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Sie leben friedlich zusammen in ihrem bayrischen Dorf: Die Bauern und die Torfstechern mit dem sympathischen Johannsen. Die hierhergezogene Gertrud Hellwig, die mit ihrer Hühnerfarm ihre beiden Kinder allein aufzieht. Der Simmerl und seine Frau, Beni und die Afra, der Bürgermeister, der Wirt Ägid und all die anderen. Und im Wald haust Jerofkin, der russische Kommunist, mit seinen Leuten, die heimlich das arme Volk ein bisschen aufhetzen wollen. Doch jetzt herrscht Aufruhr im Dorf. Simmerl kann die Hypothek für sein "Güterl" nicht bezahlen. Sein Besitz wird versteigert und aus München sind lauter Städter angereist, um billig ein Wochenendhäuschen zu ersteigern. Besonders Herr Körbl, mit einem Makler im Gefolge, macht sich unbeliebt. Als er in der Nacht vor der Versteigerung verschwindet, glaubt die Obrigkeit an Mord, und der Verdacht fällt schnell auf den Filzensimmerl. Der dubiose Körbl bleibt verschwunden, es wird keine Leiche gefunden. Und nachts schleicht jemand durch die Dunkelheit. Vielleicht der gefährliche Radl-Kramer? Eine verzwickte Kriminalgeschichte in einer einfachen Dorfgemeinschaft aus dem Jahr 1926, deren liebenswerte und charakterstarke Bewohner sich nicht auseinanderbringen lassen.-
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Seitenzahl: 301
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Rudolf Stratz
Saga
SimmerlCopyright © 1937, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507445
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Die Madonna hat gelächelt — ihr ewiges Gnadenlächeln voll Schmerz und Glück. Winzig klein war sie, die Himmelskönigin, wachsbunt, von vertrockneten Sträusschen umhegt, in ihrem Glasschrein am Birkenstamme, just da, wo der Knüppelweg von dem einsamen oberbayrischen Moordorf Stoissham durch Krüppelbuschwald zu dem weltfernen Marktflecken Pfaffing führt. Und vor der Mutter Gottes haben mit blossem, weissem Kopf der Filzensimmerl und sein Weiberl gekniet und gebetet.
Die Birkenstämme standen weiss im schwarzen Morast, und ihre letzten bunten Blätter wehten im Wind; am Himmel flogen die grauen Novemberwolken und unter ihnen gellte es: Gia! Gia! Der Wanderfalke überschaute auf seinem Zug nach Süden, den fernen Bergen zu, die endlosen Hochmoore voll welken Heidekrauts, stiller Schilfsümpfe und verkrüppelten Kieferngestrüpps — dies Stück unbekannte oberbayrische Einsamkeit, in dem es keine bildsaubern Alm-Dirndl mehr gibt wie drüben in den Alpen und keine feschen Buan und harben Wildschützen, keine lustigen Dorfbader und hartkantigen Grossbauern, sondern es spricht zu den wenigen Menschen, die da wirken und werken, die eherne Stimme der Öde: „Im Schweiss deines Angesichts sollst du dein Brot essen . . .”
„Und ist dein Leben köstlich gewesen, so ist es Müh und Arbeit gewesen!” Du kennst die Arbeit, Filzensimmerl, ein halbes Jahrhundert, von deinem zehnten bis jetzt zu deinem sechzigsten Jahr. Ja — hilft nix, Simmerl: Sechzig auf dem Buckel! Du bist schon humpelig, krumm dein Rücken, dass du noch kleiner und hagerer ausschaust als du eh’ schon bist, eingefallen dein Mund mit dem schüttern weissen Schnurrbart und dem weissstoppeligen Kinn in dem treuherzigen, verschrumpften Ledergesicht, rissig die mächtigen, hornigen Arbeitsfäuste.
Und der Filzensimmerl faltet seine Hände, er betet mit tränenschnupfender, angsterstickter Stimme zu der Mutter des Herrn: „Heilige Maria, hilf, dass sie mir net mein Gütl nehmen!” Über ihm schreit der Wanderfalke: „Gia! Gia!” und denkt sich: Was schwächer ist als ich, das g’hört halt mir!
„Schaugst, heilige Maria”, betet vertraulich der alte Mann, „vor dreissig Jahren hab’ ich da drüben den ersten Stich ins Torf getan, pfei’ grad wie Theres und ich als ein Paar Eheleut’ aus der Kirche gekommen sind. Das Häusel hab’ ich mir selbst aufgebaut, die Wiesengründ’ herum — die sind von mir. Abgerackert hab’ ich mich und g’schwitzt mein Leblang! Zu vier Kühen hab’ ich’s gebracht und dem Herrgott gedankt!
Ja — kann ich denn dafür”, der Nikodem Simmerl wirft die Fäuste in die Luft und schreit es verzweifelt, „dass mir die Krankheit in den Stall gekommen ist? Alle vier Viecher verreckt und im Moos vergraben. Brauchst Geld für neue! Und weisst, was der Geldmann für sei’ Geld nimmt? Jetzt verschrick’ net, lieber Herrgott: fuchzehn Prozent für die zweite Hypothek! Fuchzehn Prozent — ja blutssakra!”
„Gegrüsst seist du, Maria, die du bist voll der Gnaden!” betete neben dem alten Nikodem sein Weiberl, die Theres. Sie war noch kleiner als er, erst um die Fünfzig, aber schon vertrocknet und verschrumpft, eine grosse Nase in dem tausendfach gerunzelten, kleinen Hutzelweibchengesicht mit dem fast zahnlosen Mund und dem freundlichen Ausdruck auf den alten Zügen.
„Und wann du dem Mann sagst: wer kann denn fuchzehn Prozent zahlen?” schreit der Simmerl zum Himmel. „Was spricht er, der Malefizkrippi, der verreckete — und spielt dabei mit seiner goldenen Uhrkette: ,Fuchzehn Prozent sind nun einmal heutzutag’, in Deutschland im Jahr 1926, der übliche Zinsfuss!‘ Und wann du ihm sagst: „Ja — aber da geht ja ein kleiner Gütler wie ich zu Grund!‘ da zuckt er die Achseln: ,Das ist nicht ihm seine Sach’!‘”
„Bitt’ für uns, da wir in den schweren Trübsalen dieses Lebens zu dir stehen!” betete das alte Weiblein mit zahnlosem Mund und nassen Augen. Er, der Simmerl, war aufgestanden. Seine kleinen, rotgeränderten blauen Augen waren noch klar, gewohnt, bei Wind und Nebel über das weite Moor zu schauen. Er blinzelte den Gendarmerie-Wachtmeister an, der lauernd, auf den Fussspitzen, herankam, gross, breitschulterig, den Dienstrevolver über den grauen Mantel geschnallt, und leise fragte:
„Simmerl, ist wer hier vorbeigekommen?”
„Kei’ Seel’! Wen suchen’s Denn, Herr Wachtmeister?”
„Der Radl-Kramer lasst sich wieder in der Gegendg’spürn!” flüsterte der Wachtmeister Florian Wiesböck. Der Simmerl legte erschrocken die Hände zusammen. Die Theres war knickebeinig von den Knien auf die Füsse gekommen. Sie hatte die welken Lippen soweit offen, dass man den einzigen grossen gelben Stockzahn sah, und wisperte abergläubisch bang:
„Jesses — der Radl-Kramer — der greisliche!”
„Zwei Jahr’ und länger hält uns der Hund, der elende, hin!” rief der Wachtmeister. Er war schon vierzig. Hatte den Krieg mitgemacht. Sein bartloses Gesicht trug jetzt wieder den grimmen Ausdruck des Frontkämpfers — drüben in Frankreich — in den letzten Jahren.
„Zwei Gendarmen hat er auf der Flucht erschossen. Den Handwerksburschen brachte er im Stadel um. Er hat noch mehr Menschenleben auf dem Gewissen! So an räuberischen Teifelskerl siehst nicht leicht wieder, mein Lieber!”
„Es hat noch mehr Räuber — die, wo man nit hängt!” Der Filzensimmerl hatte ein Stück Zeitung aus seiner verwetterten, uralten Lederjoppe geholt. „Schauen’s: da haben sie’s hineingesetzt — vom Gericht . . .” Er buchstabierte mühsam das Hochdeutsch. „Im Weg der Zwangsvollstreckung werden in den Amtsräumen des Notariats Pfaffing öffentlich versteigert die in der Gemeinde Stoissham gelegenen . . .”
„O mei! O mei!” Der Gendarm schaute dem gebückten kleinen Gütler über die Schulter. „Das wär’ ja schon morgen!”
„. . . im Grundbuch des Amtsgerichts Pfaffing”, stammelte der Simmerl eintönig wie in der Kirche und schluckte dabei vor Angst, „Band 28, Seite 598, Blatt 2399, auf den Namen der Gütlers-Eheleute Nikodem und Therese Simmerl, wohnhaft in Stoissham, eingetragenen Grundstücke . . .”
„Simmerl, das schaut ja bös her!”
„Plan Nr. 93a, Wohnhaus Nr. 67 mit Torfhütte und Hofraum zu 0,120 ha.” Der Simmerl lallte eigentlich nur noch. „Plan 93b, Wurzgarten bei dem Haus zu 0,013 ha.” Es erstickte ihm die Stimme. Er hockte sich hin, legte die Hände zusammen und fing an, wie ein kleines Kind zu weinen. Sein Weiblein setzte sich neben ihn und tat ebenso. Der Wachtmeister machte ein wehes Gesicht. Er vermochte den Anblick der beiden alten Leute nicht mehr zu ertragen. Helfen konnte er ihnen ja doch nicht. „B’hüt euch Gott beisammen!” sagte er gedämpft und schlich behutsam weiter.
Rechts und links spähte er dabei lauernd in den Sumpfwald, in dem aus den Moorlachen die Krüppelkiefern mit ihrem Flechtenbehang wie graubärtige Zwerge zu einem unentwirrbaren Gefilz zusammenkrochen. Da drinnen raschelte es leise und klang das geschäftige Winseln der Polizeihunde. Aber nur ein Flug Fasanen ging plötzlich steil wie eine explodierende Granate aus dem Röhricht in die Höhe und stob mit langwehenden Schwanzfedern weit oben durch die graue Luft davon.
Am Ausgang des Gehölzes traf sich der Wachtmeister Wiesböck mit seinem Kollegen, der auf der anderen Seite gepirscht hatte.
„Nix?”
„Nix!” Der zweite Gendarm steckte verdrossen den Revolver in das Futteral. Er war ein noch junger, schnurrbärtiger Mann. Der Jagdeifer brannte ihm in den Augen. Die beiden Hunde standen keuchend mit hängenden Zungen. „Dabei haben doch die Viecher die Spur hierher aufgenommen!”
„Gemerkt hat er’s halt, der Sau-Teifi, und is fei’ schnell davongeradelt!” Der Wachtmeister Wiesböck blickte grimmig das Fahrgässchen entlang, das von hier frei durch die weite, oberbayrische Hochebene nach der fernen, spitzen, weissen Kirchturmnadel des Fleckens Pfaffing führte. „Aber dann müsst’ er doch da dem Servaz begegnet sein!”
Da steigt er mit Siebenmeilenschritten heran, der Frater Servatius, der Sammelbruder vom Kapuzinerkloster, mit dem Sack auf dem Rücken, den seit vielen Jahren jedes Kind ringsum kennt. Ein riesenhafter Mannskerl ist er, in seinem kaffeebraunen Gewand, mit der Kapuze hinten. Sein mächtiger, fuchsroter Vollbart weht im Wind. Barhaupt geht er, der Bruder Servaz, bei Wind und Wetter. An den gewaltigen, rotgefrorenen Füssen trägt er trotz der Novemberkälte nur Holzsandalen. Er ist immer ein Lustiger. Hat seine Spässe weit und breit mit jedermann von den Bauersleut’, von denen er stammt. Er bleibt stehen und erkundigt sich scheinbar harmlos mit seinem Kellerbass:
„Ja — wo habt’s ihn denn — den Radl-Kramer?”
„Ist an Ihnen nicht so ein Kerl vorbeigekommen, so ein ganz verdächtiger?” erkundigt sich der junge Gendarm. „Noch nicht alt. Angetan wie ’ne Vogelscheuch’! Zaunackerdürr, mit einem struppigen Vollbart?”
„Mein Lieber: Sie sind noch nicht lang im Land! Ich glaub’ gar, Sie kommen von da oben, von den Preissen . . .!” antwortete der riesige Frater beinahe mitleidig.
„Aus dem Mittelfränkischen bin ich!”
„Das ist auch schon z’weit! Also — sonst würden Sie wissen, dass ich den Radl-Kramer schon von Kindsbeinen gekannt hab’! War kein Wunder! Sein Vater, der Raubichler, hat ja jahraus, jahrein durchs Land in seinem Wägelchen mit Topfwaren hausiert. Fein war dem Alten sein Ruf nie nicht, und sein Sohn, der Anderl, is schon als Lausbub ausgeartet. Am End’ vom Krieg ist der Bazi aus der Etappe desertiert, hat sich dann hier im Land umeinandergetrieben und bei den Schiebern und Schlawinern damals, da war er gerad’ der Rechte! Wie dann wieder Ruh’ und Ordnung ins Land gekommen ist — das war dem Raubichler-Anderl in die Seel’ zuwider. Da hat er sich ganz aufs Räubern und Morden verlegt und is jetzt als der Radl-Kramer der Schrecken von jedem guten Christen, weil ihr ihn halt nicht fangen könnt und seid doch dazu da! Da fehlt’s!”
„. . . und Ihnen ist er jetzt nicht begegnet?”
„Hoho, mein Lieber — da kennen’s den Servaz schlecht!” Der riesige Mönch reckte sich in der braunen Kutte und zeigte ein paar Fäuste eines Grobschmieds. „Ich hätt’ den Radl-Kramer nicht ausgelassen! Hätt’ ihn schon von seinem Rad heruntergeholt, den abscheulichen Kerl! Mit dem nehm’ ich’s noch lang auf! Aber vielleicht ist er in der andern Richtung davon, auf Stoissham zu!”
„Nein!” sprach der Wachtmeister Wiesböck gedämpft. „Dort hat der Filzensimmerl vor dem Bildstöckl gekniet und gebetet!”
Dort kniete der alte Simmerl jetzt noch einmal und hielt die runzeligen, mahagonifarbenen Arbeitshände vor dem winzigen, bunten Madonnenfigürchen hinter dem Glas ineinander verkrampft. Er keuchte ganz leise, vertrauensvoll wie ein Kind.
„Schaugst, heilige Mutter Gottes — jetzt wär’ es doch soweit gewesen, und ich hätt’ das Gütl meinem Sohn, dem Beni, übergeben und a Ruh und a Frieden auf meine alten Täg’ gehabt, der Beni hätt’ net mehr länger einen Hotel-Hausdiener in Alt-Ötting machen müssen, konnt’ die Afra heiraten und mit ihr auf dem Gütl einziehen! Aufgeboten sind’s schon, die beiden — der Beni und die Suppenmoser Afra, im Kasten hängen’s drüben in Pfaffing, und jetzt wollen sie mir das Gütl nehmen . . .”
„Bitte für uns jetzt in diesem Tal des Jammers”, betete neben ihm zahnlos das Mutterl. „Denn du bist ja die Hilfe der Christen, der Stern des Meeres . . .”
Ihr Mann blickte zum Himmel. Hoch hinauf wirbelten da im Herbststurm die welken Blätter, und darüber flogen schreiend und schnell im Dreieck die wilden Gänse nach Süden. Pilgernde weisse Lachmöven kreischten in der bewegten Luft. Eilig zogen die grauen Wolken. Es war alles in Zug und Flug. Eine Wanderung in eine andere Welt. Der Filzensimmerl war aufgestanden. Er sagte, noch die Kappe zwischen den Händen:
„Wann mich unser Herrgott ruft: i kimm! I kimm gern! So arg viel war das bissel Leben net! Aber die Menschen sollen mich net vertreiben!”
Sonst, wenn die beiden über Land gingen, trottete die Theres hinter ihrem Mann her. Heute stapften die beiden alten Leute nebeneinander, stumm und eins in der Not, den einsamen Feldpfad heim durch Hochmoor und Heidekraut.
Soweit das Auge reichte, weitete sich vor ihnen platt wie eine Tenne die fahlbraune, unendliche Leere der oberbayrischen Filzen. Grosse und kleine Tümpel dunkelten verstreut, und im Wind liefen dünne weisse Schaumschlänglein über ihren schwarzen Spiegel. Wo der Torf schon abgebaut war, schoss aus den ausgeschachteten Tiefen mannshoch das Schilf. Tausende von dicken schwarzen Binsentöpfen neigten sich gleichzeitig im Wehen der Luft, als striche eine unsichtbare Riesenhand glättend über sie hin.
Es gab nur wenige Stellen in dieser feierlichen Einsamkeit, auf denen der Blick ausruhen konnte. Dort drüben, nahe dem Dorf Stoissham, aber noch hübsch mitten im Moor, die Hühnerfarm — die neumodische. Die war dem Simmerl seit einem Jahr ein Dorn im Auge: das norwegische Blockhäusel und die zerlegbaren kleinen Holzställe, die Drahtgitter, das Gegacker, Gekrähe und Gelaufe weithin über das Ödland. Es ging ihn zwar einen Schmarren was an! Er wohnte weit weg. Aber so etwas war nie gewesen, dass man die Gickeln in einem Kasten ausbrütete! Davon hätte ihm sonst schon mal doch der Grossvater erzählen müssen. Das war etwas ganz Neues. Und sie — die mit der Hühnerfarm — die stammte auch ganz woanders her. Sie spricht nur hochdeutsch — die junge Frau — ganz nach der Schrift! Mit der kannst hart reden, mein Lieber!
Dann schimmerte da, ganz weit draussen, etwas wie aus dem Moor herausgewachsene Pilze — graubraun, geduckt und regellos verstreut — eine Gruppe von hundertfach geflickten Zelten und flüchtig genagelten, mit Dachpappe gedeckten Holzbuden und niederen Wellblechbaracken. Wäsche hing an Leinen im Winde, und blauer Torfrauch kräuselte aus Schornstein-Öfchen. Das Wanderlager der Moorarbeiter mit ihren Weibern und Kindern frass sich in die fernste Einsamkeit der Filzen und rückte langsam vor, es war jetzt schon eine gute Stunde von der nächsten menschlichen Behausung entfernt.
Und dies letzte Häusel — das Antlitz des alten Gütlers, in das das Leben tausend Furchen eingeschrieben — das übersonnte sich in Liebe zu dem Häusel da vor ihm, die Theres neben ihm bekam seine Linke zu fassen, und das ausgetrocknete, gebückte Paar stand Hand in Hand: das Häuserl gehörte dem Filzensimmerl!
Heute noch.
Um das Häusel weithin lagen die grünen, saftigen Wiesen — doppelt licht und freundlich inmitten der fahlen, weiten Moosebene — sie gehören dir, Simmerl!
Heute noch.
Das saubere, weissgetünchte Haus mit dem flachen Dach und den grünen Läden — das hast du selbst dir gebaut, Simmerl. Auf Taglohn hast du gearbeitet und gespart, die Resl, deine Braut, hat tapfer als Magd beim Bauern gewartet, bis das Geld für das Holz und die Ziegelsteine beisammen war. Du hast das Bauzeug selbst auf deinen Schultern hinunter geschleppt und gekarrt, gute Leute haben dir mit ihrem Vorspann um Gottes Lohn geholfen und die gräfliche Verwaltung drüben hat dir kostenlos den grossen Richtbaum angewiesen.
Die grünen, fruchtbaren Gründe ringsum — die hast du, Simmerl, dem stillen, toten Moor abgewonnen, das seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, seitdem hier ein Alpensee aus der Steinzeit versumpfte und verfilzte, nur noch die Heimstatt von Unke und Otter war. Du hast die Gräben ausgeschachtet und die uralten, braunverkohlten Stämme im Erdinnern im Schweiss deines Angesichts blossgelegt und ausgegraben. Du hast drei Jahre Kartoffeln gepflanzt, um dem Boden etwas abzugewinnen, und dann mit gleichmässigem Handwurf den Grassamen der ewigen Mutter Erde anvertraut, wo sonst die Frösche quakten, da brüllt jetzt das liebe Vieh.
Dann aber kommen’s aus der Stadt — fuchzehn Prozent — blutsakra — fuchzehn Prozent . . . Auf dem Wege der Zwangsvollstreckung . . .
Dann aber schirmte der Simmerl die weissen Brauenbuschen mit der Hornhand und blinzelte ungläubig auf das grüne Nutzland um sie her. Sonst waren die weiten Wiesenflächen jetzt im Herbst leer wie ein Bettelsack; das Krähenvolt krächzte darüber hin, und um Mittag stiess der Maulwurf seine lockeren Erdhügel, oder es hoppelte da ein später Junghase unbesonnen am hellen Tag. Aber jetzt . . .
„Alles voller Leut’”, murmelte der Alte. „Alles voller Leut’! . . . Überall steigen’s umeinand . . . Bis wo die Filzen anfangen, stehen’s schon, die Deppen!”
„Die betrachten sich das Anwesen, weil’s halt morgen mitsteigern wollen . . .” Es verschlug der Simmerl-Mutter die Sprache. Sie betete nur wieder innerlich zu Unserer lieben Frau vom Troste . . . Und richtig — da stand schon am Weg so ein Städtischer, Bebrillter, schlecht im Futter und blass um seine spitze Nase herum, mit seiner Frau, grüsste höflich und sagte:
„Sie sind gewiss ein Einheimischer und können mir Auskunft geben!”
„Du kannst mir sonst was!” knurrte der Filzensimmerl verbissen. Der Herr verstand ihn nicht und fuhr fort:
„Ich bin nämlich ein Rechnungsrat aus Augsburg, der das Häuschen da drüben, so für die Sommerferien, gern haben möchte. Den Rest des Jahres könnte es ja leerstehen!”
„Gleich wirst zeitig . . .” brummte der Simmerl, grünes Gift in den Augen.
„Könnten Sie mir den Ankauf des Häuschens empfehlen? Wird es billig zu haben sein?”
„Schau, dass d’ weiterkommst, oder ich lass dir die Därm’ aussi!” zischte es jetzt unheimlich drüben aus den zahnlosen Kiefern unter den weissen Schnurrbartborsten.
„Mathilde — was lässt er?” fragte der Rechnungsrat begriffsstutzig seine Gattin.
„Ihnen Ihre Därm’!” belehrte ein dicker, fröhlicher Mann mit einem mächtigen Gamsbart auf dem Hütl, der daneben stand. „Wissen’s: das ist so eine persönliche Ausdrucksweise bei uns, bald einem etwas nicht recht ist. Der Simmerl ist halt ein Gradaus! Ich tät’ an Ihrer Stelle aber doch gehen, ehe er sein Brotmesser hinten vorlangt!”
„Otto — um Gottes willen — komm!” Das Ehepaar flüchtete im Lauf- und Trippelschritt. Erst ganz fern wagten sie stehen zu bleiben und sich umzuschauen. Der dicke Mann mit dem roten Gesicht lachte und klopfte dem Alten auf den krummen Buckel.
„So ist’s recht, Simmerl! Begehr’ auf! Lass dir net alles bieten!”
„Was soll ich dann tun, Kreuzpointner? Was kann ich dann machen gegen die Grosskopfeten alle — ein armes, altes Manderl wie ich?”
„Wir Gütler stellen uns hinter dich!” meinte der Kreuzpointner, und plötzlich veränderte sich sein blühendes, gutmütiges Gesicht: es bekam einen ganz gefährlichen Ausdruck. „Wir leiden’s nicht, dass dir die G’wappelten dein Häusel wegnehmen. Ich sag’ dir’s: es rumort gewaltig in Stoissham, nach Pfaffing hin und weiter im Land . . .”
„Wann’s was helfen tät’!” seufzte der Simmerl.
„Ich bin ein heisser Mann! Dafür kennt mich an jeder! Sie dürfen morgen in Pfaffing was erleben, wann sie’s zur Versteigerung kommen lassen wollen. Ich bring’ die Bauern in Schwung. Dein Beni da — der ist für so was zu langweilig!”
Der Sohn des Simmerl, der Beni, der sich bekümmert heranschob, war freilich ein Langsamer. Ein Bedächtiger. Man sah es seinem treuherzigen, blondschnurrbärtigen Gesicht an: was der Beni anfasst, das macht er recht. Aber Zeit musst ihm lassen. Sonst ist’s gefehlt. Wird auch nimmer anders, der Beni, mit seinen bald dreissig Jahren.
Des Simmerl-Beni stämmige, untersetzte Gestalt stak in einem städtischen Gewand. Gehört sich so, wann einer Hausdiener in dem Pilgergasthof vom Sebastian Marchl in dem heiligen Alt-Ötting ist und nur gerade für den Unglückstag morgen frei bekommen hat.
Er drückte den Eltern stumm die Hand. Wozu noch viel reden? Das Wasser stand ihm in den gutmütigen blauen Augen. In vierzehn Tagen wär’ man ein Hochzeiter, und der Pfarrer tät’s von der Kanzel allen ausdeutschen, dass der ehrengeachtete Jüngling Benediktus Simmerl vor den Traualtar tritt. Und jetzt ist alles zum Teifi — für ihn und für die Afra!
Die Afra Suppenmoser, seine Braut, stand neben ihm, mit einem verweinten, zarten, dunkeläugigen Gesicht, dicke, dunkle Flechten nach guter alter Art um das schmale Köpfchen, recht ein Dirndl aus den Bergen, aus St. Josef in der Öd — den fernen Bergen, aus denen nichts mehr an Juhu und Zitherklang, an Schnadahüpfeln und Schuhplattlergestampf in die riesigen, weithin weiss über das oberbayrische Städtchen qualmenden Stickstoffwerke von Trostberg wehte, in denen sie, die Afra, arbeitete, gerad’ nur, um dem Beni in dem langen Brautstand nah zu sein.
„Schaut’s nur all die Leut’ beisammen!” sprach ihr Verlobter hilflos, und seinen Vater, den Filzensimmerl, packte die Wut. Er lief knickebeinig, mit geballten Fäusten auf die nächste Gruppe zu und keuchte einem vierschrötigen Jungkerl ins Gesicht.
„Was bist? Ein Stallschweizer bist — mit deiner Freundschaft um dich rundumadum? Steigern willst? Ich rat’ dir: lass das unterwegens! Das Gütl taugt eh’ nix! Der Boden hat kein Schmalz! Ich muss dasselbige ja wissen. Mir gehört’s doch!” Der Alte überhastete die Worte, um sein Gütl, sein liebes Gütl, schlecht zu machen. „Da derfst lang düngen! Wann das Grundwasser steigt, laugt’s dir sauber wieder alles aus!”
Jetzt bekam auch der Beni Schneid und rannte auf ein paar Männer los, die hinten beim Häusl neugierig in den kleinen Kuhstall guckten.
„Ihr Viehschmuser, ihr! Wir werden net alt miteinand! Die Viecher — die bleiben im Stall! Da stell’ ich mich morgen davor! Schaut’s, dass ihr weiterkommt — ihr Kaschperle — ihr verdächtigen!”
„Lassen wir den saugroben Lackl!” Die Viehmakler trollten sich. Weiter in den Wiesen faltete die Simmerl-Theres die zitternden, gichtigen Knochenfinger vor einem Heuhändler.
„Steh’ dir doch net die Haxen in den Bauch! Habt’s doch ein Mitleid. Lasst uns doch unser Häusl!”
Und selbst die sanfte, kleine Afra schrie mit ihrer klagenden Kinderstimme den Jüngling an, der durch einen Zwicker das Moor prüfte und sich Notizen machte:
„Ein Agent für Prestorf sind’s? Ja — schamen’s Ihnen denn gar nicht, den Leuten das Letzte zu nehmen?”
„Lassen wir halt den alten Deppen, dem wo der Kalk schon im G’hirn raschelt!” sprach, mit einem Blick auf den Simmerl, drüben der Stallschweizer zu seinem Anhang und ging. Es war keinem wohl bei dem Geschrei und Gejammer der Simmerl-Leut’! Da biss einen was! Leicht kein Floh, sondern ein Stückel schlechtes Gewissen. Einer nach dem anderen machte sich still auf den Heimweg. Die Wiesen wurden leer. Der Simmerl wischte sich mit dem Handrücken den Zornschweiss von der Stirn und nickte:
„Für heut’ sind wir sie los!”
„Ist noch nicht Abend!” sprach dumpf der Beni.
Und da fragte auch schon gleichzeitig, eine Viertelstunde von dem Gütl entfernt, ein, für seine dreissig Jahre bereits etwas dicklicher, junger Herr in einem grellkarierten Ulster und modischen Münchner Schlapphut in gönnerhaftem Ton:
„Du — Mirzl — oder wie du heisst — sind wir hier recht beim Simmerl?” Zu seinem Begleiter, einem schon älteren Herrn, mit einem feinen, nervösen Gesicht, in Lodenmantel, Lodenhütl und Galoschen: „Das kann doch nicht stimmen, Baron!”
Nein. Da war kein weissgetünchtes, langgestrecktes Bauernanwesen mit Dunghaufen und Tennenauffahrt. Es stand hier ein schmuckes, braungestrichenes, untermauertes, norwegisches Holzhaus und seitwärts ein kleiner Nebenbau, der den Eingang zu einem, hoch mit Drahtgitter umzäunten Geflügelhof bewachte. Da drinnen wimmelte und gackerte es vor den niederen Holzställen von ein paar hundert rebhuhnfarbenen Hühnern. Die Magd, die der junge Herr gefragt hatte, war mit dem Ausreiben von Futternäpfen beschäftigt. Es fiel ihm auf, dass sie dabei alte Lederhandschuhe trug — so eine Mollen, um die Hände zu schonen! — ferner Holzpantinen gegen den Schlamm des Federviehhofs und eine mächtige, blaue Schürze. Sie hob den blossen, braunen Kopf. Er sah in das frische, hübsche, gebildete Gesicht einer Städterin — das war schon etwas Besseres — ein Gesicht zu Ende der Zwanzig, gesund gebräunt, mit lebhaften, braunen Augen.
„Da sind Sie von Stoissham umgegangen!” sagte sie. „Das hier ist die Hühnerfarm Erika.”
Der junge Mann hörte das reine, helle Norddeutsch. Er spürte so etwas Damenhaftes, Kühles. Ein breites, verlegenes Lächeln lief über seine, ein wenig gedunsenen, verwähnten, glattrasierten Züge mit den trägen, kleinen, dunklen Augen.
„Da bin ich ausgerutscht!” sagte er gemütlich in lässigem Münchnerisch. „Ich muss meine Entschuldigung machen, Fräulein Farmerin, oder wie darf ich sagen? Ihnen gehört sie doch sicher, die schöne Farm Erika?”
„Ja.”
„Und heisst die, wenn ich dumm fragen darf, nach Ihnen Erika?”
„Sie sehen doch rings das Heidekraut! Zum Simmerl müssen Sie jetzt da links quer über das Feld!”
Der dicke, junge Herr aus München liess den Blick sinnend über den Geflügelhof schweifen. Er trug einen mächtigen Siegelring, einen flimmernden Diamanten als Busennadel und einen dicken Goldgriff an dem Bambus-Spazierstock.
„Das hier bewirtschaften’s alles allein, Fräulein?” fragte er in seiner weichlich-trägen Art. „Ohne ein Mannsbild? Ach geh!”
„Das trägt’s nicht! Wollen Sie Eier kaufen? Oder fette Suppenhennen? Sonst bitte . . .’
„Mutti . . . Mutti!” Ein achtjähriges Mädelchen im Dirndlkleidchen, mit zwei Rattenschwänzchen von Zöpfen und blossen Beinchen in Haferlschuhen, sprang aus dem Blockhaus. Ein Bub, ein Jahr älter, in grauer Hirschhornjoppe, kurzen Lederbuxen und blossen Knien hinterher. „Es geht auf die Nacht. Wir müssen die Eier suchen!”
„Jesses — Kinder haben’s auch noch!” sprach der junge Münchner ergriffen.
„Adieu!”
„Na — wenn Sie nix von mir wissen wollen — no ja — das is halt das harbe Norddeutsche — das kennt man schon! Dank’ schön! Hab’ die Ehre, gnä’ Frau!”
Der Fremde stiefelte durch die Streuwiesen davon, ohne sich um seinen Begleiter zu kümmern. Dieser trat geheimnisvoll auf die junge Frau zu. Sie war aufgestanden und schaute, mittelgross, schlank gewachsen, mit ruhiger Sicherheit auf den unscheinbaren, nervösen Herrn im schlichten Lodenmantel vor ihr, der trotz alledem etwas Verwittert-Vornehmes an sich hatte.
„Ich muss die Gelegenheit wahrnehmen, gnädige Frau! Ich tue das in jedem Falle. Bin nämlich Gütervermittler. Darf ich Ihnen meine Karte überreichen? Baron Erwin von Pfeidt zum Sand. Ich berate jetzt soeben den Herrn Kürbl aus München da. Er will das Simmerl-Anwesen erstehen!”
„Ja, bitte . . .”
„Gnädige Frau . . .” Der Agent faltete beschwörend die Hände unter dem Kinn. „Wenn Sie die Hühnerfarm loswerden wollen, dann denken Sie an mich: Sie können sie auf die Dauer nicht halten!”
„Ich hab’ sie schon über ein Jahr!” Die junge Frau nickte ihm belustigt zu. Es war ein zwinkern in ihren glänzenden, braunen Augen: ,Den Schwindel kennen wir!‘
„Ich bin doch Fachmann in Grundstücken! Wie viele sind schon mit ihrer Hühnerzüchterei mit Schuh’ und Strümpfen pleite gegangen!”
„Weil sie falsch gespart haben!” Die klaren Züge der jungen Farmerin belebten sich im Eifer des Fachgesprächs. „Wenn man natürlich Fischmehl füttert, wird das Dotter eine weissgelbe Brühe! Und sofern man die grosse Mode mit den weissen Leghorns mitmacht — die sieht natürlich der Habicht auf zwei Meilen!” Ihr Antlitz war sachlich entschlossen. „Ich bleibe bei den rebhuhnfarbenen Italienern und bei dem freien Auslauf. Die ganzen Filzen, bis zu der einzelnen Kiefer drüben, habe ich für ein Spottgeld gepachtet!”
„Trotzdem . . .” rief der Agent verzweifelt.
„Ausserdem, wenn es Sie schon interessiert, beziehe ich eine Pension als Hauptmannswitwe!”
Der Baron Pfeidt rechnete blitzschnell im Kopf.
„Dann schaffen Sie’s vielleicht, gnädige Frau!” sprach er. „Aber allenfalls — bitte schön, gnädige Frau: darf ich mir wenigstens Ihren Namen in mein Büchel schreiben?”
„Wenn Ihnen der Name Gertrud Hellwig etwas sagt. . . Und nun laufen Sie, dass Sie Ihren Herrn nicht verlieren!” Sie drehte sich um. „Kinder — kommt! Ich hab’ so ein paar Hennen im Verdacht!”
Es gab Hühner, die heimlich da draussen statt im Stall legten, ganze Nester voll Eier, die man retten musste, ehe Krähe und Wiesel das Tischleindeckdich lobten. Die junge Frau und die beiden Kinder gingen suchend, den Blick am Boden, durch das kurzgemähte Riedgras. Das Mädelchen fragte:
„Mutti — dürfen wir jeden Monat das Geld holen, weil der Pappi weg ist?”
„Ja — Lütte!”
„Mutti — kommt der Pappi nicht einmal wieder?”
„Nein, Kind: der Pappi kommt nicht wieder!”
Nach einer Weile:
„Mutti — hat mich der Pappi wirklich niemals gesehen?”
„Nein — Lütte! Der Pappi hat dich nicht mehr gekannt.”
„Und ich werde den Pappi auch nie sehen?”
„Wenn du ganz lang, lang gelebt hast, dann wirst du ihn sehen! Da, wo der Pappi jetzt ist!”
„Mutti, muss ich da nach Frankreich?”
„Nein!”
„Du sagst doch immer, der Pappi liegt in Frankreich begraben?”
„Ach — sei still, Lütte! Du tust mir weh!”
Von der anderen Seite zupfte der Hansel:
„Mutti — wer war denn der dicke Herr, mit dem du vorhin gesprochen hast?”
„Ich weiss es nicht, und es interessiert mich auch nicht!” sagte Gertrud Hellwig. „Er hat gutmütig ausgeschaut, wie so ein rechter Münchner. Aber trauen tät’ ich dem doch nicht über den Weg!”
„Jetzt hat ihn der andere eingeholt!” Der Hansel streckte den Zeigefinger aus. „Ganz dahinten gehen sie beisammen!”
Also da wollen Sie sich wirklich eine Fuchsfarm einrichten, Herr Kürbl?” meinte auf dem Weg zum Simmerl der Agent.
„Keine Silberfüchs’!” sagte der junge Mann. „Da darfst gleich achttausend Markln für ein Zuchtpaar hinlegen und weisst noch nicht, ob du je zum Abpelzen von Jungfüchsen kommst. Da spekulier’ ich schon selbst lieber an der Börs’! Nein: Sumpfbiber werden da eingesetzt! So einer ist billig. Aber das haben’s mich jetzt schon ein paarmal gefragt, Baron!”
„Ich meine nur: wo Sie die Zeit hernehmen werden, bei Ihren häufigen Reisen nach dem Balkan . . .”
„Die Firma Kürbl dort gehört meinem Vater und nicht mir! Das hab’ ich Ihnen auch schon zwei-, dreimal gesagt!”
„Aber Sie gehen Ihrem Vater doch zur Hand bei dem Holzexport nach Deutschland?”
„Wenn ich halt gerad’ mag! Es ist kein Vergnügen für einen Münchner, mitten zwischen den Schlawinern!”
„Das glaub’ ich gern!”
„Wann ich kann, druck’ ich mich nach München und leb’ da als Privatmann. Ist schon zünftiger, wann man seine Spezis da hat und mal a Gschpusi!” Der Herr Kürbl blieb stehen und stiess den anderen pfiffig in die Seite. „Wissen’s: wann man da mal was Besseres hat — wissen’s: eine Dame — dann ist solch ein verschwiegenes Häusl draussen in der Öd’ gerad’ recht! Das ist der Hauptgrund, weshalb ich’s kaufen möcht’! Die Pelztiere — das sind bloss die Tugendwächter.”
„Und durch den Übergang dieser ehemals ungarischen Waldungen in Jugoslawien sind wohl auch manche Schwierigkeiten entstanden?” forschte nach kurzem Schweigen unvermittelt der Agent.
„Herrgott — ja freilich!” Der junge Mann wurde ärgerlich. „Warum fragen Sie mir denn heut’ eigentlich ein Loch in den Leib, Baron? Lassen Sie doch die faden Hölzer! Was geht denn das Sie an! . . . Aha . . .” Er machte halt. „Da ist’s beim Simmerl! . . . Ah — da schau her! Das lass ich mir schon gefallen!”
Die beiden standen zwischen Herbstfäden und den letzten Astern und verrotteten Dungstücken auf der leeren Wiese vor dem Gütl und musterten es prüfend. Die Bauersleut’ waren drinnen im Haus. Der Simmerl-Vater warf durch das kleine Fenster einen unheimlichen Blick auf die zwei Schildwachen draussen vor seinem Hab und Gut, murmelte etwas in die zahnlosen Kiefer, rappelte sich von der Ofenbank und winkte dem Beni, ihm zu folgen. Er humpelte ihm voraus in die Holzlege hinter dem Anwesen. Dort standen die mächtigen, viereckigen Grabscheite, die man zum Abstechen des Torfs brauchte. Mit ihnen bewaffneten sich Vater und Sohn und traten vor das Haus. Der Alte schwang den Spaten mit einer Kraft in den Armmuskeln, die der verhutzelte und bucklige, kleine Körper infolge jahrzehntelanger Gewohnheit noch hergab.
„Fort, ihr Sauköpf’!” keuchte er. „Ich sag’s mit allem Anstand, eh’ dass ich deutlich werd’!”
Im nächsten Augenblick flüchtete der Güteragent, auf den es der Beni abgesehen hatte, keuchend über die Wiesen. Er kümmerte sich nicht darum, dass ihm eine Galosche in einem Sumpfloch stecken blieb. Er legte hundert Laufschritte zwischen sich und Vater und Sohn dort drüben. Der Wind wehte ihm um die Ohren, und im Rauschen vernahm er von fern die laute, phlegmatische Stimme seines Kunden, des Herrn Liborius Kürbl, Privatmann aus München.
„Wohin denn, Baron? Schenken’s uns doch weiter die Ehr’!”
Der nervöse, ältliche, vom Leben schon hart mitgenommene Herr von Pfeidt wagte es, sich umzudrehen. Gleich darauf klemmte er sich, ungläubig den Zwicker in das scharfgeschnittene, aristokratische Gesicht.
Der Beni drüben — hatte, nach seiner Gemütsart, nachdem sein Widersacher vertrieben war, den Grabstichel an die Hauswand gelehnt. Aber sein Vater, der Filzensimmerl, stand, den riesigen Spaten, dessen Wucht durch den Filzhut hindurch die Kopfschwarte bis auf die Knochenhaut und tiefer spalten konnte, in den erhobenen, mächtigen Arbeitsfäusten, und vor ihm befand sich völlig gleichgültig, die Hände in den Manteltaschen, die Zigarre schief im Mundwinkel, der aus München.
Auf seinem verwöhnten, weichlichen Gesicht regte sich nichts. Nur in den kleinen, dunklen Augen war ein kalter, fast grausamer Schein, mit dem er den alten Gütler vor sich richtig lähmte.
„Benehmen Sie sich nicht so deliktisch, Herr Nachbar!” sagte er zu ihm. „Was schaffen’s denn auf Ihre alten Täg’ im Zuchthaus? Und wie wollen Sie sich einmal vorm Herrgott rechtfertigen, dass Sie einen guten, christkatholischen Mitmenschen für nix und wieder nix umgebracht haben? Das wär’ im Jenseits schon inkommod für Sie! Also seien’s stad!”
Langsam, hilflos liess der Alte den Spaten sinken. Es zitterte wie ein Greinen um seine eingefallenen Lippen. Der andere betrachtete ihn kaltblütig.
„Also ich steiger’ morgen das Häusel ein”, rief er laut und seelenruhig zu dem Agenten hinüber. „Gleich, was es kostet! Gute Nacht beisammen, ihr Leut’! . . . Was machen Sie denn für ein Gesicht, Baron?”
„. . . wo Sie eben knapp dem Tod entgangen sind!” Herr von Pfeidt schluckte noch in der Erinnerung.
„Dass ich nicht lach’!” Der Liborius Kürbl aus München blieb stehen und zündete sich eine neue Zigarre an. „Man muss bloss dem anderen in die Augen sehen. Da spannt man leicht, ob so ein ungeübter Mensch wirklich zuschlagen will. Hätt’ ich immer noch ihn anspringen können, und der Schlag wäre über mich weg hinten ’raus gegangen. Aber jetzt dürfen wir schauen, dass wir nach Stoissham kommen. Ich hab’ einen Mordshunger!”
Die Dorfschenke „Zum Alten Wirt” war eine rechte ländliche. Schon ganz einfach. Die schwarze, junge Wirtsmarei wollte den beiden Herrischen aus München einen Tisch in der einzigen Gaststube richten. Da schlurfte der Ägid, der Wirt, selbst heran. Er raunte:
„Ich hab’ ja Stuben oben! Lassen’s Ihnen lieber von der Marei die Kalbshaxen und ’s Bier da ’nauf bringen! Warum? Ja schauen’s doch, wie die Leut’ von allen Tischen auf Sie hergucken! Da hockt der Kreuzpointner mit seinem Anhang — und da drüben der Bacherlvater — hat weisse Haar’ — aber trau’ einer dem alten Haberer — und dort — wissen’s: Sie haben schon am Nachmittag im Dorf gesagt, morgen um die Zeit gehörte das Simmerl-Anwesen unter allen Umständen Ihnen!”
„Wird es auch!” sprach Liborius Kürbl. „Da schaut’s her!”
Er zog eine Brieftasche heraus und klappte sie auf. Da staken die Tausendmarkscheine nur so übereinander. Es war ein tiefes Schweigen in der Gaststube, während der dicke, junge Herr aus München seinen Schatz wieder in der Brusttasche verstaute. Die hübsche Wirtsmarei glotzte, die Hände über der Schürze gefaltet, mit offenem Mund und grossen, schwarzen Augen, und der Ägid, der Wirt, murmelte erschrocken:
„Ja — sind’s dann narrisch, so viel Geld zu zeigen — hier in der Öd?”
„. . . gerad’, damit ein jeder hier weiss, mit wem er es zu tun hat!” sagte der Herr Kürbl. Der Wirt wandte sich an den Tisch voll verwetterter, gebräunter Bauernköpfe in der Ecke.
„Der Herr hat recht, dass er zeigt, wie dick dass er wattiert ist! Der bringt Geld ins Dorf! Dös is an seltener Herr!”
Aber die stummen Blicke drüben blieben gefährlich. Der Güteragent, der seine Bauern kannte, zog behutsam seinen Kunden die steile, wurmstichige Treppe hinauf in die Fremdenstube oben, in der auf den Holzdielen die Äpfel ausgebreitet lagen und in dem muffigen Himmelbett eine schwarze Katze ihre Jungen betreute.
„Es ist mir auch offengestanden lieber, wenn wir ungestört sind!” sagte er. „Sie wissen, Herr Kürbl: ich geniesse seit so manchen Jahren den Ruf eines ungewöhnlich gewissenhaften Grundstücksvermittlers . . .”
„. . . da feit sie nix!” nickte Liborius Kürbl gönnerhaft.
„. . . und ich möchte noch einmal mit Ihnen ein paar Worte im Vertrauen sprechen!”
Das Gespräch dauerte eine halbe Stunde. Dann ging der Agent zur Tür.
„Gut also! Sie haben mich beruhigt, Herr Kürbl! Unten steht mein Wagen. Wir wollen schauen, dass wir vor Abend nach Pfaffing in ein halbwegs menschliches Quartier kommen!”
„Ich bleib’ hier!” Der Münchner streichelte die Katze im Himmelbett.
„Sie wollen doch nicht hier in der Flohkiste übernachten?”
„Warum nicht? Flöh’, Wanzen und Läus’ — das sind für mich Haustiere — vom Balkan her!”
„Aber bei der feindseligen Stimmung der Bevölkerung . . .”
„Ja gerad’, Baron! Wissen’s: ich bin ein Phlegmatikus und reg’ mich nicht leicht auf. Aber Furcht — nein — das gibt’s bei mir nicht!”
„Das hab’ ich schon gemerkt!”
„Und das sollen hier die Leute auch gleich im voraus von mir wissen, wenn ich künftig zeitweis’ in ihrer Mitte leben will! Mir fährt keiner an den Wagen!”
„Na schön!” Der Agent zuckte die Achseln. „Um zehn Uhr ist morgen der Termin. Ich hole Sie gegen neun mit meinem Auto hier ab!”
„Ist nicht nötig! Ich geh’ die halbe Stunde von dem Rammelnest hier bis Pfaffing leicht zu Fuss!”
„Durch den Wald? Kein Mensch jetzt draussen in der Nähe? Wo Sie eben das Sündengeld gezeigt haben? Das spricht sich ja ’rum wie ein Lauffeuer!”