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Das neue Jahrhundert bringt nichts Gutes für den Reichsgrafen Florentin VII. von Palmingen. Statt wie ein guter Landesvater für seine gräflichen Bewohner sorgen zu können, steht das Deutsche Reich unter der Kuratel von Napoleon und bald wird der Code civil auch vor Schloss Palmingen nicht haltmachen. Geblieben ist noch ein Rest klein-höfischen Lebens mit Mätresse, hochherrschaftlichem Besuch und, wenn es die Etikette bestimmt, ein schrecklich langweiliger nachbarschaftlicher Nachmittag beim geckenhaften Baron Wimmersheim. Aber nicht nur die politische Lage lässt den Grafen seufzen – übrigens ist sein einziger Sohn, vom französischen Revolutionsfieber angesteckt, zum Citoyen geworden, welch Schande! Zu allen Sorgen kommt noch die Unsicherheit der gräflichen Wälder, in denen der berüchtigte Johannes durch den Wald, der Schinderhannes, sein Unwesen treibt. Zuletzt wurde die junge Gräfin-Witwe Amöne von Hohen-Sulz von dem Mann mit der Maske überfallen. Wie diese courgierte Frau erst bei Florentin Schutz sucht, sich dann, als Dragoner kostümiert, mit einer Gefolgschaft dem Räuber entgegenstellen will, sich in einem aufgelassenen Kloster niederlässt, einem mysteriösen Kavalier Einlass gewährt und in einen Kampf mit dem Räuberhauptmann verwickelt wird, davon erzählt die Chronik des Grafen Florentin, der auf diese Weise seinen Sohn wieder findet und den Räuber demaskiert. Im Anschluss folgen noch die beiden kurzen Novellen "Henkerskind" und "Louisabeth".-
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Seitenzahl: 459
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Rudolf Stratz
Saga
Der mysteriöse Kavalier und andere NovellenCopyright © 1910, 2019 Rudolf Stratz und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711507216
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
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Aus der Chronik des letzten Reichsstandesherrn von Palmingen
. . . So kamen, wie mit dem Westwind die grauen Wolken, die grauen Sorgen über den Rhein, seitdem Buonaparte und die Franzosen an seinem linken Ufer ihre Zelte aufgeschlagen, und flogen hinüber in das Reich und bis in die einsamen Wälder und Berge rechts vom Rhein, in denen, mit vielen anderen edlen Häusern, auch mein altes und distinguiertes, glaubhaft von Äneas stammendes, alle Zeit mit Rothwachs-Freiheit und dem Prädikat: „hoch- und wohlgeboren“ begabtes Geschlecht, seit tausend Jahren frei, nur Seiner römischen Majestät in Wien und sonst Niemandem unterthan, gesessen und väterlich über nun, zu meinen, des Grafen Florentin VII., Zeiten nahe an achthundert Stück Unterthanen regieret.
Und wie aller irdische Glanz und Gloria einmal endet, so sollte nunmehr, nachdem wir seit etlichen sorgenvollen und betrübten Jahren mit anno 1800 ein neues Säculum begonnen, der erlauchte Stamm mit mir ausgehen und absterben, dessen über die gemeine Menschheit erhabenes Haupt schon im Spiegel den Schnee des Alters aufweist, wenn mir beim Lever mein Kammerknecht Pompeo Orlandi die Perrücke aufstülpt.
Es weht Herbst in der Luft, wie draussen der Sturm durch meine Wälder geht und der Regen prasselt. Wir sind am Ende des heiligen deutschen Reiches. Es giebt keinen deutschen Kaiser mehr über uns, die aus Urzeit semperfreien Reichsstände und Souveräns, dergleichen meine Vorfahren aus eigenem Recht auf dem Reichstag zu Regensburg durch die Jahrhunderte auf der fränkischen Grafenbank ihre Kuriatstimme geführt. Es giebt nur noch einen dem Meer entstiegenen wälschen Kaiser und seine bewaffneten Völker am Rhein.
Oh Ihr Herzöge von Weilheim und Usingen — oh Ihr Salme — oh Ihr alle, die Ihr in Napoleons Antichambre den Mamelucken um den Bart geht und den Frauen seiner Marschälle in Paris im Boudoir beim Schälchen Chocolate schmeichelt — oh Ihr sechzehn Unersättlichen, die Ihr mit dem Korsen den Rheinbund wider das Reich statuiert — Ihr Kleinen und — wehe! — Ihr Grossen — Ihr neuen teutschen Könige und Grossherzöge! Ihr rafft Eure Reich’ und Lande zusammen, indem Ihr gierig uns ehrwürdige und altersgraue Herrlichkeiten verschlingt — Äbte und Reichsgrafen, Bischöfe und Fürsten, freie Städte und Ritterschaft! Schon hat sich, durch eine gesiegelte Ordre, ein Conseil von Hofgerichts-Registratoren zu einem Verifications-Protocoll bei mir angesagt. Bald läutet das Todtenglöckchen auch über der Souverainité meiner edlen Grafschaft Palmingen . . .
Wie aber soll man noch mit weisem Scepter schier tausend Unterthanen regieren, wenn alle nachbarlichen Gewalten sich lösen und schwinden? Wer findet sich noch in den leeren Klöstern, den aufgelösten Bisthümern aus und ein? Wo ist das Weichbild der um Zoll und Wehr beraubten Reichsstädte? Die neuen Königlichen und Grossherzoglichen Assessores und Secretarii, die geschäftig die Beute rubricieren, wissen selbst oft kaum die Grenzen ihrer frischgebackenen Staaten von Buonapartes Gnaden. Dessen Garden und Truppen aber marschieren unbekümmert mitten durch teutsches Land. Besetzen im Frieden Plätze am Rhein.
Mon Dieu . . . mon Dieu . . . Ein Kellner Grossherzog von Berg! Ein Soldat von Fortüne, Namens Murat! . . . Die Welt steht nicht mehr lange! Sie muss brechen! In einer wirren Melée flüchten drüben aus der Pfalz übern Rhein die Vertriebenen zu uns herüber — Adel und Unadel — ohne Pässe und Permets, füllen Städte und Dörfer, mengen sich unter die Aventuriers, die auf Weg und Steg den von der österreichischen Campagne heimkehrenden endlosen Heereszügen des Kaisers der Franzosen folgen.
Welcher gräfliche Landesvater wie ich kann da noch auf Sicherheit Leibes und Lebens in seinen Gebieten halten, wenn ein heiliges römisches Reich teutscher Nation sich selbst seiner Wehr’ und Waffen gänzlich entblösst hat, als sollte es auf Erden ewig Frieden werden, indess doch der Franzose mit kriegerischem Lärm Europa erfüllt? Wem dient — offen sei’s geklagt — dieser Wirrwarr und diese Waffenlosigkeit Teutschlands besser, als den Räuberbanden, die von den Niederlanden den Rhein herauf Spessart und Odenwald mit ihrem Getümmel erfüllen, als seien sie die eigentlichen Herren der Zeit? Der Name des Schinderhannes ist gewaltig! Die Kinder singen vom Hölzerlips! In allen dreizehn Dörfern meines Reichs aber klingt das Stossgebet: „Behüt’ uns Gott vor Johannes durch den Wald!“
Mit diesem famösen Räuberhauptmann sind meine Erblande gestraft! Es ist unmöglich, diesem Bösewicht, der höhnend seine Droh- und Brandbriefe mit ,Johannes †††’ unterzeichnet, mit einem Strang das Leben zu verkürzen! Ich habe vergeblich und unter grossen Dépensen meine Armee bis auf achtzehn Dragoner verstärkt. Selbst diese Truppenmacht bleibt ohne Süczess. Mein Commandant en chef, der Capitan von Schindewolff, schon dem Äusseren nach kein rechter alter Marssohn, ist so grossen kriegerischen Operationen nicht gewachsen. Und ich selbst, der regierende Graf, bin zu alt. Wohl hat mich das Schicksal mit sechs Schuh Länge und einem gebieterischen Exterieur begabt, und habe ich in meiner Jugend mich in Ungarn in habsburgischen Diensten getummelt, drei starke Paschas vom Sattel herab erlegt und die Rossschweife als aide-mémoire hier in der Halle meiner Väter aufgehängt. Nun aber bin ich ein Greis, auf dem schwerer noch als die Jahre die Regentenpflichten lasten. So geschah es, dass auch an dem Abend, von dem ich hier berichten muss, der Johannes durch den Wald meiner Allmacht in gräflich Palmingen’schen Landen spottete . . .
Wie der Überfall vor sich gegangen, hat mir die arme Frau Reichsgräfin nicht verhohlen, und so vermelde ich es hier:
Sie, die junge Gräfin-Wittwe Amöne von Hohen-Sulz, war nebst ihrem kleinen Söhnlein Jasomirgott und ihrem bei sich habenden Kammermensch, der Demoiselle Häberlin, in ihrer sechsspännigen, verschlossenen Reisekarosse im Walde bis zu der Siebenherren-Ecke gelangt, so genannt, weil an dieser Wegbiegung die Blutbann-Gerechtigkeit von sieben teutschen Erbländern, darunter auch dem meinigen, aneinanderstösst. Es ist da eine Art hohle Gasse. Die Pferde gingen im Schritt. Drei Leibpostillone sassen darauf. Zwei Kammerhusaren auf dem Bock. Hinten stand, um die aufgeschnallten Koffer zu bewachen, auf dem Trittbrett ein bewaffneter Laquai.
Da erhebt sich in der Dämmerung ein Mordsgeschrei: „Schiess, dicker Bub, schiess! . . . Zück’ den Säbel, scheeler Peter! . . . Mühlarzt . . . Katzenschinder — haltet die Gäule! . . . Abrahamche — schneid’ die Felleisen ab! . . . Schneiderlein — hilf ihm! . . . Halt Ausguck, Danziger Liese! . . . Mach’ den Wagenschlag auf, Studenten-Friedrich . . . Scholem-Leagem! En avant! . . . Courage! . . . Los, Chawrusse! . . .“ Hebräisch und Französisch durcheinander . . . . . .
Es lag ein dicker Baumstamm quer über den Weg. Aus den Büschen rechts und links lugte ein greuliches Volk, brach bewaffnet hervor, zielte mit Pistolen und schwang Degen und frisch abgeschnittene Eichenknüttel. Die Postillons und Kammerhusaren — nicht faul — warteten nicht erst, bis sie mit Pulver und Blei aus Sattel und Kutscherbock geräumt würden — sprangen hinab und flohen, und nicht minder hasenherzig auch der Domestique, so dass die Frau Gräfin Amöne, die ausgestiegen war, ganz verlassen da stand, neben sich die Demoiselle Häberlin mit dem weinenden Erbgräflein auf dem Arm.
Die hochgeborene Hohen-Sulz’sche Wittwe aber lässt sich nicht erschrecken! Sie stemmt die Hände in die Seiten, sieht über die Räuber im Kreise und ruft entrüstet: „Ihr schlechte Leut’ — pfui — schämt Euch! Wer is denn Euer Hauptmann?“
Siehe: Es reitet ein Cavalier auf schwarzem Ross zwischen den Stämmen hervor. Er ist nach Brauch eines gemeinen Mannes gekleidet — trägt eine weisse, braunwollene Kappe, ein schwarzseidenes Halstuch, ein grau tuchenes Wamms, eine weiss und grün gefleckte Weste von Kattun, hirschlederne kurze Hosen mit viereckigen gelben Schnallen, weisswollene gerippte Strümpfe und Bundschuhe. Aber er sitzt mit einem höfischen Anstand zu Pferde. Vor dem Antlitz trägt er eine schwarze Maske, die nur die Augen freilässt.
Die junge Frau Reichsgräfin blickt zu ihm auf und schmält ihn zornmüthig und voll Courage aus:
„Er hat wohl Recht, dass er sein Erröthen unter der Larve birgt! Stehle Er den Bauern Hühner und werfe Er die Messjuden! Aber belästige Er nicht Personen von Stand und hoher Distinction! Denn dies ist wahrlich neu und geht übel aus! . . . Weiss Er, wer ich bin?“
Lacht der Brigant oben unter seiner Maske.
„Zu was wären wir Killesgänger und Kitteschieber und ich der Ballmasemattener von den Ehrefhalchenern“, sagte er in einer widerwärtigen Mischung teutscher und hebräischer Zunge. „Parbleu, Madame: Sie sind noch landfremd hier rechts vom Rhein, nachdem Sie, durch den Traité von Lunéville, Ihre linksrheinische Herrschaft Hohen-Sulz an Frankreich verloren haben!“
„Deswegen komme ich ja flüchtig aus der Rheinpfalz!“ ruft erzürnt die Gräfin Hohen-Sulz. „Mit Müh’ und Noth haben mich die Franzosen noch über die Mainzer Rheinbrück’ gelassen. Flugs darauf haben die Schoote sie wieder zugemacht!“
„. . . und Madame ist nun im Begriff, ihre, als Entschädigung zugewiesene Herrschaft, die ehemalige Abtei Heilig-Kreuz, zwei Stunden von hier, zu beziehen!“ spricht der vermummte Bauer auf dem Rappen höflich. „Vous voyez bien: Ich weiss Bescheid!“
„So menagiere Er sich und lasse Er eine arme, christliche Wittwe in Frieden fahren!“
„Es ist nicht meine Schuld, dass dero Gatte als K. u. K. Obrister in der Bataille von Hohenlinden fiel! . . . Sie sind erstaunt, dass ich das weiss? Ma foi, Madame — mir ist manches bekannt!“
„Dann ist Ihm auch nicht fremd, Er Töffel, dass ich keine landfahrende Madame bin, sondern die edelgeborene und hochgebietende Gräfin Sulz! Wer sich an Hab und Gut meiner erlauchten Personnage vergreift, dem winkt unfehlbar der Galgen!“
„Hei ja, Viva! Ihr grandige Malochner!“ schreit da der Schelme Oberster vom Ross und schwingt den Arm in die Luft. „Bangt Euch vor dem Dullme?“ Und die Lümplein umher lachen des Galgens, sind auch schon dabei, die Koffer und Mantelsäcke aufzuschneiden und die Pferde wegzuführen, und ihr Gewaltiger redet zu der mit Fug empörten Frau Gräfin weiter: „Eigenthum ist unrecht Gut! Das hat die grosse Revolution in Paris offenbart. Wer stiehlt, gewinnt das Seine wieder!“
„An ihm ist ein trefflicher Magister verloren gegangen“, sagt Ihre arme Erlaucht erbittert. Er aber, unter seiner schwarzen Maske: „Was in Ihrer Bagage an Geld und Gut steckt, das haben Ihre Vorfahren vor Jahrhunderten auf der Landstrasse geraubt! Ich hole es uns armen Brüdern auf der Landstrasse zurück! Voilà tout! . . . Das Rad dreht sich, Madame!“
„Er wird selber auf’s Rad geflochten werden, weil er mich, des heiligen Reiches Gräfin und Edelfreie . . .“
„Das heilige Reich ist Todes verfahren! Die edle Freiheit lebt und blühet Jedermann, auch uns armen Strahle-Kehrern von der Landstrass’! Es ist kein Unterschied mehr zwischen dem geringsten Nachtdieb und einer gloriösen Frau Gräfin, sondern ein Mensch wie der andere!“
„Er hat gut philosophieren, Er diebischer Rousseau! Ich aber stehe hier . . .“
„Sie sollten vor einfallender Nacht Schloss Palmingen erreichen, Madame!“ sagt der Mann in der Maske vom Ross herab. „Es ist nur zehn Minuten Wegs von hier! Gehen Sie flugs! Sonst kann ich, bei Nacht, für Ihre Sicherheit nicht bürgen! Ich habe zu üble Gesellen in meiner grossen Compagnie!“
Und wie dann die Reichsgräfin von Hohen-Sulz gottergeben ihre Röcke rafft und mit Dienerin und Söhnlein zu Fuss in Regen und Abend-Dämmern durch den Koth der Landstrasse dahinstapft — wahrlich ein erbarmungswürdiges Bild! — da ruft ihr der unbekannte Bösewicht nach: „Vermelden Sie des Grafen Palmingen hochnärrischer Herrlichkeit mein — unterthäniges Compliment und einen Gruss vom Johannes durch den Wald!“
Ich, der Graf Florentin, absolvierte um diese Zeit vor dem flackernden Kamin meine allabendliche Akademie mit Monsieur du Marainville, meinem Florettmeister. Dieser ehemalige Musketier Ludwig XVI., den ich als Flüchtling vor der Revolution in meine Dienste genommen — wie denn mein Hof ein kleines Versailles des französischen ancien régime mit Stolz genannt werden mag — dieser Edelmann schlägt eine leckere Klinge. Doch auch ich tänzelte, wenn schon ein Greis, lang, hager und graziös, im Flammenschein des Kamins über das Parkett, liess, trotz des Zipperleins, in hurtigen Pirouetten die blauseidenen, goldgestickten Rockschösse wehen und verneigte mich wohlgelaunt und gravitätisch, als ich mit einer süperben Finte wider den du Marainville reüssiert hatte.
Mein Porzellanmaler Christoforo di Santo Basso trat herein, ein welscher Meister von der nun schon seit Jahren abgegangenen kurmainzischen Fabrique in Höchst. Wies mir artige Streublümchen in einem weichen, karminrothen Camaiou auf Cocots en miniature, — kleinen, gedeckelten Bechern für süsse Sahne — und ich bedauerte mit dem galanten Künstler, dass wir von Höchst kein Geschirr mehr zum Bemalen gewinnen können, seitdem die Franzosen die weitgerühmte Fayence-Manufaktur muthwillig verbrannt haben.
Inzwischen liess ich mir von Pompeo, meinem Kammerknecht aus Neapolis — da ja die Teutschen zu solch delikaten Hantierungen zu grob und ungeschlacht sind die Perrücke kräuseln und pudern und die Spitzenkrause glätten und Frack, Gilet und Escarpins zum Diné zurechtzupfen. An meinem Hofe darf Niemand die Schamlosigkeit so weit treiben, in langen Pantalons einherzugehen, oder durch runden Hut und freifallendes Haar freventlich sein Jakobinerherz offenbaren. Wo wurde sonst feine Sitte und heitere Anmuth gefunden, als in dem ehemaligen Frankreich, und so beorderte ich, während ich mir behaglich am Kamin Kniestrümpfe und Schnallenschuhe wärmte, meinen Hofcultus-Administrator und Oberceremonier, den alten Herrn Marquis Elimar de Fizeaux de Rouvroy, der, mit dem Dreispitz unterm Arm, den Degen an der Seite, vor mir stand.
„Sorgen Sie, mein Theuerster, dass die Musikanten während der Tafel nur pianissimo fiedeln und keiner von der Livrée sich zu husten unterfängt und alles nach Gebühr verläuft.“
Der Herr Marquis verbeugte sich mit jenem leichten Anstand, wie er — ach! — nur in Versailles, niemals in unsern bäurischen teutschen Landen daheim war — und ich fügte gnädig, in Art des Sonnenkönigs lächelnd, hinzu:
„Und möge auch der Stern unseres Schlosses doppelt lieblich leuchten!“
Ein tiefes Compliment des Herrn Marquis:
„Meine Tochter Xénais wird ihr Bestes thun, um vor dero erlauchtigen Augen mit Ehren zu bestehen!“
Er zog sich, mit dem Antlitz gegen mich, zur Thüre zurück und verschwand. Ich winkte ihm heiter mit zwei Fingern nach. Ich sass am Kamin und träumte, indess mein Hofstaat schwieg . . .
Oh — schweigt mir . . . schweigt von Xénais! . . . Oh, Cupido, du Loser! . . . Oh, du altes Herz . . . oh . . . Xénais . . . du Spröde . . .
Es wäre besser für mich, ins Kloster zu gehen! Ein alter Spötter und Gottesleugner und Weltmann wie ich — ein wahrer Sohn des grossen, todten, achtzehnten Jahrhunderts. Im Kloster hat dies arme, feurige Herz Ruh’! A Dieu mon âme — mon cœur aux dames . . . Wie habt Ihr das selber gehalten — Ihr Montmorency mit Eurem Wahlspruch: „Gott meine Seele — mein Herz den Frauen — mein Leib dem König — die Ehre für mich . . .“?
Oh Xénais . . . hartherzige Coquette . . . Soll ich dich wirk lich an den zierlich erhobenen Fingerspitzen der linken Hand zum Altar geleiten — eine mésalliance — eine schimpfliche mésalliance — wenn du auch eine landflüchtige Marquise bist . . . aber ich . . . ein Standesherr des römischen Reiches — dem Kaiser ebenbürtig — ich — der letzte Palmingen . . . Soll ich, zum schmählichen Ende, die Ahnentafel mit einer unebenbürtigen Heirath beflecken?
Und anders thust du’s nicht . . .
Oh Xénais . . .
Eine innige Liaison in allen Ehren . . .?
Du lachst nur und machst mir armen weisshaarigen Schäfer, der zu deinen Füsschen kniet, eine lange Nase . . . Du könntest meine Enkelin sein . . .
Das Kloster . . .
Oh Xénais . . . oh Schlange Eva . . . oh Xénais . . .
Mein Jagdmeister. O’Kelly kam in hohen, übel beschmutzten Stiefeln herein. Er ist ein Ire, und auf welchen Wegen er abenteuernd bis an meinen Hof gelangt, hat sich nie recht offenbaren wollen. Ich weiss nur, dass Niemand so grausam und entsetzlich lügen kann wie er, wenn er uns seine Bärenhatzen in der Walachei und seine Händel mit Wölfen und Luchsen bei den Lappländern meldet.
Er war kein Sieur von Politesse, sondern trat frischweg ein und rapportierte mit einer vom Branntwein rauhen Kehle.
„Es ist um das Schloss herum nicht geheuer, Erlauchte Gnaden! Alle Saurüden im Park schlagen an! Man hat diverse Kerle, von einem Habitus wie Trabanten oder Läufer eines grossen Herrn, Hals über Kopf rennen sehen, als sässe ihnen der Böse auf den Hacken!“
„Werden Wildfrevler sein, die Euch für Narren halten!“ liess ich mich nicht eben huldvoll verlauten.
„. . . Im Walde — berichten etliche Holzweiblein — schleichen sich üble Gestalten durch die Bäume . . .“
„Unter meinen, des regierenden Grafen, Augen . . .“
„Was untersteht sich ein Räuber nicht in seiner Schalkheit? Ich erlebte es einmal im Kastell des Hospodars der Moldau . . .“
„Lasset den Grosstürken unterwegs! Sehet lieber, was das für Nachtvögel in frecher Nähe unserer Residenz sind!“
„Sie tragen Waffen und schwere Packen! Ich besorge: Es ist draussen eine Attacke auf einen étranger de distinction geschehen!“
„So weit treibt selbst ein Johannes durch den Wald nicht seinen Übermut und Büberei!“ rief ich und erhob mich in voller Majestät von Palmingen vom Tabourett. Doch zugleich heulten die Hunde draussen noch toller, und es geleitete der Marquis von der Halle her eine Dame vor mein Antlitz, der eine Kammerdienerin mit einem Knäblein auf dem Arm folgte.
Diese Fremde musste von hohem Stand und Abkunft sein, dass ein so gewissenhaft ceremoniöser Hofmarschall wie der de Fizeaux sie ohne Anmeldung, so wie sie regentriefend und windzerzaust aus der Nacht kam, in meine Appartements introducierte. So trat ich, den Lorgnettenstiel zu den Augen hebend, neugierig und cavalièrement leicht, mit zwei Pas vor sie hin.
Sie war eine grosse und wohlgebildete Person, von schönem und vollem, wenn auch jetzt bleichem Antlitz. Noch mochte sie wenig über die Mitte der Zwanzig sein — mit sattsam viel kastanienbraunem Haar unter dem verschobenen, schieffitzenden Reisehäubchen, und Thränen des Zorns in den grauen Augen — doch aber in einer Tournüre und Haltung, wie sie einem hochadeligen Frauenzimmer, auch im Echauffement, verbleibt. Sie trug einen weiten kapuzinerbraunen Tuchmantel mit langen bauschigen Ärmeln, vorn aufgeschlitzt, und darunter einen Rock aus feiner, silbergrauer Wolle, alles von der Witterung draussen nass und die Schuhe feucht von Strassenschlamm.
Diese grande Dame nun marschieret, wie sie meiner gewahr wird, alsofort auf mich zu, fasst Posto und beginnt, sich, ohne einige Complimente, bitterlich zu beschweren: Sei dies Zucht und Ordnung in gräflich Palmingen’schen Ländern, dass man eine Reisende von ächt altadeligem Blut und sechzehn malteserfähigen Ahnen allda am lichten Tage molestiere? Sie habe sich, als eine hülflose und vertriebene Wittib, einer besseren Nachbarschaft zu ihrem neuen Herrensitz Heilig-Kreuz versehen . . .
Nun merkte ich, dass dies die Sulz’sche Gräfin war, die ich noch nicht von Person kannte, und ich excusierte mich geziemender Massen. Sagte, ich liesse stets die Ordinari-Post von meinen reitenden Dragonern cotoyieren. Und hätte noch weniger ermangelt, der Frau Gräfin eine gebührende Sauvegarde zu stellen, sowie sie mich avertiert hätte, dass sie meinem Staat die Ehre ihrer Durchreise vergönne.
Sie aber mag nichts hören und klagt: Wahrlich — eine angenehme Surprise! Nun sei sie schimpflich um ihr Hab und Gut draussen auf der Landstrasse geprellt und stehe wie eine Landstörzerin da vor Gott und den Menschen! Rückt mir auf den Leib und begehrt mit dräuenden grauen Augen zu wissen, wer auf hiesigem Territorio regiere: Florentin VII. oder Johannes durch den Wald?
Zum Glück waren wir — die Gräfin Amöne und ich — nahe verwandt! Denn mein Vorfahre, der Kreuzritter Sifridus, der im Jahr des Herrn 1099 bei der Erstürmung Jerusalems fiel, und die Ehezier Aleit des liber miles de Sulce am Rhein waren Geschwister gewesen. Dies fiel mir bei und mit dem Recht des cousin rügte ich: „Wie mochten Euer Liebden auch muthwillig ohne ritterlichen Schutz die Wälder passieren?“ Sie aber, rasch und mundfertig: „Daran ist Eure gräfliche Weisheit allein schuld!“
„. . . Dass Sie solch eines Husarencoups sich vermassen, Liebwertheste?“ replicierte ich erstaunt, in der Zunge Voltaire’s, und die schöne Gräfin, in ihrer Exaltation in simpelm Deutsch, dessen Mundart es nicht verhehlte, dass die Wiege ihrer erlauchten Ahnen viele Jahrhunderte drüben in der Pfalz gestanden:
„Ei gerad’! Hätt’ ich nur den Herrn Stabsrittmeister noch bei mir gehabt!“
Und mit jener pleine carrière der Gedanken, wie sie dem Frauenzimmer eigen, continuierte sie:
„Guck emal: das war ein rechter Husar! Gleich hinter dem Grossherzogthum Frankfurt haben wir uns in der Poststuben kennen gelernt! Ei — hat der Preuss’ den Postmeister gedrillt, wie der mir keine Pferd’ hat geben wollen, und den Grobian geheissen, Bauernpferde zu schaffen! Wir haben denselben Weg gehabt und er ist die ganze Zeit neben meiner Chaise geritten und hat mich chaperonniert und wir haben miteinander conversiert!“
„Hätte doch gemeldeter Chevalier die Frau Cousine bis hierher gebracht!“
„Ja, liebs Göttle — darf er denn? An Ihrem Grenzbaum, Herr Cousin, hinter dem Städtche Waldbronn, waren Ihre Employé’s wüst! Gleich die Musketen vom Buckel und die Schnurrbärt’ gestrichen: ,Kein preussischer Werbe-Offizier darf auf gräflich Palmingen’sches Gebiet!’ . . .“
„Meine präciseste Ordre und Entschluss!“ bekräftigte ich und gerieth noch nachträglich in den Zorn eines Landesvaters, dem man sein Eigentum raubt, „nachdem ein Rittmeister von Arcularius mir hinterlistig zwei starke Purschen für die preussische Armee geworben und entführt, und so die Zahl meiner Unterthanen merklich gemindert hat!“
Die Sulz’sche Frau Cousine lacht und klatscht in die Hände. „Etsch! Der Monsieur de Arcularius ist es ja gerade,“ spricht sie, „der mich begleitet hat!“
„Soll anderswo sein Métier prästieren als in meinem Reich und Landen!“ brause ich auf und die Gräfin, rosig erhitzt, mit feucht glänzenden Augen — wahrlich: ein reizendes Bild von Meister Watteau’s Pinsel — von adeligem Anstand und doch ein liebenswürdiges Weib — wenn mein altes Herz nicht schon für Xénais glühte — . . oh Xénais . . . nun denn — sie — die vertriebene Hohen-Sulz’sche, eifert, als sei sie selbst ein Sujet des roi de Prusse: „Der König von Preussen braucht doch Soldaten! Seine ganze Armee marschiert doch nach Westfalen. Es heisst doch: Jetzt giebt’s endlich den Krieg zwischen ihm und dem wüschten Buonaparte! Deswegen muss ja der Herr Capitän von Arcularius allgemach heim! Er hat lang genug hier die Deserteurs und Conscribierten der grande armée über’n Rhein herüber angeworben und in Handgeld und Handschlag genommen, spricht er!“
„Wo ist sothaner Offizier zur Zeit?“
„Ei — unten in Waldbronn, im ,Lamm’ — da hockt er!“ ruft die schöne Frau Amöne. „Ohne eine hochgräfliche riegeldumme Grenzsperre wäre er bei mir geblieben, und ich hätte meine Bagage noch! Er wollte mit solch einem Johannes durch den Wald flugs fertig werden, hat er gelacht und gesagt, — wenn man ihn machen liesse! Dafür sei er ein preussischer Husar und Werber und habe mehr Finten, Listen und Anschläg’ im Kopf als ein Baum Blätter!“
„Möchte dies nicht nach einem Poltron schmecken, schöne Frau Cousine?“ frug ich in Zweifeln.
Der Ruf des Herrn Werbe-Capitäns, dass ein Fuchs viel von ihm lernen könne — und in der Noth ein reissender Wolf von ihm das Beissen — geht weithin am Rhein bis in das Kur-Trier’sche und Kur-Kölnische!“ vertheidigte ihn die Gräfin mit erhitzten Wangen. „Er steht auch in grosser Gunst und Affektion bei dem Vater aller Husaren in Preussen, dem Herrn von Blücher. Er hat mir Briefe gewiesen, aus Stolpe und Bütow in Pommern, wo der Herr Generallieutenant sein ansehnliches Husarenregiment vor dem Ausmarsch nach Westfalen visitierte. ,Wir werden nun negstens in die Gefegte mit diese Kerlls kommen!’ schreibt er. Mit der Feder will es Seiner Exzellenz nicht recht glücken! Aber der Herr von Arcularius versteht wohl, wie es der Säbel meint!“
„Und er hat sich zu Euer Liebden vermessen, den Johannes durch den Wald zu fangen?“
„So sprach er nicht nur zu mir, sondern vor aller Welt zu den Postknechten, die die Vorleg-Pferde anschirrten und kleinmüthig waren: Er wolle solch einem Räuberlein auf einen Schelm anderthalb setzen! Dazu brauche es freilich nicht ein bäuerisches Drauflosreiten, sondern einigen Husarenwitz und preussisch kalt Blut!“
Unter diesem begeisterten Lob des Herrn Prussien von rothen, Hohen-Sulz’schen Lippen war meine Décision geschehen! Ich wollte nicht weiter meiner hohen Souveränität aus Waldesklüften heraus Hohn und Schabernack bieten lassen!
„Ich werde immédiatement ein Billet an den Herrn Stabsrittmeister expedieren“, meldete ich der Gräfin, „und ihn invitieren, einige Tage mein Gast zu sein! Möge er dann seine Husarenkunst an dem Johannes durch den Wald erweisen!“
Das Haus Palmingen lebte zwar mit dem Reichsstädtlein Waldbronn schon seit mehreren Jahrhunderten wegen einer strittigen Gänseweide in Fehde und Unfrieden und der weitberühmte Prozess hing einhundertelf Jahre vor dem Reichskammergericht und ist, nachdem Wetzlar nun fürstlich Dalberg’sch geworden, niemals zu Ende gediehen. Trotzdem fertigte ich jetzt einen reitenden Boten mit meiner Epistel an den Herrn von Arcularius in Burgfrieden und Weichbild Waldbronn’scher Reichsstandschaft ab, wählte dazu den getreuesten und unerschrockensten aller meiner Dragoner, den Trompeter Bellonier, einen Brabanter, und hiess ihn, ohne Angst vor den Räubern, brav durch die Nacht galoppieren, wie er dann auch ohne Abenteuer in dem Städtchen anlangte, dem Herrn Rittmeister den petschierten Brief übergab und anderen Morgens mit dessen gehorsamstem Rapport wieder bei mir antrat, der Capitän von Arcularius werde nicht ermangeln, hochdero gnädigster Provokation zu folgen.
Während ich ihm am Abend diese Zeilen schrieb und also wider Hermes an Mars, gegen den Gott der Diebe an den Gott des Krieges appellierte, hatte ich die Frau Gräfin ehrerbietig ersucht, für vorkommende Nacht über mein Schloss und seine Appartements befehlen und verfügen zu wollen. Diese liebe Cousine jedoch hatte, bei aller Holdseligkeit äusseren Ansehens, malheureusement, wie mir bald klar wurde, einen rechten Pfälzer Dickschädel von Alters-Ahnen her auf ihren zarten Schultern sitzen und, besorg’ ich, ihrem Gemahl wohl manchmal den Kopf heiss gemacht, bis er, allezeit getreu für Habsburg und ein heiliges Reich, bei Hohenlinden wider die Sansculotten sein adelig Gemüt aushauchte. Diese Gräfinwittwe stampfte jetzt mit dem Fuss tönender als meinem Hofceremonier lieb war, auf das Getäfel, weigerte sich, Speis und Trank bei mir zu goutieren, und beharrte, mit finster geschürztem Mund und, als eine schöne junge Weibsperson, doch voll männlicher Courage, stracks ihre Reise nach Heilig-Kreuz fortzusetzen.
„Es halten sich als noch etliche Mönch’ dort verschlupft!“ sagte sie erbost, und ich wusste wohl: Abt Martin II — seines Stammes ein Reichsfreiherr von Jachenau — und die alten Patres mochten aus dem, achthundert Jahre besessenen, nun säcularisierten Kloster nicht weichen, obwohl ihnen Dorfpfarren genug geboten waren, sondern getrösteten sich immer noch einer besseren Zeit. Und die Amöne von Sulz wickelt ihr Kindlein gegen die Nachtkühle in warme Decken und ruft: „Wo soll ich denn mein Haupt hinlegen? He? Ich bin auch aus uralten Erblanden von den Franzosen verjagt! Es hat halt jetzt in Teutschland zu viel Menschen und drängt Einer den Andern! Mit meinem Amtmann, den ich vorausgesandt, leben die Ordensleute wie Katz’ und Hund! Ich will da aber keine Gewalt brauchen, sondern die Affaire in Güte schlichten!“
„Was wird die Frau Cousine da thun?“ frage ich, und die junge Gräfin lacht muthwillig. „Ei nix, als dass ich da bin! Kann ich dafür, dass ich lange Haar’ hab’ und ein Frauenzimmer bin? Da kriegen’s die frommen Männer mit den Ängsten um ihr Seelenheil und räumen vor mir Beelzebübche das Feld — der gestrenge Herr Abt, wenn er mich anguckt, an der Spitz’! Dess bin ich getrost! Ich muss nur vor nachtschlafender Zeit am Pförtchen Sturm schellen. Sonst lassen sie mich nicht mehr ein! . . . Bitt’ also Euer Liebden herzlich: Schafft mir Reisegelegenheit!“
Meine Subjekte hatten inzwischen mit Fackeln die Karrosse, die noch verlassen auf der Landstrasse stand, aus dem Walde heraufgeholt und trugen die von Frevlerhand aufgesprengten und in den Graben geworfenen Koffer herbei. Deren Inhalt war von den räuberischen Kanaillen, soweit sie ihn nicht hatten mitgehen heissen, mutwillig verstreut, und es sollen weithin im Walde noch Jupons und Chemisetten, Spitzen-Bonnets und Culottchen in den Sträuchern gehangen und am Boden gelegen haben.
Die Gräfin von Sulz aber kümmerte sich nicht darum, sondern half eifrig im Hof bei Laternenschein den Haiducken, die aus meinem Marstall gezogenen Pferde anzuspannen und wusste mit Schnallen und Riemen Bescheid wie ein Stalljunker. Ich aber liess mir inzwischen meinen Generalissimus, den Commandant en chef von Schindewolff, kommen und befahl, bei meiner Ungnade, diesem allzu dicken und, trotz weissen Schnurrbarts, Würfeln und Weib ergebenen Marsdiener, sich ungesäumt und mit meiner gesammten Kriegsmacht von, nach des Bellonier Abgang, siebenzehn Dragonern in den Sattel zu schwingen, sich des ferneren unter kriegerischem Blasen durch die Nacht, gezückten Säbels um die gräfliche Reisekarrosse versammelt, nach Heilig-Kreuz zu instradieren und dort die hohe Dame ohne nochmalige Trouble und Attaque sain et sauf abzuliefern.
So durfte dann die gute Frau Reichsgräfin mit erlauchtem Sprossen und Bedienerin getrost in Nacht und Nebel hinausfahren. Sie reichte mir über den Kaleschenschlag noch herablassend die Hand zum Kuss, und während ich einen solchen graziös applicierte, beugte sie sich vor, wurde ein klein weniges roth und sagte: „Vielleicht lässt sich der Herr von Arcularius bei seinem dasigen Aufenthalt auch einmal in Heilig-Kreuz erblicken . . .“
Mein schelmisches Zwinkern wollte Ihre Liebden nicht bemerken, sondern lehnte sich schnell in die Lederpfühle zurück, die Suite trabte los und die Räder rasselten.
Oh . . . Xénais . . .
Umschloss nicht zärtlich die musselindünne, weisse Robe, eng wie ein Hemd, mit langer Schleppe und buntgestickten Borten dein Nippes-Figürchen einer porzellanenen Schäferin? Öffnete sich nicht neckisch der tiefe Ausschnitt deiner hohen Wespentaille dem sanften Spiel deines weissen Busens? Lächelte nicht die kindliche Unschuld Elysiums aus der Nacht deiner grossen, mandelförmigen Augen?
Oh — dieses Haar . . . kraus, wirr, pikant in dem tiefen Blauschwarz seiner Perrücke . . . dieses Gesichtchen — schmal und fein — geheimnisvoll weiss gepudert — mit den beweglichen Nasenflügeln deiner heiteren Rasse, dem kleinen, rundlichen, elegischen Spitzbuben-Mäulchen . . .
Oh . . . Xénais . . . Kind des Südens . . . Tochter eines fremden Landes, in unsere barbarischen Wälder verschlagen — Xénais . . . süsse kleine Marquise . . . Traumbild von einst — aus den Tagen meiner fernen Jugend . . . vom Sonnenhof von Versailles . . .
Und um den dünnen, weissen Hals trägst du ein schmales, vielsagendes rothes Band. Viele deiner Verwandten fielen unter der Guillotine. Du rettetest dich als Kind auf dem Arm des Vaters hierher auf mein Schloss! Hier blühtest du zur Jungfrau heran . . .
Giebt es etwas Anmuthigeres — Ihr Amoretten, die Ihr mich unsichtbar umgaukelt, seid Zeugen! — als dein Spiel mit dem Longschal, den ich dir zum Wiegenfest verehrte? Er ist zweimal so lang wie du selber, türkisch gemustert, mit langen Franzen. Du aber weisst das lange schmiegsame Gewebe, einer Hamilton gleich, um dein Persönchen zu schlingen, dich in unbewusster Grazie darin zu drapieren, in klassischer Plastik einer deliciösen, immer wechselnden Haltung und Bewegung stets neu das Herz des alten Schäfers zu erfreuen . . .
Oh Xénais . . . dein Schäfer wird wieder jung . . .
Drei ist die Zahl der Grazien. Zu dritt nur waren wir auch bei unserem Symposion: Ich, Xénais und ihr Vater, der Marquis.
Scherzhaft-geistreich, in der Sprache des Herrn von Voltaire, die den Ohren des Haushofmeisters, der aufwartenden Laquaien und des Leibjägers fremd, fing unsere Konversation, hin und her über den Tisch, die Bonmots und Aperçus auf, die wie leichtbeschwingte Falter den goldenen Glanz der Wachskerzen in den hohen Silberkandelabern umgaukelten. Wir handelten erst das Malheur der armen Gräfin ab, mit dem sie, vor dem grossen Räuber Buonaparte flüchtend, unter die kleinen Räuber, den Johannes durch den Wald und sein Volk, gefallen, und ich konnte mich nicht entbrechen, anzumerken, es habe vielleicht gar noch auf dieser Reise Gott Amor, als preussischer Husar verkleidet, unserer Cousine Amöne den Pfeil ins Herz geschnellt . . .
Amor . . . das liebliche Kind . . . Da waren wir denn wieder bei dem zärtlichen, kleinen Liebesgott! Ich fasste, indessen uns die Domestiquen Orange-Wasser über die Hände träufelten, Xénais, diese schalkhafte kleine Unschuld aus Welschland, bei den Fingerchen, und flötete leise: „Oh spröde Diana teutscher Wälder! . . . Wann wirst du deinen Endymion erhören?“ Sie aber, die Marquisin, wiegt das brünette Köpfchen und spricht träumerisch: „Eben läutet es draussen das Ave!“ und ich verstand den seinen Stich wohl, dass keine andere Bresche zu dieser kleinen Festung offen, als die Kirchenthür zu Pfaff’ und Altar . . .
Dies war die erste Verstimmung, und es folgte sur le champ die zweite: die grausame Xénais fächelte sich Kühlung, trieb, voll erlesenen Geschmacks, das flüchtige Spiel des Schals zu einem Wellenwurf, der sie abwehrend beinahe völlig verhüllte, und liess dabei wie beiläufig einfliessen, sie sei, nebst dem Marquis, für morgen Nachmittag von dem Baron Maxence Marie von Wimmersheim auf sein nahes Schloss zur Chocolate genöthigt!
Im Nu waren in mir alle Dämonen der Eifersucht von ihren Fesseln der convenance gelöst! Ich versetzte, mit einer merklicheren Vibration der Kehle, als es Einem der Grossen dieser Erde ansteht. „Ah — und wer ist das weiter — mein Nachbar . . . le baron de Wimmersheim! . . . Ein Mensch von niederein Adel . . .“
„Mir ebenbürtig, Monseigneur!“ lächelte es von den kleinen, weissen Zähnen neben mir durch das Krachen einer Mandel. „Es kann nicht einem Jeden die Reichsstandschaft in die Wiege gebunden sein!“
„Ein Herr von mässigen Vermögensumständen — fast arm zu nennen . . .“ mäkelte ich erhitzt weiter. Xénais strich sich die weissen Musselinfalten ihres Gewandes glatt und erwiderte gelassen: „Nicht mehr, gnädiger Herr, seitdem ihn vor zwei Jahren die verewigte Gräfin-Tante in Wien mit grosser baarer Erbschaft begabt hat!“ Und — zu allem Unglück! — dies war wahr! Also höhnte ich erbittert zum dritten — und darauf gab es keine Parade — denn ich sagte nur, was der ganzen schönen Welt weithin bewusst: „Ma foi! Wen treffen Sie in dem Baron? Einen Harlekin! . . . Einen ausgepichten Bajazzo, den nur alter Nam’ und Schild vor dem Narrenthurm bewahren! . . . Einen unmännlichen, verweichlichten Zärtling!“
Xénais hielt sich mit den kleinen Händen die kleinen rosigen Ohren zu. Ich jedoch beharrte in cholerischem Humor:
„Wenn Sie eines Mundkochs benöthigen, Marquise — le baron de Wimmersheim, diese ausgemachte Weibernatur, steht selbst am Heerd und siedet und backt! Macht Ihre Garderoberin es Ihnen mit Nadel und Schere nicht zu Dank — le baron de Wimmersheim fädelt und fertigt Perlenstickereien trotz einem Frauenzimmer! Gekleidet ist dieser Nachbar und Baron, dass seine Bauern lachen und es einen Schellen-Narren zu Fastnacht erbarmen möchte — so machet er aus sich in seiner Einfalt einen regenbogenfarbenen Affen! Ein Cavalier ohne Courage! Ein Glied der Noblesse ohne alle Mériten! Äh . . . Fi donc!“
Das lose Kind an meiner Seite spielte mit ihrem Réticule und schnitt ein maliciöses Mündchen.
„Ein extraordinairer Vorzug ist dem Baron Wimmersheim doch vor Eurer gräflichen Erlaucht eigenthümlich!“ liess sie sich vernehmen und wieder zuckte es mir ins Herz. Denn dies wollte bedeuten: Er heirathet mich ohne Besinnen — die Tochter eines Marquis, dessen Schlösser und Güter — leider — nur noch im Monde liegen . . . Und wenn ich noch die Zimperliche spiele — ei nur, weil ich lieber zur linken Hand des hochgebietenden Reichsgrafen von Palmingen getraut bin als zur rechten des kleinen Baron Wimmersheim . . .
Aber beeilen Sie sich, Monseigneur . . .
Just eben hörte ich in der Nacht draussen das Hufgetrappel und Säbelgeklirr meiner Armee, die victorieusement, ohne vom Johannes durch den Wald attackiert worden zu sein, von Heilig-Kreuz zurückkehrte. Ich liess noch einen feurigen Blick eines treuen Ritters der Damen über Xénais hinleuchten. Sie aber schüttelte das eigensinnige, in eine chevelure à la sauvage der Perrücke gewirrte schwarze Köpfchen und sprach, vor sich hinlächelnd:
„Ich werde doch morgen bei dem Baron Wimmersheim ein Schälgen Chocolate nehmen!“
Da hob ich erzürnt die Tafel auf und verfügte mich allein in mein Cabinet, nicht anders erwartend, als in der Antichambre den Capitän von Schindewolff vorzufinden, der mir melden sollte, dass die Gräfin Amöne glücklich in Heilig-Kreuz einpassiert.
Doch wer tritt mir im Cabinet, wo er bekümmert vor dem Kamin gesessen, im Flackerschein der Flamme entgegen: der hochwürdige Abt Martin II. selber . . .
Dieser vom Klosterthron gestossene Mönchpriester ähnelte keineswegs den weltlichen Domherren am Rhein, die die Büste des Heiden Diderot auf ihrem Schreibtisch postieren und in Galanterien erfahren sind. Seine Gesichtsbildung war grob, ihr Aussehen streng, das graue Haar wirr, die Kutte rauh, Sandalen an den Füssen — mehr ein Waldbruder, denn ein Edelmann.
„Ich bin mit wendender Kutsche und deinen Dragonern hierher gereist, Florentinus!“ sprach er mit tiefer Stimme. Denn als. nahe Vervetterte bedienen wir uns des ,Du’. „Es ist an dem, dass ich eilends fliehen musste. Der böse Feind hat seinen Vortheil erkannt und ist in Heilig-Kreuz eingedrungen!“
„Mit Hörnern und Klauen, Schwefel und Gestank?“
„Mit langem Haar und langen Röcken, heller Stimme und höchst holdselig zu schauen!“ rief der heilige Mann. „Wehe! Wehe! Wahre dein Seelenheil! Wo der Satan in Weibsgestalt umgeht, da weiche! Morgen ziehe ich mit den Patres weiter in österreichische Erblande, wo — dem Ewigen sei Dank — noch kein Klostersturm und Säcularisation erfunden wird und uns im Wallfahrtskloster St. Peregrin ein neuer irdischer Unterstand bereitet ist!“
„Also habt Ihr in Heilig-Kreuz nicht den Teufel ausgetrieben, sondern der Teufel Euch!“ scherzte ich und geleitete den Abt in meinen Schlaftempel, wo ich die bevorzugte Welt empfange. Wir setzten uns an den hohen und heissen, eisernen Ofen, der in zierlicher vergitterter Schmiedearbeit und mit gehämmerten Schildern den Thurmbau von Babel darstellt, und Martin II. sprach bedachtsam: „Schelte nicht, Florentinus, sondern sei auf dein eigenes Seelenheil bedacht! Du bist alt und müde! Freilich voll seichten Unglaubens und höhnischen Zweifels, als ein rechter Spross eines nun abgethanen, achtzehnten Säculums. Aber wer an Allem zweifelt, muss auch an dem Unglauben zweifeln, und wer Nichts glaubt, darf auch nicht an den Zweifel glauben, und man hat solcher Exempel heilsamer Bekehrung schon mehr als eines erlebt, und die Gott läugnen, sind ihm heimlich oft schon wieder am nächsten! Darum komme zu uns nach St. Peregrin und verbringe da in Frieden deine letzten Tage!“
Ich vergoss still ein paar Zähren in mein Spitzentüchlein und dachte an Xénais. Der finstere Abt fuhr grollend fort:
„Was thust du noch in dieser Weltlichkeit? In wenigen Wochen oder Monden bringt dir der Wille des Schicksals eine Kutsche voll Schreiberseelen und Rechtsverdrehern vom Code Civil vor das Schloss. Du wirst als Souverän abgesetzt, musst Herrschaft und Macht den gekrönten Dienern Napoleons übergeben und sinkst in das Dunkel der Unterthanen hinab!“
„Ha! Niemals!“ rief ich. Doch Herr Martin II. liess sich das Wort nicht nehmen. „Ein Anderer möchte sich getrösten, dass sein Stamm noch blüht! Du aber bist der letzte Graf von Palmingen! Das gute, ehrliche Haus geht mit dir hin, nach Gottes Rath! Es wird einsam und Herbst um dich! Deine Gattin, die Frau Gräfin, starb früh vor dir dahin! Und wer kann sich erkühnen und sagen, dass dein einziger Sohn noch lebt?“
„Oh . . . rede mir nicht von meinem Sohn!“ rief ich schluchzend und barg das thränennasse Antlitz in den Händen. Der vertriebene Klosterherr redete weiter:
„Ich weiss es wohl, dass du seit fünfzehn Jahren — seit er, vom Jakobinerteufel der Freiheit besessen, nach Paris ging, sich für einen Citoyen und Menschenrechtler, Feind der Fürsten und Pfaffen, und Anbeter der Göttin Vernunft erklärte und in den feurigen Abgrund der Revolution sprang — ich weiss, Florentinus, dass du deinen Sohn aus väterlichem Recht und Kraft des Statuts deines hochedlen Hauses als dessen Senior verstossen und verflucht — auch männiglich untersagt hast, seiner noch je vor deinen Ohren zu gedenken und von ihm zu sprechen — wenn nicht dermassen, als sei er todt! Wahrscheinlich ist er todt — wie denn diese greuelvolle Zeit der Sansculotten gleich Chronos alle ihre eigenen Kinder frass — er muss todt sein! Denn man hat zu lange schon nichts von ihm vernommen!“
„Für mich ist der Unselige todt.“
„Was also hält dich noch hienieden auf Erden? Die Erde, auf der wir stehen, Florentinus, gehört uns nicht! Nur die Erde, in der wir ruhen! Alles Zeitliche schwindet jetzt dahin. Der Kaiser ist weg. Das Reich zerfällt. Wir werden Alle vertrieben, Jeder aus dem Seinigen! Du von den Justitiaren und Protokollanten der neuen hohen Herren Rheinbund-Potentaten und Franzosenknechte, — ich von einem jungen Frauenzimmer vom Adel wie der Hohen-Sulz’schen Gräfin!“
„Und der Gräfin wieder hat der Johannes durch den Wald das Ihre geraubt!“ seufzte ich. „Hoch zu Ross — vermummt — auf meinem Boden — recht wie ein Ritter von der Landstrasse! Wann wurde das, seit dem gesegneten Mittelalter, je vernommen?“
„Der Johannes durch den Wald roll sein Pferd ohne Tadel meistern und tummeln — heisst es“, sprach Herr Martin II., „— nicht schlechter, als es manche unserer Vorfahren, leider Gottes, als Raubritter thaten!“
Ich musste dazu nicken.
„. . . so als sei ihm ein altes und edles Geblüt eingeboren!“ sagte der Abt. „Wie würde auch aus einem gemeinen Schnappsack ein Kentaur?“
„Mag dem so sein, dass es ein ausgearteter Cadet aus grossem Hause ist! . . .“
„Nachdenklich, Florentinus, ist weiter das Factum, dass er gerade deine Grafschaft nebst Nachbarthümern heimsucht und plagt, und nicht nach anderer Räuber und Wölfe Art weithin im Lande auf- und abstreicht!“
„Lassen wir es, Abbas . . .“
„Hier aber, in Palmingen’scher Herrschaft, ist ihm Weg und Steg bekannt, kein Schlupf und Gelegenheit verborgen, wie einem, der von Mutterbrust und Kindesbeinen an hier daheim gewesen . . .“
„Genug denn . . .“
„Nun aber ein wunderlicher Fingerzeig, Florentinus: was sich sonst an gemeinen Räubern in lichten Schaaren bei uns umtreibt, Juden wirft und sich beim Bauern die Nachtranzen mit Kamisolen und Dörrfleisch füllt — diese Brüderlein wissen, was ihre Thaten werth sind und dass sie nichts Besseres verdienen als Stockhaus und Hochgericht! Unser Ritter auf dem Rappen aber — ei — weiss er nicht dem Beraubten zum Hohn zu melden, jedwedes Eigenthum sei überkommener unrechter Besitz und wolle an seinen rechten Ort, zu denen, die da Nichts haben, zurück? . . . Florentinus: hörst du da nicht die Höllenstimme des grossen blutigen Babel Paris und der Schreckensherrschaft? Hat nicht Maître Robespierre, herausgeputzt à quatre épingles, zierlich einen Blumenstrauss in der Hand, beim Fest des höchsten Wesens in Paris solche Principien ausgerufen — und war unter den viel tausend schwarzen Schafen, die ihm lauschten, nicht auch ein junger Graf aus Teutschland?“
„Höre auf, Abbas!“ schrie ich aufspringend. Herr Martin aber predigte unverdrossen weiter:
„Verkündet nicht dieser unbekannte Junker Johannes durch den Wald, wenn er bei deinen Amtleuten Nächtens die Thüren einstösst, bei Fackelschein die Schafe wegtreibt, deine Zinsen und Gefälle aus den Kästen raubt — lässt er sich nicht da, hoch zu Ross in der Nacht, inmitten seines höllischen Haufens, mit einer fürchterlichen Stimme vernehmen, er hole sich nur wieder, was ihm mit Fug und Recht gebühre? So als sei er enterbt und verstossen und um das Seinige gebracht . . .“
„Ich mag nichts mehr hören!“
„Wer kann es sein, der mit einiger Raison — auch eines Bösewichts — sich solcher Worte vermessen darf? Keine Christenseele weiss es! Denn Niemand erblickte den Herrn Johannes durch den Wald noch anders als mit vermummtem Antlitz! Daraus ist unschwer abzusehen, dass ein Entsetzen durch das Land laufen und alle Gemüther verwirren würde, wenn man diesen mysterieusen Cavalier einmal mit blossem Angesicht erkennen möchte! Denn was liegt an eines ordinairen Räubers gemeiner Gesichtsbildung? Selbst ein Bückler und Mathes, Veit und Manne, und was an weitverschrieenen, grossen und berühmten Räubern sonst zur Zeit durch diese Gebirge schweift, hat selten das Antlitz geschwärzt und eine schwarze Larve vorgebunden, und trotzt meist offen Gott und der Obrigkeit!“
„Genug! Lieber Hochwürdiger und Vetter: Mach’ ein Amen hinter deinem Sermon!“
„Ich bin am Amen! Denn weisst du, Florentinus, wohin ich hinaus will?“
„Sprich es nicht aus!“
„. . . Ahnst du, was mir seit Langem schwant?“
„Berufe es nicht!“
„Hörst du, was die gemeine Rede und des Volkes Murmeln längst rings im Lande ist?“
Ich fasste den Herrn Abt vorn an seiner stacheligen Vollkutten. Er liess sich nicht in seinem Sprüchlein beirren.
„. . . was im Schloss hier schon die geringsten Heerdmägde und Stallbuben raunen — und es untersteht sich nur keiner, es vor dir zu verlauten . . .?“
Mochte ich auch Herrn Martin in meiner Angst und Noth schütteln und beuteln — sein exemptes Gewand vergessend! — er rief athemlos und unverdrossen weiter:
„Vox populi — vox Dei! . . . Gott straft dich, Florentinus, für dein hartes Vaterherz! Denn siehe — wenn nicht alles trügt —“
Ein kalter Angstschweiss nässte mir die Stirne. Ich fiel in den nächsten seidenen Armstuhl und lass da schweigend und mit offenem Munde, und Herr Martinus der Andere schloss:
„— dann ist besagter vielberühmter Johannes durch den Wald der Erbgraf Otto Septimus, dein Sohn, den dein Fluch und wälsche Irrlehren dir aus der Fremde als deinen abgesagten Feind zurückgestellt haben!“
Wo blieb mir, in dieser regnichten und stürmischen Nacht, der Mohn des Morpheus? Ich wandelte ruhelos in meinem geräumigen Schlaftempel auf und nieder. Ich lehnte bekümmert am Fenster und tausend Pensée’s jagten durch meine Seele! Ich nahm meine Zuflucht zu jener Funktion menschlichen Verstandes, die mir immer als die höchste erschienen und mein Leben durch dies, nun vollendete, merveilleuse achtzehnte Jahrhundert begleitet hat — zu dem Zweifel, und fand im Zweifel den gewohnten Trost eines hochgeborenen alten Philosophen! Was weiss ein Zelot in seiner Zelle — so raunte mir die freundliche Kupplerin Skepsis zu — was weiss er von der Menschen Meinung, Landstrass’ und Lauf der Welt? Der rauhe und grobe Herr — zornig, dass ihn die schöne Hohen-Sulz’sche mit flammendem Schwert aus seinem Pfaffenparadies vertrieben — hat das empfangene Ungemach christlich an mich weitergeben wollen! Soll ihm aber nicht glücken!
So beschwichtigte ich mich — soi disant im Kampfe wider mich selbst — und erwartete mit Ungeduld den Morgen . . . .
Ein Reichsstand wie ich, Graf Florentin, sorgt sich sonst wenig um die paupere und eisenfresserische Nation der Preussen dort hoch oben im Norden, in Berlin und Warschau. Ich — und ein Jeder, der einer galanten und graziösen Conduite des Lebens beifällt — erfand die Preussen alle Zeit als steif und feind den Orten, wo wahrer bon ton und höfisches Ceremoniell, Feinheit jeglichen Pläsiers und exclusive Reserve wider Bourgeoisie und Canaille, der Welt ein leuchtendes Exempel geben — als wie im königlichen Paris und in der Kaiserstadt Wien.
Nun aber ersehnte ich nichts heftiger als die Ankunft des Herrn Stabsrittmeisters von Arcularius! Wie die gesammte Börse auf die Faro-Bank, so setzte ich auf diesen vielberufenen Prussien meine Lebenshoffnung. Diesem ausländischen Husaren-, Werber- und Abenteurer-Charakter, der ja bald wieder von dannen ritt, wollte ich mich gänzlich découvrieren und ihn bitten, mit allen seinen Listen den Johannes durch den Wald nicht gleich in Thurm und Eisen zu liefern, sondern vorerst ihm heimlich zu entlocken, wer er eigentlich sei — ob ein Kesselflicker oder eines heiligen Reiches Graf . . .
Zu guter Stunde war an diesem Morgen ein grosser, starker berittener Jude eilends beim Schlosse durchpassiert, welcher, als ein Geldwechsler auf dem Weg nach Frankfurt, mit seinen Dienern, die Halfterpistolen zur Hand, unverzagt, in gestrecktem Galopp, das Revier des Johannes durch den Wald durchmessen hatte und nun zum Gott seiner Väter aufathmete. Dieser juif en question berichtete, er habe unterwegs eine, bei heftigem Regen verschlossene Chaise hinter sich gelassen, in welcher, nach der Geschwätzigkeit des Kutschers auf dem Bock, ein zu mir reisender Herr Offizier in preussischen Diensten gesessen.
Nun sah ich abwechselnd auf jede der beiden grossen Sackuhren, die ich an langen, um den Hals geschlungenen, goldenen Ketten in meinen Gilet-Taschen trug, und wünschte den Herrn Stabsrittmeister herbei und setzte, auf einen jähen und erschrockenen, wälschen Schrei meines valet de chambre Pompeo Orlandi, den Fuss auf den Balkon . . .
Da unten, um die Waldecke, kam der Wagen! Aber wie denn: der Bock war leer! Die Zügel schleiften am Boden! Die beiden Gäule gingen im Schritt! Nun konnte man bemerken, dass hinter ihnen, hinkend und von Erde beschmutzt, der Kutscher lief! Der Mensch erreichte seine beiden Mähren gerade, als sie von selbst vor der Auffahrt meines Schlosses still hielten.
Mit Beschämung muss ich eingestehen, dass ich einige eilige Schritte hin die Gravität des Auftretens vergass! Erst beim Herniederwandeln über die Treppe gewann ich — den Hofceremonier Marquis de Fizeaux mit dem Marschallstab voran — meine landesherrliche Würde wieder mit der ich mein Vaterauge auf den schlotternden Postknecht blitzen liess.
„Was ist arriviert? Melde Er!“
Der Kerl berichtete, noch ausser Athem: — Ja . . . zu Diensten . . . Freilich habe er den Capitän von Arcularius durch den Wald gefahren, mit der Peitsche geknallt, recht um in seiner Bêtise die Räuber zu rufen — und sich Eines gepfiffen — da seien aus einer Tannenwildniss der Johannes mit der schwarzen Maske und zwei Gesellen vorgesprungen und hätten blindlings über den Kutschenschlag weg ihre Donnerbüchsen auf den armen Herrn innen gelöst, dass der Rauch aufwirbelte und die Gäule sich entsetzten und durchgingen, und er, der Kutscher, vom Bock purzelte. Er sei in Todesängsten hinterhergehumpelt. Lebe noch, mit der Heiligen Hilfe . . . aber der Herr in der Chaise da drinnen, den Seine gräflichen Gnaden auf das Schloss zu sich gefordert . . .
„Wie kann der Johannes durch den Wald das schon erfahren haben?“ frug ich wahrhaft entsetzt . . .
„. . . Der Herr da drinnen ist todt! Er regt sich nicht mehr!“ verkündete heiser mein Jagdmeister D’Kelly! In der Ecke des Wagens lehnte, in sich gesunken, im Dämmern die Gestalt des unselig Verblichenen. Meine Livrée griff zu, um die Leiche herauszuheben. Ich wendete mich ab. Ich mochte den betrübten Anblick nicht schauen.
Da höre ich, in meiner Gegenwart, angesichts des Todes, ein allseitiges, lautes und unehrerbietiges Gelächter, mit dem die Burschen ungehobelt herausplatzen! Sie lüften den tabakbraunen, rauhwollenen Radmantel und Reisehut von dem Leichnam — und mon Dieu: — gemeldeter Leichnam ist nichts als ein dickes, wohlgestopftes Felleisen, an dessen Elenn-Leder und Messingbügeln die bübischen Pistolenkugeln, wie man deutlich sah, abgeschrammt und breitgeschlagen waren.
Doch der Herr Stabsrittmeister in persona — wo war dieser listige Preusse geblieben? Nun tratzte sich der Tölpel auf dem Bock hinter dem Ohr und entsann sich, er habe, gleich nachdem er in den Wald gekommen, hinter sich etwas wie die Wagenthür schlagen hören. Da war der Husar heimlich, lange vor dem Überfall, herausgesprungen und hatte so, wie ein Fuchs den andern, den Johannes durch den Wald geprellt . . .
Die Marquise Xénais schickte ihre Stubenheizerin und begehrte, zu wissen, was der Auflauf vorstelle? Ich verfügte mich höchstselbst zu ihr und brachte ihr, als ihr getreuer Serviteur, diese neue Post. Die Holdselige ruhte, in einem Negligée, dergleichen die Himmlischen erfunden haben mögen, und in der denkbar anmuthigsten Stellung, die Bänderschuhchen der Füsschen neckisch gekreuzt, schmachtend die gepuderte Wange in der aufgestützten kleinen Hand geborgen — ruhte, sage ich, auf einem geblümten Canapé, scherzte mit ihrem Wachtelhündchen und schüttelte eigensinnig die blauschwarze Nacht ihres Löckchengewirrs bei der inständigen Bitte ihres Schäfers, von der intendierten Chocolate bei dem Baron von Wimmersheim abzustehn!
Eh bien, marquise! So führte mir denn die Furie Eifersucht die Feder, und in Angst, Xénais und le baron de Wimmersheim ohne mich bei einer Schäferstunde zu wissen, sandte ich ihm, kurz resolviert, ein Handschreiben und meldete mich selber für diesen Nachmittag auch bei der berühmten Chocolate zu Gast.
Dies gethan, promenierte ich in den Audienzsaal zurück. Es ist das Menschenrecht auch der Geringsten meiner Unterthanen, an jedem Freitag in der Woche, nachdem ich meinen mittäglichen Repas eingenommen, sich mir zu nahen und an mir einen huldvollen Herrn für ihr Gestammel und ihre Kniefälle zu finden. Der Zulauf der Supplikanten ist stets immens und auch heute mochte ihrer mindestens ein halbes Dutzend versammelt sein, die ich der Reihe nach, wie sie demüthig ihren Kratzfuss machten, mit meiner Ansprache beglückte.
Mein Schutzjude Moises Legusch beschwerte sich hart: Er war, als ein Viehschmuser und Ochsentreiber, sammt der Blümchen, seiner Tochter, kürzlich vom Johannes durch den Wald überfallen und ihm vier Häupter Rinder weggetrieben und nur mit einigen Maulschellen und Püffen bezahlt worden.
Dem Butternickel, einem Unterkäufer, der Speck und Schmalz bei den Bauern zusammenfeilschte und über den Rhein trug, wo ihm die Franzosen besser zahlten — ihm hatten die Bösewichter von des Johannes ††† Bande nur den leeren Sack gelassen. Meinem Amtsschreiber Papius hatten sie vorige Woch’ mit einem Stachelstock übers Haupt geschlagen und an die hundert Carolin aus der Truhe entwendet.
Der hochwürdige Pfarrer Held wusste mir, als neuesten Schurkenstreich dieser Elenden, zu melden, dass sie die Ägydii Kapelle Nächtens aufgebrochen hatten, um die Wachskerzen auf dem Altar zu stehlen. Mit diesen angezündeten Pfundlichtern aber erleuchteten die Malefizkerle noch in gleicher Nacht den Keller des Schultheissen und Grenzwirths Geiger und rollten die Branntweinfässer auf Nimmerwiedersehen davon.
Es stieg ein übles Aroma aus dem Peuple auf. Ich verhehlte ein Gähnen und ennuyierte mich. Ich frug daher etwas missgelaunt den Nächsten: „Und was — que diable! — hat Ihm der Johannes durch den Wald zu Leid gethan?“
„Nichts, gnädiger Herr!“
Diese freimüthige Erwiderung frappierte mich und ich fasste den guten Gesellen wohlwollend ins Auge. Es war ein noch jüngerer gemeiner Mann in einem blauleinenen Fuhrmannskittel, kurzen, weissleinenen Hosen und Bändelschuhen. Er stand treuherzig und breitbeinig da und drehte seinen dreieckigen Bauernhut zwischen den Händen. Seine Mundart schien mir fremd. Der Marquis de Fizeaux, welcher mir die Individuen präsentierte, räusperte sich mit einer wichtigen und geheimnisvollen Miene.
„Es ist ein vazierender Bandkrämer, der sich der Käsvogel nennt“, wisperte er. „Er ist am Überrhein in Fürstprimas’schen Landen toleriert und handelt von da mit Pfeifenköpfen, bleiernen Knöpfen, Messern, Spiegeln . . .“
„Eh — geh’ Er damit zu den Bauern!“ sprach ich unwillig.
„. . . und mit steinernem Geschirr . . .“
Hoľ der Böse seinen Plunder . . .“
„. . . und mit Porzellan, hoher Herr!“ flüsterte der Krämer. „Ich weiss wohl, wo noch eine rare, kurfürstlich Mainzische Waare aus der in Asche gefallenen Fabrik in Höchst da und dort im Lande zu finden ist. Ich schaffe die schönsten und seltensten Grüppchen bei: Ochsenhetz und Löwenkampf, Liebesbrunnen und Hundehochzeit! Ich bin als ein Handelsmann in solchen gebrannten Dingen gut erfahren und Euer Gnaden gänzlich zu Diensten!“
„Sieh! Sieh!“ sprach ich erfreut. Endlich einmal ein Bittsteller, der mir Etwas ins Haus trägt! Ich muss Ihn loben, Käsvogel — so ist ja wohl vulgo sein Name! Trete Er ans Fenster, wo uns der Populace nicht hört! Dort wollen wir des weiteren über diese Affaire sprechen!“
Die Fenster des Saals öffneten sich gegen Mittag auf den Schlosshof hinaus. Im Hof war ein Trubel. Ich bemerkte den Frater Dothias, meinen Stallmeister. Weltlich ein Baron Galletta, ehemals in toscanischen Militärdiensten, dann als Laienbruder einem Kloster entlaufen, und — als ein eingeschworener Illuminat wie ich und mir darin mit Passion zur Hand — in Rosenkreuzerei, Athenischen Logen und Freimaurerei vom Flammenden Stern — dieser wahren Religion eines achtzehnten Jahrhunderts, — wohl noch besser erfahren als im Messehören und Hufbeschlag.
Dieser mein Ordens-Freund hatte etliche blanke Pferde an den Wassertrensen aus dem Stall ziehen lassen und wies sie einem braunen, schwarzhaarigen Zigeuner, der in den Hof geritten und von seinem Klepper abgetreten war. Mühlsteine und glühend Eisen sind zwar die einzigen Dinge, die ein Zigeuner liegen lässt und nicht mit sich gehen heisst. Doch geniesst dies Volk von Ägypten aus, woher es gekommen, noch mancherlei Geheimnisse und weiss, mit Spinnweb, Speichel und Abracadabra den Pferden Mauke und Hahnentritt, Weben und Windleben zu vertreiben. Ich konnte es also nicht tadeln, wenn mein Dothias von der schwarzen Kunst des Zigeuners profitierte. Letzlicher stand in einem abgeschossenen langen Rock und hohen Stiefeln, als ein rechter Rosskamm und Rosstäuscher, vor den herausgeführten Gäulen. Aber er suchte nicht in ihrem Maul nach den Kunden in den Zähnen, sondern mit ernstem Aussehen, die langen Haare schüttelnd, nach Etwas in der flachen Hand des Dothias, welcher als ein Oberer vom zweiten Grad unserers heimlichen Ordens, unter seinem Oberrock, statt der Nachteule schon den halben Mond am ponceaurothen Band trägt — Bruder Dothias, dieser in alle Eleusinischen Mysterien Insinuierte, blickt erhitzt zu mir herauf und ruft verzückt:
„Monseigneur! Der Zigeunerkerl hier kann mehr als Brot essen! Hier leuchten Pythagoräische Maximen aus fernen Zeiten auf! Er liest Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft untrüglich aus der Hand!“
Da durchbohrte mich der Pfeil einer süblimen Idee, dass ich vielleicht aus dem ungewaschenen Maul eines Zigeuners erfahren möchte, wer der Johannes durch den Wald sei, und ich begab mich hinunter auf den Hof und winkte den braunen Heiden vor mein Angesicht und liess ihn kurz an: „Zigeuner — kannst du auch mir die Wahrheit sagen?“
Zur Antwort zeigt Jener lachend das Weisse in seinen Augen und die weissen Zähne in der kupferfarbigen Visage, beugt sich über meine Hand, ohne sie zu berühren, und die frohe Laune weicht von ihm und er flüstert ganz erschrocken, ganz leise, so dass nur ich es hören kann:
„Kohdle. Kyre — Grosser Herr! . . Es steht grausames Unglück über Ihrem Schlosse! Das spür’ ich als ein Sende, als ein Zigeuner!“
„Woher kommt das Unglück?“ raune ich und erwarte mit Grauen die Antwort. ,Von deinem Sohn — dem Johannes durch den Wald!’ Statt dessen wispert es neben mir: „Es ist schon bei Ihnen eingetreten, Grossmächtiger Herr! Hüten Sie sich, — oih weh! — vor dem preussischen Werber!“
„Zigeuner, was weisst du von dem Preussen?“
„Hetzen Sie ihn nicht gegen den Johannes durch den Wald, gewaltiger Herr! Der Johannes durch den Wald nimmt furchtbare Rache an Euch allen! Schicken Sie den Preussen auf dem Schub dahin zurück, woher er kommen ist!“
„Dummer Zigeuner! Der Preusse ist ja noch gar nicht da!“
„Er ist in Ihrem Schloss, — der Pfiffes! Der mächtige Herr merkt es nur nicht!“
„Was plapperst du, Zigeuner?“
„Er hat sich heimlich eingeschlichen, damit es dem Johannes durch den Wald verborgen bleiben soll, dass er vorhanden ist! Dem Johannes durch den Wald wurd’ aber flugs ein Zinken gestedt . . .“