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Orsolina Farinelli ist eine Frau mit hüftlangen rotblonden Haaren, einer Vorliebe für Motorräder, Lederoveralls und Zigarillos – und – Muse für einen blutjungen und äußerst talentierten Maler. Nichts ist, wie es scheint. Orsolina hat nach ihrem Studium eine erfolgreiche Karriere ins höhere Management einer Bank erreicht, ist mit dem jungen Maler das »ama me – amo te« eingegangen, eine grandiose Liebesgeschichte aus Verlangen und Hörigkeit und zu allem Überfluss wird ihr der Dienst in der Bank zum Verhängnis. Vor Detektiv Volpe entspinnt sich eine verzwickte Liebesgeschichte und ein fulminanter Krimi vor der Kulisse der alten Lagunenstadt Venedig. Der Umfang dieses Buches beträgt 232 Taschenbuchseiten.
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Meinhard-Wilhelm Schulz
Orsolina,
das Malermodel
Eine Venedig-Krimi
mit
Privatdetektiv Volpe
Bärenklau Exklusiv
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer, 2022
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Verzeichnis der Akteure
Orsolina: mein Vorwort
Der erste August 2022
Mein erstes Leben: an der Seite eines Künstlers (2015)
1. Teil
2. Teil
3. Teil
4. Teil
5. Teil
6. Teil
7. Teil
8. Teil
9. Teil
10. Teil
11. Teil
12. Teil
13. Teil
Nachwort
Orsolina Farinelli ist eine Frau mit hüftlangen rotblonden Haaren, einer Vorliebe für Motorräder, Lederoveralls und Zigarillos – und – Muse für einen blutjungen und äußerst talentierten Maler.
Nichts ist, wie es scheint. Orsolina hat nach ihrem Studium eine erfolgreiche Karriere ins höhere Management einer Bank erreicht, ist mit dem jungen Maler das »ama me – amo te« eingegangen, eine grandiose Liebesgeschichte aus Verlangen und Hörigkeit und zu allem Überfluss wird ihr der Dienst in der Bank zum Verhängnis.
Vor Detektiv Volpe entspinnt sich eine verzwickte Liebesgeschichte und ein fulminanter Krimi vor der Kulisse der alten Lagunenstadt Venedig.
***
a.) Ich und meine ursprüngliche Familie
Ich, Orsolina Farinelli (*1978): Dr. der BW; Tochter von …
Maria Gazzeloni-Farinelli (1956-1981): Pianistin; und von …
Amando Gazzeloni (1954-1981): Nachwuchs-Politiker
Nach dem Tod der Eltern wurde ich adoptiert von …
Dr. Isabella Mugnaio-Farinelli, meiner Tante und …
Dr. Antonio Mugnaio, ihrem Mann. Beide sind Psychiater
Dr. Giulia Mugnaio: ihre ältere Tochter; bevorzugt Lesbe; ledig
Dr. Anna Mugnaio: ihre jüngere Tochter; mannstoll; ledig
b.) Mein Geliebter und andere mir verbundene Personen
Alfredo Corelli (*1989): Kunstmaler und Hallodri
Susanna Albero: seine erste Frau; jetzt ‚Lebedame‘
Emilio & Francesco Pino: seine Kumpels; ‚Kunsthändler‘
Luigi Corvo: Kaplan; mein Beichtvater
Dottore Alfonso Giudice: mein Chef bei der Bank
Ermanno Busoni: Kunstschätzer in Venedig
Sonia Bellini: eine meiner Knastkolleginnen
Eleonora Albi: Knastschwester; Trainerin
c.) Die Detektive
Commissario Ambrosio di Fusco, Tenente
Commissaria Debora Rainone
Giuseppe Tartini ‚Volpe’: Privatdetektiv
Redaktion: Dr. med. Sergiu Petrescu
Liebes Lesepublikum, ich heiße Orsolina Farinelli (* 1978) und bin Doktor der Betriebswirtschaftslehre, Adoptivkind der Dottori Antonio Mugnaio und meiner Tante Isabella Mugnaio Farinelli; somit auch ›Schwester‹ ihrer Töchter Giulia und Anna, denn meine leiblichen Eltern (Maria Farinelli und Amando Gazzeloni) verlor ich so früh, sodass ich nur noch vage Erinnerungen an sie habe.
Ja, das Unglück, das mich im Alter von knapp vier Jahren ereilte, war mein vielversprechender Start ins Leben auf den ein jahrelanges, zunächst eintöniges, später hoch dramatisches Dasein folgte.
Als nämlich die Gelegenheit gekommen war, stürzte ich mich Hals über Kopf ins Verbrechen. Ja, ich verwandelte mich in eine mörderische Bestie, eine Verbrecherin, die über Leichen ging.
Dreieinhalb Jahrzehnte hatte ich bereits auf dem Buckel, als mir der Mann des Lebens begegnete, mein erster und einziger überhaupt.
Wer nimmt sich schon einen Krüppel zur Frau, mich, die auch in jüngeren Jahren bei jedem Schönheitswettbewerb den letzten Platz belegt hätte? Abgesehen davon habe ich mir einige Marotten zugelegt, die ein verrücktes Weib aus mir machen:
Nur zwei Stoffarten dulde ich auf der Haut, Baumwolle und Seide. Ich liebe die Farben Rosa, Himmelblau und Grün, weil sie zu meinem seltsam flimmernden rotblonden Haar und der von Sommersprossen überwucherten milchigen Haut passen. Lange Hosen, einst meine bevorzugten Beinkleider, habe ich durch Hot Pants ersetzt, unter denen ich bei kaltem Wetter Leggings trage. Meine langärmeligen Maxikleider flogen in die Kleidertonne. Ich habe mir ärmellose Minikleider zugelegt.
Unter diesen Fähnchen verzichte ich auf Reizwäsche und schminke mich nie. Dafür gönne ich jedermann den Anblick meines zerstörten Beines und meines verkrüppelten Armes, was ich früher schamhaft kaschiert hatte. Ich hinke barfuß daher, wenn es das Wetter nur zulässt. Wie ich auf den Trichter kam, folgt unten.
Wenn Du denkst, ich sei eine Zicke, möchte Dir nicht widersprechen. Solltest Du Dich ein Wenig in mich verlieben, dann kannst Du meiner Gegenliebe sicher sein. »Ama me – amo te« (liebe mich – ich liebe dich),sagt man seit über zweitausend Jahre in der bella Italia dazu. Fehlt nur noch der Bericht über meine Hobbies.
Zum einen ist es die Musik; Klassik der vergangenen fünf Jahrhunderte und vor allem der Old-time Jazz. Gerne wäre ich Geigerin geworden, aber das lässt mein Arm nicht zu.
Mein rechtes Bein macht mir die meisten normalen Sportarten unmöglich. Isabella (meine Adoptiv-Mutter) setzte mich auf ihr Pferd. Das sei der richtige Sport für mich, meinte sie. Wahrscheinlich hatte sie recht. Aber der Reitlehrer tadelte mich dafür, dass ich die rechte Hand und den rechten Fuß nicht richtig halte. Weil ich keinen Bock hatte, ihm meine Gebrechen zu erläutern, gab ich das Reiten auf, schweren Herzens.
Stattdessen suchte ich heimlich eine Motorradschule in Marghera auf und machte meinen Krad-Führerschein. In einer Garage in Mestre mietete ich dann eine Box, in der mein mittelschwerer Feuerstuhl samt Zubehör zu finden war. Jedes freie Wochenende fand ich mich dort ein, ohne dass meine neue Familie etwas ahnte.
Exzellente Kluft war mein Markenzeichen auf alle Straßen und Autobahnen: ein butterweicher Overall aus feinstem hellgrünem Leder, dem Körper angeschneidert wie eine zweite Haut. Drunter trug ich grundsätzlich nichts; dazu rote Handschuhe und schwarze Stiefeletten. Ich liebte es, mein hüftlanges rotblondes Haar aus dem Helm heraushängen und im Fahrtwind flattern zu lassen; Fahrweise rasant, aber nicht riskant, wenn ich mit unerlaubten hundertfünfzig kmh. und mehr über Verona und Bozen in die Dolomiti raste.
Gelegentlich machte ich am Gardasee halt. Über einen Forstweg fuhr ich verbotener Weise ans Ufer, um mich dort in der Einsamkeit hüllenlos in der Sonne zu rösten oder baden zu gehen.
Nackt im Wasser schwebend, vergesse ich alles, was mich bedrückt und quält. Ich fühle mich so beschwingt, als gäbe es meine Handicaps nicht. Kleidung engt mich ein wie der Sarg, in den ich in meinen Träumen gesperrt werde, um drin zu ersticken.
Wenn ich über die Autostrada rase, die vibrierende BMW unter mir, kommt es mir vor, als ritte ich einen Tiger. Dann durchbrausen mich wildeste erotische Gefühle, und mehr …
Einmal geriet ich in bei Verona in eine Radarfalle; in Italien eine Seltenheit. Zwei Carabinieri winkten mich von der Autostrada herunter auf einen gesperrten und damit einsamen Parkplatz. Sie warteten schon auf mich. Man hatte ihnen mein Vergehen per Funk durchgegeben.
Weil sie am hautengen Leder-Overall und über den Rücken wallendem Haar sahen, dass ich eine Frau war, hießen sie mich absteigen und die Hände heben. Wie einen Verbrecher tasteten sie mich ab, als suchten sie nach einer Waffe. In Wirklichkeit nutzten sie es nur aus, dass ich nichts drunter trug und ihnen ausgeliefert war.
Mir taten sie damit einen Gefallen. Ich genoss ihre an mir auf und nieder gehenden, hier und da auf gewissen Rundungen verharrenden Hände.
»Search well, Commissari«, höhnte ich schließlich und öffnete mit einem Ruck den vorderen Reißverschluss, bis zur Taille. Durch den Druck meines Körpers klaffte der Overall auseinander. Unter bellendem Gelächter ließ man mich in Ruhe.
Nachdem ich meine zweihundert Euro geblecht hatte, für die man mir natürlich keine Quittung ausstellte, schloss ich den Reißverschluss wieder und durfte ich die Fahrt fortsetzen. Erneut raste ich mit mehr als hundertfünfzig kmh gen Norden, ohne noch einmal aufgehalten zu werden. Über Trento ging’s nach Bozen und dann durchs Eggental zum Karer Pass; links die Zacken des Rosengartens, rechts die Türme des Latemar, hinein also in die schönsten Dolomiten.
Leute, was kann es Herrlicheres geben, als über erregende Pässe wie Pordoi, Falzarego, Sella und das Grödener Joch zu fahren; fast waagerecht in den Serpentinen hängend, um dabei den Wind wimmern zu hören? Sollte ich mal zu wenig Zeit haben, war es dennoch schön, nur über Belluno in den Alpago zu brausen und auf jeden Fall den himmlischen Lago di Santa Croce zu umrunden.
Ich halte nichts von der Politik und verachte die Politiker. Nur selten mag ich einen meiner Mitmenschen. Beruflich bin ich akkurat, privat chaotisch. Ich habe einen Hang zum Anarchismus und erwische mich immer wieder dabei, wie ich Terroristen bewundere.
Wenn ich mal einen angenehmen Traum erlebe, dann bin ich entweder eine von Ovationen umtoste Geigerin, oder ich fahre mit der schweren BMW wie entfesselt durch die Alpen, während mein Lover hinter mir sitzt. Fest klammert er sich mit der Linken an meinen heißen Körper, den er mit der freien Rechten unter dem feinen Leder ertastet. Kein Weltuntergang könnte mich erschüttern.
Noch kann ich’s nicht fassen, dass ich sechs Jahre aufs Motorrad verzichten musste; sechs lange Jahre, in denen ich auch auf meinen allabendlichen Zigarillo verzichten musste.
Bekanntlich verbrachte ich sie im Frauengefängnis zu Padua. Eine Zeit zwischen Grauen und Hoffnung war es, zwischen Traum und Wirklichkeit. Es hätten sechs weitere Jahre Knast sein können, ja, sein sollen, aber …
Mein Desaster, über das ich gleich berichte, wurde unmittelbar durch einen Geistesblitz des Privatdetektivs Giuseppe Tartini Volpe verursacht. Nachdem wir den Keller der Bank unter Wasser gesetzt hatten, konnte man davon ausgehen, dass alle Spuren getilgt waren. Tenente Commissario di Fusco zog seinen oben genannten Freund hinzu, als er im Dunklen tappte. Das gab den Ausschlag.
Volpe schlenderte nämlich nur ein einziges Mal durch die Bank und besichtigte den leer gepumpten Keller. Dann deutete er kichernd auf den Schrank am Ende des blinden Korridors. Als man dort neben Fußspuren im Staub auch meine Fingerabdrücke entdeckt hatte, konnte er das Verbrechen rekonstruieren.
Aber auch ohne ihn wäre mir das böse Ende vielleicht nicht erspart geblieben. Jedenfalls müsste ich ihn dafür hassen, doch ich liebe ihn, ebenso wie Ambrosio und seine Assistentin Debora; doch genug der einleitenden Worte! Kommen wir zur Sache! Wenn’s erlaubt ist, möchte ich einen Zigarillo dazu rauchen. Danke, Signori!
Flimmernde Sommerhitze, obwohl erst zwölf Uhr Mittag; einer der heißesten Sommertage. Ich trete blinzelnd vor das Portal des Frauengefängnisses zu Padua, auf die Krücke mit dem silbernen Griff gestützt. Sie ist mein Markenzeichen. Ein Taxi wartet mit laufendem Motor. Barfuß hinke ich auf den Wagen zu. Den linken Fuß rolle ich dabei ab; mit dem rechten gehe ich eher auf Ballen, denn das Bein ist ein klein wenig zu kurz.
Der verschwitzte Chauffeur denkt gar nicht daran, auszusteigen, obwohl er sehen müsste, wie ich mich quäle. Ich schätze ihn auf fünfundzwanzig und ziehe die Mundwinkel herunter. Kein Typ zum Verlieben. Statt die Tür aufzuhalten, glotzt er mir entgegen.
Ich öffne selber, lege den Koffer auf den Rücksitz, werfe die Krücke hinterher und steige ein, indem ich mich rücklings auf den Vordersitz fallen lasse, die Knie angewinkelt, wobei mir das kurze Kleid bis über den Slip empor rutscht. Dann nenne ich den Bahnhof als Ziel. Er nickt, fährt los und verrät kein Interesse an mir. Ich sitze neben ihm, atme seinen Dunst ein und ekle mich.
Die Kiste hat keine Klimaanlage. Glühende Luft faucht stoßweise um mein Gesicht und knattert mir in den Ohren. Ich wische den Schweiß von der Stirn. Das Kleid beginnt, mir am Körper zu kleben, denn außer dem Höschen trage ich nichts drunter. Nasse Flecken machen es hier und da transparent.
Er stellt das Radio auf Brüllstärke. Die Rock-Band kenne ich nicht. Ich hasse diese Musik, denn sie erinnert mich dran, dass ich nicht in der Tanzstunde und nie in der Diskothek gewesen war. Wir nähern uns dem Bahnhof, wir kommen an.
Ich zahle und stecke ihm ein Trinkgeld zu. Ohne sich zu bedanken, braust er davon. Süßlicher Dieselgestank steigt mir in die Nase und das Rollen ferner Züge ins Ohr. Ich setze den Koffer auf das Pflaster und mache mich am hochgerutschten Saum des Fummels zu schaffen. Ein Lautsprecher schnarrt. Menschen wimmeln ziellos durcheinander. Eilig hinke ich zum IC nach Venedig, meiner geliebten Heimatstadt. Wie ich sie in diesen Jahren vermisst habe!
Die Fahrt ist kurz. Im Bahnhof Santa Lucia angekommen, schleppe ich mich samt Gebäck zum Hotel, meiner ersten Unterkunft in der Serenissima. Dort mustert mich der Portier von oben bis unten, als wollte er mich entkleiden. Süffisant zieht er die Augenbrauen nach oben, sagt aber nichts, wohl wissend, wer ich bin und woher ich komme. Er geleitet mich zum Aufzug. Ich hinke neben ihm her, auf den Stock mit dem silbernen Knauf gestützt. Das Gepäck muss ich selber tragen. Mit dem elenden rechten Arm fällt es mir schwer.
Im dritten Stock angekommen, führt er mich über einen durch seitlich angebrachte Lampen erleuchteten Gang samt einem Geräusche schluckenden Läufer, bugsiert mich in das bei der Gefängnisverwaltung vorbestellte Zimmer, macht eine Handbewegung, die einladend wirken soll, dreht sich um und lässt mich stehen.
Das eintönige Summen der Klimaanlage begrüßt mich. Einsamkeit und Stille schlagen über mir zusammen. Rasch stopfe ich meine Siebensachen in den Einbauschrank. Ab heute bin ich ein freier Mensch, und das nach sechs scheußlichen Jahren. Noch kann ich’s kaum fassen.
Die letzten vierzehn Monate teilte ich die Zelle mit einer zehn Jahre jüngeren Mörderin, meiner Kollegin. Es gibt da freilich einen kleinen Unterschied: Sonia Bellini hatte ihre Partnerin aus Eifersucht, ich meinen zudringlichen Chef umgebracht. Wenn sie frei kommt, wollen wir uns treffen. Sie ist eine sportliche Brünette und hat sich, wie auch ich, von unserer Trainerin den nötigen Schliff verpassen lassen, nur dass wir grundverschiedene Arten wählten. Eigentlich bin ich keine Lesbe. Doch in ihren Armen fand ich Trost. Es störte sie nicht, dass ich missgestaltet bin.
Ich gehe jetzt ans Fenster und ziehe den Vorhang weg, um die würzige Luft der Serenissima einzusaugen. Mein Blick fällt dabei auf den in der Sonne gleißenden Canal Grande. Gemächlich, ja, fast majestätisch gleitet ein Vaporetto Richtung Rialto. Wie herrlich! Ich bin frei, vorzeitig entlassen und muss jetzt sehen, wie ich mich im neuen Leben zurechtfinde.
Irgendwie wird es gehen. Ich bin aufgrund der Miete, die mir das geerbte Häuschen einbringt, in der Lage, die Zeit zu überbrücken. Es liegt in der Cannaregio im calle delle case nuove (Neuhausgasse; zehn Minuten vom Bahnhof). Meine Adoptiveltern haben es für mich verwaltet, vermietet und das Geld angelegt. Es wird gerade renoviert. Demnächst kann ich dort einziehen. Dann fehlt mir nur noch ein Job. Fragt sich nur, wer eine Mörderin einstellt.
Die Klimaanlage fächelt Kühle. Das Minikleid, welches ich mit der Anstaltskluft vertauscht hatte, wird vom blauen Gürtel mit silberner Schnalle zweigeteilt und ist nichts als ein elastischer Schlauch. Ohne Träger endet es unterhalb der Schultern, auf die sich mein rotblondes Haar ringelt. Der Fummel ist feucht und plötzlich unangenehm kalt. Knorrig arbeiten sich die Brustwarzen durch den Stoff.
Bevor ich Alfredo kennenlernte, trug ich lange Hosen samt langärmeligen Blusen; auch Herrenhemden oder Maxikleider. Den rechten Fuß klemmte ich in einen Treter mit etwas verdickter Sohle. Ich hatte nie einen Lover. Man hielt mich für prüde.
Eines fernen Tages fragte mich ein Klassenkamerad, ob ich mit ihm gehen wollte, aber ich drehte mich weg. Ich zerfloss vor Selbstmitleid und hätte sein Mitleid nicht ertragen können. Er fand eine andere. Ich verfluchte meine Dummheit, denn nun zogen Jahre der Einsamkeit vorüber. Erst mit Fünfunddreißig wähnte ich den passenden Mann gefunden zu haben. Er stürzte mich ins Unglück.
Dennoch vergehe ich vor Sehnsucht nach ihm. Er lehrte mich, was Lieben ist und brachte mich dazu, Hot Pants und Minikleider zu tragen. Das ist nun sechs Jahre her.
Dennoch werde ich trotz meiner Dreiundvierzig keinen Rückfall erleiden und meinen Körper wieder verstecken. Vielmehr beabsichtige ich, demnächst im Tangabikini am Strand meiner geliebten Insel Lido zu flanieren, vielleicht sogar ohne Oberteil. Eine Frau wie ich hat nichts mehr außer der eigenen Seele zu verlieren.
Mögen die Gaffer mich anstarren, diese Dummköpfe! Was sie tun, ist mir gleichgültig. Triumph erfüllt mich, niemanden mehr um Entschuldigung bitten zu müssen, wenn ich nackt bin. Ich warte auf den Mann, dem ich meine Liebe schenken darf. Noch lebe ich.
Der Portier ist gegangen. Die Sektflasche, die ich bestellt habe, steht am Boden. Ich umfasse ihren Hals mit der heilen linken Hand, hebe sie auf und stopfe sie in den Zimmerkühlschrank. Dann lehne ich den Stock in die Ecke und drehe den Türschlüssel um. Nachdem der Gürtel mit der Schnalle klirrend auf die Kacheln gefallen ist, will ich das Kleid loswerden. Doch Haut und Textil sind verleimt.
Schon will ich das Biest zu zerfetzen, aber da reiße ich mich zusammen. Ich rolle es auf, von unten nach oben, um es schließlich wie eine Halskrause über den Kopf zu ziehen. Danach entledige ich mich des Schlüpfers, der mir in den Hüftspeck einschneidet. Während der Haftzeit habe ich zugenommen und muss jetzt auf Kleidergröße 40 umsteigen. Ich werde mich auf 38 herunter hungern.
Mir ist sterbenselend; Galle in der Kehle. Der Wahnsinn rüttelt an mir. Hektisch stürze ich in die Duschkabine, ziehe den Vorhang zu und stelle den Hahn auf volle Stärke.
Während das heiße Wasser hernieder prasselt, kehren die Lebensgeister zurück. Ich kann nicht genug bekommen; drehe und wende mich; verwandle mich in eine schaumige Venus. Es ist, als könnte ich den Schmutz der Welt herunterspülen, indem ich Wasser schlucke, um auch noch mein Inneres zu reinigen.
Dann öffne ich den Duschvorhang. Ich erstarre. An der Wand ist ein Spiegel angebracht. Mir gegenüber steht eine Frau mittleren Alters, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie ist rund hundertachtzig Zentimeter groß. Das rotblonde Haar weist bleiche Fäden auf, die in einem Dachsstreifen vereinigt sind. Es umrahmt ein sommersprossiges Gesicht und fließt über den Rücken, fast zur Taille hinab; spitze Nase; mandelförmige blaue Augen; sanft gerundetem Kinn; Stirn und Augenpartie mit ersten feinen Fältchen.
Der rechte Arm ist angewinkelt; von Narben verunstaltet; fünf Zentimeter zu kurz; Handgelenk so gut wie steif. Ich winkle den Arm an und lasse den Bizeps spielen: Gar nicht übel, denke ich, lasse ihn fallen und schaue, ob man erkennen kann, dass er zu kurz ist:
Ja, wer bewusst hinsieht, bemerkt es. Trotzig winkle ich nun den linken Arm an und bewundere die Muskulatur, die ich mir im Knast erarbeitet habe. Am dritten Tag hatte der Wärter nämlich eine Donna zu mir herein bugsiert und schloss hinter ihr ab. Sie sagte:
»Buon Giorno, Orsolina, io sono Eleonora Albi.«
»Buon Giorno, Eleonora«, sagte ich, »willst du einziehen?«
»Wie käme ich dazu? «, entgegnete die Latte mit dem streichholzlangen Haar, »ich bilde hier die Trainerin und soll dafür sorgen, dass die Insassen nicht abschlaffen.«
»Aha, und wo sonst bist du noch angestellt?«
»Ich maloche nur hier.«
»Dann bist du nichts anderes als eine Knastschwester.«
»Erraten, obwohl ich, hihihi, meinen Chef nicht abgeknallt habe.«
»Ach, du kennst den Fall?«
»Von der Glotze. Ich hab nur einen Juwelier umgelegt. Willst du dich meiner Sporttruppe anschließen?«
»Mein Körper ist dafür nicht zu gebrauchen.«
»Zieh dich nackt aus, Puppe, und lass dich bewundern!«
Ich zierte mich.
»Mach kein Getue! Wir sind unter uns.«
Ich schälte mich aus der Knastuniform, bis ich im Slip vor ihr stand. Sie seufzte und verdrehte die Augen. Ich sagte:
»So, jetzt lässt du mich mit dem dämlichen Sport in Ruhe.«
»Und woher hast du das da?«
Sie ließ ihre großen heißen Hände über meine Narben gleiten; ganz sachte; von oben bis unten; zuerst mein rechter Arm; dann über die rechte Flanke der Brust, dann das rechte Bein, bis hinunter zum Fuß. Kurz kauerte sie vor mir, um dann die Hände wieder nach oben gleiten zu lassen. Mir ward heiß und kalt. Mit ersterbender Stimme sagte ich:
»Jemand hat mich zermalmt. Ich war fast vier und kann mich an nichts erinnern; Schädeltrauma und so. Ich bin hässlich.«
»Blödsinn, Lina«, sagte sie, »weißt du nicht, dass du ein bezauberndes Mädchen bist? Darf ich dich küssen?«
Ehe ich widersprechen konnte, zappelte ich in ihren Pranken. Ihre Lippen pressten sich auf meine. Ihre Zunge tastete nach meiner, bis ich mitmachte. Als wir zu Atem gekommen waren, sagte sie:
»Weißt du was, Linchen, ich stecke dich in die Kraftsportgruppe. Wir werden deine Muskulatur entwickeln. Sie hat’s nötig. Jetzt kannst du dich wieder anziehen.«
Die Erinnerung an sie ist zerflossen. Ich starre auf meine Brüste. Sie sind mäßig groß; nach unten gesunken; die größere rechte mehr als die linke. Trotzig verschränke ich die Hände hinter dem Kopf, spanne den Brustmuskel und blicke auf das Ebenbild. So ist’s besser; wie früher, aber das ist eine Ewigkeit her. Indem ich die Arme emporrecke, blicke ich in die enthaarten Achselhöhlen. Die Affenhaare überall an mir hasse ich und entferne sie regelmäßig; so auch im Knast. Das Haupthaar findet meine Zustimmung schon eher. Aber die silbernen Fäden widern mich an. Seine Farbe passt zu den Sommersprossen, gegen die kein Kraut gewachsen ist.
Nun lasse ich die Augen über die Taille, den vorgewölbten Bauch und die leicht speckigen Hüften bis auf die Schenkel gleiten und erstarrte. Wie konnte ich das nur verdrängen?
Mein Spiegelbild hat zwei verschiedene Beine; das rechte lang und weiblich, nicht ohne Zellulitis; das linke in sich verdreht, verwachsen, verkrüppelt und von Narben und den weißen Strichen der Operationen überzogen. Mich schüttelt das Grauen.
Jetzt humpeln wir einander entgegen, sie das linke, ich das rechte Bein schleppend, bis sich meine Lippen und ihre Lippen berühren und unsere Körper miteinander verschmelzen. Wir lieben uns.
Danach wickle ich mich ins Badetuch. Ich bürste das Haar aus, verlasse die Nasszelle, lasse das Badetuch fallen und ziehe einen blau-weiß gestreiften Zweiteiler an. Er ist aus Seide; luftiges Höschen; durchgeknöpftes ärmelloses Oberteil, das dem Nabel Luft zum Atmen lässt. Dann nehme ich mir die zwanzig Nägel vor. Ich feile sie und verpasse ihnen ein flammendes Rot. Fertig damit, warte ich drauf, dass die Farbe trocknet. Da klopft es an die Tür.
Ich reagiere nicht, während mir kalter Schweiß aus allen Poren blubbert. Die Angst ist wieder da. Ich möchte die Flucht ergreifen, doch wohin nur? Soll ich mich im Bad einschließen oder aus dem Fenster springen? Will man mich abholen? Gibt es eine neue Anklage? Hat man herausgefunden, dass ich gelogen hatte, als ich die Komplizen schützte? Es klopfte wieder und wieder, laut wie Donnerhall. Ich halte die Ohren zu und krächze:
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Lina!«
Ich kenne die Stimme; Giuseppe Tartini, der Privatdetektiv, mein Freund. Er besuchte mich gelegentlich in der Haftanstalt und muss von meiner Entlassung gehört haben.
»Bist du’s, Giuseppe?«
»Wer sonst? Mach auf! Soll ich bei dieser Hitze verschmachten?«
Rasch zupfe ich das Oberteil zurecht, werfe einen Blick in den Spiegel, finde mich unmöglich, schleppe mich mit gespreizten Fingern zur Tür, um den Schlüssel mit Daumen und Zeigefinger umzudrehen. Der Nagellack ist noch nicht durchgetrocknet.
Vor mir steht Giuseppe, in Polohemd, Shorts und Jesuslatschen, eine Stofftasche am Schulterriemen. Er lächelt mich an. Zum ersten Mal seit langem sehe ich ihn wieder richtig und bin weg:
Ein Mannsbild, meinem Alfredo nicht nur deshalb ähnlich, weil er fantastisch malen kann; ein Adonis, der mich um eine Handbreit überragt. Statt »buon giorno, Lina« flötet er lediglich:
»Ich bin so frei.«
Ich weiß nicht, was er meint und schließe die Tür hinter ihm. Er zieht sich das feuchte Hemd über den Kopf. Verblüfft sehe ich ihn an. Mir wird abwechselnd heiß und kalt, denn auf seiner athletischen Brust ist kein einziges Härchen zu sehen, nur eine gefurchte Narbe (siehe: Das Diadem des Besileús).
»Ich habe eine Flasche Sekt kalt gestellt«, sage ich verlegen.
»Dann wollen wir sie leeren: auf die Freiheit.«
Ich hole sie aus dem Kühlschrank. Er lässt den Korken knallen. Wir trinken im Stehen, abwechselnd aus der Flasche. Während ihm der Fusel nichts ausmacht, steigt mir der Alkohol zu Kopfe, denn ich bin so was seit sechs Jahren nicht mehr gewohnt.
Schon schließt er mich in die Arme und presst mich so fest an sich, dass mir das Atmen schwerfällt. Als er mich dann küssen will, biege ich den Kopf zur Seite und flüstere:
»Bist du verrückt geworden? Was willst du mit dieser missgestalteten Frau? älter als du; mörderische Geliebte eines Mörders?«
»Was sind schon diese paar Jahre, Süße?«, sagt er und nimmt meinen Kopf in beide Hände. Jetzt ist es um mich geschehen. Unwillkürlich stelle ich mich auf die Zehenspitzen und wölbe ihm den Mund entgegen. Während ich ihm am Hals hänge, durchbraust mich wilde Glut. Nach sechs Jahren habe keine Kraft, mich zu widersetzen.
Schon öffnet er mir die Knöpfe, von oben nach unten. Seine rechte Hand ruht auf meiner Schulter. Die linke rutscht für eine Minute ins Reich der Hügel. Dann hebt er mich in die Höhe, als hätte ich das Gewicht einer Flaumfeder. Jetzt lässt er sich rücklings in den Sessel fallen und setzt mich auf seinen Schoß.
Sekundenlang sehe ich Alfredo vor dem inneren Auge und denke an den Kaplan. Sagte er nicht, Sehnsucht sei die göttliche Tochter der Liebe? Ich flüstere Giuseppe ins Ohr:
»Wäre es nicht besser, in Freundschaft auseinanderzugehen? Jeder, der mich liebt, muss damit leben, dass Alfredo ein Teil von mir ist.«
»Er hat es verdient nach dem, was er dir schenkte.«
Verblüfft sehe ich, wie er sich herunterbeugt, um mein lädiertes Bein zu liebkosen. Er lässt die Hände vom Fuß aufwärts über den Oberschenkel gleiten, Höhen und Täler auskostend. Mein Puls rast. So glücklich war ich nur in Alfredos Armen; doch das war vor grauen Zeiten; vergangen, vergessen, vorüber.
»Ich möchte mit dir tanzen«, sagt er, ganz so, als ob ich ihm erzählt hätte, wie Alfredo und ich es einst getan hatten, »denn was könnte es Schöneres geben?«
Schon stellt er mich auf den Boden. Er selbst steht, nachdem er die Sandalen beiseitegetreten hat, lächelnd vor mir.
»Ich war sechs Jahre lang nicht mehr tanzen.«
An Alfredo denke ich. Wie schön war es, als er mit mir tanzen ging. Giuseppe packt eine Musikbox aus. Ich bin am Rande der Panik, weil ich nichts als eine lahmende Stute bin, im Gnadenbrot auf die Weide gestellt; nicht mehr reitbar.
Er geht auf Tuchfühlung, legt mir die linke Hand auf den unteren Bereich des Rückens und nimmt meine linke Hand in seine große rechte. Dann erklingen die sanftesten Melodien. Schniefend lege ich ihm den Kopf an die Schulter. Wir bewegen uns im Kreise. Er führt mich. Ich passe mich seinem Druck an. Es geht; sogar gut. Ich kann tanzen. Ich vergesse alles um mich herum. Für diesmal habe ich das Gefühl, zwei gesunde Beine zu haben.
»Augenblick, verweile doch, du bist so schön«, sagt der große Dichter aus Frankfurt in Germania dazu, aber …
»Ich liebe dich«, flüstere ich ihm ins Ohr.
»Ich dich auch! Unten wartet das Boot auf uns. Komm zu mir in den Calle di Cavallo und bleibe dort, bis deine Wohnung instandgesetzt ist. Hier kannst du nicht weilen. Du würdest verrückt werden. Sergiu ist versessen drauf, deine Geschichte zu hören, um sie als Buch herauszugeben. Auch Ambrosio wartet auf dich, der wunderbare Ambrosio.«
Ich zwängte mich in das rosa Schlauchkleid. Volpe ging inzwischen zum Boot, während ich mich um die Formalitäten kümmerte. Das eine Bein hinterher schleifend, begab ich mich zum Portier und erklärte ihm, dass mich Signore Tartini abzuholen gedenke. Damit sei mein Aufenthalt hier vorüber.
Er sagte, darüber könne er nicht entscheiden. Die Gefängnisverwaltung habe das Zimmer für eine Woche gebucht. Ich müsse mich darum auf die Hotelverwaltung begeben.
»Erster Stock, Zimmer Eins. Der Aufzug geht drüben.«
»Nein danke, ich nehme die Treppe«, sage ich, ziehe den Saum des Minikleids nach unten und humpele zu der mit einem roten Läufer ausgekleideten Treppe, um mich am Geländer hinaufzuziehen. Dabei gerät der Stock an die metallenen Sprossen. Es klappert und klimpert. Ich hasse es, wenn man Mitleid hat und gerate in Wut, wenn man mir helfen will.
Schon erreichte ich Zimmer Nr. 1 und klopfte mit dem silbernen Griff der Krücke an. Ein gut gekleideter Herr gehobenen Alters, mittelgroß mit grau meliertem Haarkranz, öffnete mir. Nachdem er mich sekundenlang angestiert hatte, fragte er:
»Signora Dottore Farinelli?«
»Wer denn sonst? Das sieht man doch«, entgegnete ich giftig.
Während der Chef mich musterte, blieb er stehen. Dann brach er in ein Gelächter aus. Er lachte, bis ihm die Luft wegblieb.
»Ich weiß, Signore Direttore, dass ich unmöglich aussehe.«
»Nein, darum geht’s nicht«, sagte er glucksend, »bleiben Sie bitte, wie Sie sind! Es ist göttlich, wie Sie sich zu sich selbst bekennen. Ich bewundere Sie, seit ich Ihren Prozess verfolgte. Prompt habe ich einen Alfredo Corelli gekauft.