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Aus alltäglichen Rangeleien der Edelinge wird ein handfester Streit, der tödlich endet. Das Leben von Gernot und Alma, den Kindern des Schmiedes wird dadurch völlig auf den Kopf gestellt. Sie lernen Gaukler kennen und ein mittelalterliches Abenteuer nimmt seinen Lauf, der sie zu einer Leibeigenen führt. Dieses Weib, Gesine genannt, schleppt ohne ihr Wissen ein fürchterliches Geheimnis mit sich herum, - ein Secreto -
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Seitenzahl: 323
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Roman Schmidt
Diese Geschichte ist völlig frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen wäre rein zufällig und keinesfalls von mir gewollt.
Roman
Vorwort
Index
Kapitel 1: Ein trauriger Tag
Versuch eines Protestes
Kein Aufstand der Städter
Schicksalhafte Begegnung
Lehrjahre
Zwischenfall auf dem Markt
Zurück im Wald
Aufbruch in die Nacht
Stadtgericht
Böse Überraschung
Im Lager
Der fremde Hof
In der Feste des Gero
Kapitel 2: Secreto (ein dunkles Geheimnis)
Eine glückliche Begegnung
Die Vergangenheit meldet sich…
Vorläufiges, glückliches Ende
In der verfallenen Ruine.
An der alten Römerstraße
Unfrieden und Lügen
Wachablösung im Zeughaus
Achmed, der Heiler
Die Schande von Gneisenstein
Die Verhandlung
Neues Ungemach ums Erbe
Kapitel 3: Der Angriff der Hohenheimer
Ein Beutelschneider in der Burgtaverne
Vorbereitung zum Angriff
Vergeltung für den Vater
Erklärungen
Die gute, alte Zeit! Wie schön es doch früher war, als es noch keine Eile, keinen „Stress“ und Leistungsdruck gab!
Das hört man oft von älteren Menschen, die sich nach Ruhe und Geborgenheit sehnen. Dabei denken sie an ihre eigene Kindheit, an jene Zeit, die wenige von uns noch erlebt haben. Wo man noch verträumt auf der Straße spielen konnte, da es noch lange nicht den dichten Verkehr und das geschäftige Treiben gab. Doch war die Zeit wirklich so einfach? Ist es nicht ein verklärender Blick zurück, wenn man sich nur an das Schöne erinnert und die düsteren Erinnerungen und Erlebnisse ausblendet, die zweifelsohne ein jeder von uns mal reichlich, mal spärlich durchleben musste?
Aber ich will von einer Zeit erzählen, die weit davor lag … von der romantisierenden Epoche der Burgen und Ritter, vom sogenannten Mittelalter! Eine Zeit, die niemand von uns erlebt hat und doch meint, sie genau zu kennen. Wenn sich unsere Ahnen in dieser Zeit, geprägt von Entbehrungen, Hunger und Fronarbeit, nicht trotz allem behauptet und vermehrt hätten, …keiner von uns wäre heute hier.
Ich will nicht verleugnen, dass es damals wohl auch Menschen gab, die das Leben wundervoll fanden … die Lehnsherren und vor allen Dingen den Klerus! Für sie schien es keine Gesetze zu geben, denn sie hatten die Macht inne und lebten sie auch in vollen Zügen aus! Ein Papst, der seine Söhne zu sich in den Vatikan holte und seine Tochter mehrfach verkuppelte…heute undenkbar!!?? Die Geistlichen wirkten im Hintergrund und drohten damit, (allzu gerne und voreilig schnell) dass nur Keuschheit und harte Arbeit ins Himmelreich führen würden.
(Obwohl sich mancher Mönch und einige Pfaffen selber nicht an solche Lebensweisen gebunden fühlten!)
Sie predigten Keuschheit und trieben es mit den Weibern.
Man erfand sogar für den männlichen Adel das privilegierte Recht, die heiratswilligen, jungen Weiber in ihr Bett zu befehlen. „Jus primae noctis!“ Das Recht der ersten Nacht.
Ich stelle mir die armen, unterdrückten Leibeigenen vor und erzähle die Geschichte aus ihrer Sicht. Geprägt von Angst, Verzweiflung und manchmal sogar Wut, gab es kein Entrinnen aus dem Stand, in den sie geboren wurden … oder etwa doch? Gab es Aufmüpfige? Leute, die irgendwann durch Zufall die andere, angenehmere Seite des damaligen Lebens sahen oder glaubhaft erzählt bekamen?
Spätestens durch die aufrührerischen Thesen des Martin Luther erfuhren auch die Ärmsten, dass es wohl doch nicht unbedingt hingenommen werden musste und kein gottgewolltes Schicksal war, so geknechtet zu werden. Es muss wie ein Dammbruch gewesen sein, als sich der Pöbel anschickte, sein angebliches Recht einzufordern. Die Burenaufstände folgten und wurden brutal niedergeschlagen … doch der Keim der Freiheit war gepflanzt. Unmut machte sich breit und man sah keinen Sinn mehr darin, sich nur noch für die anderen zu schinden und selbst auf keinen grünen Zweig zu kommen.
(Wenn man ein Stück Land erwarb und sein eigen nennen durfte, so bekam man vom Verkäufer als Bestätigung einen Zweig oder kleinen Ast, der auf diesem Land gewachsen war. Nun harrte man einen Tag und eine Nacht auf dem neuen Land aus und hatte es damit … besessen.
Diese Anfänge der Unzufriedenheit unter einigen Mutigen nehme ich zum Anlass und erzähle ihre fiktiven Erlebnisse.
Roman Schmidt
Gernot, der Schmiede-Sohn
Alma, seine Schwester
Tilmann, der Gaukler (Til)
Walpurga, dessen Schwester, die spätere Geliebte des Gernot
Ansgar ein weiterer Gaukler
Baldur von Hagen, ein Ritter von hünenhafter Gestalt
Gesine, ein leibeigenes Weib mit geheimer Vergangenheit
Kräuterfrau, genannt die Hexe, Hebamme und Hüterin des Secreto
Fin, das Findel lebte im Nonnenkloster bis zum 8. Lebensjahr danach als Knecht auf dem Hof von:
Lienhard dem Roten und
Gotthard dem Wilden
Graf Falko von Gneisenstein
Lehnsherr der umliegenden Höfe
Gero, sein Sohn
Graf Widukind von Hohenheim
(befreundet mit der Feste Gneisenstein)
Wulf, sein ältester Sohn,
(unbeherrschter Wüterich mit Zweihandschwert, dem Biden)
Eginhard, der zweite Sohn
Der fünfzehnjährige Sohn des Schmiedes war tief enttäuscht. Zu oft hatte er mit seinen, ebenfalls leibeigenen Freunden den Rittern zugeschaut und anfangs ihre Lebensart bewundert. Der Stolz, der aber nun von ihnen ausging, war überheblich. Es war nichts mehr zu spüren, von dem Schwur, den Armen zu helfen, bedrängte Frauen zu retten – jetzt waren sie es selber, die zur Gefahr wurden. Und an letzter Stelle stand der Pöbel. Die immer noch Leibeigenen, die sich nicht wehren konnten oder durften. Sie mussten ihr Schicksal, wie es der Klerus an jedem Tag des Herrn von der Kanzel predigte, als Gottgegeben hinnehmen. Trotzdem wussten natürlich auch die Ärmsten, dass es auch andere Lebensformen gab. Die Gottesmänner und der Adel hielten an ihrem feudalen Leben fest, auch wenn die Zeit dafür schon lange abgelaufen war. Es machte Gernot traurig, dass solch ein Leben für ihn unerreichbar schien und er haderte mit seinem Schicksal, in diese ärmlichen Verhältnisse hineingeboren worden zu sein. Zu allem Überfluss schauten selbst die älteren Stadtbewohner tatenlos zu, wenn sich wieder einmal die allen bekannten Reiter ungeniert in den Gassen bewegten und ihrer Lust freien Lauf ließen. Keiner hinderte sie innerhalb der befestigten Mauern an ihrem Tun. Selbst die Landsknechte, die zu ihrem Schutz da waren und für die Sicherheit der Bürger sogar ohne Pachtabgaben ihre Häuser in den gemauerten Umfriedungen hatten, fühlten sich nicht zuständig. Sie drehten sich weg, wenn die Reiter durch die Gassen galoppierten, als würden sie nichts mitbekommen. Doch an diesem nebeligen Markttag war alles anders.
Mit den folgenden Ereignissen war das Maß voll, denn soeben waren die edlen Herren an der Schmiede vorbeigeritten, wendeten ihre Pferde und trabten zurück, da sie die ältere Tochter des Schmiedes sahen, die gerade mit einem vollen Holzeimer vom Brunnen zurückgekommen war. Mit ihr könnten sie sich einen Zeitvertreib, ein für die edlen Junker alltägliches, lustiges Spiel gönnen. Sie wurde sofort angepöbelt und belästigt. Einer war schwungvoll von seinem Vierbeiner gesprungen, griff nach ihrer Haube und warf sie einem, der anderen Reiter zu. Dabei fiel ihr langes Haar herunter, das sie zu einem Knoten verdreht darunter verborgen hatte. Es war bei der Obrigkeit nicht gerne gesehen, dass sich die niederen Weiber mit solch prächtiger Haartracht schmückten. Deshalb packte der überraschte Junker sie hart an der Schulter, riss sie herum und zupfte das gedrehte Flechtwerk barsch auseinander: „Was haben wir denn da?“ Sie versuchte verzweifelt sich zu wehren, dabei wirbelte ihre üppige Mähne wie ein Banner im Wind. Strähnen blieben verklebt auf ihrem Gesicht zurück, während sie hart an den Armen gehalten wurde. Aus dem anfänglich für den Junker begonnenen Spiel wurde plötzlich bitterer Ernst. Er schlug in ihr Gesicht und schickte sich an, diesen um sich schlagenden, kleinen Wildfang auf seinen Gaul zu heben, als der Schmied auf die Gasse trat. „Lass sie frei, du Unhold!“ Er stand breitbeinig mittig auf dem Pflaster und hielt mit beiden Händen seinen schweren Schmiedehammer, gut zwei Ellen lang, vor der Brust. Der Junker beachtete ihn nicht, lächelte nur und ungeachtet der Drohung bemühte er sich weiter, der Dirn habhaft zu werden. Seinen Begleitern war das zu viel. Sie schienen darüber weniger erfreut, denn sie gaben ihren Rössern die Sporen und trabten davon. Bald war nur noch das entfernte Klappern der Hufe zu vernehmen. Irritiert ließ nun der Junker von der jungen Dirn ab, die sofort zu ihrem Vater lief und sich hinter seinem Rücken verbarg. „Alma! Geh ins Haus! Sofort!“ wies er sie an und das junge Ding folgte sofort. Der Junker, nun alleine auf sich gestellt, sah in dem spärlich bewaffneten Alten keinen ebenbürtigen Gegner.
Er ging zu seinem Pferd und löste die Lederriemen, mit denen sein Biden, das mannshohe Schwert seitlich neben dem Sattel befestigt war. Diese fürchterliche Blankwaffe, dem Namen entsprechend mit beiden Händen geführt, konnte nur ein geübter Recke sein eigen nennen. Er zog es mit geübtem Schwung aus der Scheide und ließ es surrend über seinem Kopf kreisen, während er langsam auf den Alten zuging.
Da flog die Tür auf und der Schmiedesohn stolperte in die Gasse. Er schrie den edlen Junker wütend an, ungeachtet der drohenden Gefahr, die sich ihm bot: „Meine Schwester blutet an Kinn, du Wüstling!“ Er wollte vor seinem Vater den fremden Mann erreichen, wurde jedoch von dessen Pranke an der Schulter daran gehindert. „Was hab ich dich gelehrt, Gernot?“ Der Edle verlangsamte seinen Schritt und stellte den doppelschneidigen Biden, der seine Schulter um eine Fußlänge überragte, neben sich. „Ich hab Zeit! Ihr belustigt mich, denn ich habe zuvor noch nie erlebt, dass man sich darum streitet, wer zuerst seinem Schöpfer gegenübertreten darf. Nur zu! Wenn ihr euch einig seid, so lasst es mich wissen!“ Er schaute mit schmalen Augen auf die Szenerie, die sich ihm in der engen Gasse bot, denn auch den Nachbarn war der Streit nicht verborgen geblieben. Sie hingen gierig in den Luken, die zur Gasse herunter zeigten. „Lass von ihm ab! Ich kenne ihn! Ich hab ihn beim letzten Tjost gesehen, es ist ein geübter Gassenhauer! Troll dich besser und schütz dein Leben, Schmied! Hast du denn vergessen, was deinem Weib widerfahren ist? Du kennst doch die Gebräuche, die sich der Adel selbst erdungen hat!“ riefen seine besorgten Freunde ihm zu, als er sich aufmachte, den Edlen mit seinem Hammer zu zerschlagen. Bevor es aber zum Zweikampf kam, richtete der Edle das Wort an den Zuschauer, der es gewagt hatte, seine warnende Weisheit aus der Luke herunter zu rufen. „Verschwinde und zügele dein Mundwerk, du Bastard, sonst bist du der Nächste!“ Die Schnelligkeit, mit der der Junker daraufhin sein Zweihand-Schwert wieder über den Kopf brachte, verblüffte die Zuschauer. Ungeachtet der vielen Zeugen ließ er nur zwei Mal die schwere Klinge kreisen, bevor er einen Schritt vortrat und mit geübter Wucht dem stämmigen Schmied den Kopf vom Rumpf trennte. Die Weiber kreischten auf und die Männer sprangen entsetzt von den Windluken zurück, als der Kopf im hohen Bogen hart auf die Steine fiel und noch eine kurze Strecke rollte, den dunkelroten, fast schwarzen Lebenssaft hinter sich her ziehend. Gernot stand als Einziger noch vor dem Haus, unfähig auch nur einen einzigen Finger zu bewegen. Er sah in die graugrünen Augen des Mörders, der sich völlig im Recht wähnte.
„Seine Schuld! Warum rennt er mich an, während meine Klinge kreist?“ Er bückte sich und zog die triefende Vorder,- und Rückseite der Stahlklinge über den Torso des Toten, um sie von den Spuren seiner Schandtat notdürftig zu reinigen.
„Lass dir diese Lektion eine Lehre sein, Jüngling!“ Seelenruhig befestigte er den Biden wieder quer an seinem Gaul, sprang mit einem Satz in den Holzsattel und nahm die Zügel in seine Linke. „Leg dich nicht mit einem Edlen an, Kleiner! Du und deinesgleichen seid auf der Welt, um uns zu dienen! Vergiss das nie! Deine Schwester werde ich mir holen, wenn sie einen Bräutigam erkoren hat! Jus prime noctis! Das ist mein Recht.“ Das Pferd tänzelte unruhig auf dem Pflaster, denn der Geruch des Blutes kroch durch die Gasse. „Ich bekomme die Jungfer sowieso! Warum hat sich dein alter Herr so darüber erbost? Das hat er nun davon! Jetzt hat er seinen Lohn!“
Er zog die Zügel an, gab seinem Pferd die Sporen und trabte in Seelenruhe hinter seinen Reitern her, zurück zum Stadttor. Niemand wagte es, sich dem Mörder zu widersetzen und der kleine Gernot stand immer noch völlig regungslos da.
Viel zu schnell waren die Ereignisse auf ihn eingeprasselt. Natürlich wurden früher immer wieder die derben Späße und die Willkür der hohen Herren erwähnt, aber es war doch etwas anderes, so etwas nur vom Hörensagen mitzubekommen oder mit eigenen Augen und seiner Seele ertragen zu müssen.
Er traute sich immer noch nicht auf den Boden zu schauen, die Welt schien still zu stehen und er verspürte nur, wie ihn eine unsichtbare, eiskalte Hand am Hals packte und zudrückte.
Unwillkürlich schnappte er nach Luft, drehte sich um und stolperte zur Tür, während allmählich verstohlen und hilflos die Nachbarsleute aus ihren Häusern kamen, mit den Schultern zuckten und den abgetrennten Kopf, wie auch den Torso mit groben Leinensäcken abdeckten.
Sie hatten gelernt sich zu fügen und demütig alle Schandtaten der Edelinge über sich ergehen zu lassen. Gleichzeitig wurden Stimmen laut, dass der Schmied schon immer etwas jähzornig und hitzig dahergekommen war.
Man wollte die Schuld auf ihn schieben, denn schließlich war er es gewesen, der den Edlen zuerst angegriffen hatte. Es war doch edles Recht, sich der niederen Weiber nach Gutdünken zu bedienen! Was mischt sich denn der Alte da ein? Es war doch sowieso nur eine Frage der Zeit, wann auch Alma im Bett des Landgrafen oder seines Sohnes gelandet wäre, denn das war ihr Schicksal, ihr trauriges Los, mit dem sich alle abfanden! Alle? Nein, bei weitem nicht alle! Gernot sah es genauso wie sein Vater. Es war nicht das zu ertragende Los der Niederen! Wurde jemals an die Schmach der Weiber gedacht?
Wie viele waren nach dieser erlebten, traumatischen Nacht dem Wahnsinn verfallen? Duzende sprangen aus Verzweiflung von den Stadtmauern, weil sie diese Nacht und die erduldete Scham nicht mehr verwinden und vergessen konnten!
Mancher Bräutigam hatte die Zurückgebrachte angespuckt und dann wie verrückt als Freiwild benutzt und nicht mehr als Eheweib akzeptiert. Nein, das Treiben musste ein Ende haben!
Ab sofort brachte er keinen Laut mehr über seine Lippen. Gernot blieb vor Schmerz stumm. Der Lenz verging und die marodierende Horde war seit dem Mord nicht mehr in der Stadt gesehen worden. Dann, nach vier Monden, im Spätherbst, fasste sich der kleine Schmiedesohn ein Herz. Er ging am Markttag auf die Gasse, stellte sich auf eine alte Kiste und erhob nach langer Zeit endlich einmal wieder seine Stimme.
Er schien zum Manne gereift. „Mein Vater war ein ehrenwerter Bürger dieser Stadt und vermochte es trotzdem nicht, sich und seine Familie vor diesem unflätigen Pack, Edelinge genannt, zu schützen. Offensichtlich schätzt die Obrigkeit in der Ratsstube samt Magister die Lage seiner Bewohner völlig falsch ein oder sie alle sind unwillens und unfähig, sich den Edlen zu widersetzen. Ist es nicht so, dass wir als unfreie Lehnsleute hierher, hinter diese Mauern der Stadt gelockt wurden, da man uns versprochen hatte, als freie Bürger leben zu dürfen! Was ist daraus geworden? Wie lange noch sollen wir dieser Willkür, den Pöbeleien und der Schmach der edlen Burgbewohner weiter ausgesetzt bleiben?
Diese fünf Männer sind doch allen bekannt! Es sind unsere ehemaligen Lehnsherren, die es anscheinend nicht verwinden können, dass man uns hier angeblich Schutz gewährt. Trotzdem lässt man sie ungehindert durch die Stadttore und dann treiben sie hier Schindluder mit den Weibern, berauben uns und wie ich leidvoll am eignen Leib erleben musste, sie morden sogar. Wie Hohn klingt es da in meinen Ohren, dass sich der Pfaff beschwerte, man habe ihm während der heiligen Messe sein gülden Kruzifix gestohlen. Trotz alledem habe ich immer noch nichts Bedauerndes vom Magistrat vernommen! Von ihm und den Seinesgleichen werden wir keine Hilfe erfahren! Ich werde euch auch kundtun, warum das so ist: Die Kerle kommen von der alten Burg Rabenhorst, das ist eher eine befestigte Motte, denn eine Burg! Als uns die Burenmänner davon erzählten, hat man ihnen kein Wort geglaubt. Erst als ein reisender Gaukler von dort oben zurückkam, der dasselbe berichtete, kamen in der Schänke erste Zweifel auf. Es waren tatsächlich der alte Graf dieser Feste, sein Sohn und weitere Edelinge. Den Grund für ihr Tun hatte der fahrende Possenreißer auch parat: Die regelmäßigen Abgaben, Lehn-Pacht, Beden und der Zehnt, der durch die umliegenden, leibeigenen Buren zu erwirtschaften waren, sind in den vergangenen Jahren durch schlechtes Wetter und damit verbundenen Missernten zurückgegangen. Während die Edelinge immer pompösere Feste veranstalteten und sich jeden erdenklichen Prunk gönnten, sind deren Mittel dadurch nun aufgebraucht und ihre Begehrlichkeiten sollen nicht unter der akuten, finanziellen Durststrecke leiden.“
Ein Raunen ging durch die Menge. Man traute sich nicht, eine eigene Meinung zu haben. Zu tief saß die Angst vor der Rache und den darauf folgenden Repressalien.
„Es wird alles nur noch schlimmer, wenn wir uns erheben! Geh in die Schmiede deines Vaters und füge dich! Der Junker hat dir doch gezeigt, was wird, wenn man sich denen widersetzt? Meinst du wirklich, dass du stärker bist als dein Erzeuger, den man den mächtigen Graubart nannte? Du versündigst dich und willst uns verführen. Am Ende bist du noch von Satanus gesandt, um uns zu prüfen!“ Das saß! Die Weiber bekreuzigten sich und die Mannsbilder spuckten verächtlich vor sich auf die Steine und wandten sich ab. Die Menge löste sich auf und bald stand er ganz alleine auf seiner Kiste.
Aus einer Häusernische hörte er ein leises Klatschen. Dann trat ein Gaukler aus dem Schatten und kam auf ihn zu: „Mut hast du, Kleiner! So wirst du aber den Pöbel nicht aufwecken!“ Gernot sprang in die Gasse, klopfte sich den Staub vom Hemd und schnürte die Lederschürzte, die sich gelöst hatte, auf seinem Rücken wieder neu. „Was weißt du schon, lass mich!“ Er wollte wieder zur Schmiede, aber der Gaukler, vielleicht an die zwanzig Winter alt, hielt ihn fest. Als der Schmiedesohn sich zu ihm umdrehte, sah er in die verschmitzten, wachen Augen eines starken Jünglings. „Komm, ich zeig dir, wie man mit deinesgleichen umgeht, wenn deine aufrührerischen Worte die Burg erreichen!“ Mit einer erstaunlichen Kraft packte er den Kleinen und schob ihn vor sich in die Gasse. „Ich begleite dich, denn auch mein Sinnen geht in diese Richtung. Nur dein Hirn solltest du so schnell wie möglich einschalten und nicht offen mit deinen Plänen prahlen. Du weißt nicht, wer von den Städtern im Sold des Adels steht! Es ist schon wegen weniger derben Worten viel Blut geflossen!“ Damit schob er seine Bluse von den Schultern und zeigte dem Jüngling seinen vernarbten Rücken. „Du scheinst die Kette mit den eisernen Dornen noch nicht genossen zu haben! Weißt du wie es ist, wenn die Folterknechte der Burg dir lachend das Fell gerben? Rede nicht so unbedacht daher! Ich werde dich lehren zu überleben, denn ich kannte deinen Vater! Er hat mir meine Dolche geschärft und keinen Lohn dafür verlangt. Jetzt tilge ich diese Schuld und werde dir helfen, denn auch ich verspüre einen Groll gegen die Mächtigen, die sich nicht scheuen uns zu treten, wann immer es ihnen danach ist.“ Er raffte seine Bluse wieder zusammen und gab dem Jüngling die Hand: „Tilmann!“ sagte er dabei und ergänzte schmunzelnd: „Gaukler und Possenreißer! Freunde nennen mich den flinken Til, denn ich kann nicht nur mit Lederbällen jonglieren, ich bin auch ein schneller Beutelschneider. Und wenn es um mehr geht, so wirst du noch sehen, wozu ich im Stande bin. Wenn mir deine Gesellschaft passt, so wird sich auch meine Schwester zu uns gesellen. Sie ist zwar noch recht jung, aber genauso gewitzt wie ich. Da wir unsere Erzeuger nie zu Gesicht bekamen, war die Gasse unser bester Lehrmeister.“
Vor der Schmiede wurde er am nächsten Tag von Männern angesprochen: „Schmiedesohn! Weißt du nicht mehr, wie es den einfältigen Buren ergangen ist, die sich haben aufstacheln lassen? Mit Mistgabeln und Dreschflegeln sind diese Tölpel auf das Schlachtfeld gelaufen. Keiner überlebte dieses entsetzliche Massaker. Das ist gerade einmal sieben Monde her. Sie wurden vom geballten Zorn der Adeligen und des Klerus getroffen und von deren gut ausgebildeten Söldnern dahingerafft. Was haben wir den Arkebusen und Bombarden denn entgegenzusetzen?“ „Es stimmt, was er sagt! Wir versündigen uns, wenn wir den Stand nicht anerkennen, in den wir hineingeboren wurden! Anmaßend ist das!“ Die Weiber und Männer bekreuzigten sich. „Hochmütig! Wir alle haben unsere Erfahrungen mit den Herren machen müssen und bedenkt doch dabei: Wir dürfen noch leben und nicht im Hungerturm vor Schmerzen schreiend den Tod herbeisehnen! Seid zufrieden mit dem was wir haben!“ „Und was ist das?“ Gernot hatte die ganze Zeit ruhig zugehört. Sie verhielten sich wie geduldiges Vieh, das angebunden aufs Ausschlachten wartet. „Was für ein erbärmliches Leben ist das? Darf man es überhaupt Leben nennen? Ungestraft führen sich die Ritter auf, als wären wir ihre Schafe, die es zu scheren gilt! Die Pfaffen wissen genau, warum wir weder lesen noch schreiben dürfen, denn in ihren heiligen Schriften steht nichts davon, dass wir auf ewig als Leibeigene leben müssen!“ „Woher willst du denn wissen, was in den Schriften steht?“ Gernot war in seiner Wut zu weit gegangen. Wie konnte er sich nun herausreden? Einfach behaupten, es wäre eine Vermutung? Keiner durfte wissen, dass er der Schrift mächtig war und auch ein paar Worte des Latinums verstand. Eine Todsünde!
Er murmelte deshalb nur „Ach, ich weiß auch nicht!“ und ging ins Haus. Dort warteten Til, seine Schwester Walpurga und Ansgar hinter den, mit Stroh verstopften Windluken.
Den Namen Walpurga bekam sie von ihrer Mutter, da sie das Produkt dieser entsetzlichen Nacht war. Der Lehnsherr machte vom „Recht der ersten Nacht“ Gebrauch und schwängerte sie. Ihr Bräutigam hatte das nicht verkraftet und war in die Burg geeilt, um diesen ungerechtfertigten Frevel zu tilgen. Er kam nicht weit, denn schon im Hof wurde er, dank seiner wüsten Beschimpfungen gegriffen und von den Zinnen in den Latrinengraben gestürzt. Er fand einen grässlichen Tod. Die geschundene Braut floh und fand Unterschlupf beim fahrenden Volk, wo sie ihr Kind zur Welt brachte und zwei Jahre später auch Tilmann das Leben schenkte.
Til schaute Gernot immer noch eindringlich an und schüttelte den Kopf. Er war mit dessen Auftritt eben in den Gassen nicht einverstanden. „Du bist ein Hitzkopf!“ sagte er nur.
Jetzt war Eile geboten, denn keiner legte für den anderen Städter die Hand ins Feuer und so war es wohl eine Frage der Zeit, wann die Ritter wieder herkommen und sich ihrer bemächtigen würden. Von Verteidigung und städtischem Recht war schon lange keine Rede mehr.
Beiden Weibsbildern wurden aus Sicherheitsgründen die Haare vom Kopf abrasiert und gegen ihren Willen trugen sie nun Beinkleider und Wams der Jünglinge. Um sie nicht nur vor dem lüsternen Bidenhänder zu schützen, sollten sie ihm noch einmal unter die Augen kommen. Gleichzeitig wurden die abgeschnittenen Haare und die alte Gewandung von Alma, der Schmiedetochter über die Stadtmauer in den Jauchegraben, auch Mirgel genannt, geworfen. Da in der Zwischenzeit die Adeligen unbehelligt alle Räume der Schmiede durchsucht und anschließend zerschlagen hatten, war jegliche Grundlage für ein Weiterleben innerhalb der kleinen Stadt für sie vernichtet. Nur der geschlossene Kastenwagen des Schmiedes, der in einer Scheune am anderen Ende der Stadtmauer untergestellt war, entging den Edlen.
Gezogen von zwei mannshohen, mächtigen, angelsächsischen Kaltblütern verließen sie mit dem eilig zusammengerafften Hausrat, dem Werkzeug und allen gefertigten Blankwaffen des Schmiedes noch am selben Nachmittag die verhasste Stadt, die ihnen ihre Jugend raubte. Gernot achtete darauf, dass er vorsichtig durch das enge hintere Stadttor fuhr, ohne die Steine an den Ecken anzukratzen, denn allzu viele Fuhrwerke nahmen die Kurven und beschädigten dabei nicht selten ihre beschlagenen Räder erheblich mit ihrer Ungeschicklichkeit.
Während die neu zusammengefundene Gruppe das östliche Stadttor passierte, fand die Stadtwache im Stadtgraben die Kleider und Haare der verschwundenen, unglücklichen Schmiedetochter, die offensichtlich vor Gram von der Mauer gestürzt und in der undurchsichtigen Brühe „versauft“ war.
Sie schenkten dem keine Beachtung mehr, denn einerseits waren sie froh, nicht mehr an dieses grausame Ereignis erinnert zu werden und andererseits waren sie nun Gernot, diesen Quälgeist endlich los. In den Spelunken der kleinen Stadt wurde nur noch spärlich über den Schmied geredet und im Endeffekt das Handeln der Adeligen gegen ihn auch noch gerechtfertigt. Was natürlich dem Klerus sehr gefiel, denn seine Kirche wurde großzügig von den Edlen der angrenzenden Burg mit Abgaben der Leibeigenen, dem Zehnt und Lebensgütern, unter anderem dem begehrten Wildbret, unterstützt.
Der Pfaff hatte ein Abkommen mit dem Grafen. Er teilte ihm mit, welches Weibsbild zu heiraten gedachte und was die Bevölkerung über ihn und die Adeligen dachte. Wertvolle Informationen, die der Graf zu nutzen wusste und der keineswegs darauf bedacht war, die ehemals Unfreien einfach ohne Gegenleistung in die versprochene Freiheit zu entlassen.
Hoffentlich würde es ihm nicht den Kopf kosten, dass er immer noch an Rache dachte und im Hinterkopf damit rechnete, eines fernen Tages wieder zurück zu kehren, um dem elenden Treiben des Landgrafen, nicht nur innerhalb der Stadtmauern ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
Die Kinder des Schmiedes wollten zwar den Meucheltod des Vaters rächen, aber dauerhaft zurück in die Stadt, auf gar keinen Fall! Sie hatten neue Freunde gefunden, Gernot sogar in der Schwester des Gauklers die Liebe seines Lebens, die ihm von jetzt an treu zur Seite stand. Sie zogen von Dorp zu Dorp, von Stadt zu Stadt und das Geschwisterpaar, wie auch Ansgar vom fahrenden Volk wussten mit ihren Kunststücken die ärmlichen Leute auf dem Markt für kurze Zeit zu erfreuen und von ihrer harten Arbeit abzulenken. Zu besonderen Festlichkeiten ließen sie sich sogar für ein paar Tage auch in manche Burg einladen, um dort die hohen Damen und Adeligen zu erfreuen. Jedoch bekamen sie dort meist abgetragene Gewandung und verschlissene Kappen, die sie in der Öffentlichkeit sowieso nicht tragen durften, da ihnen solche Stoffe und Farben als niederes Volk nicht gestattet waren. Aber wenigstens hatten sie für einige Zeit ein Dach über dem Kopf und durften mit den Burgbewohnern speisen.
Das Glück war ihnen in der Ferne dennoch hold, denn hier trafen sie eines Tages auf einem holprigen Weg mitten in einem Waldstück auf einen verarmten Mann im besten Alter, der von einem struppigen, kniehohen Hundebastard begleitet wurde. Er schien den Wagen und die jungen Leute richtig einzuschätzen, denn er sah sofort, dass bei ihnen nichts Wertvolles zu holen war. Als die ihn zu einer spärlichen Brotzeit einluden, gab er einen kurzen Befehl an seinen vierbeinigen Begleiter, der unschlüssig knurrte. Der dritte oder vierte Humpen des gewürzten Bieres lockerte seine Zunge. Der Bastard, den der Fremde einfach nur „Beißer“ nannte, legte zufrieden den Kopf auf seine Pfoten, nachdem er die Hasenkeulen, die man ihm zuwarf, abgeknabbert hatte.
Allzu hungrig schien der Hund, im Gegensatz zu seinem Herrn, dennoch nicht gewesen zu sein.
Jetzt erfuhren sie, wie es um den Fremden stand. Bis vor kurzem noch war er ein stolzer Ritter gewesen, der sehr lange in den Diensten eines Landgrafen gestanden und mehrmals wegen Landstreitigkeiten dessen Haut gegen benachbarte Adelige verteidigte. Als sich aber sein Lehnsherr mit den ehemaligen Feinden verbündete, richtete sich der Groll und Zorn der vergangenen Monde nun gegen den Ritter, der die Welt nicht mehr verstand. Er wurde als Friedloser aus seinen Diensten entlassen, man könnte auch sagen, dass aus der Burg gejagt wurde. Mittellos, ohne Pferd und Blankwaffen war er also nun für vogelfrei erklärt und versteckte sich, wie ein gewöhnlicher Strauchdieb in den hiesigen Wäldern.
Lediglich einen Teil seiner Rüstung hatte er in einem ledernen Rucksack auf einer Schulter. Es schepperte blechern, als er seine Last neben dem offenen Feuer abstellte.
So, wie er das gereichte Brot und den harten Käse gierig verschlang, schien er sehr ausgehungert zu sein.
Til zupfte den Schmiedesohn am Ärmel und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Hinter dem Kastenwagen flüsterte er: „Gernot, eine Wink des Schicksals! Den schickt uns der Schöpfer!“
Der Angesprochene stutzte: „Wie meinst du das?“
Tilmann bewegte seine Arme wild durch die Luft: „Na hör mal, wenn uns einer den Gebrauch deiner Blankwaffen zeigen kann, dann ist es dieser ausgehungerte Fremde! Wir fragen ihn, ob er bereit ist, uns zu begleiten und zu lehren, deine Schneid,- und Stichwaffen geübt einzusetzen. Schau ihn doch nur einmal an! Weit wird der alleine und ohne Freunde nicht kommen!“
Gernot zuckte fast unmerklich zusammen, als der Fremde zu ihnen kam. „Redet ihr über mich?“ Er schien die letzten Worte mitgehört zu haben. „Wir beratschlagen noch!“
„Bevor mich die Häscher greifen, wird es besser sein, dass ich euch begleite. Ich besitze zwar nur diesen Dolch, um mich zu verteidigen, aber ich bin entschlossen…“
Gernot wartete die Antwort nicht ab, stieg auf die hinteren Bretterstufen des Wagens, öffnete die Tür und beugte sich tief hinein. Dann hob er einen Zweihänder hoch und reichte ihn herunter. „Könnt Ihr damit umgehen?“ fragte er den verarmten Edeling, dessen Augen einen unerwarteten Glanz annahmen. Der nahm das Griffstück und nickte anerkennend. „Wo habt Ihr das her? Es ist das Werk eines Künstlers! Nur ein sehr guter Waffenschmied ist in der Lage, ein solches Eisen zu schmieden!“ Er prüfte mit der Rückseite seines Daumennagels die Schärfe der Klinge und gab sein weiteres Urteil ab.
„Mehrfach gefalteter Stahl, in Öl gehärtet! Eine wundervolle Arbeit!“ Gernot stand immer noch auf den Stufen, schloss die Tür und sprang herunter: „Die anderen Stücke sind noch eingewickelt. Ich lass sie in der Kiste! Um Eure Frage zu beantworten, die Waffen gehörten meinem Vater. Als er verstorben war, habe ich sie an mich genommen.“ „Verstorben?“ Alma mischte sich wütend ein: „Gemeuchelt wurde er! Von diesen…“ „Schweig still, Schwester! Wütende Raserei hilft uns nicht weiter, hör auf Tilmann. Mehr will ich jetzt nicht sagen!“ Alma schaute vor sich auf den Boden und drehte sich verschämt um. Jetzt wandte sich Gernot wieder dem fremden Ritter zu, der immer noch bewundernd die Klinge betrachtete. Nun erklärte sich der Schmiedesohn: „Wir sind einfache Leute, ehemalige Leibeigene sogar und müssen leider, leider akzeptieren, dass es uns nicht gestattet ist, sie auch endlich einmal benutzen zu dürfen. Meine Schwester hat ja Recht, mit dem was sie sagt, aber die Zeit ist noch nicht reif!“
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Fremden. Er stellte die Blankwaffe, die ihm bis zur Schulter reichte, neben sich und streckte Gernot die Hand entgegen: „Darf ich mich vorstellen? Baldur von Hagen, Ihr dürft mich als einen der Euren betrachten, wenn Ihr mir gestattet, Euch damit zu beschützen. Die Zeiten sind wahrlich nicht mehr sicher, weder für euch alle, noch für mich selbst. Aber hiermit...“ er hob mit gekonnter Geste das Schwert in die Luft und ließ es über seinem Kopf kreisen . . .
Gernot bereute genau in diesem Augenblick, dass er zu gutmütig diesem Fremden die tödliche Waffe dargeboten hatte, aber der Ritter schien friedliche Absichten zu haben. Er ahnte, was der Schmiedesohn soeben dachte und bot ihm die rechte Hand. „Nennt mich Baldur! Für Unterschlupf, Speise und Trank bin ich der eurige!“ Gernot und Til fielen sich in die Arme. Der Plan von Rache schien Formen anzunehmen.
„Eine Frage hab ich noch…“ Der Ritter schaute die beiden an: „Was ist mit den anderen drei Gauklern? Traut ihr denen?“
Sie lachten so laut auf, dass die Angesprochenen aufschreckten und vom offenen Feuer zu ihnen kamen.
„Trauen ist gar kein Ausdruck! Sie sind von unserem Blut!“ Gernot stellte die beiden zierlich wirkenden „Gaukler“ als seine Schwester und die andere als sein Weib, sowie Ansgar als den verbündeten Freund vor. Er zeigte auf die seltsam anmutende Gewandung und die kurzen Haare der Weiber: „Zum Schutz, Ihr versteht?“ Alle gaben sich freundschaftlich die Hände und Gernot verkündete stolz, dass sie nun unter dem Schutz eines Ritters ihre weitere Reise fortsetzen konnten. Erleichterung machte sich in der Gruppe breit, denn bisher hatten sie zugegebenermaßen einfach nur Glück gehabt, dass sie schadlos so weit gekommen waren, ohne ein einziges Mal die Klinge kreuzen zu müssen.
Baldur bekam viel zu tun, in den folgenden Monden, denn nicht nur die Mannsbilder rissen sich darum, endlich mit den scharfen Klingen umgehen zu können, auch die jungen Weiber wollten lernen, sich alleine ihrer Haut erwehren zu können.
Sie stellten sich, zur Verwunderung aller, dann auch sogar noch geschickter an, als selbst der Ritter gedacht hatte.
„Es ist schon von seltsamer Eigenart…“ murmelte er abends am Feuer und sprach dann laut weiter: „Vierzehn Jahre hab ich warten müssen, bis ich die Klinge schwingen und beim Buhurt, sowie Tjost meine Fertigkeiten an den Waffen ausüben durfte. Sieben Winter diente ich als Diener bei Hofe, weitere sieben musste ich als Schildknappe das schwere Rüstzeug schleppen und meinen Herrn ankleiden helfen…“ Gernot schaute ihn an: „Und warum sagst du das so traurig?“ Baldur lächelte: „Nicht traurig! Amüsant trifft es eher, denn die Weiber haben keine Rechte und es war noch nicht einmal geduldet…“ er sah die Dirnen an und fuhr fort: „Ihr müsst schon entschuldigen, aber das ist Gesetz, es ist euch nicht gestattet und außerdem seid ihr allesamt auch noch Leibeigene! Wir kommen allesamt in die Hel, mich schließe ich da mit ein. Einfache Burschen, das wisset ihr doch selbst natürlich auch, dürfen keine Klingen umschnallen und öffentlich tragen. Ein Messer, ein Dolch ja, aber ein Schwert? Mir ist das gleich, denn unser Stand scheint dabei zu sein, sich aufzulösen. Ich habe feststellen müssen, dass sie sich nicht mehr an die alten Sitten gebunden fühlen. So habe ich mich davon gelöst und pfeife auf den Eid und den damit verbundenen Ehrenkodex! Meine Fähigkeiten wurden nicht mehr gebraucht, mein Lehnsherr, der Graf hat mich aus seinen Diensten entlassen . . . Auf unser Wohl!“ Er hob sein Füllhorn und trank das gewürzte Bier in einem Zug aus, bevor er wieder aufstand und den Unterricht fortsetzte.
Baldur erklärte als nächstes genau den Aufbau einer Rüstung. Er zeichnete im Staub die einzelnen Blechteile auf und zeigte die Schwachstellen, die ungeschützt waren. „Der Eiserne ist nur gefährlich für euch, solange er sich in seinem Holzsattel festhalten kann. Stürzt er zu Boden, so ist er allein schon durch sein eigenes Gewicht verletzt, oder er liegt hilflos da, wie ein Käfer auf dem Rücken. Sollte er dennoch zum Stehen kommen, oder euch sogar in vollem Eisengewand entgegentreten, so ist er unterlegen! Merkt euch das! Er ist zu langsam, seine Bewegungen, und mögen sie durch ununterbrochene Übungen auch noch so oft praktiziert worden sein, die Muskeln schaffen es auf Dauer nicht, das schwere Gewicht des Kettenhemdes und der darüber befestigten Eisenplatten lange zu tragen. Auch die Bewegungen sind durch die unterschiedlichen Eisengelenke und Nieten nur eingeschränkt möglich. Von seinem Topf Helm will ich erst gar nicht reden. Was ihr nicht wissen könnt ist folgendes: Wenn ich in die Schranken gewiesen wurde, um mich im Tjost dem angaloppierenden feindlichen Schlachtross zu stellen, den wuchtigen Aufprall der Lanze abzuwehren und meinerseits durch die winzigen Löcher mein eigenes Ziel anzupeilen, ohne mit geöffnetem Visier ein Auge zu riskieren, so waren das Anstrengungen, die ganze Aufmerksamkeit erforderten. Man schwitzt, bekommt unter der Eisenglocke kaum Luft und ist froh, wenn man nach dem vermeintlichen Aufprall so schnell wie möglich das Visier wieder öffnen kann. Auf dem Ross sieht man die Dinge von oben herab, erhaben glaubt man, unverletzlich zu sein! Welch ein Irrtum! Als Knappe habe ich mehreren Rittern die Stange gehalten, um ihm nicht dem fremden Stich ausgesetzt zu sehen. Dabei ist gar manch tapferer Recke in seinem geschlossenen Helm zu lange vor den Schranken gestanden und einfach so, ohne jegliche Kampfhandlung erstickt und tot vom Pferd gefallen. Wie viele Ritter haben sich als Held feiern lassen und sind danach, als man sie aus ihrem ehernen Rüstzeug befreit hatte, elendig leidend in Ohnmacht gefallen und danach innerlich verblutet. Auch wenn es so sicher aussieht, jeder Stoß dieser Lanze bringt einem grüne und blaue Flecken am ganzen Körper bei. Ein Bader erklärte mir, dass es Ausblutungen unter der geschlossenen Haut seien, da Adern, Sehnen und Nerven zerreißen. Ihr seht also, ein Eisenmann ist nicht unverwundbar! Wenn ihr leichtes Gewand, so wie ihr jetzt gekleidet seid, anhabt, so ist die Schnelligkeit euer Freund. Ihr müsst behände seine Schwachstellen finden und sie für euch nutzen.“ Er machte eine Pause, nahm einen kräftigen Schluck des gewürzten Bieres, sah den neuen Gefährten an, dass sie weiter an seinen Erzählungen interessiert waren und fuhr also fort: „Schulterbereich, unter seinen Armen, denn wenn er den Arm zum Schlag ausholt, heben sich die schützenden Platten. Darunter trägt er meist eine gefütterte Joppe oder ein ledernes Wams. Seine edlen, männlichen Teile werden nur von dem Kettenhemd verdeckt, darunter ist er ungeschützt. Ihr müsst schnell sein und ihm einen Dolch in seine Weichteile treiben, dann wird er erlahmen und sich schneller ergeben, als ihr erwarten werdet. Oder er hat keine Zeit mehr, um Gnade zu flehen!“ Alle saßen staunend da und lauschten gebannt dem Ritter, der seine eigenen Schwachstellen zu offenbaren schien. „Wenn das so gefährlich war, ein Eisenmann zu sein, warum trauerst du dieser gefährlichen Arbeit dann noch nach?“
„Es ist die Angst der Unwissenden, die uns stark macht! Ihr wusstet doch auch nichts davon, also hat uns der Mut getragen und solange wir im Sattel waren, konnte uns wenig geschehen, denn es kommt beim Eintreiben der Beden nicht dazu, dass uns ein fremder Rittersmann mit Lanze angreift.“ „Also ist es doch besser, ein leichteres Lederwams zu tragen!“
Jetzt meldete sich Til zu Wort: „Wenn man mit der Armbrust angegriffen wird, wäre ich lieber in Eisen gewandet!“