Der große Erziehungs-Check - Jan-Uwe Rogge - E-Book

Der große Erziehungs-Check E-Book

Jan-Uwe Rogge

3,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Buch vergleicht die verbreitetsten Erziehungsprogramme, zum Beispiel »STEP«, »Starke Eltern - Starke Kinder«, »Triple P«. Es erklärt, worin ihre jeweiligen Möglichkeiten liegen und wie sie in der Elternbildung Verwendung finden können. Schließlich legt Rogge seinen eigenen ressourcenorientierten Ansatz dar, in dem er sich gegen schematische Erziehungsanleitungen wendet und zeigt, wie es Eltern gelingen kann, eine für ihr Kind angemessene Erziehung zu »leben«. Sein Mott lautet: Jedes Kind ist anders. Jan-Uwe Rogge, Deutschland bekanntester Erziehungsexperte, stellt die wichtigsten Konzepte und Programme zur Eltern- und Familienbildung vor und erläutert, was sie leisten und wo ihre Grenzen sind – angefangen von der partnerschaftlichen Erziehung von Rudolf Dreikurs, dem »Familienrat«, dem Gordon-Familientraining über das »Triple P«, Jesper Juuls »FamilyLab« bis hin zum Konzept »Starke Eltern - starke Kinder«. Rogge geht der Frage nach, was Eltern heute brauchen, und formuliert drei zentrale Haltungen für die Elternbildung: Begleitung, Bestärkung und Beratung. Diese sind unverzichtbar und werden anhand von alltäglichen Erziehungssituationen beschrieben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 306

Bewertungen
3,0 (18 Bewertungen)
2
2
10
2
2
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de

Klett-Cotta

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94536-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10293-2

Dieses E-Book beruht auf der 1. Auflage 2013 der Printausgabe

Inhalt

1. »Wird Erziehen immer anstrengender?« Fragen über Fragen …

2. Ein Blick in die Historie der Elternbildung

3. Konzepte der Elternbildung – eine Übersicht

3.1 Ein Wort voraus

3.2 »FuN«

3.3 »Triple P«

3.4 »Starke Eltern – starke Kinder«

3.5 »Familienrat«

3.6 »STEP«

3.7 »Encouraging«

3.8 »Familienkonferenz«

3.9 »Kess-erziehen«

3.10 »FamilyLab«

3.11 »Marte Meo«

3.12 Mediale Beratungsangebote

3.13 Seminare, Konzepte, Bücher – und welche Erfahrungen Eltern damit machen

3.14 Fazit

4. Was Eltern heute brauchen: Stärkung von Kompetenzen und Ressourcen

4.1 Persönlichkeitsbildung: »Nur wenn es mir gut geht, geht es den Kindern gut!«

4.1.1 Kinder brauchen Typen, aber richtige

4.1.2 Auch Eltern müssen wachsen

4.1.3 Wenn Eltern peinlich sind … und wie sie sich davor schützen können

4.1.4 »Bloß nicht wie die eigenen Eltern werden!«

4.1.5 Wer viel gibt, braucht auch viel. Die inneren Kraftquellen entdecken

4.1.6 Das Kind vor mir, das Kind in mir

4.2 Entwicklungspsychologisches Wissen: »Wenn ich nur wüsste, woher das alles kommt!«

4.2.1 Das Leben in Übergängen

4.2.2 Heranwachsende wollen Erziehung

4.2.3 »Wann fängt die Pubertät denn nun an?«

4.2.4 Zwischen Trotz und Pubertät

4.2.5 »Warum flippt der jetzt schon wieder aus?«

4.2.6 Wenn der »Schul-Blues« Sorgen macht

4.2.7 »Ich komme nicht mehr an mein Kind heran!«

4.2.8 Freundschaften

4.2.9 Ängste und Aggressionen gehören zum Leben

4.3 Praktisches Erziehungswissen: »Und wie setzt man Tipps im Alltag nun um?«

4.3.1 »Diese grässlichen Umgangsformen!«

4.3.2 »Muss man sich das alles gefallen lassen?«

4.3.3 »Ich bin doch nicht deine Köchin, Putzfrau oder Taxifahrerin!«

4.3.4 »Kann man verlangen, dass die Kinder im Haushalt mithelfen?«

4.3.5 »Die fetzen sich wie die Kesselflicker, schlimmer denn je!«

4.3.6 »Warum immer ich?« Von der Last, das älteste Kind zu sein und andere Geschwisterprobleme

4.3.7 »Mein Kind schläft nicht ein, mein Kind schläft nicht durch!«

4.3.8 »Muss ich denn immer konsequent sein?«

4.3.9 »Mein Kind hängt dauernd vor der Glotze oder vor dem Computer!«

4.3.10 »Mein Kind kann sich nicht alleine beschäftigen!«

4.3.11 »Wir wollen niemals auseinandergehen …«

4.3.12 »Darf ich Verbote aussprechen?«

4.3.13 »Mich regen die Heimlichkeiten auf!«

4.3.14 »Macht das Taschengeld denn überhaupt Sinn?«

5. Begleiten, bestärken, beraten – drei Haltungen in der Elternbildung

Literatur

1. »Wird Erziehen immer anstrengender?« Fragen über Fragen …

Erziehung kennt Moden. In den gut drei Jahrzehnten in der Beratung von Eltern, Kindern und Jugendlichen hatte ich Gelegenheit, so manche Strömung und manchen Ansatz kennenzulernen. Zugleich lässt sich sagen: Jenseits des jeweiligen pädagogischen Zeitgeistes gibt es Fragen, die gleich bleiben und die über die Jahre hinweg immer wieder gestellt werden – von Müttern und Vätern, aber auch von Journalisten. Auf einige dieser Fragen möchte ich zu Beginn dieses Buches eingehen. Meine Antworten darauf sollen an die Stelle eines »klassischen« Vorwortes treten, und sie mögen – so hoffe ich – meine Position in erzieherischen Belangen deutlich machen. Kommen wir also gleich zur Sache:

Erste Frage: Wird die Kindererziehung immer schwieriger? Sind heutige Eltern mit ihrer Aufgabe überfordert? Oder andersherum gefragt: Hatten Eltern es früher einfacher?«

Antwort: Vergangenheit und Gegenwart gegeneinander aufzurechnen hilft nicht weiter. Erziehung war immer schon eine Herausforderung, und sie war auch in vergangenen Zeiten nie frei von Sorgen. Sicher: Die Vorzeichen, unter denen erzogen wird, haben sich geändert. Das gilt aber nicht nur für die Erziehenden, sondern ebenso für diejenigen, die erzogen werden, die Kinder und Jugendlichen. Auch sie sehen sich Anforderungen ausgesetzt, die beängstigend erscheinen können. Ich trete für eine Haltung ein, die sich nicht an Schwächen und Gefahren, sondern an Stärken orientiert – denen der Eltern und denen der Kinder. Die Stärken gilt es wahrzunehmen und zu entwickeln. In Bezug auf die Eltern heißt das: Eltern sollen zu sich und ihrer Persönlichkeit stehen und ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen, dabei aber zugleich die Persönlichkeit ihres Kindes respektieren. Kinder haben ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Das gilt damals wie heute. Gute Erziehung muss man also nicht immer wieder komplett neu erfinden.

Zweite Frage: Erziehungsratgeber liegen im Trend. Zu fast jeder Frage gibt es mehr als nur ein Buch, und die Antworten fallen oft widersprüchlich aus. Ist die Flut von Erziehungsratgebern nicht doch ein Indiz dafür, dass Eltern verunsichert sind?

Antwort: Natürlich sind Eltern verunsichert. Das hat aber nichts mit der Vielzahl an Büchern zu Erziehungsfragen zu tun. Eine wichtige Ursache der elterlichen Verunsicherung liegt schlicht in dem Wunsch, beim Erziehen alles richtig zu machen. Wer keine Fehler begehen will, blockiert sich allerdings in der Praxis allzu oft selbst. Wie soll man im Umgang mit Kindern etwa noch spontan handeln, wenn jede Aktion erst einmal daraufhin bedacht werden muss, ob sie sich harmonisch ins große Ganze einfügt?

Eltern sollten sich wieder mehr auf ihr Bauchgefühl verlassen. Diesem Gefühl zu folgen heißt noch lange nicht, dass man gedankenlos ist. Es bedeutet vielmehr, sich von der Vorstellung zu lösen, man habe alles im Griff. Kinder ins Leben zu begleiten braucht Kraft und Engagement, aber eben auch das nötige Quentchen Glück. Hat man dieses Glück, kann man es dankbar annehmen. Sich dessen bewusst zu sein und zu bleiben, kann Eltern zu mehr Gelassenheit verhelfen.

Die Ratgeberflut ist wohl weniger ein Indiz als vielmehr eine weitere Ursache der Verunsicherung. Wer von Müttern und Vätern fordert, dass sie ihre Kinder annehmen, wie sie sind, der sollte seinerseits die Eltern annehmen, wie sie sind. Das bedeutet, nicht ständig den Blick auf mutmaßliche Versäumnisse, Fehler und Schwächen zu richten, sondern auf die Stärken der Mütter und Väter zu achten, und diese auch zu benennen und zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Typisch für verunsicherte Eltern ist, dass sie meinen, nur in ihrer Familie laufe alles Mögliche schief, während andere Eltern keine Probleme hätten. Das ist natürlich eine Fehleinschätzung. Wer Eltern als Beratender zur Seite stehen möchte, sollte ihnen zunächst einmal diese Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste nehmen. Nur Eltern, die wissen, worin sie richtig gut sind, werden beim Erziehen eine Sicherheit gewinnen, die auch ihren Kindern zugutekommt.

Dritte Frage: Sind Väter und Mütter heute unselbständiger als früher? Es gibt unzählige Seminare und Vorträge zum Thema Erziehung; und es gibt Bücher und die Möglichkeit zur Einzelberatung. Machen sich Eltern nicht letztlich viel zu abhängig von sogenannten Erziehungsexperten?

Antwort: Erziehungstipps findet man schon bei Platon und Aristoteles, und Bildungsangebote für Eltern sind auch nichts wirklich Neues. Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Bücher des Pädagogen und Sozialreformers Pestalozzi Bestseller, auch wenn die damaligen Auflagen nicht vergleichbar sind mit den heutigen. Die vielen Ratgeber in Buchform erweitern durchaus das Wissen von Eltern, was dann den Kindern letztlich guttut.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass natürlich nicht jeder Ratgeber ein alltagstauglicher Ratgeber ist. Mitunter wird der Eindruck erweckt, Kinder ließen sich gewissermaßen »nach Rezept« erziehen – mit den richtigen Zutaten in der richtigen Menge werde schon etwas Gutes dabei herauskommen. Eine solche Haltung lässt den individuellen Besonderheiten von Erziehenden und Kindern keinen Raum. Erziehung ist keine Technik. Zu erziehen heißt, eine bestimmte Haltung mir selbst und dem Kind gegenüber einzunehmen. Erziehen heißt in Beziehung treten, und das läuft nicht ohne Konflikte ab. Die Beziehung zwischen dem Kind und den Erwachsenen ist ständig im Wandel, muss immer wieder neu austariert werden. So gesehen ist Erziehung eigentlich eine Zumutung. Die Eltern muten sich selbst etwas zu, sie muten ihren Kinder etwas zu, und diese umgekehrt wieder den Eltern. Gute Erziehungsberater nehmen den Begriff der Zumutung beim Wort: Statt Eltern Rezepte zu geben, ermutigen sie sie dazu, ihren eigenen Weg durchs Land der Erziehung zu finden. Sie stellen eine Landkarte und einen Kompass zur Verfügung, nicht aber fertige Wanderrouten. Gehen müssen Väter und Mütter dann alleine, und dabei ist es erlaubt, gelegentlich umzukehren oder Umwege zu machen.

Vierte Frage: Brauchen Kinder heute mehr oder weniger Freiraum? Wird zu viel an ihnen herumerzogen, sodass sie sich nicht mehr frei entfalten können? Oder werden sie zu kleinen Tyrannen, weil man ihnen zu viele Freiheiten lässt?

Antwort: Kinder haben es heute zugleich schwer und leicht. Sie bekommen viel Zuwendung; man achtet auf ihre Bedürfnisse und Wünsche und darauf, sie möglichst nicht zu frustrieren. Oft werden dabei allerdings emotionale und materielle Bedürfnisse verwechselt. Materielle Frustrationen können Kinder und Jugendliche aushalten, auch wenn sie natürlich dagegen protestieren werden. Man muss also dem Sohn, der Tochter nicht jeden Wunsch nach teuren Markenartikeln erfüllen.

Anders sieht es mit emotionalen Frustrationen aus. Wenn ein Kind sich nicht so angenommen fühlt, wie es ist, wenn es bestimmte Anteile seiner Persönlichkeit nicht zeigen darf, wird es dadurch nachhaltig verunsichert. Es fühlt sich von seinen Bezugspersonen allein gelassen. Möglicherweise richtet es sich dann in einer bestimmten Rolle ein, die ihm von außen zugeschrieben wird: »unsere Mittlere«, das »Problemkind«, der »Wildfang« usw. Stärken und Begabungen können hinter solchen Rollenzuschreibungen aus dem Blickfeld geraten. Das Kind aber hat seine vermeintlich bequeme Nische gefunden, in der ihm die Zuwendung anderer sicher ist.

Ich betone gerne immer wieder: Kinder brauchen nicht nur das Angenommen-Sein, sondern vor allem auch Raum und Zeit, um sich zu entwickeln. Jedes Kind hat sein eigenes Tempo, das ihm zugestanden werden sollte. Manche sind schneller unterwegs, andere eben langsamer. Weil gegenwärtig ohnehin alles schnell und oft genug verfrüht geschieht, ist Entschleunigung wichtiger denn je. Dass Kinder heute körperlich größer, robuster, widerstandsfähiger sind, heißt nicht, dass sie auch innerlich »größer« sind. Es führt zu nichts, wenn man Kinder möglichst schnell und effektiv auf »das Leben« vorbereiten will, das dann später irgendwann beginnt. Leben ist jetzt, in jedem Augenblick; und Erziehung ist Leben. Nicht von ungefähr äußern Kinder zwei Wünsche: »Beobachtet mich nicht ständig!« Und dann: »Vergleicht mich nicht immer mit anderen!« Letzteres hat schon Pestalozzi gefordert: Vergleiche ein Kind nicht mit einem anderen – es sei denn mit sich selbst.

Zum Thema Freiraum ist zu sagen: Kinder mögen Räume, die nur ihnen gehören. Zu diesen Räumen zählt das eigene Zimmer, das gelegentlich unaufgeräumt sein darf und in dem man nicht immer produktiv spielen muss, sondern auch mal einfach vor sich hinträumen darf. Raum für sich zu haben heißt im übertragenen Sinne aber wiederum, so akzeptiert zu werden, wie man ist.

»Meine Eltern hacken immer nur auf den Sachen herum, die ich nicht so gut kann wie andere Kinder«, berichtet die elfjährige Paulina. »Dass sie mal sagen: ›Mensch, das hast du jetzt aber gut hingekriegt!‹, kommt nur ganz selten vor.« Einem Kind gerecht zu werden, ihm Freiraum im besten Sinne zu lassen, bedeutet zu akzeptieren, dass Entwicklung niemals geradlinig verläuft, sondern dass sie vielmehr ein Gemenge aus Stillstand, Fortschritt und Rückwärtsgehen ist. Eltern, die wissen, dass all das ganz normal ist, brauchen sich zudem nicht ständig Gedanken über mutmaßliche eigene Erziehungsfehler zu machen. Denn auch für Väter und Mütter gilt, dass sie Freiraum brauchen. Wer immer nur an das denkt, was nicht funktioniert, gräbt sich selber das Wasser ab, lässt eigene Kompetenzen außer Acht und übersieht, was gelungen ist. Elternbildung, die wirklich ermutigen will, verweist auf diesen Freiraum – den der Kinder und den der Eltern.

Fünfte Frage: Gibt es zentrale Aspekte, die eine »gute« Erziehung ausmachen?

Antwort: Ja, die gibt es. Eine »gute« Erziehung wird elterlichen wie kindlichen Bedürfnissen gerecht. Sie ist davon geprägt, dass man sich gegenseitig respektiert und aufeinander achtet. Eltern und Kinder sind dabei nicht gleichrangig, aber gleichwertig. Eltern sind nun einmal älter; sie haben die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder, der sie nachkommen müssen. Auf ihr Mehr an Erfahrung sollten sich Kinder und Jugendliche verlassen können, sie sollten sich aber auch daran reiben dürfen.

»Gute« Mütter und »gute« Väter sind nicht besserwisserisch. Sie verkneifen sich den Satz »Hab ich’s dir nicht gleich gesagt?!«, wenn Kinder schmerzhafte Erfahrungen machen. Sie erkennen hingegen an, dass sie ihrerseits von den Kindern lernen können: Etwa neugierig zu sein, sich nicht zu schnell zufriedenzugeben oder den Dingen auf den Grund gehen zu wollen.

»Gute« Eltern haben nicht das Gefühl, sich für ihre Kinder aufzuopfern. Sie trauen sich, hinzustehen und zu sagen: »Ich weiß jetzt gerade auch nicht weiter.« Kinder lieben und wertschätzen Eltern, die unvollkommen sind. Kinder machen es Erwachsenen außerdem leichter, die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren. »Wenn ihr alles, aber wirklich alles richtig machen wollt, könnt ihr euch sicher sein, dass wir euch auf den Boden der Tatsachen zurückholen werden, und zwar genau dann, wenn ihr es nicht erwartet« – so könnte man eine der wichtigsten Botschaften der Kinder an ihre Eltern umschreiben.

»Gute« Mütter und Väter bremsen sich aus, wenn sie sich dabei erwischen, dass sie im Geiste schon wieder der Gegenwart weit voraus sind. »Wo soll das noch alles enden?«, »Wie soll das werden, wenn mein Kind in den Kindergarten / in die Grundschule / auf die weiterführende Schule kommt?« – solche und ähnliche Fragen führen meistens dazu, dass man sich Schreckensgemälde ausmalt. »Der Weg ist das Ziel!« Dieser viel zu häufig zitierte Satz hat für das Erziehen von Kindern nichts von seiner Bedeutung verloren. Den Weg dem Ziel zu opfern, das heißt, Erfahrung, Bewegung, letztlich das Leben zu opfern. So haben es einmal zwei Pädagogen formuliert. Kinder brauchen Bewegung und sie brauchen Erfahrung, weil beides Leben ausmacht.

Sechste Frage: Was erwartet Eltern in Ihren Seminaren und bei Ihren Vorträgen? Und was können sie von Ihrem Buch erwarten?

Antwort: Es soll viel gelacht werden. In meinen Seminaren und bei Vorträgen empfinde ich das gemeinsame Lachen als wohltuend. Es ist ungemein erleichternd, wenn Eltern gemeinsam mit anderen Müttern und Vätern herzhaft über die täglichen Erziehungsmühen lachen können. Sehr häufig bekomme ich danach zurückgemeldet, wie gut ihnen dieses Lachen getan habe.

Im Zusammentreffen mit anderen Eltern erfahren Mütter und Väter ganz unmittelbar: Anderen geht es genauso wie mir. Das Lachen ist dann kein Lächerlich-Machen, sondern schafft Abstand, befreit und gibt Raum für neue, andere Erfahrungen. Ich erlebe immer wieder, wie Freudentränen fließen.

Außerdem ist es mir wichtig, den Eltern immer wieder zu vermitteln: Ihr seid kompetent zum Erziehen. Ich möchte Väter und Mütter in ihrer Würde bestätigen. Wenn nach einem Seminar oder Vortrag jemand zu mir kommt und sagt: »Also, viel Neues habe ich nicht erfahren, aber ich habe mich ernst genommen und bestätigt gefühlt«, dann fasse ich das als Kompliment auf und als Bestätigung meines Ansatzes, der sich derart umschreiben lässt: Nur wenn es dir gut geht, geht es auch den Kindern gut.

Dieses Buch hat eine ähnliche Intention. Ich verstehe es als Einblick in meine Werkstatt, in die verschiedenen Aspekte der Elternbildung und -beratung. Dabei stehen jene Fragen und Themen im Vordergrund, die Eltern ganz besonders beschäftigen. »Werkstatt« meint aber auch: Die Dinge sind in Arbeit. In einer Werkstatt ist nichts vollkommen, und beim Erziehen gibt es nicht »das richtige« Konzept, das für alle Eltern passt. Aus diesem Grund werden im dritten Kapitel einige Konzepte der Erziehungsberatung vorgestellt. Notwendigerweise musste aus der Vielzahl dessen, was angeboten wird, eine subjektive Auswahl getroffen werden. Ich habe primär diejenigen Konzepte ausgewählt, die Erziehen nicht als ›Ziehen‹, sondern als Begleiten verstehen und Eltern nicht als zu Belehrende ansehen, sondern als Menschen, die Respekt dafür verdienen, dass sie sich gemeinsam mit ihren Kindern immer wieder neu auf den Weg machen. Zuvor jedoch möchte ich einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen: Wie ist Elternbildung überhaupt entstanden?

2. Ein Blick in die Historie der Elternbildung

Elternbildung ist kein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts. Hinweise darauf, wie Eltern ihre Kinder zu erziehen haben, finden sich schon auf altägyptischen Steintafeln, später dann bei den Philosophen der griechischen Antike und noch später etwa bei Erasmus von Rotterdam oder John Locke – um nur einige wenige zu nennen.

Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten Zeitschriften, die Frauen aus dem Bürgertum mit Tipps zur Haushaltsführung und zur Kindererziehung zur Seite stehen wollten. 1801 erschien Johann Heinrich Pestalozzis Bestseller Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, der bei der bürgerlichen Leserschaft regen Anklang fand. Im Gefolge dieses Elternratgebers wurden weitere pädagogische Bücher veröffentlicht, die sich in aller Regel an das gehobene Bürgertum richteten.

Knapp 100 Jahre später führten große soziale und wirtschaftliche Umbrüche zu einer Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Um 1900 entstanden vor allem in den Großstädten erste Beratungsstellen für Familien sowie Institutionen der Elternbildung. Das Wort »Bildung« ist dabei jedoch keineswegs im heutigen Sinne zu verstehen. »Bildung« bedeutete, das Kind einzupassen in die soziale und ökonomische Ordnung einer Welt, in der es zu »funktionieren« hatte. Kinder waren nicht Teil einer Erziehungsbeziehung, sondern Objekte von Erziehungsbemühungen, bei denen es primär um Unterordnung ging. Züchtigungen und Beschimpfungen galten als legitime Mittel der Erziehung.

Erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts – beeinflusst unter anderem durch die tiefenpsychologischen Erkenntnisse Sigmund Freuds und Alfred Adlers – rückte die Erziehung als Beziehung allmählich ins Blickfeld. In den 1920er-Jahren entstanden in Wien erste individualpsychologische Beratungsstellen, deren Arbeit von humanistischen Überzeugungen geprägt war. Der Nationalsozialismus beendete diese frühen Versuche, Kinder als Subjekte in der Erziehung zu begreifen. Kinder wie Eltern wurden nun zu Objekten einer möglichst effektiven Indoktrination. Die Bildungsinstitutionen des NS-Staates dienten dem Zweck der weltanschaulichen Überwachung und Auslese.

In den 1950er- bis 1970er-Jahren kam es zu einem ersten wirklichen Boom der Elternbildung. Standen in der Nachkriegsgesellschaft, in der die Väter fehlten oder schwer geschädigt aus dem Krieg heimgekehrt waren, noch die Mütter im Zentrum der Beratung, so rückte Anfang der 70er-Jahre die »Familienbildung« in den Vordergrund. Elternbildung ist nun nicht mehr in erster Linie Hilfe in akuten Not- und Problemsituationen, sondern sie richtet sich an alle Familien, unabhängig von spezifischen Problemlagen oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsschicht. Elternberatung entwickelte sich damit von der medizinischpädagogischen Fürsorge der Nachkriegszeit hin zu einer systemischen Betrachtung von Familien. Sie verfügt inzwischen über eine Vielzahl unterschiedlicher psychologischer Konzepte. Die Familien sind in der Sichtweise der modernen Elternbildung nicht mehr Objekt pädagogischer Intervention; vielmehr konzentrierte man sich im Laufe der Zeit mehr und mehr auf die Fähigkeiten und Potentiale, die Eltern schon mitbringen, sowie auf die Rolle und die Bedeutung der Kinder im Verlauf eines Bildungsprozesses.

Parallel dazu gibt es seit langem den Vorwurf, Eltern würden ihre Kinder »nicht mehr erziehen«. Anders als sich vermuten ließe, kam er nicht erst nach 1968, sondern bereits in den 1950er-Jahren auf, seinerzeit mit der Stoßrichtung, Eltern sollten von ihren Kindern mehr Unterordnung und Anpassung einfordern. In den 70er-Jahren ertönte das Schlagwort vom »Mut zur Erziehung«, das sich jedoch auf akademische und bildungsbürgerliche Kreise beschränkte. Und seit Mitte der 1990er-Jahre wird der Ruf nach Disziplin und Disziplinierung wieder lauter. Breit rezipierte Bücher wie etwa Lob der Disziplin (Bernhard Bueb) oder Warum unsere Kinder Tyrannen werden (Michael Winterhoff ) stehen mit ihren Überlegungen im Widerspruch zu dem, was in der Familienberatung und Elternbildung seit Anfang der 80er-Jahre allgemein verbindlich wurde.

Wirft man einen Blick auf die derzeit bekanntesten Konzepte zur Elternbildung und Kindererziehung, dann lassen sich drei verschiedene zugrunde liegende Eltern- oder Erziehertypen ausmachen: Da gibt es zunächst einmal den Wissensvermittler, der Kinder als unwissende Wesen begreift, die es mit möglichst viel Wissen zu füllen gilt (Stichwort »Super Nanny«). Dann gibt es das Bild vom Erziehenden als eine Art Schöpfer, der das Kind nach seinen Vorstellungen formt. Dazu ist natürlich erforderlich, dass sich dieses auch formen lässt, sprich: dass es gehorsam ist, sich unterordnet, Einschränkungen fügsam hinnimmt (Stichwort »Triple P«). Und zu guter Letzt gibt es noch den Erziehenden als Gärtner. Er schaut auf das, was die jungen Pflanzen, also die Kinder, von sich aus bereits mitbringen. Er weiß, dass manche Pflanzen mehr Wasser brauchen als andere, dass manche schneller wachsen und andere langsam, dass manche Sonne brauchen und andere eher Schatten. Erziehung ist hier Wachstums-Begleitung (Stichwort »Starke Eltern – starke Kinder«, »STEP«, »Encouraging«, »Familienkonferenz«, »Kess-erziehen«).

Nun soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden, dass man Kindern im Laufe ihres Heranwachsens auch Wissen vermitteln soll. In erster Linie brauchen sie jedoch Begleitung. Sie brauchen Menschen an ihrer Seite, die erkennen:

Entwicklung ist keine stetige Aufwärtsbewegung. Beim Lernen gibt es auch Rückschritte, Enttäuschungen, Frustrationen.

Bildung ist nicht einfach die Aneignung eines vorgegebenen Wissenskanons. Bildung als Selbstbildung ist die Entwicklung hin zu Autonomie und Eigenständigkeit. Sie braucht Neugierde ebenso sehr wie Kreativität – und sie erzeugt Freude an dem, was man selbst geschafft und geleistet hat.

Und last but not least: Jedes Kind ist etwas ganz Besonderes. Keines lässt sich ohne weiteres mit anderen Kindern vergleichen.

Konflikte selber lösen, aus eigener Verantwortung handeln, »gut sein« wollen und einsehen, warum bestimmte Normen und Werte ihre Berechtigung haben – das sind Dinge, die sich nicht mechanisch eintrichtern lassen, sondern die jedes Kind in seinem eigenen Tempo und auf seine ganz individuelle Art und Weise erst nach und nach lernen muss. Von dem Pädagogen Rolf Arnold stammt die Maxime, dass man Freiheit (und das meint auch die Freiheit zur Verantwortung) nicht durch Disziplin erwirbt, sondern umgekehrt Selbstdisziplin durch Freiheit. Eltern können Kinder nicht gut »machen«, sondern »nur« dahin bringen, dass sie sich ihrerseits wünschen, »gut« zu sein. Dazu braucht es nicht Drill und Strafe, sondern Regeln, Rituale und Grenzen, die miteinander besprochen werden. Mit ihrer Hilfe können Kinder die typisch egozentrische Weltsicht des Säuglings- und Kleinkindalters überwinden und nach und nach altruistisches Handeln entwickeln, etwa indem sie anderen Kindern helfen, etwas mit ihnen teilen oder sie trösten.

Freiheit in der Beziehung heißt nicht, Kindern alles zu gewähren. Eine solche Entgrenzung macht ihnen letztlich Angst. Wenn nichts mehr gilt, ist es den Eltern ja möglicherweise auch egal, ob sie, die Kinder, da sind oder nicht. Kinder brauchen verlässliche Eltern, und sie brauchen Verbindlichkeit. Diese wiederum ist nicht zu verwechseln mit Machtausübung. Elterliche Autorität bedeutet nicht Höherwertigkeit. Wer sich körperlich, moralisch und intellektuell über sein Kind erhebt, der wird Konformität fordern statt Autonomie, bloßen Gehorsam statt Selbstdisziplin. Was dabei herauskommt, sind nicht eigenständige Erwachsene, sondern Gefolgsleute, die Regeln nur befolgen, um nicht bestraft zu werden.

Normen und Werte zu verinnerlichen bedeutet, ihre Notwendigkeit einzusehen und sie zu akzeptieren. Wer Zeit hatte, wirklich zu verstehen, dass andere ein Recht auf Unversehrtheit haben, der wird in der Lage sein, auf eine sozial verträgliche Weise die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Wer nicht einfach bestraft, sondern in altersangemessener Weise mit den Konsequenzen seines Handelns vertraut gemacht wird, ist irgendwann in der Lage, eigenes Fehlverhalten einzugestehen, destruktiven inneren Impulsen zu widerstehen und gleichzeitig einzusehen, dass sie Teil des Lebens sind. Das geschieht aber nicht von heute auf morgen, sondern im Laufe eines Prozesses, bei dem die Kinder aktive Teilhaber sind.

3. Konzepte der Elternbildung – eine Übersicht

3.1 Ein Wort voraus

Die Vielzahl an Publikationen zum Thema Erziehung – sei es in Buchform oder als Zeitschriftenartikel – zusammen mit den Angeboten zur Elternbildung haben dazu geführt, dass Eltern heute sehr viel mehr über Kindererziehung wissen als zu anderen Zeiten. Vor allem was bestimmte, typische Konflikte angeht, haben viele Eltern von den einschlägigen Lösungsansätzen zumindest schon einmal gehört. Inwieweit sich diese mitunter idealtypisch angelegten Lösungen dann in der Praxis umsetzen lassen, ist freilich eine andere Frage. Läuft es mit den Kindern im wirklichen Leben dann dauernd ganz anders und viel unbefriedigender als in Büchern beschrieben, können Minderwertigkeits-, Schuld- oder gar Versagensgefühle die Folge sein.

So viel Eltern über Erziehungstechniken wissen, so lückenhaft informiert sind sie mitunter über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Erziehung ist aber eben keine rein technische Angelegenheit, wie manche Ratgeber und Kurse suggerieren. Kinder verhalten sich auf eine bestimmte Art und Weise, weil sie sich in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung befinden, und nicht etwa, weil ihre Eltern eine bestimmte Erziehungstechnik angewendet haben. Darüber hinaus drückt sich im Verhalten eines Kindes sein Charakter, sein Temperament, seine individuelle Besonderheit aus.

Viele Erziehungsratgeber und Ansätze in der Elternbildung verschweigen, dass Entwicklung nicht ohne gewisse Mühen verläuft. Wo Kinder und Eltern miteinander leben und sich entwickeln, ist Reibung unvermeidlich. Konflikte und schwierige Zeiten gehören ebenso dazu wie Rückschritte. Kein Kind wächst vollkommen geradlinig heran, und jeder Schritt hin zu mehr Reife und Autonomie bedeutet, dass das Kind nun eben auch Dinge tun kann, die den Eltern möglicherweise nicht so sehr gefallen. Heranwachsen bedeutet, dass das Kind sich immer mehr von seinen Eltern ablöst – ein Charakterzug von Entwicklung, der Vätern und Müttern durchaus von Zeit zu Zeit Angst machen kann. Je mehr Eltern dann zum Festhalten tendieren, desto heftiger wird das Kind auf die eine oder andere Art darum kämpfen, losgelassen zu werden.

Elternbildung sollte also mehr sein als nur die Vermittlung von Erziehungstechniken oder Ideallösungen für alltägliche Konflikte. Wichtiger sind die Grundhaltungen, die man dem Kind gegenüber einnimmt. In Ansätzen wie zum Beispiel »Starke Eltern – starke Kinder«, »Encouraging«, »STEP«, »Kess-erziehen« oder in der »Familienkonferenz« sind solche Haltungen berücksichtigt. Welche Grundeinstellungen sind es, die Eltern und Kindern guttun?

Eltern führen ein »Fehl«verhalten von Seiten des Kindes nicht unmittelbar auf Erziehungsfehler zurück. Möglicherweise hat es viel mehr mit der Entwicklungsphase zu tun, in der sich das Kind gerade befindet. Zwischen Erziehung und Entwicklung zu unterscheiden ist mehr als nur graue Theorie. Erziehungsfehler gilt es abzustellen, Entwicklungsbesonderheiten gilt es hingegen anzunehmen und zu begleiten.

Eltern erkennen an, dass sich Kinder höchst unterschiedlich entwickeln und dass deren Entwicklung nicht linear verläuft. Darüber hinaus sind sie sich dessen bewusst, dass jedes Kind sein eigenes Entwicklungstempo hat. (Tatsächlich können die Unterschiede zwischen Kindern so enorm sein, dass manche Kinder bis zu drei Jahre älter wirken als ihre Altersgenossen.) Eltern verstehen sich nicht als Antreiber, sondern als Begleiter der kindlichen Entwicklung. Dazu gehört auch, dass sie Disharmonien in der körperlichen, emotionalen, kognitiven, sprachlichen und sozialen Reifung eines Kindes aushalten, statt allzu schnell von »Störungen« zu reden, die es zu beheben gilt.

Eltern leben mit ihren Kindern im Hier und Jetzt, statt ständig Prognosen darüber abzugeben, was in Zukunft möglicherweise sein wird.

Eltern verstehen das Erziehen als partnerschaftlichen Prozess. »Erziehungspartnerschaft«, wie sie zum Beispiel in »Starke Eltern – starke Kinder«, »STEP«, »Encouraging« oder in der »Familienkonferenz« propagiert wird, meint nicht, dass Eltern und Kinder gleichrangig sind: Eltern haben ihren Kindern naturgemäß einiges an Lebenserfahrung voraus. Kinder möchten sich beim Heranwachsen auf das größere Wissen ihrer Eltern verlassen können, ohne es ständig vorgehalten zu bekommen. Ihr Erfahrungsvorsprung gibt Müttern und Vätern nicht das Recht zur Bevormundung oder Überbehütung. Eltern und Kinder sind nicht gleichrangig, aber gleichwertig. Das bedeutet, dass auch die Eltern von den Kindern lernen, die als Lehrer der Erwachsenen mitunter langmütiger, spontaner, einfühlsamer und geduldiger sind als diese. Mit Kindern zu leben heißt, gemeinsam mit ihnen zu lernen. Übrigens lassen sich die empfehlenswerten Konzepte der Elternbildung daran erkennen, dass sich die Berater nicht einseitig als Lehrer der Eltern verstehen, sondern vielmehr gemeinsam mit diesen das Konzept gestalten, umsetzen und weiterentwickeln.

Das Bildungsangebot für Eltern ist inzwischen äußerst vielfältig (vgl. dazu Tschöpe-Scheffler, 2006): Es reicht von standardisierten Konzepten mit einem strukturierten Programm (vgl. die Übersicht weiter unten) über Einzelveranstaltungen etwa an Familienbildungsstätten bis hin zur Zusammenarbeit von Beratungsstellen mit Kindergärten oder Schulen. Diese Vielzahl an Angeboten ist zu begrüßen, weil sie der Unterschiedlichkeit der Eltern gerecht wird. Nicht jeder Ansatz passt für jede Familie. Im Großen und Ganzen lassen sich drei Elterntypen unterscheiden:

Diejenigen Väter und Mütter, die alles richtig und perfekt machen wollen;

Eltern, die sich für Erziehungsfragen interessieren und motiviert sind, aktiv zu erziehen;

Väter und Mütter, die mit ihrem Latein am Ende sind, sich großen Problemen gegenübersehen und nicht mehr weiterwissen.

Eltern des ersten Typus’ sind ganz auf ihr Kind fokussiert. In ihrem Bemühen, in allen Bereichen stets das Beste für ihr Kind zu tun, überfordern sie es mitunter. Diese Eltern sind stark auf die Zukunft konzentriert, statt ihr Kind im Hier und Jetzt zu begleiten. Das Kind soll etwas werden, etwas erreichen, es besser haben als die Eltern. Läuft es mal nicht glatt, fühlen sich die Eltern rasch bedroht, was die Beziehung zum Kind belastet und zu noch mehr Konflikten führt. In der Folge können bei den Eltern Schuld- und Versagensgefühle entstehen. Für den Fall, dass Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen sollten, ist für Sie höchstwahrscheinlich ein Angebot geeignet, das Ihnen zu Ihrer Entlastung entwicklungspsychologische Grundkenntnisse und Techniken der Selbsterfahrung vermittelt. Ersteres verhilft Ihnen dazu, das Verhalten Ihres Kindes besser zu verstehen; Letzteres dazu, dass Sie freundlicher und behutsamer mit sich selbst umgehen – was wiederum Ihrem Kind zugutekommen wird.

Eltern des zweiten Typus’ wissen meist einiges über Erziehungstechniken und sind in Sachen Erziehung gleichermaßen kompetent wie motiviert, »Neues« auszuprobieren. Dennoch verunsichert es Väter und Mütter dieses Typus’, wenn ihr Kind sich nicht so verhält, wie sie es erwarten oder vermuten. Falls Ihnen das beim Lesen bekannt vorkommen sollte, profitieren Sie wahrscheinlich am meisten von einem Bildungsangebot, bei dem Sie in Kontakt mit anderen Müttern und Vätern kommen, mit denen Sie sich austauschen und gemeinsam darüber nachdenken können, wo es beim Erziehen »hakt«. Unter der Anleitung eines Vortragenden oder Seminarleiters, der mehr als Moderator denn als Experte auftritt, können Sie so Ihr bereits vorhandenes Wissen in Sachen Erziehung genau an den Punkten erweitern, an denen Sie es brauchen.

Der dritte Elterntypus umfasst Väter und Mütter, die das Gefühl haben, dass in Sachen Erziehung »nichts mehr geht«. Möglicherweise steckt die Familie in einer schwierigen Lebenssituation, in der es aus Sicht der Eltern wichtig wäre, dass die Kinder »einfach funktionieren«. Aber das tun sie nicht – stattdessen »kracht« es zunehmend heftiger. Falls bei Ihnen in Sachen Erziehung gerade »Land unter« sein sollte, sehnen Sie sich naturgemäß danach, die Probleme möglichst rasch zu lösen. Sie brauchen ein Bildungsangebot, das klar auf bestimmte Ziele hin zugeschnitten ist und bei dem Sie nicht das Gefühl haben, die Katze im Sack zu kaufen oder endlos um den heißen Brei herumzureden. Darüber hinaus ist es wichtig, dass der Kurs oder die Beratung in Ihrer Nähe sind und ohne großen Aufwand besucht werden können. Möglicherweise finden Sie das passende Angebot schon am Schwarzen Brett in der Schule oder in dem Kindergarten Ihres Kindes. Wenn Sie auf diese Weise ins Gespräch mit anderen Müttern und Vätern aus Ihrem Umfeld kommen: Umso besser. Sie werden sehen, dass in anderen Familien auch nicht alles wie am Schnürchen läuft.

Elternbildung hat viele Facetten. Sie vermittelt Vätern und Müttern zum einen Wissen über Erziehungstechniken: Die Eltern erfahren, wie sie sich in konkreten Situationen angemessen verhalten können. Um respektvoll mit ihrem Kind umgehen zu können, müssen sie wissen, wo es in seiner Entwicklung steht und wie sein Charakter beschaffen ist. Nicht jede Technik funktioniert bei jedem Kind gleich gut. Eltern sollten mehr von dem tun, was in der Erziehung klappt, und das weglassen, was nicht funktioniert. Wenn sie sich Gedanken darüber machen, warum etwas nicht klappt, ist es hilfreich, etwas darüber zu wissen, wie Kinder sich entwickeln. Womit ein zweiter Kernbereich der Elternberatung angesprochen ist: die Vermittlung von entwicklungspsychologischem Wissen.

Neben der Qualifizierung der Eltern als Erziehende sollte eine gute Elternbildung jedoch auch die persönliche Weiterentwicklung der Väter und Mütter im Blick haben (vgl. dazu Tschöpe-Scheffler, 2006, S. 287). Sie sollte Väter und Mütter dabei unterstützen, über sich selbst nachzudenken: Welche Konflikte haben möglicherweise etwas mit eigenen Wünschen und Sehnsüchten zu tun? Wo ist man beim Erziehen eventuell allzu sehr geprägt von dem Wunsch, es anders zu machen als die eigenen Eltern? Wo will man am eigenen Kind etwas gutmachen, was man als Versäumnis in der eigenen Kindheit empfindet? Diese Aspekte werden in späteren Kapiteln des vorliegenden Buches noch ausführlicher zur Sprache kommen.

Eine weitere Facette der Elternbildung, an die man vielleicht nicht ohne weiteres denkt, ist die Beziehung der Väter und Mütter zueinander. Eine gute Elternbildung wird Männer und Frauen dazu ermutigen, nicht nur Eltern, sondern weiterhin auch ein Paar zu sein. Dies ist nicht zuletzt wichtig für die Zeit, in der die Kinder aus dem Haus gehen.

Generell gilt, dass Bildungsangebote für Eltern gut zugänglich sein müssen, damit sie zu einer echten Unterstützung werden können. Die wöchentliche Eltern-Kind-Gruppe im eigenen Stadtviertel oder im Kindergarten, das Seminar an der Volkshochschule, der Vortrag an der Familienbildungsstätte werden so zum Ausgangspunkt für Eltern-Netzwerke. Alles zusammen bewirkt, dass Eltern sich beim Erziehen nicht mehr allein auf weiter Flur fühlen, sondern dass sie sich als Teil eines größeren Ganzen erleben.

Bei der detaillierteren Vorstellung verschiedener Konzepte der Elternbildung wird im Folgenden vor allem darauf eingegangen, inwieweit sie Eltern entwicklungspsychologisches Wissen vermitteln und inwieweit sie den Aspekt der elterlichen Persönlichkeitsbildung berücksichtigen. Die Umsetzbarkeit eines Konzepts in der Stadtteilarbeit und in Eltern-Netzwerken ist ein weiteres wichtiges Kriterium. Wenn in den folgenden Kapiteln nicht alle neueren Konzepte vorgestellt werden, ist dies Platzgründen geschuldet (so bleiben zum Beispiel »Familienteam« und »Eltern stärken« hier ausgeblendet; vgl. dazu Tschöpe-Scheffler, 2006; Gleiches gilt für die »Eltern-AG«; vgl. dazu Sodtke/Armbruster, 2007).

3.2 »FuN«

Beginnen möchte ich mit einem Angebot, bei dem Eltern gezielt angesprochen werden. »FuN« (»Familie und Nachbarschaft«) setzt auf die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten und Grundschulen. Es eignet sich für Eltern des dritten Typus’, die beim Erziehen akute Probleme haben, einer Elternberatung aber gleichzeitig skeptisch gegenüberstehen.

»FuN« arbeitet daran, das Selbstvertrauen der Eltern, das durch die Probleme mit den Kindern oft stark in Mitleidenschaft gezogen ist, wieder aufzubauen. Das Programm betrachtet jede Familie als System, dessen Teile wechselseitig aufeinander einwirken. Ändert sich etwas bei den Eltern, wirkt sich dies auch auf die Kinder aus. Eltern, die mit sich selbst gut umgehen können und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten haben, werden zu ihren Kindern leichter eine wertschätzende Beziehung aufbauen können. »FuN« sieht Eltern und Kinder als gleichwertig an, aber nicht als gleichrangig. Die Erwachsenen tragen die Verantwortung für die Entwicklung der Kinder; sie sollen ermutigt werden, dieser Verantwortung nachzukommen.

Über einen Zeitraum von acht Wochen werden verschiedene Familien einmal wöchentlich zusammengebracht – »FuN« möchte auf diese Weise fördern, dass die Eltern sich untereinander vernetzen. Die Nachmittagstermine dauern jeweils etwa drei Stunden und haben ein festes Programm, das Spiele, Lieder und gemeinsames Essen umfasst. Dabei werden die Familien begleitet von sogenannten »FuN-Teamern«, meist ErzieherInnen, die eine entsprechende Fortbildung absolviert haben. Nach Ablauf der acht Wochen treffen sich die Eltern vielfach noch ein halbes Jahr lang ein Mal im Monat, damit das »Netzwerken« und der Erfahrungsaustausch erhalten bleiben. Auch bei diesen Treffen sind ausgebildete ModeratorInnen anwesend.

3.3 »Triple P«

»Triple P« (»Positive Parenting Program«) ist ein in Australien entwickeltes Konzept, das vor allem verhaltenstherapeutische Grundlagen hat. Die Grundbotschaft an die Eltern lautet: »Gebt euren Kindern klare Botschaften vor, dann vermittelt ihr ihnen Halt und Orientierung.« Die Zielgruppe sind Eltern, die für ihre Erziehungsprobleme schnelle und gut umsetzbare Lösungen suchen. Die Eltern absolvieren bei »Triple P« ein gleichermaßen praktisches wie theoretisches Training.

Das Programm möchte eine liebevolle Beziehung zwischen Eltern und Kindern fördern. Neben der Beziehungsarbeit steht das Setzen von Grenzen im Vordergrund. Dazu ist anzumerken, dass Letzteres ohne eine stabile Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht funktioniert. »Triple P« ist damit nicht geeignet für Eltern und Kinder, die bereits schwerwiegende Probleme miteinander haben. Das Programm braucht eine sichere und anregende Lernatmosphäre, die bei akuten Erziehungsproblemen in der Regel nicht gegeben ist.

Die Eltern werden bei »Triple P« ausdrücklich dazu angehalten, zwischen der Persönlichkeit ihres Kindes und einem aktuellen (Fehl-)Verhalten zu unterscheiden. Die Anwendung von Erziehungstechniken soll immer das konkrete Verhalten im Blick haben, niemals aber dem Kind das Gefühl geben, es werde in seiner Persönlichkeit von den Eltern abgelehnt. Genau diese Gefahr besteht jedoch, wenn Eltern Techniken wie die »Auszeit« oder den »stillen Stuhl« einsetzen, ohne dass als Basis eine stabile und sichere Beziehung zum Kind gegeben ist. Das Kind wird diese Maßnahmen dann als Übergriff empfinden, der sich gegen seine Persönlichkeit richtet; es wird sich abgelehnt und gedemütigt fühlen. »Triple P« vertritt solche Techniken, die jedoch stets sorgsam und wohldosiert eingesetzt werden sollten und die keinesfalls ein Allheilmittel für jede Art von unerwünschtem Verhalten sind.

Kritikwürdig ist, dass »Triple P« die Ressourcen und Stärken der Eltern nicht ausreichend in den Blick nimmt. Väter und Mütter bekommen vorgegeben, wie sie sich zu verhalten haben, ohne dass ihre alltäglichen Erfahrungen dabei berücksichtigt werden. Erziehungstechniken lassen sich aber nicht anwenden wie Instrumente aus dem Werkzeugkasten. Sie sinnvoll einzusetzen erfordert, dass Eltern ihren persönlichen Stil im Umgang mit ihnen finden, dass anfängliche Unsicherheiten in einer individuellen Beratung aufgegriffen werden. Dann findet bei der praktischen Anwendung des neu erworbenen Wissens auch eine Entwicklung der eigenen Persönlichkeit statt. Dass Väter und Mütter sich solcherart weiterentwickeln, sieht »Triple P« jedoch nicht vor. Damit besteht das Risiko, dass sie sich in ihrem Alltag letztlich allein gelassen fühlen.

3.4 »Starke Eltern – starke Kinder«

»Starke Eltern – starke Kinder« dürfte eines der populärsten Konzepte der Elternbildung sein. Es wurde Mitte der 1980er-Jahre entwickelt und ist seit 2000 bundesweit Teil des Angebots zur Elternbildung. Wie bei »FuN« ist der Ansatz niedrigschwellig: »Starke Eltern – starke Kinder« ist eingebunden in Netzwerke, die der Kinderschutzbund, die Familienbildungsstätten, die Volkshochschulen oder die Eltern-Kind-Zentren überall zur Verfügung stellen.