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Eine neue Bekanntschaft ... Der gefühlvolle Liebesroman »Der Patchwork-Club – Der Himmel über St. Elwine« von Britta Orlowski als eBook bei dotbooks. Kann sie auf die Liebe vertrauen? Um eine Frau zu schützen, die in einer schlimmen Lage ist, nimmt Tally sie mit in ihre Heimat, das beschauliche St. Elwine. Hier empfangen ihre Freundinnen im Patchworktreff sie mit offenen Armen und geben sich alle Mühe, dass Masha sich sicher und gut aufgehoben fühlen kann. Es sieht so aus, als würde sich auch für Tally alles zum Guten wenden, als sie bald darauf dem gutaussehenden Louis begegnet, der ihr Herz schneller schlagen lässt ... Doch Louis scheint ein Geheimnis zu haben – und Tally, die bereits schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hat, wird misstrauisch. Ist Louis der wunderbare Mann, der er vorgibt zu sein oder sollte sie sich in Acht nehmen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Smalltown-Romance »Der Patchwork-Club – Der Himmel über St. Elwine« von Britta Orlowski ist der vierte Band ihrer Patchwork-Club-Reihe, so cosy wie die Romane von Susan Elizabeth Phillips und so dramatisch wie die von Nicholas Sparks. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 547
Über dieses Buch:
Kann sie auf die Liebe vertrauen? Um eine Frau zu schützen, die in einer schlimmen Lage ist, nimmt Tally sie mit in ihre Heimat, das beschauliche St. Elwine. Hier empfangen ihre Freundinnen im Patchworktreff sie mit offenen Armen und geben sich alle Mühe, dass Masha sich sicher und gut aufgehoben fühlen kann. Es sieht so aus, als würde sich auch für Tally alles zum Guten wenden, als sie bald darauf dem gutaussehenden Louis begegnet, der ihr Herz schneller schlagen lässt ... Doch Louis scheint ein Geheimnis zu haben – und Tally, die bereits schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hat, wird misstrauisch. Ist Louis der wunderbare Mann, der er vorgibt zu sein oder sollte sie sich in Acht nehmen?
Über die Autorin:
Britta Orlowski, Jahrgang 1966, wohnt im Havelland und ist Mutter zweier Söhne. Sie arbeitete 20 Jahre als zahnmedizinische Fachangestellte. Aber da sie in einer Zahnarztpraxis leider keine Geschichten erfinden durfte, widmete sie sich schließlich ihrem Traumjob, wurde Buchautorin und jobbte nebenbei in Buchhandlungen. Im Jahr 2008 erschien ihr Debütroman. Inzwischen arbeitet sie in einer Arztpraxis und lebt ihre Liebe zu Büchern trotzdem aus. Ihr Lebensmotto: Tu, was du liebst. Wenn sie nicht gerade Quilts näht, tummelt sie sich in ihrem geliebten Garten und/oder schreibt am nächsten Buch. Sie ist Mitglied im Schriftstellerverband des Landes Brandenburg, sowie bei DELIA und Organisatorin der DELIA Liebesromantage 2011 in Rathenow.
Britta Orlowski veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Patchwork-Club-Reihe mit den Einzelbänden »Rückkehr nach St. Elwine«, »Eine Liebe in St. Elwine«, »Sommertage in St. Elwine«, »Der Himmel über St. Elwine«, »Ein Kuss in St. Elwine« und »Herzklopfen in St. Elwine«.
Die Website der Autorin: britta-orlowski.de
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/Britta-Orlowski
Die Autorin auf Instagram: instagram.com/brittaorlowski/
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Oktober 2024
Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »Erdbeerpunsch« bei Bookshouse.
Copyright © der Originalausgabe 2016 by Bookshouse Ltd., Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
Vignette: © Freepik.com/macrovector
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98952-316-6
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Britta Orlowski
Der Patchworkclub – Der Himmel über St. Elwine
Roman
dotbooks.
Für alle, die gegen das Vergessen ankämpfen
Wirklich reich ist, der mehr Träume in seiner Seele hat, als die Realität zerstören kann.
Hans Kruppa
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Arbeite, als ob du das Geld nicht brauchen würdest.
Tanze, als ob dir niemand zusehen würde undliebe, als ob du nie zuvor verletzt worden wärst.
Mark Twain
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Tanz ist ein Austausch von Zärtlichkeiten in einem vorgeschriebenen Takt.
(Unbekannt)
Familie Tanner:
Peter Tanner
Olivia Tanner geb. Conroy – Peters Ehefrau
deren Kinder:
Angelina Rickman geb. Tanner
Victoria de Bourrillon geb. Tanner
Joshua Tanner
Alexander Rickman – Angelinas Ehemann
deren Kind:
Leah Rickman
Jaques de Bourrillon – Victorias Ehemann – verstorben
deren Kind:
Alain de Bourrillon
Elizabeth Tanner geb. Crane – Joshuas zweite Ehefrau
deren Kinder:
Lucas Tanner
Hope Tanner
Familie Cumberland:
George Cumberland
Megan Cumberland – Georges Exfrau
deren Kind:
Marc Cumberland
Floriane Cumberland geschiedene Usher – Marcs Ehefrau
deren Kinder:
Kevin Usher
Stella Cumberland
Luna Cumberland
Jennifer Cumberland geb. Brighton – Georges zweite Ehefrau
deren Kind:
Rose Cumberland
Amy – Marcs Freundin
Familie Svenson:
Johann Svenson
Emma Svenson – Johanns Ehefrau – verstorben
deren Kind:
Nathan Svenson
Celina Sinclair geb. Conroy – Nathans Exfrau – verstorben
deren Kind:
Charlotte Svenson
Tyler O'Brian (Künstlername) geb. Carmichael – Charlottes Freund
deren Adoptivkinder:
Ryan Svenson
Teresa Svenson
Maxwell Sinclair – Charlottes Stiefvater – verstorben
Annie Svenson – Nathans zweite Ehefrau
deren Kinder:
Thery Svenson
Emma Svenson
Familie Garrett:
Nora Garrett – geschieden
deren Kinder:
Tallulah Amandes
Sharon
Caitlin
Familie Carmichael:
Chadwick Carmichael
Maureen Carmichael – Chadwicks Frau – verstorben
deren Kind:
Tyler O’Brian (Künstlername) Carmichael
Rodney Myers geb. Walsh – Tylers Halbbruder
Edward Walsh – Maureens zweiter Mann – verstorben
Ruth Carmichael – Chadwicks zweite Ehefrau
deren Kind:
Matthew Carmichael
Nora: Besitzerin Patchworkladen
Tallulah Amandes: Noras Tochter, Sozialarbeiterin
Doris Ross: frühere Haushälterin bei Frederick und Elizabeth Crane
Cybill Barlow: Angestellte bei einer Versicherung
Allison Webber: arbeitet im Autohaus
Kate: Haushälterin der Ganderton
Rachel Ganderton: Besitzerin der Boutique Schatztruhe
Dr. Elizabeth Crane-Tanner: Chirurgin – Oberärztin im St. Elwine Hospital
Irene Reinhold: Kosmetikerin – Schwester des Sheriffs
Leslie Burg: Krankenschwester in der Notaufnahme
Dr. Charlotte Svenson: Zahnärztin
Floriane Usher-Cumberland: alleinerziehende Mutter – stammt aus der DDR
Bonny Sue Parker: Besitzerin des Schönheitssalons
Tanner & Cumberland Construction: Joshua Tanner, Marc Cumberland, Carry, Jenny
Schönheitssalon: Bonny Sue Parker, Irene Reinhold, Floriane Usher
Rickman Immobilien: Angelina Tanner-Rickman, Alexander Rickman
Zahnarztpraxis Svenson: Dr. Charlotte Svenson, Janet Carter, Anna Foley, (früher auch Bertha Chappell)
St. Elwine Hospital: Dr. Theodor Jefferson, Dr. Elizabeth, Dr. Curtis Zimmerman, Schw. Leslie Burg
Show Business: Tyler O'Brian, Anna Foley, Orlando Moss, Norman Mc Kee
Marthas Pub: Roisin Logan
Noras Patchworkladen: Nora Garrett, Tallulah Amandes, Masha Byrne
Tanzstudio: Belle Maréchal
Buchladen: Monica
Sheriff-Büro: Ian Brosnan
Am liebsten würde er in das Haus hineinstürmen, sie an sich zerren, dass nichts und niemand sie ihm mehr entreißen konnte, und mit nach Hause nehmen.
Nach Hause, wo alles so leer und still war ohne sie. Doch er stand mit hochgeschlagenem Kragen vor dem Anwesen. Ihm fehlte die Kraft, hineinzugehen. Seine Frau war nicht dort. Nur ein Wesen, das entfernt an sie erinnerte. Oh, sie sah noch so aus, das schon. Aber ansonsten konnte er sie nicht finden. Nicht in ihren Augen, nicht in ihrem Lächeln, nicht in ihrem Gang, nicht im Duft ihres Haares und schon gar nicht in ihren Worten. Nur ihre Stimme hatte sich nicht verändert. Beängstigend, wie sehr sich ein Mensch veränderte.
Tatsache blieb: Sie hatte ihn verlassen. Aber damit konnte er sich nicht abfinden. Würde er sich nicht abfinden. Ein solches Ende hatte er nicht verdient und er akzeptierte es nicht. Angeblich ginge es seiner Frau gut, hatten sie ihm gesagt. Lächerlich. Die hatten keine Ahnung. Hier wäre sie in Sicherheit. Sicher vor wem?
Als wenn irgendjemand auf dieser Welt wirklich sicher wäre.
Niemand ahnte, dass er schon einige Male in der Stadt gewesen war. Dass er Pläne schmiedete, nach Möglichkeiten suchte, sich erkundigte, über Vertragsabschlüsse grübelte. Es konnte noch nicht vorbei sein, nicht für ihn. Und für sie auch nicht.
Unvorstellbar.
Er hätte nicht gedacht, dass man überhaupt so weit gehen konnte, ohne an seine Grenzen zu stoßen. Zum jetzigen Zeitpunkt war es ihm nicht mehr möglich, umzukehren. Sein Entschluss stand fest: Er würde einen Weg zu ihr finden.
Allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie gehörte zu ihm, sie hatten sich einander versprochen, und das waren keine leeren Worte gewesen. Doch sie hatte sie vergessen. Wie so vieles andere auch.
Er nicht. Er war bei klarem Verstand. Nur noch ein klitzekleines Detail, und er würde seine Pläne in die Tat umsetzen. Niemand konnte ihn aufhalten.
Und was dann? Was kam danach? Was, wenn er scheiterte und alles schieflief?
Unsinn. Er war noch nie gescheitert. Mit der Kraft seines Willens konnte der Mensch alles schaffen. Nur mithilfe dieser Einstellung war er überhaupt so weit gekommen. Und würde jetzt nicht klein beigeben.
Jeden Morgen stand er hier, im Nieselregen, der ihm kaum etwas ausgemacht hatte in den vergangenen Tagen.
Heute nun der plötzliche Kälteeinbruch. Es war wie ein Zeichen. Er musste den nächsten Schritt gehen, sonst würde nur kalter Winter sein Leben bestimmen. Das ließ er nicht zu. Entschlossen zog er sein Smartphone aus dem Mantel, wischte mit dem Daumen über das Display und lauschte dem Rufton.
Endlich nahm der Mann den Anruf an. »Ja?«
»Wann können wir uns treffen?«, fragte er knapp.
»Sie … haben es sich überlegt?« Die Stimme klang vorsichtig, verhalten.
»Würde ich Sie sonst behelligen?« Vielleicht sollte er freundlicher sein, entgegenkommender, aber in seiner Stimmung war er dazu nicht in der Lage.
Es blieb eine Weile still in der Leitung. »Morgen, übermorgen, gern so schnell wie möglich.«
»Wie wäre es mit heute? Ich bin bereits in der Stadt«, ließ er die Katze aus dem Sack. Seit Monaten schnüffele ich hier immer wieder für ein paar Tage herum. Was sagst du dazu?
»Okay, dann heute Abend.« Wenn der Mann überrascht war, hatte er sich gut im Griff.
Das gefiel ihm, er schätzte einen solchen Geschäftspartner. Durch das Wirken dieses Mannes war er erst auf die Idee gekommen. Plötzlich hatte sich ihm die Möglichkeit geboten, nach der er gesucht hatte. Wie sagte bereits der gute, alte Albert Schweitzer: Der Zufall ist das Pseudonym, das Gott wählt, wenn er anonym bleiben will.
Genauso anonym war er gewesen, als er den Ort erkundet hatte.
Im Geiste suchte er bereits nach einem geeigneten Treffpunkt. Der Pub passte sowohl zu ihrem gemeinsamen Projekt als auch zu ihren Wurzeln.
»Wie wäre es mit dem Pub?«, schlug der Mann am anderen Ende vor.
Perfekt. »Ich werde da sein.« Er beendete das Gespräch.
Bis zum Abend vergingen noch Stunden. Jetzt, wo er seinem Ziel so nah war, konnte er sich erlauben, sie zu sehen. Er würde sie aus der Distanz beobachten, auch wenn sie keinen Blick für ihn übrighatte.
Er straffte die Schultern. Das Warten war vorbei.
Tally betrat ihre Wohnung, zog den Mantel aus und beschloss, ein Vollbad zu nehmen. Sie war durchgefroren, im Büro hatte die Heizung nicht richtig funktioniert, und es war schwierig, sich auf ihre Fälle zu konzentrieren, wenn man bibberte und sich unwohl fühlte.
Ihr Handy klingelte – o nein, das konnte nichts Gutes heißen. Einen Moment lang war sie versucht, das Läuten zu ignorieren. Seufzend fischte sie das Handy aus ihrer Manteltasche, erhaschte einen Blick auf das Display und nahm den Anruf an. »Was gibt es?«
»Hoffentlich hast du es dir noch nicht bequem gemacht«, sagte ihre Chefin.
»Weißt du, was da draußen los ist? Der plötzliche Kälteeinbruch veranlasst die Menschen offenbar zu Hamstereinkäufen. Die Stadt ist dicht, ich bin nur im Stop-and-go vorwärtsgekommen und habe soeben meine Wohnung betreten.«
»Dann wird es dich sicher freuen, dass du die nächste Zeit nicht in einer von Autoabgasen verpesteten Stadt verbringen musst.«
»Sehr witzig. Kannst du niemand anderen schicken?«
»Nein. Der Fall ist heikel.«
»Das ist er doch immer«, warf Tally ein.
»Wenn ich nicht überzeugt wäre, dass du die richtige Person dafür wärst, würde ich dich nach dem heutigen Tag nicht mehr belästigen.«
Tally fühlte sich geschmeichelt, kam aber dennoch nicht umhin, ihrer Chefin zu unterstellen, dass sie mit voller Absicht so argumentierte. Sei es drum. Sie ließ ihren Blick bereits umherschweifen und versuchte, zu erfassen, ob sie ihre vier Wände so hinterlassen konnte. Es lag auf der Hand, warum sie sich keine Zimmerpflanzen hielt.
»Gib mir ein paar Fakten«, bat sie ihre Chefin und betätigte die Freisprechanlage. Mit dem Handy in der Hand lief sie ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Dort stand stets eine gepackte Reisetasche griffbereit.
»Wann bist du so weit?«
»Wenn ich mich erneut durch den Straßenverkehr gekämpft habe«, antwortete Tally.
»Braves Mädchen. Ich wusste, auf dich ist Verlass.«
»Wie sieht es mit einer Gehaltserhöhung aus?«
»Tally, die Verbindung ist plötzlich ganz schlecht. Ich erwarte dich spätestens in einer Dreiviertelstunde hier.«
Typisch. »Nein. Wenn der Fall so heikel ist, wie du angedeutet hast, dann sag ihr einen Treffpunkt, und von dort hole ich sie ab. Alles Weitere per Mail. Ich melde mich morgen wieder.«
»Gut. Ich schick sie mit dem Taxi zum Flughafen. Sobald sie unterwegs sind, sende ich dir eine SMS mit der Nummer des Taxis. Viel Glück.«
Das brauchte sie auch, wenn sie nicht noch heute erfrieren wollte. Von allem anderen mal abgesehen. Tally war routiniert in ihren Einsätzen, aber nie zuvor hatte sie sich bei Antritt so mies gefühlt. War da etwa eine Erkältung im Anmarsch? Bloß das nicht.
Rasch packte sie eine zweite Tasche mit vielen warmen Sachen zusammen, schlüpfte wieder in ihren Mantel, zog die Wohnungstür hinter sich zu und schloss sorgfältig ab. Ihre Absätze klapperten über die Treppenstufen. Sie hätte wenigstens in bequemere, aber vor allem wärmere Schuhe schlüpfen sollen und war versucht, noch einmal zurückzulaufen, doch ein Blick auf ihre Armbanduhr mahnte zur Eile.
Dank der SMS fand sie auf Anhieb das richtige Taxi und klingelte ihre Chefin an. Tally wusste, dass sie der Klientin per Handy mitteilte, dass Taxi jetzt zu verlassen und das Gebäude des Flughafens zu betreten.
Sie stieg ebenfalls aus dem Wagen und ging der Frau nach. In der Halle war es voll, an einigen Schaltern standen die Menschen Schlange, wurden aber flott bedient.
Tally nutzte die Gelegenheit und nahm ihre Klientin genauer in Augenschein. Schlagartig war ihr klar, was ihre Chefin mit heikel meinte. Die Frau fiel auf. Sie schwebte förmlich über den Boden, bewegte sich anmutig, war groß und bildschön. Verdammt. Außerdem sah sie ängstlich um sich, ihr Blick hetzte herum und zu allem Überfluss führte sie ein kleines Kind an der Hand.
Tally unterdrückte einen Seufzer. Niemand hatte sie gezwungen, einen solchen Job zu übernehmen. Nun musste sie da durch. In der Regel hatte sie für ihre Einsätze vier Orte zur Verfügung. Instinktiv entschied sie sich für den dieses Mal einzig infrage kommenden: St. Elwine.
Immerhin würde sich ihre Mutter freuen. Und es gab in deren Haus warme Socken. Die hatte Tally im Eifer des Gefechts nämlich vergessen.
Am besten, sie erlöste die Frau, die sich vollkommen verängstigt umsah und immer wieder zusammenzuckte. »Huhu«, rief sie wie ausgemacht und tat, als träfe sie eine liebe Bekannte zufällig wieder.
Die junge Frau riss den Kopf herum und starrte sie an. Tally beeilte sich, herzlicher zu lächeln, und endlich schien ihre Klientin zu begreifen, dass sie in Sicherheit war.
»Ich freue mich«, rief Tally überschwänglich aus.
Die junge Frau nickte kurz und besann sich offensichtlich ebenfalls. Das Zucken ihrer Mundwinkel sollte wohl als Lächeln durchgehen. Tally konnte sie damit nicht überzeugen. Wie die anderen Reisenden darüber dachten, wollte sie besser nicht erfahren.
Sie ging weiter auf die Frau zu und umarmte sie ganz so, als wären sie beste Freundinnen und träfen sich soeben nicht zum ersten Mal.
Ihre Klientin blieb stocksteif. Tally wusste warum. Wäre sie an ihrer Stelle, ginge es ihr nicht anders.
»Ich bin …«
»Pst«, fiel Tally ihr ins Wort. »Ab jetzt heißen Sie Masha. Masha Byrne«, flüsterte sie dicht an deren Ohr.
Sie nickte.
Tally strich dem Kind über die Mütze. »Hallo.«
Es antwortete nicht. Verängstigt wie die Mutter. Tally tat es in der Seele leid. So jung, so klein und wusste schon, was es hieß, auf der Hut zu sein.
Sie vergaß ihre kalten Zehen und beschloss, ihr Bestes zu geben, um die zwei in Sicherheit zu bringen.
»Kommen Sie«, forderte sie Masha leise auf und griff nach der Reisetasche.
Nur zögernd löste Masha ihre Finger von den Henkeln.
Tally dirigierte sie zu ihrem Wagen, verstaute das Gepäck im Kofferraum und ließ Mutter und Kind auf der Rückbank einsteigen. Leider hatte sie in der Eile nicht an einen Kindersitz gedacht. Heute musste es eben ohne gehen. Sie hoffte, keiner Polizeistreife zu begegnen, auch wenn auf dem Beltway um diese Zeit noch ein ziemlicher Verkehr herrschte. Die Pendler fuhren raus aus der Stadt zu ihren umliegenden Häusern.
»Haben Sie etwas gegessen, Masha? Wir werden noch eine Weile unterwegs sein.«
»Ihre Kollegin hat uns einen Hotdog besorgt.«
»Wir könnten unterwegs anhalten und ich hole uns etwas aus einem Drugstore«, schlug Tally vor.
»Danke, es geht schon.«
»Entschuldigung, ich habe ganz vergessen, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin Tally Amandes, Sozialarbeiterin bei Maureenas.« Im Rückspiegel beobachtete sie, wie Masha nickte. »Wir fahren in ein Küstenstädtchen, es wird Ihnen dort gefallen.« So ein Blödsinn, schimpfte sich Tally im Stillen. Die Frau war auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann. Sie würde keinen Blick für den Ort haben. Es wäre besser, sie benutzte erst gar keine Floskeln. Gegen den Drang, freundlich sein zu wollen, war nicht so leicht anzukämpfen.
Die Fahrt verlief schweigend. Immer, wenn sich Tally umdrehte, lag das Kind ausgestreckt, der Kopf ruhte im Schoß seiner Mutter. Masha wirkte erschöpft, döste aber keine Sekunde ein. Bereit, ihr Kleines zu verteidigen. Selbst im Sitzen hielt sie sich kerzengerade.
Gegen neun passierten sie das Ortsschild von St. Elwine. »Wir sind da, Masha. Sind Sie schon lange unterwegs?«
»Ein paar Tage.«
Aus denen leicht Monate werden konnten. Oder Jahre, wie Tally wusste. Für manch eine Frau endete der Albtraum nie, holte sie immer wieder ein. Am schlimmsten traf es sie dann, wenn sie bereits wieder zu hoffen begonnen hatten. Einige hatten Glück. Zu wenige.
»Heute Abend bringe ich Sie in ein Bed and Breakfast und morgen sehen wir weiter«, erklärte Tally leise.
»Ich … ich habe nicht viel Geld bei mir.«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Die Organisation zahlt das.«
»Wie lange können wir hierbleiben?«
»Ich weiß es nicht.« Hoffentlich lange.
Masha ließ resigniert den Kopf sinken.
»Schlafen Sie sich erst mal aus. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Gemeinsam werden wir eine Lösung finden. Vertrauen Sie mir.«
Masha drehte den Kopf weg und starrte aus dem Fenster. Vielleicht versuchte sie, in der Dunkelheit etwas zu erkennen, vielleicht blinzelte sie aber auch nur aufsteigende Tränen fort.
Die Veranda der Pension war mit weihnachtlichen Lichterketten beleuchtet. Das Haus wirkte einladend, liebevoll. Tally hielt an und stellte den Motor ab. »Gehen Sie ruhig schon rein, ich bringe Ihnen das Gepäck hinterher.«
Masha weckte das Kind, setzte ihm die Mütze auf und stieg aus dem Wagen.
Tally schnappte sich die Tasche, schloss die Klappe zum Kofferraum und verriegelte das Fahrzeug. Als sie die beiden erreichte, standen sie vor der Eingangstür.
»Es ist abgeschlossen«, erklärte Masha.
»Da gibt es doch bestimmt eine Klingel.«
»Wir werden das gesamte Haus aufwecken.« Mashas Stimme war anzuhören, dass sie sich vor eventuellem Ärger fürchtete.
Tally betätigte bereits den Klingelknopf. Ihr war immer noch kalt und Hunger hatte sie auch. Sie drückte drei weitere Male kurz hintereinander, es erklang aber nur ein Summen.
»Ich komme ja schon«, vernahmen sie endlich von drinnen.
»Haben Sie wieder die Schlüssel vergessen?« Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen.
»Guten Abend, Ellen.«
»Tally? Was machst du denn hier?« Die Wirtin lächelte sie an.
»Ich brauche ein Zimmer, fürs Erste.«
»Renoviert deine Mutter auch?«
»Nicht direkt. Willst du uns noch länger in der Kälte stehen lassen?«
»Äh … nein. Kommen Sie rein.« Ellen warf einen Blick auf Masha und das Kind und gab den Weg frei, indem sie einen Schritt zur Seite trat und die Tür weiter öffnete.
»Ein Zimmer, sagtest du. Das wird schwierig.« Die Pensionswirtin schob die Säume ihres Morgenmantels über der Brust zusammen. »Entschuldigen Sie meinen Aufzug. Ich habe nicht mehr mit weiteren Gästen gerechnet«, sagte sie an Masha gewandt.
Diese lächelte nur unverbindlich.
»Und du sagtest auch«, hakte Tally nach.
»Wie bitte?«
»Renoviert meine Mutter auch«, präzisierte sie.
Ellen begriff. »Ganz recht. Die Touristensaison ist vorbei, und bevor die Feiertage kommen, wollten wir die Zeit nutzen und unsere Gästezimmer renovieren. Eines ist bereits fertig und wunderschön geworden.«
»Wunderbar. Das nehmen wir«, sagte Tally.
»Es ist belegt, mindestens bis Thanksgiving, wenn nicht länger.«
Es war zum Verrücktwerden, andauernd ging etwas schief. Wie sie es überhaupt bis hierher geschafft hatten, war ihr immer noch schleierhaft. Sie war so müde von der Flucht, von dem Wachsamsein, von der Angst, dass sie sich am liebsten auf der Stelle auf dem Abtreter zusammengerollt hätte. Stattdessen packte sie Joys Hand fester. Ihre Tochter hob den Blick und musterte sie fragend. Rasch schenkte sie ihr ein beruhigendes Lächeln. Wie lange dauerte es wohl, bis sich dieses Kind nicht mehr damit zufriedengeben würde? Joy war erst drei Jahre alt und begriff bereits, dass etwas nicht stimmte. Noch verließ sie sich allerdings auf ihre Mutter. Und darum musste sie stark sein und durchhalten.
Wie hatte die Sozialarbeiterin von Maureenas sie genannt? Masha Byrne. Der Name war so gut wie jeder andere. Wichtig war einzig, dass niemand ihren richtigen Namen erfuhr. Flüchtig dachte sie an ihre ehemalige Kollegin Diamond, die ihren Künstlernamen und damit ihr früheres Leben abgelegt hatte. Sie war jetzt nur noch Trish und offensichtlich glücklich damit. Aber einen Haken hatte die Geschichte: Trish war ihr richtiger Name und sie hatte freiwillig alles hinter sich gelassen.
Bei Masha Byrne war es anders.
»Überrede deinen Gast, vorzeitig abzureisen.« Tallys Scherz riss sie aus ihren Gedanken.
»Sehr witzig. Ich bekomme ihn kaum zu sehen und er hat bereits im Voraus bezahlt.« Die Wirtin blickte zur Treppe hinauf.
»Schön für dich.« Tally wollte nicht kleinbeigeben.
Im selben Moment wurde ein Schlüssel in das Schloss geschoben und die Tür geöffnet. Der Mann, der eintrat, stutzte. Offenbar hatte er nicht mit einer kleinen Menschenansammlung gerechnet.
»Guten Abend«, grüßte er.
»Guten Abend Mr. Bowlder«, beeilte sich Ellen zu sagen, während Tally und sie lediglich nickten. Der Wirtin schien ihr Auftritt im Morgenmantel nun noch peinlicher zu sein, ihre Wangen verfärbten sich.
Der Mann sah gut aus, auch wenn er nicht mehr als jung zu bezeichnen war. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. Er war schlank, wirkte drahtig und dennoch muskulös, trug sein dunkelbraunes Haar, zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden, und sah sie aus stechend blauen Augen finster an. Ihr fiel besonders seine aufrechte Haltung auf, was sie an ihre männlichen Modelkollegen erinnerte. Sein Wangenmuskel zuckte. Sie achtete auf jede noch so winzige Kleinigkeit. Hatte sie bereits eine Paranoia entwickelt? Sie scannte jedes Gesicht, versuchte, sich ihre Beobachtungen einzuprägen und überlegte immer, ob sie der Person bereits begegnet war. Selbst bei Fremden stellte sich keine Erleichterung ein, musste sie doch befürchten, dass ihr Mann jemanden angeheuert hatte, um sie und seine Tochter zu finden. Ein Schauder kroch über ihre Wirbelsäule. Hastig sah sie zu Tally hinüber. Diese schien keineswegs beunruhigt, musterte den Mann aber ebenso wie sie. Ob er ihr gefiel? Sie schätzte die Frau intelligent genug ein, Männer nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Gerade diese hübschen, attraktiven, die einen so sinnlichen Mund hatten wie der Typ vor ihnen, konnten hinter dem schönen Schein ein teuflisches Wesen verstecken. So wie Paul. Der Gedanke an ihren Mann brachte ihren Herzschlag zum Rasen. Jetzt nur nicht durchdrehen. Sie sah sich nach etwas um, woran sich ihr Blick festhalten konnte. Wie viele Stufen führten nach oben? Das Zählen beruhigte ihre Nerven, die in den vergangenen Tagen ausgefranst waren wie alte Seilenden.
»Meine Freundin wollte mich überraschen und mir gemeinsam mit ihrer Tochter einen Besuch abstatten.« Tally lächelte die Wirtin an. »Blöderweise hatten wir heute einen Wasserrohrbruch …«
Masha fühlte sich wie in einem falschen Film gefangen.
»Und nun brauchen Sie ein Zimmer«, beendete der Fremde Tallys Satz, die ihn daraufhin genauer unter die Lupe nahm.
»Sie können gut kombinieren«, parierte Tally.
»War so schwer nicht.«
»Ich würde euch schrecklich gern helfen, aber die Gästezimmer werden renoviert.«
Die Wirtin klang, als bedauerte sie das tatsächlich. Masha wusste schließlich, dass Menschen keineswegs immer das sagten, was sie auch dachten. Wieder schweiften ihre Gedanken zu Paul und steigerten sich in eine Angst, als würde er ihr hinter der Tür bereits auflauern.
»Nur für eine Nacht. Bestimmt habt ihr noch nicht alle Zimmer ausgeräumt. Wo soll man auch all die Möbel gleichzeitig unterbringen?«, versuchte Tally es freundlich.
Die Wirtin seufzte. »Na gut, weil du es bist, da kann ich ja mal eine Ausnahme machen.«
Masha fiel ein Stein vom Herzen. Ein ruhiger Schlafplatz rückte in greifbare Nähe, doch noch immer fürchtete sie, es könnte etwas dazwischenkommen und sie müssten eilig weiterziehen.
»Ich danke dir«, antwortete Tally überschwänglich. »Außerdem habe ich noch eine Bitte. Macht es dir etwas aus, meiner Freundin und ihrer Tochter ein …«
»Abendessen zu reichen?«, beendete der Fremde die Frage.
Tally warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Sonst müsste ich den beiden rasch etwas aus dem Diner holen.«
Bevor die Wirtin für eine Antwort den Mund öffnen konnte, schaltete sich der Mann wieder ein. »Gestatten Sie mir den Hinweis, dass dies ein Bed and Breakfast ist. Von einem Abendbrot steht nichts auf dem Schild an der Veranda.«
Verdutzt hob die Wirtin die Lider, Tally zog verärgert die Augenbrauen zusammen und sogar Joy bemerkte, wie schneidend seine Stimme geklungen hatte und griff erneut ängstlich nach Mashas Hand.
Was für ein ungehobelter Kerl.
Tally drückte ihren Rücken durch. »Ich glaube, Mr. …«
»Bowlder. Es geht mich eigentlich nichts an.« Er nickte knapp. »Gute Nacht, die Damen.« Ohne ein weiteres Wort stolzierte er an ihnen vorbei zur Treppe und stieg die Stufen hoch. Sie verfolgten seine Schritte, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
»Äh …« Tally fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar und warf die rotblonden Strähnen über ihren Mantelkragen nach hinten.
»Wo finde ich das Diner?«, wollte Masha wissen. Weder Tally noch Ellen sollten sich ihretwegen Umstände machen.
»Schon gut.« Die Wirtin schüttelte den Kopf. »Sie sehen müde aus, Herzchen. Die Reise war wohl recht anstrengend.«
Masha nickte.
»Dann äh … will ich mal nicht so sein. Nicht, dass Sie noch auf den Gedanken kommen, in St. Elwine wäre man nicht gastfreundlich. Das darf auf keinen Fall die Runde machen. Wir leben hier schließlich vom Tourismus. Nehmen Sie schon mal im Frühstücksraum Platz. Morgens, wenn die Sonne scheint, lässt es sich da gemütlich frühstücken. Um diese Zeit wirkt der Raum weniger einladend, weil es stockfinster ist hinter den großen Fensterscheiben.«
»Das macht nichts.« Masha war erleichtert, dass sie nicht noch einmal außer Haus musste. Je eher Joy und sie ins Bett kamen, desto besser.
»Ich bin sehr froh, dass du das machst, Ellen«, bedankte sich Tally.
»Schon gut. Außerdem hat das Diner um diese Jahreszeit längst geschlossen. Nur in der Touristensaison ist dort noch Betrieb um beinah zehn Uhr abends. Hast du mal auf die Uhr gesehen?«
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Mein Fehler. Wenn für heute alles geregelt ist, schlage ich vor, ich gehe jetzt, bevor meine Mutter noch eine Vermisstenanzeige aufsetzt.«
»Natürlich. Grüß Nora von mir. Ich verschwinde in die Küche, und sobald meine Gäste essen, werde ich ihnen ein Zimmer herrichten.« Die Wirtin lächelte Masha freundlich an und wies ihnen den Weg zum Frühstücksraum.
Joy verputzte ein ganzes Käsebrot und dazu klein geschnittene Apfelscheiben, während sie sich vom kalten Huhn und dem Brot nahm und den Bohnensalat kostete. Der wunderbare Tee kam ihr wie ein Gottesgeschenk vor.
Das Zimmer, das Ellen ihnen schließlich zuwies, war gemütlich und überraschend geräumig. Auf Masha machte es keineswegs den Eindruck, renovierungsbedürftig zu sein. Aber wahrscheinlich hatte sie nur einfach keine Ahnung davon. Wie von den meisten Dingen auf der Welt.
»Weißt du überhaupt irgendetwas?«, hatte ihr Mann stets geätzt. Ihr Magen zog sich bei der Erinnerung krampfhaft zusammen. Immer wieder benutzte er auch Sätze wie: »Das kannst du also auch nicht.« Oder: »Ich wusste, dass du das wieder nicht hinbekommst.« War es tatsächlich ihre Schuld, dass er sich über sie hatte ärgern müssen? Viel zu lange hatte sie das geglaubt. Jetzt war Schluss damit, sie wollte, dass es aufhörte. Sie wollte, dass ein Paul Hamilton keine Macht mehr über sie hatte.
Als sie sich endlich zu ihrer schlafenden Tochter gesellte und unter die Decke schob, kuschelte sich die Kleine instinktiv an sie. Das gab Masha neuen Mut. Zusammen hatten sie es bis hierher nach St. Elwine geschafft und eines Tages würde sie mit ihrer Tochter vielleicht in ihre Heimat nach Victoria, Kanada zurückkehren können.
Mit geschlossenen Augen stellte sich Masha vor, wie sie ihre Mom und ihren Dad umarmte. Sie sah sie vor sich, als hätte es die Zeit dazwischen nie gegeben. Come home, so lautete ein Song des Rocksängers Tyler O’Brian. Mit dieser Melodie im Kopf schlief Masha schließlich ein.
Im Quiltladen ihrer Mutter brannte immer noch Licht. Das war so typisch. Tally schüttelte den Kopf und kramte nach ihrem Schlüssel. Sie war die Einzige unter den Geschwistern, die einen besaß. Der Grund war, dass St. Elwine und dieses Haus ihr Immer-mal-wieder-Zuhause waren. Obwohl sie eigentlich in Baltimore wohnte wie ihre beiden Schwestern, verbrachte sie mitunter Wochen hier. Es gehörte zu den Aufgaben ihres Jobs, Frauen auf der Flucht zu helfen. Zwar kannte hier jeder jeden und Fremde fielen sofort auf, aber man konnte sich trotzdem gut versteckt halten, weil es genug Touristen gab. Zumindest in der Hauptsaison von Mai bis Oktober. Die kleinen Gästehäuser lockten jedoch auch über die Feiertage mit attraktiven Angeboten und wer ausspannen wollte, fand im Ort ideale Bedingungen. Da passte eine nette Freundin, eine entfernte Cousine, ehemalige Kommilitonin oder was auch immer sich Tally einfallen ließ, ohne Weiteres ins Bild.
Tally schloss hinter sich ab, stellte ihre Tasche auf den Boden und zog sich den Mantel aus. »Mom?«
Die Tür zum Quiltladen wurde geöffnet. »Bist du das, Tally?«
Wer sollte es denn sonst sein? »Ja, natürlich.«
»Was für eine Freude. Ich habe schon wieder viel zu lange gearbeitet, aber jetzt lösche ich das Licht im Laden. Hast du bereits etwas gegessen?«
Tallys Magen knurrte. »Nein und ich bin hungrig wie ein Wolf.« Sofort schlug sie den Weg zur Küche ein.
Kurz darauf folgte ihr ihre Mutter und umarmte sie lächelnd. »Du lernst wohl nicht dazu«, schimpfte sie halbherzig. »Du isst nicht vernünftig.«
»Das sagt die Richtige. Wer arbeitet denn um diese Uhrzeit noch im Laden?«
»Wenn ich hier Abend für Abend allein sitze, kann ich mich auch nützlich machen. Außerdem kämpfe ich mit der Website. Ich könnte wirklich Hilfe im Laden gebrauchen. Und wieso hast du eigentlich nicht vorher angerufen?«
Tally hörte den Vorwurf sehr wohl heraus. Ihre Mutter steckte den Kopf in den Kühlschrank und holte ein paar Plastikdosen heraus.
»Worauf hast du Appetit?«
»Egal, Hauptsache es schmeckt, macht satt und hat keine Augen.«
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Bist du wieder nur wegen deiner Arbeit hier?«
»Ja.«
Mom sah sie durchdringend an. »Hast du eine ungefähre Ahnung, wie lange das noch so weitergehen soll?«
»Mom.«
»Ich meine ja nur. Schau mal in den Spiegel. Du siehst müde aus.«
»Es ist nach zehn, wer wirkt da noch taufrisch?«
»Zum Beispiel Tabledancer«, erwiderte ihre Mutter trocken.
»Das glaubst du. Ich kenne einige solcher Damen, was die leisten, um ihre Kinder durchzubringen.«
»Du hast stets etwas zum Kontern, aber nicht annähernd geregelte Arbeitszeiten.«
Tally seufzte. Es war sinnlos, mit ihrer Mutter darüber zu diskutieren. Im Büro hatte sie sehr wohl feste Zeiten, doch sobald eine Frau in Not anrief, musste sie flexibel agieren. Schließlich gab es keine Alternative.
»Du solltest den Job aufgeben. Der Laden hier wirft mittlerweile genug ab, dass wir beide gut davon leben könnten.«
»Das klingt wunderbar.« Tally stopfte sich eine riesige Portion Geflügelsalat in den Mund.
»Ja, das ist sehr gut, aber mein Fräulein Tochter hat ja leider andere Flausen im Kopf und für mich wird die Arbeit langsam zu viel. Allein die Kurse …«
»Warum fragst du nicht eine meiner Schwestern?«, wollte Tally wissen und schmierte sich ein Salamibrot.
»Die haben sich in Baltimore ein eigenes Leben aufgebaut.«
»Ich auch.«
»Nein. Du hilfst anderen Frauen, deren Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Das ist etwas vollkommen anderes. Und du selbst bleibst dabei auf der Strecke, Liebes.«
»Unsinn.«
»Ach ja? Wer war denn vollkommen fertig, als …«
»Ich möchte wirklich nicht darüber reden, Mom.« Tally entging nicht, dass sie bei der Erwähnung des Vorfalls Anfang letzten Jahres zusammengezuckt war. Eine Frau, die sich in ihrer Obhut befand, war von dem Mistkerl, vor dem sie flüchtete, mit einem SUV überrollt worden. Tally hatte alles mitansehen müssen, und war danach wochenlang nicht arbeitsfähig gewesen. Das durfte ihr kein zweites Mal passieren. Sie sah Mashas wunderschönes Gesicht vor sich und plötzlich wurde ihr bange. Wenn sie erneut versagte, dann …
»Das willst du ja nie. Ich habe gesehen, wie sehr dir das alles zugesetzt hat. Du hast diesen Job gemacht und das ehrt dich. Er ist sehr hart auf emotionaler Ebene. Du erfährst von Schicksalen, die kein Mensch kennen sollte.«
»Irgendjemand …«
»Ja, irgendjemand, Tally. Aber ganz sicher nicht du. Du hast genug Gutes getan, vielen Frauen geholfen. Es ist an der Zeit, dass diese Aufgabe jemand anderes übernimmt.«
»Weil ich dir im Quiltladen helfen soll«, sagte Tally bissiger, als sie es beabsichtigte. Ihre Mutter meinte es nur gut. Und es stimmte, es machte ihr immer mehr aus, so schreckliche Details zu erfahren. Sie erinnerte sich an Situationen, wo sie sich wünschte, die Hände fest auf die Ohren pressen zu können. Aber deswegen wieder hierherziehen und unter der Fuchtel ihrer Mutter arbeiten? Es schien ihr langweilig, eintönig und nicht sehr erstrebenswert.
Sie biss von dem Brot ab und kaute langsam. Mit Essen im Mund brauchte man nicht zu reden.
Mom stellte ihr eine große Tasse mit heißem Tee hin. Obwohl sie in Kauf nahm, sich die Zunge zu verbrennen, nahm Tally einen ersten Schluck. Das Getränk wärmte so richtig durch. Sie schloss für einen Moment die Augen.
»Dachte ich mir doch, dass du den Schuss Rum gebrauchen kannst.« Ihre Mutter lächelte.
»Du bist unmöglich.«
»Nein, ich kenne dich nur sehr gut. Und jetzt lasse ich die Badewanne volllaufen. Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass deine Zehen beinah Eiszapfen sind?«
Tally gab es auf, das toughe, große Mädchen zu mimen.
Als ihre Mutter wieder in die Küche kam, setzte sie sich zu ihr. »Nimm beispielsweise Sharon.«
Sharon war Tallys ältere Schwester.
»Sie ist Ehefrau und Mutter dreier Kinder.«
Gleich zwei wünschenswerte Attribute für eine gute Tochter, dachte Tally.
»Sie hat alle Hände voll damit zu tun und kann unmöglich einen Quiltladen führen«, hielt Mom ihr vor Augen.
»Wieso? Du hast es schließlich auch getan.«
»Ich hatte keine andere Wahl. Ich habe den Laden von deiner Großmutter übernommen und die war nicht so rücksichtsvoll in Bezug auf meine Befindlichkeiten.«
»Das stimmt nicht. Granny war eine reizende Person.« Tally trank wieder von ihrem Tee.
»Ja, gegenüber ihren Enkeltöchtern und den Kunden im Laden. Mir gegenüber war sie …« Ihre Mutter schluckte das Ende des Satzes hinunter. »Was bringt es, die alten Kamellen aufzuwärmen.«
Auch Caitlin, ihre jüngere Schwester, kam für den Quiltladen nicht infrage. Sie arbeitete als Hebamme und würde um nichts in der Welt ihren Job aufgeben. Das konnte Tally gut nachvollziehen.
Mom hatte ihnen alles über Patchwork und Quilten beigebracht. Sie beherrschten das Handwerk in hoher Perfektion, aber es genügte ihnen als Hobby. Wobei Tally so gut wie gar nicht mehr dazu kam. Bei ihren Schwestern war das bestimmt nicht anders.
Aber in einem Punkt hatte ihre Mutter recht. Sie brauchte Hilfe im Laden. Ihr kam plötzlich eine Idee. Noch unscharf, nichts Detailliertes, aber …«
»Das Beste habe ich dir noch gar nicht gesagt.« Ihre Mutter lächelte sie erwartungsvoll an.
Tally war gespannt.
»Rate mal, wer Marthas Pub übernommen hat?«
»Der war doch jahrelang geschlossen, weil sich kein Nachnutzer fand.«
»Das ist Schnee von gestern«, triumphierte ihre Mutter. »Du erinnerst dich an die kleine Roisin Logan?«
»Marthas Nichte?«
»Großnichte, um genau zu sein.«
Tally nickte. Natürlich erinnerte sie sich an die Freundin ihrer Kindheit, die ihre Sommerferien hier in St. Elwine bei Martha verbracht hatte.
»Stell dir vor, sie ist hergezogen und hat vor acht Wochen den Pub eröffnet. Was sagst du dazu?«
Tja, zunächst war Tally sprachlos, doch jetzt hielt sie es für eine wunderbare Fügung, dass sie an diesem kalten Novemberabend einen Abstecher nach Hause machen musste. Und es traf sich gut, dass sie wohl einige Wochen hierbleiben würde. Die Zeit würde sie nutzen, um die alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen. Mit niemandem hatte sie sich in der Kindheit besser verstanden als mit Roisin. Warum sollte sich das geändert haben? Tally brannte darauf, es herauszufinden.
»Ab jetzt mit dir in die Wanne, nachdem du mir den ganzen Kühlschrank leer gefuttert hast«, ermahnte Mom sie.
Roisin entnahm der Spülmaschine die dickwandigen neuen Gläser für die Heißgetränke und kontrollierte sie auf Wasserflecken. Es war später Nachmittag, in einer halben Stunde öffnete der Pub und es war bereits fast dunkel draußen. Scheußlich, dieses Novembernieselwetter. Ginge es nach ihr, bräuchte sie nur die Monate Mai bis Oktober. Aber wer fragte sie schon nach ihrer Meinung?
Es klopfte an der Tür zum Gastraum. Konnten die Leute die Öffnungszeiten nicht lesen? Da das Geschäft noch weit davon entfernt war, gut zu laufen – wer eröffnete schon einen Pub gegen Ende der Touristensaison – konnte sie es sich nicht leisten, einen verärgerten Gast vor der Tür stehen zu lassen.
»Bitte entschuldigen Sie, eigentlich öffnen wir erst in einer halben Stunde«, konnte sie sich nicht verkneifen, als sie die Tür aufgeschlossen hatte.
»Ich weiß.« Die Frau vor ihr strahlte sie an.
Roisin blinzelte einen Moment lang. Diesen besonderen Rotton in den Haaren hätte sie wohl überall auf der Welt wiedererkannt. Dass die Frau ausgerechnet hier vor ihrer Tür stand, verklärte ihre Erinnerungen erst recht. »Das gibt es doch nicht. Tally.«
Schon lagen sie sich in den Armen.
»Ich freue mich wahnsinnig.« Tally fand als Erste ihre Sprache wieder.
Roisin lotste sie hinein. »Besuchst du deine Mutter?«
»Ja, so könnte man es nennen. Und du hast Marthas Pub eröffnet, wie ich erst gestern erfahren habe.«
»Stimmt, vor acht Wochen. Das wird dir deine Mom ja erzählt haben.«
Tally nickte. »Wie laufen die Geschäfte?«
»Schleppend. Aber es wird besser werden.«
»Aller Anfang ist schwer. Du hast den Namen so belassen: Marthas Pub.«
»Ja, ich fand, das war ich ihr schuldig. Ich bin stets gern hier gewesen. Die Sommer werden mir für immer in schöner Erinnerung bleiben.«
Auf Tallys Gesicht machte sich ein Lächeln breit. Offensichtlich ging es ihr genauso.
»Und nun bist du zurückgekehrt, ich fasse es nicht. Ich habe mir oft ausgemalt, wie du das Hotel eurer Familie führst.« Tally legte ihre Hand auf einen der Barhocker.
»Das habe ich auch eine Zeit lang versucht. Aber mein Vater hat mir nie freie Hand gelassen. Ich wollte etwas Eigenes. Es war gar nicht so leicht, Martha zu überreden, nicht an Fremde zu verpachten. Immerhin gab es ein paar Mal vielversprechende Angebote. Die Konzepte waren nicht schlecht, doch keines zielte darauf ab, den Pub in seinem Ursprung zu erhalten. Das fand ich nicht richtig und Martha offenbar zum Glück auch nicht.«
»Dann zeichnest du also für die jahrelange Schließung verantwortlich«, schlussfolgerte Tally.
»Richtig. Und es tut mir nicht im Geringsten leid.«
»Wenn ich mich hier so umsehe, hast du dennoch viel Kapital investiert.« Tally drehte sich einmal um ihre eigene Achse.
»Ja, das musste ich auch. Die Möbel waren hinüber, die Sitzbänke zerschlissen. Aber von dem alten Tresen mochte ich mich nicht trennen. Dennoch musste eine neue Zapfanlage her, die mir glücklicherweise eine Brauerei finanziert hat. Man sieht der neuen Einrichtung an, dass es sich hier immer noch um einen Pub handelt.« Stolz ließ Roisin ihren Blick über das dunkle Holz, die türkisfarbenen Sitzpolster und die schlichten weißen Tischdecken schweifen. Die neue verspiegelte Front des alten Tresens verlieh dem Ambiente eine großzügige, weiträumige Note.
»Stimmt genau. Ich finde es großartig.«
»Danke.« Roisin freute sich über das Lob ihrer einstigen Freundin und milderte ein wenig die Enttäuschung über den schlechten Start. »Mit dem Angebot der Speisen und Getränke habe ich mir auch ein paar Erneuerungen einfallen lassen. Ich hoffe, dass es auf lange Sicht funktionieren wird.«
»Da drücke ich dir beide Daumen und meine Zehen noch dazu.« Tally lachte.
»Würdest du als mein Versuchskaninchen fungieren?«, bat Roisin.
»Jederzeit. Es sei denn, du willst jemanden umbringen.«
»So weit ist es Gott sei Dank noch nicht. Setz dich an den Tresen, du hast freie Platzwahl. Heute bist du mein Gast.«
»Kommt nicht infrage«, stellte Tally klar. »Ich bezahle für alles, was ich im Laufe des Abends in mich hineinschütte.«
»Dann hast du also Zeit mitgebracht?« Roisin freute sich auf die folgenden Stunden und zum ersten Mal seit der Eröffnung des Pubs wünschte sie sich nicht, dass sich der Laden mit Gästen füllte.
»Gibt es eine bessere Gelegenheit, in Erinnerungen zu schwelgen?«
»Du hast vollkommen recht.« Roisin hatte bereits eine Portion Erdbeeren in eine Schüssel geschnippelt, die sie jetzt heranzog und einige Früchte auf zwei ihrer neuen dickwandigen Gläser verteilte. Aus der Kanne, die sie auf dem Stövchen warmhielt, goss sie den Erdbeer-Früchtetee darüber und fügte einen Schuss weißen Rum hinzu. »Meine neue Kreation«, erklärte sie ihrer Freundin.
»Ich bin schon sehr gespannt.«
Brauner Zucker, eine Zitronenscheibe und frische Minzblätter vervollständigten das Getränk. Zum Schluss gab sie einen hölzernen Stiel zum Umrühren hinzu und schob Tally ihr Glas hin. »Sláinte, auf die alten Zeiten, auf uns und die wunderbaren Sommer der Kindheit.«
»Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.« Tally kostete vorsichtig, um sich nicht die Zunge zu verbrennen.
»Und, was sagst du dazu?« Roisin brannte darauf, die Meinung ihrer Freundin zu hören.
»Du meinst den Tee?«
»Das ist Erdbeerpunsch. Hört sich doch viel interessanter an. Findest du nicht?«
»Unbedingt. Es schmeckt fruchtig, wärmt schön durch, sieht erstklassig aus und ich will unbedingt mehr davon.«
»Das wollte ich hören.« Roisin war glücklich. »Der Clou ist, dass die Zutaten preiswert sind, bis auf den Rum, und außerdem lässt sich das Rezept leicht variieren.«
»In Bezug auf?«
»Auf das Alter meiner Gäste und die Jahreszeit.«
»Ah, du meinst, bei Kindern lässt du einfach den Rum weg«, kombinierte Tally.
»Richtig. Und in der heißen Jahreszeit wird der Punsch kalt serviert mit Eiswürfeln, statt des Rums mit Prosecco aufgefüllt und mit Holunderblüten verfeinert.«
»Genial«, lobte Tally. »Das sind deine neuen Ideen für die Getränkekarte?«
»Ja, so in etwa. Das lässt sich natürlich auf verschiedene Früchte anwenden.«
»Vielleicht ist es doch kein schlechter Gedanke, wieder nach St. Elwine zu ziehen«, sagte Tally und nahm einen weiteren Schluck.
Als sie das Gesicht genussvoll verzog, musste Roisin lachen. »Mir würdest du die größte Freude machen, falls du zu einem solchen Entschluss kommst.«
»Nicht nur dir, meiner Mom ebenfalls.«
»Warum zögerst du dann noch?«
»Es ist kompliziert.« Tally seufzte.
»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«
»Sagt die Frau, die aus dem Familienhotel ausstieg, um in einem Küstenstädtchen einen Pub zu eröffnen.«
»Willst du mir die Kompetenz absprechen?« Roisin spielte die Entrüstete.
»Niemals. Dennoch drängt sich mir eine Frage auf.«
»Spuck sie schon aus, Tally. Du nimmst ja sonst auch kein Blatt vor den Mund.«
»Warum hast du den Laden im Spätsommer eröffnet und nicht im Mai?«
»Autsch.« Roisin rieb sich theatralisch die Brust. »Immer ins Schlimme.« Sie nahm ebenfalls einen Schluck ihrer Kreation. »Du kannst dir sicher vorstellen, wie oft mir mein Vater dieselbe Frage stellte.«
Tally nickte. »Und er hat recht.«
»Ja, ja, ja.« Sie seufzte. »Die Finanzierung zog sich in die Länge.«
»Du meinst, du konntest niemanden finden, der einer Frau Geld geben wollte für eine solche Investition.« Tallys Stimme klang einen Hauch verbittert.
»Du kennst dich demnach aus.«
»Könnte man sagen.«
»Als ich endlich eine Bank fand und der Kredit bewilligt worden war, wollte ich nicht bis zum nächsten Frühling warten. Außerdem vermied ich von da an die Bereitstellungszinsen.«
»Jetzt drücke ich dir erst recht die Daumen, dass der Laden bald läuft. Ich werde überall herumerzählen, wie großartig man hier sitzen kann«, sagte Tally bestimmt.
»Du bist lieb.« Roisin legte ihrer Freundin kurz eine Hand auf den Arm.
Ein Mann betrat den Pub.
»Guten Abend«, begrüßte Roisin ihn freundlich. Sie brauchte sich keine Sorgen darüber zu machen, dass Tally beleidigt sein würde, wenn sie die Aufmerksamkeit ihr gegenüber ein wenig vernachlässigen musste.
Statt den Gruß zu erwidern, nickte der Mann nur. Er sah sich um, zog seinen Mantel nicht aus und wirkte insgesamt schlecht gelaunt. Da hatte sie endlich einen Gast und der war die Unfreundlichkeit in Person. Sie wies vage in Richtung des Tresens. »Nehmen Sie doch Platz. Was darf ich Ihnen bringen? Das Angebot der Woche ist Erdbeerpunsch«, sagte sie und versuchte, ihr Lächeln in der Schwebe zu halten.
Er sah grimmig auf sie herab. »Nein, danke.« Er stellte offenbar ein paar Schätzungen hinsichtlich der Abstände zwischen den freien Barhockern und Tally an.
»Hallo«, grüßte ihre Freundin den Fremden und hob ihr Glas. »Sie sollten die Empfehlung ausprobieren, genau das richtige Getränk bei diesem Wetter. Der Kälteeinbruch ist die Hölle.«
Er sah Tally durchdringend an. »Das. Ist. Nicht. Die. Hölle.«
Beim Klang seiner Stimme wurde Roisin eiskalt.
»Äh …« Tally blinzelte überrascht, dann schien sie zu einer Erkenntnis zu kommen. »Sie haben recht, Entschuldigung.«
Flegel. Ihre Freundin hatte doch nur versucht, freundlich zu sein. Roisins schöne Stimmung war dahin. Sie hatte sich so über Tallys Besuch gefreut und dann kam dieser Idiot und machte alles zunichte.
»Bringen Sie mir bitte ein Pint«, schnarrte er schließlich und verkroch sich an den Tisch in der hintersten Ecke.
»Sehr gern.« Roisin versteckte sich beinah hinter dem Zapfhahn, verdrehte die Augen und zwinkerte Tally verschwörerisch zu.
Nachdem sie den Gast bedient hatte, kehrte sie an den Tresen zurück, wo Tally ihr einen Zettel zuschob.
Kennst du Mr. Kotzbrocken?, las sie und schüttelte den Kopf. Du etwa?, formte sie mit ihren Lippen.
Tally verneinte, zog den Zettel wieder heran und kritzelte.
»Mir schwebt vor, Events zu veranstalten, mit Livemusik. So wie bei Martha.« Roisin wischte mit dem Lappen über den Tresen.
»Wie wäre es mit einem echten Céilí? Das soll wieder sehr gefragt sein«, schlug Tally vor und schob ihr den Zettel zu.
Bin ihm gestern Abend zum ersten Mal begegnet, da war er so zuvorkommend wie eben, las Roisin.
Tally geriet ins Schwärmen. »Das waren noch Zeiten, als hier an den Samstagabenden die Hütte brannte.«
Roisin erinnerte sich gut daran, da sie dann meistens bei Tally hatte übernachten dürfen. In Gesellschaft der drei Schwestern hatte sie sich sehr wohlgefühlt. Nora, Tallys Mom, hatte ihnen Gutenachtgeschichten vorgelesen und sie anschließend mit Quilts zugedeckt.
»Was ist mit den Gästezimmern?«, unterbrach Tally ihre schönen Erinnerungen und zeigte mit dem Finger nach oben.
»Nichts. Vorerst überlasse ich sie ihrem Dornröschenschlaf. Ich habe nicht vor, sie zu nutzen. Mir ging es nur um den Pub. Alles andere ist eine Nummer zu groß für mich allein.«
»Da hat die Bank mitgespielt?«
»Eben nicht.« Roisin legte den Lappen hin. »Sie rieten mir, die Renovierung in der Kostenaufstellung zu berücksichtigen. Eine Nachfinanzierung sei schwer zu begründen.«
»Ja sicher, das klingt logisch.« Tally sah ihre Freundin an.
Ihre dunklen, schweren Locken hatten sie als kleines Mädchen bereits fasziniert. »Du hast die Gästezimmer also renovieren lassen?« Da war es wieder, dieses erwartungsvolle Flimmern einer Idee. Noch war unklar, ob und wie sie alles würde umsetzen können, aber der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Tally blinzelte vorsichtig zu dem Gast in der Ecke, der auf seine Armbanduhr und dann wieder zur Tür starrte. Er trug einen Dreitagebart, der mit einem vierten zu liebäugeln schien, und hatte sein dunkles Haar wieder zu einem Pferdeschwanz gebunden. Warum logierte so ein Typ um diese Jahreszeit im Bed and Breakfast? Außer Ellen schien ihn niemand zu kennen, auch ihre Mom nicht. Da Tally Masha und der Kleinen die Gelegenheit geben wollte, sich gründlich auszuschlafen nach ihrer anstrengenden Flucht, war sie zum Friseur gegangen. Wie nebenbei hatte sich Tally bei Bonny Sue nach dem Fremden erkundigt. Nicht mal die Besitzerin des Schönheitssalons wusste, wer er war und was er hier wollte. Und dabei wusste Bonny Sue sonst alles über die Einwohner oder Stammgäste. Erst recht, wenn es sich dabei um attraktive Männer handelte. Und das war er zweifellos. Unter anderen Umständen hätte sie ihn als Augenweide bezeichnet. Leider war er ebenso gutaussehend wie arrogant. Wartete er auf eine Frau? Hatte sie ihn versetzt? Was nicht besonders verwunderlich wäre bei seiner ausgesprochenen Freundlichkeit.
»Ja, sicher, was blieb mir anderes übrig. Und da im Pub ohnehin die Handwerker zugange waren, wollte ich alles in einem Abwasch erledigen. Vermieten will ich aber erst in der nächsten Saison. Wenn ich dann nicht längst pleite bin«, erklärte Roisin.
Ihre Freundin machte sich ernsthaft Sorgen, das war ihr anzusehen.
»Könntest du dir vorstellen, ein oder zwei Zimmer bereits jetzt zu vermieten? Zu einem monatlichen Festpreis?«
Bevor sie Roisin Näheres erklären konnte, öffnete sich die Tür und die Novemberkälte wehte drei weitere Gäste herein. Zwei Männer und eine Frau. Sie stammten sicher nicht aus St. Elwine, sonst hätte Tally sie von früher gekannt, also waren sie zugezogen. Zumindest der Frau war sie des Öfteren über den Weg gelaufen, wenn sie während ihrer Einsätze hier gewohnt hatte. Sie musste eine der Quilterinnen sein, erinnerte sie sich. Trotz aller Unstimmigkeiten mit ihrer Mutter half Tally im Quiltladen aus, wann immer es ihre Zeit erlaubte. Charlotte Svenson, fiel es ihr wieder ein. Die Zahnärztin, die die Praxis ihres Großvaters übernommen hatte.
Tallys Herz schlug plötzlich schneller. Der Mann an Charlottes Seite war kein Geringerer als Tyler O’Brian. Natürlich wusste sie wie jeder aus der Gegend, dass der Rocksänger die alte Landes-Ranch gekauft hatte und hergezogen war. Doch begegnet war Tally dem Mann noch nie. Auch Mom hatte ihn nur flüchtig zu Gesicht bekommen. Die Zahnärztin und er waren ein Paar, doch in der Öffentlichkeit des Showbusiness sah man sie nie zusammen. Jetzt waren sie offensichtlich rein privat unterwegs. Besser, sie stellte keine Spekulationen über andere Leute an. O’Brian hatte das Recht, unbehelligt in einem Pub ein Bier zu zischen. Den anderen Mann in seiner Begleitung kannte Tally nicht.
Roisin hatte längst ihre Gäste begrüßt und strahlte. Ob sie wusste, wer ihr da ins Haus geflattert war?
»Anscheinend habe ich nicht mitbekommen, dass der Pub wieder geöffnet hat«, sagte Charlotte und sah sich aufmerksam um.
»Wahrscheinlich arbeitest du zu viel«, zog der fremde Mann sie auf.
Tyler half ihr aus dem Mantel. Während er sich umsah, wies Roisin auf die Garderobe. »Danke«, sagte er.
Es gab doch noch höfliche Männer. Dass ausgerechnet ein Rockstar mit langem Haar und einem Ohrring als Gentleman auftrat, verblüffte Tally.
Alle drei setzten sich an den Tresen.
»Darf ich fragen, was Sie in Ihrem Glas haben?«, erkundigte sich Charlotte bei Tally.
»Erdbeerpunsch«, antworteten Roisin und sie wie aus einem Mund.
»Den muss ich haben.« Charlotte wandte sich an sie, während Roisin die Männer nach ihren Wünschen fragte. »Du bist Tally, Noras Tochter, richtig?«
»Ja, stimmt.« Sie störte sich nicht daran, plötzlich geduzt zu werden. Das war unter Quilterinnen üblich.
Roisin servierte Bier und den Erdbeerpunsch und warf Tally einen hilflosen Blick zu. Sie wusste, wer vor ihr saß, und hatte Tyler O’Brian sehr wohl erkannt. Ob ihre Freundin jetzt Schnappatmung bekam? Tally musste zugeben, dass es ihr selbst kaum anders erging. Schlimmer war nur noch, dass sie so tun musste, als wäre er ein ganz normaler Gast in einem irischen Pub in einer kleinen Küstenstadt. Sie nahm einen kräftigen Schluck, und da sie bei O’Brians Anblick vergessen hatte, umzurühren, hatte sich der Rum unten im Glas abgesetzt und drohte nun, ihr die Kehle zu verbrennen. Ein peinlicher Hustenanfall trieb Tally Tränen in die Augen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigte sich ihre gereizte Schleimhaut.
»Geht es wieder?«, erkundigte sich O’Brian auch noch mitfühlend.
Blamage auf der ganzen Linie.
Roisin reichte ihr ein Glas Wasser.
»Wasser nehme ich nur zum Duschen.« Bitte, geht’s noch? Was plapperte sie da nur in ihrer Nervosität? Sie sollte besser ihren Verstand einschalten und die Klappe halten. Als sich Tally verstohlen umsah, grinste O’Brian sie amüsiert an.
Und dann las sie in seinen Augen, dass er wusste, was sie so aus der Fassung gebracht hatte. Shit.
»Norman, was bringst du für Neuigkeiten mit?«, fragte Charlotte den unbekannten Mann, und Tally hatte den Eindruck, dass sie ihr über die Schlappe hinweghelfen wollte. Dankbarkeit überkam sie, und als sie den Blick hob, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass Charlotte Svenson ihr zuzwinkerte.
Tally deutete ein Nicken an.
»Ich dachte, Tyler hat Neuigkeiten für mich«, konterte Norman.
»Das auch, aber du hast doch stets etwas in petto. Ich kenne dich jetzt lange genug«, unterhielt sich Charlotte gut gelaunt.
»Sie ist klug«, wandte sich Norman an Tyler.
»Ich weiß.«
Hach, sie sollte besser nicht so schmerzhaft ihre Ohren spitzen, aber der Rocksänger gefiel ihr von Sekunde zu Sekunde besser. Und der Grund war nicht, dass sie bereits seit Jahren von ihm schwärmte. Na ja, gut, eine klitzekleine Rolle spielte das schon. Sie war aufgeregt wie ein Teenager.
»Es ist endlich mal wieder an der Zeit für einen Auftritt in einer Livesendung«, warf Norman ein.
»Ich wusste es.« Charlotte stöhnte.
»Ja, du hast gut reden. Zahnschmerzen haben die Leute immer, aber ich muss dafür sorgen, dass er nicht in der Versenkung verschwindet.«
Als ob das je passieren würde. Lächerlich.
Tally sah, dass Tyler bei Normans Äußerung absolut entspannt blieb. Traf sich der Rockstar hier mit seinem Manager? Seine nächsten Sätze schienen ihre Annahme zu stärken.
»Und da der liebe Tyler immer gern das Praktische mit dem Nützlichen verbindet, schlage ich Aspen, Colorado vor. Ich sehe es direkt vor mir: Vor malerischer Kulisse im Schnee, im Hintergrund die gigantischen Berge und unser Star mit offener Lederjacke und nichts weiter drunter, sodass die Fans den freien Blick auf sein Tattoo genießen können.«
Der Rocksänger prustete leise. »Ich werde mir eine Lungenentzündung holen.«
»Stimmt, er friert andauernd«, bestätigte Charlotte.
»Früher warst du nicht so weichgespült und hast jeden meiner Vorschläge dankbar angenommen«, beschwerte sich Norman bei Tyler.
»Ich war jung und brauchte das Geld«, konterte Tyler seelenruhig. Dann wandte er sich an seine Partnerin. »Statt in die Welt hinauszuposaunen, dass ich auf niedrige Temperaturen empfindlich reagiere, solltest du dich lieber daran erinnern, dass es mal eine Zeit gab, da fandest du es unerhört, dass ich halb nackt vor einer Kamera posierte.«
Tally amüsierte sich prächtig.
»Muss lange her sein«, stieß Charlotte Svenson erheitert aus. »Ich habe meine Meinung geändert.«
Roisin und Tally prusteten und um ihren Schnitzer wiedergutzumachen, servierte Roisin rasch neuen Erdbeerpunsch für die Frauen.
»Es freut mich, Sie so gut gelaunt anzutreffen.« Die schneidende Stimme kam aus dem hintersten Winkel des Raumes.
Alle Köpfe fuhren in dieselbe Richtung. Der unbekannte Fremde, dessen Anwesenheit Tally eine Zeit lang vergessen hatte, meldete sich zu Wort. Sprach aus der Stimme eventuell gekränkte Eitelkeit? Wollte er um Aufmerksamkeit buhlen, sollte er sich besser um eine andere Art und Weise seines Auftritts kümmern. Tally sah da noch jede Menge Luft nach oben.
»Sie sind bereits da?« O’Brian klang überrascht.
Der fremde Gast wandte sich an Roisin. »Könnte ich wohl noch ein Pint haben?«
Alle außer Tally erhoben sich von den Barhockern und setzten sich an seinen Tisch, als wären sie mit dem ungehobelten Kerl verabredet, während Roisin flugs der Aufforderung nachkam.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Da das offensichtlich nicht der Fall war, konnte sie ihre Freundin wieder allein für sich haben. Tally hatte nicht übel Lust, dem Typ einen Gutschein für einen Benimmkurs in die arrogante Miene zu klatschen.
Louis hatte das fröhliche Geplänkel der Anwesenden nicht länger ertragen können. Allein, wie O’Brian mit seiner Begleiterin flirtete, fühlte sich an wie ein Schlag in den Magen. Nach dem heutigen Tag hatte er schlichtweg keine Lust mehr auf so etwas. Kurz entschlossen beendete er ihre illustre Runde und es störte ihn nicht die Bohne, dass er sich damit mal wieder zum Kotzbrocken krönte. Es passte zu seiner ohnehin schlechten Laune. Außerdem war er aus geschäftlichen Gründen in St. Elwine. Und es gab weiß Gott genug zu tun.
Norman McKee, O’Brians Manager, reichte ihm die Hand. Bevor Tyler ihn persönlich begrüßte, stellte er die Blondine als seine Frau vor. Louis ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Von der Existenz einer Mrs. O’Brian hatte er nichts gewusst. Als der Rocksänger damals in Seattle bei ihm aufgekreuzt war, um ihn nach der Absage umzustimmen und doch noch die Choreografie in seinem Rockmärchen zu übernehmen, war er allein gewesen. Und nirgends in den Berichten der Boulevardpresse, mit denen sich Louis daraufhin beschäftigt hatte, fand sich ein Hinweis, geschweige ein Foto einer Ehefrau. Schade eigentlich. Sie war bildhübsch, kein junges Ding, hielt sich zurück und … sie roch verdammt gut. Von dem Erdbeerpunsch konnte das wohl nicht kommen.
Nimm dich zusammen, ermahnte er sich. Du hast nur vergessen, wie gut Frauen riechen können. Die Tatsache erschütterte ihn. So weit war es also schon gekommen mit ihm. Louis reichte erst ihr und dann O’Brian die Hand.
»Ich freue mich, dass Sie nun doch zu meinem Team gehören werden«, erklärte Tyler.
Louis nicht besonders, aber sein Plan schloss das mit ein und so war die Choreografie zu übernehmen lediglich das kleinere Übel. Immerhin wurde er gut bezahlt, sehr gut sogar, und dieses Geld brauchte er. Dringend.
»Da wir bereits genug Zeit verplempert haben, hielt ich es für klug, meinen Manager einen Vertrag aufsetzen zu lassen und ihn herzu zitieren. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie sich erst heute Morgen mit mir in Verbindung gesetzt haben, blieb Norman leider nicht viel Zeit.« Tyler klang unverändert freundlich, machte aber seinen Standpunkt klar und konnte es sich offenbar nicht verkneifen, zu erwähnen, dass sich Louis so lange hatte bitten lassen. Okay, er schätzte Menschen, bei denen er von vornherein wusste, woran er war. Und er musste zugeben, dass Tyler zwar kein Geheimnis aus seinem starken Interesse an ihrer Zusammenarbeit gemacht hatte, er ihm in all den Monaten aber nie in den Arsch gekrochen war. O’Brian bettelte niemanden an. Ein stolzer Rocksänger also. Nun gut, damit konnte er leben. Er selbst hatte schließlich auch seinen Stolz. Ihre Zusammenarbeit würde sich wahrscheinlich schwierig gestalten, aber letztlich wussten sie, dass sie aufeinander angewiesen waren.
Louis nickte. »Sie haben den Vertrag demnach dabei?«
»Ganz recht«, antworte Norman McKee. »Und einen Füllfederhalter dazu.«
Ein Witzbold, sieh an. Etwas, was er heute Abend besonders gut gebrauchen konnte. »Was denn, ich darf mir die Vertragsklauseln nicht genau durchlesen, eine Nacht drüber schlafen oder sie meinem Agenten zwecks Prüfung vorlegen?« Louis verspürte plötzlich Lust, seine Grenzen auszutesten.
O’Brian ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Was McKee anging, spielte er für ihn lediglich eine untergeordnete Rolle. Louis würde mit dem Rocksänger, dem Komponisten des Stückes zusammenarbeiten. Sehr eng sogar und für einen ziemlich langen Zeitraum.
»Darf ich eure Unterredung an dieser Stelle kurz unterbrechen?«, hob die Frau an. »Ich habe einen arbeitsreichen Tag hinter mir und würde mich gern ausklinken und den Feierabend genießen. Hier geht es ausschließlich um das Geschäftliche. Ich unterhalte mich viel lieber mit den beiden.« Sie wies auf die Wirtin und die Frau, der er gestern Abend in der Pension zum ersten Mal begegnet war.
O’Brian nickte und warf ihr einen intensiven Blick zu. Falls Louis noch Zweifel hegte, hatte sich das spätestens jetzt erledigt. Nur ein Mann, der liebte, sah seine Frau so an. Diese Tatsache versetzte ihm einen Stich. Einen weiteren.
Lächelnd erhob sie sich und ging zum Tresen, wo sie sich auf einen der Barhocker schob. Sie hatte einen hübschen Hintern. Louis räusperte sich. Am Tisch konnte man sie immer noch riechen. Was war nur heute los mit ihm? Es gelang ihm doch sonst so gut, sein Augenmerk auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was hatten sie ihm ins Pint gemischt?
Wo waren seine Gedanken stehen geblieben? Richtig, beim Vertrag. Lächerlich, er hatte seinem Agenten seit langer Zeit den Laufpass gegeben, seit klar war, dass … Jetzt nur nicht daran denken, sonst würde sein Magen wieder rebellieren.
Louis zwang sich, seinen Blick zu heben. O’Brian musterte ihn unverwandt.
»Natürlich sollten Sie eine Nacht drüber schlafen«, sagte er ruhig.
Aber?