Zwölf Mal Roman plus X - Roman Schmidt - E-Book

Zwölf Mal Roman plus X E-Book

Roman Schmidt

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Beschreibung

Neuauflage von Kriminalkurzgeschichten mit neuen Fällen.

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Seitenzahl: 438

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Neuauflage folgender Bücher:

„Kreuzfahrt ins Ungewisse“ (2009)

„ZWÖLF MAL ROMAN“ (2010)

„Habgier + 7 Krimis“ (2013)

Die vorliegenden Geschichten sind völlig frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind keinesfalls gewollt. Sie wären rein zufällig.

Roman Schmidt MMXVI

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Raffgier

Diesmal für immer!

Finale

Vom Regen in die Traufe . . . .

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Ausgleichende Gerechtigkeit!

Ausgetrickst!

Kapitel 1

Kapitel 2

Schottische Hochzeit

Arme Freundin.

Vermisst und dann?

Habgier (Kain und Abel)

Genialer Bruch?

Kapitel 2

Kapitel 3

Spuren verwehen nie ganz. . .

Kapitel 1

Kapitel 2 (Eine zweifelhafte Kariere)

Kapitel 3 (Sein Plan geht auf!)

Eiskalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Magischer Diebstahl

Wer anderen schaden will . . .

Daddy, hilf mir . . .

Kreuzfahrt ins Ungewisse

Seine Sichtweise

Ihre Sicht der Dinge . . . .

Kapitel 2: Ihre Kreuzfahrt

Vorwort

Viele überführte Menschen verdrängen oder verleugnen ihre Taten. Sie versuchen so lange hartnäckig bei ihrer „falschen“ Darstellung zu bleiben, bis man ihnen eindeutig das Gegenteil beweisen kann. Jeder hofft, dass es im Verborgenen bleibt, was sie angerichtet haben. Viel zu oft merken sie dabei jedoch nicht, dass sie sich selbst der gemeinste und größte Gegner sind. Es gibt Experten, die ohne Worte, allein an den Reaktionen von aufgegriffenen Tätern die nicht zu steuernde Nervosität und innere Anspannung förmlich riechen können. Ich hatte als Kind das Vergnügen durch meinen Onkel, ein begnadeter Billardspieler, der an der niederländischen Grenze wohnte, mit einigen Zöllnern privat sprechen zu dürfen. Sie waren sich genau in dieser Sache alle einig, dass man, mit entsprechender Berufserfahrung, einem Menschen ansehen kann, ob er etwas zu verbergen hat oder nicht. Ähnlich ist das bei den Beamten der Kriminalpolizei. Sie wissen ziemlich schnell ihre Gegner richtig einzuschätzen. Einen Mörder zieht es, so liest man immer wieder, an den Tatort zurück. Diese höchst paradoxe Wesensart der Menschen bringt sie dadurch natürlich auch in Verdacht. Äußerlich scheint manch ein Täter sein verübtes Verbrechen gut verheimlichen zu können. Vor Mitmenschen, mit denen sie eng verbunden sind, wird das nicht gelingen. Kleinste Gefühlsregungen werden von einem liebenden Partner sofort registriert. Warum also sollte es Verbrechern möglich sein, mit der Bürde so locker wie bisher einfach weiterleben können? Ich bezweifle das. Es wird mit unruhigem Schlaf, Schweißausbrüchen und Wahnvorstellungen weitergehen. Die psychische Belastung wird so groß werden, dass sich mancher danach sehnt, dass es endlich vorbei ist. Er wird sich, wem auch immer, anvertrauen müssen, denn Albträume werden zu ständigen Begleitern.

„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen!“ war ein Spruch, den ich immer wieder gehört habe und den ich bei Kräften unterstütze. Schuldgefühle und Angst führen in banalen Situationen dazu, dass solche Täter nicht mehr rational denken können und verzweifeln, sich sogar auch nach Jahren bei der Polizei melden und sich offenbaren, da sie den Druck, der auf ihnen lastet nicht mehr aushalten können.

Ich vermute, dass ein sogenannter „Lügendetektor“ winzigste Erregungen, Unsicherheiten und unterdrückte Ängste aufzeichnet. Dieses elektronische Hilfsmittel nimmt Zustände wahr, denen sich die angeschlossenen Personen nicht bewusst sind. Haustiere, besonders Hunde können ähnliche Disharmonien bei Menschen wittern. Es gibt solche Vierbeiner, die ihre Besitzer vorher warnen können, wenn ein Zuckerschock, epileptischer Anfall oder eine Ohnmacht bevorsteht. Sie riechen die hormonelle Veränderung, Angst und Unsicherheit eines Menschen. Und genau so stelle ich mir einen guten Kriminalbeamten oder auch Zöllner vor. Er riecht förmlich, wenn irgendwo oder bei irgendwem etwas faul ist. Außerdem bin ich sehr zuversichtlich, dass die Zukunft mit noch besseren Geräten und deren Analysen noch präzisere Ergebnisse und schnellere Aufklärungen möglich machen werden.

Die geschilderten Verbrechen gibt es sowieso nur in Romanen . . . . . . . oder etwa nicht?

Wenn man einen „gruseligen, aber gut gemachten Film“ gesehen hat, so erscheint einem anschließend die sonst gewohnte Umgebung in einem ganz anderen Licht. Vertraute Geräusche werden zu unerklärlichen Stimmen, die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos lassen Schatten von Geistern vorbei huschen und so weiter.

Ich will damit sagen, dass unser Unterbewusstsein von erlebten Sachen negativ oder positiv beeinflusst wird. Nächtliche Geräusche, die eine natürliche Erklärung haben, können einem ängstlichen Menschen, der negativ eingestellt ist, den kalten Schweiß auf die Stirn zaubern. Nicht selten, so vermute ich, kann eingebildete Angst sogar zu einem lebensbedrohlichen Herzrasen, vielleicht sogar auch zu Atemnot führen. Obwohl nur ein Tier an den Rollos gekratzt hatte, wird der Bewohner Geister sehen, wenn er gerade entsprechend in Stimmung ist. Unsere Beobachtungen sind demnach relativ und müssen sorgsam „eingeordnet“ werden. Deshalb hatte mir mein Vater geraten, jedes ungewöhnliche, nächtliche Geräusch sofort zu klären. (Ruhig schlafen könnte man danach nämlich nur noch, wenn sich der „Vorgang“ sofort normal klären lassen würde.) Er hatte mir erzählt, dass er als Kind abends zu einem benachbarten Bauern geschickt worden war, um Milch zu holen. Mitten auf dem Weg sah er im Dämmerlicht ein Ungetüm, dass schnaufen auf ihn zukam. Er rannte, von Panik ergriffen zurück, aber man wollte ihm nicht glauben. Mit seinem Onkel ging er den gleichen Weg noch einmal. Und siehe da . . . . im Schein der mitgenommenen Taschenlampe sahen sie eine harmlose Kuh, die friedlich auf der Straße lag.

Die Ausschüttung von Stresshormonen führt in solchen Situationen dazu, dass man extrem angespannt ist.

(Als Unfallopfer auf der Rückbank eines PKWs hatte ich beim Überschlagen den Eindruck, als würden sich diese Ereignisse im verlangsamten Tempo abspielen).

Bei vielen Menschen führt ein unerwartetes Geschehen dazu, dass der Hergang völlig falsch eingeschätzt wird.

Viele Zeugen einer gleichen Tat ergeben manchmal unterschiedlichste Versionen des Hergangs. Oder kurz gesagt: Bei fünf Beschreibungen hat man womöglich vier Verdächtige.

Für die ermittelnden Beamten und ggf. die späteren Richter gilt es dann zu klären, welche Aussagen von den mittlerweile selbst gemachten Ermittlungen bestätigt werden können und damit der Realität am nächsten kommen. Die wirklich wahre und exakte Aussage eines Zeugen lässt m.E. auf eine gewisse Abgeklärtheit und Ruhe dieses Menschen schließen.

Eine Ruhe, die für die Masse der Menschheit schwerlich zu kontrollieren und zu beherrschen ist. Wer schon einmal unverhofft in eine heikle, teilweise sogar lebensbedrohliche Situation gekommen ist, mag das nachempfinden können.

Aber eben eine solche gewissenhafte Ruhe müssen auch Unfallärzte haben, denn wenn sie zu emotional reagieren würden, wäre eine Behandlung schwierig, ich würde sogar behaupten unmöglich. (Ich meine sogar einmal gehört zu haben, dass Mediziner eigene Bekannte oder Verwandte nicht operieren.)

Der Stress zeigt sich jedoch nicht nur bei den Zeugen, sondern auch bei den Tätern, die sich später nicht selten durch anormales Verhalten selbst verdächtig machen und damit verraten.

Roman Schmidt

Raffgier

Auf der regennassen Straße spiegelten sich am Abend die Lichter der Großstadtreklamen und vermischten sich bei jedem fallenden Tropfen neu. In den Regenpfützen bildeten sich kleine Kreise und ließen die Farben zu immer neu veränderter, moderner Kunst auf dem Asphalt werden. Helmut Bergmann überquerte die Straße und achtete darauf, keine nassen Schuhe zu bekommen. Er wollte nicht mit einer Erkältung in die kommende Woche starten. Besser wären ein Regenschirm und ein wärmender Schal gewesen! Seit 5 Jahren traf er sich hier, im Viertel der Kleinstadt alle 14 Tage mit seinem Schulfreund Siegfried, genannt Siggi. Hier stand auch noch sein Vaterhaus. Er hatte schon als Kind mit Siggi gespielt und auch mit ihm in der Grundschule die Schulbank gedrückt, herumgealbert, gelacht, Streiche gespielt, sich gezankt und wieder versöhnt. Nur als sie beide 14 Jahre alt waren, riss der Kontakt für ein paar Jahre ab. Unterschiedliche Interessen, wahrscheinlich. Helmut war da schon seit vier Jahren auf dem städtischen Gymnasium und Siegfried begann nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre als Kaufmann. Er schlug den Kragen seines Mantels hoch und wechselte die Straßenseite. „Viel zu kalt, für diese Jahreszeit!” murmelte er halblaut vor sich hin und ging weiter durch die ihm so vertrauten kleinen, engen Gassen. Kurze Zeit später betrat er die kleine, unscheinbare Kneipe in einer Seitenstraße. Er kam, wie immer durch den Hintereingang, vom Parkplatz aus. Er war froh, dass sie sich immer noch hier trafen, denn in dem Stadtteil, wo Siggi seine Bar hatte und wohnte, würde er sich nie richtig wohlfühlen, das wusste er. Obwohl er einiges gewohnt war, als gerade beförderter Oberkommissar bei der Kripo. Aber im Rotlichtviertel fühlte er sich nicht wohl. Das war nicht seine Welt. Da er im Morddezernat arbeitete, hatte er teilweise dennoch Kontakte zum Sittendezernat, und damit auch zu diesem Milieu, wo Prostitution und Drogendelikte vorherrschten, von organisierten Banden geführt und geleitet. Morddrohungen an die Kripo waren an der Tagesordnung, wenn man deren Geschäfte störten. Ein undankbarer Job.

Er schüttelte den Regen von seinem Mantel und schaute auf die vertraute, große Bahnhofsuhr über der Theke. Die hatte der Wirt beim Abriss der alten Eisenbahnstation als nostalgische Erinnerung für kleines Geld erworben. Willi erzählte immer wieder gerne von seiner innigen Beziehung zu dem tickenden großen, runden Ei: „Das war früher immer mein letzter Blick auf die Heimat gewesen, wenn ich am Wochenende mit dem letzten Zug zurück nach Hamburg in die Kaserne musste.” Er schaute dann immer wehmütig mit verdrehtem Kopf schräg nach oben: „Ja, der Bund, drei Freifahrten in achtzehn Monaten und kein Taschengeld von zu Hause.“ Er unterdrückte die Tränen und wischte sich dann verlegen mit dem Taschentuch durchs Gesicht. Meinung, wieder zu spät gekommen zu sein. Aber diesmal war er tatsächlich 10 Minuten zu früh. Wilhelm, der Wirt hinter der Theke, hob freundlich grüßend die Hand und lächelte ihm zu: „Euer Lieblingstisch hinten ist bereit! Wie immer? Oder lieber einen Tee, bei dem Schauerwetter?” Bergmann nickte bejahend und ging zu seinem Stuhl in der hinteren Ecke der gemütlichen alten Kneipe. Hier im Viertel war er groß geworden und der alte Wilhelm kannte ihn noch als kleinen Laufburschen. Die pensionierten, alten Männer seiner Nachbarschaft tranken oft abends noch in kleiner, privater Runde einen „platten Mäck“. Das war eine nierenförmige, kleine Glasflasche voll Schnaps. Wo der Name herkam, wusste er bis heute nicht, der hieß einfach so. Diese Flasche füllte Willi in den frühen sechziger Jahren für DM 1,80 mit klarem 38% igem Korn! Helmuts Vater hatte immer darauf bestanden, dass er nach seinen Schulaufgaben aus Respekt vor den älteren Mitmenschen auch tagsüber ohne zu murren, alle nötigen Einkäufe für die Nachbarschaft zu erledigen hatte. So besorgte er auch manchmal abends den besagten Schnaps, trotz seines Alters von erst zwölf Jahren. (Heute wäre das völlig undenkbar). Er bekam DM 2,00 für den Schnapskauf und manchmal, meist zum Wochenende, durfte er sogar die restlichen 20 Pfennig behalten. Taschengeld von den Eltern kannte er nicht. Die Kinoveranstaltung am Sonntagnachmittag kostete in den billigen, ersten drei Reihen DM 0,60. Das war die sogenannte Rasierloge, weil man mindestens anderthalb Stunden lang den Kopf im Nacken hatte. Also musste er mindestens drei Wochen lang Schnaps holen und konnte dann einmal für knapp zwei Stunden die berühmten Western – Stars aus Amerika bewundern, Alan Ladd, Eddie Murphy, Rock Hudson oder sogar John Wayne. Da hatte sich das wochenlange Besorgen doch wirklich gelohnt! Er musste immer schmunzelnd daran denken, wenn er, wie heute Abend auch wieder, die vertraute, alte Kneipe betrat. Er atmete tief durch und schaute sich um. Einzelne Tische waren mit Pärchen besetzt und an der Theke standen, wie fast jeden Abend immer dieselben Männer und tranken Bier oder Korn oder beides. Willis Frau machte für ihre Gäste ohne Zeitlimit auch gerne eine Kleinigkeit zu essen. Strammer Max mit Schinken oder Käse und die beliebte Curry – Wurst mit selbst gemachtem Kartoffelsalat. Eine Speisekarte gab es nicht. Mit seinem Vornamen, Willi, durften ihn nur einige wenige und sehr vertraute Freunde ansprechen. Deshalb war Helmut stolz darauf, auch zu dem erlesenen Kreis gehören zu dürfen, trotz Altersunterschied. Der dicke Wilhelm war ein gutmütiger Zeitgenosse, normalerweise! Nur bei Ungerechtigkeiten oder Zechprellereien konnte er grob werden. Und den einen oder anderen Randalierer hatte er schon am Kragen gepackt und mit lebenslangem Hausverbot an die Luft gesetzt. Er war klein und untersetzt, und sein nicht zu übersehender Bauch ließ auf reichlich gutes Essen und erheblichen Biergenuss schließen. Helmut hatte bei ihm bis heute stets Narrenfreiheit. Er fühlte sich hier wie zu Hause. Vielleicht auch gerade deshalb, weil sein Opa und Willis Vater dicke Freunde gewesen waren. Nachdem der Tee vor ihm stand, ging wie auf Bestellung auch die Vordertür auf und sein Schulfreund stand im Rahmen. Sie waren zwar gleich alt, aber Siggi hatte eher eine athletische Figur mit stark ausgeprägten Muskeln. Vielleicht war es das Ergebnis von jahrelangen Besuchen der Mucki-Buden, oder er nahm verbotene Anabolika ein. Aber darüber konnte und wollte er sich mit Siggi nicht mehr unterhalten. Einmal hatte er ihn im Anfang darauf angesprochen und Siggi hatte ihn nur stur angeschaut. Und wie immer, so startete Siggi auch jetzt seine persönliche Show und achtete genau darauf, dass ihn auch alle sahen. Die Stammgäste wussten vorher schon, was jetzt kam. Es war immer die gleiche Prozedur. Man ertrug das, weil er danach eine „Lokalrunde” ausgab. Theatralisch winkelte er zuerst seinen linken Arm, im Schneckentempo versteht sich! Dann streifte er den Pullover höher, schaute auf seine teure, goldglänzende Armbanduhr und hob den rechten Zeigefinger: „Gong, … 22 Uhr! Hallo, schönen Abend, allerseits! Na, habt ihr wenigstens alle das Fußballspiel gesehen? Die haben den Ball auch schon mal besser getroffen, oder?” Man merkte sein Anbiedern, aber die Anerkennung, die Bergmann hier genoss, würde Siggi wohl trotz seines Geldes nie im gleichen Maße erfahren. Vielleicht war aber auch Neid auf das, in seinen Augen kleinbürgerliche Leben des aufrichtigen Kommissars dabei. Er kam zügig zum Stammtisch in der Ecke: „Auch für dich, Helmut, schönen Abend! Na, hat ja doch noch geklappt! Keine Leiche heute, zum Wochenende?” Er kannte die markanten, respektlosen Sprüche und überging sie: „Und, Revanche?” Damit meinte er das beim letzten Mal von Siggi verlorene Schachspiel. Wilhelm unterbrach sie kurz: „Hier, dein Doppelter! Und Helmut? Noch einen Tee?” Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Kein Respekt vor dem Kommissar, wie?” meinte Siggi: „Komm, bring das Brett und die Figuren. Und ihm noch einen Tee, der will endlich auch in Stimmung kommen!” Nach einer weiteren halben Stunde setzte Helmut sein Gegenüber wieder mal Schach-matt: „Tja, das macht der Tee!” grinste der Oberkommissar. Und wie auch sonst üblich, so plauderten sie auch heute über die letzten beruflichen Neuigkeiten. Dabei erzählte Helmut oberflächlich vom aktuellen Fall: professionelle Autodiebstähle, die sich häuften. Osteuropäische, organisierte Banden, wahrscheinlich. Die gestohlenen Autos, meistens Nobelkarossen, waren vielleicht schon lange wieder verkauft oder in alle Einzelteile zerlegt worden. Er war mit seinem Dezernat auch nur zusätzlich in den Fall eingebunden, weil diese Diebe eine Woche vorher brutal einen mutmaßlichen Zeugen beseitigt hatten. Auf einer nahe gelegenen Müllkippe hatte man zufällig den armen Mann gefunden, hässlich zugerichtet. Schwierig, die Leute auf frischer Tat zu erwischen. Nun berichtete Siggi unter anderem auch von seinem Plan, zusätzlich eine Spielhalle zu eröffnen: „Wenn die Bar und das Hotel mal nicht mehr so gut laufen sollten, ist es besser, ein drittes Eisen im Feuer zu haben!” Er schaute sein Gegenüber aufmunternd an: „Mach doch mit! Mein Angebot steht nach wie vor! Dein Chef muss nicht alles wissen! Und wenn er es zufällig erfahren sollte, so muss er es halt im Nachhinein erlauben. Du bist doch dann bloß finanziell daran beteiligt und somit stiller Teilhaber!” „Siggi lass gut sein. Du weißt, wie ich darüber denke! Ich bin der Meinung man kann nur eine Sache gut machen! Und womöglich bin ich dann nicht mehr objektiv, mit einer Spielhölle im Milieu. Ich bin in dieser Hinsicht zu ehrlich, tut mir leid! Ich konzentriere mich voll und ganz auf meinen Job! Bei dir ist das ganz anders, du kennst das alles und bist da einfach so rein gewachsen.” Siggi zog seine Stirn kraus, respektierte aber seinen Standpunkt, schließlich kannten sie sich lange genug. Mit einem Mineralwasser für Helmut und dem fünften Doppelten für Siggi zeigte die Uhr bald Mitternacht und Bergmann ließ verlauten: „Sabine kommt gleich von der Arbeit und holt mich ab! Sollen wir dich wieder mitnehmen?” „Oh, ja! Ich bin eben gebracht worden. Dann kann ich mir das Taxi sparen. Ihr könnt mich am “HOT CAT” absetzen! Hast du mit Sabine über mein Angebot gesprochen? Es zählt auch für sie noch!” Helmut schüttelte den Kopf: „Lass mal gut sein! Sie ist lieber Krankenschwester! Und Barfrau? Ich weiß nicht, das hat doch immer noch einen bitteren Beigeschmack! Und mir wäre das, ehrlich gesagt, auch nicht recht!” Siggi musste grinsen. „Kann ich verstehen!” Sabine kam eine halbe Stunde später von ihrer Spätschicht aus dem Krankenhaus, trank sich noch eine Tasse heißen Kakao und der Abend endete, wie die Männer es vorher verabredet hatten. Sie zahlten und gingen durch die Hintertür zum Parkplatz. Hier stand der heißgeliebte, zweitürige, alte Kleinwagen von Sabine. Siggi sollte froh sein, dass er quer durch die ganze Stadt zu seiner heiß geliebten Bar gefahren wurde. Aber jedes Mal blieb er vor dem Auto stehen, grinste, und machte dann einen seiner dummen Scherze. „Oh, “er schlug beide Hände auf seine Schenkel und bückte sich. Er sprach dann in so einer Babysprache, wie alte Tanten das oft mit Kleinkindern machen: „Oh, bist du aber groß geworden!” Oder er ging theatralisch zwei Mal um den ganzen Wagen herum. Dabei machte er extra große Schritte, blieb dann stehen und kratzte sich am Kinn: „Ausgemessen! Wir passen da so gerade mal rein!” Sabine saß schon lange abwartend hinter dem Steuer und Helmut lehnte gelangweilt an der Seitentür: „Siggi lass das, du weißt doch, wir können uns nicht so eine Prunkschüssel leisten, wie du!” Endlich kam er um den Wagen herum zur Beifahrertür. Sabine klappte den Sitz nach vorne und Helmut kroch auf die enge Hinterbank. Siggi saß immer vorne. Bergmann hätte auch die lästernden Sätze über die engen Sitze im Font nicht weiter ertragen können, zumal Sabine aus diesem Grund auch nicht das beste Verhältnis zu Siggi hatte. Das würde auch nie besser werden, sie duldete ihn, ihrem Freund Helmut zu liebe. Nach zwanzig Minuten Fahrt durch die nächtliche Stadt hielten sie vor dem “HOT-CAT” und Siggi stieg aus. Sabine klappte die Rückenlehne wieder nach vorne damit Helmut nach vorne wechseln konnte. Sie hupte noch einmal kurz, er winkte zurück und verschwand unter der Neonreklame. „Das Hupen hab ich nicht gehört!” Sie dachte manchmal nicht so exakt an die Verkehrsregeln und zuckte nur mit den Schultern. „Verhaftest du mich jetzt?“ Helmut schaute sie gutmütig von der Seite an: „Du bist ein hoffnungsloser Fall! Nimm ihn nicht so ernst, der ändert sich nicht mehr!” Sabine lächelte verständnisvoll: „Ich weiß, er ist und bleibt einfach nur ein Großkotz!“ Langsam steuerte sie den Wagen aus der Halte-Bucht und fuhr mit ihrem Freund nach Hause.

-.-.-.-.-

Man hörte nur das Klappern der Rechenmaschinen, wie jeden Nachmittag, wenn die Schalter der Bank geschlossen waren. Die undurchsichtigen Gardinen hatten sich automatisch vor die verriegelten Eingangstüren gezogen. Die Kassierer addierten die Beträge in ihren Aufnahmebüchern. Dann, nach kurzer, konzentrierter Stille, kam das erleichternde Aufatmen: „Alles klar! Stimmt! Auf den Cent!” Das erlösende und entspannende Gefühl der fehlerfreien Arbeit breitete sich in seinem Körper aus: „Jetzt kann das Wochenende kommen!” Jensen, der Hauptkassierer, unterschrieb die Kassenbücher und der Kontrolleur zeichnete gegen. Jensen war schon seit geraumer Zeit Chefkassierer. Er hatte alle Abteilungen der Bank während seiner Lehre durchlaufen, aber das Kassengeschäft hatte es ihm auf Anhieb angetan. Manche glaubten ja, dass das auf Dauer viel zu eintönig wäre. Aber die Dispositionen der Geldlieferungen und Fremddevisen waren eine schöne und erfüllende Aufgabe. Der direkte Kundenkontakt würde ihm in einer internen Abteilung der auch fehlen. Zudem hatte man jeden Abend nach Dienstschluss den Kopf frei. Keine unerledigten Dinge belasteten einen. Wenn die Kasse stimmte, was hoffentlich immer so sein würde, ging er unbeschwert nach Hause und war mit seiner Arbeit fertig! In anderen Bereichen, so hörte er manchmal in der Pause, gab es doch viele unerledigte Sachen, die dann auch bei einigen Kollegen zu Missmut und Stress führten. Einer musste angeschrieben werden, weil sein Konto weit über dem Limit war, der andere ließ sein Konto überzogen zurück und war verzogen … Probleme, die ein Kassierer in seinem Arbeitsbereich nie haben würde. Andere Mitarbeiter schätzten diese abwechslungsreiche, individuelle Arbeit so sehr, dass sie sich die Arbeit eines Kassierers nur sehr schwer oder überhaupt nicht vorstellen konnten. Für ihn war diese Kassierertätigkeit genau das Richtige. Seine Kollegen verstauten die Gelder und verschlossen anschließend ihre nummerierten Tresor-Wagen. Ein Zugriff war jetzt nicht mehr möglich, da das Zeitschloss ein erneutes Öffnen für Stunden verhinderte. In einer Reihe wurden die Wagen vor dem Aufzug sortiert. Der Kontrolleur notierte die oben aufgebrachten Nummern und gab sein O.K. Nun verabschiedeten sich die Angestellten mit vielstimmigem: „Bis Montag!” „Tschüss, bis dann!” „Schönes Wochenende!” Der Beamte wartete, bis der letzte Angestellte durch die Sicherheitsschleuse zur Garderobe gegangen war. Bis auf den Hauptkassierer, den Kontrolleur und den bewaffneten Sicherheitsbeamten war die Schalterhalle in kurzer Zeit wie ausgestorben. Der große Lastenaufzug wurde geöffnet und die einzelnen Geldwagen auf ihre zugedachte Position geschoben. Als alle acht gepanzerten Wagen verstaut waren, und der Sicherheitsbeamte schon über die Wendeltreppe in den Vorraum zum Tresor herunter gegangen war, wurde nun auch endlich der Lastenaufzug aktiviert. Jetzt folgten auch die beiden anderen Herren über die gewundene Treppe nach unten. Der Vorraum war durch eine zusätzliche, feuerfeste Stahltür mit einer Kamera und einem Eingangscode gesichert. Der erste Kassierer nahm die Kette mit dem dicken Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, tippte die sechs Zahlen ein, legte zur Kontrolle seinen Daumen in den hellblau flackernden, kleinen Lichtschacht und nach der Prüfung des Fingerabdruckes durch den eingebauten Sensor leuchtete das grüne Lämpchen auf. Jetzt konnte er innerhalb von 30 Sekunden die Stahltür zum Vorraum aufschließen. Die Sicherheitszentrale, die per Kamera nur Berechtigten Zutritt gestattete, ließ jetzt die Herren in diesen sensiblen Bereich eintreten. Die 8 Tonnen schwere Tresortür hier im Vorraum, stand tagsüber offen. Sie traten gemeinsam unter den meterdicken Eisenrahmen des Eingangs. Jetzt war das verschlossene Schiebegitter an der Reihe. Die Geldwagen wurden aus dem Aufzug gerollt und bekamen ihren endgültigen, sicheren Platz, wie jeden Abend, so auch für dieses Wochenende, innerhalb des großen begehbaren Haupttresors. Nachdem das Tagesgitter wieder zugezogen und verriegelt war, wurde nun auch die Zeituhr eingestellt und der Schalter für die Hydraulik der wuchtigen Tresortür eingeschaltet: Das gelbliche Rundlicht drehte sich und ein akustischer, schnell folgender Klingelton kündigte den allabendlichen langsamen Bewegungsablauf der Tür an. Mit einem hörbaren PFFFFF verschloss die tonnenschwere Tür selbstständig. Wie von Geisterhand drehte sich das Verriegelungsrad auf der Vorderseite und rastete ein. Der Dauerton und das Flackerlicht waren außer Betrieb. Der Tresor war verschlossen!! Nun begaben sich die Herren im Vorraum zur feuerfesten Stahltür. Der Sicherheitsbeamte nahm den Hörer von der Wand meldete sich mit dem vereinbarten Code bei der Zentrale. Alle Kameras außerhalb des Tresorraumes waren permanent in Bereitschaft. Die aufgenommenen Bilder wurden ohne Verzögerung an die Leitstelle übermittelt und dort anschließend archiviert. Das Licht wurde gelöscht und auch diese Tür zu gesperrt. Der Alarm wurde außen an einem Elektronikpult aktiviert und so war auch der Bewegungsmelder innerhalb des Tresors geschärft. Als man wieder oben an der Wendeltreppe angelangt war, gingen die Angestellten hintereinander aus dem Sicherheitsbereich in die Kundenhalle. Die Kassentür wurde verriegelt und auch hier der Bewegungsalarm scharf geschlossen. Alle Türen, die sie jetzt durchschritten, wurden hinter ihnen bis zum nächsten Dienstanfang verschlossen. Im Flur, außerhalb der Sicherheitsschleuse, wurde zuletzt zusätzlich und unabhängig von allen anderen Systemen der Begehungsalarm eingeschaltet. Keine Maus hätte danach noch irgendwo herumlaufen können, ohne einen Kontakt auszulösen. Jetzt konnte auch für die restlichen Männer das Wochenende beginnen. Diese ganze Prozedur würde dann am Montagmorgen in entgegen gesetzter Richtung wieder erfolgen. Tag für Tag die gleichen Abläufe. Das waren die Sicherheitsvorschriften. Ein nächtlicher Besuch war vollkommen ausgeschlossen, da selbst das Betreten nur von mindestens drei unabhängigen Personen erfolgen konnte und der Tresor erst wieder nach Ablauf der vorher eingestellten Zeit geöffnet werden konnte. Das Geld war hier nachts absolut sicher. Karl-Heinz ging noch nicht zum Parkplatz. Er musste noch ein paar Sachen einkaufen und bei der Gelegenheit wollte er sich im Reisebüro noch einmal den Werbefilm von Thailand ausleihen: In zwei Jahren wird sein Sparvertrag frei. „Phuket und der weiße Sandstrand! Strand, so weit das Auge reicht! Warmes Wasser, Wellen, Palmen und hübsche Frauen. Immer lächelnde, freundliche Frauen im Überfluss!” Er sah die Bilder wieder vor sich! Wie damals, bei seinem ersten Urlaub vor 5 Jahren. Dieser schöne Traum sollte sich wiederholen!

Er musste einfach noch einmal wahr werden! Die laute Auto Hupe riss ihn aus seinen Träumen zurück, in die nasskalte, graue Wirklichkeit der Straßenschlucht seiner Heimatstadt. Er stand unmittelbar vor der Stoßstange eines alten Kleinwagens, der kurz vor ihm zum Stehen gekommen war. Durch die geschlossenen Scheiben hörte er einen Mann, der mit beiden Händen gestikulierte. „Können Sie denn nicht aufpassen!” „Entschuldigung!” murmelte er vor sich hin und ging um den Wagen herum. Er nickte noch mal und hob die Hand. Dann tauchte er im Menschengewühl unter! Der Gedanke, schneller und vor allem, für immer nach Thailand zu kommen; reifte in ihm langsam, aber sicher zu einer fixen Idee! Geld müsste man haben! Viel Geld! Dann hätte man alles, Freunde, Anerkennung und vor allen Dingen: keine Ängste und Sorgen mehr! Man könnte sich alles leisten! Denn dass alles “nur” eine Frage des Geldes war, hatte er in seinem Beruf mehr als einmal erlebt! Die Bankkunden mit entsprechenden Kontoständen wurden in seiner Arbeitsstelle nicht, wie alle normalen Menschen am Schalter in der Kundenhalle, sondern nur und ausschließlich von der Direktion bedient! So wollte er sich selbst auch eines Tages sehen: „Guten Tag, Herr Jensen! Welchen Betrag darf ich denn heute vom Kassierer an Sie auszahlen lassen? Eine Million? Kein Problem! Bemühen Sie sich nicht! Setzen Sie sich in den Sessel! Meine Sekretärin wird Ihnen zuerst einmal einen Kaffee bringen! Mit Milch und Zucker? Wie immer? Wir beeilen uns!“ Ja, das wäre toll! Und nicht immer nur fremdes Geld zählen, seine eigenen Banknoten verwalten und ausgeben, das schwebte ihm vor! Und wenn er einfach den kompletten Tresorinhalt mitnehmen würde? Aber die Sicherheitsbeamten, die Kontrollen, die Kassiererinnen, die Kollegen? So einfach wäre das nicht, obwohl … Tagsüber hatte er, entgegen jeglicher Regel, die alleinige, totale Kontrolle über den gesamten Geldbestand! „Dann können Sie Großkunden schneller bedienen, Sie machen das schon!“ Das hatte sein Direktor angeordnet und sich über alle Sicherheitsregeln hinweggesetzt: „Ich vertraue Ihnen auch den zweiten Schlüssel an, aber kein Wort an die Zentrale, das geht nur uns beide an!“ Es würde zwar lange dauern, wenn alle entsprechenden Mitarbeiter und der Sicherheitsbeamte zusammengekommen wären, um dann einen Großkunden endlich bedienen zu können, aber das war die normale Regel und Abfolge! Es musste also, wenn überhaupt, tagsüber erfolgen, solange dieser Zustand noch so geregelt war. Aber wie bekommt man das Geld, und das wäre gerade auch vom Umfang und Gewicht eine Menge … wie bekommt man das aus dem Vorraum in seine private Gewalt? Alleine der Gedanke hatte schon etwas Teuflisches! Aber er konnte sich nicht mehr dagegen wehren! Der Gedanke wurde zum steten Begleiter und er feilte an seiner Perfektionierung!

Der Anruf im Amt kam überraschend: „Oberkommissar Bergmann!“ „Helmut? Ich bin‟s! Siggi! Ich mach es kurz: Wollte dich zum Wochenende nach Sylt einladen! Du weißt doch, in mein Ferienhaus in Braderup, mitten in den Dünen! Mit Sabine, natürlich!” „Nach Sylt? Zum Wochenende? Ist das nicht ein bisschen knapp? Bis wir da sind? Wie kommen wir da hin? Wie soll das gehen?” „Ganz einfach, Helmut! Ich hol‟ euch Freitag nach Dienst ab und wir fahren nach Schönsee, zum Sportflugplatz. Und in gut zwei Stunden sind wir da!” „Mein Gott, mit so einem kleinen Dingen? Und wer fliegt? Du etwa?” „Nein, Tom! Du kennst ihn!” Helmut Bergmann hatte schon Fotos von dem Reet gedeckten Haus in den Dünen gesehen: mit großem, beheiztem Swimmingpool, einer riesigen Terrasse, und das alles mitten in den Dünen, wirklich Klasse! Das war schon ein verführerisches Angebot! „Ich muss das mit Sabine abklären, aber ich glaube das klappt! Sie hat erst übernächste Woche wieder Spätdienst.” Es wurde ein entspanntes und erholsames Wochenende für alle. Diesmal ohne Schachbrett und ohne über den Dienst zu reden. Sie schlenderten an der Strandpromenade vorbei, sahen sogar einige Prominente, die sie bisher nur aus Filmen kannten. Sabine genoss die entspannenden Tage und fühlte sich pudelwohl. Jeden Morgen drehte sie ihre Runden in dem beheizten Pool und danach frühstückten sie gemeinsam. Samstagabend wollte Helmut zum gemeinsamen Abendessen einladen, er fühlte sich dazu verpflichtet. „Wenn der uns schon auf seine Kosten hierher bringt und mit uns das Haus teilt, dann müssen wir das auch einmal machen!” hatte er mit Sabine besprochen. Siggi hatte am Nachmittag darüber nur gelacht. Und dann kam wieder diese Spur von Überheblichkeit in seiner Antwort: „Das würde dich mindestens ein ganzes Monatsgehalt kosten, hier in Kampen! Willst du das wirklich? Also lass gut sein! Ich habe euch hierhin eingeladen und dabei bleibt es!” Er schmunzelte spitzbübisch wie ein kleiner Junge. Was ganz Besonderes hatte er sich für den Abend ausgedacht. Gegen 18h kamen die ersten Gäste. „Woher kennt der so viele bekannte Leute?” flüsterte Sabine Helmut ins Ohr. Der zuckte nur mit den Schultern. Sie hatten so viel Prominenz noch nie gesehen. ”Kamera, verdammt noch mal, wo ist meine Kamera?” flüsterte Sabine in sein Ohr. Draußen auf der riesigen Terrasse hatte Tom schon am frühen Nachmittag den Grill vorbereitet und Punkt 19h kamen zwei Sterneköche vom benachbarten Hotel und Servicekräfte bauten ein Menü auf, das es in sich hatte. Frisch wurde dazu Fisch gegrillt und Langusten. Kaviar und Champagner, Austern und Krabben! Das musste ein Vermögen kosten! Augenblicklich verfiel Helmut in Gedanken: Der will mich doch womöglich nicht damit ködern und interne Infos von meiner Dienststelle erwarten? Sabine bemerkte Bergmanns Grübeln: „Was ist Liebling? Hast du was Falsches gegessen? Ist dir nicht gut?” Er flüsterte seiner Freundin zu, welche Bedenken er plötzlich bekommen hatte, aber Sabine lächelte nur: „Wenn das so ist, lernst du ihn von der falschen Seite kennen!” Im Nachhinein behielt sie Recht. Es kam nichts nach! Alles blieb wie gewohnt. Kein Anspielen auf den vorzüglichen Abend. Er wollte wohl nur zeigen, was er so erreicht hatte und dabei auch Sabine imponieren. Als sie am Morgen an den Pool kamen, staunten sie nicht schlecht. Da war nichts mehr zu sehen von der rauschenden Party bis in die frühen Morgenstunden. Alles stand wie am vergangenen Morgen an seinem Platz. Nun kam auch Siggi raus auf die Terrasse: „Und? Gut geschlafen? Oder war die Nacht zu kurz?” „Der Sekt war Klasse!” entgegnete Helmut beim Frühstück. Siggi drehte sich verständnisvoll zu ihm um: „Champagner, Helmut! Das war Champagner gestern Abend …in Sekt baden wir!” er zog seine Hausdame zu sich auf den Schoss. Sie lachte keck und man merkte, das war nicht das erste Mal, vielleicht war sie auch viel mehr als nur “Hausdame”. Man genoss diese herrliche Lage, das schöne Haus und am frühen Nachmittag saßen sie wieder in der zweimotorigen Cessna. Sie befanden sich mitten über der ruhigen Nordsee: „Ist das deine Verlobte? Die in dem großen Haus auf Sylt wohnt?” „Helmut! Du kennst mich doch! Das ist meine Hausdame! Die ist noch viel zu jung zum Heiraten! Und du weißt doch: Ich kann mich so schlecht entscheiden! Das können wir ja noch mal wiederholen … er nahm die rechte Hand von Sabine und deutete einen Handkuss an: „Wenn es der jungen Dame ein wenig gefallen hat?“ Sabine, sonst burschikos und selbstsicher wurde nun doch ein wenig verlegen. Sie bekam rote Wangen. Helmut kräuselte seine Stirn: „Na, na! Finger weg!“ Meinte er spaßig, „Sabine gehört zu mir!“ Er kannte die charmante Seite von Siggi, wusste aber auch, dass Sabine auf so einen nicht reinfallen würde! „Man kann sich schnell an so ein unbeschwertes Leben gewöhnen, schätzte ich, aber das macht mir nur Spaß, wenn es wirklich etwas Besonderes bleibt. Sonst wird das mit Sicherheit irgendwann öde und langweilig, oder wie siehst du das?” „Stimmt, absolut! Wirklich, ich sehe das genauso. Deshalb bin ich auch hier in der Stadt und gönne mir dieses Vergnügen nur ab und zu mal, oder wenn ich Gäste einladen kann, wie euch!” Nach der Landung wurden sie von Tom nach Hause gebracht. Von Siggi hatten sie sich schon auf dem Flugplatz verabschiedet. Er hatte da angeblich einen wichtigen Termin. „Bis Freitag, beim Willem!” hatte er ihm noch hinterher gerufen und Helmut nickte und winkte ihm zum Abschied spielerisch mit seinem Taschentuch. Tom war nicht sehr gesprächig und so schwiegen sie bis zur Haustür und verabschiedeten sich dann auch von ihm: „Vielen Dank fürs Bringen!” Tom lüftete nur kurz seine Schirmmütze, stieg ein und für den schweren Wagen davon.

Die jahrelange Routine der Sicherheitsbeamten wurde lascher und ließ Jensen aufmerksamer werden. Wenn er vorher eine größere Bestellung machen würde und kein Geld abführte? Den gesamten Bestand zwar aufnehmen, aber in Wirklichkeit in zwei große Koffer in der Garderobe im Keller deponieren würde? Aber er brauchte einen Vorsprung! Ein normales Wochenende reichte da nicht aus! Weihnachten? Ostern? Pfingsten? Ostern! Gründonnerstag ist ein langer Arbeitstag! Da werden alle froh sein, so schnell wie möglich ins verlängerte Wochenende zu kommen: Karfreitag, Samstag, Sonntag und Ostermontag! Er zählte die Tage an seinen Fingern ab! „Ideal,” murmelte er „Ostersonntag würde er schon in der Sonne liegen!” Jetzt war November und er hatte mit seinen Vorbereitungen noch viel zu tun! Weihnachten hätte da zeitlich nicht gereicht! Er besserte sein Englisch auf, errechnete das ungefähre Gewicht der Koffer und welche Stückelung er mitnehmen könnte! Er las Zollbestimmungen und wie er das illegale Geld ohne Verdacht der Geldwäsche nach Thailand transferieren könnte. (Sondergepäck Golftasche!) Mitte Januar reservierte er telefonisch einen einfachen Flug nach London und buchte gleichzeitig im Internet ein Flugticket München Paris. Im örtlichen Reisebüro informierte er sich über die Flüge in die USA. So wollte er Spuren verwischen!

Eine Woche vor Ostern wurde er zunehmend nervöser! Abends, bei der obligatorischen Kassenaufnahme hatte er eine Minus - Differenz von 200,--€. Die erste Differenz seit 3 Jahren! Ruhe bewahren! Jetzt bloß nicht auffallen, so kurz vor dem Ziel! Er versuchte, sich selbst zu beruhigen! Dann tauchten die Bilder wieder auf: Immer deutlicher sah er dann das Paradies vor sich. Die tiefen Verbeugungen und die immer lächelnden, freundlichen Asiatinnen, er hörte im Traum wieder die fremdländische und doch so vertraute Musik der Thais. Er roch den Duft, … den Duft der großen, weiten Welt.

Dienstag … Mittwoch! Noch ein Tag! Am Gründonnerstag ging alles glatter als gedacht. Von einem Geschäftsmann kamen noch 120.000,--€ und 30.000,-- in US Dollar dazu! Jensen entschloss sich, auch die ausländischen Devisen mitzunehmen! Dabei beachtete er, möglichst nur große Scheine einzupacken, um das Gesamtgewicht nicht zu hoch werden zu lassen! Als Sondergepäck für Golf, - und Taucherausrüstungen hatte er die Möglichkeit, schwere Zusatzgewichte mitnehmen zu dürfen. Er ging zwei Stunden vor Schalterschluss in den Tresor und verstaute den gesamten Geldbetrag in die zwei leeren Koffer, die er einzeln schon vor Wochen mit zur Arbeit genommen hatte. Die Koffer hatte er ausgemessen, damit sie durch den Luftschacht und die Kellerfenster passten. Er legte sie gefüllt in einen Abfallwagen und bedeckte alles mit Abfall und Papier. Jetzt schob er den schweren Wagen aus dem Vorraum durch die Stahltür in den Aufzug. Prompt klingelte sein Telefon und die Herren der Sicherheitszentrale, die das Manöver vor dem Aufzug auf ihrem Monitor verfolgt hatten, meldeten sich. Schnell hatte er die richtige Antwort parat: „Die Putzfrauen sind noch nicht da. Der Müll soll doch über Ostern nicht hier im Tresor bleiben.“ „In Ordnung! Machen Sie weiter!“ Ein Glück, dass es innerhalb der Safe Anlage keine Kamera gab, dachte er und rief seine Kassiererin an: „Frau Bahr?” er bemühte sich, ruhig zu bleiben: „Ich entsorge eben noch den Müll und muss noch zur Toilette, … mir ist nicht gut!” „In Ordnung, Herr Jensen!” Er ging die Wendeltreppe hoch, öffnete den Lastenaufzug und fuhr den wertvollen Wagen quer durch die Schalterhalle direkt in den Personenaufzug zur Fahrt in die unteren Kellerräume. Da es keinen Zugang vom Tresor zum Keller gab, musste er diesen Weg nehmen. Er schob seine Fracht durch die langen Gänge in den Klimaraum, wühlte die beiden Koffer hervor und ging damit weiter zur dahinter liegenden Fluchttür, die nur von hier innen zu öffnen war. Diese Tür blockierte er jetzt mit einem Holzkeil, ging weiter den Gang entlang und stand so auf der Rückseite der äußeren Kellerwand. Dort öffnete er den Luftschacht und schob die beiden Koffer durch das schmale Fenster ins Freie, direkt unter die dichten Sträucher auf den Hof. Hier hatten er und einige andere Angestellte ihre gemieteten Parkplätze, von der Straße nicht einsehbar und durch ein Tor gesichert. Jetzt musste er sich beeilen und ging schnell den langen Gang zurück. Dabei trat er im Durchgehen den Keil aus der Tür. Mit einem lauten, dumpfen Schlag war die feuerfeste Tür wieder verschlossen. Als er die Schalterhalle wieder betrat, kam Frau Bahr auf ihn zu: „Na, geht‟s wieder?” „Wie? Ach so! Na ja!” Sie fuhr fort: „Gut! Die Revision will nämlich noch eben mit Ihnen den Tresorbestand aufnehmen!” Frau Bahr wollte sich gerade abwenden, als sie aus dem Blickwinkel sah, wie sich Jensen am Schreibtisch abstützte. Er atmete schwer! Der Boden wankte. Die Bilder von Meer, Palmen und willigen Mädchen verschwammen zu grauverputzten Wänden, vergitterten Fenstern und bösen Blicken entschlossener, strenger Polizisten! Wieso ausgerechnet heute! So ein Dilemma! Rückgängig konnte er nichts mehr machen! Aus und vorbei! „Herr Jensen! Hallo, Herr Jensen! Hören Sie mich?” Er öffnete, auf dem Boden liegend die Augen. Ihm war zum Brechen übel und schwindelig war ihm auch! Sein Kreislauf spielte verrückt. Kalte Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Herr Jensen, Sie gehören sofort ins Bett!” Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte seine Kollegin schon den Personalchef angerufen: „Herr Trage, dem Herrn Jensen geht‟s gar nicht gut! Er kann mir die Schlüssel formlos übergeben. Ich mache dann für ihn mit der Revision die Kassenaufnahme und danach schließen wir auch gemeinsam ab. Er hat ja die Feiertage zum Erholen. Und bis Dienstag wird er hoffentlich wieder fit sein!” Wie in Trance entleerte er seine Taschen, überließ sämtliche Bankschlüssel seiner Vertretung und konnte sich kaum verabschieden, sein Mund war rappeltrocken. Er war nervlich fertig mit der Welt. „So können wir Sie doch nicht nach Hause schicken! Sollen wir Ihnen nicht doch besser ein Taxi rufen?” „Nein, nein! Geht schon!” er hatte nach diesem Dilemma panische Angst, jetzt auch noch die wertvollen Koffer nicht mehr von hier weg zu bekommen! „Alles Gute, Herr Jensen!” „Vielen Dank! Ja, … danke!” Schnell raus hier, auf den Hof! Draußen hastete er um das Gebäude, zog die Koffer aus dem Gebüsch, und schleppte sie zum Auto. „Oh, schon Feierabend? Ach so, sie wollen verreisen! Na denn mal gute Erholung und frohe Ostern.” Die Putzkolonne war ihm entgegen gekommen und hatte ihn angesprochen. Er konnte und wollte nichts erwidern. Höflich nickend, verstaute er die schweren Koffer in seinen Wagenbund fuhr mit quietschenden Reifen durch das offene Tor vom Hof. Er musste sich jetzt gewaltig sputen! Alles war durcheinander. Einige Unterlagen und den Reisepass raffte er zuhause zusammen und fuhr hastig in die fünf Kilometer entfernte Nachbarstadt. Hier mietete er sich ein Hotelzimmer und entnahm einem der Koffer ein dickes Bündel Scheine, bevor er seine schwere Beute unter das Doppelbett schob. „So ein verfluchter Mist!“ seufzte er: „Das darf doch nicht wahr sein. Müssen die ausgerechnet heute die Bestände kontrollieren? Und erst Morgen am Nachmittag geht mein Flieger!” Er verließ das gemietete Doppelzimmer und ging in ein Restaurant, um etwas zu essen. Auf dem Weg dorthin schaute er instinktiv auf seine Armbanduhr. Es war jetzt genau 19.00 h! Nun war der lange Donnerstag zu Ende! Jetzt spätestens müssten sie es wissen! Er hatte doch vorher wirklich an alles gedacht und ausführlich geplant! Und dann, zum allerletzten Schluss, kommt die Revision auf die blöde Schnapsidee, noch vor Ostern seinen Tresor aufzunehmen. Die konnten doch unmöglich etwas von seinem perfekten Plan geahnt haben! Zu dumm, das alles! Unruhe kroch in ihm hoch!

Oberkommissar Bergmann blickte zur gleichen Zeit auf seine Bürouhr, verschloss seinen Schreibtisch und den Aktenschrank hinter sich. Zu seinem Gegenüber sagte er: „Du kannst Feierabend machen, für heute sind wir fertig! Ich bin auch gleich so weit! Ich lege nur noch den Korb in den Schrank! Stell dir vor, ich bin das erste Mal nicht zum Eier-Färben gekommen! Dabei wollte ich….”weiter kam er nicht: Unheilvoll meldete sich schrill das alte, schwarze Gabeltelefon. „Um diese Zeit noch? Das wird hoffentlich Sabine sein.

„Ja, bitte? K 1, Oberkommissar Bergmann?”

„Bin ich mit der Kripo verbunden?” „Ja, ich sagte doch … K 1, mein Name ist Bergmann! Was kann ich für Sie tun, und wer sind Sie?” „Hier ist die HARO-BANK, mein Name ist Direktor Solthammer! Uns ist etwas ganz Schreckliches passiert!” Er schien sehr aufgeregt und wollte erklärte, dass die Innenrevision noch vor dem Osterfest den Tresorbestand hatte aufnehmen wollen, doch die Fächer waren, bis auf ein paar kleinere Geldbündel leer! Er redete wirres Zeug und hatte auch Vermutungen und Verdächtigungen parat! „Halt, so nicht! Nichts anfassen. Keiner darf gehen, bevor wir das nicht genehmigt haben. Bitte trennen Sie die Anwesenden voneinander und bitten Sie ihre Angestellten auch untereinander zu schweigen, bis wir ihre Aussagen einzeln voneinander zu Protokoll genommen haben. Wir kommen mit der Spurensicherung vorbei! In spätesten 10 Minuten sind wir da!” Er legte den Hörer auf und schaute seinen Partner, der das Gröbste mitbekommen hatte, an: „So ein Schiet! Und ich hatte mich so auf den Abend gefreut! Na ja, hilft nichts! Komm, sonst wird es noch später. Mal sehen was da passiert ist. Tresor leer, so ein Quatsch! Kein Überfall! Überlege mal und der Tresor soll leer sein?” Sie fuhren gemeinsam mit der Spurensicherung zur genannten Bank. Dank der Personalakten konnte das Passfoto von K. H. Jensen mit genauer Beschreibung schon in den 20.00-h-Nachrichten im Fernsehen ausgestrahlt werden: „Banktresor ausräumt! Dreister Raub! Langjähriger Mitarbeiter unter Tatverdacht! Sehr vertrauenswürdiger Hauptkassierer mit Tresorbestand verschwunden! Die Tat eines Einzelnen? Wurde er erpresst? Die Hetzjagd war eröffnet! Erst jetzt bemerkte Jensen die kleine Flimmerkiste direkt neben dem Tresen im Restaurant. Da liefen gerade die täglichen Abendnachrichten. Er saß viel zu weit weg und der Ton war viel zu leise, aber das ausgestrahlte Bild sagte ihm alles: Sein Passfoto! „Aus der Personalakte, so ein Mist!“ vermutete er leise. Er stand auf und ging so nahe zum Gerät, bis er etwas von dem viel zu leise eingestellten Ton mitbekam. Trotzdem drangen nur Wortfetzen an sein Ohr. Zusammenhängende, sinnvolle Sätze bekam er nicht mit. Dazu war er immer noch etwas zu weit weg, aber wenn er näher in Richtung Tresen gehen würde, käme mit Sicherheit erst recht Verdacht auf. Er achtete auf den Sprecher: „ Grenzkontrollen, 2,5 Mio. € … dazu noch engl. Pfund und US Dollar…. Sein Kellner stand plötzlich neben ihm: „Sie brauchen sich nicht selbst bemühen! Setzen Sie sich ruhig wieder hin. Ich bringe das Bier an ihren Tisch!” Seine Hände zitterten … Gut, dass die freundliche Bedienung den wahren Grund seiner Nähe zu dem Fernsehgerät nicht bemerkt hatte. Verlegen nickte er und folgte ihm zu seinem Platz. Plötzlich hatte er das innere Gefühl, alle würden ihn anstarren! Alle Leute wären informiert! Einige Gäste schauten auf, jedoch nickten sie ihm nur freundlich zu. Keiner beachtete ihn interessiert. „Oh je, meine Nerven spielen verrückt!“ dachte er. Auch als er fertig war, bezahlt hatte und schließlich das Lokal verließ, gab es keine verdächtigen Blicke. Reine Einbildung. Er war der festen Überzeugung, irgendeiner müsste ihn erkennen. Vielleicht hatte der Kellner unbemerkt die Polizei informiert? Seine Gedanken hatten ein Eigenleben entwickelt, er konnte nicht klar denken. Seine Achselhöhlen wurden feucht und auf der Stirn erschienen kalte Schweißtropfen. Angstschweiß! Er taumelte benebelt durch die Nacht. Das dicke Bündel 100er € Scheine in seiner Jackentasche schien sich durch den Stoff zu brennen. Planlos ging er durch die Straßen und irgendwann war er in der Altstadt, dem Vergnügungsviertel der Stadt. Die rot blinkende, auffällig helle Leuchtreklame einer Bar lockte ihn an: HOT CAT. Er trat ein und ging zur Theke. Schummriges Licht, gedämpfte Musik und nackte, junge Mädchen an verchromten Stangen, all das nahm er nur sehr flüchtig war. Er durchquerte eilig die Sitzplätze und bemerkte einige schmunzelnde Gäste, die ihm sehr verständnisvoll zulächelten. Wahrscheinlich dachten sie, er hätte es besonders nötig. Falsch gedacht! Offensichtlich hatten die hier noch keine Nachrichten gehört oder gesehen. Nichts war von seinem grandiosen Plan übrig geblieben. Der Fahndungsaufruf und sein zu schnell ausgestrahltes Bild hatten ihn völlig verunsichert. Er hatte keinen Mut mehr. Er wollte sich nur noch stellen! Seine Ruhe haben! Ein barbusiges Mädchen gesellte sich zu ihm: „Na, so alleine? Darf ich einen Champagner trinken?” Er ging auf die animierende Frage überhaupt nicht ein: „Rufen Sie die Polizei! Bitte!” Das Mädchen tänzelte zur Bar und flüsterte dem Keeper etwas ins Ohr und der griff zum Hörer und wählte. Aber er rief nicht, wie er erwartet hatte die Polizei an! Er rief seinen Chef nach vorne in den Schankraum! Und dann stand er auch schon sehr schnell hinter dem halb geöffneten Vorhang … Siggi! Der Besitzer schaltete schnell, als er Jensens Zustand sah: „Kommen Sie erst mal mit nach hinten! Es muss nicht direkt jeder mitkriegen wie es Ihnen geht! Das ist auch nicht gut für mein Geschäft und für den Umsatz!” Er schob den dicken, roten Plüschvorhang zur Seite und sie betraten ein gemütliches Hinterzimmer. Er versank im schweren, angebotenen Ledersessel. „Aber, aber! Wer wird denn gleich den Mut verlieren! Kopf hoch, so schlimm kann das doch gar nicht sein. Das bekommen wir wieder hin!” Siggi sprach beruhigend auf Jensen ein. „Trinken Sie erst einmal einen, auf den Schreck, den Sie offensichtlich hatten!” Jensen holte das Bündel Banknoten aus seiner Tasche und legte es wortlos auf den kleinen Glastisch. Der Barbesitzer schob das Geld sofort zu ihm zurück: „Nein, lassen Sie das! Geht aufs Haus!” Spätestens jetzt ahnte Jensen, dass sein Gegenüber ihm anscheinend wirklich helfen wollte. Siggi gab der Bedienung kurz ein Zeichen und das Mädchen beugte sich geschickt zu ihrem Chef herunter. Er flüsterte: „Schau die Nachrichten! Ich will genau wissen, was da mit dem los ist! Aber zuerst bring eine Flasche vom besten Schottischen, ein Malt!” Sie verschwand und kam kurze Zeit später mit einem vollen Tablett wieder: Zwei Gläser, eine Karaffe Wasser und eine Flasche Whisky stellte sie auf den kleinen Tisch. Dann flüsterte sie ihre ersten Erkenntnisse in sein Ohr. Er nickte und gab ihr einen Wink mit der Hand: „Und nun, Tür zu! Ich möchte nicht gestört werden!” Das Mädchen nickte mit dem Kopf und ging nach vorne zurück ins Lokal, um den erteilten Auftrag schnellstens zu erledigen. Nun versuchte er von Jensen zu ergründen, was den untersetzten, kleinen Mann denn so verstört und aus der Fassung gebracht hatte. Nach dem fünften Glas sprudelte es nur so aus ihm heraus. Endlich hatte er einen verständnisvollen Zuhörer, der ihn zwischendurch bewundernd lobte. Mal weinte Jensen fast und kurze Zeit später hob er resigniert die Schultern.

„Ist das Geld in Sicherheit?” Siggi schaute ihn abwartend an und die unbedachte Antwort erfolgte prompt. Die Antwort eines Dilettanten: „Im Hotel! Zum goldenen Stern! Unter meinem Bett! Ich habe den Zimmerschlüssel hier!” Damit zeigte er unverblümt den kleinen Schlüssel mit dem klobigen Messingschild. “Goldener Stern 105.” - „Ja bist du denn wahnsinnig?” Mittlerweile hatte man sich auf das verbrüdernde DU geeinigt. „Wir fahren jetzt sofort dahin, du bezahlst dein Zimmer und dann holen wir das Geld hierher! Das ist sicherer! Ich habe einen viel besseren Vorschlag für dich, als zur Polizei zu gehen. Die machen kurzen Prozess! Willst du, dass das alles so endet? Die langen Vorbereitungen und dann den Rest deines Lebens im Knast? Willst du das? … Vorschlag von mir: Ich besorge dir so schnell, wie möglich einen plastischen Chirurgen. Der verpasst dir ein neues Gesicht. Von mir bekommst du einen neuen Pass. Dann können die ruhig suchen, die finden dich nie!“ Verloren gegangene Hoffnungen, durch diese vielversprechenden Aussichten keimten bei Jensen auf? Sollte sich sein Traum doch erfüllen? Für 50 Riesen würde Siggi ihm da raus helfen. Ein Klacks, wenn er an die Erfüllung seines Traumes dachte, der verloren schien. Versteckt in einem Zimmer neben der Bar bis alles erledigt wäre. Die Angestellten sollten ihn aber nicht mehr zu Gesicht bekommen. Zu viele Zeugen wären gefährlich, erklärte Siggi. Jensen gefiel der Plan. Sein neuer Freund würde ihn da rausreißen! So stimmte er also begeistert zu! Siggi ging in den Schankraum und ließ sich über die neusten Nachrichten informieren. Dann stiegen sie ins Auto. Tom saß am Steuer, die Schirmmütze tief im Gesicht. Sie fuhren zu Jensens genannter Adresse. Nachdem sie im Hotel die Koffer abgeholt und das nicht benutzte Zimmer bezahlt hatten, fuhren sie zurück in die Bar. Über den Parkplatz brachten sie alles in die hinteren Räume. Jensen war zwar angetrunken, aber er schöpfte Hoffnung. Tom, der den Wagen gefahren hatte, wurde ihm als Arzt vorgestellt. Jensen bemerkte das nicht. Zuviel war auf ihn eingeprasselt und nachdem sie jetzt das Geld endlich in Sicherheit im HOT CAT hatten, war der betrunkene Kassierer nur überglücklich und versuchte sich zu entspannen. Tom trug einen weißen Kittel, hatte eine Brille an und sah damit ganz anders aus. Er hätte eher ein Zwilling von Siggi sein können. Der gleiche muskelbepackte Körper, braun gebrannt und mit weit offenem Hemd. Damit man immer die schweren Goldketten und die Brustbehaarung sehen konnte. Nur die dichten schwarzen Haare unterschieden ihn von seinem blonden Chef. Für die ersten Tests der bevorstehenden Gesichts O.P. nahm Tom eine Blutprobe von dem ahnungslosen Hauptkassierer. Er band dem verzweifelten Jensen den rechten Arm ab und stach mit einer Injektionsnadel vorsichtig unter die Haut. Wie ein Profi machte er das. Kein Wunder! Das hatte er zig Mal beim Bund als Sanitäter gemacht. Mit einem zufriedenen Lächeln sank K. H. Jensen in seinen Sessel zurück. Die Ernsthaftigkeit seiner Lage wurde Jensen dank der Betäubungsspritze nicht bewusst. Er saß in der Maschine, die aus dem Hager rollte. Erst das Anlassen der zwei Motoren ließen ihn ein wenig unruhig werden, aber er wusste immer noch nicht, wo er sich befand. Er war völlig benommen und realisierte auch nicht, dass seine Füße in zwei Eimern steckten. Der Beton hatte schon abgebunden und das taube Gefühl schlich seine Beine hoch. Die Maschine fuhr über den kurzen Rasen, stoppte kurz und bog dann nach links ab, um auf die asphaltierte Rollbahn zu kommen. Hier blieben sie noch einmal kurz stehen. Die Motoren heulten auf und die Maschine begann sich jetzt wieder zu bewegen. Erst langsam, dann immer schneller und schließlich hob sie schaukelnd ab. „Werde ich in die Klinik geflogen?” Siggi saß neben ihm, Tom steuerte. „Hat die Blutprobe nicht geklappt?” „Doch, mach dir keine Gedanken! Alles klappt!” Er fiel wieder im Sitz zurück und erwachte erst, als ihm ein eiskalter Wind ins Gesicht blies. Seine Seitentür war geöffnet und eine silbern glänzende Fläche fegte unter der Sportmaschine hinweg: „Hey! Meine Tür ist kaputt!” Er verlor das Gleichgewicht, denn die Betoneimer, in denen seine Füße steckten, standen im Türrahmen. Sein bester Freund Siggi hielt ihn fest. Verzweifelt versuchte er an der Sitzlehne Halt zu finden, doch der kräftige Stoß kam für ihn unerwartet und viel zu plötzlich. Bei dem harten Aufprall auf das kalte Wasser der Nordsee verlor er wieder das Bewusstsein:

Diesmal für immer!

„Immer noch kein Hinweis?” Oberkommissar Bergmann beriet sich mit seinen Leuten. Sie hatten alles auf der Pin-Wand im Büro vereint. Dort waren alle Hinweise mit Stecknadeln aufgereiht: Vorbereitung Reise Thailand. Geliehener VHS Film. Die Flüge in verschiedene Länder ließen auf eine große kriminelle Energie schließen. Das war keine Affekthandlung! Das war von langer Hand geplant. Selbst der Umstand, wie er es geschafft hatte, an allen Mitarbeitern den Tresorinhalt ins Auto zu bekommen, blieb ein Rätsel. Schwere Koffer müssten beim Grenzübergang auffallen! Konnte das dieser untersetzte, kleine Biedermann alles alleine gemacht haben? 14 Tage waren vergangen und es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Grenzen waren zu. Für ihn gab es kein raus kommen. Und doch war er verschwunden. Mit dem Auto über die grüne Grenze? Konnte nicht sein, denn den Wagen hatte man gefunden. Es gab keinen Hinweis auf eine überstürzte Flucht. Er hatte am letzten Arbeitstag eine filmreife Show geliefert. Wegen der mangelhaften Sicherheit, der Möglichkeit eines Einzelnen, alleine über so viel Geld frei verfügen zu können, hatte dem Direktor Solthammer mit sofortiger Wirkung eine Woche später seinen Job gekostet! Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Missachtung jeglicher Sicherheitsregeln. Ohne Rentenansprüche bekommt er natürlich auch keine Abfindung! Gleichzeitig wurden endlich die lang ersehnten, zeitverzögerten Tagestresore eingeführt. So war es ab nun vollkommen unmöglich, eine größere Summe sofort zu bekommen. Ab jetzt musste man den Ablauf der Zeituhr abwarten, um ein Tresorfach frei öffnen zu können.