem bezwungenen Bosporus, und das Siegesgekreisch der heranflatternden Möwen meldete: „Sie schafft’s! Sie schafft’s!“
Ein paar hundert leierförmige Gehörne und silbergraue Rücken von südrussischen Steppenrindern schimmerten, von schwarzen Fliegenwolken umschwärmt, in dem offenen Zwischendeck der „Zariza“. Der Transport war als Schlachtvieh nach der englisch-ägyptischen Armee unterwegs. Der Unternehmer, ein Schwabe aus der Krim, kletterte zornmütig die steile Vorderdecktreppe hinauf zu seiner dicken seekranken Frau.
„Wo isch der Gospodin, der dir die’ Sträussche weggenomme hat? Dem Maladjetz will ich’s weise!“
Er schob sich breitschultrig und breitbeinig über das leise schaukelnde Deck auf den jungen Mann zu, der in flatterndem Mantel vorn, am Bugspriet lehnte und nach dem fernen Dorf Ortaköi hinübersah. Der graubärtige Kapitän der „Zariza“ stand dazwischen. Er konnte etwas Deutsch, und er kannte den Viehhändler. Er hielt ihn am Arm zurück.
„Wenn Sie nicht diesmal mit der Durchfahrt Ihrer Ochsen auf dem russischen Konsulat in Konstantinopel die grössten Schwierigkeiten haben wollen“, sagte er auf russisch, „dann meiden Sie den Passagier da vorn wie den Antichrist!“
„Ich werde mit ihm ein Wort Russisch reden!“
„Er ist kein echter Russe. Er ist ein Fremdstämmiger. Ihr Landsmann. Ein deutscher Untertan des Zaren wie Sie!“
„. . . dann ein Wort Deutsch . . .“
„. . . und der grösste Herr, den ich an Bord habe! Sehen Sie — alle diese Russen, die da stehen und sitzen, sind mit ihm aus Odessa gekommen — sind sein Stab!“
Der russisch-schwäbische Heereslieferant rieb sich verblüfft das dank der Seefahrt unrasierte Stoppelkinn.
„Ich hatte mit meinem Vieh zu tun. Ich hatte nicht Zeit, mich um die Reisenden zu kümmern! Das ist — das ist doch nicht Paul Buddenhaus?“
„Sie sagen es! Pawel Germanowitsch Buddengaus selber!“ Der Russe sprach den deutschen Namen russisch aus.
„Er ist viel zu jung dazu!“
„Und doch stehen hinter ihm Petersburger Grossfürsten, Moskauer Altgläubige, Odessaer Millionäre. Oder haben Sie noch nie etwas von der Neuen Asiatischen Studiengesellschaft gehört?“
„Alle Welt spricht von den asiatischen Eisenbahnplänen!“
„Nun also: da haben Sie den starken Mann der Studiengesellschaft!“
„Wo kommt er her?“
„Aus Lissitschansk im Donezbecken. Dort ist sein Vater, ein eingewanderter Deutscher, seit vielen Jahrzehnten Leiter der grossen Aktienbrauerei Konstantinowska. Auch der Sohn half dort in seinen Anfängen, bayrisch Bier für die deutschen Kolonisten und die Kosaken zu brauen!“
„Und wie wurde er ein Mann der grossen Geschäfte?“
„Er ging auf gut Glück nach Petersburg. Dort schickte man ihn — einen waghalsigen Menschen — zur Anlegung der Baumwollkulturen zu den eben unterworfenen Turkmenen. Seine Gewinnung von Baumwollöl machte ihn mit einem Schlag bekannt. Er hat — begreifen Sie — eine besondere Gabe, die Asiaten zu nehmen!“
„Das ist nicht leicht!“ sprach bedächtig der Schwabe, der selbst unter Mohammedanern in der Krim lebte.
„Drei Jahre hat er sich im Innern Vorderasiens aufgehalten. Im letzten Kurden- und Tatarendorf ist er gewesen. Alles hofft dort auf ihn und seine Eisenbahn und sein Geld . . . Nun — mit Gott! Ich muss auf die Kommandobrücke!“
Es war auf Deck schon das Getümmel der nahen Landung. Eine Gruppe Russen bahnte sich ihren Weg zu dem jungen Mann am Bug. Lachende Rufe:
„Schauen Sie nicht immer auf den Bosporus zurück, Gospodin Buddenhaus! Da vor uns liegt Stambul in seiner Majestät!“
„. . . und bald uns zu Füssen!“ sagte Paul Buddenhaus lachend.
Das Brüllen der weiss dünstenden Sirenenschlote verschlang seine Worte. Der Rumpf der „Zariza“ zitterte nicht mehr im Keuchen der Kessel. Der Anker klatschte in das hoch aufspritzende Wasser des Goldenen Horns, inmitten eines Mastenwaldes aller Völker, ganz nahe die Riesenkuppeln der Riesenmoscheen.
In Mietgondeln, in Gemüsekähnen, in Fischerbooten umschwärmten schon seit einer Viertelstunde die Spione Abd ul Hamids den russischen Dampfer. Die Barkasse der Internationalen Sanitätskommission schoss heran, die gelbe Quarantäneflagge am Bug — ein Zollkutter, von zwölf Festrägern gerudert — ein Kaik, gedrängt voll von den grünen Passbeamten der Polizei.
Fremdendragomane brüllten aus Nachen, Lastträger vom Ufer. Eine Gruppe Franken stand dort vor der neugierigen Mauer des Morgenlandes — Herren mit dem roten Bändchen der Ehrenlegion — slawische Gesichter, hinter sich die goldglitzernden, bewaffneten Kawassen der Botschaft.
Die französischen und die russischen Geschäftsfreunde schwenkten hoffnungsvoll die Hüte. Paul Buddenhaus drüben an Bord brauchte den Zoll- und Pass- und Pestefendis nicht erst seine Papiere vorzuzeigen. Sie liessen ihn schweigend durch. Backschisch rechts und links in hohle Hände. Er stieg das Fallreep hinab in das Boot und fuhr an Land und sprang, den Europäern dort tatenfroh zuwinkend, auf das Pflaster des Kais von Galata — mit einem Rundblick über den weiten Bosporus: Konstantinopel — ich komme!
Fern drüben im Bosporus blinkte aus dem flaschengrünen, flachen Strandwasser von Ortaköi ein winziger feuerroter Strich. Die Schwimmerin lag jetzt auf dem Rücken und trieb sich gemächlich mit weissen Beinstössen dem ganz nahen Ufer zu.
Von da hörte sie die vielsprachigen Gurgellaute des Orients, die Zurufe der vorausgeruderten Landsleute und Freunde. Sie sah die Menschen dort nicht, sondern nur gerade über sich das unergründliche Blau des Maihimmels und um sich die sonnenflimmernde, silberzitternde Leere des nun ganz stillen Meeres.
Nur der einzige hochgebäumte Schnabel eines Luxuskaiks glitt beharrlich und lautlos, mit absichtlich langsamen Ruderschlägen eines halben Dutzends schweissspiegelnder Bronzekerle, auf zwanzig Schritt Abstand hinter ihr her. Der Eigentümer lehnte im Heck vor der Kajüte. Er starrte sie unverwandt an. Sein bräunliches, regelmässiges Gesicht war unter dem hohen, krapproten Tarbusch unruhig leidend, fiebrig gespannt. Sie erkannte den Levantiner, der ihr schon vorher, im Kielwasser der „Zariza“, in den Weg gekommen, und sagte vor sich im Wasser:
„Ekelhafter Kerl!“
Dann stiess sie plötzlich mit dem blondhaarumwogten Hinterkopf an etwas Hartes. Sie griff danach und fasste eine grosse rosige, trompetenartig geformte Muschel in nur noch ein paar Zoll Wassertiefe auf buntem Kieselgrund. Der Bosporus war zu Ende. Sie richtete sich auf und watete lachend an Land, gross und schlank, von Wassertropfengeglitzer in der grellen Sonne triefend.
Wie eine Mauer stand, da das Morgenland: die armenischen Gemüsebauern, die jüdischen Papier- und Glashändler und Schneidermeister von Ortaköi, die Armenierinnen in Weiss, die Jüdinnen in meerblauen und pfirsichrötlichen Kleiderröcken und grasgrünen goldgestickten Jäckchen. Davor pfefferundfalzfarben die Europäer. Ein kraushaariger griechischer Photograph brachte eilig seinen Apparat gegen das Mädchen im Meer in Stellung. Sie winkte ihm drohend zu.
„Wollen Sie wohl!“ Und dann, sich umschauend und ungeduldig in die Hände klatschend: „Indschi — Elmas — wo steckt ihr denn?“
Und Indschi, „die Perle“, und Elmas, „der Diamant“ — zwei junge Armeniermädchen mit seidenen weissen Tüchern über den kohlefarbenen Scheiteln, liefen eilig mit einem grossen schwarzen Frauenmantel herbei und reichten ihn ihr, die gelben Pantoffelspitzen am Wassersaum, in das Meer hinüber, und sie wickelte sich hinein und sprach: „So! — Nun können Sie mich knipsen!“ Und dann, gelassen dastehend, auf türkisch: „Habe dich nicht so, Sohn der tausend Jahre!“
Ein steinalter, verwitterter türkischer Ziegenhirt hatte sich, die Herde drüben seinem riesigen Wolfshund überlassend, keuchend vor Angst zwischen sie und den schwarzverhangenen Kasten gestellt, um im Namen Allahs das Abbild eines Menschen zu verhüten! Aber der Ordnung haltende Gendarm von der neuen blauen tscherkessischen Stadtpolizei zu Pferde jagte den Greis im zerrissenen, weissen Hemd zu seinen Böcken zurück und öffnete ehrerbietig seine Hand zum Backschisch:
„Belieben Eure hohe Person, aus dem Wasser zu steigen!“
Die hohe Person stieg aus dem Wasser und schüttelte sich wie ein Pudel, dass die Spritzer flogen, und sagte befriedigt:
„Also das wäre der Bosporus!“
Sie drückte kameradschaftlich den Deutschen und den andern Franken die Hände. „Vater — du streust Blumen aus deinem Munde!“ dankte sie auf türkisch dem glückwünschenden armenischen Gärtner, bei dem und seinen Töchtern, der Perle und dem Diamant, sie wohnte.
Sie begrüsste mit Händegeschüttel den kaftangegürteten, rotschärpigen Rabbiner der Judengemeinde von Ortaköi, und mit einem freundlichen: „Na — ihr Spitzbuben!“ ihre Jagdfreunde, die beiden riesigen, aus ihrem Raubnest in den Bergen herabgerittenen Tscherkessen, das Adlerhaupt und den Löwenfürsten, in ihren hohen Pelzmützen und langen, schwarzen, mit aufgenähten Patronentaschen besetzten Leibröcken. Dabei sah sie mit einem leisen Unbehagen den langen, schmalen Luxuskaik von vorhin ganz nahe am Ufer, dicht vor ihr, still, mit gesenkten Rudern, auf dem Wasser liegen, und aufrecht in ihm, immer mit dem starren, heissen Blick auf sie, den unheimlichen Levantiner.
Bettler krächzten armeausstreckend im Staub. „Gott wird euch geben! Ich bin in Trikots!“ Sie scheuchte eine Brut nackter nussbrauner Zigeunerkinder nach ihrer nahen Höhle im Kaktusdickicht. „Tut mir den einzigen Gefallen und putzt euch mal die Nase!“ Und wieder zu den Europäern: „Wie’s war? Spielerei!“ Sie überzeugte sich mit einem beruhigten Blick, dass der Kaik draussen jetzt langsam seitwärts davonruderte. „Aber nun muss ich ins Haus! . . . Gott — da kommt mein Bruder eben ’rausgerannt! . . . Klassisch ist er, der Eduard! Der ist imstande und hat von der ganzen Expedition nichts bemerkt!“
Ein jüngerer Mann lief aus dem niederen hölzernen Hause des armenischen Gemüsegärtners. Sein blosser Kopf war blond wie der seiner Schwester, blond sein kurzer Vollbart. Er hatte hinter dem Zwicker denselben blauen Blick wie sie in einem deutschen Gesicht, das im ersten Eindruck träumerisch versonnen schien. Aber dahinter lag dann etwas Stilles, Deutsch-Unbeirrbares, Sachlich-Zähes. Er rief aufgeregt schon von weitem:
„Imme — kann man dich denn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen, ohne dass du Dummheiten machst!“
„Dies grosse Kind!“ sagte Imme zu den andern. „Der Eduard wäre ohne mich ja hier verraten und verkauft!“
„Gestern versuchst du, bei dem Schlangenbändiger da oben auf offenem Markt Kobras zu dressieren . . . Ich höre noch das allgemeine Geschrei: ,Elhamed Lillah!’ . . . als Dank, dass nichts passiert ist!“
„Die guten Tiere haben nämlich längst ihren Giftvorrat vertan!“ erklärte Imme den Umstehenden.
„Heute sitze ich über meinen Arbeiten und denke nichts Böses, da stürzt die Indschi herein: ,Herr! Nun darf ich es ja verraten! Die Hanum schwimmt eben durch den Bosporus!’“
„Die Hanum wird sich nun umziehen!“ Imme warf einen Blick des Widerwillens nach dem Anlegeplatz der Küstendampferchen drüben. Dort hatte der lange, schmale Kaik an der Landungsbrücke festgemacht.
„Rege dich bloss nicht auf, Mekkavater!“ sagte sie auf türkisch zu einem Bettelderwisch in kaffeebrauner Kutte, der unter Verwünschungen die Arme über die spitze Kegelmütze zu Allah hob. „Ich bin keine Tochter des Satans, wie du hier irrtümlich aussprengst, sondern harmlos wie ein Holzlämmchen — wie eine eurer vielen Wanzen. Auch mich schuf Gott! Nimm dir ein Beispiel an den ehrwürdigen Babas drüben!“
Weissbärtige Türken hockten da, dass nur die Zipfel ihrer weiten Hosenböden die Erde berührten, und drehten beschaulich die Rosenkranzkügelchen zwischen den Fingern. Als der fröhliche Blick des unverhüllten Mädchengesichts sie traf, sahen sie gramvoll zur Seite, die weiss blendenden Gartenmauern entlang, an denen ein paar wandelnde Glocken von schwarzen Stoffmassen, ihre Frauen und Töchter, sich unsicher dahinschoben.
Der heulende Derwisch trollte sich unter neuem Gebrüll: „Jahû! Jahû! O Er! O Allah!“ Imme fasste ihren Bruder, mit einer unruhigen Kopfbewegung nach dem Landungssteg, am Arm.
„Mach schnell, ins Haus! Da ist so ein grässlicher Levantiner drüben aus seiner Wasserdroschke geklettert und marschiert direkt auf mich los! Zu spät! Da steht er einem glücklich mitten im Weg! Kinder — der Orient ist doch doll!“
Und dann ärgerlich an Lamba vorbeigehend:
„Sagen Sie mal — wollen Sie eigentlich etwas von mir? Sonst lassen Sie mich, bitte, ungeschoren!“
Der Levantiner war blass. Leise seine Stimme, auf französisch wie sie:
„Nur einen Glückwunsch, Madame, zur Bezwingung des Bosporus!“
„Danke!“
„Von einem Sohn des Bosporus wie mir! Dort am andern Ufer steht mein Haus!“
„Der überlebensgrosse weisse Kasten?“
„Ich habe noch ein Palais in Pera, in schönster Lage am Munizipalgarten!“
„Na — da sind Sie ja versorgt!“ Imme wollte weiter.
„Ich wäre glücklich, Ihnen einmal meine Gewächshäuser, meine Teppiche, meine gelben und rosa Diamanten zeigen zu dürfen!“
„Nett von Ihnen! Aber ich danke!“
„Madame — wenn ich Sie bitte . . .“
„Ach — lassen Sie mich nur ruhig hier in meiner Bude über dem Ziegenstall! Ich fühle mich hier sehr wohl!“
„Imme!“ Ihr Bruder trat heran. „Dieser Herr hier vom ,Journal de Péra‘ will durchaus etwas über dich und den Bosporus in seine Zeitung bringen!“
Der Levantiner stand allein. Er schaute stumm und heiss den langen, nassen Goldsträhnen über dem schwarzen Mantel nach. Er ging langsam nach dem Landungssteg und stieg in seinen Kaik. Der bärtige Bootsmann sah ihn fragend an: „Zurück nach dem Palast, Eccellenza?“ Ein bitteres Lächeln um die Lippen des Levantiners: Zurück zu Charis, meiner Frau? — Eine Handbewegung die Meerenge abwärts nach den Moscheenmassen, den Mastspitzen und Turmnadeln von Konstantinopel.
„Nein — du Hund! Fahre mich nach Galata!“
Er kauerte sich in die Kissen der Kajüte und sah in der Ferne etwas Nassblondes in schwarzem Mantel vor einem fast schwindsüchtig hageren, tiefbrünetten, goldbebrillten Herrn vom Typ eines intelligenten französischen Volksschullehrers, stehen.
Nervös dessen Händegefuchtel. Sprudelnd sein gallischer Wortschwall aus dem schütteren schwarzen Krausbart.
„Ah — Madame! Mein griechischer Kollege vom ,Neologos‘ kam zu spät drüben am anatolischen Ufer! Der sehr ehrenwerte Gentleman vom ,Levant Herald’ erwartet Sie umsonst weiter unten auf der christlichen Seite — haha!“
„Wissen Sie: ich friere . . .“
„Ich weiss, was Sie mich fragen wollen: Wo ist die französische Presse Peras? Wo die ,Turquie‘? Der ,Phare du Bosphore‘? Der ,Moniteur Oriental‘? Der ,Stamboul‘?“
„Meine Haare sind pitschnass!“
„Nur wir sind zur Stelle, das ,Journal de Péra‘ — der einsame, wirkliche Vorposten französischer Bildung in dieser bewundernswerten Stadt!“