Der meuchelnde Geisterrabe - Roman Schmidt - E-Book

Der meuchelnde Geisterrabe E-Book

Roman Schmidt

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Beschreibung

Seltsame Morde beschäftigen den Bader eines kleinen Dorpes in der Nähe von Cöln. Er glaubt nicht an die Mär, dass es sich um einen Helfer des Satanus handelt, der in Gestalt eines Raben scheinbar wahllos seine Opfer finde...es muss mehr dahinter stecken

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Die vorliegende Geschichte ist frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und wären somit rein zufällig.

Roman Schmidt

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ruaraidh, der Gaelic

Pieter

Das schwarze Ungetüm

Das Unheil nahm seinen Lauf

In der Schenke

Vor der Dorpmauer im Wäldchen

Glückliches Ende

Nachsatz

Grausliche Zeiten … oder Vielfacher Mord

Bei der Hexe

Derweil im Herrenhaus der Feste

Am nächsten Morgen

Vorwort

Je mehr ich mich mit dem Mittelalter und damit auch mit meinen, mir bekannten Vorfahren (bis ca. Anno 1580) befasse, eigene negative und positive Lebenserfahrungen überdenke, die ich in sechseinhalb Jahrzehnten sammelte, umso mehr verdichtet sich bei mir die Erkenntnis, dass es im Leben immer nur und ausschließlich um eins gegangen ist und geht: GELD. Damit automatisch verbunden: MISSGUNST, HABGIER; MACHT, WILLKÜR, NEID UND VERACHTUNG.

Ich kenne die Sprüche und habe sie in einem anderen Buch schon einmal ähnlich erwähnt: Stillstand ist Rückschritt! Dahinter versteckt sich immer die Sucht nach noch mehr. ... Man will weiterkommen. Wer stehenbleibt, egal ob im Beruf oder Privatleben, der gilt als Verlierer. Oder sollte ich mich anpassen und wie die meisten Jugendlichen, unsere erlernte Sprache verleugnen und „Loser“ sagen? Ich verachte dieses dumme Geschwätz, denn eine innere Ausgeglichenheit wird man mit solchem Denken nicht erreichen. Man ist gezwungen, noch schneller, noch besser und effektiver zu werden um immer weiter voran zu kommen. Kommt man wirklich weiter? Und wenn, wohin? Man sollte aus den gemachten Erfahrungen lernen und versuchen, es besser zu machen. (Was einigen hochgestellten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Militär und Politik anscheinend nicht immer gelingt!) Wie sonst erklärt sich, dass jährlich bekannt wird, welche ungeheuren Summen an Steuern sinnlos verschleudert werden. Dass es immer noch Vernichtungskriege gibt, Sklaverei, Unterdrückung.

Gehen wir in der Geschichte zurück. Im Alten Testament wird vom Tanz um das goldene Kalb berichtet, als Moses auf dem Berg Sinai die 10 Gebote von Gott erhielt. Daraus ergibt sich die erste Frage: Was, bitte schön beten wir denn heute an? Wer ist mit seinem Leben rundum zufrieden?

Manch Reicher, der alles hat, ist es nicht, denn er strebt immer noch nach der Vermehrung seiner angesammelten Güter und wird nicht selten sogar darüber krank. Er wird seinen unglaublichen Durst nach noch mehr nicht mehr stillen können. Vom späteren Drama um das Erbe ganz zu schweigen!!

„Keine drei Streifen auf dem Turnschuh? Was ist das denn? Wenigstens Sportsachen mit dem Namen einer griechischen Göttin! (Nike) Wie, auch das nicht?“

Das ist im Vereinigten Königreich extra durch eine einheitliche Schuluniform ausgeschlossen.

Schlimm empfinde ich den wahnsinnigen Wettlauf um das neuste „Silberklötzchen“ (Handy), aus seltenen Rohstoffen hergestellte, universelle Sender, mit denen man telefonieren, fotografieren, Nachrichten versenden, filmen und ich weiß nicht was noch alles macht. (Womöglich ausspionieren?)

Benötigen wir in Zukunft noch Schulen? Alles können doch diese Wunderteile in Bruchteilen von Sekunden beantworten, solange der Akku hält. Man benötigt dazu nur einen schnellen Zeigefinger. Der Absatz dieser Geräte ist garantiert, denn jedes Jahr kommen bessere, schnellere Klötzchen auf den Markt. (Und wer will schon als „Loser“ gelten). So hat jedes Zeitalter negative und positive Aspekte. Hier schildere ich eine Epoche, in der es noch mehr als heute nach dem Stand und der Herkunft der Menschen ging. Die weit auseinanderklaffenden Stände des Adels, des Klerus und der Leibeigenen waren erheblich und verdeutlichen die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Leben, das diesen Menschen widerfuhr.

Roman Schmidt

Ruaraidh, der Gaelic

„Jetzt bist du erwachsen!“

Mit diesen Worten hatte sein Vater ihm soeben feierlich einen Dolch gegeben, den der Kleine mit großen Augen betrachtete. Es war schon seit drei Jahren sein größter Wunsch gewesen, eine solche Waffe endlich sein eigen nennen zu dürfen.

„Jetzt bin ich ein Laird!“ rief er und stürmte aus der Hütte, die ebenerdig mit Bruchsteinen mannshoch aufgeschichtet, im Moor der schottischen Highlands lag.

Die Mutter stand am offenen Feuer, mittig in dem einzigen Raum, der für Mensch und Vieh eine dürftige Unterkunft bot. „Ist das nicht zu früh, ihn als erwachsen zu bezeichnen?“ Eachann schüttelte den Kopf: „Weib, wie oft haben wir das beredet! Er hat acht Winter überstanden! Drei kleine Seelen haben diese ersten Lebensjahre nicht erreicht. Wäre er ein Findelkind im Stift, so würde er von den Monks nun auf sich gestellt in die Highlands geschickt. Er bleibt ja noch bei uns, reg dich also nicht weiter darüber auf. Je früher er lernt damit umzugehen, umso länger wird er in dieser Welt bestehen können. Kein Wort mehr, meine Entscheidung steht!“

Vater hatte ihm schon seit mehreren Monden oft sein eigenes Messer geliehen, wenn es darum ging, Rüben zu schneiden oder aus trockenen Ästen dünne Kienspäne zu schnitzen.

Er konnte damit umgehen, ohne seine Haut zu öffnen und den Lebenssaft unnütz zu vergießen. Catriona rührte in dem Kessel, der an einer Kette über dem Torffeuer hing, als die Brettertür aufflog und der kleine Ruaraidh wieder hereinstürmte. Er blieb abwartend unter der offenen Tür stehen. Die Eltern konnten nur seinen Schatten sehen, da er sich gegen das helle Sonnenlicht draußen abzeichnete: „Aye? Das ist doch eine gute Idee, oder?“ Eachann ging zu dem Kleinen und warf hinter ihm die Tür zu. Jetzt erkannten sie auch, warum er so stolz gefragt hatte.

Er hatte den Dolch mit einem Lappen umwickelt an seiner linken Hüfte in den Bund seines, mehrfach um die Hüften gewickelten Rocks gesteckt. Diese dicke, zweckmäßig aus Schafswolle gewebte Stoffbahn, die „feileadh-beag“, diente als wind,- und wasserdichte Zudecke und Beinkleid in einem. Wieder klopfte er stolz auf sein neues Geschenk: „Zum Schutz, damit er mir nicht verloren geht oder den beag zerschneidet, wenn ich ihn so trage!“ Eachann lächelte stolz: „Siehst du, Catriona, er hat sich Gedanken gemacht, wie er die scharfe Klinge bei sich tragen kann, ohne Schaden daran zu nehmen.“ Der Vater legte den Arm um die kleinen Schultern und geleitete den stolzen Spross zu seiner Schlafstatt, die am hinteren Ende des ebenerdigen Hauses direkt neben dem Tiergatter stand. „Aye, ein Schutz aus Kaninchenfell wird noch haltbarer sein!“ murmelte er und kramte in der Ecke im Weidenkorb.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und fünf bewaffnete Männer mit roten Uniformjacken sprangen herein.

„Weib! Rühr dich nicht!“ rief Eachann, der sah, wie seine Frau zur Anrichte griff, um einen Eisentopf vom Haken zu nehmen. Die gezogenen Degen verhießen nichts Gutes. „Kriech unter die Schlafstatt, schnell!“ flüsterte er seinem Sohn zu und schob ihn mit einem Fußtritt unsanft in den schmalen Durchlass.

Es passierte oft, dass die Sasunnach, wie die verhassten Soldaten aus dem Süden genannt wurden, plündernd durchs Land zogen, aber was wollten sie hier oben in der Einsamkeit? Es gab bei ihnen nichts Wertvolles, außer dem Vieh, das draußen im Gatter stand. Eachann ging auf die Männer zu, wollte sie besänftigen, mit ihnen reden und da er ihre Sprache nicht konnte, deutete er auf die Feuerstelle, wo ein großer Kessel mit einer Kräutersuppe garte. Sie schauten in diese Richtung, lächelten und gingen auf sein Weib zu. Hatten sie die Situation völlig falsch verstanden, oder war es von Anfang an ihr Plan gewesen, sich des Weibes zu bemächtigen?

Als der Crofter die Situation erkannte, stellte er sich ihnen in den Weg und führte mehrfach seine Hand an den Mund.

Er wollte ihnen damit zeigen, dass sein Weib etwas Essbares zu sieden gedachte. Da traf ihn von hinten unvermittelt der Knauf eines Degens hart am Kopf, er taumelte, prallte unsanft gegen einen Stützbalken und blieb dann bewegungslos liegen.

Nun fielen sie auch schon über sein Weib her und er musste, halb bewusstlos und ohnmächtig vor Wut mit ansehen, wie sie seine wehrlose Frau bäuchlings auf den Tisch warfen und festhielten, während schon der erste seinem Trieb folgte.

Mit letzter Kraft bäumte sich Eachann noch einmal auf und dachte dabei wütend an seinen Sohn, der mit aufgerissenen Augen unter der Bettstall lag und das alles mit ansehen musste. Er schlug mit letzter Kraft seine Faust gegen die Hüfte des Soldaten, der mit heruntergelassenen Beinlingen sein Weib schändete. Der verhasste Sasunnach drehte sich und trat ihm mit dem Stiefel ins Gesicht. Gleichzeitig verspürte er einen stechenden Schmerz. Ein weiterer Rot Rock hatte ihm die Klinge seines Degens so fest in den Rücken gestoßen, dass die Spitze vorn aus seiner Brust wieder herausdrang. Bilder seiner Kindheit rasten an ihm vorbei, er sah seinen Vater, seine Mutter, die ihn anlächelte und dann wurde der schwarze Vorhang des ewigen Vergessens über ihm ausgebreitet.

Eachann, der Crofter war tot. Gemeuchelt von den ewigen Besatzern, die sich immer wieder als Herren ihres Gaelischen Nordreiches aufspielten. Sein geschändetes Weib musste auch die anderen Männer machtlos ertragen, bevor sie vom Tisch geworfen und ebenfalls mit den Degen zerstochen wurde.

Blut quoll aus ihrem Mund, als sie auf dem Boden liegend noch ein letztes Mal zu ihrem Sohn schaute. Ruaraidh meinte, ein ängstliches Kopfschütteln wahrgenommen zu haben, als ihr Augenlicht brach und die Seele auch ihren Körper verließ.

Der kleine Rotschopf war plötzlich zum Waisen geworden. Seine Eltern wurden nicht ohne Gegenwehr gemeuchelt und würden mit Sicherheit von den Walküren abgeholt, um in Walhalla neben den Helden der Ahnen zu sitzen. So hatte es zumindest sein Großvater immer gesagt. Ein Nordmann, der mit einer Horde junger Krieger in einem Lang Boot gekommen war, aber dann doch ohne Blutvergießen bei den Scoten ein Weib gefunden hatte und hier in den Highlands geblieben war. Ruaraidh, den sie immer nur Ruadh gerufen hatten, rutschte zurück und klemmte sich in die hinterste Ecke seines engen Schutzes, während nun ein Tumult und Gewühl, begleitet von fremdartigen Wortfetzen der Soldaten einsetzte. Hoffentlich würden diese Mörder nicht die Nacht hier verbringen, denn er konnte nicht mehr lange in dieser Enge ausharren.

Vor kurzer Zeit noch waren sich alle sicher gewesen, dass die Fremden hier nur Schutz vor der Dunkelheit gesucht hatten. Welch fatale Fehleinschätzung. Sein Versteck hätte er beinahe schon verlassen, als dann plötzlich dieses Massaker einsetzte. Sein kindliches Denkvermögen konnte nicht die endgültige Konsequenz verstehen, die da wie Donars Gewitter über die Familie hereingebrochen war. Lange währte der Überfall nicht, denn die Sasunnach hatten offensichtlich bekommen, was sie wollen. Sie ließen die Brettertür achtlos offen, das Scharmützel war vorbei und eine gespenstige Stille setzte ein. Ruadh traute sich dennoch nicht, sein geborgenes Nest zu verlassen.

Dieser Überfall lastete schwer auf seiner kindlichen Seele.

Er zitterte, obwohl er nicht fror und empfand weder Hunger, noch Müdigkeit oder Durst. Seine Augen starrten ungläubig auf die toten, dampfenden Körper seiner Eltern, denn diese Barbaren hatten sie in die mittige Feuerstelle unter den siedenden Kochkessel gelegt und die gierigen Flammen leckten an ihren zerfetzten Kleidern und den nackten Gliedmaßen.

Erst als zusätzlich ein lautes Knistern zu vernehmen war und helle, dichte Rauchschwaden zu ihm unter das Bett krochen, war er gezwungen, sein Gesicht in die Armbeuge zu drücken. Er rollte sich aus der Deckung und stand plötzlich mitten in der qualmenden Hütte. Vom bereits lichterloh brennenden Dach fielen zuerst vereinzelt, dann immer heftiger, glühende Funken und Äste herunter. Lange konnte er so nicht mehr hier stehenbleiben, aber seine Angst lähmte ihn immer noch.

Keine Träne kam aus seinen Augen, kein Laut über seine Lippen, als die tosende Feuersbrunst sich immer tiefer in das trockene Strohdach fraß und die gelb-roten Flammen an den Stützbalken hinauf tänzelten.

Erst als er den geöffneten, hinteren Verschlag sah, durch den wohl das Vieh herausgetrieben worden war und nun durch die windige Frischluft die tragenden Balken und Stämme noch intensiver von den züngelnden Flammen erfasst wurden, gab er sich endlich einen Ruck. Er rannte durch das offene Tor, rutschte aus und fiel in den nassen Schlamm, den der Regen hier hinterlassen hatte. Die Kühle, die ihn nun umfing tat seiner angeflämmten Kleidung und der geröteten Haut gut. Er raffte sich auf und lief zu der kleinen Hütte, die etwas abseits hinter dem Gatter stand.

Sie hatte kein Feuer gefangen, denn der Wind blies die lodernden Flammen in die entgegengesetzte Richtung. Im Schuppen lagen alte Werkzeuge, sowie getrocknete Torfsohlen und Hanfsäcke, auf die er sich legte und erschöpft einschlief. Es dunkelte bereits, als er wach wurde und sich erst einmal zurecht finden musste. Die Feuersbrunst hatte sich ausgetobt, nur noch schwarz-gelber Qualm schlängelte sich empor zum Sitz der Götter. Wodans Sohn, Donar musste doch diesen Frevel mitbekommen haben, denn der Rauch hatte seinen Tempel in den Wolken schon lange erreicht. Die Rot Röcke von denen Vater manchmal abends am Feuer erzählt hatte, waren also kein Hirngespinst. Wie die Heuschrecken waren sie über das Land hergefallen und hatten ganze Arbeit geleistet.

Er hatte kein Heim mehr und das Vieh war weg. Nun war es wohl nur noch eine Frage von Tagen, wann ihn Wölfe, Hunger oder das quälende Fieber von seinen Qualen erlösen würden. Seine Eltern waren einem sinnlosen Flammentod erlegen und das sollte ihm nicht passieren. Wenn schon nicht zu verhindern, so musste er mit einer Waffe in den Händen im Kampf sterben. Dann würde auch er zu den Helden gerufen und in Walhalla wieder neben ihnen sitzen. Er durfte den Dolch nicht verlieren, denn der war seine letzte Hoffnung. In der Hütte verbrachte er den Rest der Nacht, bis Sunnas Wagen hinter dem Wald aufsteigen und seine helle Bahn über das Himmelsgewölbe beginnen würde.

Er fand keinen erholsamen Schlaf. Immer wieder wurde im Traum die Tür aufgerissen und er sah die Männer in ihren roten Röcken, die sich wie wilde Tiere meuchelnd über seine Eltern hergemacht hatten. Eachann, sein Vater war ehemals in dieser Gegend sehr beliebt gewesen, denn als Druide kannte er so manches Heilmittel und stärkenden Trunk, der Kraft, Ausdauer und Sehstärke verlieh. Alles war verbrannt und vernichtet, bis auf die Erinnerungen, die in seinem Hirn gespeichert waren. Als er nach dieser zermürbenden Nacht aufwachte und gewahr wurde, dass er das alles nicht geträumt hatte, sah die Gegend noch trauriger aus. Hoffnungslos, verwüstet, menschenleer. Draußen hatte es aufgehört zu regnen und ein Blick über die weiten Felder zeigte ihm, dass überall kleine Rauchsäulen in den Himmel stiegen. Die Sasunnach, es mussten ihrer viele gewesen sein, hatten ganze Arbeit geleistet.

Hinter der Hütte graste eine fremde Ziege mit abgerissenem Strick um den Hals. Ihr Euter war prall gefüllt, aber es waren keine kleine Zicken zu sehen. Mutig ging er auf sie zu. „Komm, ich werd dir nichts tun, komm. . . “ er packte sie bei den Hörnern und zog sie zurück in die Hütte.

„Nur ein Schluck Milch, ich werd dich nicht schlachten.“

So redete er mit der Ziege, als wolle er damit die Einsamkeit überspielen, die er immer noch nicht richtig realisiert hatte.

Er band beide Hinterbeine des Tieres eng zusammen, damit sie weder treten, noch davonlaufen konnte. Schnell nahm er einen Holzeimer, spülte ihn in der Regentonne aus und klemmte ihn zwischen seine Beine, während er hockend das pralle Euter massierte. Dann streifte er geschickt zuerst mit Daumen und Zeigefinger, dann mit der ganzen Hand die Zitzen und mit einem kräftigen Strahl schoss die weiße Milch auf den Boden. So hatte es ihm sein Vater nicht beigebracht, aber nach mehreren Versuchen, er hatte seine Haltung korrigiert, traf er endlich in den Behälter, dessen Boden bald mit dem kostbaren Saft bedeckt war. Nachdem er auch die zweite Zitze gemolken hatte, band er das Tier los und trank so gierig, dass ihm ein Teil der noch warmen Milch über sein Wams lief.

Er wischte sich mit dem Ärmel seines Kittels den Mund ab, überlegte einen Augenblick und entschied sich dann sofort dafür, das Tier zu behalten. Sie würde ihn nun begleiten.

„Nur weg von hier!“ murmelte er, denn plötzlich wurde er von einer drohenden Angst befallen. „Was, wenn diese wilden Männer noch einmal zurückkommen?“ Er alleine hier in dieser Verwüstung, die einmal sein trautes Heim gewesen war.

Er musste eine Reise machen. Die erste, die er alleine unternehmen würde, in eine fremde, ungewisse Welt. Eine friedliche Zukunft konnte er hier nicht mehr finden. So alleine und hilflos, wie er sich fühlte, konnte es nur besser werden.

Was blieb ihm anderes übrig? Hier durfte er nicht bleiben.

Er kramte alle Dinge zusammen, die er mitnehmen wollte und legte sie in der Hütte nebeneinander auf den Boden. Handlich und nicht allzu schwer sollte seine Last werden, wenn er nicht das meiste davon unterwegs als Bürde ansehen müsste.

„Brauch ich das wirklich? Ist das wichtig.“ So sortierte er nach Gutdünken aus, was ihm wichtig und was unnütz schien.

Dann band er einen Riemen um Hals und Bauch seines vierbeinigen Begleiters und legte ihm einen Strick um, damit er das Tier führen konnte. Dann nahm er ein gewebtes Tuch, das zwar mehrere Löcher hatte, aber nun für seine Dienste herhalten musste und legte seine gesammelten Sachen hinein, verknotete die Enden und band das Bündel auf dem Rücken der Ziege fest. Der abgebrochene Stiel einer Harke diente ihm als Stecken und mit seinem umwickelten Messer im Bund seines Rockes, die Ziege an der Leine führend, schaute er ein letztes Mal auf die verkohlten Reste seines Elternhauses.

Er konnte seine Traurigkeit nicht mehr zurückhalten, so völlig alleine und auf sich gestellt. In einer Welt, die sich verändert hatte und neue Herausforderungen von ihm verlangten. Was kümmerten ihn jetzt die Worte, die ihm sein Vater gesagt hatte: „Ein Mann zeigt keine Schwäche!“ Ein Dolch hatte er ihm geschenkt mit den Worten: Jetzt bist du erwachsen. Stolz war er gewesen und glücklich … doch wie schnell war sein Glücksgefühl geschwunden und hatte sich in pures Entsetzen gewandelt. Natürlich wollte er groß werden, und stark wie sein Vater, aber nicht so! Und vor allen Dingen nicht so schnell. Nach einer Weile ging sein Grübeln und Wehklagen in ein stockendes Schluchzen über.

„Ich weiß, was du jetzt denkst, Vater. Aber es schmerzt so sehr, als würde es meine Brust zerreißen.“

Er trocknete die Tränen, atmete tief durch und marschierte los, dorthin, wo der Ritt der Sunna übers Firmament begann. Nach Morgen, so hatte es ihm der Vater immer gesagt, würde die große Stadt am Wasser liegen, die er noch nie zuvor gesehen hatte, aber deren Name er kannte:

Edynburgh

Als er von dem kleinen Pfad auf einen steinigen Weg kam, der in die Richtung seines Zieles führte, kamen drei Ochsenkarren beladen mit mehreren Frauen, Kindern und etlichem Gepäck aus dem hügeligen Umland, die den gleichen Weg hatten. Dahinter zogen ihre begleitenden Männer Hochlandrinder an Stricken, die an den langen Hörnern befestigt waren.

Alle trugen ihre karierten Röcke, deren Enden über der linken Schulter verknotet waren. Dem Kleinen fiel sofort auf, dass sie unterschiedliche Muster hatten. Es waren wohl verschiedene Clanmitglieder zusammen unterwegs.

„Willst du mit uns ziehen?“ fragte ein alter Mann, der das erste Gespann führte. Ruaraidh nickte sofort. „Bind dein Tier an den Wagen und komm zu mir auf den Bock, da reist es sich leichter, denn deine Füße sind noch sehr klein.“

Die anderen schienen davon völlig unbeteiligt, denn sie gingen mit gesengtem Kopf weiter, als wäre nichts geschehen.

Der Kleine tat, was man ihm gesagt hatte und sprang zu dem Alten, ohne dass der Treck anhielt. „Wie ruft man dich, Gille?“ „Ruaraidh“, antwortete er und zeigte auf seine Haare: „wohl deshalb, nehme ich an. Ruaraidh Mac Eachann.“

Der Alte nickte, „Hamish, . . . bist du alleine unterwegs?“ Bevor Ruadh antworten konnte, zog er die Augenbrauen hoch und ergänzte: „Geflohen, wie?“ „Aye. Soldaten haben uns alles genommen.“ „Uns?“ „Meine Eltern sind in Walhalla aber mich werden sie nicht bekommen, mich nicht!“ Der Alte schaute ihm ernst in die Augen: „Bist du Germane?“ „Warum?“ „Na, redest von Walhalla und betest wohl auch die nordischen Götter an?“ „Ich verstehe davon nichts. Mein Vater hat mich das gelehrt. Meine Mutter ist von hier, “ er verbesserte sich: „war von hier.“ „Du musst vergessen, auch wenn es dir schwer fällt. Wenn du dich renitent zeigst, wirst du den nächsten Winter nicht erleben. Der Kleine schaute zurück auf die anderen Begleiter, die eher apathisch denn glücklich vor sich hin schauten.

Hamish bemerkte sein fragendes Gesicht: „Ja, das ist der traurige Rest. Auch wir mussten vor den Sasunnach fliehen. Dabei hatten wir geglaubt, dass nun endlich Friede einkehren würde, aber sie wollen einfach nicht anerkennen, dass sie bei Bannockburn vernichtend geschlagen wurden. Das scheinen versprengte Truppen zu sein, die durchs Land wüten. Wie auch immer, wir wollen nach Edynburgh und dann die Küste hoch in die Highlands. Da, so hört man, sollen keine Roten Röcke mehr gesehen worden sein.“ Ruaraidh nickte, hatte aber nicht verstanden, was ihm da Hamish erzählte.

„Willst du mit uns in die Highlands?“ „Eher nicht. Mich hält hier nichts mehr. Ich versuche im Land meines Vaters eine neue Bleibe zu finden. Bei den Friesen oder den Cheruskern.“

„Bist du ein kelpie? Oder kannst du zumindest schwimmen wie ein haddock? Wenn du aufs Festland willst, so musst du über das Wasser der Germanen. Das ist kein Loch Ness oder Loch Lomond. Das ist ein weites Meer. Ohne Barke wirst du nicht übersetzen können und nur gegen harte Fron mitgenommen. Da wünsch ich dir viel Glück.“ Was faselte er da? Vater war doch auch von dort gekommen. Vielleicht gab es ja einen Steg oder eine Brücke dorthin und Hamish hatte noch nicht davon erfahren. Er würde es auf jeden Fall schaffen.