Der Patchwork-Club - Ein Kuss in St. Elwine - oder: Spätsommersprossen - Britta Orlowski - E-Book
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Der Patchwork-Club - Ein Kuss in St. Elwine - oder: Spätsommersprossen E-Book

Britta Orlowski

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Beschreibung

Kann die Liebe Jahre überdauern? Der gefühlvolle Liebesroman »Der Patchwork-Club – Ein Kuss in St. Elwine« von Britta Orlowski als eBook bei dotbooks. Ein unerwartetes Wiedersehen ... Die Sängerin Baylee wird von ihrem Manager überredet, mit ihrer alten Musikgruppe ein Revival-Konzert im beschaulichen St. Elwine zu geben. Als sie erfährt, dass der ehemalige Star der Gruppe, Joel Deluca, in dem kleinen Küstenstädtchen Reverend ist, bekommt sie weiche Knie. Denn vor Jahren hatte sie einmal von einer gemeinsamen Zukunft mit Joel geträumt – bis ein Unglück geschah, das sie entzweite ... Doch all das ist lange her und egal, was ihre neuen Freundinnen im Patchworktreff sagen, der Funke zwischen Joel und Baylee kann nicht mehr aufglühen – oder etwa doch? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Kleinstadtroman »Der Patchwork-Club – Ein Kuss in St. Elwine« von Britta Orlowski ist der fünfte Band ihrer Patchwork-Club-Reihe, so cosy wie die Romane von Susan Elizabeth Phillips und so dramatisch wie die von Nicholas Sparks. Der Roman erschien zuvor unter dem Titel »Spätsommersprossen«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 534

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Über dieses Buch:

Ein unerwartetes Wiedersehen ... Die Sängerin Baylee wird von ihrem Manager überredet, mit ihrer alten Musikgruppe ein Revival-Konzert im beschaulichen St. Elwine zu geben. Als sie erfährt, dass der ehemalige Star der Gruppe, Joel Deluca, in dem kleinen Küstenstädtchen Reverend ist, bekommt sie weiche Knie. Denn vor Jahren hatte sie einmal von einer gemeinsamen Zukunft mit Joel geträumt – bis ein Unglück geschah, das sie entzweite ... Doch all das ist lange her und egal, was ihre neuen Freundinnen im Patchworktreff sagen, der Funke zwischen Joel und Baylee kann nicht mehr aufglühen – oder etwa doch?

Über die Autorin:

Britta Orlowski, Jahrgang 1966, wohnt im Havelland und ist Mutter zweier Söhne. Sie arbeitete 20 Jahre als zahnmedizinische Fachangestellte. Aber da sie in einer Zahnarztpraxis leider keine Geschichten erfinden durfte, widmete sie sich schließlich ihrem Traumjob, wurde Buchautorin und jobbte nebenbei in Buchhandlungen. Im Jahr 2008 erschien ihr Debütroman. Inzwischen arbeitet sie in einer Arztpraxis und lebt ihre Liebe zu Büchern trotzdem aus. Ihr Lebensmotto: Tu, was du liebst. Wenn sie nicht gerade Quilts näht, tummelt sie sich in ihrem geliebten Garten und/oder schreibt am nächsten Buch. Sie ist Mitglied im Schriftstellerverband des Landes Brandenburg, sowie bei DELIA und Organisatorin der DELIA Liebesromantage 2011 in Rathenow.

Britta Orlowski veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Patchwork-Club-Reihe mit den Einzelbänden »Rückkehr nach St. Elwine«, »Eine Liebe in St. Elwine«, »Sommertage in St. Elwine«, »Der Himmel über St. Elwine«, »Ein Kuss in St. Elwine« und »Herzklopfen in St. Elwine«.

Die Website der Autorin: britta-orlowski.de

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/Britta-Orlowski-155028824578718/?ref=bookmarks

Die Autorin auf Instagram: instagram.com/brittaorlowski/

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe November 2024

Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Spätsommersprossen« bei Bookshouse.

Copyright © der Originalausgabe 2017 by Bookshouse Ltd., Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

Vignette: © Freepik.com/macrovector

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-317-3

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Britta Orlowski

Der Patchworkclub – Ein Kuss in St. Elwine

Roman

dotbooks.

Widmung

Für alle, die vermissen

Umso fester haben wir das prophetische Wort,

und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht,

das da scheint an einem dunklen Ort,

bis der Tag anbreche

und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

2. Petrus 1,19

***

Denn so sehr liebte Gott die Welt,

dass er seinen eingeborenen Sohn hingab,

damit jeder, der an ihn glaubt,

nicht verloren gehe, sondern das ewige Licht habe.

Denn Gott sandte den Sohn nicht in die Welt,

dass er die Welt richte, sondern dass die Welt gerettet werde durch ihn.

Das Evangelium nach Johannes 3,16-17

***

Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen, wohin du auch gehst.

Psalm 91,11

Personenverzeichnis

Familie Tanner:

Peter Tanner

Olivia Tanner geb. Conroy – Peters Ehefrau

deren Kinder:

Angelina Rickman geb. Tanner

Victoria de Bourrillon geb. Tanner

Joshua Tanner

Alexander Rickman – Angelinas Ehemann

deren Kind:

Leah Rickman

Jaques de Bourrillon – Victorias Ehemann – verstorben

deren Kind:

Alain de Bourrillon

Elizabeth Tanner geb. Crane – Joshuas zweite Ehefrau

deren Kinder:

Lucas Tanner

Hope Tanner

Familie Cumberland:

George Cumberland

Megan Cumberland – Georges Exfrau

deren Kind:

Marc Cumberland

Floriane Cumberland geschiedene Usher – Marcs Ehefrau

deren Kinder:

Kevin Usher

Stella Cumberland

Luna Cumberland

Jennifer Cumberland geb. Brighton – Georges zweite Ehefrau

deren Kind:

Rose Cumberland

Familie Svenson:

Johann Svenson

Emma Svenson – Johanns Ehefrau – verstorben

deren Kind:

Nathan Svenson

Celina Sinclair geb. Conroy – Nathans Exfrau – verstorben

deren Kind:

Charlotte Svenson

Tyler O'Brian (Künstlername) geb. Carmichael – Charlottes Freund

deren Adoptivkinder:

Ryan Svenson

Teresa Svenson

Maxwell Sinclair – Charlottes Stiefvater – verstorben

Annie Svenson – Nathans zweite Ehefrau

deren Kinder:

Thery Svenson

Emma Svenson

Familie Garrett:

Nora Garrett – geschieden

deren Kind:

Tallulah Amandes

Louis Bowlder – Tallulahs Freund

Familie Carmichael:

Chadwick Carmichael

Maureen Carmichael – Chadwicks Frau – verstorben

deren Kind:

Tyler O’Brian (Künstlername) Carmichael

Rodney Myers geb. Walsh – Tylers Halbbruder

Edward Walsh – Maureens zweiter Mann – verstorben

Ruth Carmichael – Chadwicks zweite Ehefrau

deren Kind:

Matthew Carmichael

Patchworkgruppe St. Elwine

Nora: Besitzerin Patchworkladen

Tallulah Amandes: Noras Tochter, Sozialarbeiterin

Doris Ross: frühere Haushälterin bei Frederick und Elizabeth Crane

Cybill Barlow: Angestellte bei einer Versicherung

Allison Webber: arbeitet im Autohaus

Kate: Haushälterin der Ganderton

Rachel Ganderton: Besitzerin der Boutique Schatztruhe

Dr. Elizabeth Crane-Tanner: Chirurgin – Oberärztin im St. Elwine Hospital

Irene Reinhold: Kosmetikerin – Schwester des Sheriffs

Leslie Burg: Krankenschwester in der Notaufnahme

Dr. Charlotte Svenson: Zahnärztin

Floriane Usher-Cumberland: alleinerziehende Mutter – stammt aus der DDR

Bonny Sue Parker: Besitzerin des Schönheitssalons

Firmen /Einrichtungen in St. Elwine

Tanner & Cumberland Construction: Joshua Tanner, Marc Cumberland, Carry, Jenny

Schönheitssalon: Bonny Sue Parker, Irene Reinhold, Floriane Usher

Rickman Immobilien: Angelina Tanner-Rickman, Alexander Rickman

Zahnarztpraxis Svenson: Dr. Charlotte Svenson, Janet Carter, Anna Foley, (früher auch Bertha Chappell)

St. Elwine Hospital: Dr. Theodor Jefferson, Dr. Elizabeth, Dr. Curtis Zimmerman, Schw. Leslie Burg

Show Business: Tyler O'Brian, Anna Foley, Orlando Moss, Norman Mc Kee

Marthas Pub: Roisin Logan

Noras Patchworkladen: Nora Garrett, Tallulah Amandes, Masha Byrne

Tanzstudio: Belle Maréchal

Buchladen: Monica

Sheriff-Büro: Ian Brosnan

Prolog

Sommer 2007

Natürlich kannte Baylee das Alter ihrer Chefin, und diese hatte zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis daraus gemacht, wann sie in Pension ging. Die Monate waren jedoch schneller vergangen, als sie für möglich gehalten hatte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Baylee es vorzog, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft zu grübeln. Sie lebte jetzt.

Es war trotzdem schade, dass ihr nur noch vier Tage bei ihrer Arbeitgeberin blieben. Ausgerechnet, wo sie sich angekommen glaubte in einem Job, der ihr endlich richtig Spaß machte, sie forderte. Der wie für sie geschaffen war. Nach all den Jahren, wo sie sich mit unzähligen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte, schien die Arbeit bei der Sprachtherapeutin ihre Offenbarung zu sein.

Baylee seufzte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als wieder einen Neuanfang zu wagen. Den wievielten eigentlich? Egal. Es half nichts, zu lamentieren. Sie wusste, sie würde es erneut schaffen, die Frage war lediglich: Was bot sich ihr an? Im Grunde war eher das Frühjahr ideal dafür, einen neuen Weg einzuschlagen. Sicher klappte das auch noch im Spätsommer. In ihrem Zweckoptimismus schwang allerdings jede Menge was mit? War ihre Frühjahrsmüdigkeit in einen Sommerschlaf übergegangen? Oder zeichnete etwas anderes für den Stich der Resignation in ihr verantwortlich?

Sie schloss die Praxisräume ab und lief die paar Straßen nach Hause. Wie immer sah Baylee als Erstes im Briefkasten nach. Man konnte nie wissen, ob dort eine freudige Botschaft auf sie wartete. Wie zum Beispiel eine Benachrichtigung, sie hätte im Lotto gewonnen. Zumindest ließ sie die Tatsache außer Acht, dass sie überhaupt nicht Lotto spielte.

Der Briefkasten war mit Werbung vollgestopft. Gerade, als ihr Ich-hätte-es-wissen-müssen durch den Kopf ging, kam unter all dem Kram ein Brief zum Vorschein. Ein Geschäftsbrief, adressiert an sie. Der Absender im Fenster war allerdings so klein gedruckt, dass sie ihn nicht lesen konnte, auch nicht, als sie das Schreiben weiter von sich weghielt.

»Guten Abend.« Ihre Nachbarn, ein altes Ehepaar, schlurften über den Flur.

Sie grüßte zurück und hielt ihnen die Tür auf, bis Mr. und Mrs. Robinson ihre Einkäufe hineingetragen hatten. Die Frau lächelte sie freundlich an. »Vielen Dank, meine Liebe.« Da Baylee noch immer versuchte, den Absender zu entziffern, streckte die alte Dame die Hand aus. »Jaja, so fing es bei mir auch an. Machen Sie sich nichts draus, wir werden alle älter.«

Abrupt ließ Baylee den Brief sinken. Es lag schließlich nur an der schlechten Beleuchtung im Hausflur und nicht an nachlassender Sehkraft, dass sie nicht lesen konnte, wer ihr den Brief geschickt hatte. Neuerdings benutzten die Leute offensichtlich sehr gern eine viel zu kleine Schrift.

Sie half den Robinsons, die im Erdgeschoss wohnten, auch noch, deren Tüten in die Küche zu räumen und eilte dann die Treppe nach oben. Nachdem sie die Tür ins Schloss geworfen hatte, konnte sie endlich das Kuvert aufreißen. Das Firmenlogo kam ihr vage bekannt vor, die Unterschrift am Ende räumte jeden Zweifel aus. Norman McKee, ihr früherer Manager, hatte geschrieben. Sie überflog die Zeilen. Wie es aussah, erhielt nicht nur sie diese Nachricht, sondern auch alle anderen ihrer ehemaligen Bandkollegen. Das durfte doch nicht wahr sein. Was sollte diese blöde Idee von einem Revival-Konzert ihrer alten Hippie-Combo? Sie, Baylee Scott, war ganz entschieden dagegen.

Wie hatte Norman es geschafft, jeden einzelnen von ihnen ausfindig zu machen? Nun gut, er war von jeher ein Schlitzohr. Kein Wunder, dass er zu den Topagenten im Showbiz gehörte. Damals war er noch keine so große Nummer gewesen. Aber er hatte es bereits vor mehr als zwanzig Jahren geschafft, in den Köpfen der Menschen Visionen entstehen zu lassen, und was noch viel wichtiger war: Er hatte es vermocht, sie wahr zu machen.

Norman gehörte allerdings in ihre Vergangenheit, so wie alles andere, was mit den Ted Brunner Singers zu tun hatte. Warum erhielt sie diesen Brief gerade heute? Nichts da, Baylee, ermahnte sie sich. Du bist nicht der Typ, der an das Schicksal oder sogar an Vorsehung glaubt. Bisher hatte sie es auch geschafft, derlei Grübeleien tunlichst zu vermeiden, und sie hatte nicht vor, das plötzlich zu ändern. Ihrer Auffassung nach führten solche Gedanken nirgendwohin. Im Gegenteil, sie sorgten eher für vorzeitiges Altern, und das führte zwangsläufig zu Falten. Sie schüttelte sich, denn das war nicht das, was sie haben wollte. Leider konnte niemand die Zeit aufhalten. Sehr schade.

Hätte sie hochprozentiges im Haus gehabt, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, einen Schnaps hinunterzukippen. Stattdessen sank sie auf den Küchenstuhl und besah sich die Fronten der alten Schränke. Sie spürte einen Druck im Hals und räusperte sich, schließlich versuchte sie es mit husten.

Doch ein Lachanfall steckte in ihrer Kehle fest, und erst, als sie sich darauf konzentrierte, begann er sich endlich zu lösen. Leider mündete er jedoch darin, dass sie in Tränen ausbrach. Warum? Der Tag war eigentlich ganz schön gewesen und ihr Leben endlich wieder im Fluss.

Ausgerechnet jetzt, wo ihre reale Welt sich beinahe so normal anfühlte, als wäre es im Lot, wollte Norman sie mit den Singers konfrontieren.

Das bedeutete auch mit dem Verschwinden der kleinen Sunflower und mit Sunflowers Daddy – Joel DeLuca.

Nein.

Nein.

Nein.

Kapitel 1

Warum, zur Hölle, saß sie hier und hatte ihre Meinung geändert? Die Scheibenwischer schafften es kaum, den Wassermassen Herr zu werden. Baylee hockte seit Stunden hinter dem Lenkrad ihres altersschwachen Fords und hatte Mühe, die Fahrbahnmarkierung zu erkennen. Ihr Nacken und der Rücken schmerzten bereits.

Endlich tauchte das Ortsschild von St. Elwine, Maryland in ihrem Sichtfeld auf. Wenige Minuten später passierte sie es und motivierte sich zur Weiterfahrt, indem sie kurz mit dem Allerwertesten wackelte und die Hüften bewegte. Immerhin brauchte sie ein paar Lockerungsübungen. Nach Tagen on the Road hatte sie es tatsächlich geschafft. Sie konnte stolz auf sich sein. Liebevoll streichelte sie über das Armaturenbrett. »Danke, dass du so schön durchgehalten hast, mein Alter.«

Warum das Revival-Konzert ausgerechnet in diesem Küstenort stattfinden sollte, erschloss sich ihr immer noch nicht. Wohl oder übel vertraute sie auf Normans Instinkt, er hatte stets den richtigen Riecher gehabt. Schade, dass er nicht auch das Wetter beeinflussen konnte. Ausgerechnet heute regnete es in Strömen. Da sie sich erneut vor Augen hielt, nicht an Vorsehung zu glauben, musste sie die dunklen Wolken und den anhaltenden Regen nicht als schlechtes Omen deuten. Baylee war für alles offen. Ihre Devise lautete: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt.

Sie erinnerte sich plötzlich wieder an den Tag, als Normans Brief sie erreicht hatte und fuhr weiter geradeaus. Die ersten Häuser traten in ihr Blickfeld, obwohl sie angesichts der Regenwolken nicht allzu viel erkennen konnte.

Vor ein paar Monaten, noch während sie sich unmittelbar nach dem Lachkrampf, der in ein Weinen übergegangen war, mit beiden Händen über die Wangen gewischt hatte, hatte ihr Telefon geklingelt. Eigentlich war sie nicht in der Verfassung für ein Gespräch gewesen, doch der Anrufer hatte nicht lockergelassen.

Zögernd hatte sie angenommen, und beim Klang der altbekannten Stimme hatte sich sogleich die alte Vertrautheit wiedereingestellt. Noch jetzt in ihrer Erinnerung spürte sie, wie sich die Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen.

»Baylee, ich freue mich so. Der Brief hat mich total überrascht, und da dachte ich mir, ich muss sofort mit dir sprechen. Ist Normans Idee nicht einfach großartig?«

Ein ganz klares Nein. »Äh …«

»Bitte, bitte, sag ja.«

»Ich weiß nicht …«

»Hast du dir alles auch richtig durchgelesen?«

»Nun …«

»Die Gage ist phänomenal.« Trixi Walker neigte schon immer zu Übertreibungen.

In den darauffolgenden Stunden hatte Baylee wieder und wieder das Schreiben gelesen. Tief in ihrem Herzen wollte sie dieses Konzert ablehnen, doch ihre Freunde von damals riefen sie der Reihe nach an. Nur etwas später als Trixi folgten Babs und Mike. Am nächsten Tag Kim, Heide, Alessandro. Sogar Ted meldete sich per Facebook aus Großbritannien. Im Chat erlebte sie ihn so freundlich wie nie. Leroy und Martin schickten E-Mails im Plauderton, die sie ebenso nett und unverbindlich beantwortete.

Zwei weitere Wochen später war ihr klar geworden, dass er nichts von sich hören lassen würde. Kein einziger ihrer Kollegen hatte auch nur die kleinste Nachricht von ihm erhalten. Sie standen untereinander längst wieder eng in Kontakt.

Was Baylee betraf, so hatte sie eigentlich auch nichts anderes erwartet, und es war sicher besser so, dass sich Joel nicht gemeldet hatte. Sein Fernbleiben war es schließlich, das den Ausschlag für ihre Meinungsänderung gab, doch nach St. Elwine zu fahren. Insgeheim war sie also nicht die einzige Spielverderberin, die einem Revival-Konzert eher skeptisch gegenüberstände. Die Gedanken sind schließlich frei, auch wenn sie nachgab, um ihren ehemaligen Bandkollegen einen Gefallen zu tun. Es hieß außerdem, der Klügere gibt nach, und endlich war es mal an ihr, klug zu handeln.

Jetzt war sie hier in St. Elwine gelandet, dank der Überredungskunst ihrer Freunde, aber auch dank der Gage. Natürlich.

Trixi hatte recht gehabt.

Baylee hatte es sich in den vergangenen Jahren zur Gewohnheit gemacht, Songs aus dem Radio lautstark mitzududeln. Das tat sie auch in diesem Augenblick, während der Regen in Strömen über die Windschutzscheibe lief. Die Freude am Singen konnte ihr das schlechte Wetter nicht nehmen. Sie liebte es, und sie hatte das Gefühl, dass sich während des Singens ihre Stimmung ganz allgemein hob. Manchmal trommelte sie den Rhythmus auf dem Lenkrad mit. So wie in diesem Augenblick. Bei der schlechten Sicht kam sie sowieso nur im Stop-and-go vorwärts.

Ihre Chefin war in den wohlverdienten Ruhestand getreten, und Baylee hatte beschlossen, mit Sack und Pack nach St. Elwine aufzubrechen. Für diese Schnapsidee zeichnete wahrscheinlich das Hippieblut in ihren Adern verantwortlich. Irgendwie hatte sie sich nicht geändert. Noch immer verspürte sie Lust auf ein Abenteuer. Genau wie damals, als sie von zu Hause abgehauen war, um dem Mief und der Enge in Detroit zu entkommen. Ihre Mom hatte sie unehelich bekommen und schließlich einen Fabrikarbeiter geheiratet. Aus heutiger Sicht sah sie ein, dass es ihr nicht wirklich schlecht gegangen war. Aber als Siebzehnjährige hatte sie einfach nur weggewollt, um Sängerin zu werden. Zunächst war sie von Spelunke zu Spelunke gezogen. Unterwegs hatte sie Trixi kennengelernt, die aus Jamaika stammte. Sie waren als Duo durch die Lande getingelt. Allerdings hatten sich ihre mehr schlecht als rechten Einnahmen in Grenzen gehalten. Nur mit Hilfe zahlreicher Gelegenheitsjobs waren sie nicht verhungert. Weiß der Geier, wie sie es bis nach San Francisco geschafft hatten.

Dort hatte das Leben pulsiert, jeder konnte nach seiner Fasson glücklich werden. Anfang der Siebziger herrschte in der Stadt noch immer Hippie-Atmosphäre. Etwas außerhalb traf sie auf Alessandro und die anderen. Nein, das stimmte nicht ganz. Heide und Ted kamen erst später dazu und … Joel, nachdem sie zum ersten Mal Norman McKee begegnet war. Er hörte sie in einer der Kneipen am legendären Pier 39 singen, und er bahnte sich einen Weg zu ihnen. Fragte nach ihren Namen, woher sie kämen und wohin sie wollten.

»Bist du ’n verdammter Bulle oder was?«, stellte Trixi ihn zur Rede.

Norman lachte und erklärte, er sei Manager, und seine Agentur suche stets nach guten Musikern.

Da begann Trixi zu lachen, sie glaubte ihm kein Wort.

Er zog ein beleidigtes Gesicht, ließ ihre Freundin außen vor und wandte sich stattdessen an sie. »Was machst du so?«

Baylee war nicht sicher, was sie ihm erzählen sollte, daher blieb sie bei der Wahrheit. Berichtete ihm, dass sie Sängerin werden wolle und derzeit mit Freunden außerhalb der Stadt in einer Hippie-Kommune lebe. All ihre Mitbewohner seien Künstler, die meisten Sänger und sehr talentiert.

»Das kannst du beurteilen?« In dem Augenblick wirkte McKee ziemlich arrogant, und sie begann bereits zu bereuen, sich mit ihm abgegeben zu haben.

»Ja, kann ich«, antwortete Baylee patzig und drehte sich weg, um sich eine Cola zu besorgen.

»He, so warte doch.« Er berührte ihren Arm, und sie blieb stehen.

Kam jetzt der Moment, vor dem sie sich insgeheim immer gefürchtet hatte? Würde er sie zum Sex nötigen wollen?

»Pfoten weg!« Die gute alte Trixi baute sich vor ihm auf.

Er machte ein erschrockenes Gesicht und zuckte zurück. »So einer bin ich nicht. Darf ich euch einen Vorschlag machen?«

»Der nichts mit Ringelpiez mit Anfassen zu tun hat?«, hakte Trixi nach. Sie war immer für Klarheit.

»Ganz genau.«

»Sag, was du zu sagen hast.« Und dann verpiss dich. Letzteres sprach ihre Freundin zwar nicht aus, aber sie wussten alle, dass sie genau dies meinte.

Norman schüttelte den Kopf. »Ich verstehe euch Mädels echt nicht. Ihr kommt hierher nach San Francisco, tut so, als wären Love, Peace and Happines eure Ideale und veranstaltet gleich einen Aufstand, weil jemand flüchtig euren Arm berührt.«

»Willst du uns einen Vortrag über Doppelmoral halten?«, giftete Trixi.

»Nein, keineswegs. Macht, was ihr wollt, aber kommt später nicht angeheult und beklagt euch über vertane Möglichkeiten. Bei mir hättet ihr eine faire Chance.«

»Kannst du uns dein Gefasel näher erklären?«

»Könnte ich …«

Und schon hatte er sie an der Angel. Gutgläubig, wie Baylee damals noch war, brannte sie darauf, zu erfahren, was er zu sagen hatte.

Sie verabredeten sich für den nächsten Abend am selben Ort. Wer nicht erschien, war Norman McKee.

»Na bitte. Merk dir das für die Zukunft«, triumphierte Trixi.

Dafür tauchte der Typ einige Tage später in ihrer Kommune auf. An einem späten Vormittag, als alle draußen auf dem Hof zusammensaßen. Die Mädels schälten Kartoffeln, schnippelten Gemüse vom Markt, und die Jungs bauten ein paar weitere Holzbänke. Dabei sangen sie Gospels und Traditionals. Sie merkten nicht, dass sich jemand in einer schattigen Ecke zu ihnen gesellt hatte und wurden erst auf ihn aufmerksam, als er ihnen applaudierte.

»Macht weiter, lasst euch durch mich nicht stören, Leute.«

Außer Trixi hegte niemand Argwohn gegen den Mann.

»Kommt heute Abend zum Pier, alle. Ich habe da eine Idee«, lud er sie ein.

Nicht einer von ihnen musste sonderlich überzeugt werden. Was hatten sie schon anderes vor?

McKees Vision war es, das Thema Hippie-Flower-Power im Jahr 1972 wieder aufleben zu lassen, indem er eine Gruppe mit Sängern, männlichen wie weiblichen, aus vielen verschiedenen Nationen zusammenstellte. Ihre Frisuren sollten vielfältig sein und von langem offenem Haar über Zöpfe, Afro-Look bei Trixi, frechem Bob wie Heide reichen. Leroy setzte sich sogar hin und wieder einen Schlapphut auf. Sie sollten außerdem nach Hippie-Manier bunte aber individuelle Klamotten tragen und während der Gesangsdarbietung tanzen, singen und gute Laune verbreiten. Tatsächlich reichte ihr Repertoire von Gospels, Spirituals, Traditionals und wenig später, als Ted Brunner den Singers an die Seite gestellt wurde, auch über eigens für sie komponierte Songs.

Wie sich schnell herausstellte, war jeder von ihnen ein echter Vollblutmusiker. Norman experimentierte drei Monate lang, bis die Idealbesetzung stand. Drei von ihnen mussten die Singers verlassen, noch bevor der erste große Auftritt stattfand. Weitere Sänger rückten nach, andere gingen gleich wieder. Die Arbeit mit Ted Brunner entpuppte sich als schwierig, er war cholerisch und anmaßend, aber er hatte auch etwas von einem Genie in sich stecken. Wo Genie wohnte, war Wahnsinn allerdings nicht weit. Sie kannte niemanden sonst, der so narzisstisch veranlagt war wie Ted.

Baylee hatte sich manchmal gefragt, ob der letzte Sänger, den Norman zu ihnen holte, nur dazu diente, einen Ausgleich zu schaffen. Er spielte die Rolle als Vermittler zwischen Teds Aggressivität und Kreativität auf der einen und der Gemeinschaft und dem bunten Durcheinander der übrigen Singers auf der anderen Seite. Dieser Ruhepol war Joel DeLuca gewesen. Außerdem fungierte er als Hingucker, als das optische Schmankerl für die weiblichen Fans, der Sahnetupfer auf der Torte.

In ihrer Vorstellung gehörten San Francisco, dessen Wahrzeichen die Golden Gate Bridge war, und Joel DeLuca mit seinen golden schimmernden Augen zusammen. Vielleicht hätte er die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war, niemals verlassen sollen. Halt, das stimmte nicht. Nur in ihrer Fantasie gehörte er in diese Stadt. In Wirklichkeit hatte sie eigentlich kaum etwas über Joel gewusst. Nur, dass er ihr gefallen hatte.

Just in diesem Augenblick ertönte aus dem Autoradio der nächste Song und brachte sie in die Realität einer verregneten Küstenstadt namens St. Elwine zurück. Den Song kannte Baylee nur zu gut: Mama Lee von den Ted Brunner Singers.

Plötzlich zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie drückte mit dem gesamten Handballen auf die Knöpfe und löste so den Sendersuchlauf aus. Ihr Atem normalisierte sich langsam wieder. Auch der Griff um das Lenkrad lockerte sich. Wie nach einem anhaltenden Krampf, der endlich nachließ, stieß sie die Luft aus. Bald schon würde sie diesen und die anderen alten Songs der Singers proben müssen. War sie noch ganz bei Trost gewesen, indem sie ihre Sachen gepackt und hierhergefahren war? Was sollte das werden? Noch war es nicht zu spät, den Wagen zu wenden und abzuhauen. Irgendeine fadenscheinige Begründung ließe sich für die Singers erfinden. Immerhin würden sie ohnehin nicht vollzählig sein, wenn sie auftraten. Da kam es auf eine Person mehr oder weniger nicht an. Niemand konnte sie zwingen, hier zu sein.

Oder? Aber wohin sollte sie gehen?

Baylee konzentrierte sich besser auf den Blick nach vorn. Die Sicht war nach wie vor schlecht. Der Regen wollte nicht aufhören. Verdammter Mist. Wie sollte sie die Pension finden, die Norman vorsorglich für sie gebucht hatte? Über so etwas wie ein Navi verfügte ihre alte Kutsche nicht, und das Handy hatte sie blöderweise irgendwo in ihren Koffer gestopft, nachdem der Akku seinen Geist aufgegeben hatte. Die Tankanzeige sagte ihr, dass der alte Motor viel zu viel schluckte. Sie würde sich etwas einfallen lassen müssen. Ob sie Norman um einen Vorschuss bitten konnte?

Immerhin würde das Revival-Konzert erst in einem guten Monat stattfinden, und ihre Rücklagen waren nicht besonders hoch. Auf den Straßen und Gehwegen hatten sich große Pfützen gebildet. Sie fuhr an Menschen vorbei, die links und rechts von ihr unter bunten Regenschirmen auf den Gehsteigen liefen und es eilig zu haben schienen. Kein Wunder, bei dem Wetter wäre sie als Fußgänger auch gern im Trockenen.

Sie versuchte, die Straßenschilder zu lesen und bog in eine Seitenstraße ein, um die alte Karte zu studieren. Irgendwo in der Nähe musste die Pension sein. So groß war dieser Küstenort schließlich nicht. Baylee fuhr rechts ran, würgte dabei den Motor ab und knipste die Deckenleuchte an. Danach beugte sie sich über die etwas zerfledderte Karte, die sie vorsorglich auf den Beifahrersitz gelegt hatte.

In welcher Straße befand sie sich noch mal? Verflixt, warum hatte sie nicht besser aufgepasst? Sie erschrak, als jemand an das Seitenfenster klopfte.

»Bist du das, Baylee?«

Aufgrund der Lichtverhältnisse erkannte sie den Mann nicht sofort. »Mike, dich schickt der Himmel«, kreischte sie schließlich, ehrlich erfreut, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Längst hatte er die Beifahrertür geöffnet und strahlte sie an. Der Regen schien ihm offensichtlich nicht das Geringste auszumachen.

»Die Frage, was du hier machst, erübrigt sich wohl?«, sagte er und lachte.

Im selben Augenblick entdeckte sie das große Schild an der Veranda des Hauses, vor dem sie Zuflucht gesucht hatte. Mason’s Cottage, Bed & Breakfest.

Nein, sie glaubte nicht an das Schicksal.

»War kinderleicht zu finden, dank Normans Beschreibung. Findest du nicht?«, fragte Mike.

»Du sagst es.« Sie grinste ihn an und klimperte mit den Wimpern. Mühelos schlüpfte sie auf die Art in die Rolle der Baylee von früher. Die Rolle der koketten Lolita, die als Schutzpanzer fungierte, damals wie heute, und die sie im Grunde nie abgelegt hatte.

»Süße, dich habe ich am meisten vermisst.« Mike drückte ihr seine Lippen auf den Mund.

Sie hätte mit mehr Distanz gerechnet. »Du flunkerst doch«, sagte sie, als er sie nach einem geräuschvollen Schmatz endlich wieder freigab.

»Was du mir alles zutraust. Ich bin zutiefst erschüttert.«

»Spinner.« Was immer dieser Spätsommer für sie bereithielt, langweilig würde es mit Sicherheit nicht werden. Baylee hasste Langeweile.

»Komm rein. Die anderen sind bereits da.«

Sie erschrak. Sollte jetzt gleich der Augenblick des Wiedersehens sein? Sie war mental noch nicht darauf vorbereitet, obwohl sie während der ganzen Autofahrt an nichts anderes hatte denken können. Ihre Nervosität wuchs. »Alle?« Das war ihr so rausgerutscht.

»Na ja, bis auf Alessandro. Du kennst ihn ja. Er war und ist der notorische Zuspätkommer.«

Entweder missverstand er sie absichtlich, oder sie würde gleich eine Überraschung erleben. Ihr Herz begann zu rasen.

Hatte sich Joel im letzten Moment ebenso wie sie umentschieden? Ohne dass jeder Einzelne darüber informiert worden war? Sie hätte einfach umkehren sollen, als sie die Chance dafür erkannt hatte.

»Hast du einen Schirm oder wenigstens eine Jacke? Wenn du erlaubst, kümmere ich mich um dein Gepäck, und du spurtest am besten ins Haus«, bot Mike freundlich an.

»Du bist ein Schatz.«

»Das merkst du jetzt erst? Na ja, damals hattest du ja immer nur Augen für …« Er brach ab und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu.

Baylee tat, als bekäme sie nichts mehr mit, schnappte sich ihre Jeansjacke und rannte los.

Kaum stand sie an der kleinen Rezeption, wurde sie von unzähligen Armen umfasst. Kim war da, Babs und Heide, Leroy, Martin und Trixi. Ted stand etwas abseits, grinste aber und klopfte ihr schließlich auf die Schulter. Ihn sah sie nicht, obwohl sie versuchte, so unauffällig wie möglich die Räumlichkeiten zu checken. Ihre Verwirrung wuchs.

Hinter ihr ließ Mike mit einem lauten Rumms ihr Gepäck zu Boden fallen. Sie blickte über ihre Schulter und erkannte, dass er klatschnass war.

Baylee hatte erwartet, auch Norman unter den Anwesenden zu finden, aber er fehlte, ebenso wie … Sie biss sich auf die Unterlippe. War sie jetzt enttäuscht und hatte insgeheim doch gehofft, er wäre gekommen? Blödsinn. Besser, sie gab sich nicht mit solchem emotionalen Ballast ab. Die anderen genügten vollkommen. Sie alle waren die legendären Ted Brunner Singers. So etwas wie Stolz stellte sich ein, und damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.

»In einer halben Stunde treffen wir uns im Pub, und dann halten wir unsere erste Besprechung ab.«

»Mike, du klingst wie ein Spießer«, zog jemand ihren Kollegen auf.

Der nahm es gelassen. »Witzig. Ich ziehe mir nur trockene Sachen an.«

»Wieso bleiben wir bei diesem Mistwetter nicht einfach hier?«, wollte Baylee wissen.

»Weil der Speiseraum bereits für das Frühstück eingedeckt wurde und wir im Pub auch was zu essen bekommen um diese Zeit.«

»Seit wann frühstückt einer von uns?« fragte Trixi provozierend.

»Wir sind schließlich älter geworden«, konterte Kim.

»Du vielleicht.« Baylees Satz sorgte für allgemeine Erheiterung.

Mike eilte die Treppe nach oben.

Nachdem ihnen die Wirtin des Pubs den Fleischeintopf empfohlen hatte, bestellten sie Irish Stew, Salat und Getränke.

Sie johlten, als endlich auch Alessandro eintraf, der wortreich gestikulierend tat, als hätte er die schwierigste Anreise von allen gehabt, und am meisten Zeit hatte die Suche nach dem Pub in Anspruch genommen. Niemand nahm seine Einwände ernst.

»Spar dir das«, befahl Ted schließlich im gewohnten Kommandoton. »Wir kennen dich alle«, brachte er es auf den Punkt.

Alessandro begann über das ganze Gesicht zu grinsen, er scherte sich den Teufel darum, dass jeder hier ihn durchschaute. Es war wie damals. Fast wie damals, entschied Baylee und ertappte sich dabei immer wieder, auf die Tür zu schielen. Er würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufkreuzen. Auch wenn ein Teil von ihr sich das offenbar wünschte.

Bereits bei ihrem Eintreffen und nachdem sie die Wirtin um Erlaubnis gefragt hatten, wurden einige Tische zusammengeschoben, sodass sie alle beieinander an einer großen Tafel sitzen konnten. Kim bot Alessandro den letzten freien Stuhl an, und sie begannen zu essen. Baylee war noch nie sehr wählerisch gewesen, und nach der langen Fahrt, auf der sie sich nur ein paar Schokoriegel und einen labbrigen Burger reingeschoben hatte, schmeckte es ihr köstlich. Als der größte Hunger gestillt war, setzte ein Wohlgefühl ein. Endlich war sie sogar bester Stimmung. Irgendwie hatte sie das für den ersten gemeinsamen Abend nicht erwartet.

Mike zog ein Kuvert aus der Hosentasche seiner Jeans. »Ich habe hier einen Brief von Norman.«

Wieso war es Mike, der hier die Informationen aus dem Management weitergab? Baylee wunderte sich darüber, warum Ted, Namensgeber und Boss der Singers, diese Aufgabe nicht übernommen hatte. Gab es hinter den Kulissen Ärger, von dem nur eine handverlesene Gruppe etwas wusste?

Mike faltete den Brief auseinander. »Liebe Freunde«, begann er. »Ich freue mich über jeden Einzelnen von euch, der dazu beitragen wird, meine Idee von einem Revival-Konzert zu einem besonderen Erlebnis werden zu lassen. Von ganzem Herzen bedanke ich mich bei euch.

In ein paar Tagen werde ich zu euch stoßen. Ihr glaubt nicht, wie sehr ich mich auf das Wiedersehen freue. Bis dahin bitte ich euch, unverzüglich mit den Proben zu beginnen. Mike hat die wichtigsten Informationen erhalten, betrachtet ihn als meinen Stellvertreter vom Management. Die musikalische Leitung wird Ted übernehmen. Die alten Songs sind noch immer Gold wert, die Leute sind verrückt danach. Also keine Experimente mit neuen Liedern, auch keine moderneren Arrangements. Zumindest vorerst.«

Vorerst? Was sollte das denn heißen? Baylee sah in die Gesichter der anderen, denen abzulesen war, dass sie sich dieselbe Frage stellten. Der Auftritt war doch wohl eine einmalige Sache. Die meisten von ihnen steckten wahrscheinlich in festen Jobs. Sie waren nicht mehr Anfang zwanzig.

»… warum St. Elwine?«

Jetzt hatte Mike wieder Baylees volle Aufmerksamkeit.

»Leider hat sich Joel DeLuca bis zum heutigen Tag nicht bei mir gemeldet.«

Das war gut, stellte Baylee erleichtert fest. Sie fühlte doch Erleichterung?

»Allerdings konnte ich in Erfahrung bringen, dass er in dieser kleinen Stadt lebt und arbeitet.«

In welcher kleinen Stadt? Hier, in St. Elwine? Er war also doch in der Nähe? Irgendwie hatte sie es gespürt, bereits beim Passieren des Ortsschildes. Ob alle hören konnten, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und ihr laut in den Ohren pochte?

»An dieser Stelle möchte ich meine besondere Bitte an Baylee Scott richten. Hallo Darling, schön, dass du da bist.«

Was hatte das zu bedeuten? Unter den neugierigen Blicken der anderen richtete sie sich kerzengerade auf. Jeder Muskel in ihr spannte sich an.

»Ich möchte dir gern eine besondere Aufgabe erteilen. Meiner Meinung nach bist du genau die richtige Person dafür. Ohne Joel ist der Auftritt der Singers nicht perfekt. Baylee, geh zu ihm, rede persönlich mit ihm. Du könntest ihn umstimmen.«

»Was?« Norman war wohl nicht ganz bei Trost. Sie war so erschrocken, dass Trixi aufstand und sie umarmte. Es war mucksmäuschenstill im Raum.

Einige sahen sie mitleidig an, andere gespannt.

»Sollte es dir gelingen, erhöht sich die bisher vereinbarte Gage für jeden einzelnen nochmals.«

Das war nicht fair. Norman schob ihr allein den schwarzen Peter zu und winkte auch noch lässig mit Geld. Er wollte sie manipulieren und ködern. Eher gefriert die Hölle.

»Norman hat sie nicht mehr alle«, stieß sie hervor. Sie sagte es zu niemand bestimmten, nur Trixi fühlte sich angesprochen.

»Du lässt dich auf keinen Fall erpressen.«

Langsam senkten die anderen die Köpfe. Es war klar, dass sie von ihr erwarteten, Normans Bitte nachzukommen.

»Baylee, lass es uns wenigstens versuchen«, hob Mike ruhig wieder an, und sie merkte, dass er nur Normans Worte wiedergab.

»Niemand ist dir böse, sollte es dir nicht gelingen, zu ihm durchzudringen. Schließlich wissen wir alle, was damals passiert ist. Dann hast du es wenigstens versucht. Mehr verlangt keiner von dir. Ich gehe davon aus, dass Joel höflich zu dir sein wird als Reverend von St. Elwine.«

Die Information raste wie ein dröhnender Paukenschlag durch ihr Bewusstsein. Unmöglich, sie musste sich verhört haben. In ihrer Erinnerung sah sie Joel neben sich auf der Bühne stehen, in engen Jeans und schwarzer Lederjacke, singend und den Rhythmus mitklatschend. Dieses Bild kollidierte mit der Vorstellung in ihrem Kopf von einem Joel im schwarzen Talar, der in einer Kirche vor seiner Gemeinde stand und das Wort Gottes predigte. Ihr fiel nur ein Wort dazu ein: lächerlich. Das passte doch hinten und vorne nicht zusammen. Was hatte sich der Mann dabei gedacht? Das Priesteramt war das Letzte, was sie mit seiner Person in Verbindung brachte.

Ernsthaft? In ihrer Kehle begann es zu rumoren. Baylee räusperte sich mehrmals, doch es half nichts. Zuerst löste sich ein Kichern, das nahtlos in ein Gackern überging, bis ein Lachanfall der Güteklasse eins sie schüttelte. Einige fielen in ihr Gelächter mit ein.

Ein frommer Mann, der die Bibel zitierte – ausgerechnet Joel DeLuca. Unfassbar. Schleierhaft blieb ihr außerdem, warum alle anderen der Meinung waren, sie wäre die Einzige, die zu ihm durchdringen könne. War jetzt die ganze Welt verrückt geworden? Hatten sie andere Erinnerungen an die Ereignisse von damals? Nichts und niemand hatte zu Joel durchdringen können. Er hatte dichtgemacht, eine imaginäre Mauer um sich errichtet, fast von einer Sekunde zur anderen. Die Welt, in der sie sich befunden hatten, war nicht mehr seine gewesen. Der Riss zwischen ihnen allen wurde nie mehr gekittet. Wollte Norman das jetzt nachholen, als letzten Versuch? War dies der eigentliche Zweck seines Revival-Konzertes? Eine Versöhnung aller ehemaligen Mitglieder? Das könnte schiefgehen, sehr, sehr schief. Oder aber …

War Norman der Meinung, dass es jetzt an der Zeit war? Gab es überhaupt einen richtigen Zeitpunkt für so etwas? Und wenn ja, durfte sie sich dann dagegen sträuben? Alles war schließlich ihre Schuld. Seit Jahren trug sie schwer daran. Anfangs hatte sie sich noch gewünscht, sie könnten sich aussprechen. Später hatte sie Joel zum Teufel gewünscht, schließlich versucht, alle Erinnerungen auszulöschen. Das war das Schwierigste gewesen. Manchmal war sie an ihre Grenzen geraten, aber Baylee hatte es immer wieder geschafft, das Beste aus den Situationen zu machen. Sie war nicht perfekt, aber sie kam klar mit allem. Außer mit dieser einen Sache. Darum wollte sie nie mehr darüber nachdenken müssen, denn es war nichts mehr zu ändern. Das hatte sie vor sich selbst akzeptiert.

»Darf es noch etwas zu trinken sein? Für die Ladies vielleicht einen Erdbeerpunsch?«, fragte die Wirtin freundlich.

Erdbeerpunsch klang interessant, gerade richtig als kleiner Stimmungsaufheller dieses verregneten Tages, und überhaupt. Vor allem jenes Überhaupt machte ihr plötzlich wieder sehr zu schaffen. Baylee nickte, und sie bestellten eine Runde Erdbeerpunsch. Bei dieser blieb es jedoch nicht.

Der Punsch weckte ihren Kampfgeist. Das Wort Reverend hallte wie ein Echo in ihr nach. Jeder andere Beruf ließe sie kalt, aber ein Priester war eine echte Herausforderung für Baylee Scott. Nun gut, die anderen wollten in den Genuss der höheren Gage kommen, und es wäre sicherlich gelogen, behauptete sie, dass die Kohle ihr egal sei. Aber scheiß drauf, bisher hatte sie noch jeden Mann rumgekriegt, wenn sie etwas von ihm gewollt hatte. Nur ein Reverend fehlte in ihrer Sammlung noch.

Nach dem wievielten Erdbeerpunsch stand ihr Entschluss fest? Es waren fünf oder doch mehr? »Nun gut«, lallte Baylee. »Ich tue euch den Gefallen. Aber unter einer Bedingung.«

»Und die wäre, Schätzchen?«

»Ihr bezahlt die Zeche für meine Drinks heute Abend.«

»Einverstanden.« Na, wenn das nicht einstimmig war.

»Bist du wirklich sicher?« Trixi musterte sie durchdringend.

»n’türlich.«

Als sie den Pub verließen, regnete es immer noch. Babs und Trixi hielten sie untergehakt. »Ob er wohl dahinten unter einem der Schirme ist, was meint ihr?«, nuschelte sie.

»Mal abgesehen von uns sind die Straßen menschenleer.«

»Vorhin, meine ich. Als ich in der Stadt ankam, waren einige Menschen mit ihren Regenschirmen unterwegs. Wäre doch möglich, dass er direkt an mir vorbeigelaufen ist, ohne etwas zu ahnen, der Herr Pastor. Was meint ihr?«

»Wer weiß das schon.«

Ja genau. Es war nicht so einfach, in ihrem jetzigen Zustand das Gleichgewicht zu halten. »Wir werden ja sehen, wie das alles hier ausgeht.«

»Schlaf dich erst mal aus«, versuchte Trixi sie zu beschwichtigen.

»Hat eine von euch davon gewusst?« Die Frage brannte ihr bereits auf den Nägeln, seit Mike die frohe Botschaft verkündet hatte.

Das war auch die Frage, die Baylee am nächsten Morgen als Erstes wieder in den Sinn kam. Sie konnte sich nicht daran erinnern, in der Nacht zuvor eine Antwort erhalten zu haben. Entweder hatte sie einen Filmriss, oder ihre Freundinnen waren schlichtweg nicht darauf eingegangen. Anderseits hatte jeder im Pub überrascht ausgesehen, als die Sprache auf Joels Beruf gekommen war. Verflixt, warum war es ihr nicht vergönnt gewesen, Norman McKee zur Rede zu stellen? Drückte er sich absichtlich vor einer Aussprache mit ihr? War er deshalb gestern Abend nicht aufgekreuzt und hatte mal wieder ach so viel Arbeit vorgeschoben? Immerhin hatten sie alle ihr Leben kurzfristig stehen und liegen gelassen, nur, weil Norman mit den Fingern geschnippt hatte. Er machte, was er wollte, und sie sollten nach seiner Pfeife tanzen. Das war unerhört. Sie würde alles daransetzen, ihrem ehemaligen Manager gehörig die Meinung zu geigen, und zwar noch heute.

Nebenan im Bad hörte sie Wasser rauschen. Trixi, mit der sie sich ein Zimmer teilte, stand unter der Dusche.

Sie musste nochmals eingenickt sein, denn als sie aufstand, war sie allein. Für wann hatte Ted die ersten Proben angesetzt? Sie sollte sich beeilen, wenn sie ebenfalls noch duschen und wenigstens eine Tasse Kaffee trinken wollte. Heiß, stark, schwarz.

Die Proben sollten in einer ehemaligen Lagerhalle am alten Hafen stattfinden. Baylee machte sich auf den Weg, und dank der Beschreibung der Pensionswirtin fand sie die Location mühelos. Von außen wirkte das Gebäude zwar recht heruntergekommen, doch für ihre Zwecke war es ideal. Vor allem die Akustik war toll hier. Das war aber auch schon alles, was Baylee über den ersten Übungstag Positives sagen konnte. Die Probe verlief chaotisch. Es gab verpatzte Einsätze, falsche Töne, nicht genügend Konzentration - die ganze Palette, als stünden sie alle zum ersten Mal gemeinsam auf einer Bühne. Ein Wunder, dass Ted nicht ausflippte. Vielleicht hatte er sich vorher auch was zur Beruhigung eingeworfen.

Nach drei Stunden beendete er das Ganze. »Das muss besser werden«, war sein ganzer Kommentar.

Ausnahmsweise gab Baylee ihm recht und fügte im Stillen ein unbedingt hinzu.

»Wir treffen uns morgen wieder hier um dieselbe Zeit«, warf Mike ein. »Wann wirst du mit Joel sprechen?«, wandte er sich an sie, jedoch so, dass alle es mitbekamen. Am liebsten hätte sie ihm gegen das Schienbein getreten. »Schieb es nicht auf die lange Bank«, fügte er, ohne ihren aufkommenden Ärger zu beachten, hinzu.

»Natürlich nicht«, wollte sie antworten, aber nur ein Krächzen verließ ihre Stimmbänder, so sehr steckte sie bereits in einem Gefühlschaos.

Sie hoffte, die anderen hielten es für Heiserkeit als Reaktion auf die erste Probe.

Als alle nach draußen strömten, schien die Sonne, und es war so warm, dass Baylee ihre Jacke auszog und die Ärmel um die Hüften band. Sie verspürte plötzlich Lust, sich den Ort genauer anzusehen. Irgendwie brauchte sie Abstand von allem. So schlenderte sie gemeinsam mit Trixi und Heide durch die Straßen von St. Elwine. Es gab einen Buchladen, ein Blumengeschäft, einen Frisör- und Kosmetiksalon, sogar ein Tanzstudio, diverse Restaurants und Hotels und einen Quiltladen. Hübsch, hier könnte sie es eine Weile aushalten, auch noch, wenn das Revival-Konzert Anfang September längst stattgefunden hätte. Noch war August, und im Vergleich zu gestern brannte die Sonne. Baylee wollte sich umziehen und ihr Haar zu einem Pferdeschwanz binden, damit die Luft in ihrem Nacken zirkulieren konnte.

Die gute Stimmung vom gestrigen Abend war längst verpufft, und ihr Unbehagen stellte sich nach einer kurzen Pause erneut ein. Wann wäre der richtige Zeitpunkt, um Joel einen Besuch abzustatten?

Es gab keinen, begriff Baylee, und erklärte ihren Freundinnen, sie wolle ein bisschen allein sein. Zwar spürte sie Trixis durchdringenden Blick auf sich, beließ es aber dabei. Dachte sie ernsthaft darüber nach, Norman den Gefallen zu tun? Hatte sie nicht vor ein paar Stunden noch ihrem Manager die Hölle heiß machen wollen? Was war nur plötzlich los mit ihr? Baylee war niemand, der einfach so einknickte. Sie beschloss, an den Strand zu gehen und sich etwas Wind um die Nase wehen zu lassen. Wahrscheinlich in der Hoffnung, der Wind trüge eine geeignete Lösung über das Meer zu ihr. Einfach nur vom Strand aus auf das Wasser sehen. Genau das hatte sie damals oft getan, manchmal zusammen mit Joel, manchmal allein. Sie verfiel wieder in ihr altes Verhaltensmuster. Sehr seltsam.

Am Strand wimmelte es nur so von Touristen. Kein Wunder, wenn es gestern den ganzen Tag über geregnet hatte. Schade, dass sie sich hier noch nicht so gut auskannte und ein stilles Plätzchen, wie zum Beispiel eine kleine Bucht, aufsuchen konnte. Fernab vom Trubel. Wenn sie lange genug danach Ausschau hielt, würde sie schon eines Tages auf einen solchen Ort stoßen. Jetzt gratulierte sie sich erst mal dazu, dass sie das knappe Sommerkleid gewählt hatte, nachdem sie nach der Probe kurz in der Pension gewesen war. Ihr war klar, wie vorteilhaft es ihre Figur umspielte, und prompt zog sie einige Blicke auf sich. Da lag es auf der Hand, dass sie den Spaziergang ausdehnte. Mit den Füßen stand Baylee im flachen Wasser des Atlantiks, mit den Händen schwenkte sie ihre Stiletto-Sandaletten hin und her, das Gesicht hielt sie der Sonne zugewandt. Sie spürte förmlich, wie sie sich um die Nase herum Sommersprossen einfing. Der Augenblick war zu schön, um sich damit auseinanderzusetzen, also scheiß drauf. Ihr Teint war ihr egal. Es war einer jener Momente, in dem man sich wünschte, die Zeit bliebe für eine Weile stehen. Weiter nichts.

Als ihr Durst schließlich zu groß wurde, beschloss sie, umzukehren, um sich etwas zu trinken zu kaufen. An der Strandbar genehmigte sie sich eine Cola. Sie rieb den Fuß am jeweils anderen Schienbein, um den Sand abzustreifen und schlüpfte wieder in ihre Sandalen. Kurz war sie geneigt, ihr Vorhaben auf morgen zu verschieben, doch das würde ihr nur eine weitere unruhige Nacht bescheren. Schon wummerte ihr Blut wieder in den Adern. Die Tür zum Pub stand offen, ohne lange zu überlegen ging sie schnurstracks hinein und bestellte einen Erdbeerpunsch. Der würde helfen, ihre flatternden Nerven zu besänftigen. Sie trank zu hastig, das merkte sie sofort.

»Was ist da außer Erdbeeren, Zucker und Eis noch drin?«, fragte sie die Wirtin.

»Weißer Rum.«

»Oha.« Trotzdem, auf einem Bein konnte sie nicht stehen, sie bestellte sich einen zweiten Drink, den sie allerdings sehr langsam, schlückchenweise zu sich nahm.

»Bleiben Sie länger in der Stadt?« Die Wirtin lächelte freundlich.

»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Baylee wahrheitsgemäß. »Wo finde ich die Kirche?«

Während ihr die Wirtin den Weg beschrieb, hoffte sie sich alles richtig einzuprägen.

»Vielleicht sollten Sie noch eine Kleinigkeit essen, bevor Sie aufbrechen.«

Baylee dachte an ihr Tagesziel und spürte, wie ihr Magen dabei eine Dreivierteldrehung hinlegte.

»Etwas Leichtes, einen Salat zum Beispiel«, schlug die Wirtin vor.

»Das geht womöglich gerade so.«

Eine Stunde später klopfte Baylee zum ersten Mal in ihrem Leben an die Tür eines Pfarrhauses.

Drinnen blieb alles still. Möglicherweise hatte niemand das Klopfen gehört. Es musste irgendwo bestimmt auch eine Klingel geben. Sie besah sich die mit wildem Wein bewachsene Fassade genauer, wurde fündig und setzte einfach alles auf eine Karte. Es gab kein Zurück mehr. Je schneller sie das Problem anging, desto eher hatte sie es hinter sich.

»Guten …« Tag,ich würde gern mitJoelDeLucasprechen. Ihre Stimme erstarb bereits beim ersten dieser Worte, als er in der offenen Tür stand und keine Haushälterin, wie sie es bedingt durch alte Filme, erwartet hatte.

Zunächst lächelte er, dann erstarb sein Lächeln zwischen den Mundwinkeln. Er sah sie entsetzt an.

»Gott …«, hauchte er. Das war alles.

Nein, bitte nicht. Er machte einen Schritt rückwärts und verwünschte die Tatsache, dass er sich zuvor nicht vergewissert hatte, wer vor der Tür stand. Jetzt war es zu spät. Verdammt!

Sie wirkte kaum älter als damals, und immer noch kleidete sie sich absichtlich aufreizend. Geh! Ich sterbe nicht noch mal.

Blödsinn, er war tausend Tode gestorben und tat es noch, an jedem verdammten Tag, den Gott werden ließ.

Wollte er sie tatsächlich zwischen Tür und Angel abspeisen? Rasch begriff er, es wäre nicht gut, wenn irgendjemand aus der Gemeinde sie hier sah, also bat er sie hinein, auch wenn es ihm zutiefst widerstrebte. »Komm rein.«

Er wusste, es war ein Fehler, denn sofort fiel sein Blick auf ihr Kleid, das sie viel zu tief aufgeknöpft trug. Er wusste auch, dass sie das absichtlich tat. Schließ dein offenes Kleid. Sofort!

Wahrscheinlich war es klüger, nicht darauf einzugehen. Also tat er, als hätte er ihren Aufzug nicht bemerkt.

Sie sah immer noch verdammt gut aus, das musste er ihr lassen. Doch würde sie ihn um Rat fragen, hätte er ihr geantwortet, sie solle nicht allzu lange darauf bauen. Äußere Schönheit war vergänglich und sehr, sehr trügerisch. Was tat er hier eigentlich? Sie war bestimmt nicht gekommen, weil sie den Reverend der Gemeinde sprechen wollte. Da seine Hände zitterten, schob er sie in die Taschen seiner Jeans, damit sie es nicht mitbekam.

Schweigend standen sie sich gegenüber. Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, einen, den er in einen Kitschroman einordnen würde. Sieh mich um Himmelswillen nicht an wie in einem Liebesroman. Ich werde nichts dergleichen tun, was du auch immer verlangst. Es lag eine Sehnsucht in ihren Augen, die er kannte. Eine Sehnsucht, die er in den ersten Jahren nach der Auflösung der Ted Brunner Singers selbst verspürt hatte. Aber das war vorbei. Er war froh darüber, diese Ketten los zu sein. Mit Gottes Hilfe war es ihm gelungen, und er würde nie wieder damit anfangen, sich erneut ins Unglück zu stürzen. Joel fror plötzlich. »Schickt Norman dich?«

Ihr entfuhr ein Hickser. Hatte sie etwa getrunken?

Sie nickte, und anschließend sah sie sich in der Diele um. »Hübsch hast du’s hier.« Danach biss sie sich auf die Unterlippe, als begriff sie, wie albern diese Floskel klang. »Ich bin nicht meinetwegen hergekommen.« Offensichtlich war es ihr wichtig, dass er das wusste.

»Okay.«

»Wir proben bereits wieder zusammen.«

»Schön für euch.«

»Alle sind der Einladung gefolgt, und da dachten wir …«

Sie begann an den Knöpfen ihres Kleides zu fummeln. Wenn er sie nicht so gut gekannt hätte, könnte dies als unbewusste Handlung durchgehen. Aber so? Wollte sie wieder mal seinen Blick auf ihren Ausschnitt lenken? Offensichtlich hatte Baylee Scott nichts dazugelernt in all den Jahren.

»Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?« Natürlich wollte er das auf keinen Fall. Sie sollte wieder gehen. Momentan musste er allerdings unbedingt Distanz zwischen sich und ihre Person schaffen, damit er nachdenken konnte, was als Bestes zu tun wäre. Die Blasphemie dahinter ignorierend, richtete er ein Stoßgebet an Gott, dass sie ein Getränk ablehnen würde.

»Sehr gern, danke.«

Als er sich umwandte, um in der Küche Zuflucht zu suchen, lief ein Schauder über seine Wirbelsäule.

»Oh, da ist ja eine so entzückende Veranda. Ich darf doch?« Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete sie die Fliegengittertür und setzte einen Schritt nach draußen.

»Nur zu.« Er wagte nicht, über die Schulter zu sehen.

Wie lange konnte ein Mensch brauchen, um Limonade aus einem Krug in Gläser zu füllen? Nicht annähernd genug. Daher beschloss er, frische Limetten zu schneiden, in klitzekleine Würfel. Mist, die Minzeblätter waren im Garten, und der Weg dorthin führte über die Veranda. Also kramte er im Küchenschrank nach Trinkhalmen. Schlussendlich gab es keinen Grund mehr, zu trödeln, und er trug die Gläser nach draußen. Seines behielt er in der Hand, er brauchte etwas, woran er sich festhalten konnte.

Damals war sie durch eine Tür gegangen und hatte ihn stehen lassen. Allein mit sich. Allein mit allem. Es war ihm unmöglich gewesen, weiterhin mit den Singers fröhliche Songs zu trällern. Kurz darauf hatte sich die Band aufgelöst. Er hatte sich verloren.

Durch Gottes Liebe wurde er wiedergeboren, als Reverend. Das Leben davor hatte er hinter sich gelassen. Ich sterbe nicht noch mal.

»Danke«, sagte sie.

Er reichte ihr das Glas nicht, sondern stellte es auf den Tisch. Nicht, dass sich versehentlich noch ihre Fingerspitzen berührten.

»Wohnst du ganz allein hier?«

Sie ging nicht besonders subtil vor, um herauszufinden, ob er eine Frau hatte. Typisch. »Nein.«

Baylee nickte und nahm einen Zug Limonade. »Mhm, köstlich. Ich nehme an, die hat deine Mitbewohnerin zubereitet.«

Das stimmte nicht ganz, aber er hatte keine Lust, darauf einzugehen. Je weniger sie wusste, desto besser.

»Die anderen haben mich vorgeschickt.«

»Das sagtest du bereits.« Möglich, dass dies die Wahrheit war, genauso gut könnte sie gelogen haben. So wie damals.

Der Schmerz, der über ihn herfiel, war überwältigend. So schlimm, dass seine Atmung aussetzte und sich die Finger zu geballten Fäusten verkrampften. Dabei vergaß er, dass er noch immer sein Glas in der Hand hielt. Es zerbrach. Als die Scherben seine Handfläche zerschnitten, spürte er nichts im Vergleich zu der Pein in seinem Inneren.

Baylee keuchte erschrocken auf. »Was machst du denn da? O Gott.«

Sie trat näher, doch er streckte seinen Arm aus. »Bleib, wo du bist!«

»Aber … Joel, du blutest.«

Erst jetzt bemerkte er es. Er hatte bereits die Bodendielen vollgetropft. Es war ihm egal. »Du gehst besser wieder.« Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist, und nimm die anderen mit.

»Das glaubst aber auch nur du. Ich gehe nirgendwo hin.«

Schon schnappte sie sich seinen Unterarm, winkelte ihn an und presste ihn gegen seine Brust. »Hast du Verbandszeug?«

Eine einfache Frage, doch er war nicht imstande, sie zu beantworten, denn ihre Berührung löste nicht etwa einen Stromschlag in ihm aus, sondern ein ganzes Erdbeben.

»Ist dir schlecht? Warum sagst du nichts?«

Sie zerrte ihn durch die Fliegengittertür, sah, dass die Tür zur Küche offenstand und manövrierte ihn dort hinein. Danach schnappte sie sich das Geschirrtuch, schlang es um seine Hand und verknotete die Enden. »Ich bin nicht besonders gut in solchen Dingen, gehe aber davon aus, dass die Wunde genäht werden muss. Wer weiß, ob nicht noch einige Glassplitter … Auf jeden Fall sollte sich das ein Arzt ansehen.«

Darum würde er sich kümmern, sobald sie das Haus verlassen hatte.

»Ich … ich kann nicht gut Blut sehen, daher …«, stammelte sie.

Was gingen ihn ihre Befindlichkeiten an? Es war schließlich nicht so, dass er sie zu einem Nachmittagskränzchen eingeladen hatte.

»Hörst du mir überhaupt zu? Joel?«

»Ich komme schon zurecht, danke.«

Sie starrte ihn an, als hätte er ihr zur Krankenschwester des Jahres gratuliert. »Ist das dein Ernst?«

»Natürlich.«

»Du solltest nicht allein …«

Das brachte das Fass zum Überlaufen. »Bin ich nicht immer allein gewesen?«, herrschte er sie an.

»Ich …« Sie senkte den Kopf. Baylee fasste sich schnell wieder. Das kannte er bereits von ihr. »Lass uns in die Notaufnahme fahren.«

»Warum?«

»Ich habe es doch bereits erklärt. Das muss sich ein Arzt ansehen.«

»Das meinte ich nicht. Du musst nicht mitkommen.«

»Es ist … wahrscheinlich meine Schuld, dass du … Wie dem auch sei, in dem Fall gehört es sich, dass ich dich in ein Krankenhaus bringe.«

Er presste seine unverletzte Hand auf den Notverband. »Mach dich nicht lächerlich.«

»Mir ist egal, was du sagst.«

»Denkst du, das wüsste ich nicht?«

Sie stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Räuspern und Seufzen lag.

»Du willst plötzlich die Verantwortung übernehmen? Wie das?« Die Frage hatte er sich nicht verkneifen können. Sofort ärgerte er sich allerdings, dass er den Mund nicht hatte halten können.

»Du hast sicherlich Grund genug, mich zu verspotten.«

Da hast du mal recht.

»Lass uns dieses Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt weiterführen.«

Ihr Vorschlag verblüffte ihn. »Ganz bestimmt nicht.«

»Soll mir auch recht sein. Wo sind deine Wagenschlüssel?«

Jetzt war es an ihm, sie entgeistert anzusehen. Wie fremdgesteuert deutete er mit vorgerecktem Kinn zum Küchentisch.

Sie marschierte schnurstracks hinüber, grapschte nach dem Schlüssel, trat hinter ihn und legte ohne jede Vorwarnung ihre Hand auf sein Schulterblatt. Baylee hätte auch gleich einen Elektroschocker benutzen können. Die Wirkung wäre dieselbe gewesen.

»Lauf zu!«

Er gehorchte ihr. Ob der Blutverlust ihn bereits benommen machte? Erst, nachdem sie die drei Holzstufen hinuntergestiegen waren und sie sich nach seinem Wagen umsah, zog sie ihre Hand fort. Er musste aufpassen, dass sie keine Gelegenheit mehr bekam, ihn anzufassen.

»Ist das da deine Garage?«

»Sie gehört zum Pfarrhaus.«

»Das ist dann ja wohl dasselbe«, meinte sie schnippisch. »Warte hier!«

Als er das Getriebe knirschen hörte, war es zu spät, sie darauf hinzuweisen, dass der Jeep über eine Gangschaltung verfügte. Himmel, hilf.

»Sorry, ich werde mich schon daran gewöhnen, dass es keine Automatik gibt.«

Ganz bestimmt nicht.

»Steig ein«, forderte sie ihn auf.

Er hatte keine Lust, zu diskutieren und war zu dem Schluss gekommen, dass Folge zu leisten der schnellste Weg war, um sie wieder loszuwerden. Und den Mund zu halten auch.

»Wo ist das Krankenhaus noch mal? Ich weiß genau, dass ich heute bereits daran vorbeigegangen bin. Oder wenigstens an einem Wegweiser.«

Er wies mit der gesunden Hand noch vorn. Das sollte genügen. Joel war nicht auf der Welt, um ihr das Leben zu erleichtern.

Baylee Scott war jemand, der immer davonkam und permanent Glück hatte wie eine Katze mit neun Leben.

»Ah, da ist es ja. Ich wusste es«, sagte sie siegessicher.

Na bitte.

Sie lenkte den Jeep in eine Parklücke, und noch bevor der Motor erstarb, stieg er aus und marschierte auf direktem Weg in die Notaufnahme.

Als eine Krankenschwester ihn bat, das Formular mit den Personalien auszufüllen, stand Baylee plötzlich neben ihm.

Wieso nur hatte er angenommen, sie würde draußen auf ihn warten?

Er hatte sich die linke Hand verletzt, dumm nur, dass er Linkshänder war und sich nun damit abmühte, das Formular auszufüllen.

»Das kann ich doch übernehmen.«

Bevor er dazu kam, abzulehnen, zog Baylee bereits an dem Klemmbrett. Genervt gab er nach.

Sie kniff die Augen zusammen. »Sie brauchen deine Krankenversicherungsnummer.«

Natürlich hatte er seine Brieftasche zu Hause vergessen.

Wahrscheinlich verriet ihn sein Gesichtsausdruck. Baylee wandte sich jedenfalls sofort an die Krankenschwester.

»Hören Sie, darf der Reverend die Nummer morgen nachliefern? Bei all der Aufregung haben wir nicht daran gedacht …«

Die Schwester musterte erst Baylee genauer, ihr Blick blieb an deren tief aufgeknöpftem Kleid hängen und wanderte anschließend zu ihm.

Ganz toll. Es war nicht besonders schwer, deren Gedanken zu erraten. Und welche Rückschlüsse die Frau daraus zog.

»Normalerweise … Na gut, bei Ihnen mache ich eine Ausnahme, Reverend DeLuca.«

»Danke.«

»Dr. Tanner ist gleich für Sie da. Wenn Sie schon mal in Zimmer eins Platz nehmen möchten.« Die Schwester ging voran, um ihm den Weg zu weisen.

Er hätte gut daran getan, Baylee die Wagenschlüssel abzunehmen und sie ins Mason’s zurückzuschicken. Mit dem Rest kam er schließlich allein klar. Ob er die Schwester darum bitten sollte, ihr das auszurichten? Die Idee schien ihm vernünftig, und so lächelte er unverbindlich und äußerte sich entsprechend.

»Ja, gern.« Dann ließ sie ihn allein.

»Reverend, schön Sie zu sehen. Wie ich hörte, sind Sie dieses Mal nicht als Seelsorger in unseren heiligen Hallen, sondern als Patient.« Die Chirurgin Elizabeth Tanner reichte ihm die Hand. Beruflich hatte er bereits des Öfteren mit ihr zu tun gehabt und eigentlich gehofft, dass dies ausschließlich so bliebe. Das Blatt hatte sich leider gewendet. Warum zog immer er die Arschkarte?

»Was ist passiert?«

»Ich habe mich an einer Glasscherbe geschnitten.«

»Lassen Sie mich mal sehen.«

Sie hielt sich nicht lange damit auf, das Geschirrtuch aufzuknoten, sondern schnitt es mit einer Schere entzwei.

Joel hatte versäumt, rechtzeitig die Augen zu schließen, jetzt wurde ihm mulmig. Die Handfläche sah nicht besonders gut aus. Vielleicht, wenn erst die Blutreste …

Er sog scharf die Luft ein, als die Chirurgin begann, die Wunde zu reinigen.

»Das brennt leider etwas.«

Was meinte die Frau mit etwas? Er war nah dran, ihr seine Hand zu entziehen. Im Stillen versuchte er, sich mit einem Vaterunser abzulenken. Außerdem machte er sich bewusst, dass Jesus aus Nazareth ans Kreuz geschlagen worden war, indem man Nägel durch seine Handflächen getrieben hatte. Das war keine kluge Strategie, sein Magen wollte einen Hüpfer machen. Ihm entfuhr ein Stöhnen.

»Sie haben sich unzählige Schnitte zugezogen. Wie ist das passiert?«

»Ein Limonadenglas zerbrach in meiner Hand.«

Die Ärztin sah ihm in die Augen. »Einfach so?«

Natürlich nicht, was dachte sie denn. Er schalt sich im Nachhinein einen Blödmann. Was er sich alles erspart hätte, wenn er das dämliche Glas nicht … »Aua, ah.«

»Tut mir leid. Es gibt wahrscheinlich noch mehr Splitter als diesen, den ich gerade entfernt habe.«

Wie viele? Seine Alarmglocken schrillten.

»Sie brauchen nicht so ein erschrockenes Gesicht zu machen, Reverend. Wir röntgen Ihre Hand zunächst, das tut garantiert nicht weh.«

Ihr Wort in Gottes Ohr. Wehe, wenn sie log.

Das tat sie jedoch nicht. Joel war erleichtert.

Er musste nicht lange auf die Auswertung warten.

»Die gute Nachricht ist: Ich lag mit meiner Vermutung richtig.«

»Was soll daran gut sein?« Er erinnerte sich an seinen Mentor, der in solchen Situationen immer getönt hatte: Jede Prüfung lässt uns wachsen. Amen. Wenn Joel aber doch mit seiner Größe ganz zufrieden war, was dann?

»Ich weiß jetzt genau, wo die Splitter liegen, das erleichtert die Suche ungemein.«

Er rang sich ein Prima ab. »Und was ist dann die schlechte Nachricht?«

»Es ist dennoch ein Geduldsspiel.« Dr. Tanner schenkte ihm ein freundliches Lächeln.

»Was?«

»Also für mich. Meine Geduld wird auf die Probe gestellt. Während Sie entspannt liegen und wenn Sie möchten, per Kopfhörer Musik hören dürfen. Das klingt doch gut, oder?«

Er kriegte sich kaum ein vor Begeisterung.

»Na, kommen Sie.« Elizabeth Tanner klopfte auf die Behandlungsliege.

Falls er in Ohnmacht fiele, lag er wenigstens schon.

»Das Schlimmste, was Sie spüren werden, ist der Pieks der Betäubungsspritze.«

Wie sie es sagte, klang es nach einem Klacks.

»Wann war Ihre letzte Tetanusimpfung?«

»Äh …«

»Ich sehe schon, wir frischen den Schutz auf.«

Der Abend wurde nicht besser. War es da eine Überraschung, dass der Klacks sich nicht als solcher entpuppte?