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Venedig, Mitte der 1950er Jahre: Francesco ist von unsicherer Herkunft. Seinen Vater kennt er nicht. Seine Mutter stirbt, als er noch ein Kind ist. Von ihr und einer Nonne, zu der er ›Tante‹ sagt, wird er dazu gedrängt, ins Kloster zu gehen.
Dafür opfert er seine große Liebe. Über ein Verbrechen bringt er es zum Starprediger. Doch schon zeigen sich neue Zeichen seiner Psychose. Vor dem Marienbild kniend, spielt er verrückt. Er verlässt das Kloster… und aus dem Mönch wird eine sexistische Bestie. Ein gespenstischer Mann sitzt ihm im Nacken. Vergebens versucht er, ihn abzuschütteln, bis er begreift, dass sich zwei Personen in einem Körper vereinigen. Nach einer letzten Gräueltat zeichnet der Schizophrene den Weg seiner Verbrechen auf.
Zum 28. Geburtstag händigt ihm der Prior dann aus dem Nachlass der Mutter drei versiegelte Briefe aus. Er erfährt darin, dass seine Taten noch grässlicher waren als gedacht. Um ihn davon abzuhalten, hatte man ihn ins Kloster gesteckt und das Gegenteil erreicht.
Und für diese Mitschuld müssen sie teuer zahlen …
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Meinhard-Wilhelm Schulz
Der Mönch
von Venedig
oder
Die Bekenntnisse
eines Mörders
Ein Venedig-Krimi
mit
Privatdetektiv Volpe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Claudia Westphal mit Steve Mayer nach Motiven, 2023
Korrektorat: Claudia Müller
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Personen des Dramas von 1954 bis 1958
Der Mönch von Venedig oder die Bekenntnisse eines Mörders
1. Teil: Vorbemerkungen des Hrsg. Dr. Sergiu Petrescu
2. Teil: Bekenntnis eines klösterlichen Verbrechers
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3. Teil: Bericht des Abtes Leonardo
4. Teil: Briefe
4. 1 Brief der Mutter an Francesco III.
4. 2 Brief des Malers Francesco II. an Francesco III. (Teil 1)
4. 3 Bericht des ›Alten Malers‹ (Francesco I. an Francesco II.)
4. 4 Brief des Malers Francesco II. an Francesco III. (Teil 2)
5. Teil: Abschließende Besprechung bei Giuseppe Tartini ›Volpe‹
6. Teil: Ein Stammbaum der ›Dynastie‹
Folgende Bände von Meinhard Wilhelm Schulz sind ebenfalls erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung:
Venedig, Mitte der 1950er Jahre: Francesco ist von unsicherer Herkunft. Seinen Vater kennt er nicht. Seine Mutter stirbt, als er noch ein Kind ist. Von ihr und einer Nonne, zu der er ›Tante‹ sagt, wird er dazu gedrängt, ins Kloster zu gehen.
Dafür opfert er seine große Liebe. Über ein Verbrechen bringt er es zum Starprediger. Doch schon zeigen sich neue Zeichen seiner Psychose. Vor dem Marienbild kniend, spielt er verrückt. Er verlässt das Kloster… und aus dem Mönch wird eine sexistische Bestie. Ein gespenstischer Mann sitzt ihm im Nacken. Vergebens versucht er, ihn abzuschütteln, bis er begreift, dass sich zwei Personen in einem Körper vereinigen. Nach einer letzten Gräueltat zeichnet der Schizophrene den Weg seiner Verbrechen auf.
Zum 28. Geburtstag händigt ihm der Prior dann aus dem Nachlass der Mutter drei versiegelte Briefe aus. Er erfährt darin, dass seine Taten noch grässlicher waren als gedacht. Um ihn davon abzuhalten, hatte man ihn ins Kloster gesteckt und das Gegenteil erreicht.
Und für diese Mitschuld müssen sie teuer zahlen.
***
a.) Hauptdarsteller
• Francesco III. di Forza, verbrecherischer Mönch (1930-1958)
• Maria: seine früh verstorbene Mutter
• Francesco I. & II.: seine (ihm unbekannten) Vater und Großvater
• ›Tante Caterina‹: Nonne; Oberin in Venedig; Francesco I. zugetan
• Anna Orsini: Fürstin; ihre Schwester; F. ebenfalls zugetan
• Montini, Chiara: Tochter des Alberto M.; seine Jugendliebe
• Brigitta (* ca. 1920): F. III. verliebt sich in sie im Beichtstuhl
• Ermanno (* ca. 1921): Brigittas Bruder
• Leonora: (* ca. 1919/20): F. III. und sie begehen Ehebruch
• Namenlos: der mit Leonora verheiratete Graf
• Conte Vittore (* ca. 1930): ähnelt F. III. äußerlich sehr
b.) Nebenrollen (alphabetisch)
• Berg, Hans v.: früh verstorbener Schulkamerad
• Federico: Laienbruder des Klosters
• di Fusco, Corrado: Abt eines Klosters bei Rom
• Josephus, Pater: Schul- und Internatsdirektor
• Manfredo Malatesta, alias M. Übelkopf: ein Barbier
• Pacelli, Eugenio: Papst Pius XII. († 1958)
• Ronaldo: Kammerdiener des Grafen (s. Leonora)
• Silvio, Pater: Tutor von Francesco III.
• Alberto Orsini: der Fürst (s.o. Fürstin A. Orsini)
***
Drei spannende Abende im Kaminzimmer waren gekommen. In illusterer Runde saßen wir beisammen: neben Giuseppe Tartini, Volpe (›Fuchs‹) genannt, Tenente di Fusco, Commissaria Debora, Motorradmieze Orsolina, Butler Giovanni und auch ich.
Wir lauschten der sonoren Stimme des Schauspielers, der in die Rolle des Mönchs Francesco geschlüpft war, um seine Lebensbeichte vorzutragen, aufgezeichnet wohl im Jahr 1958.
Volpe hatte das handgeschriebene Manuskript in der ›Biblioteca di San Francesco della Vigna‹ aufgestöbert. Der jung verstorbene Verfasser war im angrenzenden ›Convento dei Minori Osservanti‹ bis zu seinem bitteren Ende Mönch gewesen. Volpe forschte im Archiv des Klosters nach, um zum Ergebnis zu kommen, dass das unten folgende Drama wohl weitgehend der Wirklichkeit entspricht.
Ich habe das Manuskript von Ungereimtheiten befreit und digitalisiert. Jetzt erst wage ich, das Ergebnis zu publizieren. Auch wenn die Ereignisse schon viele Jahrzehnte zurückliegen, sind sie so spannend, als hätten sie sich gerade erst zugetragen. Das heutige Publikum möchte ich freilich auf folgende Dinge hinweisen:
• Autos waren damals eine Seltenheit
• Die Bahn fuhr gemächlich; meist mit Dampfloks
• Autobahnen gab es in Italien so gut wie keine
• Vielerorts war man mit Schotterstraßen zufrieden
• PKWs ab 50 PS galten als ›PS-Protz‹; der ›Käfer‹ hatte 30
• Der Cinquecento war der italienische ›Volkswagen‹
• Kaum jemand konnte sich einen Telefonanschluss leisten
• Notfalls ging man in die Zelle zum Münzfernsprecher
• Nicht eheliche Partnerschaften und Ehebruch waren strafbar
• Sex von Jugendlichen im Kinderzimmer war eine Straftat
• Uneheliche Kinder hatten es schwerer als heute
• Über Schwangerschaftsabbruch wurde nicht geredet
• Röcke und Kleider sollten mindestens das Knie bedecken
• (Knallenge) Hosen trugen nur mutige Emanzen
• Höschen trugen nur noch nicht erwachsene Jungen
• Am Strand trugen Damen große gepolsterte Badeanzüge
• Der neumodische Bikini war etwas für Mutige
• Er war ›riesig‹ im Vergleich mit dem heutigen Tangabikini
• Barbusig Flanierende riskierten, sofort verhaftet zu werden
• Aber es gab auch damals schon verschwiegene FKK-Anlagen
• Zähe Germanen fuhren in 3 Tage mit dem ›Mini‹ zur Adria …
• … oder mit dem ›Liegewagen‹ (Eisenbahn) an die Costa Brava
• Managerinnen und Politikerinnen waren eine Seltenheit
• Es wurden viele ›Muss-Ehen‹ geschlossen; noch keine ›Pille‹
• Dennoch waren Scheidungen damals sehr selten
• Viele (hoffentlich eheliche) Kinder zu haben, war normal
• ›Wilde Ehen‹ waren verpönt, wenn nicht strafbar
• Der Einfluss der Kirche war größer als heutzutage
• Klöster jammerten noch nicht über fehlenden Nachwuchs
• In der Schule herrschten raue Sitten, wie z.B. Prügelstrafe
• Ins Gymnasium kam man nur über strengste Aufnahmeprüfungen
• Volksschulabschluss hieß: gut rechnen, lesen, schreiben können
• Fast alle Wohnungen wurden mit Kohle oder Koks geheizt
• Erste Schwarzweißfernseher; nur 1 Programm; erst gegen Abend
• Das Mittelwellenradio war noch vorherrschend
• Dass es eines Tages Computer geben könnte, war unvorstellbar
• Bücher zu lesen, statt auf den Screen zu glotzen, war normal
• Man konnte noch Briefe usw. von Hand schreiben
• Wälder belegten mehr als die doppelte Fläche wie heute
• Es gab noch keine so große Vermüllung der Erde wie heute
• Plastikverpackungen waren eine Seltenheit
• Chruschtschow drohte mit dem atomaren Dritten Weltkrieg
• Adenauer sagte: ›Die Lage war noch nie so ernst‹.
Es geschah im August 1954, als das Verhängnis an einem bedrückend stillen Tag über mir hereinbrach. Touristen ließen sich in diesen Nachkriegszeiten nur selten blicken. Zu meinem ›Convento (Kloster) dei Minori Osservanti‹ verirrte sich niemand, obwohl unsere ›Chiesa (Kirche) di San Francesco‹ sehenswert ist.
Stille über Stille in der flimmernden Hitze des Tages. Nur die Glocken, lang und leise, ließen vom fast siebzig Meter hohen Campanile, dessen Bruder auf dem Markuspatz steht, ihren silbrigen Klang wellenförmig über der Lagune von Venedig oder dem südlich gelegenen Stadtviertel Castello schweben.
Verdrossen hatte ich meinen 24. Geburtstag hinter mich gebracht. Das Leben rann mir wie Sand durch die Finger. Die kratzige Kutte, bei dieser Hitze mein einziges Kleidungsstück, klebte mir am feuchten Leib. Ich holte ein Tuch aus dem Ärmel, um mir die Stirn trocken zu reiben. Dabei tastete ich nach einer inneren Scheide, in der stets mein scharfes Messer steckte. Dabei rutschte der Saum empor. Jetzt erblickte ich das rötliche Muttermal auf dem linken Unterarm. Ich hasste und verabscheute den Naevus, ohne sagen zu können, warum … oder doch? Es war seine widerliche Gestalt. Sie erinnerte mich an ein Kreuz, das Symbol meiner Unterjochung.
Jetzt starrte ich auf die Mauer des Konvents, hinter der sich am fernen Horizont die Gipfel der Alpen abzeichneten. Ich durchmaß den von ihr eingefriedeten Klostergarten mit seinem im leise wispernden Wind wogenden Blumenmeer. Bienen und Hummeln ließen ihr Summen und Brummen erklingen. Schmetterlinge gaukelten raschelnd um die Blüten, um sich auf ihnen niederlassend und den langen gebogenen Saugrüssel im Nektar zu versenken. Bunte Insekten krabbelten über den gekiesten Weg, hinter denen der goldgrüne Laufkäfer her war. Heute hatten sie das Glück, dass ich sie nicht in den Grund stampfte. Mir wollte es nämlich vorkommen, als ob, ausgehend vom fernen Strand der Insel Lido, Heimstatt meiner Kindheit, störende Geräusche über die Klostermauern und zu mir in den Garten hinein schwebten, die mich in den Irrsinn trieben.
Die Jugend hatte der Stadt den Rücken gekehrt und sich ans Meer begeben, in dem sich das Blau des Himmels spiegelte. Dort hatten sie die verschwitzten Kleider abgelegt, um sich in die erfrischenden Fluten zu stürzen und fröhlichsten Spielen hinzugeben …
Bis zu mir ins Kloster hinein, so wähnte ich, drang ihr Stimmengewirr, darunter das Quietschen eines Mädchens, dem die heißen Hände eines Jünglings zu nahe gekommen waren; dazu die dunkleren Töne dieser liebestollen Burschen. Gewiss lagen sie sich, vom erfrischenden Wasser der Adria umrauscht, lustvoll in Armen, um sich zu küssen. Im Geiste war ich unter ihnen und sehnte mich nach solch einem freien Leben.
Nicht nur der alte Abt meines Konvents, von dem nichts anderes zu erwarten war, nein, auch ich selber, der über Venedig hinaus berühmte Kanzelredner, hatten wiederholt gegen dieses unmoralische Treiben gewettert, ohne den geringsten Erfolg.
Oh, könnte ich doch nur bei ihnen sein und an ihren Spielen teilhaben!, dachte ich und verspürte brennende Sehnsucht nach dem Weib. Ich war im besten Alter, mich zu paaren.
Doch rasch ward mir das Vergebliche all der Wünsche gewiss. Es war mir verwehrt, weil ich vor fünf Jahren meine Gelübde abgelegt und mich für ein Leben hinter den Mauern des Klosters entschieden hatte, fern von allen verführerischen Frauen. Vor einem Monat hatte mich der Patriarch von Venedig auch noch zum Priester geweiht und damit das Tor zur Welt endgültig hinter mir zugeschlagen, für immer und ewig! Oh, mein Gott!
Das Glöckchen bimmelte widerwärtig und unregelmäßig. Ich verfluchte den Bruder, den alten Pater, der am Seil zog, diese vermoderte Gestalt, denn nun blieb mir nichts anderes übrig, als mich in unsere ›Chiesa di San Francesco‹ zu begeben, dieses den Körpergeruch der Menschen atmende Gotteshaus.
Ich schritt zuerst ins Innere einer der seitlichen Kapellen. Die Sonne stand tief und schickte ihre feurigen Strahlen durch die westlichen Fenster. Eine Mischung von grellem Rot und Blau flackerte, die sich an den Pfeilern brach. Alles wurde mit dem über die Wände kriechenden Licht erfüllt.
Hier sollte ich zunächst eine Bußandacht halten, um die Leute dann im Beichtstuhl zu empfangen. Doch die Kirche war gähnend leer. Wütend dachte ich an den Lido und sein Treiben. Dass niemand kam, lag am Wetter. Sobald es sich verschlechterte, würden sie kommen, mir ihre pikanten Sünden zu beichten.
Schon wollte ich wieder auf meine Zelle gehen, um mich dort der Lektüre des Apuleius hinzugeben, vor allem seiner erotischen Episoden, da hörte ich sanfte Schritte. Jemand näherte sich auf samtenen Sohlen. Ich schloss auf den Schuh einer Frau. Männer haben eine andere Art des Gehens. Die meisten von ihnen versuchen, kraftvoll und energisch einher zu stampfen.
Das Blut rauschte mir durch die Adern. Ein süßes Mädchen, hoffte ich, wollte bei mir beichten. Hastig begab ich mich in die seitliche Kapelle, in der sich der Beichtstuhl befindet, dieses schwarz lackierte Ungetüm, das ich so beschreiben möchte:
Er besteht aus einem inneren Gehäuse, das dem Priester vorbehalten ist. Es ist so geräumig, dass zwei ›Beichtväter‹ darin Platz fänden, um dann Rücken an Rücken zu sitzen; das Ohr lauschend dem jeweiligen Sprechgitter zugewandt. Dieser Aufwand ist lediglich bei großem Andrang üblich, eigentlich nur kurz vor Ostern.
Das Fenster in der Tür zur Kabine ist von einem luftigen Vorhang verhüllt. Der Priester kann hindurchsehen, während dem Ankömmling der Blick ins Innere verwehrt ist. Links und rechts davon befinden sich zwei ebenso verhüllte Fensterchen. Die Schmalseiten des Gehäuses sind mit je einerKniebank versehen, auf der sich das ›Beichtkind‹ niederlässt, um seine ›Sünden zu bekennen‹. Man flüstert durch ein Sprechgitter von 60x30 Zentimeter. Darunter findet man einen Sims zum Aufstützen der Unterarme oder Ellenbogen.
Das Sprechgitter besteht aus diagonalen Stäben. Es trennt ›Beichtvater‹ und ›Beichtkind‹. Während der Priester nach außen sehen kann, hat es der Kniende schwer, ihn zu erkennen. Aber man weiß ja dank Aushang, wen man vor sich hat.
Es war der Besucherin also bekannt, dass heute ich, Bruder Francesco, an der Reihe war. Sie wusste, wem sie sich anvertrauen wollte und beabsichtigte es auch. Sie war gekommen, um mich zu sprechen, den berühmten Prediger.
Bevor sie mich noch sehen konnte, zog ich die Tür hinter mir zu, legte die lila Stola um den Hals, setzte mich auf den Schemel, räusperte mich mehrfach und wartete gesenkten Hauptes und in prickender Erregung auf die Schöne, die da kommen sollte.
Durch den Vorhang gewahrte ich eine schlanke Donna, die in ein an ihr klebendes hell rosa Seidenkleid gehüllt war; ein schulterfreies Bustier; für die Süße eine Nummer zu eng und alles andere als den Kirchenbesuch geschneidert.
Sie trug nichts drunter, wie ich sah, denn dunkel spießten die Brustwarzen durch das feine Gewebe. Schweiß-Flecken ließen die Haut durchscheinen. Ihre Arme, wie von Bildhauerhand geschaffen, ragten aus den fast waagerecht gestalteten Schultern hervor und blieben meinen prüfenden Blicken ausgesetzt.
Vorne wurde der Fummel durch silberne Knöpfe zusammengehalten. Sie erinnerten mich an Münzen. Ansonsten ähnelte das Gewand einem Badeanzug. Es reichte ihr nur zwei Handbreit übers Gesäß und ließ die Schenkel frei. Ein blauer Ledergürtel mit silberner Schnalle betonte die Taille. Auch die im Geflecht grüner Sandalen steckenden Füße mit ihren rot lackierten Nägeln zogen meine Blicke maisch an. Eine silberne Kette, an die goldene Herzchen angelötet waren, klimperte über dem linken Knöchel.
Ihr Kopf war durch eine Kapuze verhüllt. Sie war am Hals mit einer gedrehten Schnur zugezogen, um dann über die Schultern zu rieseln. Vor dem Gesicht hing ein Schleier, fein wie Spinnenweben. So war es mir nicht möglich, ihre Züge zu erkennen.
Zweifellos wollte sie bei mir beichten und hatte es eilig. Die Hektik ihres federnden Ganges hatte es verraten. Der Duft eines Parfüms wehte durch das Sprechgitter und geriet mir in die Nase. Genießerisch sog ich ihn ein, während sie vor dem Beichtstuhl mit auf und ab gehender Brust den Atem auskeuchte. Ich schätzte, dass sie ungefähr meine Größe hatte, und ich bin gewiss kein Zwerg.
Einen Augenblick blieb sie stehen und atmete tief. Dann kniete sie sich nieder, was das Kleid oben rutschen ließ, legte beide Arme auf die knarrende Brüstung, neigte mir das Haupt zu und näherte sich dabei dem Sprechgitter mit dem unsichtbaren Mund, als wollte sie es küssen, ja, als wollte sie mich küssen, den Gottesmann, der noch kein Mädchen jemals geküsst hatte. Inzwischen war ich ihr so nahe gekommen, wie es ging. Nur noch die Breite eines Daumens trennte uns. Nach einem hektischen Aufatmen räusperte sie sich melodisch und hauchte zu mir hinüber:
»Laudetur Jesus Christus, Pater Franciscus!«
(Lateinisch: Gelobt sei Jesus Christus, Pater Francesco.)
»Per omnia saecula saeculorum, amen (in alle Ewigkeit)«, wollte ich antworten, doch die Worte blieben mir im Halse stecken. Meine Kehle war zugeschnürt. Ich schwieg, während das Herz ein Trommelkonzert veranstaltete und mich Begierde zu überwältigte.
Es war ihre Stimme, ihre betörende Stimme, die mich in den Irrsinn trieb. Noch nie im Leben hatte ich eine so süße Stimme gehört. Das ließ mich im Taumel erstarren. Ich erkannte, dass nach dem Drama mit und um Chiara hier die Frau meiner Träume erschienen war. In dieser Sekunde tauchte das Elend der Vergangenheit vor meinem inneren Auge wieder auf und überwältigte mich.
Ich wurde auf den Namen Francesco getauft, denn der venezianische Vater, der kurz vor meiner Geburt starb, hieß ebenso. Doch meine aus Deutschland stammende Mutter, an die ich mich noch schwach erinnern kann, nannte mich immer nur Franz. Nach dem Tod des Vaters zog sie vorübergehend nach Bayern.
Deutsch ist daher meine erste Muttersprache, auch wenn ich meine Jugend in Venedig zubrachte. Dort besuchte ich eine kirchliche Internatsschule. Der Gegensatz zwischen alter und neuer Heimat könnte nicht größer sein. Ich liebe Venedig, die schönste Stadt der Welt, aber immer noch immer habe ich das Rauschen der knorrigen Eichen des Bayernlandes im Ohr, wenn der Winterwind durch ihre Äste pfiff; an freundlichen Tagen blauer Himmel und schneebedeckte Berge. Ein Dorf lag dort. Es war dem nahen Kloster zugehörig, in welchem meine Mutter untergekrochen war. Hier verbrachte ich die ersten vier Lebensjahre.
Für Mutter war es ein Dasein in bitterster Armut. Einst war sie voller Hoffnung gewesen, als sie sich in Francesco di Forza verliebte und sich des herunter gekommenen Mannes erbarmte, wie ich erst nach Jahren erfuhr. Mutter sprach nie über ihn, nur dass er ein sündiger Mensch gewesen sei. Doch Gott habe sich seiner erbarmt, weil er zuletzt seine Verbrechen bereute, sagte sie eines Tages zu mir, erinnerte ich mich im Beichtstuhl.
Wie er aussah, weiß ich erst, seit sie mir sein Bildnis auf einem Medaillon gezeigt hatte, das ich in der Schublade meines Schreibtischs aufbewahre. Er war ein großer schlanker Mann mit Schwertnase und vorspringendem Kinn; hohe Stirn; buschige Augenbrauen; düsterer Blick; stechende Augen; spöttisch vorgewölbte Lippen; mittellanges dunkelblondes Haar, wie es im nördlichen Italien nicht selten anzutreffen ist; ein rundum unsympathischer Geselle.
Er kam mir fremd und unheimlich vor, bis ich ein gewisses Alter erreicht hatte und meine Furcht dem Staunen wich. Denn wenn ich mich im Spiegel betrachte, muss ich feststellen, dass ich ihm wie aus dem Gesicht geschnitten bin und auch sonst in allem gleiche.
Mein Papa war Sohn eines weiteren Francesco. Dessen Vater, ein Fürst aus Norditalien, hatte ihn enterbt, sagte die Mutter. Vater und Großvater hatten sich als Maler über Wasser gehalten, gelegentlich vom Bruder bzw. Onkel mit etwas Geld unterstützt.
Doch nachdem beide samt dem alten Fürsten im Grabe ruhten, waren Mutter und ich der Hilfe des Klosters bedürftig, denn jede Zuwendung aus Italien blieb nun aus. Mutter sagte mir eines Tages, als sie einen abschlägigen Brief in Händen hielt, der junge Fürst denke, ich sei ein Bastard, für den er keinen Finger rühren werde.
Sie besuchte täglich den Gottesdienst. Mich schleppte sie mit hinein. Von klein auf erzog sie mich zur Religiosität und weckte in mir das Verlangen, Priester zu werden. Es war ihr Herzenswunsch. Ich versprach es, ohne zu ahnen, welche Folgen es haben sollte.
Eines Tages machten wir uns auf die Reise nach Italien und ließen uns in der Serenissima nieder. Für Mutter war es eine größere Umstellung als für mich, weil ich die fremde Sprache von meinen Spielkameraden aufschnappte.
Wir waren in einer winzigen Wohnung zuhause, unfern des Klosters, in dem ich, der Mönch, diesen Bericht hier vollende. Solltest Du ihn zur Kenntnis genommen haben, lieber Leser, bete ein Vaterunser und ein Avemaria für meine Seele!
Auch in Venedig schleppte mich Mutter täglich zur Heiligen Messe, abwechselnd in die weiter entfernte ›Chiesa della Santa Caterina‹ samt angeschlossenem Kloster der Klarissen oder die genannte Kirche des Hl. Franziskus, in der ich gerade im Beichtstuhl saß, während die Bezaubernde vor mir kniete. Mir war der Gottesdienst bei den Klarissen lieber. Es hatte seinen Grund.
Wenn der Priester die Messe beendet hatte, kam nämlich die Oberin zu uns und hieß uns folgen. Sie geleitete uns in einen Raum mit bunt verglasten Fenstern. Dort durfte ich mich mit Mutter zu Tische setzen. Die Äbtissin brachte Leckereien herein, mit denen sie mich vollstopfte; Süßigkeiten, wie ich sie zuvor nicht gekannt hatte.
Dann durfte ich sie mit ›Tante Caterina‹ anreden und mich auf ihren Schoß setzen. Sie fragte mich, ob ich brav gebetet hätte. Ich wusste nicht, was sie meinte, gab ihr aber die gewünschte Antwort. Sie strahlte vor Freude. Dazu äußerte sie die Erwartung, dass ich eines Tages ins Kloster einträte. Ich sagte ihr das zu, ohne zu wissen, was es bedeutete. Als ich eines Tages vor dem Beginn meiner Schulzeit stand, konnte ich mir selbst nichts anderes vorstellen.
Da starb meine Mutter. Sie war schon lange krank gewesen; ein schwerer Schlag für mich; kaum sechs Jahre alt und Vollwaise! Ohne mir dessen bewusst zu sein, war ich nun mein Leben lang auf der Suche nach einer neuen Mutter.
Sie war in bitterer Armut gegangen. Ich besaß nichts als das Hemd auf dem Leib. Wenn ich gewusst hätte, wie man sich umbringt, hätte ich es getan. Es hätte mich vor dem Unglück bewahrt. Heulend stand ich an ihrem Grab, auf der Friedhofsinsel San Michele und starrte auf den Sarg hinab, in den man sie vor meinen Augen gebettet hatte. Nun polterten die Schollen hinunter, als mich jemand an der Hand nahm. Es war Tante Caterina.
Die Beisetzung war vorüber. Der Priester ging. Die Totengräber kamen, um die Grube zuzuschaufeln. Sie zog mich fort, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Tränenüberströmt folgte ich ihr.
Hinaus ging es aus dem Friedhof und mit dem Boot hinüber zum ›Convento dei Minori Osservanti‹. Sie läutete. Bruder Pförtner öffnete die kleine Klappe und fragte nach unserem Begehr. Sie wünsche Abt Leonardo zu sprechen, sagte die Oberin. Er geleitete uns ins Besucherzimmer. Kurz darauf war er zur Stelle, gemessen an seinem Amt ein junger Mann. Man grüßte sich mit einem ›Gelobt sei Jesus Christus – in Ewigkeit amen‹ und setzte sich. Mir wurde ein Stuhl angeboten. Doch ich blieb stehen. Beklommenheit erfüllte mich.
»Bruder Leonardo, Geliebter im Herrn«, hub die Äbtissin an, »wir haben hier ein Waisenkind vor uns. Der Junge heißt Francesco und ist fromm. Ich bitte Sie darum, ihn ins Internat aufzunehmen, damit er nicht unter die Räder kommt. Ich träume davon, dass er eines Tages in euer Kloster eintritt. Ich bürge für ihn. Meine Schwester und ich übernehmen die Kosten.«
»Liebe Schwester Caterina«, antwortete Leonardo und sah mich dabei recht freundlich an, »gerne will ich Ihren Wunsch erfüllen.«
Und dann scheinbar streng zu mir:
»Was höre ich da? Du willst einer der Unsrigen werden?«
Ich nickte stumm. Er sagte:
»Kennst du auch die wichtigsten Gebete, mein Junge?«
Ich rasselte ihm ein Vaterunser und ein Avemaria herunter. Er lächelte vergnügt und sagte:
»Ab morgen wohnst du im Internat. Du wirst dich daran gewöhnen, den Schlafsaal mit einem Dutzend anderer zu teilen. In der nächsten Woche beginnt der Unterricht. Denke dran, was deine Mutter im Himmel von dir erwartet. Sie sieht alles.«
Er strich mir übers Haar. Ich weinte. Die Oberin nahm mich an der Hand. Mit einem Schreiben ausgestattet, gingen wir zum klösterlichen Internat. Dort schritten wir über ausgetretene Stufen empor. Caterina zog an einem Griff, der sich neben dem Eingang befand. Drinnen ertönte das Läuten einer Glocke. Ein Mann in Kutte und geschorenem Kopf, ein Mönch, öffnete und überlas Leonardos Brief mit zusammengezogenen Augenbrauen, nickte und sagte zu mir:
»Buon Giorno, Francesco! Ich bin Bruder Federico und hier für Haus und Hof verantwortlich.«
Die Äbtissin kniff mich in den Arm. Ich stotterte:
»Guten … guten Tag, Bruder … Federico, ich … ich …«
Wieder musste ich weinen. Er nickte der Oberin zu, nahm mich am Arm und zog mich ins Halbdunkel des alten Gemäuers, das für die nächsten Jahre mein Zuhause sein sollte. Der Modergeruch wird meine Nase nie wieder verlassen.
Dumpf fiel die Tür ins Schloss. Caterinablieb draußen. Hier hatten Frauen keinen Zutritt. Ich war in einer Männerwelt gelandet, einsam und verlassen. Die Tränen strömten weiter über meine Wangen. Es war der Beginn meines neuen Lebens. Über seine Trostlosigkeit möchte ich nur Weniges sagen.
Gegen sechs Uhr wurden wir aus den Strohsäcken gerissen, um in die Anstaltskleidung zu schlüpfen, einen groben wollenen Kittel; Holzpantinen; nur an Wintertagen Strümpfe; im Sommer barfuß, um auf nüchternen Magen der Morgenandacht beizuwohnen.
Dann gab’s ein mageres Frühstück; trockene Brotkruste; Tasse heiße Milch, die mit Wasser verdünnt war. Das oben drauf schwimmende Häutchen brachte mich an den Rand des Erbrechens.
Wenn es Herbst wurde, stieg ich nachts aus dem Fenster, um mich an die Obstbäume im Klostergarten heranzumachen und manch einen Apfel zu verschlingen, ohne Gewissensbisse.
Anschließend trieb man uns zum Unterricht, der für meine Lerngruppe eines Tages in Latein erteilt wurde. Das sei die beste Voraussetzung für den Kirchendienst, sagte man bei jeder Gelegenheit, als ob ein Schulkind sich darüber Gedanken machen müsste … und überhaupt sei Latein die Schule des logischen Denkens.
Außer einem primitiven Abtritt gab es für uns keine sanitären Einrichtungen. Doch einmal pro Woche wurde ein Zuber mit Wasser gefüllt, in das der Hausdiener mit der Mistgabel Steine gab, die im Feuer erhitzt worden waren. Einer nach dem anderen hatte hinein zu steigen, um sich die Schmutzkruste mittels Bürste und Kernseife herunter zu schrubben … bis acht Tage später alles wieder von vorne begann. Immerhin wurde nach jedem Fünften das Wasser gewechselt. So etwas galt bereits als Luxus.
Man unterrichtete uns als künftige Akademiker vom ersten Schuljahr an in allen Wissenschaften. Ich brauche sie hier nicht aufzuzählen. Die Mathematik war mir von Anfang an verhasst. Die übrigen mochte ich einigermaßen. Hinzu kamen, leider nur zur Unterhaltung, die Fächer Kunst und Musik.
Obwohl ich erfahren hatte, dass Vater und Großvater in der Malkunst beschlagen gewesen waren, gelang es mir nicht, in ihre Fußstapfen zu treten, so sehr ich mich auch bemühte. Doch ›Tante Caterina‹, der ich mein Leid geklagt hatte,hörte das mit Vergnügen. Sie hoffe, so sie, ich käme nicht auf diese Vorfahren hinaus.
Musik hingegen liebte ich über alles. Ich sang mit glasglockenreiner Stimme im Knabenchor und durfte einmal sogar eine Sopranarie von Mozart vortragen. Als ich Acht geworden war, schickte man mich in die Geigenschule, die von Alberto Montini geleitet wurde. Er war Witwer; von Brindisi hergekommen; von den Damen bewundert, dieser Teufelsgeiger mit der Künstlermähne. Geige, Bratsche und Cello beherrschte er und pflegte sie jedem Schüler über den Schädel zu hauen, wenn er zufällig einmal danebengegriffen hatte.
Wie ich später erfuhr, war es Tante Caterina gewesen, welche die Kosten trug. Da sie kein eigenes Einkommen hatte, war sie auf die Mithilfe ihrer mir unbekannten Schwester angewiesen, einer Halbschwester, um genau zu sein. Sie hatte einen Fürsten geheiratet und lebte irgendwo in einem Schloss, wie mir bereits Mutter gesagt hatte und besorgten mir eine kostbare Geige. In Maestro Montinis Obhut machte ich rasch Fortschritte. Doch bevor ich Dich mit den Einzelheiten meiner Ausbildung langweile, lieber Leser, rasch zurück zu meiner Sicht der Dinge:
Verkorkst war ich durch die Mahnungen während meiner früheren Kindheit und dadurch, dass man mich in die Kirche schleppte. Dadurch wähnte ich, der geistliche Beruf komme für mich als einziger in Frage. Jetzt, im Internat, bestärkten mich die Lehrer auf diesem Weg; aber auch ›Tante Caterina‹, die sonntags besuchte.
So konnte ich mir allmählich selbst nichts Schöneres, nichts Besseres vorstellen, denn als Novize ins Kloster einzutreten, sobald mein sechzehnter Geburtstag gekommen wäre. Vielleicht hatte ich ja das Zeug zum Abt oder Bischof, wer weiß? Oder gar zum Papst?
Meine Erzieher waren von widerlicher Strenge. Dazu musste es eine Anweisung von oben gegeben haben, denn keiner in meiner Klasse schmeckte den Stock öfter als ich; oft genug, ohne dass ich einen Anlass dafür gegeben hätte. Insbesondere Pater Josephus, unser Rektor, behandelte mich mit sadistischer Grausamkeit. Stets betonte er, während er zuschlug, man müsse den Satan aus mir heraus prügeln. Was er damit meinte, verriet er nicht.
Das freilich brachte meine Kameraden dazu, sich ebenfalls ihr Mütchen an mir zu kühlen. Ich schrieb es auch der Tatsache zu, dass ich, ohne mich plagen zu müssen, Klassenbester war und als Einziger Lateinisch, Italienisch und Deutsch fließend sprach. Auf Deutsch konnte ich mich leider nur mit dem gleichaltrigen Hans v. Berg unterhalten, der die Heimat als Waisenkind verlassen hatte und mit ›Giovanni‹ angeredet wurde.
Leider starb er, kurz bevor ich ins Kloster ging, an einer Lungenentzündung; ein schwerer Verlust für mich; später aber ein Gewinn, als ich mir seinen Namen zulegte … Altgriechisch beherrschte ich übrigens bereits in Anfängen.
Da ich groß und kräftig war, wagten es die Kameraden nur zu mehreren, sich auf mich zu stürzen. Nachdem ich einmal den einen von ihnen böse mit dem mich stets begleitenden Messerchen zugerichtet hatte, ließen sie mich in Ruhe. Von nun an fristete ich mein Dasein mitten unter ihnen wie ein Ausgestoßener.
Als Violinist machte ich solche Fortschritte, dass mich Montini zum Primarius seines Nachwuchs-Orchesters beförderte, mich den Vierzehnjährigen. Dort fand sich auch seine Tochter ein, unter lauter jungen Männern. Die begabte Cellistin und aufblühende Signorina hörte auf den Namen Chiara. Sie war über ein Jahr älter als ich und zog meine Blicke magisch an.
Als schön konnte sie nicht gelten; zu süditalienisch mit ihren pechschwarzen Locken und dunklen Augen. Sie hatte nichts mit den blonden Madonnen gemein, die ich bewunderte, insbesondere die Maria mit dem offenen Mieder samt dem an die strotzende Brust gelegten Baby. Sie befand sich in einer Seitenkapelle unserer Kirche. An ihr konnte ich mich nicht satt sehen. Stundenlag kniete ich davor und betete.
Nein, eine Schönheit war Chiara nicht, aber reizend war sie doch. Jedes Mal, wenn ich ihr zu nahe kam und den Duft einatmete, den sie verströmte, überwältigten mich seltsame Beklemmung, Scheu und Schüchternheit. Wie gerne hätte ich sie umarmt und geküsst, wagte es aber nicht. Wenn sie es bemerkte, lächelte mich an und legte ihre Hand auf meine, während ich, von Glut durchströmt, den Blick zu Boden senkte.
Sie trug übrigens stets eines ihrer drei zu kurz und eng gewordenen Kinderkleidchen, deren Vorderseite von zwei Halbkugeln ausgedehnt und ausgebeult war. Auch ihre geschwungenen Waden und prächtigen Oberschenkel verfolgten mich in die Träume. Sie schien keine Schuhe zu besitzen.
Wenn ich zur Privatstunde antanzte, bedauerte mich Montini, mit einem Seitenblick auf Chiara, weil ich mich zum Tragen der Kutte entschlossen hätte. Als Geiger stünden mir die Konzerthallen offen. Ich sei sein bester Schüler. Er verfluchte, sich das Haargebirge raufend, die Mühe, die er an mir vergeudet habe.
Eines Tages, als mich der Mathematiklehrer bis an den Rand des Grabes geprügelt hatte, nur weil ich mich in der dritten Stelle hinter dem Komma vertan hatte, hinkte ich im Glauben, es sei nun nichts mehr zu verlieren, zum Rektor hinauf ins Dachgeschoss, zu Pater Josephus, um mich zu beschweren.
Der Geistliche war erstaunt, mich so keck eintreten zu sehen, und sah missbilligend von einem Buch auf, über das er gebeugt saß, Ciceros berühmte Schrift ›Über den Staat‹.
Aber ich ließ mich nicht abwimmeln und schilderte ihm, vor Wut kochend, die an mir verübten Grausamkeiten, ob er es hören wollte oder nicht. Dazu betonte ich, um wie viel besser meine Kameraden dran seien und tobte über die Ungerechtigkeit, die man ausgerechnet an mir, dem künftigen Mönch verübe.
Josephus schwieg eine Zeitlang und fuhr sich fahrig durch den weißen Haarkranz. Dann hieß er mich Platz nehmen. Ich setzte mich auf den einzigen Stuhl, einen klapprigen Hocker, der auseinanderzufallen drohte und sah ihn fragend an. Er thronte über mir, hinter dem aus Eichenholz gezimmerten Schreibtisch. Er saß in einem Ohrensessel, gepolstert mit dunkelgrünem Leder, scharrte mit den Füßen und räusperte sich, um mir dann folgendes zu sagen:
»Mein Junge, du hast erkannt, dass wir dich mit größerer Strenge als deine Kameraden erziehen. Es hat seinen Grund:
Zum einen bist du der Einzige, der in den geistlichen Stand eintreten will. Darum nehmen wir uns deiner in ganz besonders an. Die anderen Knaben werden heiraten, Kinder zeugen, ihre eines Tages alt und fett gewordenen Frauen verprügeln oder sie verlassen. Diese sind für uns von geringer, ja, von keiner Bedeutung. Ihr Leben und Sterben ist uns gleichgültig. Ganz anders ist es mit dir.
Eltern hast du keine mehr. Schwester Caterina, die Äbtissin, die dir so zugetan ist, verlangt gerade in deinem Falle die aller-allergrößte Strenge und keinerlei Nachsicht. Du trägst die Begabung in dir, es im Kirchendienst weit zu bringen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Rohdiamanten zu schleifen.
Ferner hat uns auch Abt Leonardo ins Gebet genommen, dein künftiger Chef. Er war Beichtvater deiner Mutter. Sie hat ihm Dinge gesagt, die ihm die Haare zu Berge stehen ließen. Genaueres weiß ich nicht. Er meinte nur, es liege ein Fluch über deiner Familie. Es gibt einen Bericht deines Vaters darüber. Deine Mama hat vor ihrem Tode alles versiegelt. Das Schriftstück liegt im Schrank des Abtes. Oben darauf steht, dass es dir frühestens nach deinem 25. Lebensjahr auszuhändigen sei.
Finde dich mit deiner Lage ab und nimm sie an. Wir tun unser Bestes und zeigen dir durch unsere Strenge, wie sehr wir uns um dich sorgen, mein Lieber, denn schon die Bibel sagt, wer seine Kinder liebe, der schlage sie; und noch etwas:
Du bist dabei, ein Mann zu werden. Meide die Frauen! Francesco, mache einen Bogen um die Frauen, so schwer es dir auch fallen mag! Gehe ihnen aus dem Weg, wo immer du kannst, wo immer du sie siehst! Vergiss meine Mahnung nie! Ich weiß, was ich sage. Abt Leonardo denkt genauso. Fliehe vor ihnen wie der Teufel vor dem Weihwasser, oder sie werden dich ins Unglück stürzen.«
Ich aber dachte an nichts anderes als an Chiara. Gestern erst hatte sie mich angelächelt, meine Hand genommen und ihre Wange scheu an meine Wange gelegt. Mir war heiß und kalt geworden, als sich ihre Locken über mein Gesicht ergossen und ich ihren Atem einsog. Meine Lippen durchfuhr ein Feuerstrom. Tausend Teufel flüsterten mir zu, ich solle sie küssen. Doch schon hatte sie sich wieder abgewendet.