Roman's Mittelalter 2 - Roman Schmidt - E-Book

Roman's Mittelalter 2 E-Book

Roman Schmidt

0,0

Beschreibung

Neuauflage der beiden Bücher: Die Rache des kleinen Jost Schatrandsch(Schach) sowie Ein normales Weiberleben

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 281

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



In zwei Neuauflagen habe ich drei Bücher zusammengefasst, die ich 2012 bis 2013 im gleichen Verlag veröffentlicht hatte.

Erzählungen aus einer düsteren Zeit von Roman Schmidt

Die Rache des kleinen Jost

Schatrandsch (Schach)

oder „Das zweite Leben des Thilo“.

Ein normales Weiberleben

Die vorliegenden Geschichten sind völlig frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind ausdrücklich nicht gewollt und wären rein zufällig.

Roman Schmidt MMXVI

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Rache des kleinen Jost . .

Die Macht der Obrigkeit

Hartes Überleben

Endgültig allein . . . .

Grausame Selbstjustiz

Sein Weg zum Ritter

Das gewonnene Gestech

Ein Plan reift heran

Ein kühner Plan

Auf der Veste

Finale

Schatrandsch (Schach

Auf der Veste des Landgrafen

Erstes Erwachen

Ein normales Weiberleben

Vorwort

Manche haben einen verklärten Blick auf die Epoche, die man allgemein als das Mittelalter kennt.

Meine Reisen nach Schottland, hier besonders der Besuch eines „Freilichtmuseums“ auf den Hebriden hat mir diese Zeit näher gebracht.

In diesen „Black houses“, die bis in die fünfziger Jahre noch bewohnt gewesen sein sollen, waren ein erschütterndes Erlebnis.

Ein ebenerdiger Raum, aus Bruchsteinen aufgeschichtet, mit Gras verdichtet und mit einem Strohdach ohne Schornstein, diente den armen Menschen als Behausung.

Man hatte mehrere Seile quer über das gesamte Dach gelegt und an beiden Enden daran Steine befestigt, die in Kopfhöhe herunter hingen. Man wollte so vielleicht verhindern, dass die zusammengebundenen Halme bei Wind, Sturm und Regen nicht einfach weggeweht werden konnten.

Es war kalt und zugig im Inneren. Die einzige Feuerstelle, mit Steinen umringt, verbrannte Torf, der durch den Raum zog und sich irgendwo unter dem Dach einen Ausgang suchte. (Ich weiß nicht, wie es möglich war, sich in dem Qualm aufhalten und schlafen zu können!)

Die Lebenserwartung, gerade unter den Kindern, war wegen der Kälte und fehlenden Hygiene natürlich extrem hoch.

Genauso stelle ich mir das Leben in der Zeit vor, von denen meine Geschichten erzählen. Wenn schon unter den Rittern in einer befestigten Burg das Rheuma und die Gicht eine weitverbreitete Krankheit war, so kann man sich lebhaft vorstellen, wie es erst mit dem gemeinen Volk, den leibeigenen Bauern bestellt war. Kein Wunder, dass sie sich ihr Vieh abgesperrt mit in den Wohnraum holten, um von deren Körperwärme ein wenig abzubekommen. Geruchsempfindlich durften sie wohl nicht gewesen sein, unsere Vorfahren, deren Gene versteckt immer noch in uns schlummern und die sich in manchen Situationen aus dem tiefsten Unterbewusstsein bei uns zurückmelden. (Zumindest bin ich davon überzeugt, denn unsere Ur-Ängste müssen einen Grund haben!)

Nun wünsche ich „Kurzweil und Spannung“ mit meinen Geschichten, die aus jener Zeit berichten!

Roman Schmidt (M.M.X.VI.)

Die Rache des kleinen Jost . .

Die Macht der Obrigkeit

„Diese Unverfrorenheit war also dein, ach so wichtiger Begehr?“ Der Herzog sah verächtlich auf seinen, vor ihm knienden, leibeigenen Bauern herab. Dann schaute er in die Runde seiner Gefolgsleute, wandte sich dem armen Teufel wieder zu und fuhr fort: „Deshalb bist du Wurm extra hierhergekommen und belästigst mich mit so einer Nebensache? Lässt jegliche Arbeit ruhen und feilschst um deine Brut, während die Ernte auf meinem Land verdarbt? Vernachlässigst mein dir übertragenes Lehn, um zu versuchen, deinen unnützen Balg hier am Hof unterzubringen?“ Der hohe Herr genoss seine Macht und sah noch einmal belustigt in die Gesichter seiner Ritter: „Eine Kränkung für einen jeden von euch! Wo kommen wir hin, wenn dahergelaufene Büttel danach streben, einen Eisenanzug tragen zu wollen?“ Er wandte sich noch einmal an seinen Leibeigenen: „Abgesehen von deinem Stand, wo willst du das Geld für seine Ausbildung hernehmen? Du bist mein Eigentum, samt Weib, Anhang und Gesindel! Ich kann nach Gutdünken über dich und die deinigen verfügen! Du hast das falsche Blut, Nichtsnutz! Schleift und martert ihn, allein schon seiner dreisten Worte wegen!“ Die Wachen waren schnell zur Stelle und legten den Bauern in Ketten. „Der Winzling an seiner Seite, Herr. Was machen wir mit ihm?“ Der Herzog wollte sich nicht weiter mit derart belanglosen Dingen beschäftigen: „Werft sie beide ins Angstloch und schickt meinen ersten Ritter zu dem Hof! Er solle sich mit seinen Mannen seines Weibes und der Mägde bedienen. Danach verteilt die Brut auf die anderen Höfe. Stephan, der Knecht des „Tilo im diephen Thal“ soll sich bereithalten. Er wird neuer Pächter auf dem Hof, der bis jetzt ihr Heim war. Und nun fort mit dem Gesindel!“ Der Unglückliche wollte sich noch einmal zu Wort melden, aber noch bevor eine einzige Silbe sein Maul verlassen konnte, hatte er die Faust eines Ritters gekostet. Die geballte Eisenhand hinterließ ein entstelltes Gesicht, denn der schwere Kettenhandschuh hatte mit einem Hieb seinen Kiefer und die Zähne zerschlagen. Augenblicklich brach der Getroffene in sich zusammen und wurde nun über die Steinstufen bis hinunter in den Innenhof gezogen. Seine Beine schlugen dabei jedes Mal hart auf und hingen bald unwirklich verdreht herab. Den Kleinen hatte ein Knappe einfach quer unter den Arm genommen und bald darauf stand die kleine Gruppe vor dem vergitterten Loch in einer dunklen Ecke des Hofes. Der fünfjährige Blondschopf wurde hart auf den Boden geworfen und musste verängstigt zuschauen, wie die Männer die Ketten lösten und das schwere Gitter hoben und aufstellten. Bevor der Bauer den letzten Rest von Leben, der noch in seinem Leib zu flackern schien, wiedererlangt hatte, wurde er schon kopfüber in den dunklen Schlund gestoßen. Keinen einzigen Laut hatte man gehört, nur der dumpfe Aufschlag sagte den Männern, dass der leblose Körper zehn Klafter tiefer angekommen war. „Und nun der Balg!“ Die Ritter sahen sich an, wo war der kleine Jüngling? Die Mägde und Diener, die dem Schauspiel zunächst noch zugeschaut hatten, wandten sich angeekelt ab. „Hey! Ihr da! Wo ist das Büttel?“ Die Burgbewohner gaben keine Antwort und gingen wieder ihren Arbeiten nach. Die Ritter hoben die Schultern. Was sollte der davongelaufene Winzling anrichten können? Sie ließen das Gitter herunterfallen und wickelten die Kette wieder um die fingerdicken Eisenstäbe. Danach gingen sie zurück in den Rittersaal, vielleicht würde der nächste Bittsteller den gleichen Weg antreten, denn das Loch war noch nicht voll. Zaghaft kamen ein paar junge Mägde zurück, zündeten eine kleine Fackel an und ließen sie vorsichtig in dem kleinen Eisenkorb herab, der unter dem Gitter befestigt war. Neugierig verfolgten sie den flackernden Lichtschein, der sich an den feuchten Wänden widerspiegelte. Als der Korb unter aufsetzte, sprangen ein paar Ratten quietschend zur Seite. Zweifellos brauchten sie kein Essen mehr hinunter zu lassen, denn den tiefen Sturz hatte bisher nur ein einziger Gefangener mit schweren Knochenbrüchen für ein paar Stunden überlebt. Der Bauer würde nicht vor Schmerzen die ganze Nacht schreien und ihnen den Schlaf rauben. Er lag auf dem Rücken und seine starren Augen hatten den gebrochenen Blick, den jede von ihnen nur allzu gut kannte. Sie bekreuzigten sich und murmelten ein kurzes Gebet. Er war bei seinem Schöpfer. „Ist Vater tot?“ der kleine Blondschopf stand plötzlich neben ihnen und zog fragend einer jungen Magd am bodenlangen Rock. Ohne seine überflüssige Frage zu beantworten, zischte sie ihn erschrocken an: „Du musst weg von hier! Wenn sie dich greifen, bist du verloren!“ Der Kleine verstand wohl, was ihm die Dirn da geraten hatte, aber wo sollte er denn hin? Er griff fest ihren Arm: „Ich bleib bei dir! Du wirst mich schützen!“ Die Maid war entsetzt: „Ich? Wieso ich? Ich bin gerade einmal zehn Lenze und muss in der Küche helfen. Spute dich, damit du die Veste bald von Ferne siehst! Verstehst du denn nicht? Deine Familie ist jetzt vogelfrei! Ich bring dich zum hinteren Tor, da ist jetzt keine Wache. Und lass dich nie wieder hier blicken!“ Sie packte ihn hart an der Schulter und drängte ihn zu dem schmalen Pfad, der zwischen den Stallungen hindurch zur östlichen Mauer verlief. Es war zu seinem Schutz, aber das würde der Kleine, wenn überhaupt, erst Jahre später begreifen. Natürlich nur, sofern er dann noch unter den Lebenden weilen sollte. Bald darauf waren sie an der etwas versteckt liegenden Pforte angekommen. Efeu rankte dicht um das Mauerwerk, denn dieses Tor wurde schon seit vielen Lenzen nicht mehr genutzt. Die Dirn hatte große Mühe damit, den verrosteten, sperrigen Riegel zurück zu ziehen. Endlich konnte sie das Tor quietschend einen kleinen Spalt weit öffnen. Sie schob den Jungen hinaus. Es war traurig, aber es musste sein. „Wie ruft man dich?“ wollte er noch zum Abschied wissen. „Flora! Und nun geh endlich!“ Sie schaute ihn etwas genauer an. Seine hellblonden Haare waren so lang, dass er sie mit einer Handbewegung immer wieder aus der Stirn strich. Am Hinterkopf lagen sie strähnig auf der kleinen Schulter. „Jost! Mich nennt man Jost! Ich werde wiederkommen, wenn ich groß bin!“ Dann rannte er schnell über die Grasfläche, erreichte den Waldrand und war bald darauf verschwunden. Die Dirn musste ihren ganzen Körper gegen die Pforte stemmen, um sie wieder verschließen zu können. Hoffentlich hatte sie jetzt mit ihrer Hilfe zur Flucht des Jünglings keinen Fehler gemacht. Wenn der Herzog davon erfahren würde . . . nicht auszudenken! Sie verwarf alle düsteren und schrecklichen Gedanken. „Gott wird ihn zu schützen wissen!“ sagte sie, um sich selbst zu beruhigen und ging zurück in den Hof. Eine gewisse Unsicherheit blieb.

Alwine, das Eheweib des unglücklichen Bauern, wartete vergebens auf die Rückkehr ihres Mannes. In der kleinen Stube saßen der Knecht und die beiden Mägde an der grob behauenen Holzbohle, die ihnen als Tisch diente. Sie löffelten die Hirsesuppe aus den Vertiefungen darin. „Bleibt der Bauer über Nacht?“ wollte der Knecht Tasso wissen, jedoch blieb ihm Alwine die Antwort schuldig. Als sie fertig gegessen hatten und sich zur Bettruhe begeben wollten, schlug jemand draußen gegen die Tür. „Macht auf! Schnell!“ Alwine nickte dem Knecht zu, der darauf gewartet hatte, dass ihm die Bäuerin die Erlaubnis erteilte. Wenn die Nacht hereinbrach, so trieben sich nur noch wilde Gestalten herum, die keinen Einlass mehr bekamen. Tasso hob den Balken aus den seitlichen Haken und öffnete die Tür. Völlig außer Atem stand Diethelm da, ein Diener der Burg, der manchmal bei ihnen die Pacht eingetrieben hatte. Er hatte es sehr eilig und rief ohne ein grüßendes Wort in die Stube: „Ihr müsst fliehen! Ein furchtbares Unglück!“ Schnell hatte er berichtet, was geschehen und weshalb ihr Schicksal besiegelt war. Am frühen Morgen des nächsten Tages würden die Schergen ihr Recht einfordern. Was das für sie bedeutete, war besonders den Weiber nur allzu gut bekannt. Sie bedankten sich bei dem Mann mit einem Schinken und ein paar Eiern. Er verschwand schnell wieder in die dunkle Nacht, um zur Veste zurück zu eilen, damit sein allzu langes Verschwinden keinem auffiel. Alle packten ihre Habseligkeiten und das Notwendigste zusammen. Tasso musste die drei Weiber beschützen, so gut er das mit seinen primitiven Mitteln vermochte, denn er war der einzige Mann, der noch übrig geblieben war. Sie mussten versuchen, zur Stadt zu kommen. Tasso spannte den Ochsen vor den Wagen, den sie voll beladen hatten. So konnten sie behaupten, dass sie zum Markt gekommen waren. Es würde drei Tage und Nächte dauern, bis sie die Stadt erreichen würden. Um den kleinen Jost machte sich seine Mutter Alwine große Sorgen, aber es galt auch, das eigene Leben in Sicherheit zu bringen. Der helle Mond war als kreisrunde Scheibe am wolkenlosen, schwarzen Firmament zu sehen und wurde auf seiner nächtlichen Wanderung nur von den unzähligen, kleinen, glitzernden Pünktchen begleitet. Ein paar Hühner hatten sie nicht mehr einfangen können und so machten sie sich mit dem Ochsenkarren drei Stunden später von hier fort. Mit einer Ziege und der Kuh, fest am Wagen gebunden, polterten sie über den holprigen Weg. Alwine führte die Zügel, während der Knecht voranging und die Mägde mit Fackeln seitlich den dunklen Weg ausleuchteten. Der Morgentau legte sich auf die Ebene und zeigte nach Stunden den erleichterten Flüchtlingen, dass sie sich in der Nähe des Flusses befinden mussten. Die beiden Mägde hatten sich schon lange vorher auf die Karre gesetzt, da der Dunst des angekündigten Tages hell genug war, um den Weg unbeschadet einzuhalten. Sie fuhren den ganzen Tag und die nächste Nacht durch. Der Knecht steuerte jetzt, am zweiten Morgen geschickt den zweirädrigen Wagen, während auch Alwine erschöpft zurückgesunken war. Sie hatten sich abgewechselt und nur kurze Pausen gegönnt, um das Vieh zu füttern und sich selbst zu stärken. Sie konnten die Stadt schon riechen. Zur achten Stunde würden die Tore geöffnet, bis dahin hatten sie noch gut fünf Meilen Wegstrecke vor sich. Hoffentlich würden die Wachen nicht allzu streng mit ihren Kontrollen sein, denn sollte der Herzog nach ihnen suchen, so wären sie ihm vor den Mauern machtlos ausgeliefert. Innerhalb der Stadt galt ein anderes Gesetz. Tasso könnte wieder in einer Schmiede arbeiten, die Mägde würden in einer, der vielen Schänken in der Küche oder zum Bedienen der Gäste unterkommen können. Eine anrüchige Tätigkeit zwar, aber immer noch besser, als willenlos den Schergen des Herzogs ausgeliefert zu sein. Noch eine Wegbiegung und in der Ferne sah man den aufsteigenden Rauch der vielen Kamine, die hinter dem langgezogenen Gemäuer die Bewohner wärmten. Ob die Tore schon offen waren, konnte Tasso von hier aus noch nicht erkennen. Er zog die Zügel an und der Ochse blieb augenblicklich schnaufend stehen. Die plötzliche Ruhe weckte die Weiber, die sich die Augen rieben und verwundert umherschauten. „Da!“ rief Tasso und zeigte zum Horizont. „Noch eine gute Stunde, dann sind wir in Sicherheit. Habt ihr gut geschlafen?“ Elsa schaute ihn an, ihre kurzen Haare glänzten in der Morgensonne, die sich hinter den kleinen Bäumen zeigte. „Ich habe kein Auge zumachen können! Du etwa?“ Sie drehte sich um und Minna schüttelte wild mit dem Kopf: „Ich auch nicht!“ Alwine nahm ihre Haube und verschnürte sie unter dem Kinn. Verständnisvoll nickte sie und sagte: „Keiner von uns hat Schlaf gefunden, außer dem Ochsen, der die ganze Zeit laut schnarchend geträumt hat.“ Die beiden Mägde rutschten vom Wagen: „Warte, wir müssen mal!“ riefen sie Tasso zu, der die Zügel festband und in den Sachen hinter sich kramte. „Haben wir Speck, Bäuerin?“ Alwine schüttelte mit dem Kopf: „Vielleicht sind ein paar Eier heilgeblieben und wenn du mir den Holzkübel reichen kannst, so werde ich die Kuh melken.“ Als sich Tasso herüber lehnte, sah er in einiger Entfernung Minna. Sie wurde von einem Mann am Waldrand festgehalten und zu Boden geworfen. „Bäuerin, die Axt! Schnell!“ rief er und sprang vom Wagen. Alwine gab ihm das gewünschte Werkzeug und Tasso rannte, so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Als er ankam, sah er Elsa, die von einem zweiten Burschen bedrängt wurde, sich aber noch tapfer wehren konnte. Minna hingegen lag völlig wehrlos im Gras, während der Mann versuchte, sie zu entkleiden. Er hatte den Knecht nicht gesehen, der ihm ansatzlos das Beil in den Rücken hieb. Ein dumpfer Aufschlag und der Strolch lag regungslos im Gras. Tasso riss die Axt an sich und stürmte zu dem Zweiten, der immer noch lachend an kokettes Verhalten seiner Auserwählten glaubte, die in Todesangst um sich schlug. Nun hatte sie den Knecht gesehen und hielt einen Augenblick inne. Der Mann schaute sich um, er wollte den Grund für ihren Sinneswandel erkunden. Zu spät! Das Eisen traf ihn so wuchtig am Kinn, dass der Kiefer zersplitterte und ein Blutschwall hervorbrach. Auch er sank regungslos zusammen, während Elsa einen Weinkrampf bekam und losschrie. „Sei still! Geh zum Wagen!“ Tasso streifte das Blut an der Kleidung seines Opfers ab und lief anschließend zu Minna, die immer noch zitternd im Gras lag. Sie blutete an der Lippe. Der Mann hatte wohl ihre Gegenwehr mit einem Faustschlag beendet. Er steckte den Holzstiel seiner Waffe am Rücken hinter den Gürtel und hob die Dirn aus dem Gras. Ihr Rock war zerfetzt und mit Lehm verdreckt. „Wir müssen uns eilen. Ich weiß nicht, ob die Beiden noch unter uns weilen. Ich will hinter den Mauern sein, wenn sie doch wieder aufwachen sollten, schnell!“ Die kleine Gruppe hastete zum Wagen und der Ochse brüllte laut los, als Tasso allzu hart an dem Zügel riss und damit an den Eisenringen, die in den empfindlichen Nasenflügeln festgeschmiedet waren. Es schien dem Tier stark zu schmerzen, denn es widersetzte sich nicht und trabte sofort an. Das Fuhrwerk schaukelte heftig auf dem holprigen Weg und Tasso achtete jetzt nicht mehr auf die vielen Schlaglöcher, er wollte die restliche Strecke einfach nur schnell hinter sich bringen. „Wie sieht es aus? Welche Stunde haben wir?“ Tasso schaute sich um, denn er bekam keine Antwort von den Weibern. Die Mägde hatten immer noch ihre zerrissenen Kleider am Leib und Alwine versuchte sie zu trösten. „Zieht euch um! So kommen wir unmöglich an den Wachen vorbei. Wir müssen frisch wirken!“ Sie kramte in einer Truhe und warf den Mägden Kleider von ihr zu. „Fahr vorsichtig und schau auf den Weg, Tasso!“ rief sie dem Knecht zu, der zuvor dafür gesorgt hatte, dass die Weiber nicht geschändet wurden. Eben noch hatte er sie halbnackt gesehen, deshalb schüttelte er nun den Kopf. Er konzentrierte sich auf den Weg und versuchte den Stand der Sonne am Firmament einzuschätzen. Es musste die sechste Stunde sein, denn am Stadttor herrschte reges Treiben. Er verlangsamte die Fahrt und reihte sich zwischen die anderen Wagen ein. Der Fluss machte hier einen Bogen und man konnte gut die Schleppkähne und Flösse erkennen, die in einem kleinen Hafen seitlich an der Stadtmauer fest vertäut lagen und immer noch ausgeladen wurden. Es waren breite Kutter aus den niederen Landen und Flösse, die aus dem südlich angrenzenden Gebirge Holzstämme den Fluss herunter gebracht hatten. Schon hörten sie die Fragen der Wachen und sahen die willkürlichen Kontrollen der Männer, die durchaus auch mit klingender Münze zu einer schnelleren Abfertigung bereit waren. Alwine kramte ein prall gefülltes Leinensäckchen hervor und betrachtet die angesparten Münzen. Ein paar Groschen würden alle Fragen beantworten, das wusste sie aus Erfahrung, denn sie war schon einige Male zum Markt hierher, in die Stadt gekommen. Am Wagen vor ihnen wurde soeben laut geschrien. Die Wachen stürzten sich auf die Kisten und Waren. Dann warfen sie mit ihren Lanzen die Stoffballen herunter. Was der Grund war, entging ihnen, denn ein Soldat forderte sie auf, zügig vorbei zu fahren. Unerwartet kamen sie so unkontrolliert die Stadt. Die Bäuerin ließ die vorbereiteten Münzen wieder aus ihrer geballten Faust vorsichtig zurück in den Beutel gleiten. Sie hatten unsagbares Glück gehabt. Bald darauf waren sie durch das Tor und Tasso steuerte den Wagen sicher durch die gepflasterte Gasse. Die Weiber atmeten hörbar auf, als sie im Innenhof einer Schänke anhielten. Alwine sprach mit dem Wirt, der ihnen hier entgegen gekommen war. Als der alte Mann wohlwollend nickte, konnten sich die Geflüchteten nur noch weinend vor Glück in die Arme fallen. Das Schlimmste war überstanden! Hoffentlich würde es auch so bleiben und die Schergen der Veste würden hier nicht nach ihnen suchen. Alwine verwarf ihre düsteren Gedanken, sie musste schauen, wie es weiter ging. Wir sind gerettet, sagte sie sich immer wieder. Damals kannte sie ihr bevorstehendes Schicksal natürlich noch nicht.

Hartes Überleben

Jost kannte sich in der Nähe der Herrscher-Veste nicht aus. Vater hatte ihn das erste Mal mit hierher genommen und nun, für den Kleinen völlig unerwartet, sein Leben gelassen. Warum war der edle Herr so ungehalten? Vater hatte ihn wohl loswerden wollen, das war die einzige Erklärung für Jost. Er konnte nur vermuten, dass es auf dem Lehn-Hof nicht genug zu essen für alle gab, aber war das der wirkliche Grund? Wieso sollte er, der kleine Knabe, in die Dienste des hohen, adeligen Herrn treten? Dass Vater damit nur versucht hatte, ihm hinter den schützenden Mauern ein besseres Leben zu ermöglichen, hatte er damals natürlich nicht verstehen können. Am frühen Morgen war der Bauer mit dem Spross zur Veste aufgebrochen: „Du wirst ab heute beim Herzog bleiben! Er braucht Ritter für sein Land!“ Das hatte er ihm gesagt und dabei verträumt und gleichzeitig ein wenig traurig geschaut. „Warum wirst du denn nicht Ritter? Ich will bei Mutter auf dem Hof bleiben!“ versuchte er verzweifelt sich den Anordnungen seines Vaters zu widersetzen. Dafür hatte er dann ohne Erklärung den harten, schnellen Handrücken seines Vaters auf seiner linken Wange gespürt.

Ab da war er ruhig, denn er wollte keine Schläge mehr einstecken und ihn nicht noch mehr erzürnen. Das war noch vor ein paar Stunden gewesen.

Nun saß er da, im Unterholz des kleinen Waldes und schaute zu der Pforte, aus der ihn Flora hatte entkommen lassen. „Flora! Ein schöner Name. Wo wird sie jetzt wohl sein?“ sagte er halblaut und träumte davon, irgendwann einmal zurückzukommen, um sie als Freundin zu gewinnen. Sie könnten Nachlaufen spielen und er würde ihr zeigen, wie man aus dem kleinen Ast einer Weide eine mehrstimmige Flöte schnitzen konnte.

Aber zuerst musste er natürlich versuchen, zurück zum Hof zu kommen. Seine Mutter wartete bestimmt auf ihre Rückkehr. Es lag nun an ihm, die traurige Kunde zu überbringen. Er ging am Waldrand der untergehenden Sonne entgegen und hoffte, eine Wiese mit Tieren zu finden, denn die hatten meist einen Unterstand, wo er etwas geschützt und von den Tieren gewärmt, die Nacht verbringen konnte. Es war nicht das erste Mal, dass er in einer Remise nächtigen musste. Wenn er im Sommer die Ziegen hütete, so war er auch immer draußen bei ihnen. Hier jedoch hatte er kein Glück. Keine Wiese oder Koppel, keine Tiere kein Unterstand! Er würde frieren müssen, denn die Bäume verloren schon ihr dichtes Blätterdach. Der Herbst kündigte sich an und die Sonne war schon hinter den Wolken zur Erde gefallen und hatte seine hellen, wärmenden Strahlen mitgenommen. Die kleine, fleckige Silberscheibe blickte nun durch die spärlichen Wolken und schien ihn auszulachen.

Weit konnte er nicht mehr in dem Dämmerlicht gehen und so kratzte er welke Blätter zusammen und suchte sich unter einem Baum ein Nachtquartier. Hätte er wenigstens eine Decke oder eine Joppe mitgenommen! Ein kalter Wind wehte über das dunkle Land und er kroch tief in das Blätterwerk, das den Waldboden bedeckte. Aus einiger Entfernung hörte er den schaurigen, monotonen Gesang eines Uhus, als seine Augen schwer wurden und ihn ein wilder Traum empfing. Er schaute in das schneeweiße Gesicht seines Vaters, der tief unten aus dem Loch zu ihm heraufsah. Fast sah es aus, als wollte er sich bei ihm entschuldigen. Dann meinte der Kleine, seine Stimme gehört zu haben: „Geh nicht zurück, Jost! Du hast kein Zuhause mehr!“ Erschrocken setzte er sich auf, aber es schien nur der säuselnde Wind in den Blättern gewesen zu sein, der ihm einen Streich gespielt hatte. Unruhig warf er sich hin und her, kroch erneut unter die Blätter und endlich hatte das Schicksal ein Erbarmen und die Müdigkeit überkam ihn. Er konnte noch nicht lange geschlafen haben, denn es war immer noch finsterste Nacht, als er glaubte, wieder Stimmen zu hören. Erst ganz leises Flüstern, dann eine Unterhaltung zwischen Männern. Jost lugte zwischen den Blättern hervor und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Endlich sah er in einiger Entfernung einen flackernden Lichtstreif zwischen den Bäumen. Ein Mann schwenkte wild eine brennende Fackel, die auf ihrem schnellen Weg kleine, glühende Punkte an die Umgebung verteilte. Jost setzte sich aufrecht und erkannte schnell den Grund dafür. Da kämpften Männer gegeneinander. Rufe und Angstschrei drangen an sein Ohr und im Halbschlaf war er von Panik ergriffen, wie gelähmt. Den Schatten nach zu urteilen, die in gut dreißig Schritt Entfernung da durch die Bäume huschten, musste es sich um mehrere Menschen handeln. Plötzlich rief eine männliche Stimme laut und deutlich: „Da laufen sie! Zerschlag ihnen die Gebeine! Sie dürfen nicht noch einmal entfliehen!“ Wieder brachen Äste und heftiges Atmen drang an sein Ohr. Dann krächzte eine andere, viel tiefere Stimme: „Ich hab sie! Hierher!“

Er vernahm die flehenden Rufe eines Mannes und die Schreie eines Kindes, die jedoch beide abrupt abrissen. Bald darauf schienen die Männer ihre Beute betrachtet zu haben: „Lasst sie liegen, wir haben unsere Pflicht getan. Merkt euch die Stelle, wir holen die Gebeine morgen, wenn es hell geworden ist. Ich will jetzt endlich meine Bettstall sehen, es ist spät genug geworden!“

Jost hörte nur noch murmelnde Stimmen und das knacken von Ästen. Langsam wurde es wieder ruhiger und bald war wieder völlige Stille. Wie sollte er jetzt wieder Schlaf finden, wenn er wusste, dass da in seiner direkten Nähe arme Seelen zum Schöpfer gegangen waren? Er horchte noch eine ganze Weile in die Nacht und war trotz allem wieder von der Müdigkeit übermannt worden. Stunden vergingen. Ein kalter Nebel kündigte den nahenden Sonnenaufgang an und Jost rieb noch schlaftrunken, seine Arme und Beine, die steifgeworden waren und sich anfühlten, als habe er in einem Ameisenhaufen gelegen. Sofort erinnerte er sich an die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Nacht und schaute sofort in die Richtung, wo er ungefähr die Getöteten vermutete. Bald würden die Mörder wieder zurückkommen und dann wäre auch er hier nicht mehr sicher. Er suchte sich einen kräftigen Ast und schlug sich durch das Unterholz. Bald erreichte er einen Pfad, der quer durch den Wald führte. Hier also hatten sie irgendeinen Mann und ein Kind gejagt und zerschlagen. Er musste unbedingt nach ihnen suchen, bevor er weiterging.

Abgerissene Zweige, Fußabdrücke und eine Schneise ins Dickicht zeigten ihm den Weg. Bald darauf stand er vor einem liegenden Mann, der auf dem Bauch zu schlafen schien. „Hallo?“ sagte er so leise und vorsichtig, als habe er Angst, dass der Liegende ihn tatsächlich hören konnte. Er fasste seinen ganzen Mut zusammen und packte ihn an der Schulter, und drehte ihn um. Dabei kam ein Knabe mit vornehmer Kleidung zum Vorschein, den der Mann schützend verdeckt hatte. Der Hinterkopf des Kleinen war völlig zertrümmert. Der bärtige Alte schaute mit offenen, gebrochenen Augen ins Leere. Sein Gesicht war verdreckt, aber nicht blutig. Am Gürtel waren zwei Lederbeutel und ein kleiner Dolch befestigt. Was sollte der Mann damit noch anfangen? Wieso war der kleine Junker, der ungefähr sein Alter haben musste, ebenfalls erschlagen worden? Jost zog den Dolch aus der Scheide und schnitt den Gürtel durch, den er unter dem Mann mit aller Kraft herauszog. Länger konnte er sich mit dem armen Mann nicht befassen und so lief er mit seiner Beute den Weg entlang. Nach einer halben Stunde lichteten sich die Bäume und warme Sonnenstrahlen begrüßten ihn, als er aus dem Wald trat. Hier standen in einem Gatter mehrere Rindviecher, die mit prall gefüllten Eutern auf ihn zu warten schienen. „Milch zum Frühstück, wie aufmerksam!“ sagte er sich und schon lag er unter der ersten Kuh. Mit geschickten Fäusten massierte er dünne Strahlen der köstlichen Flüssigkeit direkt in seinen Mund.

Die Lebensgeister waren wieder geweckt und er nahm den erbeuteten Gürtel mit den daran baumelnden Ledersäckchen und dem Dolch und setzte sich ins Gras. Als er sich die Waffe genauer ansah, war er richtig stolz, ein so prachtvoll verziertes Stück in seinen Händen zu wissen. Die Lederbeutel waren vollgestopft mit fremdartigen Münzen. Ein unverhoffter Reichtum, der ihn jedoch nun ängstigte. „Was, wenn der Mann und der Knabe genau deshalb gemeuchelt wurden?“ Er musste die Sachen vor fremden Augen verborgen halten. So schnürte er den Gürtel lose um seinen Hals, befestigte alle Teile wieder daran und steckte alles unter seinen Kittel, der ihm sowieso immer viel zu groß gewesen war. Dann horchte er auf. Er hörte Hufe und das Ächzen einer Holzkarre. Bald darauf kam ein Knecht mit einem Knüppel in der einen und dem Strick, der am Nasenring des Ochsen befestigt war, in der anderen, um die Wegbiegung. Er nickte nur kurz dem Jüngling zu, als er das Gespann an ihm vorbei führte. „Wie komme ich zum Hof des Rudger und seiner Frau Alwine? Kannst du mir den Weg zeigen?“

Der Knecht schaute ihn an und blieb stehen, während die Karre weiterrollte. „Ich muss zum Hof im Tal. Da kreuzt sich der Weg. Von da ist es nicht mehr weit zum Lehn Hof des Rudger. Spring auf, ich kann dich bis zur Wegbiegung mitnehmen.“ Er sah den Kleinen erwartungsvoll an: „Man ruft mich Bodo und wie nennt man dich?“ Jost war immer noch ein wenig misstrauisch. Er musste Vorsicht walten lassen und hätte sich bald dem Fremden gegenüber verraten: „Jo . . . also Go . . ., “ stotterte er los: „Golaff!“ behauptete er dann schnell und wusste doch sogleich, dass er selber diesen Namen noch nie zuvor gehört hatte. Aber nun war dieses zusammen gestellte, fremde Wort, als seine Antwort, aus Angst einfach so aus ihm herausgekommen. Bodo wirkte gelangweilt und ein wenig trottelig. Er nickte nur gleichgültig, denn ihm schien der Name, den er womöglich noch nicht einmal richtig verstanden hatte, egal zu sein.

Jost lief zum Wagen und sprang auf. Auch Bodo ging nun einen Schritt schneller und griff wieder nach dem Strick, den der Ochse am Nasenring fest verknotet hatte, um ihn weiter auf dem Weg zu führen. Die Karre war mit Heu hoch beladen und lud förmlich dazu ein, noch eine Weile auf der weichen Unterlage zu dösen. Während Bodo das Gespann sicher durch eine steinige Fuhrt führte, war Jost schon im Traumland, während er den erbeuteten Dolch fest mit den kleinen Händen umklammerte.

Endgültig allein . . . .

Jost hatte einen wilden Traum. Er lief über ein weites Feld, verfolgt von den Soldaten des Herzogs. Seine Schritte wurden immer schwerer, er kam kaum von der Stelle, während sich die Männer immer mehr näherten. Schon spürte er ihren heißen Atem und feste Hände hatten schon seine Schulter gepackt. Er wurde geschüttelt und angeschrien, immer wieder. Plötzlich wurde er wach und schaute in die sanften und erschrockenen Augen des Knechtes, der neben ihm auf dem Wagen stand: „Du hast schlecht geträumt. Sind dir Häscher auf den Fersen?“ Als er bemerkte, dass Jost nicht antworten wollte, sprang er wieder vom Wagen und sagte nur kurz: „Du bist da, ich biege jetzt ab. Wenn du noch immer zu dem Lehn – Hof des Rudger willst, so musst du diesen Weg einschlagen!“ Der Kleine rieb sich den Schlaf aus den Augen und stieg herunter: „Entschuldige, aber ich habe die letzte Nacht kaum ruhen können. Vielen Dank für die Wegstrecke!“ Der Knecht nickte nur, froh darüber, den kleinen Wicht endlich wieder loszuwerden, denn er war überzeugt, dass er irgendwo entlaufen war und nun gesucht wurde. Als die Karre in entgegengesetzter Richtung weiterfuhr, schaute der Kleine sich um. Jetzt erkannte er weit hinten am Waldrand die heimischen Felder, das Tiergatter und daneben den Rauch, der durch das Dach der kleinen Hütte nach draußen drang. Er war am Ziel. Tief atmete er die Luft ein und machte sich auf, die letzten Meter der Strecke hinter sich zu bringen. „Wie soll ich das Unheil mit Vater der Mutter erklären?“ grübelte er vor sich hin, als sich die Tür seines Elternhauses öffnete und ein Soldat ins Freie kam. Er war noch zu weit weg, um die Rufe zu verstehen, aber sie hatten ihm wohl nicht gegolten, denn kleine Büsche versperrten die freie Sicht zu ihm herauf. Außerdem hatte er die blendende Sonne im Rücken und konnte nicht erkannt werden. Nun kamen aus dem Schuppen weitere Männer des Herzogs, die er an den blauen Waffenröcken erkennen konnte. Er warf sich ins Gras und bewegte sich vorsichtig nach vorne, um zuerst abschätzen zu können, ob seine Mutter noch im Haus oder im Schuppen war. Die Männer hatten ihre Pferde am Brunnen festgebunden. Sie unterhielten sich angestrengt und gingen danach wieder in das strohgedeckte Haus zurück. Eine böse Vorahnung beschlich ihn und er dachte unwillkürlich an den Traum im Wald, als ihn sein Vater gewarnt hatte, nicht zurück zu gehen. Es war wohl doch nicht nur der Wind gewesen! Wo waren die anderen? Seine Mutter Alwine, Minna, Elsa und Tasso? Man hatte sie wohl auch schon zur Veste gebracht. Jetzt würden sie Jagd auf ihn machen! Er drehte sich um und lief, so schnell ihn seine kleinen Füße tragen konnten, den ganzen Weg zurück. Völlig außer Atem hatte er bald die Wegbiegung wieder erreicht. Ohne Pause rannte er in die gleiche Richtung, die auch Bodo, der Knecht mit dem Ochsenkarren genommen hatte. Als er eine kleine Anhöhe genommen hatte, sah er zu seiner Erleichterung den Gesuchten keine hundert Schritt von ihm entfernt unter einer dicken Eiche sitzen. Die Karre stand auf dem Weg. Der eingespannte Ochse riss mit seiner Zunge dicke Grasbüschel aus, die er lange und genüsslich zerkaute. Bodo hatte den Kleinen nicht erwartet und schaute erstaunt auf, als er vor ihm stand. „Was? Du schon wieder? Ist der Bauer nicht da?“ Jost ging auf die Frage nicht ein und setzte sich zu ihm. Wortlos reichte ihm der Knecht ein Stück Brot und einen Lederbecher, der mit einer roten Flüssigkeit gefüllt war. Jost nahm dankend an und verschlang den dargebotenen Leckerbissen, den er mit einem großen Schluck herunterspülte. Zu spät merkte er, dass es ein schwerer Rotwein war, den er noch nie zuvor gekostet hatte. Es schmeckte ihm vorzüglich, machte aber schnell einen dummen Kopf. Bodo schien das zu merken. Er lachte nur und sprach: „Du hast Probleme, stimmt’s?“ Jost nickte. „Geht es um Unterkunft oder Arbeit?“ wollte er von ihm wissen und Jost antwortete ehrlich und knapp: „Beides!“ Bodo schlug ihm auf die Schulter. „Gut, du bist jetzt mein Gehilfe. Wie sagtest du war dein Name? Gaff?“ Der Kleine schaute betroffen auf den Weg und erzählte ihm, was er bis jetzt erlebt hatte und wie sein richtiger Name war. Erstaunen konnte er Bodo damit nicht, denn der hatte sich so etwas Ähnliches schon gedacht. Sie gaben sich die Hände und der Knecht legte den Zeigefinger auf seine Lippen.