Roman's Mittelalter 1 - Roman Schmidt - E-Book

Roman's Mittelalter 1 E-Book

Roman Schmidt

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Beschreibung

Neuauflage von: Hargan und Arn, sowie Steffan, des Schmiedes Sohn

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In zwei Neuauflagen habe ich insgesamt drei Bücher zusammengefasst, die ich 2012 bis 2013 im gleichen Verlag veröffentlicht hatte.

Hargan und Arn

(Ein edler Junker und ein leibeigener Balg finden zusammen)

Steffan, des Schmiedes Sohn

Die vorliegenden Geschichten sind völlig frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind ausdrücklich nicht gewollt und wären rein zufällig.

Roman Schmidt MMXVI

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Hargan Kapitel 1 (Das Ende von Tugend und Moral)

Schreckliches Erwachen

Am nächsten Morgen

Im Unterschlupf der Raubritter

Der Alptraum kehrt zurück

Hargan ´s Aussage

Ausbildung an der Feuerwaffe

Eine heikle Begegnung

Eine böse Überraschung

Arn, den man Balg nannte… Kapitel 2

Die unbequeme Wahrheit

Zurück auf Burg Hochwald

Böse, schwarze Winde

Anmerkung

Schweres Leben in schwierigen Zeiten.

Steffan, des Schmiedes Sohn

Aufbruch ins Bergische

Ein Dorp entsteht um den Turm des With

Im Dorp des With

Im Schlafgemach des Zanther

Die „Neuhe Burg“ oberhalb der Wippera

Die Verfolger

Vorwort

Ich will Euch erzählen von längst vergangenen Tagen….

Von einer Zeit, die in finsterer Dunkelheit lag, des nächtens nur spärlich erhellt vom flackernden Schein des Feuers. Auf dem Land legte man sich mit dem Sonnenuntergang zur Nachtruhe und stand mit der aufgehenden Sonne zusammen wieder auf . . . . sofern man die Nacht hungrig, fröstelnd und von der täglichen Fronarbeit lebend überstanden hatte. Gerade bei den Kindern war das nicht immer der Fall. Die Sterblichkeit unter ihnen war enorm hoch und die Kleinen wurden mit Erleichterung morgens aus ihrem Bettkasten gehoben, wenn noch Leben in ihnen war.

Es war in den Gassen der Städte nicht nur dunkel, es war stockfinster.

An einigen Häuserecken standen Feuerkörbe, die fest angekettet für ein wenig Orientierung sorgen sollten.

Öllampen und Kerzen waren dem Klerus und den Adeligen vorbehalten, denn es war dem niederen Volk nicht möglich, den Obolus für derartige Güter aufzubringen.

Die Kleidung aus Linnen, Flachs und Wolle, gefärbt in schwarzen, grauen oder braunen Tinkturen war für das niedere Volk.

Als Ausnahme durfte von ihnen am Tag des Allmächtigen auch blau getragen werden.

Der Klerus war allgegenwärtig und bestimmte das Leben eines jeden.

Die Unwissenheit der meisten Menschen, (der größte Anteil bestand aus Unfreien, Bauern und Handwerkern) konnte weder lesen noch schreiben.

Sie waren auf Gedeih und Verderb auf die Obrigkeit und deren gutem Willen angewiesen und mussten alles glauben, was man sagte oder behauptete.

Krankheiten durften sie nicht bekommen, denn einen Bader oder etwa einen Medicus konnte sich von ihnen niemand leisten.

Ob aber die Adeligen besser dran waren, wenn sie zu einem „Quacksalber“ gingen, steht auf einem anderen Blatt, denn mancher Kranke siechte durch die verabreichten Tinkturen, den beliebten Aderlass oder eingenommene Substanzen erst recht qualvoll dahin.

Lasset Euch ein, auf die Erlebnisse der Menschen, die jene Zeit überstanden haben und den Grundstein dafür legten, dass wir, als die Nachfahren jener Zeit, heute etwas bequemer und sicherer durch den Alltag gehen dürfen.

Roman Schmidt (M.M.X.VI.)

HarganKapitel 1 (Das Ende von Tugend und Moral)

Der einsam gelegene Gutshof wurde von bestialisch stinkenden Rauchschwaden und der aufziehenden Dunkelheit eingehüllt. In dieser Nacht hatte sich bitter gerächt, dass die Arbeiten an der Befestigungsmauer so lange verzögert hatten. Der Mond zeigte sich als weißglänzende, seitlich abgeflachte Scheibe, die hier und da von kleineren Wolkenfetzen kurz verdeckt wurde. An verschiedenen Stellen loderten noch vereinzelte Flammen. Sie hatten sich durch die Schuppen und Stallungen gefressen und glühten nun langsam aus. Nur das, aus Bruchsteinen robust aufgeschichtete Haupthaus hatte den willkürlich gelegten Brandherden diesmal noch widerstehen können. „Kommt, wir gehen. Wir werden hier nichts Brauchbares mehr finden!“ Ließ ein etwa zwanzig Lenze zählender Jüngling verlauten, der gemächlich über den Hof schlenderte und seinen Spieß hinter sich her zog. „Das sehen wir auch so!“ war die Antwort der anderen, die gerade ihre erbeuteten Lederwesten, Stiefel und Umhänge auf eine Karre am Wegrand warfen. Die Männer stießen hier und da in die leblosen, gefledderten Körpern, die wahllos dahingemetzelt im Innenhof herumlagen. Einige von ihnen hatten abgetrennte Gliedmaßen und waren als menschliche Wesen kaum zu erkennen. Blutverschmiert und grässlich verstümmelte Frauen, Kinder, Männer und Greise, allesamt waren sie unbewaffnet diesem hinterlistigen und fürchterlichen Überfall ausgesetzt gewesen. Mit Gewalt hatte man sie alle im Hof zusammen getrieben. Dann war die Horde über ihre wehrlose Beute hergefallen. Die wilden Ritter fanden keinen Lebenden mehr vor. „Ihr habt eure Arbeit zur besten Zufriedenheit erfüllt, obwohl der Ertrag doch ziemlich dürftig ausgefallen ist. Seid ihr euch absolut sicher, dass es keine Zeugen gibt? Ist uns auch wirklich keiner entwichen?“

„Nein Gernot! Wir haben alle Scheunen und Hütten durchsucht, bevor wir dem Feuerteufel freien Lauf ließen. Lebende waren nicht mehr darunter. Wenn sich doch einer unerkannt dorthin verschanzt hatte, so war es dann seine letzte, sehr heiße Nacht gewesen.“ Die Männer lachten sarkastisch und teilnahmslos auf. Der Anführer dieser wilden Gruppe zog den fremden, roten Waffenrock über den Kopf und warf ihn mit auf den Wagen. Die Männer banden zwei abgemagerte Kühe, die sie als lebenden Proviant aus dem umzäunten Gatter geführt hatten, an die gleiche, hoch beladene Karre. „Wir haben nur diesen alten Gaul hinter der Scheune gefunden!“ Zwei Männer hoben die Deichsel des Wagens an und spannten den Klepper vor ihre Beutekarre. „Zieht euch wieder um, wir reiten zurück zur Burg!“ Die anderen Männer taten es ihm gleich und bald saßen sie, nun mit ihren eigenen. unterschiedlichsten Kitteln und Beinkleidern gewandet, in den Sätteln ihrer Pferde und Maultiere. Einheitliche Uniformen hatten sie schon lange nicht mehr, denn es war eine Horde von unterschiedlichen Männern: Ritter, Knappen und Vogelfreie. Sie hatten sich aus Not zusammengeschlossen. Gernot der Kühne, wie er von den anderen genannt wurde, trabte voran, als sich die Gruppe in Bewegung setzte und mit dem erbeuteten Wagen und den abgemagerten, angebundenen Rindviechern langsam zurückritt.

„Ward ihr endlich einmal erfolgreich?“ wollte ihr Anführer, der selbsternannte „Burgherr“ der verruchten Bande wissen, der die Reiterschar schon an der Zugbrücke empfing. Mit zwei brennenden Fackeln in den Händen war er nervös im Vorhof herumgegangen, seitdem seine Männer mit dem Auftrag fortgeritten waren.

Er entschuldigte vor seinem Gewissen das harte Vorgehen mit den schlechten Zeiten, in denen man lebte. „Wovon sollen wir denn satt werden, wenn die Lehnsherren keine Arbeit mehr für uns haben?“ Die Ritterschaft wurde nicht mehr benötigt und war nun auf sich alleine gestellt. Daraufhin hatten sie sich aus der Not und dem Hunger heraus, in kleineren und größeren Gruppen zusammengerauft. Plündernd und mordend zogen nun die ehemaligen, Ritter und Beschützer der Grafschaften und Herzogtümer über Land, um sich an den unfreien Bauern, Marktbesuchern und Geschäftsleuten der Adeligen schadlos zu halten. Sie hatten sich in einer alten, verfallenen Burgruine zurückgezogen und diese notdürftig zu ihrer neuen Unterkunft hergerichtet. Die morschen Tore hatten sie mit gestohlenen Brettern und Ästen notdürftig verstärkt, die zerborstenen Burgmauern mit Schutt und Steinen wieder angehäuft und die offenen Dächer mit Stroh und gewachsten Planen abgedichtet. Das Waldstück verbarg den maroden Unterschlupf, der gut eine Meile von der Zuwegung der Stadt und des Schlosses entfernt lag. Die überraschenden Überfälle auf die Fuhrwerke der Kaufleute, die innerhalb der Stadtmauern Markt halten wollten, wurden immer weit entfernt von ihrem neuen Schlupfnest in offenem Gelände durchgeführt. Der Zulauf war groß und mit der Zeit hatte sich ihre Mitgliederzahl auf fünfundzwanzig Mann erhöht. Die Weiber hatten sie von ihren Raubzügen mitgebracht und durften solange bei ihnen bleiben, wie sie sich in allen Belangen als gefügig erwiesen.

Manch trotziges Frauenzimmer war als Warnung zur fortgeschrittenen Stunde schon von den Zinnen in den Burggraben gestoßen worden. Das hatte seine Wirkung nicht verfehlt, denn nun war schon seit geraumer Zeit kein einziges widerspenstiges Weib mehr aufmüpfig geworden. Wo sollten die armen Geschöpfe denn auch hin, nachdem man ihre Brüder, Väter und Männer wahllos gemeuchelt hatten? Die Weibsbilder wären ohnehin alleine und schutzlos in diesen wirren Zeiten verhungert. So fügten sie sich dann zwangsläufig in ihr vorbestimmtes Schicksal. Die meisten Weiber waren harte Fronarbeit gewohnt. „Es gibt keine Zeugen, Hauptmann. Außerdem hatten wir wieder die roten Röcke an.“ Der selbsternannte Anführer dieser zusammengewürfelten Räuberbande stocherte mit einer Pike in der Ladung der Karre herum: „Plunder! Nichts als Plunder! Was sollen wir damit? Gab es denn nichts Brauchbares auf dem Gut? Ich habe mir da mehr von versprochen!“ Gernot, der den heutigen Überfall angeführt hatte, sprang vom Pferd und brachte ihm eine kleine, blechverstärkte Holzkassette: „Die habe ich unter seiner Bettstall gefunden. Sie ist sehr schwer, aber ich konnte sie nicht öffnen. Dieses kleine Loch unter dem Deckel ist wohl für den Öffnungsriegel gedacht. Du erinnerst Dich doch noch an diese Eichentruhe, die wir aus dem Schloss geholt hatten? Das sind diese neumodischen Halterungen, die mit einem besonderen Eisenstift entriegelt werden können. Der Herr Vogt hatte einen solchen Stift nicht dabei. Ich habe extra seine Bluse zerrissen, denn die hohen Herren tragen wichtige Sachen erfahrungsgemäß an einem Lederriemen um den Hals!“

Ihr Anführer war noch vor sechs Monden ein angesehener Ritter gewesen. Auf Burg Felsenstein hatte er die ganze Reiterschar befohlen und wurde doch über Nacht aus seinen Diensten entlassen: „Feuerrohre werden benötigt, Ritter Argo! Ihr habt die Kriegskunst mit Lanze, Schwert, Morgenstern und Streitaxt gelernt, dass war auch ausreichend. Was aber könnt ihr einem Angreifer entgegensetzen, der Euch mit einem solchen Vorderlader schon aus zwanzig Schritt Entfernung aus dem Sattel reißt? Aus Brabant und Lothringen kommt die Kunde, dass Reiter mit feuerspuckenden Rohren jeden Angreifer niedermachen. Sie lassen sogar von den Pferden große Rohre ziehen, die sie auf ein Balkengerüst montiert haben. Damit können auf Entfernung ganze Befestigungsmauern eingerissen werden!“ Argo von Falken hatte noch nie von solchen Reitern gehört. Der Graf gab ihm einen Beutel Gulden und sein Streitross: „Lebt wohl und sucht Euch andere Arbeit. Erlernt die Kunst der Feuerrohre und geht in die Stadt, dort könnt Ihr die Tore bewachen. Stadttore und Mauern wird es immer geben!“ Argo hatte vier Männer dazu bewogen, einfach mitzugehen.

Er war der Meinung, dass die Burgherren sich diese Mähr von den Wunderwaffen ausgedacht hatten, um die kostspielige Reiterschar einzusparen. Argo herrschte den Mann an: „Gib mir Deinen Dolch, Du Trottel und leg den Kasten auf den Boden!“ Er schob die dünne Klinge in den schmalen Schlitz, der den Deckel vom Gehäuse trennte und drückte mit einem kräftigen Ruck den Dolch hinein. Klirrend tanzte die abgebrochene Eisenspitze auf den Steinen. „Muss ja recht wertvoll sein, der Inhalt!“ Damit nahm er den Kasten hoch und rief nach Eric. Ein Raufbold mit feuerroten Haaren und einem hellblonden, borstigen Bart von gut einer Elle Länge, kam aus einem Schuppen. In der Linken hielt er ein glühendes Stück Eisen mit einer Zange, in der anderen hatte er einen schweren Hammer.

Aus dem Norden war der Hühne zu ihnen gestoßen, weil angeblich die Nordmänner mit ihren Drachenbooten seiner überdrüssig geworden waren. Was wirklich passiert war, verschwieg er sorgsam. Er ging in seine Schmiede und kam alsbald zurück, den Hammer immer noch in Händen.

„Öffne dies Kästchen!“ Der Riese nahm es, zerschlug den Deckel mit einem gezielten Hieb, überreichte wortlos die Sachen, drehte sich um und war schon wieder in seinem Schuppen verschwunden. Vorsichtig entfernte der Anführer die Holzsplitter und ließ sie achtlos fallen. Unterschiedliche Münzen, Ringe und Ketten lagen ungeordnet in dem, mit Stoff ausgeschlagenen Fach.

„Gut gemacht!“ rief er dem Rothaarigen hinterher und wandte sich an seine Männer: „Schlachtet eins dieser Rindviecher und führt das zweite in den Stall. Verkeilt die Tore für die Nacht, wir werden morgen teilen!“ Er presste den Schatz unter den Arm und stakste in seinen klobigen Stiefeln auf eine morsche Tür zu. Er würde sich von der Karre ein paar andere Füßlinge nehmen, denn seine jetzigen waren ihm ein wenig zu groß.

„Weib! Ein Humpen Wein!“ er umfasste die Taille der angesprochenen Alten und fügte hinzu: „Hunger hab ich auch!“ er kniff sie in den Allerwertesten: „Nicht nur auf den Braten, den Du mir gleich bringen wirst!“

Sein schallendes Gelächter hallte durch die marode Ruine, in der es nach Unrat und Jauche stank. Welch einen gesellschaftlichen Absturz hatte er da erlebt. Er schaute wehmütig durch die halbzerfallenen, zugigen Fenster in die Dunkelheit des angrenzenden Waldes. Die Holzladen waren schon vor einiger Zeit ein Opfer der Flammen geworden. Hätte man doch besser nachgedacht und das wertlose Mobiliar, wie Schränke und Anrichten zum Heizen in die Feuerkörbe gelegt. Man müsste dick gewebte Teppiche vor jedes zugige Loch stopfen, denn einen solchen Winter wie den vergangenen wollte er frierend nicht noch einmal erleben. Was für ein Unterschied zu seinem feudalen Leben in der Veste! Mit adeligen Damen und netten Zofen hatte er Minne gehalten, in feinem Tuch genächtigt und musste nun in einem dreckigen Loch mit zahnlosen Weibern seine primitive Bettlade teilen. In einer windgeschützten Ecke hatte er sich mit Teppichen ein dürftiges Nest gebaut und erwartete das Weib, dass ihm die heutige Nacht zu versüßen hatte.

Schreckliches Erwachen

Keiner hatte den verletzten Jüngling bemerkt, der diesem entsetzlichen Gemetzel knapp entkommen war und sich die Gesichter der Männer hatte gut einprägen können. Als die Stimmen verstummt und die Männer vom Hof geritten waren, schwanden ihm die Sinne. Die Dunkelheit der Nacht legte eine schwarze Decke über das Anwesen. Ein Schütteln an seinen Beinen weckte den jungen Mann, der verletzt zwischen den Toten lag. Vorsichtig versuchte er, seine Augen zu öffnen. Seine Schläfen pochten und drohten, den Kopf zum Platzen zu bringen. Wieder wurde an ihm herumgezerrt und er strengte sich an, den Oberkörper ein wenig zur Seite zu drehen und sich halb aufzurichten. Jaulend ließen zwei Schatten von ihm ab. Es schienen junge Wölfe, streunende Hunde oder Füchse gewesen zu sein. Sie hatten sein offenes Bein attackiert und die Wunde vergrößert. Dieser Schmerz hatte ihn in die Gegenwart zurückgeholt. Wäre er aus seiner Ohnmacht nicht aufgewacht, wer weiß, ob sie ihn nicht bei lebendigem Leib noch weiter angeknabbert oder sogar letztendlich aus Futterneid zerrissen hätten. Er musste sich irgendwie ins Haus oder in einen der halb verbrannten Schuppen schleppen. Es war immer noch diesig, oder schon wieder? Er hatte kein Zeitgefühl, spürte aber, dass er schon sehr lange hier gelegen haben musste, denn die Magd, die tot neben ihm lag, hatte ihren verdrehten Arm immer noch abwehrend vor ihrem Gesicht. Ihr Körper fühlte sich eiskalt an.

Mühsam versuchte er, sich umzudrehen und aufzustehen. Außer der verkrusteten Wunde an der linken Wade, die nun erneut blutete, spürte er immer noch den dumpfen Kopfschmerz. Er musste sich anlehnen, um nicht wieder umzufallen. Vor Erschöpfung, Hunger und Blutverlust sah er seine Umgebung nur schemenhaft verschwommen. Er tastete sich an der Wand entlang und fand endlich den ersehnten Eingang ins Haus. Er drückte mit Gewalt die angelehnte Tür auf, die nur noch von dem unteren Scharnier gehalten wurde. Nun schleppte er sich hinein und verkeilte den Eingang hinter sich mit einem zerbrochenen Schemel. Das Riegelschloss hing ebenfalls durch das brachiale Eindringen dieser Horde verbogen, nur noch an zwei Stiftnägeln nutzlos baumelnd an der Holztür. Der Mond schien schwach durch das kleine Fenster in die Diele. Auch hier fand er geschundene, tote Leiber. Drei Bedienstete hatten hier unten den Tod gefunden. Unmöglich konnte er sich hier verstecken, wenn die Seelen hier die ganze Nacht umhergeistern würden. Er nahm den verkeilten Schemel wieder von der Tür, hob sie leicht an und stellte den Flügel an die seitliche Wand. Der Flur lag lichtdurchflutet und die armen Kreaturen mit ihren erstarrten Gesichtern flößten ihm zum ersten Mal Angst ein. Er musste sich überwinden, sein offenes, schmerzenden Bein für einen Augenblick vergessen und die Körper einzeln an den Kleidern, Armen oder Beinen in den Hof zerren. Als diese Arbeit getan und die Tür wieder verkeilt war, wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Er schleppte sich zu der seitlich angebrachten, breiten Stiege die in obere Gemächer führte. In Halbdunkel, auf der Hälfte der Treppe lag der Torso eines Mannes. Zu schwach, um den ganzen Aufwand noch einmal zu starten, kroch er an ihm vorbei und erreichte ein Schlafgemach, in dem ein leeres Bett stand. Hier würde er vor den Tieren der Nacht einigermaßen sicher sein. Erschöpft ließ er sich auf die Strohmatte fallen. Er dachte an sein spärliches Hab und Gut, dass auf dem Lager neben den Stallungen der Pferde verbrannt war. Er hatte alles zurücklassen müssen, als er vor diesen Barbaren geflüchtet war. Der Lärm, das Knistern der gefräßigen Flammen und die Schreie der Bewohner hatten ihn früh genug aus seinem Schlaf gerissen. So konnte er sich neben dem Schweinetrog verstecken und musste mit ansehen, wie die Männer nach Belieben ihre Mordlust stillten. Als sie eine junge Maid verschleppen wollten, dachte er nicht mehr nach, sondern verließ sein Versteck und sprang die Männer von hinten an. So brachte er zwei dieser überraschten Schergen zu Fall. Das befreite Mädchen rannte mit zerrissenem Hemd in Panik weiter, während er von den Männern ergriffen und niedergeknüppelt wurde. Er blieb bewusstlos mitten auf dem Hof liegen. Dadurch wurde er von den Männern zwischen den anderen Toten auch nicht mehr beachtet. Als er wieder zu sich gekommen war, standen die Scheunen und Ställe in hellen Flammen. Die Männer versammelten sich wieder und er wagte es nicht, auch nur einen Finger zu krümmen. Endlich trat gespenstische Stille ein. Die Horde dieser wilden Reiter war fortgeritten und der Hof lag wieder verlassen und leer. Dann waren die wilden Hunde oder Wölfe gekommen und hatten ihn geweckt. So war er nun in ein richtiges Bett im Haus gekommen. „Hatte die Maid entfliehen können?“ waren seine letzten Gedanken, als er endlich in einen traumlosen Schlaf fiel. Der Sonnenstrahl, der durch das zerborstene Fenster auf seine Stirn schien, hatte ihn aufgeweckt. Oder war es das Scharren und Kratzen gewesen, das er jetzt deutlich aus dem unteren Geschoß hörte. Er musste sich Klarheit verschaffen. Vorsichtig setzte er sich auf und erhob sich aus der Bettlade. Sein Aufstehen wurde von lautem Knarren begleitet. Hoffentlich hatte dieses Geräusch ihn nicht verraten. Wenn diese Männer zurückgekommen waren, gab es von hier oben kein Entkommen mehr für ihn. In seinem erbärmlichen Zustand konnte er unmöglich aus dem Fenster springen, ohne sich dabei noch schlimmer zu verletzen. Außerdem musste er einem menschlichen, dringenden Bedürfnis nachgehen. Die Latrinen waren neben den Stallungen. Hoffentlich hatten sie die nicht auch mit abgefackelt. Er öffnete die Tür und schlich über den Flur. Als er oben an der Treppe angekommen war, schaute er vorsichtig nach unten. In der Diele belauerten sich zwei streunende Katzen, die sich um einen Knochen stritten. Sie hockten voreinander, fixierten sich und fauchten mit angelegten Ohren. Erleichtert atmete er auf, denn die waren keine Gefahr für ihn. Er ging in die andere Richtung an den zerschlagenen, offenen Türen vorbei und sah am Ende des Ganges eine Holztruhe, in der Form eines hohen Kirchenstuhles. Das einzige Stück Möbel, das die Stirnwand im Flur schmückte. Die Sitzfläche hatte eine Klappe, die er neugierig öffnete. Ein Segen! Er hatte wider Erwarten, hier oben einen Abort gefunden! Er stellte die Klappe aufrecht, setzte sich auf den Rand und fand die ersehnte Erleichterung. Auf der Fensterbank lagen abgerissene Vorhänge, mit denen er sich notdürftig säuberte. Er entnahm der Holzverkleidung den gefüllten Eimer, öffnete ein Fenster und entsorgte die Fäkalien, wie es üblich war, im Hof. Danach durchsuchte er die restlichen Zimmer. Regale waren von den Wänden gerissen. Kleidung, Stoffe und Decken lagen verstreut auf dem Boden. Er legte sich flach auf den Fußboden und schaute unter die Betten und Schränke, fand aber nichts, was für ihn hätte von Nutzen sein können. Schließlich stieg er die Stufen wieder herunter und die Katzen stoben in verschiedene Richtungen davon. Den Torso auf der Treppe würde er noch im Hof entsorgen müssen, aber sein Bein schmerzte wieder und der Magen rebellierte. Er musste endlich etwas Essbares zwischen seine Rippen bekommen. Im unteren Bereich fand er endlich auch die ersehnte Küche. Hier herrschte die gleiche Unordnung. In einer Ecke lag versteckt unter altem Gemüse und Körben ein Holzklotz, mit mehreren Öffnungen, in denen verschieden große Messer steckten. Für ihn ein wahrer Glückstreffer in dieser Zeit. Er nahm eine kleine und eine mittlere Klinge an sich, die würden ihm mit Sicherheit noch gute Dienste tun. Ein gewachster Kutschermantel, ein Lederbeutel und mehrere Wolldecken gingen ebenfalls in seinen Besitz über. Der Gutsherr und seine gesamte Sippe waren tot, also wem nahm er diese Sachen weg? Die ehemaligen Eigentümer benötigten sie in der Hölle oder im Himmel, wo immer sie jetzt auch waren, nicht mehr. Er legte seine gesamte Beute auf ein großes Tuch und schlug es zusammen. Über Kreuz verknotete er die vier Enden und legte das geschnürte Bündel neben die Tür. Nun suchte er in der Stube nach irgendetwas Essbarem, denn er musste seinen knurrenden Magen beruhigen. In einem Korb fand er noch ein paar Eier, die nicht zerbrochen waren. Das Feuer im offenen Kamin war längst erloschen und der aufsteigende Rauch einer neu entfachten Glut hätte ihn verraten können, denn die Feuersbrunst in den Stallungen und auf dem Hof war längst verloschen. Er nahm einen Holzbecher vom Bord, tauchte ihn mehrfach in den Wasserbottich und trank endlich daraus, um seinen unendlichen Durst zu stillen. Das Wasser schmeckte abgestanden und faul, aber sein Durst hatte gegen den Verstand gesiegt. Normalerweise wurde gewürztes Bier oder saurer Wein getrunken, denn das war für den Darm bekömmlicher. Er schlug die Eier am Rand des Bechers auf und schüttete den Inhalt hinein. Der Becher war halb voll mit der schleimigen Flüssigkeit, die er genussvoll in mehreren Zügen verschlang. Vom angeschimmelten Brot kratze er grob die grünlichen Stellen ab, kaute die harte Kruste, die er erneut mit Wasser verdünnte, um dann alles als breiige Masse herunterschluckte. Er verspürte die langsam wiederkehrende Kraft, die ihm sein Frühstück beschert hatte, als er leise Geräusche vom Hof her hörte. Er bewaffnete sich mit einem langen Küchenmesser und schlich durch den Flur. Die seltsamen Geräusche wurden immer lauter. Eine menschliche Stimme, verbunden mit einem erschöpften Atmen sagte ihm, dass die Männer wieder da waren. Er tastete sich zurück und schaute vorsichtig durch ein Fenster, dessen Schlagladen ausgerissen und verbogen von der Öffnung abstanden. Es beugte sich eine Gestalt zu den Leichen herunter, drehte sie auf den Rücken und ging zur nächsten. Zweifellos suchte dieser Mensch eine bestimmte Person. Er schaute sich um und erkannte, dass es sich nur um diese eine Person handelte, die sich auf dem Hof zwischen den Toten bewegte. Er kletterte auf die Fensterbank und sprang, ungeachtet seines verletzten Beines, nach draußen. Erschrocken drehte sich die Gestalt um und er sah nur die freien Augen, die ihn aus dem, mit Lumpen vermummten Gesicht anstarrten: „Du lebst?“ sagte die Stimme und er erkannte die geflüchtete Küchenmagd, die nun ihr Tuch vom Gesicht nahm. „Ich habe mir Sorgen gemacht, dass Du es nicht geschafft haben könntest, diesen Schurken zu entkommen. Komm mit ins Haus!“ erwiderte er, stieg auf eine Holzbank und zog sich ins Fenster hoch. Die Maid war nicht so gelenkig und konnte ihm nicht folgen. „Geh zur Tür, ich werde sie von innen öffnen!“ Er ging wieder durch den Flur, entfernte zum Öffnen den zerbrochenen, eingeklemmten Schemel und wuchtete die schleifende Tür einen Spalt weit auf. Die wartende junge Frau schlüpfte hinein und die Tür wurde hinter ihr wieder verkeilt. Jetzt betrachtete er das junge Ding ausführlicher. Wobei jung wohl relativ war, denn die Maid war wohl an die zwanzig Lenze und der Jüngling, der als Page seinen Dienst beendet hatte, gerade einmal vierzehn. Er sollte nach dem Willen seines Vaters Robert, als Knappe zur Veste nach Burgund und befand sich auf der Durchreise. Er hatte in den letzten zwei Nächten vor dem verheerenden Überfall in der Küche ausgeholfen. Da hatte er dieses hübsche Weibsbild auch zum ersten Mal gesehen. Sie hatte in ihm nur den kleinen Bruder gesehen, bei ihm waren da schon eher pubertäre Gedanken gekommen, als sie sich mit ihren kräftigen Rundungen über das Feuer gebeugt hatte. Er verwarf seine Gedanken. Sie schaute ihn ängstlich an: „Wir müssen schnell von hier verschwinden! Wenn die wiederkommen sind wir verloren!“ sagte sie und nahm das lange Tuch von ihren Schultern. Sie war barfuß und trug nur das dünne Linnen, mit dem sie im Bett gelegen hatte, als die Barbaren ihren Angriff gestartet hatten: „Frierst Du nicht?“ fragte er unschuldig und starrte auf ihren Busen, der sich deutlich unter dem Tuch abzeichnete. Sie lachte und wickelte das Tuch fester um ihren Körper. Sie ging nicht auf seine Frage ein und er deutete zur Küche: „Iss etwas, dann kannst Du Dir in den oberen Räumen Kleidung suchen. Ich rate Dir dringend, die Haare abzuschneiden und Deine Brust zu wickeln. Du solltest Dich wie ein Bursche kleiden, dann bleiben wir eher unbehelligt, wenn wir von hier fortgehen.“ Sie nickte und zweifelte, dass der Kleine noch so jung sein sollte, denn sein Verstand war recht weit entwickelt. Sie schaute ihn bewundernd von der Seite an. Wie ein Wolf hatte er sie verteidigt und vor den Männern gerettet. Die letzten zwei Nächte hatte sie auf der Weide bei den Pferden im Unterstand zugebracht, das Wasser aus dem Trog getrunken und dementsprechend sah sie auch aus. Nun machte sie sich aber erst einmal über die Reste her, die in der verwüsteten Küche noch zu finden waren. „Wir müssen hier verschwinden. Es wir bald vor Gestank nicht mehr auszuhalten sein, denn es ist unmöglich, all diese armen Kreaturen in den Gottesacker zu legen.“ Wieder stimmte sie ihm wortlos zu, während sie aus einem Steinkrug saure Milch trank. Dann nahm sie sich eines der Messer und kroch gebückt in den offenen Kamin. Als sie sich aufstellte, waren nur noch ihre Beine zu sehen. „Was machst Du da? Willst Du da hochklettern?“ fragte der Junge, doch ein beherztes Lachen, das wie ein Echo aus einer Kathedrale klang, war die Antwort. Sie bückte sich erneut und nun musste der Jüngling lachen, denn ihr Hemd und ihre Haare waren schwarz. Dunkle Streifen gaben ihrem Gesicht ein lustiges Aussehen und ihre Augen stachen noch mehr hervor. Die Gaukler auf dem Markt färbten manchmal ihre Wangen ähnlich.

„Und? Was sollte das?“ fragte der Junker.

Sie hob einen kopfdicken, schwarzen Ball hoch und schaute ihn an: „Na, bekomme ich kein Lob?“ Unverständlich musterte er die Maid, die daraufhin mit dem Messer ein Stück abschnitt. Sie hatte einen geräucherten Schinken aus der Esse geholt. Nun stand er mit geöffnetem Mund da und das Mädchen lachte. Sie legte den Schinken auf den leergeräumten Tisch und streifte ungeniert ihr Hemd ab, nahm den Bottich und schüttete das Wasser über ihren Kopf. Nun drehte sich das Mädchen wieder zurück und schaute ihm in die Augen: „Ist der Ruß ab?“ Der Jüngling sah zum ersten Mal in seinem Leben ein nacktes, weibliches Wesen. Sprachlos schaute er dieses Weib an. Völlig unbekleidet stand sie vor ihm und seine Wangen nahmen eine starke, rote Färbung an. Sie schaute ihn naiv an: „Na, na. Dazu bist Du noch viel zu jung! Werde erst einmal erwachsen!“ kokett und aufreizend raffte sie ihre verschmutzten Sachen vom Boden und zwängte sich extra eng an ihm vorbei. Der arme Junge wusste nicht, wohin er hätte schauen sollen. Das Weib brachte ihn um den Verstand. Sie lief durch den Flur und er stand wie versteinert noch eine Weile in der Küche. Ein lauter Schrei ließ ihn ernüchtert in die Gegenwart zurückkehren und er rannte hinter ihr her, die Diele entlang. Zur Salzsäule erstarrt stand die Maid vor der Treppe und schaute nach oben, die verschmutze Kleidung vor ihren Leib gepresst. Er schaute ebenfalls hinauf und sah den Torso des Mannes, auf dem sich die Fliegen niedergelassen hatten und genüsslich ihr Abendbrot einnahmen.

„Ich sagte doch, wir müssen hier schleunigst weg!“ Vorsichtig ging sie voran und zögerte ängstlich, als könnte der halbe Körper doch noch nach ihr greifen. Surrend schwirrten die Insekten auf, um sich sofort wieder auf dem Leichnam niederzulassen. Er drückte fest seine Finger auf die Nasenflügel, denn ein bestialischer, süßlicher Gestank verbreitete sich auf der Treppe. Ich hätte den besser sofort auch in den Hof geworfen, sagte er sich. Aber nun konnte er sich nicht mehr überwinden, diesen aufgedunsenen Rest eines menschlichen Körpers noch einmal anzufassen. Die junge Frau stand immer noch bewegungslos am Geländer und schaute den Kleinen an. „Eil Dich, Du wirst Dich noch erkälten. Im Zimmer habe ich die Kleidung der Knechte gefunden. Willst Du Dir nicht besser das Haar kürzen?“ Er schob sie in das Zimmer, in dem er die letzte Nacht verbracht hatte und plötzlich drehte sie sich unvermittelt zu ihm um. Sie ging auf seine Frage nicht ein, ließ die Sachen, die sie an den Leib gepresst mit hierher gebracht hatte nun achtlos auf den Boden fallen. „Mir ist kalt!“ sagte sie mit einer unschuldigen Mine, die den Junker noch mehr verwirrte. Dann nahm sie ihn in die Arme. Als sie sich an ihn drückte, merkte er sofort, dass sie eben gelogen hatte, denn ihr heißer Körper strahlte angenehm die wonnige Wärme durch seine Sachen hindurch. Vorsichtig zog sie den unschuldigen Jüngling mit zu sich auf das Bett.

Er wusste nicht, wie ihm geschah, kannte diese Art der Zärtlichkeit nicht. Behutsam und vorsichtig befasste sich die erfahrene Maid mit ihm und er reifte in dieser Nacht zum Mann.

Am nächsten Morgen

„Wie ruft man Dich?“ war seine erste Frage, als ihn die Sonnenstrahlen am Mittag weckten. „Elsa!“ kam die verschlafene Antwort aus den Strohkissen. Er fuhr fort: „Ich heiße Hargan, Hargan von . . .“ er stockte und erschrak über seine Offenheit. Sollte er seinen wahren, adeligen Namen preisgeben? Eine Niedere hatte ihn verführt, eine Magd! „Hargan von Sachsen. Also ich komme aus Sachsen.“ Er atmete tief durch. Hoffentlich hatte sie nichts bemerkt. Sie hatte nichts bemerkt, denn sie war schon auf dem Flur verschwunden. Er sprang auf und schaute ihr nach. Sie ging zum Ende des Ganges und setzte sich auf den Abort und erleichterte sich. Hargan ging ins Zimmer zurück, zog seine Hose sowie das Hemd an und streifte gerade den Kittel über den Kopf, als sie wieder das Zimmer betrat. „Dein Bein! Wie sieht Deine Wade denn aus?“ Hargan schaute an sich herab. Seine Verletzung hatte er arglos einfach so hingenommen. „Du wirst es verlieren, wenn wir nichts unternehmen, es eitert schon. Warte hier, ich muss etwas holen.“ Schon war sie nach unten gelaufen und er wartete, auf dem Bett sitzend. Sie war in der Küche angekommen und schaute gezielt in jeden Steintrog und murmelte dabei: „Ich weiß genau, dass wir noch etwas hatten, das wird seinem verletzten Bein Linderung der Schmerzen und Heilung verschaffen.“ Sie hob die runden Holzbrettchen hoch und roch jeweils hinein. Dann hatte sie offenbar endlich das Richtige gefunden: „Endlich, das ist es!“ Sie packte den Trog und schleppte ihn in das obere Geschoss. „Ich muss einen Verband anlegen, mach Dein Bein frei!“ Während sie mit einer Hand in den Trog langte, streifte er sein Hosenbein hoch: „Was willst Du da machen? Bist Du eine Hexe?“ Sie lachte ihn aus: „Angst, starker Jüngling?“ Dann nahm sie eine Handvoll und legte den milchigen Brei auf die schlecht verkrustete, eitrige Wunde.

Zu seiner Verwunderung tat diese kalte Masse seinem Bein gut und er verspürte keinen Schmerz. Sie riss ein weißes Linnen in Streifen und umwickelte damit schützend seine Wade. Dann erklärte sie, was sie da aufgetragen hatte: „Sauermilch! Die verwenden wir bei offenen Wunden.“ Er schaute sie verwundert an: „Woher weißt Du das?“ „Der Knecht hat es mir gezeigt. Wenn sich ein Tier arg verletzt hat, dann wird ein Wickel mit der geronnenen Milch gemacht. Das zieht die giftigen Stoffe aus der Wunde, so hat er gesagt und das hat immer geklappt.“ „Ja, bei Tieren!“ Hargan schaute misstrauisch auf sein verbundenes Bein. „Hör auf mich! Das muss sein, lass das jetzt einwirken und denk nicht mehr daran.“ Sie stand auf und schaute ihn an: „Ich habe Hunger, Du nicht?“ Er hatte ihr nicht zugehört und starrte nachdenklich auf das zerwühlte Bett und dachte an die vergangene Nacht. Sie merkte seine Veränderung und nahm ihn in den Arm: „Was ist? War es nicht schön für Dich?“ Er wich aus: „Woher weißt Du von dem Abort? Die Küche und die Räume für das Gesinde sind doch im Untergeschoss.“ Sie lachte auf: „Dummchen, meinst Du der Vogt hätte die kalten Nächte nur mit seinem dicken Weib verbracht? So naiv kannst Du doch gar nicht sein. Dass ich sein Bett teilen durfte war doch nur von Vorteil für mich. Ich hatte immer genug zu essen und ein warmes Bett. Was will ich mehr?“ Hargan war irritiert: „Hast Du ihn denn lieb gehabt?“ Elsa lachte ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich wollte ein warmes Bett und genug zu essen. Dafür konnte ich gut die paar Minuten ertragen, die er sich abmühte. Mir war das nur recht, dass er immer so schnell müde wurde. Komm, ich hab Hunger!“ „Wieso durftest Du so lange Haare tragen? Ist das den Niederen nicht verwehrt?“ Sie hört kaum hin und erwiderte nur: „Es schert mich nicht, was ich darf und was nicht. Wer bestimmt das? Du doch nicht.“ Er fragte nichts mehr, denn er wollte sie nicht verärgern. Sie kleidete sich tatsächlich mit den Beinkleidern und dem Kittel, den sie im Nebenzimmer gefunden hatte. Sie sah nun, bis auf den hochgesteckten Haarschopf aus, als wäre sie der große Bruder von Hargan. Sie ging im Flur wieder in Richtung der Sitzlatrine und Hargan rief ihr hinterher: „Andere Richtung! Hier geht’s runter!“ Sie ging ruhig weiter und lächelte: „Woher willst Du das denn wissen?“ Schon war sie in einem der letzten Zimmer verschwunden. Er ging hinter ihr her und kam in einen kleinen Abstellraum, in dem zwar Mobiliar und Sachen herumlagen, von Elsa war aber keine Spur. „Wo bleibst Du?“ hörte er von unten, ihre Stimme. Er drehte sich um, lief den langen Flur zurück und ging die vordere Treppe herunter. Sie stand in der Küche, hatte den Kamin angezündet und ein Kessel mit Wasser baumelte über dem Feuer an dem gezackten Flacheisen. „Kannst Du hexen?“ fragte Hargan. Sie schüttelte den Kopf: „Was meinst Du wohl, wie ich des Nachts in das Bett des Vogtes kam? Sollte ich an der neugierigen Herrin vorbeischleichen? Nein, im letzten Zimmer ist eine Geheimtür im Schrank. Da geht eine Stiege hierher nach unten.“ Hargan