Der Kommissar und die Stille danach - Arno Meier - E-Book

Der Kommissar und die Stille danach E-Book

Arno Meier

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Beschreibung

Nach einem verhängnisvollen Fehler wird ein ehemals erfolgreicher Kommissar in die Provinz strafversetzt, wo er sich eines scheinbar harmlosen Falles annimmt. Doch hinter der idyllischen Fassade von "Gründorf" lauern geheime Machenschaften und tödliche Intrigen. Mit der Hilfe unkonventioneller Verbündeter begibt sich Mankola auf eine gefährliche Spurensuche, die ihn tief in die Welt eines drohenden Bandenkriegs in der Hauptstadt führt. Zwischen Verrat und Rache, Loyalität und Gefahr kämpft er gegen die Dunkelheit der Vergangenheit und die Bedrohungen der Gegenwart. Ein atemberaubender Thriller, der den Leser bis zur letzten Seite in Atem hält.

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Inhaltsverzeichnis

Abstellgleis

Ankunft

Einzug

In der Wache

Im Dienst

Eigene Ermittlungen

Der zweite Tag

Ermittlungen

Tatort

Spuren im Wald

Zurück

Wieder auf Streife

Nachforschungen

Der Mechaniker

Wieder auf Streife

Im Bären

Der Pakt

Das Rendezvous

Die Nacht

Der Morgen

Hinweise

Der Forensiker

Unfall

Tote Kuh

Erste Ergebnisse

Kuhmord

Auf dem Kolterhof

Eine gute Idee

Der Phantomzeichner

DNA

Vor dem „Fass“

Im „Fass“

Zurück

Schlaflos

Aussprache

Linde

Normalität

Zum „Bären“

Rex König

Porträts

Wolfsnacht

Fortschritte

Geduldsspiele

Ermittlungen

Eine Theorie

Hitze

Am See

Ein weiterer Treffer

Ankunft in der Hauptstadt

Ettore Gordano

Erinnerungen

Vittorio Gordano

Spaziergang

Die Geschichte

Die zweite Geschichte

Zurück

Zurück

Das Ufer

In der Wache

Davos

Der Abstieg

In der Pension

Der Hinterhalt

Der Hohlweg

Larita Thomae

Wieder in der Hauptstadt

Erlaubnis

Der Händler

Lagebesprechung

Druck

Verschärfte Situation

Durchbruch

In der Höhle des Löwen

Zurück

Vorbereitungen

Es beginnt

Jagd

Danach

Verabredung

Letzte Vorbereitungen

Endspiel

Das Angebot

Für

Ich danke

Abstellgleis

Der Wind jagte den Regen in Wellen über die Straße. Wie ein Vorhang wehte das Wasser über den Asphalt. Pechschwarze Wolken bildeten einen seltsamen Kontrast zu den hellblauen Löchern, die an diesem Morgen in der Dunkelheit des Himmels aufstrahlten und dann wieder verschwanden.

Grollender Donner und grelle Blitze. Das Gewitter hatte dem Frühsommer alle Farben genommen.

Seufzend schloss der Kommissar das Fenster der jetzt leeren Wohnung, die jahrelang seine Heimat gewesen war. Gestern noch war es tropisch heiß und heute hätte er sich nicht gewundert, wenn Schnee oder doch zumindest Hagel gefallen wäre.

Doch wenigstens gab es hier so etwas wie Regen, ganz im Gegensatz zu dem, was er vor 15 Jahren in der Wüste erlebt hatte. Der Schweiß brach ihm aus und ihm wurde übel. Vor seinem geistigen Auge sah er, wie man ihn in einen dunklen Keller schleppte, und wie sie ihn auf diesen verfluchten Stuhl zwangen. Der Kommissar blickte nach draußen. Wind, Regen, der auf das Fensterbrett trommelte und tausende von Kringeln auf das Wasser der Wendeplatte peitschte. Er fühlte die hilflose Wut, die wieder von ihm Besitz ergriff und die Schwäche verdrängte. Dieser unbändige Zorn war es auch, der ihn damals aufrecht gehalten hatte.

„Du solltest lernen zu verzeihen!“, hatte sein Oberfeldwebel gesagt. „Sonst wird deine Wut dich irgendwann töten!“

Aber Vergebung war nicht so einfach, wenn man die Hölle durchs Leben trug. Außerdem war der Oberfeldwebel nicht in diesem verfluchten Keller gewesen!

Johann Mankola drehte sich langsam um.

„Folge deinem Atem“, hörte er den Boxtrainer aus seiner Jugend sagen, obwohl der bereits gestorben war, und der Kommissar folgte seinem Atem. „Ein, aus, ein, aus.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, fühlte sich schwach und verletzlich. Und das, obwohl er früher so etwas wie Angst fast gar nicht gekannt hatte. Er sah für einen kurzen Moment wieder, wie er in den Ring stieg, hörte die Zuschauer schreien und kreischen und den Jubel, wenn der Ringrichter seine Arme nach oben riss. Dann hörte er wieder die Explosionen, sah Teile des Gefreiten Müller durch die Luft fliegen und anschließend wieder den Keller.

„Posttraumatische Belastungsstörung“, hatte der Truppenpsychologe gemeint, und es ihm zur Auflage gemacht, regelmäßig bei ihm zu erscheinen. Die Sitzungen taten ihm gut, aber der Psychologe schien selbst eine Menge Probleme zu haben, sodass sie nur selten stattfanden. Er wollte ihm Tabletten verschreiben, aber Johann Mankola fürchtete sich vor Tabletten. Er wollte die Kontrolle nicht verlieren. Als ob man im Leben je etwas kontrollieren könnte!

Trotz aller Probleme hatte er es nach der Bundeswehr geschafft, in den Polizeidienst einzutreten und sich bis zum Hauptkommissar hochzuarbeiten. Die Aufklärungsquote seines Teams war überdurchschnittlich, und vielleicht wäre alles gut gegangen, wenn es diesen blöden Vorfall nicht gegeben hätte.

Der Kommissar seufzte, ging auf seinen Balkon und sah in den Park hinunter, durch den ein kleiner Bach floss. Der Sturm jagte die Blütenblätter japanischer Kirschen auf die Wiese und bildete einen rosaweißen Teppich. „Ein, aus, ein, aus.“

Johann Mankola bückte sich und bemerkte erleichtert, dass seine Schwäche vorüber war. Er zog sich an und machte sich auf den Weg, um seinen Schreibtisch leerzuräumen.

„Wir müssen Sie jetzt erst einmal aus der Schusslinie nehmen“, hörte er den Leiter seiner Dienststelle sagen. „Nur für ein bis zwei Jahre, bis sich die Situation wieder beruhigt hat!“

Mankola nickte und verließ das Büro. Was hätte er auch sagen sollen? Dass er befürchtet hatte, dass dieser Färber mit seinen zwei Leibwächtern entkam? Wieder einmal? Dass er, bevor Färber seinen gepanzerten Mercedes bestieg, einfach reagieren musste?

Natürlich war das nicht nach Vorschrift gewesen, und natürlich hätte man Färber mit Verstärkung auch lebend festnehmen können, aber es war eben keine Verstärkung da gewesen.

Er nickte seinen Kollegen wortlos zu, als er das Büro verließ und keiner von ihnen sagte ein Wort.

Die Treppe hinunter, die Glastür hinaus. Dann setzte er sich erst einmal in seinen alten Chevi Chevelle. Er nahm sein Handy heraus und googelte den Ort, an den sie ihn verbannt hatten.

Nun gut. Der Kommissar lächelte grimmig. Der Kirchplatz sah auf dem Handy schon einmal ganz ordentlich aus. Mankola zoomte ihn noch mehr heran, klickte auf das gelbe Männchen und begann in den virtuellen Straßen umher zu spazieren. Rechts neben der Kirche die Bibliothek – immerhin. Zeit zum Lesen würde er haben. Der Kommissar machte sich keine Illusionen. Der Minister hatte ihn nicht in dieses Kaff verbannt, damit er Polizeiarbeit verrichtete, sondern damit er möglichst unauffällig und vor allem endgültig von der Bildfläche verschwand. Zu vielen war er mit der Aktion Färber auf die Füße getreten, und dass dieser zu Lebzeiten mit dem Minister regelmäßig Golf gespielt hatte, war auch nicht gerade hilfreich gewesen.

Er marschierte weiter virtuell durch die engen Gassen, an Bauernhäusern vorbei, die einmal vor dem Dorf inmitten ihrer eigenen Felder gestanden hatten und nun völlig unpassend zwischen teuren Villen und Bungalows eingepfercht waren. Endlich kam er auf die Hauptstraße, die an ihrem Ende durch ein altes Stadttor in einer mittelalterlichen Ringmauer führte. Er spazierte auch dort hindurch und fand sich unvermittelt auf dem Kirchplatz wieder, wo linker Hand die Polizeiwache ins Bild kam. Das Gebäude hatte mit Sicherheit schon bessere Zeiten gesehen. Die roten, unverputzten Backsteine wirkten inmitten der mittelalterlichen Fassaden der zwei- und dreistöckigen Häuser, welche die schöne Barockkirche in einem weiten Kreis umstanden, völlig fehl am Platz. Mankola schloss Google Earth und seufzte. „Lebendig begraben!“, dachte er. „Bei laufendem Gehalt!“

Das war ihre Art der Rache, denn mehr konnten sie nicht tun. Er drehte den Zündschlüssel um. Der kräftige V8 Motor nahm blubbernd seine Arbeit auf.

Ankunft

„Hier können Sie nicht stehen bleiben“, sagte eine nicht unfreundliche, junge, weibliche Stimme, als Mankola seinen alten Chevrolet vor der Polizeiwache des kleinen verschlafenen Städtchens geparkt hatte und gerade aussteigen wollte. Der Kommissar streckte seinen Kopf durch das offene Seitenfenster und sah nach oben. Die Beamtin mochte Anfang, höchstens jedoch Mitte 20 Jahre alt sein. Ihre langen, braunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihre grünen Augen musterten nicht ihn, sondern sein Auto, um das sie nun langsam und mit Kennerblick herumging.

„Turbo-Jet V8“, sagte sie. „Hubraum 7,4 Liter, 375 PS, sechsstufiges Automatikgetriebe …“. Sie griff sich an ihr hübsches, energisches Kinn. „Vielleicht auch die Version mit 420 oder 450 PS schwer zu sagen.“

„Na, Sie kennen sich aber aus“, sagte Johann Mankola.

„Für eine Frau, meinen Sie?“, antwortete die Beamtin und sah ihn herausfordernd an.

Der Kommissar sagte nichts. Er nahm den Autoschlüssel, stieg aus und schloss den Wagen ab. Auf der sechsstündigen Fahrt hierher hatte er sich nicht sonderlich beeilt und sogar begonnen, die kaum besiedelte Landschaft zu genießen. Als Großstadtmensch hatte ihn ein derartiges Übermaß an üppig blühender Natur fast erschlagen. Grün, leuchtendes Rot, Sonnengelb oder reines Weiß, wohin man such sah. Die Wiesen waren von Blumen bunt gefleckt und als der Kommissar dann auch noch an einem kilometerlangen, blauwässrigen See mit kleinen grünen Inseln vorbeifuhr, hatte er sich fast wie im Urlaub gefühlt.

„Der Parkplatz ist für Einsatzwagen der Polizei“, sagte die Beamtin noch einmal mit Nachdruck und wirkte jetzt angriffslustig. „Auch wenn Sie einen Klassiker fahren!“

„Ich bin von der Polizei“, antwortete der Kommissar und zückte seinen Ausweis.

Frau Müller, wie er jetzt auf ihrem Namensschild las, nahm den Ausweis und sah ihn sich von allen Seiten an. Dann gab sie ihn zurück. „Sie sind das also“, stellte sie fest und ihre Züge verhärteten sich.

„Ja, ich bin das“, antwortete Johann Mankola.

„Woher kommt es, dass Sie sich so gut mit Autos auskennen?“

„Meine Brüder haben die einzige Autowerkstatt hier in der Gegend und die ganze Familie, sogar meine Mutter, schraubt, seit ich denken kann, an Motoren herum.“

Der Kommissar nickte. „Gut zu hören.“ Er wollte schon auf das zweistöckige rote Ziegelsteingebäude, über dem das Schild „Polizei“ prangte, zugehen, als er noch einmal anhielt und sich zu Frau Müller umdrehte. „Was hat man Ihnen über mich erzählt?“

„Das wollen Sie nicht wissen“, sagte die Beamtin.

Sie war in ihren dickbesohlten Dienstschuhen etwas 175 cm groß und damit einen Kopf kleiner als er. Als er sie aber weiter auffordernd ansah, holte sie tief Luft. „Einzelgänger, nicht teamfähig.

Sie haben sich nicht unter Kontrolle, schießen, bevor sie reden, haben eine Ausbildung als Scharfschütze bei einer Spezialeinheit der Bundeswehr gemacht, waren mehrfach in Afghanistan. Posttraumatische Belastungsstörung …“

Mankola hob beide Hände und lachte bitter.

„Schon gut, schon gut, Polizeimeisterin Müller. Ich sehe schon: Hier sind alle ganz wild darauf, mich kennenzulernen!“

Frau Müller lachte nicht. „Wenn Sie dem Kollegen Berger klarmachen können, dass Sie es nicht auf seinen Posten abgesehen haben, und wenn Sie sich ruhig und unauffällig an Ihren Schreibtisch setzen, werden Sie hier vermutlich von allen in Ruhe gelassen und können Ihre „Strafzeit“ ganz gemütlich absitzen. Rudolf“, meinte die Beamtin dann noch, „hat gesagt, dass man Sie uns aufs Auge gedrückt hat, weil man Sie nirgendwo anders haben wollte.“

Der Kommissar hätte wegen dieses respektlosen Verhaltens seine neue Kollegin gleich einmal verwarnen oder gar abmahnen können, aber er war einfach nur müde und hatte keine Lust, dieser Anfängerin gegenüber gleich den Vorgesetzten herauszukehren. Außerdem war sie immerhin ehrlich gewesen.

„Rudolf?“, fragte Mankola stattdessen.

„Rudolf Berger, der Leiter dieser Station. Mit Lars werden Sie wahrscheinlich gut auskommen, der bewundert Sie jetzt schon. Aber Lars ist auch ein wenig einfältig“, ergänzte Polizeimeisterin Müller dann noch. „Da ist er übrigens.“ Frau Müller zeigte auf einen jungen, blonden, sehr athletisch gebauten, etwa 190 cm großen Hünen, der wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war. Auch der kümmerte sich erst einmal nicht um den Kommissar, sondern ging mit einem verträumten Gesichtsausdruck um den Chevi herum, wobei er liebevoll mit der flachen Hand über den silbernen Lack fuhr. „Tolle Kiste“, sagte der Polizeiobermeister, als er schließlich vor Mankola stand und sich mit einer kräftigen Bewegung über seine blonden Stoppeln strich. „Aber hier können Sie nicht stehen bleiben, der Parkplatz ist für …“

„Einsatzwagen der Polizei“, vollendete Mankola den Satz.

„Genau.“ Der Beamte schien ihm die Unterbrechung nicht übel zu nehmen.

„Lars, das ist unser neuer Kollege, Hauptkommissar Mankola aus Berlin.“

Lars sah ihn erst überrascht und dann erfreut an.

„Ich habe alles, was über Sie in den Zeitungen und im Internet stand, gelesen. Üble Schießerei! Diese Burschen hatten wohl zuerst gezogen“, sagte er, wobei er mit der Hand einen imaginären Colt aus dem Holster zog und das Geräusch eines Schusses nachahmte.

Kurz tauchte in Mankolas Gedächtnis das Bild von drei Männern auf, die aus der Hotellobby kamen.

Als ausgebildeter Scharfschütze hatte er selbstverständlich für eine gute Sicht, eine freie Schussbahn und ausreichend Deckung hinter ihrem gepanzerten Mercedes gesorgt, auf den die drei zugingen. Geschossen hatte dann nur er. Die Leibwächter hatten zwar noch Zeit gehabt, ihre kurzläufigen MPs, die sie unter ihren Jacketts trugen, hochzureißen, aber dann war es auch schon vorbei. Drei Schüsse und der Innenminister war sein Todfeind geworden. Drei Schüsse, die ihn aus einer steilen Karriere heraus und in dieses kleine verschlafene Nest hinein katapultiert hatten, wo ihn offensichtlich niemand haben wollte. Er nickte. „Das haben sie“, sagte er.

„Großmann“. Der Polizeiobermeister streckte ihm seine Hand entgegen und Mankola verzog ein wenig das Gesicht, als er den festen Händedruck spürte.

„Kommen Sie, wir zeigen Ihnen Ihren neuen Arbeitsplatz“, sagte Frau Müller ungeduldig und ging voraus. Im Gegensatz zu den Polizeiwachen in der Hauptstadt mit ihren Überwachungskameras, den Sicherheitstüren aus Stahl und den Panzerglasscheiben, war diese Station hier völlig offen. Mankola folgte der Beamtin durch eine gewöhnliche Tür und stand in einem etwa 50 Quadratmeter großen Raum, der durch einen brusthohen Holztresen in einen Besucherbereich und den Arbeitsbereich für Polizisten unterteilt war. Im Arbeitsbereich standen vier Schreibtische, wobei einer deutlich älter und etwas abseits vor dem Board mit dem Geschirr und der Kaffeemaschine stand.

„Immerhin“, dachte Mankola etwas sarkastisch,

„muss ich nicht weit laufen, wenn ich mir meine tägliche Portion Koffein gönnen will!“

„Sie sind also dieser schießwütige Cowboy, den unser Chef aus dem Weg haben will“, stellte Rudolf Berger fest, der hinter dem größten Schreibtisch am anderen Ende des Raumes gesessen hatte und sich nun erhob. Er umrundete das protzige Möbel und kam zum Tresen, vor dem der Kommissar stehen geblieben war. Der junge Polizeiobermeister hatte die schwere Klappe des Tresens emporgehoben, um seine Kollegin und Mankola durchzulassen, aber der Kommissar schüttelte den Kopf. Es war wichtig, dass er sich vom Leiter der Wache hereinbitten ließ, also wartete er. Der junge Beamte klappte das schwere Holzteil ganz zur Seite, sodass der Eingang offenblieb, dann zuckte er mit den Schultern und folgte Frau Müller. Beide setzten sich an die mitten im Raum stehenden, zusammengeschobenen Schreibtische mit den erstaunlich modernen Computern und den großen, leicht gebogenen Bildschirmen.

„So würde ich mich nicht beschreiben“, sagte Johann Mankola ruhig. Er sah den etwa 50-jährigen Beamten an und erkannte, dass unter der Fettschicht des Mannes, der da auf der anderen Seite des Tresens vor ihm stand und ebenfalls einen Kopf kleiner war als er selbst, noch immer eine Menge Muskeln aktiv waren. Zwei kluge, aber missmutig blickende, wässrig blaue Augen musterten ihn ungeniert. „Wie würden Sie sich denn gerne sehen?“ Das Haar des Stationsvorstehers war immer noch dicht und schwarz, wenn auch von ein paar grauen Strähnen durchzogen, die Nase klein und der Mund in einem runden Gesicht schmal.

„Ich bin der Neue, der hier möglichst unauffällig zwei bis drei Jahre verbringen und keinerlei Ärger machen will.“

„Es gibt hier für Sie so und so nichts zu tun!“, erklärte Rudolf Berger ein wenig vorwurfsvoll.

„Keine Sorge“, versuchte ihn Johann Mankola zu beruhigen. „Wir sind vom Rang her zwar gleich, aber ich habe keinerlei Ambitionen auf Ihren Posten und wenn Sie wollen, setze ich mich in die Ecke da hinten und lese ein Buch oder laufe Streife, oder was auch immer Sie von mir haben wollen. Ich sehe das Ganze hier eher als eine Art Urlaub an. Wenn Sie nichts dagegen haben", fügte er dann noch hinzu.

Der Stationsleiter nickte langsam. „Keinerlei Gespräche mit der Presse“, sagte er dann. „Keine Schießereien, niemand braucht zu wissen, wer Sie wirklich sind!“

Der Kommissar lächelte. „Deal“, sagte er und die beiden Männer schüttelten sich die Hände.

"Und jetzt kommen Sie schon herein!"

Hauptkommissar Berger lächelte nicht.

Einzug

Am anderen Morgen saß Mankola zum ersten Mal am Küchentisch seiner neuen Bleibe. Der Tag war schön, und es war Sommer. Die Polizeimeisterin Müller hatte ihm gestern nicht ganz freiwillig eine mit Ikea Möbeln eingerichtete, kleine Ferienwohnung in einem Haus mit vier Appartements auf einem Hügel mit einem Aussichtsturm besorgt. Er war momentan der einzige Gast, und wenn man der etwa 60-jährigen Wirtin glauben konnte, würden es auch nicht mehr werden.

„Früher“, sagte sie, als sie ihm die Schlüssel gab.

„Früher mussten sie hier Wochen im Voraus reservieren, aber seit Corona …“.

Der Kommissar hatte genickt. Von der Wohnung zum Aussichtsturm waren es nur fünf Minuten und Mankola stieg gleich, nachdem er seine zwei Koffer aus dem Kofferraum genommen und in sein Apartment gestellt hatte, die 600 Stufen des eisernen Ungetüms hinauf und sah in die Richtung des großen Sees, der jedoch von weißem Nebel verdeckt gewesen war. Immerhin konnte man weit hinten riesige, schneebedeckte Gebirgszüge erkennen. Dann ging er wieder hinunter und stieg noch zwei Mal hinauf, bis er bei sich beschloss, dass dies für heute genügend Sport gewesen war.

Der Turm wankte leicht, und es blies eine angenehm frische Brise. Er genoss das Panorama, die Luft und die Tatsache, dass der Wolf in seinem Innern sich seit seiner Abfahrt aus Berlin nicht mehr gerührt hatte.

Am Morgen nahm er sich Zeit und untersuchte die vollständig eingerichtete Küche und fand tatsächlich ein unangebrochenes Glas mit Instantkaffee. Er setzte Wasser auf und sah sich weiter um. Das kleine Appartement hatte außer einer vollständigen Einrichtung mit Küche, Wohnzimmer und Bad, auch einen WLAN-Anschluss und so abonnierte der Kommissar gleich einmal die örtliche Tageszeitung und begann sie, nachdem er sich den Kaffee aufgegossen hatte, interessiert zu studieren. Ab und zu sah er dabei aus dem Fenster auf die mittelalterlichen Giebel der Altstadt hinab, die eigentlich nur aus einem großen Kreis von Fachwerkhäusern um die Kirche herum bestand. Er wusste nicht, ob man Altstadt sagen konnte, wenn die Altstadt nur ein Dorf war, aber letztendlich war das egal. Er hatte gut geschlafen. Der Dämon hatte sich nicht gerührt und das war die Hauptsache und alles, was zählte.

Fast hätte er es überlesen, aber da war ein Bild, wie die örtliche Feuerwehr mitten in der Nacht ein brennendes Haus zu löschen versuchte. Da ansonsten nur Termine des Gesangsvereines, aufsehenerregende Beschlüsse des Gemeinderates und eine mitreißende Rede des Bürgermeisters vor dem Kaninchenzüchterverein die Highlights des letzten Tages gewesen waren, versprach diese Nachricht zumindest etwas Abwechslung.

„Feuer vernichtet Ferienhaus“, las er. „Obwohl die Rettungskräfte bereits wenige Minuten nach Ausbruch des Brandes an Ort und Stelle waren, konnten sie das Gebäude nicht mehr retten. Ein günstiger Nordwind verhinderte das Überspringen der Flammen auf den naheliegenden Wald. Von den drei Bewohnern fehlt jede Spur. Es ist zu befürchten, dass sie ein Opfer der Flammen geworden sind.“

Mankola spürte, wie seine grauen Gehirnzellen unwillkürlich ihre Arbeit aufnahmen. Fast ohne etwas dagegen tun zu können, überflog er auch noch den Rest des Artikels und schaltete dann das Tablett aus. „Das geht mich nichts an!“, ermahnte er sich selbst. „Ich bin hier im Urlaub! Die sind bisher gut ohne mich zurechtgekommen, und das werden sie wohl auch weiterhin tun.“

Ein bisschen Nachdenken konnte jedoch nicht schaden. So blieben wenigstens die Gehirnzellen in Schwung. Der Wolf knurrte leise, aber der Kommissar beachtete ihn nicht. Also: das Feuer war an mehreren Stellen gleichzeitig mitten in der Nacht ausgebrochen. Es war so heftig gewesen, dass die Feuerwehr, die wenig später vor Ort gewesen war, nichts mehr tun konnte. Da das Ferienhaus weit und breit das einzige Gebäude war, achteten die Rettungskräfte lediglich darauf, dass die umliegenden Wiesen und der nahe Wald kein Feuer fingen. Die Polizei ging davon aus, dass Brandbeschleuniger verwendet worden waren. Ob Menschen zu Schaden gekommen waren, konnte man noch nicht beantworten, da es noch ein paar Stunden dauern würde, bis man die qualmenden Trümmer untersuchen konnte. Nach Kenntnis der Redaktion wurde das Haus bis zu diesem Zeitpunkt von drei Menschen bewohnt, die erst vor ein paar Tagen in Gründorf angekommen waren, und deren Identität gerade ermittelt wurde.

„Na, das konnte ja nicht so schwer sein“, dachte der Kommissar. Ein Rathaus oder ein Bürgeramt, wo man sich anmelden musste, wenn man ein Ferienhaus mietete, gab es wohl hier in diesem kleinen Dorf. Schließlich verzichtete keine Gemeinde auf die Kurtaxe und eventuell musste man ja auch Gebühren für das Benutzen der öffentlichen Einrichtungen bezahlen, was im Idealfall bargeldlos erfolgt war. Kontonummer, Name, so einfach war das. Alles kein Problem! Der Kommissar fühlte dieses Brennen im Magen, das wie immer von einem leichten Unwohlsein und Aufstoßen begleitet wurde. Er überlegte, ob er gleich eine Tablette nehmen, oder es erst einmal mit Tropfen probieren sollte. Er beschloss, die Zwei-Schritte-Methode anzuwenden: erst die Tropfen und danach vielleicht die Tablette.

Zumindest hatten die Tropfen über 60 Prozent Alkohol! Er nahm sie mit etwas Wasser ein und das Aufstoßen verstärkte sich noch einmal.

Es war normal, dass die neuen Kollegen ihn heute Nacht nicht über den Brand informiert hatten.

Jedenfalls versuchte Mankola sich das einzureden.

Schließlich war er erst gestern hier angekommen, und er hatte bisher weder seinen Schreibtisch eingerichtet, noch seine Koffer ausgepackt.

Außerdem war es auch bislang nicht völlig klar, ob überhaupt ein Verbrechen vorlag, obwohl bereits jetzt einiges darauf hinzudeuten schien. Er ging ins Badezimmer, um zu duschen. Es war gestern eine lange Fahrt gewesen. Die Wände waren bis in Schulterhöhe weiß gekachelt, das Waschbecken und die Badewanne links von ihm eindeutig neu eingebaut. Alles war sehr sauber und steingefliest und was das Beste war, es gab ein großes Fenster, das sich öffnen ließ und durch das man nach draußen in den naheliegenden Wald schauen konnte. Der Kommissar duschte, trocknete sich ab und öffnete es. Er atmete den würzigen Linden- und Buchenduft in vollen Zügen ein. Oh ja, so etwas hatte er in seiner Stadtwohnung vermisst.

Obwohl mitten in einem Park gelegen, und obwohl vor dem Balkon sogar ein kleiner Bach mit Enten und Fischen darin vorbeifloss, war das Badezimmer doch fensterlos gewesen. Mankola stieß noch einmal kräftig auf und war kurz froh, dass er sich allein in der Wohnung befand. Sofort ging es ihm besser. Obwohl sich direkt danach einer seiner in der Zwischenzeit üblichen heftigen Schweißausbrüche meldete. Er war in einem Krieg gewesen, den man hier in Deutschland so gut es ging unter den Teppich gekehrt hatte. Er war lebend zurückgekommen, was mehr war, als er von einigen Kameraden der KSK sagen konnte.

Aber er hatte einige Verletzungen sowohl innen wie auch außen davongetragen. Der Kommissar beendete seine Toilette und aß eine Kleinigkeit.

Frau Müller war gestern noch mit ihm an einem kleinen Tante-Emma-Laden vorbeigefahren, bevor sie ihm die Vermieterin vorgestellt hatte.

Schweigsam war sie gewesen und hatte seine Fragen unnötig einsilbig beantwortet. Die Inneneinrichtung seines Autos hingegen hatte sie ausgiebig betrachtet. „Ganz offensichtlich bin ich ihr nicht sonderlich sympathisch“, dachte er, was bei dem, was sie über ihn gehört hatte, auch nicht weiter verwunderlich war. Mankola seufzte. Nun gut, er war nicht hierhergekommen, um einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sondern um seine Strafe abzusitzen.

In der Wache

Am anderen Morgen war Polizeimeisterin Müller allein in der Wache und schien auf ihn gewartet zu haben. Es war ihr anzusehen, dass sie die ganze Nacht hier gewesen war.

„Gut, dass Sie da sind, Herr Mankola. Könnten Sie den Telefondienst übernehmen? Ich muss zu einem …“.

„Tatort ist das richtige Wort, Kollegin“, half ihr der Kommissar auf die Sprünge. „Ich habe heute Morgen den „Tagesreport“ gelesen.“

Die Beamtin hob die Schultern und wandte sich ab.

„Ich verstehe schon“, sagte Mankola. „Sie haben die Order bekommen, mich hier rauszuhalten.“

„Die hätte ich nicht gebraucht“, antwortete die Polizeimeisterin trotzig. „Ihnen hätte ich es auch so nicht erzählt!“

„Gut, dass wir unter uns sind, Kollegin. Entweder, Sie befleißigen sich eines Tones, wie es sich einem Vorgesetzten gegenüber gehört, oder ich sorge dafür, dass Sie eine Karriere bei der Polizei vergessen können. Ist das klar?“ Johann Mankolas Stimme war sehr leise und sehr schneidend geworden.

Die Beamtin erschrak. Dann lief sie vor Wut rot an, aber sie beherrschte sich. „Klar“, brachte sie gepresst hervor.

Mankola atmete ein, und Mankola atmete aus.

„Also erklären Sie mir kurz die Anlage und dann gehen Sie, wohin Sie auch immer gehen wollen!“

Die Polizeimeisterin nickte. Und dann erklärte sie ihm alles.

Wenig später saß der Kommissar allein in dem großen Raum mit seinen vier Schreibtischen. Er genoss die Stille. Nichts von der Hektik in der Großstadt, wenn die Tagschicht die Kollegen ablöste, die sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatten. Kein Geschrei, keine Beschimpfungen und kein Geruch von Schweiß und Erbrochenem, der oftmals die Räume und Wachen durchzog, wenn wieder einmal ein paar Raufbolde zur Ausnüchterung und Feststellung ihrer Personalien in den rückwärtigen Zellen gelandet waren. Nicht dass Mankola in der Zentrale allzu viel davon mitbekommen hätte, aber wenn er einmal in einer Station zu tun hatte, war es nie so ruhig, so steril, ja nahezu gemütlich zugegangen. Hier auf dem Land schien die Polizei noch ein akzeptierter und gewollter Bestandteil der Bevölkerung zu sein, während in der Hauptstadt schon längst die verschiedenen Clans das Geschehen mitbestimmten und die oft auf verlorenen Posten stehenden Beamten mit den Familien Regeln vereinbarten, an die sich beide Seiten hielten. Apropos Zellen. Gab es die hier überhaupt? Der Kommissar beschloss einen Rundgang im Haus zu machen, um seine Umgebung gründlich zu erkunden. Schließlich würde er noch eine ganze Weile hier sein! Nach etwa zehn Minuten war er bereits wieder zurück.

Im Kellergeschoss hatte er einen einzigen Arrestraum gefunden. Ansonsten gab es noch zwei Türen, die verschlossen waren, und auf denen auf der einen „Vorratsraum“ und auf der anderen

„Archiv“ stand. Der Kommissar ging zum Fenster an der Vorderseite und sah, wie die Sonne lange Schatten auf den großen Platz zeichnete, der nur durchbrochen von vier Zufahrtsstraßen lückenlos von einem großen Kreis mittelalterlicher Gebäude eingerahmt war. Er beobachtete, wie die ersten Menschen aus ihren Häusern kamen, wie wenig später Lieferwagen auf den Platz rollten und wie verschiedene Händler begannen, ihre Stände aufzubauen. Ab und zu schlug die Kirchturmuhr und der große Zeiger am Turm rückte etwas nach vorn. „Urlaub“, dachte der Kommissar, aber der andere Teil seines Gehirns beschäftigte sich bereits mit einem brennenden Haus, mit Brandbeschleuniger und mit Leichen.

Im Dienst