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Seianus gilt als einer der prominentesten Schurken der Geschichte: Er sei niederer Herkunft gewesen und habe sich ins Vertrauen des Kaisers eingeschlichen, bis man ihm die Regierungeschäfte überließ. Ferner habe er die Prätorianer kaserniert, um besser über sie gebieten zu können. Dank seiner übermächtigen Stellung plante er dann einen Staatsstreich.
Der Autor Dr. Meinhard-Wilhelm Schulz, der bereits das Bild Caesars zurechtrückte, hat nun auch die Quellen zu Seianus einer Revision unterworfen: Suetonius, Tacitus und Cassius Dio, die sich in der negativen Beurteilung des Mannes einig sind. Er hält ihre Aussage dann für besonders glaubwürdig, wenn sie für Seianus spricht.
So kommt er zum Ergebnis, dass unser tradiertes Bild nicht der Quellenlage entspricht: Seianus war weder von niederer Herkunft noch dachte er an einen Umsturz. Vielmehr fiel der rein theoretisch gefährliche Mann einer üblen Palastintrige zum Opfer.
Das Buch führt indirekt zu einer neuen Verdammung des Kaisers Tiberius, der seinen Kameraden aufgrund vager Beschuldigungen einfach umbringen ließ.
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MEINHARD-WILHELM SCHULZ
SEIANUS UND TIBERIUS:
Das Drama der Siamesischen Zwillinge
Eine quellenkritische Annäherung an die Wirklichkeit
Romankiosk Sachbuch
Der Romankiosk
Auctor libellum Marco d.d. Sehlmeyer amico
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
1. Teil: Die Quellen
2. Teil: Das Drama am 18. 10. 31
3. Teil: Herkunft und Charakter des Seianus
4. Teil: Kindheit und Jugend des L. Aelius Seianus
5. Teil: Seianus‘ Eintritt in die Geschichte (14 n. Chr.)
6. Teil: Seianus in den Jahren 15 bis 20
7. Teil: Seianus in den Jahren 23 bis 30
8. Teil: Das Jahr 31
Seianus gilt als einer der prominentesten Schurken der Geschichte: Er sei niederer Herkunft gewesen und habe sich ins Vertrauen des Kaisers eingeschlichen, bis man ihm die Regierungeschäfte überließ. Ferner habe er die Prätorianer kaserniert, um besser über sie gebieten zu können. Dank seiner übermächtigen Stellung plante er dann einen Staatsstreich.
Der Autor Dr. Meinhard-Wilhelm Schulz, der bereits das Bild Caesars zurechtrückte, hat nun auch die Quellen zu Seianus einer Revision unterworfen: Suetonius, Tacitus und Cassius Dio, die sich in der negativen Beurteilung des Mannes einig sind. Er hält ihre Aussage dann für besonders glaubwürdig, wenn sie für Seianus spricht.
So kommt er zum Ergebnis, dass unser tradiertes Bild nicht der Quellenlage entspricht: Seianus war weder von niederer Herkunft noch dachte er an einen Umsturz. Vielmehr fiel der rein theoretisch gefährliche Mann einer üblen Palastintrige zum Opfer.
Das Buch führt indirekt zu einer neuen Verdammung des Kaisers Tiberius, der seinen Kameraden aufgrund vager Beschuldigungen einfach umbringen ließ.
Vorbemerkungen: Wäre Seianus auf den Thron gelangt, hätten wir eine Fülle von Quellen über ihn vorliegen. Da die Historie aber in der Regel keine Verlierer mag, ist lediglich das spärliche Material über ihn vorhanden, das wir aus nur vier Autoren schöpfen.
Als einziger von ihnen kannte ihn Amateurhistoriker Velleius Paterculus persönlich, aber die Hast, in der er die römische Geschichte herunter spult (30 n. Chr.), lässt ihm keine Zeit, sich mit der Politik des damals zum zweiten Mann im Staat aufgestiegenen Seianus zu beschäftigen. Außer einer enthusiastischen Charakteristik hat er nichts über ihn geschrieben.
Die Autoren Suetonius und Tacitus (sein Bericht unmittelbar über den Sturz des Seianus ist verloren) sind bereits mehr als eine Generation von den Ereignissen entfernt und Cassius Dio schreibt noch später. Daher sind ihre Notizen mit Vorsicht zu genießen, insbesondere, da sie nichts anderes als eine dem Seianus gegenüber feindliche Überlieferung vorfanden.
Gaius Velleius Paterculus ist der einzige Geschichtsschreiber der frühen römischen Kaiserzeit, dessen Werk erhalten ist. Wahrscheinlich aus Capua stammend, gehörte er einem vornehmen Geschlecht an, dessen er sich nicht selten rühmt. Um 16 v. Chr. sollte er das Licht der Welt erblickt haben. Er trat als junger Mann in den Kriegsdienst ein und durchzog unter dem Augustus-Enkel Gaius Caesar den Orient; später mit Tiberius als Reiteroberst und stellvertretender General Germanien, Pannonien und Dalmatien. Im Jahre 6 n. Chr. kehrte er nach Rom zurück, um sich als Quaestor zu bewerben; 15 n. Chr. wurde er Praetor (so er in 2, 124)
Als ein Mann, der sich der besonderen Gunst des Tiberius erfreute (so er in 2, 113. 114), blieb er auch als Privatier in der Nähe des Hofes und verwendete die ihm zur Verfügung stehende Muße zur Ausarbeitung seines Geschichtswerkes, das er Marcus Vinicius anlässlich seines Konsulates widmete (30 n. Chr.). Dieses Datum ist in seinem Geschichtsbuch allgegenwärtig.
Gegen die Annahme, er sei mit hinab in den Strudel des Untergangs des ihm persönlich bekannten Seianus gerissen worden, spricht die Tatsache, dass uns sein Werk samt dem Lob auf den Gardepräfekten erhalten und demnach seinerzeit weder einer ‚Damnatio Memoriae‘ zum Opfer gefallen noch einer Revision unterzogen worden ist, sondern sich einer Verbreitung bis ins Mittelalter erfreute.
Für den zweiten Teil des Werkes ist Velleius Zeithistoriker. Vieles hat er persönlich miterlebt. Für die davor liegende Epoche standen ihm noch Zeitzeugen zur Verfügung. Seine Liebe zur untergegangenen Republik ist nostalgisch und muss von Tiberius schmunzelnd zur Kenntnis genommen worden sein.
Vielfach wurde und wird Velleius vorgeworfen, über ihn kritiklos zu schreiben; doch dieser Vorwurf beruht auf der Vernichtung, der Tiberius in den Annalen des Tacitus anheim fällt: Während Tacitus seine Regierungszeit vom unerfreulichen Ende aus betrachtet und verurteilt, ist das Werk des Velleius vor dieser düsteren Zeit verfasst, als sich Rom des Friedens und Wohlstandes erfreute. Ferner war Tacitus Mitglied des vom Kaiser entmachteten Senates, während Velleius nur Berufsoffizier war.
Über Seianus, von dessen Herkunft und Wirken Velleius leider keine Auskunft erteilt, schreibt Velleius nur eine Charakteristik, die kurz vor dem das Werk beschließenden Hymnus des Tiberius steht. Sie beschreibt den Zustand unmittelbar vor dem Sturz des Seianus und wird unten (gekürzt) zitiert werden.
Gaius Suetonius Tranquillus (‚der Ruhige‘) ist ein Zeitgenosse des Publius Cornelius Tacitus (ca. 55-120 n. Chr.). Vollständig erhalten ist aus seinem umfangreichen Schaffen nur das Buch der Kaiserbiographien, von Gaius Iulius Caesar bis Domitianus
Seine Arbeiten gelten als oberflächlich und unzuverlässig (zu viel Hofklatsch statt seriöser Geschichtsschreibung), sind aber dennoch von unschätzbarem Wert, da sie besonders für die Herrscher nach Tiberius mangels anderer Autoren die wichtigste Quelle sind, aufgezeichnet von einem Mann der Zeit.
Was die Epoche unter Augustus und Tiberius anbetrifft, also Seianus‘ Zeit, ist Suetonius nicht authentisch, schöpft aus trüben Quellen und hat mit dazu beigetragen, das Bild des Tiberius zu verdüstern. Zu Seianus selbst weiß er so gut wie nichts zu berichten, gewiss, weil dieser schon längst sang- und klanglos aus der Geschichte ausgeschieden war, nachdem ihn Tiberius hatte umbringen lassen, um anschließend eine ‚Damnatio Memoriae‘ über ihn zu verhängen (alle Übersetzungen nach André Lambert).
Publius Cornelius Tacitus (ca. 55-116/20 n. Chr.) gilt als Roms bedeutendster Historiker. Wie bereits sein Name zeigt, stammte er aus einer Familie senatorischen Adels. Ausgerechnet unter dem tyrannischen Kaiser Domitianus machte er politische Karriere und brachte es kurz nach dessen Tod sogar bis zum ‚Ersatzkonsul‘. Erst danach trat er als Autor ins Licht der Öffentlichkeit.
Um das Jahr 98 herum publizierte er seine drei kleinen Schriften: den ‚Dialog über die Redner‘ (heutzutage kaum gelesen); die Biographie seines Schwiegervaters Iulius Agricola, die beste aus Römerhand sowie die bis heute berühmte ‚Germania‘, ein schmales Werk über das alte Germanien und seine Bewohner, das zum meistkommentierten Text der Weltliteratur avancierte.
Anschließend beschäftigte er sich mit Geschichtsschreibung im großen Stil. Zunächst entstand das monumentale Werk der ‚Historien‘, in dem die römische Geschichte der Jahre 69-96 dargestellt wurde und Tacitus den Rang eines Zeithistorikers verlieh. Leider sind nur die Schilderungen der ersten beiden Jahre erhalten. Sie füllen bereits ein modernes Buch von rund 300 Seiten.
Statt nun die aktuelle Politik des Kaisers Traianus zu schildern, von dem er vielleicht enttäuscht war, weil er die Unterwerfung Dakiens (ca. Rumänien) der ersehnten Eroberung Germaniens vorzog, wandte sich der Historiker der fast schon in Vergessenheit geratenen Geschichte des Kaiserhauses vom Tode des Augustus bis zum Wüten eines Nero zu und verfasste die ebenfalls nicht vollständig überlieferten ‚Annalen‘, in denen er – nach kurzer Verdammung des Augustus – erbarmungslos mit der frühen Kaiserzeit samt ihren Herrschern abrechnet.
Wie auf einer Bühne erscheinen die damals bemerkenswerten Gestalten, um nacheinander vom Schicksal eingeholt zu werden, bis alle vernichtet oder tot sind. Tacitus dürfte im hohen Alter einem grenzenlosen Pessimismus anheim gefallen sein. Er deutet die Geschichte in seinem Sinne um. Dass er dabei die eigene Maxime »sine ira et studio« mit Füßen tritt, kann nicht bestritten werden.
Als erster wird Tiberius (14-37 n. Chr.), der Nachfolger des Augustus, literarisch exekutiert. Tacitus hat sein Bild für alle Zeiten dermaßen verdüstert, dass eine Apologie schwer fällt. (Vor allem Ernst Kornemann hat es dennoch versucht und dabei eher einen historischen Roman verfasst.)
Umso interessanter für uns wird daher die darin eingebettete Darstellung des Aelius Seianus sein, dieses Mannes also, den schon Augustus schätzte und dann Tiberius in höchste Höhen hob, um ihn zuletzt ins Bodenlose fallen und samt seiner Familie auslöschen zu lassen (alle Zitate in eigener Übertragung).
Cassius Dio Cocceianus (auch Dio Cassius oder Kassios Dion genannt) lebte um 150-235, kam frühzeitig nach Rom und wurde dort Staatsbeamter. Er verfasste in griechischer Sprache eine ‚Römische Geschichte‘ von den Anfängen bis ins Jahr 229.
Auch sein umfangreiches Werk ist nur unvollständig überliefert und gleicht in manchen Passagen einem Flickenteppich, bestehend aus Zitaten späterer Autoren. Es gilt dennoch als wichtige Quelle zur Geschichte des antiken Rom, auch wenn ihm für den größten Teil die Authentizität abgeht. (Sämtliche unten folgende Zitate stammen aus der Übersetzung von Otto Veh [2007; 5 Bände]; wo sie auf einem späteren Zitat beruhen, wird der jeweilige Band samt Seite angegeben; sonst Buch und Kapitel.)
Der Senat hat sich im Tempel des Apollon hoch oben auf dem Palatin, dem allein vom Kaiser beanspruchten Hügel, zu einer entscheidenden Sitzung versammelt. Der Innenraum mit seinem feierlichen Dämmerlicht ist groß genug, die illustre Gesellschaft aufzunehmen. Gespannt wartet man auf Lucius Aelius Seianus, den Mann, der an Stelle des im fernen Capri hausenden Kaisers Tiberius die Macht in Händen hält.
Seit Jahren ist er seine rechte Hand, sein Vertrauter, wenn nicht gar der beste Freund. Von Beginn seiner Herrschaft an ist er Oberkommandierender der Prätorianer und damit zurzeit neben oder vor Tiberius mächtigster Mann des römischen Reiches. Man munkelt, der Kaiser werde in eben dieser Senatssitzung seinem Ersten Minister die ‚Tribunizische Gewalt‘ übertragen, ihn damit auch offiziell zum Mitregenten ernennen und als Thronfolger einsetzen.
Schon längst war es dazu gekommen, dass die hohen Herren des entmachteten Gremiums auf ihn als den tatsächlichen Herrscher schauten und ihn mehr fürchteten als den Kaiser, der sich amtsmüde auf die ferne Insel Capri zurückgezogen hatte.
Wenn Seianus auch nur die geringste Ahnung von dem gehabt hätte, was ihm an diesem Oktobertag bevorstand, wäre er vor der Alternative gestanden, sich ins Unvermeidliche zu fügen oder die Flucht nach vorne anzutreten und den Versuch zu unternehmen, Kaiser Tiberius, der seinen Untergang beschlossen hatte, rechtzeitig kalt zu stellen.
Aber dazu war es jetzt zu spät, denn der listige alte Mann von Capri wartet auf Leuchtzeichen, schneller als jeder Bote, um von der Insel zu flüchten, um die Legionen am Rande des Reiches aufzusuchen, mit deren Hilfe er den möglichen Putschisten besiegen und beseitigen könnte. Offen gegen den Kameraden vorzugehen, wagt der Kaiser nicht mehr. Dazu ist die Position des Premierministers im vergangenen Jahrzehnt zu stark geworden.
Daher ging Tiberius, statt ihn einfach zu entlassen, zunächst den Weg der Schmeichelei, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er bestellte ihn zum Konsul des aktuellen Jahres und bezeichnete ihn als „Teilhaber an seinen Sorgen“. Oftmals benutzte er in seinen Schreiben an den Senat die Wendung „mein Seianus“, der prompt dafür sorgte oder es nicht verhinderte, dass überall Statuen des vermeintlich mächtigsten Mannes im Reich aufgestellt und wie die eines göttlichen Herrschers verehrt wurden.
Daher war er eine solch überragende Persönlichkeit geworden, dass Kaiser Tiberius neben ihm nur noch Herrscher über eine kleine Insel zu sein schien. Seianus hatte Hof gehalten, als wäre er schon Herrscher. Vor seinen Türen war es zu Gedränge gekommen, da man nicht nur fürchtete, von ihm übersehen zu werden, sondern auch, unter den letzten Besuchern zu erscheinen.
Die Senatoren schwuren bislang unterwürfig bei seiner ‚Fortuna‘ und nannten ihn ‚Amtsgenossen des Tiberius‘, wobei sie nicht auf sein Konsulat, sondern versteckt auf die ‚Tribunizische Gewalt‘ anspielten, die erst den Kaiser zum Kaiser macht.
Tiberius selbst war vor ihm gewarnt worden, vermutlich aus dem Kreis der kaiserlichen Familie heraus und dadurch über den angeblichen Staatsstreich seines Ministers im Bilde. Er ging von nun an mit sich zurate, wie er ihn beseitigen könnte.
Da er aber keinen Weg fand, dies offen zu vollbringen, verfuhr er mit Seianus selbst und den Römern in Allgemeinen auf eigenartige Weise, um deren politische Einstellung genau kennenzulernen: Er schickte Botschaften an Seianus wie den Senat, wobei er einmal von seinem schlechten Gesundheitszustand sprach, dann aber erklärte, er sei ganz gesund und wolle demnächst in Rom eintreffen.
Seianus seinerseits kam es in den letzten ihm verbliebenen Tagen nicht in den Sinn, einen Umsturz zu planen. Er war allem Anschein nach davon überzeugt, von Tiberius auf ganz legale Weise und ohne jede Gewalt ins höchste Amt gehievt zu werden. Sein Spionagedienst, falls er einen aufgebaut hatte, musste versagt haben.
Während der Senat auf den Premierminister wartet, um ihm gegebenen Falles zuzujubeln, kommt die historische Stunde des Naevius Sertorius Macro, des Mannes, der ob seiner besonderen Grausamkeit als Nachfolger des Seianus berühmt berüchtigt sein wird.
Wann und wo und in welcher Familie er geboren wurde, ist unbekannt. Der Kaiser muss ihn schon längere Zeit gekannt und ihm vertraut haben. Nach einigen Gerüchten stand er zurzeit bereit, den aus gutem Grund in den Kellergewölben des Palastes inhaftierten Drusus [III.] (Urenkel des Augustus) im Falle eines Seianus-Putsches zu befreien und zum Führer der Bürgerschaft zu machen (Tac. ann. 6, 23). Wie immer, der bedenkenlose Scherge des Tiberius machte durch die Beseitigung des Seianus Karriere.
Im Jahre 33 stellte Tiberius die Forderung an den Senat, von ihm und Elitesoldaten als Leibwache begleitet zu werden, wenn er die Ratsversammlung aufsuche (ann. 6, 15). Für das Jahr 34 listet Tacitus den Präfekten als Komplizen weiterer kaiserlicher Mordorgien auf (ann. 6, 29). Auch im Jahr 35 begegnen wir ihm als blutigem Schergen eines unter Verfolgungswahn leidenden Kaisers (ann. 6, 38). Seit dem Jahre 37 sollen er und seine Frau Ennia mit Kronprinz Caligula im Komplott gestanden und um dessen Gunst gebuhlt haben, was dem Kaiser nicht verborgen geblieben sei (ann. 6, 45 f.). In Kapitel 47 lesen wir von weiteren Scheußlichkeiten, darunter mit Gänsehaut, dass Macro beim Foltern von Sklaven persönlich den Vorsitz führte.
Daran anschließend (c. 48) fängt der Historiker fantasievoll Stimmen ein, die prophezeien, dass nach dem Tode des greisen Tiberius unter seinem designierten Nachfolger Caligula, der von Macro angeleitet werde, noch üblere Zeiten kämen. Das Kapitel 50 endet damit, dass sich Tiberius vom scheinbaren Sterbelager wieder erheben will, um nach Essen zu verlangen. Während Caligula vor Entsetzen erstarrt sei, habe Macro den Greis kurzerhand mit übergeworfenen Decken erstickt (16. März 37; ann. 6, 50). Daher soll es Macro unter dem neuen Herrscher zunächst gut ergangen sein, auch wenn die Dankbarkeit des Caligula nicht von Dauer war.
Historisch mag sein, dass Macro und seine Frau von Caligula gefördert wurden, da sie »ihm zum Thron verholfen hatten« (Suet. Cal. 26, vgl. Cass. Dio 59, 1). Doch ein Mann wie Caligula sieht auf Dauer in Macro einen zweiten Seianus, der für ihn gefährlich werden könnte. Cassius Dio (59, 10, 6) schreibt zum Jahr 38 n. Chr. – ein Jahr nach dem Tod des Tiberius, Caligula habe Macro und Gattin zum Selbstmord gezwungen. Es fällt schwer, mit diesem Mann Mitleid zu haben, mit dessen Frau Caligula ein ehebrecherisches Verhältnis gehabt haben soll, falls wir dem Biografen Suetonius glauben wollen (Cal. 12).
Eben dieser Mann war in den vergangenen Tagen, von Seianus unbemerkt, nach Capri gereist, um mit dem greisen Kaiser ein bemerkenswertes Komplott zu schmieden, während in ‚gut unterrichteten Kreisen‘ Roms das Gerücht umging oder bewusst ausgestreut wurde, der Kaiser werde seinem Minister in Kürze die ‚Tribunizische Gewalt‘ verleihen. Ohne dass Seianus etwas davon erfuhr, wurde Macro von Tiberius zum Kommandeur der Prätorianer ernannt, deren Chef offiziell noch immer Seianus war. Wenn der Plan aufging, war das Schicksal des ahnungslosen Mannes besiegelt.
In der Nacht vor der ominösen Senatssitzung traf Macro wieder in Rom ein. An die Prätorianer konnte er sich nicht wenden. Sie hätten sich seinem Befehl widersetzen und hinter Seianus stellen können. Also galt es, ihren Präfekten zu überrumpeln.
Zunächst suchte Macro den Konsul Memmius Regulus auf, vom dem man wusste, dass er ein Gegner des Seianus war, um ihm ins Komplott einzuweihen. Gerne übernahm dieser die Aufgabe, diejenigen Senatoren, deren Hass auf Seianus bekannt war, auf ihre Seite zu ziehen. Dann eilte Macro zu Graecinius Laco, dem Kommandeur der ‚Vigiles‘, der nächtlichen Stadtwachen, um sich mit ihm ins Benehmen zu setzen.
Laco wurde nach dem Tod des Seianus nicht nur reich, sondern auch mit dem Rang eines ehemaligen Quästors belohnt, während Macro sogar in die Höhe eines Ex-Prätors aufstieg, beides durch Senatsbeschluss, wenn wir Dio glauben wollen (58, 12), doch sie sollen vorsichtshalber auf die Ämter ‚verzichtet‘ haben, die ihnen der Senat verlieh, ohne Tiberius zu fragen. Unter Kaiser Claudius rückte Laco in den Rang eines Ex-Konsuls auf (Dio 60, 23, 3), seiner letzten Erwähnung im Werk des Cassius Dio. Der aalglatte Mann überlebte auch das Wüten des Caligula, eine Seltenheit.
Bleibt noch die Ergänzung, was unter Roms »Stadtwachen«, denen er vorstand, zu verstehen ist: Seit Augustus gab es sieben Abteilungen dieser Nacht- und Feuerpolizei in Rom, eine jede mit ihrem Präfekten und Unterpräfekten. Modern ausgedrückt, könnte man Laco also als Roms ‚Polizeichef‘ und ‚Kommandeur der Feuerwehr‘ bezeichnen, was nichts anderes bedeutet, als dass er ein beachtlicher Machtfaktor im Ränkespiel war.
Auch Konsul Regulus erwies sich als Überlebenskünstler: Zwei Jahre nach dem geglückten Coup wurde er zum Provinzgouverneur ernannt, überstand die letzten sechs Regierungsjahre des Tiberius und die Zeit des noch schlimmeren Caligula mit heiler Haut, überlebte auch die eher milde Herrschaft des Claudius, war danach bei Kaiser Nero hoch angesehen und starb – eine Sensation für damalige Verhältnisse – friedlich schiedlich im Jahre 61 im Bett (Tac. ann. 12, 22; Cass. Dio 58, 9. 13. 25; 59, 12).
Macro hingegen, den Tacitus als ‚noch charakterloser denn Seianus‘ (ann. 6, 48) und Verführer des jungen Caligula nennt, sollte es wie geschildert, übel ergehen.
Soweit zu den Vorbereitungen der hinterhältigen Mordtat durch einen feigen Kaiser und seine feigen Lakaien. Es folgt nun die Ausführung des Komplotts, das Cassius Dio (58, 9, 4) glatte 150 Jahre später aus den für uns nicht mehr vorhandenen Quellen folgendermaßen rekonstruiert:
Es ist noch früh am Morgen und der Jahreszeit entsprechend frisch. Seianus begibt sich voller Ungeduld in den Senat. Eskortiert von der schimmernden Wehr seiner Prätorianer schreitet er, feierlich in die Toga gehüllt, die marmornen Stufen des Palatins empor, den im ersten Licht der Sonne aufleuchtenden Säulen des Apollotempels entgegen. Heute ist der Tag, wähnt er, an dem ihn der Kaiser zum Kollegen auf dem Thron ernennen wird. Aber das entsprechende Schreiben ist immer noch nicht eingetroffen. Das macht ihn nervös. Er weiß, dass sich Macro irgendwann nach Capri begeben hat, um mit Tiberius Gespräche zu führen. Ob er den ersehnten Brief dabei hat? Es gibt für ihn keinen Grund, dem rangniederen Kollegen zu misstrauen.
Da begegnen sich die beiden unmittelbar vor dem Tempel. Gerade das hatte Macro vermeiden wollen. Wenn Seianus nämlich jetzt Verdacht schöpft, ist alles verloren, denn gegen dessen Garde ist der Präfekt der Nachtwachen machtlos. Doch Macro ist ein Meister der Verstellung. Er reagiert kaltblütig und eiskalt verlogen.
Als ihm nämlich der Erste Minister mitteilt, er fände es verwunderlich, das Schreiben des Kaisers mit seiner Ernennung zum Mitregenten noch nicht in Händen zu halten, sagt ihm der Präfekt leise lächelnd, er komme gerade eben von Tiberius zurück und könne ihm jetzt schon im Vertrauen sagen, dass er das Ernennungsschreiben in der Tasche habe. Der Kaiser verleihe ihm hier und heute auf der anberaumten Senatssitzung die ‚Tribunizische Gewalt‘.
Von einer Woge des Glückes überrollt und sich unmittelbar vor der Erfüllung aller Wünsche wähnend, eilt Seianus nun in den Senat, wo er mit lebhaftem Applaus begrüßt wird.
Wie man noch in dieser Minute von ihm und über ihn denkt oder zu denken hat, beschreibt der Berufsoffizier und Amateurhistoriker Velleius Paterculus, der den Kaiser und seinen Ersten Minister persönlich kannte, ungefähr ein Jahr vor diesem dramatischen Ereignis (127, 13; eigene Übersetzung):
»Gemäß den obigen Vorbildern (Velleius hatte einige Größen der Geschichte aufgelistet) hatte und hat nunmehr Tiberius Caesar den Aelius Seianus in allen Politikbereichen als einzigartigen Beistand beim Tragen seiner Lasten als Herrscher zur Seite.
Sein Vater war ein führendes Mitglied des Ritterstandes. Mütterlicherseits ist er mit hochberühmten alten Sippen (den Iunii) verbunden […]. Seine Brüder erlangten die konsularische Würde, seine Vettern sowie sein Onkel (Iunius Blaesus).
Seianus selbst weist ein Höchstmaß an Arbeitsfähigkeit, verbunden mit hingebungsvoller Treue (zu Tiberius) auf, wobei ihm hinreichend Kraft des Geistes und des Körpers zur Verfügung steht.
(4) Er ist ein Mann von fröhlicher Strenge, von altehrwürdig heiterem Wesen. Wenn er handelt, dann ist er in seiner Gelassenheit einem, der nichts tut, äußerst ähnlich. Er stellt keine persönlichen Ansprüche, und gerade aus diesem Grunde bekommt er alles, (was er will). Immer rangiert er in seiner Selbsteinschätzung unterhalb des Urteils der anderen. Im Mienenspiel sowie seiner Lebensführung ist er von ruhiger Art, aber sein Geist kennt keinen Schlaf.
(128, 1) In der Wertschätzung seiner vielfältigen energischen Tatkraft wetteifert […] die Bürgerschaft gemeinsam mit dem Staatsführer, und das ist keineswegs ein neuer Brauch, wenn man der Meinung ist, das Beste sei zugleich das Edelste.
(128, 3) In Gaius Marius, einem Mann von ungewisser Herkunft, sahen die Römer […] bedenkenlos ihren führenden Mann. Marcus Tullius Cicero gewann solch hohe Einschätzung, dass er gewissermaßen schon aufgrund seiner Befürwortung, wenn er wollte, sich führende Staatsämter verschaffen konnte […]. Dabei dachten sie, das höchste Amt gebühre demjenigen, in dessen Charakterzügen die energische Tatkraft verankert sei.
(4) Das Nacheifern eben dieses Vorbildes brachte Tiberius Caesar dazu, es mit Seianus zu versuchen, Seianus seinerseits dazu, den Führer beim Tragen der Lasten zu unterstützen. Senat und römisches Volk brachte das zur Erkenntnis, eben diesen Mann aus freien Stücken zum Schutze ihrer Freiheit zu berufen, den sie für ihre Bedürfnisse als den Besten erkannten.«
Soweit und soviel zur Stellung des Seianus: Während er drinnen im Tempel die Ovationen genießt, bleibt Macro draußen stehen und zeigt den dort stramm stehenden Prätorianer ein amtliches Schreiben des Kaisers, in dem steht, dass er ab sofort ihr neuer Chef ist und ihnen den Befehl erteilt, auf der Stelle ins Lager zurückzukehren. Für den Fall, dass sie dies ohne Murren tun, stellt er ihnen im Namen des Kaisers große Belohnungen in Aussicht.
Die Garde, die an Dergleichen gewöhnt ist, rückt ab, stapft die Stufen des Palatins hinunter und lässt den bisherigen Kommandeur im Stich. Sogar der Dümmste dieser Soldaten begreift jetzt, dass es um den bislang zweiten Mann des Staates geschehen ist. Sie ziehen wie üblich das Geld der Treue und damit dem drohenden eigenen Untergang vor. Der erste Teil des Komplotts ist wie am Schnürchen abgelaufen. Es folgt der zweite Teil.
Laco hat währenddessen mit den Männern der Stadtwache im Hintergrund eine Lauerstellung bezogen. Jetzt marschieren sie auf Marcos Wink hin waffenklirrend vor dem Apollotempel auf und besetzen den Eingang. Binnen Minuten ist der zweite Streich über die Bühne gegangen. Seianus ist ahnungslos in die Falle getappt. Kaum vorstellbar, dass manche Historiker in ihm immer noch einen verhinderten Putschisten sehen.
Jetzt erst tritt Macro ins feierliche Halbdunkel der Halle, wo sich Seianus, umringt von zahlreichen Senatoren, die in ihm den künftigen Herrscher sehen, gerade stürmisch feiern lässt und übergibt den versiegelten Brief des Kaisers an den oben genannten Konsul, der jetzt die Aufgabe haben, ihn vorzulesen.
Kaum hat Macro dies getan, verlässt er die Sitzung, um sich ins Prätorianer-Lager zu begeben und dort jeden möglichen Aufruhr im Keim zu ersticken, denn noch könnten sich die Elitesoldaten für Seianus entscheiden und zu den Waffen greifen. Lesen wir, wie Cassius Dio die Lage beschreibt, nachdem Macro sich zu den Prätorianern begeben hatte (10, 1):
»Inzwischen wurde der Brief vorgelesen. Er war umfangreich und enthielt […] zu Beginn irgendeine andere Sache, dann einen leichten Tadel an seinem (Seianus‘) Verhalten, hierauf sonst einen Gegenstand und anschließend eine weitere Rüge für ihn. Am Ende fand sich die Bemerkung, dass zwei von den Senatoren, die zu seinen engsten Vertrauten zählten bestraft werden müssten und er selbst unter Bewachung zu stellen sei. (2) Einen unmittelbaren Befehl zu seiner Hinrichtung erteilte Tiberius aber nicht; nicht, weil er gegen sie war, sondern weil er fürchtete, dies möchte zu einer Empörung führen. […] Weitere Angaben enthielt der Brief nicht, man konnte aber mit Aug und Ohr eine Menge verschiedenartiger Wirkungen feststellen, die von ihm ausgingen.«
Seianus vermochte es gewiss nicht fassen. Statt der Ernennung zum Mitregenten hat der Kaiser angeordnet, ihn zu verhaften. Wie die Kanaille darauf reagierte, war vorhersehbar. Auf der Stelle verringerte sich die Zahl seiner Sympathisanten im Senat gegen Null und seine (und des Kaisers) heimliche Feinde dürfen jetzt über den Mann, den sie eben noch hofierten, herfallen, ihn misshandeln, in Fesseln legen und in den Kerker stecken (Dio, 58, 11, 4):
»Für den Augenblick wurde er zwar nur ins Gefängnis geworfen, doch kurz darauf, am selben Tage noch, trat der Senat […] zusammen und fällte über ihn das Todesurteil. (5) Daraufhin wurde er hingerichtet und die Leiche über die Treppen hinuntergeworfen, wo sie der Pöbel drei volle Tage lang schändete und schließlich im Fluss versenkte.«
Dass es sich hier um Justizmord handelt, vielleicht angeleitet durch das Vorbild des Endes der Catilinarier, steht außer Frage: Seianus hatte nämlich keine Gelegenheit, sich in einem regulären Prozess zu verteidigen. Das Urteil, das man dem fernen Kaiser zu schulden glaubte, stand von vorn herein fest. Im Concordia-Tempel diesmal, der ‚göttlichen Eintracht‘ geweiht, versammelte man sich, um auf Kommando den Daumen zu senken.
Dann schickte man die Henker in den unterirdischen Teil des Kerkers (das ‚Tullianum‘ im Hang des Kapitols), in dessen Gewölbe sie dem armen Kerl die Kehle zuschnürten. Doch nicht genug damit:
Man gönnte seiner Leiche keine Grabesruhe sondern sorgte dafür, dass er nach der Religion als unsteter Geist wandern und nicht ins Jenseits eingehen konnte, denn die Henker schlugen eiserne Haken in seine Leiche und zerrte ihn wie einen gemeinen Schwerverbrecher an Seilen über die ‚scalae Gemoniae‘ (‚Seufzer-Stufen‘) den Hügel bis zum Tiber hinab, um ihn dort dem Pöbel zur Schändung zu überlassen, bis man die Leiche schließlich endlich in den Fluss stieß und davon treiben ließ.