Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wie gelang die Rettung Wiens vor dem Osmanischen Reich? Als im Frühjahr 1683 in der ägyptischen Hafenstadt Rosetta die Schiffe zweier venezianischer Kaufleute beschlagnahmt werden, stehen alle Zeichen auf Krieg: Das Osmanische Reich plant, das christliche Abendland zurückzudrängen und den Kaiser von Wien zu stürzen. Der Herrscher Rosettas hält seit geraumer Zeit einen Malteserritter, Adrian von Rimburg, gefangen, der einen Brief an den venezianischen Dogen ins Lateinische übersetzen soll. Doch der Ritter ist in zweierlei Hinsicht in Lebensgefahr und gelangt nur mit Hilfe der verheimlichten Tochter Bassas zum Hafen. Wird er es von dort aus in die Freiheit schaffen? -
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 355
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Rudolf Stratz
Saga
Rettet Wien! Roman aus der Zeit der Türkenbelagerung 1683Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1936, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507414
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Es war an einem Frühlingstag des Jahres 1683 viel Getümmel und Geschrei bunten morgenländischen Volks im Hafen von Rosetta in Ägypten. Der geflügelte Markuslöwe wehte von den Masten der mächtigen venetianischen Handelsgaleeren, die da ankerten, und auf dem Ufer standen erbittert und hochmütig, in kostbaren Pelzmützen und Pelzschauben die Kaufherren und Edelherren der Lagunenstadt vor der tobenden Masse der Turbane.
„Was fällt euch bei, mitten im Frieden Schiffe der Republik Venedig wegzunehmen?“
„Alle Segler in allen Häfen des Osmanenreichs, in Europa, in Asien, in Afrika werden beschlagnahmt!“
„Mit welchem Recht?“
„Weil wir sie brauchen!“
„Wozu?“
„Das wisst ihr!“ Der wild-schnurrbärtige Aga der Mamelucken trat, die Hand am Krummsäbel, aus der Mitte seiner Moslem. Kriegerisch wie eine Sturmfahne flatterte im Seewind der Hinterzipfel seiner hoben, silbergestickten Mütze. „Der Kalif ruft alles, was im Islam Waffen tragen kann, nach Konstantinopel!“
„Und ehe der Nil wieder steigt, wird der Sitz des Kalifen nicht mehr in Konstantinopel sein!“ schrie es frohlockend aus dem himmelblauen Gewoge der Mamelucken, „sondern in der Hauptstadt der Ungläubigen!“
„In Wien!“ Der Aga riss glühenden Auges sein Schwert halb aus der Scheide. „Die Zeiten erfüllen sich, von denen der Prophet — Lob ihm! — verheisst: ,Die Ungläubigen werde ich peinigen mit schwerer Pein!‘ Was in drei Erdteilen zu Allah betet, zieht gegen Wien!“
„Der Kaiser des Abendlands wird entthront!“
„Sein Dom in Wien wird zur Moschee!“
„Alle Christen werden ausgerottet!“
„Schiffe! Schiffe nach Konstantinopel!“ brüllte es und wehte heiss wie Atem aus Raubtierrachen in die braunen Gesichter der Venetianer. Ein grellgelb gekleideter, blauschwarzer Mohr watschelte dick wie eine Tonne durch das Gewühl und krähte mit Fistelstimme:
„Ferat Bassa befiehlt die Venetianer vor sein Angesicht!“
„Ich höre und gehorche“, sprach der Aga zu dem Obereunuchen des Statthalters von Rosetta. Seine blauen Krieger umringten die Christen, um sie vor dem wütenden Ameisengewimmel des Volks in dem engen Gassengewirr zu schützen. Scheu wich alles zur Seite. Wer einen Mamelucken auch nur unsanft berührte, war sofort des Todes. So erreichte der Zug das weisse Zinnenschloss des Bassa auf dem Hügel.
Ferat Bassa, der Herr über Stadt und Hafen, hockte in einem zimmtfarbenen Seidenkaftan mit gekreuzten Beinen auf dem Divan. Vor seinen schon greisen Augen flimmerten durch die offenen Fenster des grossen Saals die flachen weissen Dächer in der heissen Mittagssonne und grünten die Palmen- und Orangen- und Zitronengärten an den breiten, grauen Schlammufern des niedrigen Nils und blaute draussen endlos das Mittelmeer. Neben ihm sass, in einem weiten schneeweissen Gewand, sein Sohn, ein siebzehnjähriger Jüngling mit grossen dunklen Augen in einem schönen, bräunlichen, weichgeschnittenen Gesicht. Ein Neger fächelte von hinten mit einem Pfauenwedel den beiden weissen Turbanen Kühlung.
Der Bassa hob in schläfrigem Dünkel das Haupt zu den vor ihm stehenden venetianischen Edeln, die in ebenso kühlem Stolz auf ihn herabschauten.
„Eure Schiffe bleiben beschlagnahmt!“ sprach er leidenschaftslos auf Türkisch, und der Dolmetscher, der, die Arme über der Brust gekreuzt, in unterwürfiger Haltung neben ihm stand, übertrug es in das Italieniche. „Euch selbst steht die Heimkehr in euer Land auf einem französischen Segler frei!“
Die Herren aus Venedig blickten hinab auf das Raaengewirr des Hafens. Da, wo der Markuslöwe und das Kreuz von Genua, der Löwe von Brügge, die drei Fackeln von Sevilla als Wimpel an den Masten wehten, da war der Kai so blau wie die See von Mamelucken. Aber die dazwischen ankernden Kauffahrteifahrer, die die drei Lilien der Bourbonen in der Flagge führten, träumten still und unbehelligt in der Sonne.
„Und warum vergreift ihr euch nicht auch an den französischen Schiffen?“
„Ihr Christen alle seid unsere Feinde!“ Der Bassa wandte seinen schon silberweissen Bart nach dem schönen Jüngling an seiner Seite. „Mein Sohn Emin hier ist der Jüngste und Letzte. Seine sechs Brüder sind im Kampf gegen euch geblieben!“
„Auch die Franzosen sind Christen!“
„Aber sie sind die einzigen unter euch, die allem nicht feind sind, was aus Asien und aus Afrika nach Europa kommt!“ sprach der Bassa. „Zum Dank schonen wir ihre Schiffe!“
„Und was sollen wir daheim sagen, wenn wir ohne unsere Schiffe zurückehren? Der Rat von Venedig lässt nicht mit sich spassen!“
„Ich werde euch einen geheimen versiegelten Brief an die Republik Venedig mitgeben. Im Namen des Sultans von Ägypten, des Vasallen des Kalifen in Konstantinopel. Darum liess ich euch rufen. Lasset den Dogen allein den Brief lesen!“
„Der Doge versteht kein Türkisch!“
„Der Brief wird lateinisch geschrieben sein, wie es zwischen uns und den Christen Brauch ist. Ich habe seit Jahr und Tag hier in der Festung einen gefangenen Malteserritter, der der lateinischen Sprache kundig ist. Holt ihn herbei!“ Der Bassa befahl es dem Fächersklaven hinter ihm und verabschiedete mit einer flüchtigen Handbewegung an die Brust die Venetianer. Erst als sie schon auf der Schwelle waren, wachte auch sein junger Sohn aus seiner Traumverlorenheit auf und führte die schmale Rechte mechanisch an Stirn und Brust.
„Kennst du den Malteser?“ frug, als die beiden allein waren, der Vater den Sohn. Der Jüngling schaute träumerisch hinaus auf das flammende blaue Mittelmeer.
„Er arbeitet ja tagsüber im Garten!“ sagte er. „Ich habe ihn oft gesehen.“
Die schweren Türvorhänge schlugen auseinander. Der Gefangene trat ein, in einem raschen und federnden Gang der blossen braunen Füsse unter dem verschwitzten und verschmutzten Kamelbaarkittel, der plump bis zu den Knien die sehnige Magerkeit seines Körpers umschlotterte. Zwei lange verharschte Narben kreuzten sich ihm von den Kämpfen im Mittelmeer auf der von Sonnenbrand nussbraunen Stirne. Zu deren beiden Zeiten fiel ihm dunkles Haar in langen Strähnen bis über die Schultern. Das war das Zeichen aller Edeln in Europa. Aber wenn dort die Freien ihren Spitzbart pflegten, überwucherte ihm hier der Bart das Antlitz als wirre Wildnis, aus der nur heissblütig die dunklen Augen flackerten, und liessen ihn auf den ersten Blick älter erscheinen, als seine dreissig und etlichen Jahre. Der Ritter zeigte nichts von der Unterwürfigkeit der schwarzen Sklaven, die ihn hergeführt hatten und auf einen Kopfwink ihres Herrn auf lautlosen Sohlen aus dem Saal huschten. Er stand in einer freien, fast verächtlichen Haltung, das Haupt im Nacken, vor dem Bassa und sah ihm fest ins Auge.
„Wie kommt es, dass du Latein verstehst?“
„Ich wollte als Knabe Mönch werden und wurde in einem Christenkloster erzogen!“
„Wo war das?“
„In einem fernen Land, weit von hier, fliesst ein Fluss, so breit wie der Nil im Frühjahr. Er heisst der Rhein. An ihm steht die Burg meines Geschlechts, nach der ich den Namen Rimburg führe.“
„Wie aber kamst du aus dem Kloster der Ungläubigen in die Welt?“
„Ich verliess es als Jüngling und habe in Städten, die Ihr nicht kennt — in Strassburg, in Bologna —, den Wissenschaften obgelegen.“ Der Ritter von Rimburg sprach, dank seiner langen Gefangenschaft, türkisch mit dem Bassa. „In Rom überkam mich der Drang, mit dem Schwert für den wahren Glauben zu kämpfén!“
„Für den falschen Glauben, du Hund!“
„Für den wahren! Für den wahren!“
„Herr Vater! Was liegt daran, was ein Christ spricht!“ rief verächtlich, mit noch knabenhaft heller Stimme der junge Emin. Aber der Bassa lüftete mühsam die steifen Knochen vom Divan. Er riss zitterig den Damaszenerjäbel aus der Scheide.
„Sage das noch einmal und du bist des Todes!“
„Zum drittenmal: für den wahren Glauben! Schlag zu!“
Der Ritter von Rimburg stand aufrecht, die Arme über der Brust gekreuzt, kaltblütig gefasst. Er zuckte mit keiner Wimper. Es wetterleuchtete nur leidenschaftlich in seinen dunklen Augen. Der schöne Jüngling Emin war hastig, in flatterndem weissen Gewand, aus seinem Kreuzsitz aufgeschnellt. Er stellte sich mit drei Sprüngen zwischen den Gefangenen und den Bassa.
„Willst du den Boden mit Christenblut beschmutzen?“ sprach er vorwurfsvoll.
Der Bassa erwiderte nichts. Er setzte sich wieder hin. Er strich sich finster den weissen Bart.
„Du wurdest ein Malteser?“ frug er feindselig.
„Nur ein weltlicher Ritter vom Succurs. Ein freiwilliger Kämpfer auf Zeit!“
„. . . und wurdest gefangen?“
„Der General unserer Galeere lag verwundet auf Deck eures geenterten Schiffs. Wir konnten uns dort nicht halten. Ich deckte mit der Klinge seine Rettung zu uns hinüber. Inzwischen löste sich Bord von Bord. Ich blieb allein bei euch zurück.“
„Diese selbe Galeere und dieser selbe Kapitän . . . Wer war es damals?“
„Mein Freund, ein deutscher Ritter!“
„Dieses selbe Schiff kreuzt seit Neumond auf hoher See vor Rosetta.“ Es war ein Lauern in der brüchigen Stimme des Bassa. „Was hat das zu bedeuten?“
„Wie soll ich, ein Gefangener, das wissen?“
„Ja. Wie sollst du das wissen?“ Der Greis zog eine Papyrusrolle aus den gelbseidenen Falten seiner Leibschärpe und reichte sie dem Malteser. „Setze dich auf den Boden vor dem Perlmuttertischchen nieder, nimm die Geierfeder, die da liegt, und übersetze in Latein, was da türkisch geschrieben steht!“
„Der Ungläubige ahnt nicht, dass es ein Staatsgeschäft von höchster Wichtigkeit ist, das er da überträgt“, sagte leise, während drüben der Federkiel kratzte, der Bassa zu seinem Sohn. „Der Name der Republik Venedig, der wir einen geheimen Frieden anbieten, während wir das Reich des Christenkaisers überschwemmen, ist nirgends genannt! Nun — bist du fertig?“
„Hier ist der lateinische Brief!“ Der Ritter im Bart lachte spöttisch, indes er seine mittelgrosse schlanke Gestalt vom Boden erhob. „Aber die Venetianer werden seine Fetzen in die Lagune werfen!“
„Woher weisst du . . .?“ Der Bassa beugte sich kurzatmig und wutzitternd vor.
„. . . dass dieser Brief dem Dogen gilt . . .?“
„Es steht kein Wort davon in dem Brief!“
„Es ist nicht schwer zu erraten, wenn man euch und das Mittelmeer kennt!“
„Die Venetianer sind unsere Feinde! Wir haben nichts mit ihnen gemein!“
„Waren nicht eben noch die venetianischen Kauffahrer bei Euch? Ich sah sie, als ich im Garten arbeitete.“
„Allah weiss, was sie hier wollten! Du nicht!“
„Sie kamen an mir vorbei, als ich hierher geführt wurde. Ich verstehe Italienisch. Der eine sagte zum andern: Schade, dass wir das lateinische Schreiben versiegelt überbringen müssen!“
Der Bassa Ferat ballte die Faust und schwieg. Sein Gefangener hob feierlich die Hand.
„Aber dieses Schreiben wird nicht mehr sein als ein Kamelfladen, den das Lagerfeuer frisst. Die ganze Christenheit werdet ihr kampfbereit zwischen euch und Wien finden — die Deutschen — die Polen — die Franzosen!“
„Nicht die Franzosen!“
„Auch sie, wenn sie erst ganz erkannt haben, welche Gefahr dem Glauben droht.“
„Dem Unglauben!“
„Christus in Ewigkeit!“
Wieder entblösste der greise Bassa grimmig zur Hälfte den Säbel. Wieder die sanfte Stimme seines Sohnes.
„Herr Vater: diese Klinge ist wohl so scharf, dass sie ein Frauenhaar in der Luft zerschneidet. Aber in Eurer Hand wird sie den Christen nicht töten. Lasst ab von ihm. Er ist Eurer nicht wert!“
Der Vater des jungen Emin liess den altersmüden Arm sinken und barg die Waffe in der Scheide. Er wurde plötzlich ruhig. Er blieb eine Weile stumm.
„Es darf niemand ausser mir und dem Dogen von diesem Schreiben wissen!“ sprach er dann in einem sonderbar gleichgültigen Ton. „Du aber weisst es . . .“
Der wirrmähnige, barbeinige Mann im Kamelkittel vor ihm schwieg.
„Es ist Gefahr, wenn es durch dich bekannt wird. Du könntest entweichen. Draussen kreuzt seit einer Woche eure Galeere!“
Der Ritter im Bart schwieg.
„Du wirst sie nicht erreichen. Du bist hitzig von Geblüt. Du hast zu viel geredet. Nun musst du das grosse Schweigen lernen!“
Der Malteser schwieg.
„Mache dich bereit. Wenn die Sonne zwei Stunden weiter gerückt ist, wirst du sterben!“
Der Ritter von Rimburg schwieg. Der Bassa würdigte ihn keines Blicks mehr. Auch der junge Emin hatte sein schönes, bräunliches Antlitz abgewandt und schaute hinaus auf das Meer, über dessen tiefem Blau drüben, gegen Abukir hin, das erste leise Abendrot leuchtete. Ein Händeklatschen seines Vaters rief den Schwarm der Neger herbei. Sie führten den Gefangenen mit sich fort.
Der Weg ging durch die Gärten nach dem düstern Lehmgebröckel der Hinterburg des Bassa voll geheimer Sänge, Keller und Kerker. Aus einer Feigenhecke hob früchtekauend, als der Malteser vorbei kam, der Obereunuch, der vorhin am Hafen gewesen, in schwefelgelbem Kaftan, seinen schwarzen Wollkopf. Er radebrechte hitzig und händefuchtelnd Italienisch, das die andern schwarzen Wächter nicht verstanden. Es war, als ob er den Ungläubigen in dessen eigener Sprache verfluchte. Aber diese Fisteltöne des Fettwansts verkündeten im Wortgesprudel: „Nur noch wenige Tage Geduld — lässt dir Rabbi Isaak, der Meister der Juden von Rosetta, sagen. Er und wir alle haben von dem General der Maltesergaleere draussen genug Sultaninengoldstücke bekommen. Wir verhelfen dir zur Flucht auf das Schiff. Es kreuzt jeden Abend vor der Nilmündung!“
Und leise und ruhig die Antwort des Maltesers.
„Lasse dem Kapitän der Galeere, meinem Mitbruder, durch die Fischerbarke wissen, dass ich nicht kommen werde. Mein Leben ist zu Ende.“
Dein Leben — Adrian von Rimburg — dein noch junges — dein dreiunddreissigjähriges Leben, das ein Wandern war durch die Welt und ein Suchen nach dir selbst. Das eine Unruhe war, von den Kinderschuhen ab bis zu dem roten Kreuz auf dem Maltesermantel und jetzt die grosse Ruhe ist vor der letzten Stunde.
Bald . . . bald . . . Unmerklich wandernd vergolden durch das kleine Fensterloch der Kerkerzelle die heissen Sonnenstrahlen, das Klettern der kleinen plumpen geschuppten Eidechsen an den brennend heissen Lehmwänden, das Geringel der schwarzen Tausendfüssler auf dem glühenden, gestampften Erdboden, das Geflatter eines verirrten Falters, der bunt wie das Leben selber durch die schwüle Staubluft gaukelt und plötzlich weg ist mit all seinem Farbenschmelz . . . so wie das Leben . . .
Und vor den dunklen Augen des Ritters Adrian von Rimburg zog noch einmal sein Leben vorbei, wie er da, die Hände über den Knien verschlungen, in Gedanken verloren auf dem Estrich seines letzten Wohnraums auf Erden kauerte. Da tollen kleine Buben im Herbstwald, und das ist er mit seinen Brüdern — und aus den buntscheckigen Wipfeln ragt im Grün des Efeus über grauem Bruchstein ein Turm — und das ist der Bergfried der uralten Feste Rimburg. Und vom Tal klingt ein Slöckchen. Da liegt das Kloster, und in dem Kloster sitzt ein Knabe über den Heiligenlegenden und will ein Mönch werden und Gott im stillen dienen. Und vor dem Kloster flutet der Rhein und Schiffe schwimmen in die Weite, und Wanderburschen singen und Mädchenstimmen lachen: „Hinaus in die Welt!“ — und ein Jüngling schlägt eines Morgens das Klostertor hinter sich zu. Jahrelang brütet er in muffigen Gewölben der Hochschule von Strassburg über Büchern und Papier, und die Anrast treibt ihn weiter, und aus dem Scholaren wird der junge Kavalier, der da unten an der Universität Bologna unter dem Adel Europas stolziert und den Stossdegen wie den Federkiel meistert, den Menuettschritt im Schäferspiel wie den Galopp des Gauls über Stock und Stein.
Und in Rom, im ewigen Rom, eines Sommerabends, als die Sonne hinter der Campagna sinkt, und viele hundert Glocken läuten — der Ruf — der grosse Ruf: Erfülle dich! Du sollst ein Kämpfer sein! Ein Gotteskämpfer! Gott gab dir den Drang zu Abenteuern, die Lust am Wagnis, die Freude an Gefahr. Da draussen auf dem Meer flattert das Kreuz Christi. Nimm das Kreuz auf dich . . .
Und nun nur noch die letzte Frage: In welcher Gestalt wird dir jetzt der Tod erscheinen?
Die schwere Tür aus Palmenholz öffnete sich. Der schöne Jüngling Emin, der Sohn des Bassa, stand in seinem langen weissen Gewand auf der Schwelle, den weissen Turban über dem weichen, bräunlichen Gesicht. Dies Antlitz war tief ernst. Leise, schonend die Stimme:
„Komme!“
Komme! . . . Wohin? In dem dunklen Gang hinter der offenen Türe schatteten die Umrisse von vier wilden Kerlen in blauen Jacken und Pluderhosen und weissen Filzmützen, den mächtigen Krummsäbel neben der blutfarbenen Leibschärpe, und vor den Mamelucken stand still, beinahe traurig der junge Sohn des Bassa, und es kam dem Malteser eine Jugenderinnerung aus seinem Brüten über schweinsledernen Folianten in der Klosterzelle, dass die grossen griechischen Heiden den Tod sich als einen schönen Jüngling in weissem Gewand vorgestellt hatten.
Er glaubte, er würde jetzt hier in einem der unterirdischen Gewölbe der Burg des Bassa sein Leben ausbauchen. Aber der junge Emin liess durch einen Winkder schmalen, weissen Hand eine Hinterpforte öffnen. Er stieg leichtfüssig dem Christensklaven und den Mamelucken voraus einen engen Pfad durch stacheliges Kaktusgestrüpp und flammend roten Mohn hinab in das finstere, wie ein schwärzliches Schlangennest ineinander gekrümmte Gassengewirr von Rosetta.
Die gefürchteten Mamelucken machten Platz durch die rasende Menge, die in diesen schattendüstern, engen, stinkenden Strassenschächten brandete. In ungläubigem Grauen sah der Malteserritter gleich einer tosenden Luftspiegelung das Heeresaufgebot des tiefsten Afrika sich nach dem Hafen, zur Fahrt nach Konstantinopel, zum Zug nach Wien wälzen.
Er erblickte diese majestätisch mit Glöckchengeklingel schreitenden, mit Kupferpauken behängten Kamele, diese sonnengedörrten Skelette weissumflatterter Wüstenbeduinen mit Pantherdecken auf den Schimmelstuten, diese maurischen Ritter in Kettenhemden auf ebenso geschuppten Pferden, diese bronzefarbenen Bogenschützen auf Mauleseln, diese Büge von brüllenden bärtigen Derwischen mit braunen Zuckerhutmützen. Und er frug sich dazwischen immer wieder: Wann kommt der Tod?
Aber der schöne Todesengel vor ihm schritt immer weiter durch das Tollhaus. Neger trugen lachend im Laufschritt einen eben von den Mamelucken erwürgten Bey nach Hause zu den Seinen. Sein Nachfolger hieb dort drüben vor der Moschee mit einem Schwertstreich seinem Pferd den Schwanz ab und heftete den Rossschweif unter tausendfachem Allahrufen als Feldzeichen wider Wien an seine Lanze. Besessene verfluchten heulend mit schäumendem Mund von Dattelballen herab die Ungläubigen, nackte Büsser zerfleischten mit blutigen Zähnen armdicke, wütend in ihren Fäusten sich windende lebende Giftschlangen. Im heiligen grünen Turban der Nachkommen des Propheten weissagte im Hafen ein rasender Heiliger vor den christlichen Fellachen in blauen Hemden, den Juden in rotgegürteten schwarzen Kaftanen den Untergang Wiens.
„Im erstürmten Konstantinopel schlug Mohammed der Eroberer seine blutige Hand zehn Ellen über dem Boden an eine Säule, so hoch stand sein Ross auf Leichen. Noch höher wird jetzt Mehmet der Kalif mit seiner Hand den Stefansdom zur Moschee weiben!“
Wann kommt der Tod?
Stumm wandert der weisse Todesengel. Still und menschenleer liegen schon umber die Palmenhaine und Fruchtgärten vor der Stadt. Tausendfach wehen die gefiederten Schöpfe der hohen Papyrusstauden in der Nilmündung über dem Rosa der Flamingoschwärme. Ein kalter salziger Hauch liegt in der Luft. Möwen schreien. Und da breitet sich, soweit das Auge reicht, das Mittelmeer. Der Wind vom Lande pflügt sein tiefes Blau zu weissen Schaumkämmen, und durch sie gleitet fern im Sonnenschein mit geblähten Segeln an beiden Masten eine hochgewölbte Galeere, wendet, kreuzt ihren Weg zurück. Die Fitzarnalda, das rettende Malteserschiff, ist nahe und doch ewig unerreichbar.
Denn jetzt begriff Herr Adrian von Rimburg: diese Einsamkeit hier war die Todesstätte, in der er ungesehen für immer verschwinden sollte. Er sah schon vor sich sein vorbereitetes Grab — eine tief in den Schlamm ausgeschachtete, oberflächlich durch Papyrusstauden verdeckte Grube mit senkrechten Wänden.
Aber einer der Mamelucken grollte: „Mahmud! Komme aus der Krokodilfalle heraus!“ Ein mahagonifarbener, nur mit einem Lendenschurz bekleideter Greis kroch durch das Blätterwerk aus der Grube empor, in der sich nachts die Panzerechsen fangen sollten und tagsüber er sich vor dem Sonnenbrand geborgen hatte. Er legte vor dem Jüngling Emin zum Zeichen des Gehorsams die Horntatze an die grau behaarte Brust und stapfte den andern voraus durch das Röhricht zu einer Bucht, die sich zum offenen Nil und freien Meer hinaus öffnete. Auf dem Sandufer lag ein kleines Segelboot. Der Alte stemmte sich mit den Soultern gegen den Kiel und hob es in das seichte Wasser.
„Herr! Ich, dein Fussstaub, habe deinen Befehl ausgeführt!“ sprach er. „Das Fahrzeug ist seebereit!“
Und dann hörte der Ritter von Rimburg an seinem Ohr die leise Stimme des Jünglings Emin:
„Steige ein!“
Und da er nicht gleich begriff, noch einmal:
„Steige ein! Dort drüben kreuzt die Galeer! Fahre heim zu den Deinen!“
Plötzlich ein unterdrückter Angstruf des jungen Emin. Seine Hand wies in die Ferne: dort wuchs am Horizont rasch ein zweites Segel aus dem bleiernen Mittagsdunst der See. Auch die Mamelucken schirmten die Augen mit der Rechten. Es zuckte frohlockend über ihre finsteren Mienen.
„Allah ist gross! Ein Türkenschiff!“
„Mein Vater hat es aus dem Hafen von Damiette entboten, um eure Galeere aus der Nilmündung zu vertreiben! Eile dich, dass du sie noch vorher erreichst!“ keuchte der Jüngling Emin.
Er berührte die ihm in verständnislosem, stummem Dank hingestreckte Rechte des Christen nicht. Er sprang scheu bis an den Rand der Schilfwand zurück. Der Malteser wusste nicht, wie ihm geschah. Er schwang sich in das Boot. Er trieb es mit dem Ruder hinaus, in den freien Strom. Er zog das Segeltau an. Die Leinwand straffte sich unter dem Landwind. Die Wellen rauschten. Das schleichende Graugrün des Nil wandelte sich in das Tiefblau des Meers. Delphine schossen pfeilschnell durch die weissen Wogenkämme und wiesen den Weg zu dem Malteserschiff, das den Flüchtling erkannt hatte und wie ein Tausendfüssler mit Hunderten von Rudern arbeitend ihm entgegensteuerte.
Das Kielwasser schäumte vor seinem Gallionbild — dem achteckigen Stern über dem Kreuz. Schon sah Adrian von Rimburg die schwarzen Kanonenmäuler in den Bordluken, das Geflatter der weissen Federn auf den Eisenhauben der Malteserritter, die dichtgedrängt in der Mitte des Schiffs standen, er sah die Musketen der dienenden Brüder sich über die Reling recken, er erkannte den Kapitän, den blondbärtigen stiernackigen Schwaben mit dem Kaplan und dem Medicus, breitbeinig, den Degen in der Hand, auf dem Dach der Mittelkammer.
Von drüben schoss, schräg liegend, unter Türmen von Leinwand, lang, schmal, flink wie ein Hecht das Schiff des Islam heran. Der Ritter von Rimburg stemmte sein Ruder gegen die Bordwand des Christenschiffs, um nicht im Wellentanz an ihr zerschellt zu werden. Ein Tau flog herab. Er kletterte an Deck und umarmte den Freund, den Befehlshaber der Galeere, eben als die Trompeter das Schlachtsignal für all die Vierhundert, die an Bord waren, bliesen: die Ritter und die Kanoniere und die Musketiere, die Schiffsknechte und die Galeerenruderer, die Rudermacher und Büchsenmeister und Hilfsgesellen.
Der Segler des Islam rauschte schon heran. An seinen Masten glitten flatternde grüne Fahnen mit rotem Halbmond in die Höhe, und zugleich stieg vierfach an beiden Masten der Fitzarnalda das weisse Christenkreuz in rotem Feld empor.
Die beiden Schiffe schossen im Sturm mit geblähten Segeln aneinander vorbei. Ihre Breitseiten blitzten und donnerten im Augenblick der Begegnung. Die kindskopfgrossen Eisenkugeln des Islam fegten zu hoch über das Christendeck, rissen Löcher in die Segel, splitterten ein paar Raaen. Nur ein spanischer Ritter von Devotion stand eine kurze Weile aufrecht ohne Kopf. Dann sackte der Rumpf zusammen. Knechte trugen ihn in die Totenkammer hinab. Adrian von Rimburg eilte hinterher.
Als er atemlos, um nichts vom Kampf zu versäumen, wieder an Deck kam, hatte er sich von dem gefallenen Edelmann die Kriegstracht des Ordens entliehen. Sie war von Blut getränkt. Aber man sah es nicht auf dem Rot des Waffenrocks über dem Harnisch. Nur das grosse weisse eingewebte Leinenkreuz war kaum mehr kenntlich. Weite Panzerhosen mit Knieschienen und hohe Stulpenstiefel schirmten weiterhin Herrn Adrian, den Hilfsritter der Malteser. Er hielt Schwert und Schild in den Händen. Aber er legte beides hin und griff zur Muskete und feuerte auf das feindliche Schiff, das eben wieder im Kampfgeschrei seines Volkes vorbeiglitt. Wurfspiesse und Brandpfeile sausten von dort. Ein offener Sack mit lebenden Brillenschlangen flog herüber, die unter die Ruderbänke kriechen und die angeketteten Galeerensklaven stechen sollten, und plumpte samt den giftigen Würmern vor dem Ziel in das Meer.
„’s isch e wüschtes Volk!“ sprach der Schwabe, der General der Galeere, zu dem Ritter von Rimburg neben ihm, während die Fitzarnalda in weitem Bogen zu neuem Anlauf wendete. „Zur See sind wir alleweil sein Meister. Aber zu Land nimmt der Grosstürk erschrecklich überhand!“
„Ich habe es eben gesehen!“ Der Ritter von Rimburg in wirrem Bart stiess heftig, mit geübter Hand, mit dem Ladstock Kugel und Pfropf in das Feuerrohr. „Der Satan speit die Barbaren wie die Heuschrecken wider die Christenheit!“
„Da komme die Sauköpf wieder!“
Feuerspeiend begegneten sich die Galeeren. Sie waren einander so nahe, dass man drüben das Weisse in den Augen der wilden schwarzen, braunen, gelben Gesichter sah. Adrian Rimburg liess den Hahn seiner Donnerbüchse auf das Steinschloss schnappen. Drüben verschwand jäh das Feuerrot eines Turbans hinter der Bordwand.
„Das apokalyptische Tier ist vorhanden!“ schrie er durch das Gebrüll und Geknatter und Gekrache splitternden Holzes dem Kapitän ins Ohr. „Wien ist das Bollwerk! Alle Christenvölker müssen alles liegen und stehen lassen, um Wien zu retten!“
„Da hilft kein Hirnschweiss! Da heisst’s kämpfen. Aber melde du das den Franzosen!“ sprach in der plötzlichen Kampfstille, in der die Schiffe wieder wendeten, der Befehlshaber der Galeere und befühlte die Beule eines Musketenschusses im Harnisch. „Ihr König Ludwig nennt sich den Allerchristlichsten König! Aber derselbe König Ludwig ist’s, der die Tataren und die Mohren und alle Gottesfeinde aus Asien und alle Götzendiener aus Afrika zu uns Christen nach Europa führt! Ohne sein gnädiges Lächeln würden es die Heiden nie wagen!“
Der Türkensegler kam wieder heran, er streifte beinahe im Vorbeigleiten die donnernden Kanonenluken der Fitzarnalda. Allahrufe gellten. Lange Enterhaken fuchtelten, während er langsam längs der Christengaleere hintrieb, in der Luft und langten nach der Bordwand drüben, um Schiff an Schiff zu ziehen. Ein Kerl beugte sich weit vor, hatte beinahe schon mit der Eisenspitze das Holz gefasst. Adrian von Rimburg zielte kaltblütig und schoss. Der riesige Neger stürzte kopfvor in die Flut.
„Das nächste Mal haten sich die Türken an unserer Bordwand fest und steigen zu uns über!“ Der Schwabe rollte mit einem Fussstoss eine glühendheisse Kanonenkugel beiseite, die dicht neben ihm durch die Schiffsbrüstung geschlagen war. „Mach’ dich bei Seite mit Schild und Schwert parat!“
Aber die Gedanken des Ritters von Rimburg waren bei dem Sonnenkönig von Versailles.
„Er weiss nicht, was er tut!“ schrie er durch die blauen Schleier des Pulverrauchs. „Er ahnt fern in Frankreich nicht die Gefahr aus Asien, die wir Deutschen und Polen kennen. Man muss vor ihn treten. Man muss ihm die Augen öffnen. Einer, der, wie ich, die Zurüstungen des Gottesfeinds mit eigenen Augen gesehen hat.“
Der Schwabe hörte nicht recht hin. Er spähte nach der feindlichen Galeere. Sie schaukelte in einiger Entfernung. Hundert Ruder peitschten das Wasser, um sie in Eile zu wenden. Ihr Takelwerk wimmelte von kletterndem Schiffsvolk, das hastig die Segel umstellte.
„Meine beschworene Zeit als Hilfsritter von Malta ist um! Denn die Zeit der Gefangenschaft zählt mit!“ sprach Adrian von Rimburg weiter. „Wenn Gott mich jetzt in einem Christenhafen landen lässt, so eile ich spornstreichs nach Paris. Ich habe um Christi willen gelitten. Ich muss vor den König von Frankreich treten und ihn beschwören . . .“
„Was treibt der Widerchrist da drüben für riegeldummes Zeug . . .?“ unterbrach ihn der Kapitän. Seine derben blondbärtigen Züge verdüsterten sich unter der Sturmhaube. „Jetzt — das is jammerschad: da macht der Türk mit vollen Segeln, dass er heimkommt — gerad jetzt, wenn’s, am schönsten wird! Und hinterherfahren hilft uns nit. Das Heideschiff läuft schneller!“
„Warum flieht es?“
Aus dem hohen Vorderaufbau des Christenseglers, von dem aus man weit über das Meer sah, wiesen ausgestreckte Panzerarme und Degenspitzen in die Ferne. Eine Gruppe von weissen Segeltürmen tauchte am Horizont auf. An jedem Mast flatterte, als sie näher kamen, das Kreuz Johannes des Täufers. Hinter der Capitana, dem Flaggschiff des Grossmeisters, durchschnitten in einer Linie die Patrona und die Galeeren des Malteserordens, die Fitzarnalden und Antianen, die Flut.
„Wir haben einen Mitbruder aus der Sklaverei gerettet!“ schrie, sobald er sich verständlich machen konnte, der Schwabe zu der prunkvoll gezierten Capitana hinüber. „Er will so rasch, wie es der Wind leidet, nach gtalien und so schnell, als e Gaul läuft, nach Paris!“
Wäre dem Ritter von Rimburg im Getöse der Seeschlacht seit dazu geblieben, so hätte er fern am Nilufer einen hellen weissen Punkt vor dem stumpfen Grün der Papyrusstauden gesehen. Das war der Jüngling Emin. Regungslos, aus grossen dunklen Augen, beobachtete er den Kampf. Dann, als alles zu Ende, wandte er sich und ging mit seinen Begleitern nach Rosetta zurück.
„Ja. Ich habe dem Christen zur Flucht verholfen!“ sagte er dort in der Burg zu Ferat Bassa, seinem Vater, der vor Wut keuchend mit gekreuzten Beinen auf dem Divan sass.
„Warum hast du das getan?“
„Ich habe ihn gesehen. Jeden Tag. Und jeden Tag hat er mir mehr leid getan. Gesprochen habe ich ihn nie!“
„Und doch hast du es gewagt . . .“
„Kann ich dafür, dass deine sechs Söhne seit zwanzig Jahren tot sind?“ sprach der Jüngling Emin.
Der Alte schwieg.
„Kann ich dafür, dass es dir, nach unserem Brauch, ein Gram und eine Schmach war, keinen Sohn mehr zu haben?“
Der Bassa strich sich düster, ohne zu antworten, den weissen Bart.
„So hast du mich als Mann aufwachsen lassen. Ich habe den Christen liebgewonnen. Ich kann nichts dafür, dass ich ein Weib bin!“
„Und so gewann ich durch Gottes Gnade die Insel Malta und segelte von da nach Tarent und ritt hierher nach Rom!“ schloss der Ritter von Rimburg seinen. Bericht.
Vor ihm, in einem der weitläufigen Ahnensäle thronte in Purpurfalten der Herr des Palastes, der Rardinal Fürst Chigi, und neben ihm zur Linken im satten Rot der Eminenzen andere Kirchenfürsten und zugleich Fürsten von Geblüt der Ewigen Stadt, die Barberini, die Ludovisi, und zu seiner Rechten hager, streng mit spitzem Graubart, der Grossmeister des Malteserordens in langem, schwarzem, mit Zobelpelz gesäumtem Mantel und darunter der roten Weste mit dem achteckigen weissen Kreuz. Und um die geistlichen Grossen herum war der marmorgepflasterte kühle Saal voll von schwarzen Röcken eleganter junger Abbaten, farbigen Kopftüchern über weissgepuderten, mit schwarzen Schönheitspflästerchen beklebten Frauenwangen, goldbrokatenem und strohfarbenem und himmelblauem Modeprunk der Kavaliere. Ein hoher Adel lauschte dem, was dieser heissblütige, kriegserfahrene Malteser aus eigenem Augenschein, eindringlicher als es irgendein anderer hätte können, von gemeiner, nahender Türkennot meldete.
Er selbst war jetzt nicht mehr der zerlumpte Sklave in der Barbarei, nicht mehr der blutbespritzte Ritter im Mittelmeer. Die Bartwildnis war geschwunden. Seine gebräunten, länglichen, leidenschaftlichen Züge zeigten den Spitzbart, der um diese Zeit den Männern in ganz Europa ein kriegerisches und abenteuerliches Aussehen verlieh. Darunter faltete sich ein viereckiges Spitzenhalstuch über einer goldbraunen Samtjacke mit weiten, weissen Spitzenärmeln, ebensolche Pluderhosen bauschten sich ihm am Knie über den silbergrauen Strümpfen und goldbraunen Schnallenschuhen.
Die Diener reichten Platten mit Früchten und Zuckerwert herum, und der Purpurträger Fürst Chigi wandte sich zu den Priestern, den Damen, den Herren von Welt.
„Verzeiht das geringe weisse Fayence der Teller und Schüsseln! Mein und der andern Kardinäle Tafelsilber bat sich in Guldenstücke für den Kaiser zur Verteidigung Wiens gewandelt.“
„Wo ich jetzt durch Italien kam“, rief feurig der Ritter von Rimburg, „da trugen die Ratsherren in den Städten die Spendelisten für den Türkenkrieg von einem Haus zum andern. Frauen und Mönche sammelten auf den Plätzen. Die Kirchenglocken läuteten zu den Prozessionen. Die Landstrassen waren voll von Wallfahrerzügen! Ziegenhirten und Bauern öffneten in den Dörfern ihre Lederbeutel!“
Während er sprach, wandte er unwillkürlich wieder die Augen halb von den hohen Herren der Kirche ab und zu einer jungen Dame, die bescheiden seitwärts mit im Schoss gefalteten Händen auf einem niederen Polsterschemel sass. Seine Gebanntheit durch die schöne Fremde fiel schon auf. Die weltlichen Abbates im Hintergrund tuschelten erheitert mit den enggeschnürten Fräulein in weitgebauschten Röcken.
„Die fahrende Marquise aus Versailles hat es dem fremden Herrn angetan!“
„Er soll sich hüten! Diese Rose ward nicht im Himmel gepflückt!“
„Im Gegenteil! Das war des Teufels Meisterstück!“
„Wer ist diese Frau?“
„Ihr habt noch nicht von ihr gehört, Monsignore?“ sprach ein junger Abbate, dessen Tonsur nicht recht zu seinem weltkundigen und galanten Lächeln passte. „Die Marquise Quinette von Giou ist unvermählt, obgleich sie wohl schon Mitte der Zwanzig zählt, und, wie ihr seht, durch ihr Äusseres von der Vorsehung dazu bestimmt, Männern, die nicht so heilig sind wie wir, den Kopf zu verdrehen!“
„Sie ist verführerisch — in der Tat! . . .“
Quinette von Giou schien zu merken, dass von ihr die Rede war. Aber sie war offenbar daran gewöhnt. Sie sass harmlos da und blickte still aus ihren klugen schwarzen Augen auf Adrian von Rimburg. Ein kunstvolles Gewirr von geringelten und gewickelten Locken und Löckchen umwehte im leisen Luftzug ihr weissgepudertes, feines, schmales Marquisengesicht, mit den dichten schwarzen Augenbrauen und den blutrot gemalten Lippen, die ein kaum merkliches Lächeln umspielte. Geheimnisvoll, unergründlich der Aufschlag ihrer langen, dunklen Wimpern zu dem deutschen Ritter vor ihr.
„Er hat ja keine Ordensgelübde abgelegt!“ sprach der menschenkundige Abbate belustigt.
„Nochmals: Wer ist sie?“
„Es ist schwer zu sagen, Monsignore, ohne sich den Mund zu verbrennen. Denn immerhin — sie ist eine Marquise von altfranzösischem blauem Blut. Ihr Vater — die Mutter starb schon, als sie ein Kind war — ist bettelarm — ist ein Spieler — hm — er gewinnt merkwürdig oft — ein Schmarotzer an der Tafel der grossen Herren in Versailles, aber immerhin — er ist ein Marquis. Er darf beim Morgenempfang des Königs in der Ochsenaugenkammer erscheinen!“
„Und was tut die Marquise hier in Rom?“
„Sie wird es uns nicht verraten!“ sagte der Abbate. „Es ist seit Jahren kein dunkler Handel in Paris — seit der Enthauptung der Giftmischerin, der Brinvilliers, den Zaubereien der Madame Voisin — wo sie nicht irgendwo im Hintergrund auftaucht. Der Herzog von Montmorency und Marschall von Luxemburg gilt mit dem Teufel im Bund. Er ist vom Hof verbannt. Aber er ist noch mächtig genug, seine Hand über Quinette von Giou und ihre Freunde, die Alchymisten, die Goldmacher und Geisterbeschwörer von Paris zu halten!“
Quinette von Giou fächelte sich sanft mit dem winzigen Straussenfächer Kühlung. Sie hatte graziöse, höfisch gezierte Bewegungen einer Dame der grossen Welt. Sie war von Gestalt mittelgross, zart und zierlich gewachsen und, seltsam für ihre Jugend, in schwarze Seide gekleidet, die mit tiefem weissem Spitzenausschnitt ihre schlanke Taille umschloss und sich am Rock rechts zu hohen Falten bauschte. Eine Stirnschleife von der sumpfähnlichen, gelbgraugrünen Modefarbe: „Kranker Spanier!“ beschattete fast unheimlich das kluge, lebhafte Gesicht.
„Also eine Abenteurerin!“ sprach der Prälat.
„Wenn — dann eine vornehme! Sie steht auf gutem Fuss mit den Prinzen und Prinzessinnen, den vielen natürlichen Kindern Ludwigs des Vierzehnten, und mit seinen vielen jetzigen und früheren Mätressen. Man ist nicht so zimperlich am Hof von Versailles. Aber allerdings — wo die Marquise von Giou ist, da sind auch Abenteuer! Sie hat sicher auch hier einen geheimen Auftrag. Aber wir wollen hören, was der Ritter von Malta weiter meldet! Gott schenkte ihm die Gabe des Worts!“
„Er spricht wahrhaftig mit feurigen Zungen!“
Adrian von Rimburg stand vor den Kirchenfürsten in Purpur. Heiss flackerten seine Augen.
„Wenn ich so braungebrannt bin wie ein Mohr“, rief er, „dann ist es, weil mich der Hauch der Hölle versengt hat! Ich habe die Hölle sich öffnen sehen zum Aufbruch wider die Christenheit! Es ist nicht das erste Mal! Vor mehr als tausend Jahren schlugen auf den Katalaunischen Feldern Römer, Germanen, Gallier Schulter an Schulter die furchtbare Schlacht gegen Attila und seine Hunnen und retteten das Abendland. Was wäre geschehen, hätten damals die Gallier sich mit den Horden Asiens verbündet und ihnen die Tore der Christenheit geöffnet? Ein Flammenmeer hätte das Ende der christlichen Welt bedeutet! Die Hunnen hätten ihre Rosse nicht nur an der Donau — nicht nur hier am Tiber — nein — auch an der Seine getränkt!“
„Auch an der Seine!“ wiederholte stürmisch Adrian von Rimburg und blickte dabei wieder, er mochte wollen oder nicht, auf die still dasitzende, rätselhaft lächelnde Marquise aus Paris. „Und immer wieder durch die Jahrhunderte schlagen wir in Europa wider Asien die Katalaunische Schlacht, da drüben am Ende Europas, wo das heilige deutsche Reich und das Königreich Polen für Europa Wache halten!“
„Fürchterlicher als je feit der Katalaunischen Schlacht“, endete er leidenschaftlich, „fährt jetzt der Drache aus Asien heran! Wir können ihn nur vom Goldenen Stuhl werfen, wenn wir alle, die an unsern Herrn und Heiland glauben, uns zu Blutbrüdern und Gotteskämpfern einen — mit den Deutschen, mit den Polen auch das mächtige Frankreich und sein grosser König!“
„Und was sagt die Marquise von Giou als Französin dazu?“ frug in der Stille, die den Worten des Maltesers folgte, von rückwärts der galante junge Abbate und beugte sich über das schwarze Lockengewirr vor ihm.
„Ich kenne Quinette von Giou von Paris her!“ flüsterte ein anderer Abbate dem Monsignore zu, „Sie werden leichter unten auf dem Fischmarkt am Kapellenplatz einen schlüpfrigen Aal in den Händen behalten, als diese Frau bei einer unzweideutigen Antwort fassen!“
Die Marquise von Giou hatte einen Augenblick überlegt. Jetzt sagte sie mit einem sibyllinischen Lächeln:
„Sie fragen mich als Französin! Auch Ihre Majestät die Königin Casimire von Polen ist eine Französin!“
„Das wissen wir, Madame!“ rief erhitzt der Ritter von Rimburg. Es waren die ersten Worte, die er mit ihr wechselte.
„Ich kenne in Versailles den Herrn Vater der Königin, den Marquis Lagrange d’Arquien!“
„Sie weichen der Antwort aus!“
„Ich will nicht klüger sein als die Gemahlin des Königs Johann Sobieski in Warschau!“ sprach Quinette von Giou lächelnd.
„Und wenn ich Sie doch frage, Madame, was Sie von den Welthändeln halten?“ Adrian von Rimburg liess die Augen nicht von dem schmalen, feinen, weissgepuderten Antlitz der Marquise. Sie blickte hinüber nach den Eminenzen und dem Grossmeister und den vielen Priestern hinter ihnen.
„Wir sind hier halb in der Kirche!“ sagte sie. „Die Frau schweige in der Kirche!“
„Auch, wenn man sie bittet zu reden?“ versetzte der Kardinal Chigi. Quinette von Giou neigte ehrfurchtsvoll den dunklen schönen Kopf.
„Ich bin nicht nur eine Französin! Ich bin eine Frau. Eine Frau wünscht kein Blutvergiessen! Ich bin überzeugt: Jedermann in Frankreich — von meinem erhabenen König abwärts — ersehnt nur den Frieden auf Erden!“
Ich wollte, ich könnte mit dieser Unschuldsmiene heucheln!“ raunte der elegante junge Abbate zu dem Monsignore.
„Wenn aber der Antichrist keinen Frieden gibt, Madame, so muss sich Ihr König Ludwig der Vierzehnte entscheiden! Wird er Europa retten helfen oder nicht? Sie kommen von seinem Hof. Sie kennen dort die Stimmung!“
„Ich verstehe nichts von Kriegsdingen. Ich werde heute mittag noch in St. Peter auf den Knien für den Frieden beten!“ Die Marquise antwortete es, halblaut vor Ehrerbietung, dem kardinal. „Mehr kann eine Frau nicht tun!“
„Ich möchte diese Frau nicht zum Feind haben!“ sprach der Abbate zu dem Monsignore. „Da steht sie eben auf und rafft ihre schwarze Schleppe.“
„. . . und verschwindet unauffällig, während sich die Kardinäle mit dem Malteser unterhalten!“
Auch Adrian von Rimburg verabschiedete sich nach kurzer Zeit mit tiefer Verbeugung vor den Eminenzen und sich weltmännisch verneigend vor der Schönen Welt im Saal. Er stülpte sich in der Vorhalle die breite Krempe des mit Goldschnur besetzten silbergrauen Huts über das unruhig bewegte, spitzbärtige Antlitz und nahm den langen, mit Elfenbein besetzten Bambusstock, den er zum Galanteriedegen an der Seite trug. Er schritt die prunkvolle breite Freitreppe des Palastes Chigi hinab und trat in den Barockhof. In dem dunkelgrünen Lorbeergebüsch, das ihn nach der Höhe hin abschloss, lächelten unter Palmen und Zypressen kleine weissmarmorne Liebesgötter erwartungsvoll dem Ritter entgegen, wie er mit ungestümen Schritten auf Quinette von Giou zutrat.
„Sie gaben mir einen Augenwink, Ihnen zu folgen“, versetzte er gedämpft.
Die Marquise stand zart und schlank in ihrer schwarzseidenen, weitgebauschten Robe vor der Silbersäule eines Springbrunnens. Sie erwiderte nichts.
„Warum, Madame?“ Es klang atemlos.
Quinette von Giou blieb immer noch stumm. Sie sah ihn nur an. Und er sie. Die Amoretten schmunzelten. Das Plätschern des Wassers klang durch die Stille. Die Stimme Adrians von Rimburg stockte, als er frug:
„Was haben Sie mir zu sagen?“
„Dass ich Sie bewundere! Sie sind ein Mann!“
„Deren gibt es viele!“
„Hier in Rom, in der Stadt der Kirchen und der Priester, hat ein Krieger nicht solch ein Gewicht!“ sagte die Marquise. „Aber wir Franzosen sind Kinder des Ruhmes. Wir ehren den Helden. Euer Grossmeister selbst erzählte, ehe Sie kamen, von der Tapferkeit, mit der Sie im Mittelmeer fochten!“
„Es ist sehr gnädig von Seiner Eminenz!“
„Wie gross, muss Ihre Standhaftigkeit in der Gefangenschaft gewesen sein!“
„Sie liegt hinter mir!“
„Ich darf Ihnen das alles sagen!“ Quinette von Giou trat vertrauensvoll, mit fromm gefalteten Händen, einen Schritt näher. „Denn es hat ja keine Folgen. Sie haben, wenn Sie jetzt auch weltliche Tracht tragen, Enthaltsamkeit gelobt. Sie sind ein Mönch in Waffen!“
„Ich bin kein dienender Malteser Bruder von Gelübde, sondern von dieser Welt! Ich war nur ein freiwilliger Hilfsritter auf Zeit!“
„Dann hätte ich Ihnen das nicht sagen dürfen!“ Die Marquise aus Versailles wich verwirrt und erschrocken ein paar Schritte zurück. „Mein Herz war so voll. Ich bitte Sie: Betrachten Sie es als nicht gesprochen!“
„Das kann ich nicht!“ Die dunklen Augen des Ritters von Rimburg glühten.
„Hätte ich gewusst, dass wir Frauen für Sie nicht ein Blendwerk des Teufels sind . . .“
„Ich habe seit Jahren kaum eine Frau gesehen!“ sprach Adrian von Rimburg. „Auf den Maltesergaleeren, auf denen wir gegen die Ungläubigen kreuzten, gab es keine und in der ägyptischen Gefangenschaft erst recht nicht. Sie sind die erste Frau, der ich seit langem wieder begegne . . .“
„Und nicht die letzte!“ Quinette von Giou sagte es in einem leisen, fast schmerzlichen Ton. „Es wird Ihnen ein Leichtes sein, mich und das Gespräch zu vergessen. Bitte — tun Sie es als Edelmann und seien Sie verchwiegen!“
Sie schien sich zu bezwingen, als sie doch wieder näherkam und ihm die Hand zum Kuss reichte. Dann schritt sie leichtfüssig auf die Sänften zu, die in der Torwölbung des Palastes warteten, und befahl, während sie in einen der Kasten schlüpfte, den beiden Trägern:
„Haltet an der Schweizerwache vor dem Vatikan!“
Als die Marquise von Giou sich im Innern des Tragstuhls wohlig wie ein Kätzchen in die weichen Polster gekuschelt hatte, zog sie gegen neugierige Blicke von aussen die Seidenvorhänge an den beiden kleinen Zeitenfenstern zu, lehnte den dunklen Kopf in die Ecke und verfiel in ein Träumen. Sie schloss die langen Wimpern. Ihr kluges, feines, durch den weissen Puder fast zeitloses Gesicht gewann einen weichen, frauenhaften Ausdrück. Erst ein Stimmengewirr um sie herum liess sie aus ihrer Versunkenheit in sanfte Gedanken auffahren. Das war das Volkstreiben auf dem ungeheuren Platz vor dem Petersdom — das Gerassel der Staatskarossen und das Gequietsche der Ochsenkarren, das Geplauder stolzierender Damen und Kavaliere und die Rufe der Händler, Hufgetrappel der Reiter und Sandalengeklapper der Mönche, Pilgergesang, Bubengeschrei und Hundegebell, selbst Ruhgebrüll.