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Erich Fromm

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Beschreibung

„Kreativität“ bezeichnet nach Fromm in erster Linie weder eine Veranlagung noch ein bestimmtes Verhalten, sondern eine Haltung, die einer produktiven Charakterorientierung entspringt. Der Vortrag ‚Der kreative Mensch‘ entstand 1957 – lange bevor alle Welt von Kreativität sprach und kreatives Verhalten eingeübt wurde. Fromm gebraucht den Begriff in einem psychoanalytischen Sinn als erlernte Fähigkeit, aus seinen eigenen motorischen, sinnlichen, affektiven, emotionalen und intellektuell-geistigen Kräften schöpfen zu können. Dinge können nicht kreativ sein. Kreativität ist keine Frage der Technik und des technischen Vermögens, sondern des menschlichen Vermögens, jene Eigenkräfte zu gebrauchen, die den Menschen wachsen lassen und ihm zu seiner Geburt als Mensch verhelfen.

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Der kreative Mensch

(The Creative Attitude)

Erich Fromm(1959c)

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer Funk[1]Aus dem Amerikanischen von Liselotte und Ernst Mickel.

Erstveröffentlichung unter dem Titel The Creative Attitude in: H. A. Anderson (Hg.), Creativity and Its Cultivation, New York (Harper & Bros.) 1959, S. 44-54; die von Liselotte and Ernst Mickel besorgte erste deutsche Übersetzung erschien 1981 in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zehn Bänden, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt), GA IX, S. 399-407.

Die E-Book-Ausgabe orientiert sich an der von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassung in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, GA IX, S. 399-407.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © 1959 by Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2016 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2016 by Rainer Funk.

Von Kreativität kann man in einem zweifachen Sinne sprechen: Kreativität kann heißen, dass etwas Neues geschaffen wird, etwas, das andere sehen oder hören können, etwa ein Gemälde, eine Skulptur, eine Sinfonie, ein Gedicht, ein Roman usw. Unter Kreativität versteht man aber auch die Haltung, aus der heraus erst jene Schöpfungen entstehen, von denen eben gesprochen wurde, und die vorhanden sein kann, ohne dass in der Welt der Dinge etwas Neues geschaffen wird.

Für Kreativität im ersten Sinne, für das kreative Schaffen eines Künstlers, gibt es verschiedene Voraussetzungen: Begabung (oder besser gesagt: genetische Veranlagung), Studium und Übung sowie bestimmte ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen, die es dem Betreffenden erlauben, seine Begabung durch Studium und Übung zu entwickeln. Mir geht es im Folgenden nicht um diese Art von Kreativität, sondern um die kreative Haltung, um den kreativen Charakterzug.

Was ist Kreativität? Die beste Antwort scheint mir folgende zu sein: Kreativität ist die Fähigkeit, zu sehen (oder bewusst wahrzunehmen) und zu antworten. Es könnte der Eindruck entstehen, als sei diese Definition von Kreativität zu einfach. Man könnte sagen: „Wenn das Kreativität ist, dann bin ich ganz gewiss kreativ, denn ich nehme Dinge und Menschen ganz bewusst wahr und reagiere darauf. Nehme ich denn nicht wahr, was auf meinem Weg zum Büro geschieht? Reagiere ich nicht mit einem freundlichen Lächeln auf jene Menschen, die mit mir in Kontakt kommen? Sehe ich nicht meine Frau und reagiere auf ihre Wünsche?

Tatsächlich denken die meisten Menschen so, doch sie irren sich. Die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen so gut wie gar nichts bewusst wahrnehmen und auf nichts wirklich antworten. Untersuchen wir zunächst, was beim Prozess des Sehens und Antwortens vor sich geht und was hierbei die kreative von der nicht-kreativen Einstellung unterscheidet.

Nehmen wir an, jemand sieht eine Rose und stellt fest: „Das ist eine Rose“ oder „Ich sehe eine Rose“. Sieht er die Rose wirklich? Manche tun es wirklich, aber die meisten tun es nicht. Welche Erfahrung machen sie? Ich möchte es folgendermaßen beschreiben: Sie sehen einen Gegenstand (die Rose) und stellen fest, dass der von ihnen gesehene Gegenstand unter den Begriff „Rose“ fällt und dass ihre Feststellung: „Ich sehe [IX-400] eine Rose“ aus diesem Grund richtig ist. Obgleich es den Anschein hat, dass der Nachdruck hier auf dem Akt des Sehens liegt, handelt es sich in Wirklichkeit um ein rein kognitives Erfassen und dessen Verbalisierung. Der Mensch, der auf diese Weise feststellt, dass er eine Rose sieht, stellt in Wirklichkeit nur fest, dass er sprechen gelernt hat. Er hat gelernt, einen konkreten Gegenstand zu erkennen und mit dem richtigen Wort zu klassifizieren. Das Sehen ist hier kein wirkliches Sehen, sondern seinem Wesen nach ein verstandesmäßiger Akt. Was ist Sehen dann aber in der wirklichen Bedeutung des Wortes?

Vielleicht kann ich es am besten erklären, wenn ich ein konkretes Beispiel anführe. Eine Frau, die in der Küche Erbsen enthülst hat, sagt zu einem Bekannten, den sie später am Morgen trifft, voller Begeisterung: „Ich habe heute Morgen etwas Wunderbares erlebt: Ich habe zum ersten Mal gesehen, dass Erbsen rollen.“ Viele, die so etwas hören, werden sich etwas unbehaglich fühlen und fragen, was mit der Frau los ist, die das sagt. Sie nehmen es als selbstverständlich hin, dass Erbsen rollen, und wundern sich nur darüber, dass jemand sich darüber wundern kann. Aber was sie wirklich erleben, wenn sie Erbsen rollen sehen, ist nur eine Bestätigung ihres verstandesmäßigen Wissens, dass runde Körper auf einer geneigten und relativ glatten Fläche rollen. Für sie bedeutet es, wenn sie Erbsen rollen sehen, nur eine Bestätigung ihres Wissens und keine vollständige Wahrnehmung der rollenden Erbsen durch den ganzen Menschen.