Der Stern von Angora - Rudolf Stratz - E-Book

Der Stern von Angora E-Book

Rudolf Stratz

0,0

Beschreibung

"Von Osten, vom fernen Kurdistan her, nahte schon die Nacht und nistete in den zerrissenen Höhenzügen, an deren Saum mit übereinander steigenden flachen Dächern, mit schlank aufschießenden Minarehs, eingestürzten Moscheen, verrottetem Mauerwerk, moosgrauen Festungszinnen und Tempeltürmen die Stadt Angora sich türmte. Der Abend war da, der feierliche Frieden des Orients, klagender ferner Gebetruf der Muezzin, letztes Rinderbrüllen, die senkrecht zum Himmel aufsteigenden Rauchsäulen der Reisigfeuer, und im Gemüt des Muslim eine tiefe Ruhe, ein träumerisches Behagen, als ein Erbteil der Erinnerung vom Wüstenleben her, wenn hinter fahlen Dünen das Tagesgestirn versinkt, die Kamel kauern und die Karawane unter sternenglitzerndem Himmel rastet ..." In diesem morgenländischen Idyll trifft mit dem Zug von Konstantinopel her der spitzbärtige Österreicher Franz Josef Ritter von Mora ein. Er ist auf der Suche nach einer nonkonformistischen Frau, Dagmar, die zu heiraten er sich geschworen hat. Aber will sie das selbst auch? Als er sie in den antiken Ruinen von Angora tatsächlich wiederfindet, ist sie alles andere als überrascht. Sehr zu seinem Ärger muss von Mora nun aber auch feststellen, dass sich mit dem Archäologen Doktor Wendelin Strittmaier ein ernstzunehmender Konkurrent um die Gunst der so selbstbestimmten Dagmar vor Ort eingestellt hat. Und dann ist da noch die kluge und zielstrebige Miss Ellen Frank ... In Stratz' Novelle aus der Welt der Bagdadbahn gehen ein urwüchsiger Humor und der exotische Reiz des Orients eine gekonnte Synthese ein.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rudolf Stratz

Der Stern von Angora

Novelle

Saga

Der Stern von Angora

© 1903 Rudolf Stratz

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711507032

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Vom Osten, vom fernen Kurdistan her, nahte schon die Nacht und nistete in den zerrissenen Höhenzügen, an deren Saum mit übereinander steigenden flachen Dächern, mit schlank aufschiessenden Minarehs, eingestürzten Moscheen, verrottetem Mauerwerk, moosgrauen Festungszinnen und Tempeltrümmern die Stadt Angora sich türmte. Der Abend war da, der feierliche Frieden des Orients; klagender ferner Gebetruf der Muezzin, letztes Rinderbrüllen, die senkrecht zum Himmel aufsteigenden Rauchsäulen der Reisigfeuer, und im Gemüt des Moslim eine tiefe Ruhe, ein träumerisches Behagen, als ein Erbteil der Erinnerung vom Wüstenleben her, wenn hinter fahlen Dünen das Tagesgestirn versinkt, die Kamele kauern und die Karawane unter sternenglitzerndem Himmel rastet ...

Noch strebten jetzt, von den Bergen nieder, in langen braunen Linien die Kamelkarawanen zu Tal und pilgerten im Gänsemarsch über Blachfeld und Geröll die ausgetretenen Pfade entlang, auf denen seit Jahrtausenden auf dem schaukelnden Rücken der Wüstenschiffe die Waren des westlichen Asiens nach Konstantinopel gewandert waren. Das alles war wie einst. Aber dort, wo sich von allen Seiten die Fäden der Kamelzüge wie im Mittelpunkte eines Spinnennetzes zusammenzogen, da war die neue Zeit. Da dampften die Lokomotiven und stand, durch einen langen staubigen Fahrweg von der Stadt geschieden, das Stationsgebäude der Angorabahn, die hier ihr Ende erreichte.

Täglich erschien gegen Abend auf dieser Bahn ein Zug. Zwei Tage vorher war er von Konstantinopel ausgegangen und hatte in Eski-Schehîr, dem Knotenpunkt der über Konia führenden Bagdadbahn, die Nacht über gerastet.

Konstantinopel! Das war das gelobte Land! Die ewige Sehnsucht im einförmigen Dasein des inneren Kleinasiens. Von dort kam Licht und Leben. Und die Ankunft dieser Wagenreihe ans dem Westen, die jetzt nahe bevorstand, bildete ein für allemal das grosse Ereignis des Tages und das Ziel des Abendspazierganges der europäischen Kolonie.

Schon war der Stationsvorsteher, ein junger Schweizer, mit dem roten Fez, dem Kennzeichen des ottomanischen Beamten, auf dem Kopf, an den Schienenstrang herangetreten und plauderte abwechselnd mit dem französischen Konsul und einem Bahndepotverwalter aus Bayern, mit einem magenkrank aussehenden Griechen und einem tiefsinnigen jungen Belgier, die beide hier in der Einsamkeit Angoras an der europäischen Kontrolle über die Tabakregie und die öffentliche Schuld mitwirkten — mit einem graubärtigen sächsischen Ingenieur und ein paar eleganten jungen Levantinerinnen, und dabei nickte er im Gespräche noch da und dort in die Weite den Bekannten aller Rassen und Trachten des Völkergewirres zu, das überall längs der anatolischen und Bagdadbahn herrscht.

Da stand der Hadschi Hovayim Husseyindjian, der armenische Grosskaufmann, feist, breitschultrig, pfiffig, mit dunklem Schnurrbart und aufgeregt rollenden Augen, der sich, seitdem er als frommer Katholik eine Pilgerfahrt nach Jerusalem gemacht, den Namen eines Hadschi Baba, „eines frommen Vaters, der die heiligen Stätten besucht“, erworben hatte.

Die türkischen Landleute neben ihm, sehnige, sonnengebräunte Gestalten in bunten Jacken und Wollstrümpfen, blauen Kniehosen und breitem Leibgurt, schauten düster auf ihn und düsterer noch auf ihre Nachbarn zur Linken, aus Rumänien vertriebene und in einer nahen Ackerbaukolonie angesiedelte Juden. Sie verachteten dies ausgemergelte Menschenhäuflein mit den zerrissenen schmierigen Kaftans und Käppchen, den zersetzten Schaftstiefeln, den von gesalbten Ringellöckchen umrahmten Hungergesichtern, den grotesken Bärten und fuchslistig blitzenden Augen, und wandten sich scheu von dem Patriarchen dieser Verstossenen ab, einem riesenlangen, vom Alter gekrümmten, schneebärtigen Ahasver mit rotgeränderten Augen und einem klagenden Ausdruck um die eingesunkenen Lippen. Sie liebten all diesen Anblick der Ungläubigen ebensowenig wie der wilde hinter ihnen stehende blatternarbige Turkmene; und wie sie, die trägen, selbstbewussten, mittelalterlich vornehmen Herren Anatoliens, so dachten auch die schlitzäugigen tatarischen Wagenschieber und Stationsarbeiter, die die ihnen im Wege stehenden Juden, Levantiner, Griechen und Zigeuner unsanft zur Seite stiessen und dann wieder höflich ein paar in weissen Pumphosen dahertrippelnden, unförmlich verhüllten Haremsfrauen Platz machten, deren mandelförmige Augen neugierig über dem Seidenschleier hin und her blitzten.

Mirza Riza Chan, der Perser in schwarzer Lammfellmütze, würdigte sie wohlweislich keines Blickes. Er war auf einer Bussfahrt unterwegs nach Konstantinopel, um dort einmal mit allem Pomp das bevorstehende grosse Blutfest, die Leichenklage um Hássan und Hússeîn, die Propheten, zu feiern, und sah sich schon barhaupt, im weissen Totenhemd, Hand in Hand mit Hunderten von fanatischen Genossen bei grellem Fackellicht tanzen und mit scharfer Klinge den kahlgeschorenen Schädel misshandeln, dass das Blut in Strömen floss und sein Bussgewand färbte. Dann war dies Kleinod, diese rostbraun gefleckte Leinwand sein, und begruben ihn einmal später darin seine Enkel, so wachte er untrüglich im Paradiese wieder auf, im Schosse Allahs, bei dem allein Schutz und Hilfe ist. ...

Mit aller Inbrunst der Wut zwischen feindlichen Glaubensbrüdern starrten die beiden im Staub der Landstrasse kauernden sunnitischen Bettelderwische den persischen Schiiten an, kahlköpfige und barfüssige Bajazzos, die nur einen von aufgelesenen Lappen zusammengeflickten Kittel auf dem schmutzigen Leibe trugen, daneben noch die Opferschale und den Eisenstock mit dem gehörnten Teufelsschädel, um ihrem gellenden Almosenruf Huk! Huk! Er! Er! d. h. „Allah!“ Nachdruck zu verleihen.

Aus dem Kamellager hinter der Station war ein Trupp Kurden herbeigeschlichen und schaute ebenso grimmig wie die Derwische, aber zugleich scheu und misstrauisch auf die Lokomotiven, die Europäer, all den fränkischen Greuel, der ihnen, den wirrmähnigen, trotz der Hitze in Schafpelze gehüllten Wildlingen des Gebirges, ebenso selten zu Gesicht kam wie den ihnen gefolgten Lasen, schönen melancholischen Kaukasiern in braunem Kopftuch, die vor den Russen aus Kars ausgewandert waren.

Auf dem Bahnhof selbst hatten sich inzwischen noch einige Paschas eingefunden und schritten säbelklirrend und zigarettenrauchend, den scharlachroten Fez nach hinten geschoben, den Waffenrock der Hitze wegen aufgeknöpft, auf und nieder, und nun erschien auch, als ein sicherer Vorbote, dass der Zug nahe sei, Schefik Bey, der gefürchtete Polizeichef. Man sah dem trägen, unbeweglichen Antlitz des Würdenträgers die Energie nicht an, mit der er Ruhe im Lande hielt und allen Missetaten zuvorkam. Schefik Bey sammelte Raubmörder, wie andere Leute Briefmarken oder Schmetterlinge, und bewahrte sie in einem bärenzwingerartigen Hofe seines Regierungskonaks auf. Aber er wartete nicht erst ab, bis diese Raubmörder ihren Willen zur Tat umgesetzt hatten, sondern er sperrte die Verdächtigen schon vorher ein und pflegte den darob erstaunten Franken zu erwidern: „Effendi — einen Toten wieder zum Leben erwecken, kann nur Allah — gepriesen sei sein Name! —, aber einen Lebendigen vor dem Tode bewahren kann ich, indem ich das Werkzeug seines Todes rechtzeitig unschädlich mache.“

Umsomehr verfinsterten sich seine Züge, als er da einen Abenteurer erblickte, der längst auf der Anwärterliste seines Kerkers prangte, und den er doch nicht ohne triftigen Grund festzunehmen wagte. Ein hochgewachsener Tscherkesse stand da, in malerischer Tracht der schwarzen Fellmütze, dem schwarzen, mit Patronentaschen ausgenähten Rock, dem Schmuck silberbeschlagener Waffen, ein Bild grimmiger männlicher Schönheit, und begrüsste, die Hand an Stirne und Lippen legend, mit dem Anstand eines Königs den ihm verhassten Bey.

Das war Fürst Haoud-Oglu-Mansur, der Hirsch- und Mufflonjäger der Wälder und in den Ebenen weithin als Räuber bekannt, gefürchtet und geehrt. Wie die anderen Tscherkessen, waren auch seine Voreltern nach der Eroberung des Kaukasus durch die Russen in das grosse Sammelbecken aller Vertriebenen und Heimatlosen, in die anatolische Steppe, eingewandert und hatten unter dem Schutze des Halbmondes ihre Raubnester gebaut, die seitdem eine Landplage für die Behörden und die friedlichen Bauern bildeten. Hörte man freilich den schönen, ritterlich ernsten Pschi, den Fürsten selbst, so klang die Sache anders. Haoud-Oglu-Mansur wusste von weggetriebenen Rindern, von bestohlenen Karawanen und gebrandschatzten Wanderern so wenig wie ein neugeborenes Kind! Er lebte oben still in seiner Waldhütte mit seinen Söhnen — sechs jungen Falken! — und jagte die Hirsche, deren Häute er an die Gerber, deren Geweihe er an einen Messerhändler aus der Mahmud Pascha-Strasse in Stambul verkaufte, um arm, aber ehrlich vor Allah und dem Propheten — Friede über sein Haupt! — sein Leben zu fristen!

Immerhin hatte Schefik Bey vorläufig dem stolzen Tscherkessen untersagt, sich nach Sonnenuntergang in der Nähe von Angora blicken zu lassen, aus der Besorgnis heraus, dass jener doch einmal, in einem Rückfall in völlige Wildheit, in irgend einem Europäer einen beträchtlichen, des Wegschleppens würdigen Wertgegenstand vermuten könnte, und dann natürlich war des Ärgers und der Schererei kein Ende. So hielt es der Räuberfürst denn doch für besser, sich unsichtbar zu machen. Als der Polizeichef sich noch einmal misstrauisch nach ihm umdrehte, war er verschwunden, und der Bey trat beruhigt zu den anderen morgenländischen und fränkischen Notabeln von Angora, um die Ankunft des Zuges zu erwarten.

Der rollte inzwischen ohne Übereilung über die anatolische Hochöde dahin, zwischen uferlosen Steppen und gespenstig kahlen Steinhalden, stundenlang durch giftig saftgrüne Sümpfe, aus denen hundertfach wie weisse Sterne auf einem Rasenteppich das Gewimmel der froschfangenden Störche schimmerte, selten einmal an einer menschlichen Niederlassung vorüber — ein paar elende Hütten, ein Haufen zweifelhaften Volkes in malerischen Fetzen davor, einige wütende, nebenher galoppierende kalbsgrosse Wolfshunde — vorbei, vorbei und weiter in die tote Wildnis ...

Dieser Zug war alles in einem: hinter der vierschrötigen Lokomotive eine Anzahl Loris mit gespaltenem Brennholz, das auf unerklärliche Weise in dem seit Jahrhunderten verwüsteten, scheinbar bis auf die letzten Wurzeln ausgerodeten Lande immer noch gefunden wurde, dann zwei Güterwaggons für den Frachtverkehr, endlich die Wagen dritter Klasse, vollgepfropft mit Türken, Persern, Armeniern, Griechen, Tataren, Tscherkessen, Lasen, Kurden, Georgiern, und der ersten und zweiten Klasse für die Europäer, für die Paschas, die Beys und Effendis.

Von solchen reisten nur zwei mit, ein „Franke“ aus dem europäischen Westen und ein Moslim. Die beiden sassen nebeneinander, rauchten und schwiegen, der eine in der selbstverständlichen Gelassenheit des Orientalen, der andre voll der nervösen Ungeduld des Abendländers hin und her rückend, die Stirne furchend und zum Fenster hinausschauend, ob man noch nicht bald am Ziele sei. Aber von Angora war nur erst ein undeutlicher weisser Häuserglanz in der Ferne zu sehen und darüber auf schwindelnder Höhe wie ein Raubnest der scharf vom Abendhimmel abgehobene Schattenriss eines griechischen Klosters.

Gabriel Ghazeel Effendi, der osmanische Weltmann vom Goldenen Horn, konnte die Ankunft in Angora abwarten. Er lächelte in sich hinein, mit der stillen ironischen Heiterkeit, die ein Rechtgläubiger angesichts der Vielgeschäftigkeit des Europäers empfindet und sich dabei des Koranspruches entsinnt: „Die Eile stammt von Scheitan — dem Teufel — aber die Ruhe ist Gottes!“ Er trug freilich die Tracht eines „Stambul-Effendi“, eines mit der Zeit vorgeschrittenen Jungtürken, eine Art schwarzen Gehrock und lange fränkische Hosen, dazu schief auf dem Haupte den roten Fez. Indes der Ausdruck seines dunkelgetönten, schwermütig trägen Gesichtes strafte die europäischen Anklänge seiner Kleidung Lügen. Wie er dasass, war er der Orientale vom Scheitel bis zur Sohle, ein phlegmatischer Weiser, dem kein Ding auf Erden mehr die Ruhe rauben kann.

Aus diesem Gleichmass seiner Seele heraus beschaute er seinen Reisegefährten, einen nach neuester Wiener Frühjahrsmode gekleideten schönen Mann zu Ende der Dreissig mit stechend dunklen Augen und einem schwarzen Henriquatre, der ihm die Maske eines sehr klugen, sehr vielerfahrenen, gegen sich und die Welt sehr nachsichtigen und verständnisvollen Mephistos gab.

Jetzt fing der Wiener, sich vom Fenster wendend, einen mitleidigen Seitenblick des Türken auf und meinte in seinem gemütlichen Kaffeehausdeutsch, das gar nicht zu der ironischen Blasiertheit seines Wesens stimmte: „Sagen’s, mein Lieber, was sehr Schmeichelhaftes denken’s wohl eben nicht von mir?“

Gabriel Ghazeel Effendi antwortete in fliessendem Deutsch: „Ich denke überhaupt nicht an Sie!“

„Ach, gehen’s! An was denn?“

„Ich wünsche mir etwas!“

„Nämlich?“

„Ich möchte nur einmal im Leben einen von euch Europäern sehen,“ sagte der Effendi gelassen, „einen Europäer, gleichviel welcher Nation, der nicht den Frauen nachläuft! — Wir nehmen eine Frau oder auch zwei oder mehr!“ fuhr er fort, da der andre ärgerlich schwieg und an seinem Zigarettenstummel kaute. „Und damit gut! Die Sache ist abgetan. Reden wir nicht weiter davon! Aber ihr! ... Ich bin lange genug bei euch in Europa gewesen, als Offizier in der preussischen Garde, als Diplomat in Paris und Wien — und wo ich hinkam — überall: ‚cherchez 1a femme!‘ Ja, warum denn die Frau suchen? Man hat sie ja! Sie ist ja da! Gott mit ihr! Ein Mann hat Wichtigeres zu tun.“

Der Franke wehrte ungeduldig den Stechfliegen, die, aus den Sümpfen zu beiden Seiten der Wagenfenster kommend, die Reisenden als Fieberträger umsummten, und warf einen Blick auf die trostlos öde, links von einer ockergelben hohen Sanddüne abgeschlossene Steppe. „Was habt’s ihr denn eigentlich hier so viel Wichtiges zu tun, ihr Türken?“ fragte er lauernd.

„Wir sind die Herren des Landes!“ sagte der Jungtürke.

„Ja, ’s ist auch danach! Unkraut, das gedeiht bei euch am besten!“

Gabriel Ghazeel Effendi blieb unerschütterlich ernst. „Leider sind wir mit mannigfachem Unkraut gestraft, das wir in Gehorsam halten müssen: mit Persern und Armeniern, mit Griechen und Levantinern, mit ...“

„Seien’s so gut!“ lachte der andre und zeigte hinterlistig und gutmütig seine weissen Zähne. „Meine Familie stammt doch selbst aus der Levante! Erst während des griechischen Freiheitskampfes ist mein Urgrossvater nach Wien übergesiedelt.“

In der Tat erinnerte er noch mit seinem dunklen Teint, dem schwarzen Spitzbart, der nervösen Lebendigkeit seines Wesens an einen Südländer. Aber der Effendi liess das nicht gelten: „Sie gehören zum Abendland! Wohin, das weiss ich freilich nicht! Mit mir reden Sie deutsch, mit Ihrem Kammerdiener hinten im Zug englisch, mit Ihrem Koch in Ihrer Villa am Gardasee italienisch, mit Ihrem Gutsverwalter in Warschau polnisch ...“

„Ja — was wollen’s?“ sagte der Mephisto traurig. „Als Österreicher hat man vierzig Vaterländer und keins! Das ist eine alte Geschichte! ... O, du mein Österreich ...“

„Sie sind ja nie in Österreich! Im Frühjahr in Paris, im Sommer in Ostende, im Herbst in Venedig, im Winter in Kairo ... Überall, wo die Sonne schön warm scheint —“

„... und die Leut’ nix zu tun haben!“ ergänzte sein Gegenüber und zündete sich eine neue Zigarette an. „Sagen Sie’s nur! ’s ist ja wahr! Unsereins darf euch Türken freilich keinen Vorwurf machen! Ihr sitzt wenigstens fein still daheim und raucht eure Pfeife und lobt den Mohammed, währenddem dass ich ... o je, ja ...“

Er verstummte seufzend. Auch Gabriel Ghazeel Effendi schwieg, mit einem Blick, der wiederum deutlich sagte: Während ihr im wunderlichen Westen eben den Frauen nachlauft ...

„Ja ... was wollen’s?“ fing der Spitzbärtige plötzlich aufgeregt an. „Also ich kenn’ sie doch jetzt mit Gottes Hilfe schon seit sieben Jahren! Damals macht’ ich noch grosse Reisen — das ist mir jetzt auch schon zu fad geworden! — und gleich das erste Mal, wo ich sie getroffen hab’, in Singapore bei einer Hitz’, dass ein Heiliger hätt’ die Wände hinauf gehen können — da hab’ ich mich richtig auch gleich in sie verliebt! Und seitdem jedesmal wieder, in Washington und Buenos-Ayres und Kapstadt und Ischl. Sie fuhrwerkte ja auch ewig in der Welt ’rum! Ihren Mann, den haben’s als Diplomaten alle Finger lang versetzt! G’scheiter ist er davon auch nicht geworden, und gelernt hat er nie viel g’habt — aber sonst ein lieber Mensch! Und doch hab’ ich mir oft gedacht: Schau, Bruderherz, tu mir doch den einzigen Gefallen und fahr ab!“

„Er ist ja jetzt tot!“

„Er ist tot!“ Der Franke sprang erregt auf und machte ein paar Schritte durch den träge rollenden Wagenabteil. „Und jetzt komm’ ich! Ich hab’ in allem Anstand das Trauerjahr abgewartet und bin dann ganz bescheiden vor ihr am Goldenen Horn aufgetaucht, mit dem Hut in der Hand: ‚Liebe Freundin — da bin ich!‘ Bei der Familie, wo sie zu Besuch war, hab’ ich ein und aus gehen können wie das Kind im Haus, und, lieber Effendi, ich schwör’ Ihnen, es war schon so weit, dass ich mir dachte, ich brauche nur noch die Hand auszustrecken und hab’ sie und sie wird meine Frau — da lässt sie sich von der verrückten Miss da, der deutsch-englischen Missionärin oder Krankenschwester oder was sie ist, beschwatzen, sie nach Angora zu begleiten! Den verfolgten Armeniern muss die Miss da Hilfe leisten, die fade Nocken, die hoffentlich doch bald einmal einer von euren Räubern wegholt! Die gönn’ ich eurem Athanas und seinen Nachfolgern! Die Armenier! Jetzt, ich bitte!“ Er rang die Hände. „Was gehen denn mich die Armenier an?“

Gabriel Ghazeel Effendi machte eine resignierte Handbewegung.

Und laut sprach er endlich: „Man fährt nach Angora. Man kommt auch wieder zurück. Sie hätten ruhig in Konstantinopel warten sollen.“

„Ich hab’ doch gewartet! Woche um Woche! Acht Tage wollte sie ausbleiben; und wer nicht heimkommt und nix von sich hören lässt, das ist sie! Jetzt wird mir die Geschicht’ zu dumm! Jetzt möcht’ ich doch mal selber nachschauen, was dahinter steckt! Ich hab’ immer so eine Ahnung: es ist nicht bloss die Miss! Es ist überhaupt kein Frauenzimmer! Im Gegenteil!“