Illusion der Sicherheit - Arno Meier - E-Book

Illusion der Sicherheit E-Book

Arno Meier

4,9

Beschreibung

Wer wissen will, warum wir so sind wie wir sind, sich selbst und die Welt retten - oder auch nur sich selbst erkennen will, wer Freude an einer guten Erzählung mit überraschenden Wendungen hat, der ist hier richtig! Ein Schauspieler, zwei Frauen und ein Vortrag bilden den Rahmen für eine Handlung, die genauso hätte sein können und es vielleicht sogar auch war!

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Es war nur ein Traum

Ein Traum von Menschlichkeit,

von Liebe,

von Miteinander,

dem Paradies,

nur ein Traum

Inhaltsverzeichnis

1989, August

August 1989

August 1989.

10. Januar 2004, (15 Jahre nach 1989). Ich bin noch immer Schauspieler. (Sie kennen mich!).

August 1989. (15 Jahre früher).

10. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989 - jetzt).

Damals: 1989.

10. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989). Ich bin noch immer ein Schauspieler.

1973. (16 Jahre vor 1989).

10. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

Herbst 1977. (12 Jahre vor 1989). Die Tänzerin.

Oktober 2012. 23 Jahre nach 1989. (Ich bin ein Schauspieler, noch immer).

10. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

10. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

Spätherbst 1981. (8 Jahre vor 1989).

11 . Januar 2004, Eckehartkurs. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89. Der Bezugspunkt.

11. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 1989.

11. Januar 2004. Ich bin Schauspieler. (15 Jahre nach 1989).

13. Januar 2004: (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89, Charlotte.

14. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89. Charlotte.

14. Januar 2004. Nachmittag. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89, Charlotte

15. Januar 2004. Nachmittag. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89

Oktober 89, Prudence

16. Januar 2004. Ich bin ein Schauspieler. (15 Jahre nach 1989).

Oktober 89. Probe. „Trotz aller Therapie“.

16. Januar 2004, 15 Jahre nach 1989. Eckehart.

Oktober 89, Prudence.

16. Januar 2004, nachmittags. (15 Jahre nach 1989).

September 92. Drei Jahre später.

17. Januar 2004. Eckehart. (15 Jahre nach 1989).

August 2010. (21 Jahre nach 1989).

November 89

17. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989)

17. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

17. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

17. Januar 2004. Ich bin ein Schauspieler (15 Jahre nach 1989).

November 1989. Ich bin ein Schauspieler.

19. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

19. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

November 89. Charlotte. Ich bin ein Schauspieler.

20. Januar 2004. (15 Jahre nach 1989).

November 2013 (24 Jahre nach 1989).

1989. Ich bin ein Schauspieler.

Mai 1990.

Es ist Nacht.

Nachwort

1989, August

„Manchmal habe ich den Eindruck, als habe man mich auf einem fremden Planeten – am anderen Ende der Milchstraße – abgesetzt. Was ich hier soll? Ich weiß es nicht“, sagt Prudence. „Momentan habe ich einfach das Gefühl mein Leben zu vergeigen!“

„Du kannst nicht dein Leben vergeigen, du kannst nur den Augenblick vergeigen“, sage ich.

Prudence sieht mich mit ihren Bergseeaugen an.

Ich sage nichts und halte ihre Hand.

Es ist die Stille eines Sonntages, durchbrochen nur von einer Stimme, die zwischen den Mauern des Hinterhofs hallt. Zugeschlagene Türen und ein Motor, der ärgerlich brummend startet. Zuggeräusche am anderen Ende des Hofes. Dann wieder Stille – Sommerstille. Die träge Ruhe eines Tages, der himmelblau und brennend schwarze Schatten auf die Pflaster zaubert.

Prudence liegt neben mir in meinem großen Bett. So groß, so schön, so blond. Ihre Haare – schweißverklebt – verdecken ihre Augen, während sie wieder auf mich steigt. Nur ihre kleine Nase und der Mund ragen aus dem Schleier von Haar und Duft, der ihren Körper umspielt.

Sie zieht die Luft ein und stöhnt und ich verliere mich wieder, wie so oft an diesem Tag. Der leicht herbe Geruch ihres Parfüms, der immer stärker wird, die Haut heißer, bis sie strahlt wie glühender Sand. Erlösung in dumpfem Pochen und Stöhnen und Kälteschweißspuren auf den Schenkeln danach.

Ich schaue träge hinaus in den Hof und Prudence schläft.

Noch immer Stille, noch immer Sonntag. Hitze und eine Stimme zwischen den Mauern eines Hinterhofes. So habe ich mir das Leben immer vorgestellt! Ich verschränke die Hände hinter dem Kopf.

Wir sind Schauspieler, Prudence und ich. Die Hauptrollen in dem Stück von Christopher Durant „Trotz aller Therapie“. Ich bin dabei Dr. Stuart Framingham, ein Psychiater, der viel zu schnell kommt, deshalb Komplexe hat und möglichst viele seiner Patientinnen flach zu legen versucht. Eine schwierige, trostlose, unsympathische Figur. Machogehabe, Cowboystiefel, offenes Hemd mit schwarzer Brustbehaarung, Goldkettchen. 34 Jahre alt, angegraut, Glatze.

Es ist ein kleines Theater mit gerade einmal 250 Sitzplätzen, in dem wir spielen. Der Zuschauerraum leicht abgeschrägt zur Bühne hin. Es gibt keinen Orchestergraben und keine erhöhte Spielfläche. Nur der Übergang von dunklem Teppichboden zu hellen Metallfliesen bezeichnet die Grenze, die Zuschauer und Schauspieler trennt.

Prudence ist das, was man auf den ersten Blick als germanisch beschreiben würde: Einen Kopf grösser als ich, langes, kräftiges, weizenblondes Haar. Rundliche Brille. Volle, sinnliche Lippen und eine sehr weibliche Figur. 100 % Frau! Ich streichle ihr seidenes, kräftiges Haar und ziehe die Decke über ihre kalten Schultern.

Leider ist sie mit meinem Rivalen aus dem Stück zusammen. Bruce! Bruce – bisexuell – der ihr gleich bei ihrem ersten Date von seinem Liebhaber erzählt und Bruce, den sie eigentlich gar nicht leiden kann! Natürlich heißt Bruce nicht Bruce, sondern Wolfgang, und bisexuell ist er auch nicht. Aber er steht zwischen Prudence und mir.

Ich weiß, dass Prudence ihren Bruce liebt. Sie ist ein gutes Mädchen – wenn auch ziemlich groß und ziemlich blond – und ich weiß, dass sie ihren Wolfgang nie verlassen wird und trotzdem…

Ich schaue auf Prudence die neben mir liegt und streichle ihr Haar, küsse ihre schweißverklebte Wange, die jetzt so kalt ist und sie lächelt ein wenig. Jedenfalls bilde ich mir das ein. Ich könnte sie stundenlang anschauen oder nur ihren Duft einatmen und mich in Träumen von einer gemeinsamen Zukunft verlieren. Nur dieses Wochenende, dann kommt Bruce zurück und Wolfgang, der seine Eltern besucht.

Es wird dunkel und Schweigen senkt sich herab. Nur das Atmen von Prudence und das ferne Grollen des Gewitters und dann Wind der die Vorhänge bläht.

Ich bin ganz still.

August 1989

„Ich bleibe hier“, sagt Prudence und breitet eine Decke neben einer Kolonie von Kornblumen aus. Kornblumen, blau von der Sonne durchleuchtet wie ihre Augen. Sie breitet die Decke auf der Wiese aus und setzt sich. Ihr weißes Kleid mit den Rosenpunkten, das lange, blonde Haar zu Zöpfen geflochten. Ein Kreis, in dessen Mittelpunkt sie sitzt. Sie holt ihre Stifte und fängt zu zeichnen an.

Ich verschwinde, der Rest der Welt verschwindet und es existieren nur Kornblumen, blau von der Sonne durchleuchtet und sie.

Es ist heiß und ich döse vor mich hin. Der Geruch von Heu, Sommerwiesengezirpe und das Brummen von Bienen. Ich schließe die Augen. Alles ist, wie es ist. Ich bin mit Prudence zusammen. Wir haben nur eine kleine Vergangenheit und wir werden nur eine sehr kurze Zukunft haben, aber wir sind real, jetzt und im Augenblick. Prudence, die malt: Kornblumen, blau und sie ist erfüllt davon. Sie wählt die blaue Farbe und zeichnet die Form. Selbstvergessen, nicht von dieser Welt und doch hier. Sie hat keine Angst, denn sie ist ohne Zukunft und die Vergangenheit hat aufgehört zu existieren. So ist es immer mit ihr, das begreife ich jetzt.

Ihr gezopftes Haar glänzt golden, eine Farbe wie die Ähren windgewiegt auf dem großen Feld hinter uns. Es ist Sonntag und es wird heute Sonntag bleiben.

August 1989.

Ich bin verheiratet. (Habe ich das schon erwähnt?)

Mit einer Tänzerin, so schön und so unglücklich, dass es mich zerreißt! Natürlich blond, natürlich blaue Augen, natürlich Bergseen – nur - dieses Mal schwimmt eine Insel in diesem großen Blau.

Wir haben zwei wundervolle Kinder und wir spielen Rollen. Rollen in die wir geschlüpft sind, weil wir uns ansonsten hilflos und verloren gefühlt hätten. Es sind Anzüge, die vor der Kälte schützen! Wir haben uns kennen gelernt um uns zu öffnen, um unsere Verletzlichkeit zu heilen, oder doch zumindest zu teilen, doch dann hat uns der Mut verlassen! Zu kalt – diese Welt ohne Schutz war so riesig, so groß und so kalt! Wie kann man in einer so großen, so kalten Welt sein Herz in andere Hände legen?

Und so haben wir uns auf dieser Bühne des Lebens nur zwei Mal nackt gegenüber gestanden. Zwei Mal uns unverhüllt in die Augen gesehen - und es nicht ertragen!

Niemand hält diese Nacktheit aus. Also haben wir uns abgewandt und Rollen gespielt. Rollen, die nicht uns gehörten, Rollen, die tausendfach um uns im Angebot waren und wir haben es uns gegenseitig zum Vorwurf gemacht: Das Abwenden, die Furcht, die Flucht in die Rolle, die Feigheit vor dem Leben!

Warum verrätst du mich? Du hattest mir etwas anderes versprochen!

Die Rollen:

Ich weiß: Fremde Rollen zu spielen, nur weil man sie kennt, sind schlechte Voraussetzungen um eine Ehe zu gestalten – ich gebe es zu – sie taugen nicht einmal dazu ein Eigen - Leben zu führen!

Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich mir nackt, klein und erbärmlich vorkam und dass sich „Rollen anzuziehen“ wie „Mensch sein“ anfühlte und dass es alle machten! Ja, alle um mich herum sahen auch wie Menschen aus! Macht und Autos und Geld und die Jagd danach sind ebenfalls gute Kleider um sie über das „Nacktsein“ zu streifen. Eine nahezu vollkommene Täuschung! Und es gab unendlich viele Rollen! Der Politiker, der Machtmensch, der Clevere, der Kluge, der Erfolgreiche, der Schöne, die Ehefrau, der Ehemann! Wir brauchten nur zu wählen und diese Hüllen überzustreifen. Sofort wissen wir was verlangt wird, was wir tun und was wir lassen müssen. Sofort funktionieren wir und wissen endlich wozu wir da sind! Allerdings brauchen wir jetzt alle Kraft, um diesen Anforderungen gerecht zu werden und haben keine Energie mehr, um etwas anderes zu versuchen. Unseren Familien ist es egal, sie haben uns beigebracht was sie selber konnten und wachen eifersüchtig darüber, dass wir uns in diesen sicheren, vertrauten Bahnen bewegen. Wir funktionieren und alles applaudiert! Sollten wir prominent sein, berichtet die Presse darüber, das Fernsehen zeigt Bilder von Geld und Macht und Luxus der uns winkt, wenn wir die Rollen gut spielen und Liebe, immer wieder versprechen sie uns Liebe. Wer die Steuern brav zahlt hat ein Anrecht darauf!

Und irgendwann halten wir diesen ganzen Rummel tatsächlich für das Leben! Nur manchmal – in unserem Inneren – da wissen wir es besser: Wir haben das Leben gegen Sicherheit und eine bunte, lärmende Welt vertauscht!

Nun gut: Ich hatte und habe auch jetzt noch keine Alternative, keine Vorstellung wie es anders sein könnte.

Mir fehlte, oder fehlt die Phantasie dazu!

Ich weiß und fühle, dass dies der falsche Weg ist, aber ich war und bin noch immer „sicher“ in meiner Rolle gefangen.

So langsam beginne ich den Satz zu verstehen, den ich neulich einmal gelesen habe: „Wer sich keine andere Zukunft als die Gegenwart oder die Vergangenheit vorstellen kann, hat keine Zukunft mehr!“

Ich meine, kein normaler Mensch kann doch glauben, dass die Rolle die wir als Menschheit auf diesem Planeten spielen irgendjemandem, oder gar der Erde gut tut! Dass wir unendliche Rohstoffe haben, dass wir mit unserem Klima machen können was wir wollen und dass es sich auf keinen Fall erwärmt. Oder dass wir Lebensraum zersiedeln und Urwälder abholzen können und das biologische Gleichgewicht unseres Planeten erhalten bleibt! Oder dass 60 Menschen die Hälfte des gesamten Weltvermögens besitzen können (was sie tun!) und die restlichen 7 Milliarden sich den Rest klaglos teilen! (was wir tun!).

Und das alles nur um unsere Rollen weiterspielen zu können, damit wir uns sicher fühlen? (Das geht „mit Sicherheit“ schief!)

Als Einzelner sein Leben gegen die Sicherheit einer Rolle – die immer das Leben vernichtet! - einzutauschen ist eine Sache (Ich gebe mein Leben für die Sicherheit und verliere es genau dadurch), aber das als Menschheit zu tun?

Wer Wachstumsbeschleunigungsgesetzte erlässt, um die wenigen, noch vorhandenen Rohstoffe noch schneller zu verbrauchen, wer glaubt, den ständig zunehmenden Unwettern und Taifunen in Luxusvillen oder Nobelkarossen, oder den Schaltzentralen der Macht entkommen zu können, oder jemand der beständiges Wachstum anstrebt – damit es uns gut geht - muss schon von sehr bescheidener geistiger Beschaffenheit sein.

Oder aber - er steckt in seiner Rolle fest und hält sie für das wirkliche Leben!

Oft betrachte ich heimlich die Tänzerin. So schön, so aufregend und kann außer ihrer Hülle, ihren ewig gleichen Abläufen und den immer gleichen Problemen doch nichts mehr sehen.

Ich wundere mich nicht, dass sie sich aufgemacht hat, um sich selbst zu suchen. Ich hätte mich auch gerne gefunden....

Aber jetzt bin ich in der Probe. Einer wirklichen Probe, in einem wirklichen Theater.

Es ist ein kleines Theater mit gerade einmal 250 Sitzplätzen. Der Zuschauerraum leicht abgeschrägt zur ebenerdigen Bühne hin. Es gibt keinen Orchestergraben und keine erhöhte Spielfläche. Nur der Übergang von dunklem Teppichboden zu hellen Metallfliesen bezeichnet die Grenze, die Zuschauer und Schauspieler trennt.

Wir laufen durcheinander und singen unsere Rollen, während weiter oben mein kleiner, siebenjähriger Sohn mit Autos spielt, meine elfjährige Tochter auf dem Fußboden ihre Hausaufgaben macht oder in Büchern blättert, oder missbilligend zu uns herüber schaut: Wie können sich Erwachsene nur so albern benehmen!

Ich weiß, dass mich die weibliche Hauptrolle liebt. Sie ist das, was man auf den ersten Blick als germanisch beschreiben würde. Einen Kopf größer als ich, langes, kräftiges, weizenblondes Haar. Rundliche Brille. Eine sehr weibliche Figur und 100 % Frau!

10. Januar 2004, (15 Jahre nach 1989). Ich bin noch immer Schauspieler. (Sie kennen mich!).

„Ich hab da von einem Trainer gehört, der demnächst hierher kommt“, eröffnete mir Josef vor ein paar Wochen während der Probe. „Wenn du Lust hast, komm doch einfach mit, das soll ganz interessant sein.“

Dieses Mal (15 Jahre danach) ist das Theater wirklich groß, in einer wirklich großen Stadt. Ein Orchestergraben begrenzt die Spielfläche zum Zuschauerraum und die Bühne erhebt sich zwei Meter über dem funkelnden Parkett. Meine Gage hat sich mehr als verzwanzigfacht – ich habe es geschafft!

„Was für eine Art Trainer ist das?“, frage ich.

Josef lacht. „Es geht um Rollen und Rollenspiele. Genau das Richtige für uns Schauspieler, da sind wir schließlich Spezialisten, oder?“

Und so bin ich hier gelandet, in einem Luxushotel in der Innenstadt, nicht weit vom Theater entfernt und warte mit etwa 200 anderen Menschen darauf, endlich eingelassen zu werden. Teppichbelegte Gänge, teure Tapeten, Kronleuchter, goldverziert.

Wir (Josef und ich) stehen etwas abseits, selbst auf die Gefahr hin, dass nachher die besten Plätze vergeben sein könnten.

Wie immer wenn wir Zeit haben, erzählt mir Josef, gefragt oder ungefragt, seine Meinung zu Gott und der Welt.

Josef: „Das Spiel, das für mich das menschliche Dilemma am besten widerspiegelt ist „Age auf Empires...“

Josef ist der Bräutigam in Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, die wir gerade proben und ich bin der Vater der Braut.

Wir üben schon seit einigen Wochen zusammen und ich bin ein wenig neidisch auf ihn. Früher hätte ich seine Rolle gespielt, aber jetzt (15 Jahre später) bin ich 49 Jahre alt. Josef ist 26. Ein sportlich, drahtiger Typ, zwei Köpfe größer als ich und breitschultrig. Ein Typ, den die Frauen lieben. Sanfte, braune Augen und schwarzes, volles Haar.

Wir sind Freunde geworden. Ich mag sein offenes Gesicht, und seine intelligente Art, sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinander zu setzen.

Das Spiel:

Ich: „Ja das kenne ich gut.“ (Das Spiel Age of Empires).

Josef: „Du fängst mit ein paar Figuren in einer intakten Welt an. Es gibt wunderschöne Wälder, Meere mit Fischen, Rohstoffe in Hülle und Fülle. Die Bevölkerung fängt an Bäume zu fällen, Häuser zu bauen, Gold und Steine zu horten, Nahrung anzubauen. Nicht lange und sie bemerken durch Späher anderer Nationen, dass sie nicht allein auf der Welt sind. Kasernen werden gebaut, um zu verhindern, dass die fremden Nationen das eigene Gebiet betreten, die Bevölkerung abschlachten und die Rohstoffe stehlen. Verteidigungsanlagen entstehen, Armeen werden aufgestellt, die wiederum jede Menge Gold und Holz und Nahrung benötigen…“

Josef kommt so langsam richtig in Schwung. Wie es seine Art ist gestikuliert er wie ein Wilder und die Seminarteilnehmer, die schließlich die „ Erleuchtung“ erwarten, für die sie bezahlt haben, schauen uns befremdet an. Doch Josef kümmert sich nicht darum.

„Da die eigenen Rohstoffe bald zu Ende gehen, musst du nun selbst in andere Länder einfallen, deren Bevölkerung abschlachten, feindliche Armeen besiegen, während wieder andere Nationen bei dir das Gleiche versuchen.

Du baust Universitäten die bessere Waffen möglich machen, Burgen und Schmiedewerkstätten, um effektiver als deine Gegner gerüstet zu sein. Und du musst das alles immer schneller tun. Spätestens jetzt ist der Spieler derart damit beschäftigt Rohstoffe abzubauen, noch bessere Taktiken zu entwickeln, zu verteidigen, anzugreifen, dass keine Zeit mehr bleibt, um an etwas anderes zu denken. (Oder etwa zu bemerken, dass sich das Angesicht der Spielewelt drastisch zu verändern beginnt.) Die wirkliche Welt versinkt und das Spiel ist „echt“ geworden“, Josef seufzt.

„Der Wettkampf: Besser, schneller, stärker, klüger als… ist in vollem Gange, eine Wettbewerbsgesellschaft entstanden. Alle - Manager, Banker, Politiker - sind von jetzt an so beschäftigt, so in diesem System gefangen, dass sich niemand mehr nach dem Sinn fragt oder vielleicht gar ein anderes Spiel vorschlägt!

Wenn dann nach ein paar Stunden im Idealfall die Meldung auftaucht: “Sie haben gewonnen!“ sieht die Erde - die anfangs voll von Wäldern, Nahrung und Rohstoffen war - erbärmlich aus.

Die Bäume sind abgeholzt, die Rohstoffe verbraucht.

Häuser zerstört, Nationen ausgelöscht und Fische gibt es auch keine mehr.

„Sie haben gewonnen!“, ist das nicht ein Witz?

Selbst die Gewinner kommen uns, trotz eines erst einmal guten Gefühls, (schließlich hat man gewonnen!) nicht wie Sieger vor, da auch sie auf einem ausgeplünderten, zerstörten Planeten ohne Rohstoffe herum marschieren müssen. Es gibt kein Gold mehr, keine Steine. Es kann nichts mehr entwickelt oder gebaut werden. Die Nationen sind am Ende!“ Und Josef, der sich nun endgültig in Rage geredet hat, holt tief Luft. „Wer unsere Zukunft kennen lernen will, sollte dieses alte Spiel wieder einmal hervor holen. Genau so wird unsere Erde aussehen, wenn wir einfach weiterspielen!“

Ich: „Da hast du Recht Josef. Unsere Gesellschaft basiert auf Wachstum, d.h. wir müssen immer mehr und schneller konsumieren.“

Josef: „Und das bei endlichen Rohstoffen!“

Ich: „Statt unsere Rohstoffe für unsere Kinder und Kindeskinder zu schonen, oder sie dazu zu benutzen Alternativenergien wie Sonne, Wind und Wasser auszubauen, verbraten wir sie in Blue-Ray-Spielern, tragbaren DVD-Playern, Computern, Plastikspielzeug aus China, Elektronik aus Taiwan und neuen Autos.“

Josef: „Mangelnde Phantasie, sage ich!“

Ich: „Wie meinst du das?“

Josef: „Nun, alle wissen dass etwas schief läuft und keiner kann sich vorstellen, wie es anders gehen könnte.“

Ich: „Wer sich eine andere Zukunft als die Gegenwart nicht vorstellen kann hat keine Zukunft mehr?“

Josef: „Genau.“

Ich: „Eigentlich kaum zu glauben, dass Wirtschaft und Politik alles daran setzen um „Wachstum“ zu ermöglichen, statt anzufangen mit dem Rest unserer Ressourcen eine Gesellschaft zu verwirklichen, die nicht mit Höchstgeschwindigkeit auf einen ausgeplünderten Planeten zusteuert.“

Josef: „Nicht nur das, die haben sogar ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet! Verrückt, oder?“

Ich: (nicke). „Dümmer geht es eigentlich nicht mehr!“ Etwas weiter vorne kommt Bewegung in die Menge. Die Türe wird geöffnet und wir werden eingelassen.

Ich: „Es geht los. Jetzt bin ich wirklich gespannt!“

August 1989. (15 Jahre früher).

Ich bin ein Schauspieler.

Abends kommen wir nach Hause. Meine Kinder sind müde und ich bin es auch. Meine Frau (wie bereits erwähnt) auf einem Selbstfindungsseminar, sechs Wochen schon.

Draußen ist es dunkel und die Nacht hat die Scheiben von außen schwarz bemalt.

Ich weiß nur eines: Wenn Frauen sich selber suchen und sich nicht finden – finden sie immer einen anderen Mann. Das ist ein Gesetz!

Und da sich keine Frau im Draußen selbst finden kann, weil sie sich in der Regel gar nicht verloren haben, enden diese Suchen immer gleich. Ich weiß also was auf mich zukommt.

Jecka unser Hund begrüßt uns überschwänglich. Eine Collie–Schäferhündin.

Jecka, die „Unter dem Bett Krokodiljägerin“, Jecka die „Gespenstervertreiberin“, Jecka die „Löwen aus dem Schrankjägerin.“

Gut einen solchen Hund zu haben!

„Ich gehe noch kurz mit ihr runter“, sage ich zu meinen Kindern. „Zieht ihr euch schon mal aus und putzt die Zähne, ich komme gleich zu euch!“

Sie sind müde, das kann ich sehen. Die Probe war lang. Sie brauchen Halt und Sicherheit. Sie spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist und das Schreien meiner Frau, wenn sie mit mir streitet, weil sie Schmerzen hat, seelische Schmerzen, war nachts nicht zu überhören.

Ich war nie ein Romantiker, das nicht. Aber ich habe sie nicht sitzen lassen als sie schwanger war, ich war bei der Geburt beider Kinder dabei, ich habe hart gearbeitet und alle versorgt. Ich habe sie begehrt, die ganze Zeit, ich habe ihre Launen ertragen und sie konnte ein zweites Studium beginnen und es abschließen. Ich habe sie verteidigt wenn sie angegriffen wurde. Ich war zuverlässig da. Immer. Es hat uns an nichts gefehlt.

Das heißt, mir hat nichts gefehlt, wenn man einmal von ihrer Wohlgesonnenheit absieht. Die habe ich wirklich vermisst!

Die Luft draußen ist warm. Sommer, Nacht, Grillengezirpe. Am Himmel stehen ein großer Mond und viele Sterne. Der große Wagen, der kleine Bär. Ich weiß das, weil meine Tochter mir das erzählt hat.

Sie ist ein kluges, kleines Mädchen, mit wachem Verstand. Das Temperament und die Intelligenz ihrer Mutter und die Sturheit von mir.

Nachtwind und die riesigen Pappeln rauschen. Das hässliche, langestreckte Haus mit sechs Stockwerken und 96 Familien steht zwischen lauter Bäumen. Ein Spielplatz für die Kinder, ein kleiner Bach, der glucksend und murmelnd nachts an den Fenstern vorbei fließt. Ein See, den man in zehn Minuten zu Fuß oder aber in zwei Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann. Ein See in einem Park.

Es ist schön hier zu wohnen und wann immer wir aus den Fenstern schauen, sehen wir Bäume.

Die Blätter rauschen und die Wipfel wiegen sich träge im Wind. Die Nacht ist voller Sterne.

Ich pfeife und Jecka kommt schwanzwedelnd angerannt. Sie schaut mich an und da ist dieses vertraute Gefühl, das ich immer habe wenn ich in ihre Augen blicke. Diese aufmerksamen Hundeaugen, die mich seit meiner Geburt betrachten. Natürlich ist es nicht derselbe Hund, aber es sind dieselben Augen und dasselbe Gefühl! Immer waren sie da, diese braunen, wachsamen Hundeaugen und haben mich durchs Leben begleitet. Fast so, als würde mich eine Seele in verschiedenen Körpern mein ganzes Leben lang behüten.

Wir gehen nach oben und es ist still. Schläfrig warten sie auf mich. Die Blondschöpfe die aus den Kissen ragen, die grünen und blauen Augen, die mich erwartungsvoll ansehen. Das Vertrauen das sie mir schenken.

Ich nehme Jim Knopf und die Wilden 13 von Michael Ende und lese vor:

„In Lummerland war die meiste Zeit schönes Wetter. Aber es gab natürlich auch manchmal Tage, an denen es regnete. Sie waren zwar selten, aber dafür regnete es dann gleich wie aus Gießkannen. Und so ein Tag war der, an dem diesmal unsere Geschichte anfängt.

Es regnete und regnete und regnete. Jim Knopf saß in der kleinen Küche bei Frau Waas und Prinzessin Li Si war auch da, denn sie hatte gerade 14 Tage schulfrei.

Jedes Mal wenn sie zu Besuch kam, pflegte sie ein hübsches Geschenk für Jim mitzubringen. Einmal war es eine Glaskugel, in der eine winzige, mandalanische Landschaft zu sehen war, und wenn man die Kugel schüttelte dann schneite es darin. Ein anderes Mal schenkte sie ihm einen bunten Sonnenschirm aus Papier oder einen praktischen Bleistiftspitzer in der Form einer kleinen Lokomotive…“

Li Si…

Ich denke jeder hatte einmal eine Li Si in seinem Leben. Die erste Schulkameradin in die man sich verliebt, das Mädchen aus der Nachbarschaft, beim Bäcker oder beim Frisör.

Und die meisten dieser großen Lieben enden traurig, weil die kleinen Jungs sich in die gleichaltrigen Mädchen verlieben, aber diese nur für ältere Jungs schwärmen.

Das ist tragisch!

Später wenn man alt geworden ist, ist es genau umgekehrt. Da schwärmen die nun groß gewordenen Jungs für die jüngeren Mädchen und schauen die gleichaltrigen Damen nicht mehr an. Die behaupten, dass das unfair sei. In Wirklichkeit ist es aber nur ausgleichende Gerechtigkeit, wenn auch der Ausgleich für diesen Schmerz der Männer ziemlich spät kommt.

In der Mitte ihres Lebens versuchen viele von uns noch einmal Kontakt zu den Angebeteten von damals aufzunehmen, aber da die meisten geheiratet und den Namen geändert haben, können wir sie nicht mehr finden.