Der Tod kommt nach Pemberley - P. D. James - E-Book

Der Tod kommt nach Pemberley E-Book

P. D. James

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Beschreibung

Im Jahr 1803, sechs Jahre nach der Hochzeit von Mr. Darcy und seiner Elizabeth, geht das Leben auf dem Herrensitz Pemberley seinen idyllischen Gang. Doch am Abend vor dem großen Herbstball wird die Vorfreude empfindlich gestört: Aus dem waldigen Teil des Pemberley-Parks bricht in rasender Fahrt eine Kutsche, darin eine völlig aufgelöste Lydia Wickham – Elizabeths missratene kleine Schwester –, die behauptet, ihr Mann sei ermordet worden! Nachdem die Damen in Sicherheit gebracht wurden, machen sich Mr. Darcy und sein Cousin in den Wald auf, um den Toten zu suchen. Was sie finden, ist ein lebender, blutverschmierter, verwirrter Wickham – und neben ihm eine Leiche.

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P. D. James

Der Tod kommt nach Pemberley

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Michaela Grabinger

Knaur e-books

Über dieses Buch

Im Jahr 1803, sechs Jahre nach der Hochzeit von Mr. Darcy und seiner Elizabeth, geht das Leben auf dem Herrensitz Pemberley seinen idyllischen Gang. Doch am Abend vor dem großen Herbstball wird die Vorfreude empfindlich gestört: Aus dem waldigen Teil des Pemberley-Parks bricht in rasender Fahrt eine Kutsche, darin eine völlig aufgelöste Lydia Wickham – Elizabeths missratene kleine Schwester –, die behauptet, ihr Mann sei ermordet worden! Nachdem die Damen in Sicherheit gebracht wurden, machen sich Mr. Darcy und sein Cousin in den Wald auf, um den Toten zu suchen. Was sie finden, ist ein lebender, blutverschmierter, verwirrter Wickham – und neben ihm eine Leiche …

Inhaltsübersicht

WidmungAnmerkung der VerfasserinVorwortErstes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. KapitelZweites Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. KapitelDrittes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. KapitelViertes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. KapitelFünftes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelSechstes Buch1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. KapitelEpilog
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Für Joyce McLennan

 

Meine Freundin und Privatassistentin, die seit fünfunddreißig Jahren meine Romane tippt

 

Mit Zuneigung und Dankbarkeit

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Anmerkung der Verfasserin

Ich muss mich beim Geist Jane Austens dafür entschuldigen, dass ich ihre geliebte Elizabeth in das Grauen einer Mordermittlung hineingezogen habe – umso mehr, als Miss Austen ihren diesbezüglichen Ansichten im letzten Kapitel von Mansfield Park deutlich Ausdruck verliehen hat: »Sollen andere Federn bei Schuld und Elend verweilen. Ich verlasse dergleichen abscheuliche Themen, so schnell ich kann, und beeile mich, jeden, der sich nichts Schlimmes zuschulden kommen ließ, wieder in leidliches Wohlergehen zu versetzen und die übrigen zu vergessen.« Meine Entschuldigung hätte sie bestimmt mit dem Hinweis beschieden, dass sie, wäre ihr daran gelegen gewesen, sich länger bei solch abscheulichen Themen aufzuhalten, die Geschichte selbst geschrieben hätte, und zwar besser.

P. D. James 2011

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Vorwort

Die Bennets von Longbourn

Unter der weiblichen Bewohnerschaft von Meryton herrschte Einvernehmen darüber, dass Mr. und Mrs. Bennet von Longbourn bei der Verheiratung von vieren ihrer fünf Töchter Glück gehabt hatten. Meryton, ein Marktstädtchen in Hertfordshire, liegt nicht auf der Strecke irgendwelcher Kavalierstouren, denn es besitzt weder ein schönes Umland, noch weist es eine bedeutende Geschichte auf, und der einzige große Herrensitz, Netherfield Park, ist zwar durchaus imposant, wird jedoch in den Büchern über die architektonisch bemerkenswerten Bauten der Grafschaft nicht erwähnt. Die Stadt verfügt über einen Saal, in dem regelmäßig Bälle, aber keine Theateraufführungen veranstaltet werden, so dass die Vergnügungen hauptsächlich in den Privathäusern stattfinden, wo die Langeweile der Abendgesellschaften und Whistrunden mit immer denselben Leuten nur vom Tratsch gemildert wird.

Eine Familie mit fünf unverheirateten Töchtern zieht besonders da, wo wenig anderer Zeitvertreib geboten ist, unweigerlich das mitfühlende Interesse aller Nachbarn auf sich, und die Lage der Bennets erwies sich als ganz besonders fatal. Denn in Ermangelung eines männlichen Erben sollte Mr. Bennets Besitz an seinen Cousin, den Reverend William Collins, übergehen, der, was Mrs. Bennet gern und lautstark beklagte, sie und ihre Töchter aus dem Haus würde jagen können, noch ehe ihr Mann im Grab erkaltet war. Reverend Collins hatte zwar zugegebenermaßen versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten für Entschädigung zu sorgen. Zu seinem persönlichen Ungemach, aber mit Zustimmung seiner herrischen Gönnerin Lady Catherine de Bourgh hatte er seine Pfarrei in Hunsford, Kent, verlassen und war in der mildtätigen Absicht, eine der fünf Töchter zu seiner Braut zu erwählen, nach Longbourn gefahren. Sein Vorhaben wurde von Mrs. Bennet mit begeisterter Zustimmung begrüßt, doch ließ sie ihn unverzüglich wissen, dass sich Miss Bennet, die älteste Tochter, wohl binnen kurzem verloben werde. Sein daraufhin gefasster Entschluss, Elizabeth, die Zweitälteste und Zweitschönste, zur Frau zu nehmen, stieß auf deren entschiedene Ablehnung, so dass er gezwungen war, sich bei Elizabeths Freundin Miss Charlotte Lucas um ein wohlwollenderes Echo auf seine Bitte zu bemühen. Miss Lucas hatte seinen Antrag mit erfreulicher Bereitwilligkeit angenommen, womit Mrs. Bennets Zukunft und die ihrer Töchter nicht gänzlich zum allgemeinen Bedauern der Nachbarn besiegelt war. Nach Mr. Bennets Tod würde Mr. Collins sie in einem der größeren Cottages auf dem Anwesen unterbringen, wo sie geistlichen Trost durch seine seelsorgerische Betreuung und leibliche Nahrung in Form von Speiseresten aus Mrs. Collins’ Küche, angereichert durch die gelegentliche Gabe eines Stücks Wildbret oder einer Speckseite, erhalten würden. Doch diesen Wohltaten konnten die Bennets zu ihrem Glück entrinnen. Am Ende des Jahres 1799 durfte sich Mrs. Bennet dazu gratulieren, Mutter von vier verehelichten Töchtern zu sein. Die Heirat der jüngsten, Lydia, war allerdings nicht vorteilhaft gewesen. Lydia war mit Lieutenant George Wickham durchgebrannt, einem Offizier des in Meryton stationierten Regiments. Die Eskapade, davon waren alle überzeugt, würde nicht anders enden, als ein solches Abenteuer es verdient hatte, nämlich damit, dass Wickham sie verlassen würde, sie des Elternhauses verwiesen, aus der Gesellschaft ausgestoßen und zum Schluss der letzten Erniedrigung anheimgegeben würde, die zu nennen der Anstand den Damen verbot.

Dann aber war die Eheschließung tatsächlich erfolgt, wovon William Goulding, ein Nachbar der Bennets, als Erster berichtete, nachdem er an der Kutsche aus Longbourn vorbeigekommen war und die frisch verheiratete Mrs. Wickham ihre Hand so ins offene Fenster gelegt hatte, dass er den Ring sehen konnte. Mrs. Bennets Schwester, Mrs. Philips, verbreitete eifrig ihre Version der Flucht, wonach das Paar auf dem Weg nach Gretna Green gewesen sei, zuvor aber noch kurz in London haltgemacht habe, weil Wickham einer Patin von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählen wollte. Als Mr. Bennet auf der Suche nach seiner Tochter dort eingetroffen sei, habe das Paar den Vorschlag der Familie angenommen, die angestrebte Hochzeit besser in London stattfinden zu lassen. Niemand schenkte diesem Fantasiegespinst Glauben, doch wurde Mrs. Philips zugestanden, dass ihr Geschick beim Ersinnen desselben zumindest die Geste der Gutgläubigkeit verdient hatte. Niemals wollte man es natürlich zulassen, dass George Wickham in Meryton noch einmal die weibliche Dienerschaft ihrer Tugend und die Ladenbesitzer ihres Profits beraubte, aber man einigte sich darauf, dass man, sollte seine Ehefrau auftauchen, Mrs. Wickham dieselbe großzügige Nachsicht gewähren würde, die man zuvor Miss Lydia Bennet zugestanden hatte.

Über das Zustandekommen dieser verspäteten Hochzeit herrschte viel Rätselraten. Mr. Bennets Besitz war kaum zweitausend Pfund pro Jahr wert, und man nahm allgemein an, dass Mr. Wickham mindestens fünfhundert sowie die Bezahlung aller seiner in Meryton und andernorts aufgehäuften Schulden fordern würde, ehe er in die Heirat einwilligte. Offenbar hatte Mr. Gardiner, Mrs. Bennets Bruder, das Geld aufgebracht. Er war als warmherziger Mensch bekannt, hatte jedoch Familie und erwartete zweifellos, dass Mr. Bennet es ihm zurückzahlte. In Lucas Lodge herrschte große Angst, das Erbe des Schwiegersohns könnte dadurch eine starke Minderung erfahren. Doch als keine Bäume gefällt, kein Land verkauft, keine Diener entlassen wurden und der Metzger sich nicht abgeneigt zeigte, Mrs. Bennet die übliche wöchentliche Bestellung zu liefern, nahm man an, dass Mr. Collins und die liebe Charlotte nichts zu befürchten hatten und Mr. Collins, sobald Mr. Bennet anständig begraben war, Longbourn in sicherem Vertrauen auf die Unversehrtheit des Anwesens in Besitz nehmen könnte.

Die bald nach Lydias Hochzeit erfolgte Verlobung von Miss Bennet mit Mr. Bingley, dem Herrn von Netherfield Park, fand dagegen großen Beifall. Sie kam auch nicht überraschend, denn die Bewunderung, die Mr. Bingley für Jane hegte, war seit der ersten Begegnung der beiden bei einem Ball offensichtlich gewesen. Miss Bennets Schönheit, Sanftmut und naiver Optimismus hinsichtlich der menschlichen Natur, aufgrund dessen sie niemals schlecht über andere sprach, machten sie zum allgemeinen Liebling. Doch wenige Tage nach Bekanntgabe der Verlobung ihrer Ältesten mit Mr. Bingley sprach sich ein noch größerer Triumph für Mrs. Bennet herum, dem man zunächst ungläubig begegnete. Miss Elizabeth Bennet, die zweitälteste Tochter, würde Mr. Darcy heiraten, den Besitzer von Pemberley, eines der größten Häuser in Derbyshire – einen Mann, der, wie es hieß, über ein Einkommen von zehntausend Pfund pro Jahr verfügte.

In Meryton war allgemein bekannt, dass Miss Lizzy Mr. Darcy hasste. Dieses Gefühl teilte sie mit der Mehrzahl der Gäste des ersten Balls, zu dem Mr. Darcy mit Mr. Bingley und dessen beide Schwestern erschienen war und bei dem er seinen Stolz und seine dünkelhafte Geringschätzung der Anwesenden ausreichend unter Beweis gestellt hatte. Trotz des Drängens seines Freundes Mr. Bingley hatte er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass keine der im Saal befindlichen Frauen es wert sei, seine Bekanntschaft zu machen. Als Sir William Lucas ihm Elizabeth vorstellte, weigerte sich Mr. Darcy allen Ernstes, mit ihr zu tanzen, und erklärte Mr. Bingley später, sie sei nicht hübsch genug, um ihn reizen zu können. Alle waren davon überzeugt, dass es keiner Frau jemals gelingen würde, als Mrs. Darcy glücklich zu sein, und Maria Lucas brachte diese Überzeugung auf den Punkt: »Wer will schon den Rest des Lebens tagein, tagaus am Frühstückstisch einem so übellaunigen Gesicht gegenübersitzen?«

Miss Elizabeth Bennet war jedoch kein Vorwurf daraus zu machen, dass sie eine besonnenere und zuversichtlichere Auffassung vertrat. Schließlich kann man im Leben nicht alles haben, und jede junge Dame in Meryton hätte mehr als nur das übellaunige Gesicht am Frühstückstisch ertragen, hätte sie dafür zehntausend pro Jahr heiraten und die Herrin von Pemberley werden können. Die Damen von Meryton waren durchaus gewillt, die Betrübten pflichtschuldig zu bemitleiden und den Glücklichen zu gratulieren, doch galt es, in allen Dingen Maß zu halten, und Miss Elizabeths Triumph war einfach zu grandios. Sie räumten zwar ein, dass sie hübsch sei und schöne Augen habe, doch davon abgesehen nichts, was sie einem Mann mit zehntausend im Jahr empfehlen könne, und es dauerte nicht lange, da hatte sich ein aus den einflussreichsten Tratschmäulern bestehender Zirkel eine Erklärung zurechtgelegt: Miss Lizzy war seit der ersten Begegnung mit Mr. Darcy entschlossen gewesen, ihn sich zu angeln. Als das Ausmaß dieser Strategie offenkundig geworden war, fanden alle, dass sie ihre Karten von Beginn an sehr geschickt ausgespielt hatte. Mr. Darcy hatte es zwar beim Ball abgelehnt, mit ihr zu tanzen, den Blick jedoch oft auf sie und ihre Freundin Charlotte gerichtet, die, schon seit Jahren auf der Suche nach einem Ehemann, große Fertigkeiten im Erkennen jedes Zeichens von Zuneigung besaß und Elizabeth davor warnte, mit ihrem unübersehbaren Faible für den attraktiven und beliebten Lieutenant George Wickham einen zehnmal bedeutenderen Mann zu kränken.

Und dann geschah es, dass Jane, zum Dinner in Netherfield eingeladen, von einer sehr zupass kommenden Erkältung befallen wurde (weil ihre Mutter darauf bestanden hatte, dass sie dorthin ritt, anstatt in der Kutsche zu fahren), und, wie von Mrs. Bennet geplant, mehrere Nächte in Netherfield verbringen musste. Elizabeth hatte sich sofort zu Fuß nach Netherfield aufgemacht, und Miss Bingley sah sich von ihren guten Manieren veranlasst, die ungebetene Besucherin bis zur Gesundung Miss Bennets bei sich aufzunehmen. In der knappen Woche, die sie in Gesellschaft von Mr. Darcy verbrachte, waren Elizabeths Hoffnungen offenbar gestiegen, und sie hatte aus der erzwungenen Nähe das Beste gemacht.

Wenig später hatte Mr. Bingley dem Drängen der jüngsten Bennet-Mädchen nachgegeben und seinerseits in Netherfield einen Ball veranstaltet, bei dem Mr. Darcy tatsächlich mit Elizabeth tanzte. Die an der Wand aufgereiht sitzenden Anstandsdamen hatten ihre Lorgnetten zu den Augen gehoben und, wie die übrigen Gäste auch, das Paar eingehend beobachtet, während es durch die Reihe tanzte. Die beiden sprachen zwar nur wenig miteinander, doch schon die Tatsache, dass Mr. Darcy Elizabeth wahrhaftig aufgefordert hatte und nicht abgewiesen worden war, erregte das Interesse und bot Stoff für Spekulationen.

Der nächste Schritt in Elizabeths Feldzug war ihr Besuch bei Mr. und Mrs. Collins im Pfarrhaus von Hunsford gewesen, den sie gemeinsam mit Sir William Lucas und seiner Tochter Maria abstattete. Normalerweise hätte Lizzy diese Einladung sicherlich abgelehnt, denn welchen Gefallen konnte eine vernünftige Frau an sechs Wochen in Mr. Collins’ Gesellschaft finden! Alle wussten, dass Miss Lizzy seine erste Wahl gewesen war, ehe Miss Lucas ihm ihre Zustimmung zur Heirat gab. Allein schon ihr Taktgefühl hätte sie also, von allen anderen Bedenken abgesehen, an einem Besuch in Hunsford hindern müssen. Aber sie hatte natürlich gewusst, dass Lady Catherine de Bourgh Mr. Collins’ Nachbarin und Gönnerin war und deren Neffe Mr. Darcy sich mit großer Wahrscheinlichkeit im benachbarten Rosings aufhalten würde, während die Besucher im Pfarrhaus weilten. Charlotte, die ihrer Mutter jede Einzelheit ihres Ehelebens bis hin zum Gesundheitszustand der Kühe, des Geflügels und ihres Mannes mitzuteilen pflegte, hatte daraufhin in einem Brief berichtet, Mr. Darcy und sein Cousin, Colonel Fitzwilliam, der ebenfalls in Rosings zu Besuch war, seien während Elizabeths Aufenthalt oft ins Pfarrhaus gekommen, und einmal habe sich Mr. Darcy dort ohne seinen Cousin eingefunden, als Elizabeth allein gewesen sei. Mrs. Collins, in deren Augen diese Auszeichnung für seine beginnende Verliebtheit sprach, schrieb, sie glaube, dass ihre Freundin jeden der beiden Gentlemen bereitwillig genommen hätte, wäre denn ein Antrag erfolgt. So aber war Miss Lizzy unverrichteter Dinge nach Hause zurückgekehrt.

Dann aber hatte doch noch alles gut geendet, als Mrs. Gardiner und ihr Mann, Mrs. Bennets Bruder, Elizabeth einluden, sie auf einer sommerlichen Vergnügungsreise zu begleiten. Die Fahrt hatte eigentlich zu den Seen führen sollen, musste jedoch wegen Mr. Gardiners geschäftlicher Verpflichtungen verkürzt werden, und es sollte nicht weiter nördlich gehen als bis Derbyshire. Kitty, die vierte Tochter der Bennets, hatte die Nachricht übermittelt, doch niemand in Meryton nahm den Vorwand für bare Münze. Eine wohlhabende Familie, die sich die Reise von London nach Derbyshire leisten konnte, war sicherlich in der Lage, auch zu den Seen weiterzufahren, wenn sie gewollt hätte. Da lag es auf der Hand, dass Mrs. Gardiner als eine in den Heiratsplan ihrer Lieblingsnichte Eingeweihte sich für Derbyshire entschied, weil Mr. Darcy in Pemberley sein würde, und tatsächlich besichtigten die Gardiners und Elizabeth das Haus – zweifellos nachdem sie im Gasthof erfragt hatten, wann der Herr von Pemberley sich in seinem Anwesen aufhalten würde – gerade, als Mr. Darcy dorthin zurückkehrte. Selbstverständlich wurde das Ehepaar Gardiner, wie es die Höflichkeit gebot, vorgestellt und die ganze Gesellschaft zum Dinner in Pemberley eingeladen, und sollte Miss Elizabeth irgendwelche Zweifel gehegt haben, ob ihr Plan, sich Mr. Darcy zu sichern, klug war, so hatte der Anblick von Pemberley ihre Entschlossenheit, sich bei der erstbesten Gelegenheit in ihn zu verlieben, sicherlich nur noch verstärkt. Wenig später waren Mr. Darcy und sein Freund Mr. Bingley nach Netherfield Park zurückgefahren und hatten sich ohne Umschweife in Longbourn gezeigt, wo das Glück von Miss Bennet und Miss Elizabeth Bennet endgültig und triumphal besiegelt wurde.

Doch diese Verlobung, so großartig sie war, rief nicht dieselbe Freude hervor wie die von Jane. Elizabeth hatte nie große Beliebtheit genossen, und die weitsichtigeren unter den Damen von Meryton hegten gelegentlich sogar den Verdacht, Miss Lizzy würde hinter ihrem Rücken über sie lachen. Außerdem warfen sie ihr vor, sarkastisch zu sein, und obwohl eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Bedeutung des Wortes herrschte, wussten sie immerhin, dass es sich dabei um eine für Frauen wenig wünschenswerte, da von den Gentlemen besonders missbilligte Eigenschaft handelte. Die Nachbarinnen, deren Neid auf den Triumph jede Befriedigung über die Aussichten dieser Verbindung überstieg, trösteten sich mit der gegenseitigen Beteuerung, Mr. Darcys Stolz und Arroganz würden im Verein mit der schnippischen Art seiner Gattin das Zusammenleben zu einer solchen Qual machen, dass nicht einmal Pemberley und zehntausend im Jahr dafür entschädigen könnten.

Wenn man bedenkt, wie viele Formalitäten erfüllt sein müssen, damit eine große Hochzeit auch wirklich als solche gelten kann – das Anfertigen von Porträts, die Indienstnahme von Anwälten, der Erwerb neuer Kutschen und der Hochzeitsgarderobe –, wurden die Ehen zwischen Miss Bennet und Mr. Bingley sowie zwischen Miss Elizabeth und Mr. Darcy an ein und demselben Tag in der Kirche von Longbourn mit erstaunlich geringer Verspätung geschlossen. Und es wäre der glücklichste Tag in Mrs. Bennets Leben geworden, hätte ihr nicht während der ganzen Messe vor lauter Angst, Mr. Darcys herrische Tante, Lady Catherine de Bourgh, könnte in der Kirchentür auftauchen und die Hochzeit verbieten, das Herz gerast, so dass sie sich ihres Triumphs erst nach dem Schlusssegen völlig sicher sein konnte.

Ob Mrs. Bennet die Gesellschaft ihrer zweitältesten Tochter fehlte, muss bezweifelt werden; ihr Mann aber vermisste Elizabeth, die immer schon sein Lieblingskind gewesen war. Sie hatte seine Intelligenz, einiges von seinem Scharfsinn sowie seine Freude an den Marotten und Ungereimtheiten der Nachbarn geerbt, und in Longbourn ging es ohne sie nicht nur einsamer, sondern auch weniger vernünftig zu. Mr. Bennet war ein kluger, belesener Mann, der in seiner Bibliothek nicht nur Zuflucht, sondern auch die Quelle seiner glücklichsten Stunden fand. Darcy und er waren rasch zu dem Schluss gelangt, dass sie einander mochten, und wie unter Freunden üblich akzeptierten beide die Eigenheiten des jeweils anderen als Beweis für dessen überlegenen Verstand. Seine Besuche in Pemberley, die Mr. Bennet meist dann abstattete, wenn man am wenigsten mit ihm gerechnet hatte, verbrachte er vorwiegend in der Bibliothek, die zu den besten in privater Hand zählte und aus der man ihn selbst zu den Essenszeiten nur schwer herausbekam. Die Bingleys in Highmarten besuchte er weniger oft – nicht nur, weil er Janes übermäßigen Einsatz für die Behaglichkeit und das Wohlergehen ihres Mannes und der Kinder manchmal als lästig empfand, sondern auch weil es dort kaum neue Bücher und Zeitschriften gab, die ihn interessierten. Mr. Bingleys Geld stammte aus dem Handel. Er hatte keine Familienbibliothek geerbt und erst nach dem Kauf von Highmarten House daran gedacht, eine anzulegen. Bei diesem Vorhaben hatten Darcy und Mr. Bennet ihm nur zu gern geholfen. Es gibt wenig Angenehmeres, als das Geld eines Freundes zu dessen Nutzen und der eigenen Erfüllung auszugeben, und wenn die Käufer hin und wieder zur Verschwendung verführt wurden, trösteten sie sich mit dem Gedanken, dass Bingley es sich immerhin leisten konnte. Obwohl die nach Darcys Vorgaben entworfenen und von Mr. Bennet gutgeheißenen Regale noch keineswegs gefüllt waren, zeigte sich Bingley stolz auf die elegant angeordneten Werke und die glänzenden Ledereinbände. Hin und wieder, wenn die Jahreszeit oder das Wetter weder Jagen noch Angeln zuließen, schlug er sogar ein Buch auf und wurde lesend angetroffen.

Mrs. Bennet hatte ihren Mann nur zweimal nach Pemberley begleitet. Sie war mit Freundlichkeit und Langmut von Mr. Darcy empfangen worden, hatte aber zu viel Ehrfurcht vor ihrem Schwiegersohn, als dass sie die Erfahrung erneut machen wollte. Elizabeth vermutete sogar, dass es ihrer Mutter mehr Vergnügen bereitete, ihren Nachbarn von den Wundern Pemberleys zu erzählen – von der Größe und Schönheit der Gartenanlagen, der Stattlichkeit des Hauses, den vielen Dienern und der prunkvollen Tafel –, als all das selbst zu sehen und zu erleben.

Mit ihren Enkeln beschäftigten sich weder Mr. Bennet noch seine Frau besonders viel. Fünf rasch hintereinander geborene Töchter hatten die Erinnerung an schlaflose Nächte, schreiende Kleinkinder, eine sich ständig beklagende Säuglingsschwester und aufsässige Kindermädchen wachgehalten. Eine vorläufige Begutachtung kurz nach der Geburt jedes Enkels bestätigte die Aussage der Eltern, dass das Kind von bemerkenswerter Schönheit sei und bereits über eine eindrucksvolle Intelligenz verfüge; danach genügte es den Großeltern, regelmäßig schriftlich über die weitere Entwicklung unterrichtet zu werden.

Sehr zum Verdruss ihrer zwei ältesten Töchter hatte Mrs. Bennet beim Ball in Netherfield lautstark verkündet, sie erwarte, dass durch Janes Heirat mit Mr. Bingley auch ihre jüngeren Töchter wohlhabende Männer kennenlernen würden, und zur allgemeinen Überraschung erfüllte ausgerechnet Mary diese ganz natürliche mütterliche Prophezeiung. Niemand hatte geglaubt, dass Mary jemals heiraten würde. Sie las wie besessen, jedoch völlig wahllos und ohne Verständnis, spielte fleißig, aber gänzlich talentfrei Klavier, und lieferte fast unablässig Platitüden ab, die weder klug noch witzig waren. Am männlichen Geschlecht hatte sie nie das geringste Interesse gezeigt. In ihren Augen war jeder Ball eine Strafe, die sie nur deshalb erduldete, weil sie ihr die Gelegenheit bot, sich am Klavier in den Mittelpunkt zu rücken und die Zuhörerschaft durch den wohlüberlegten Einsatz des rechten Pedals in völlige Wehrlosigkeit zu versetzen. Und doch war sie keine zwei Jahre nach Janes Hochzeit die Gattin von Reverend Theodore Hopkins, dem Pfarrer der an Highmarten grenzenden Kirchengemeinde.

Da der Pfarrer von Highmarten verhindert war, hatte an drei Sonntagen Mr. Hopkins den Gottesdienst übernommen, ein dünner, melancholischer Junggeselle von fünfunddreißig Jahren mit einer Neigung zu ausufernden Predigten mit kompliziertem theologischem Inhalt, die ihm den Ruf eines enorm klugen Menschen eingebracht hatten. Obwohl man ihn kaum als reich bezeichnen konnte, erfreute er sich eines mehr als ausreichenden Einkommens zusätzlich zu seinen Bezügen. Als Mary an einem dieser Sonntage in Highmarten zu Besuch war, wurde sie nach dem Gottesdienst an der Kirchentür von Jane mit ihm bekannt gemacht und beeindruckte ihn auf der Stelle, indem sie seine Ausführungen lobte, die von ihm vorgenommene Auslegung der Bibelstelle billigte und so häufig auf die Bedeutung von Fordyces Predigten zu sprechen kam, dass Jane, der sehr daran lag, endlich mit ihrem Mann das aus kaltem Braten und Salat bestehende Sonntagsmahl einzunehmen, ihn für den nächsten Tag zum Dinner bat. Es folgten weitere Einladungen, und kaum drei Monate später wurde Mary Mrs. Theodore Hopkins, wobei sich das öffentliche Interesse an dieser Heirat ebenso in Grenzen hielt wie der Prunk bei der Trauung.

Einen Vorteil sah die Kirchengemeinde zunächst darin, dass das Essen im Pfarrhaus merklich besser wurde. Mrs. Bennet hatte ihren Töchtern beigebracht, wie wichtig gute Mahlzeiten für den häuslichen Frieden waren und welche Anziehungskraft sie auf männliche Gäste ausübten. Die Kirchenbesucher hofften, der Wunsch des Pfarrers, pünktlich in sein eheliches Glück zurückzukehren, werde die Gottesdienste verkürzen; doch obwohl sein Leibesumfang zunahm, blieb die Länge seiner Predigten gleich. Die beiden lebten in vollkommener Eintracht miteinander, wenn man von Marys anfänglicher Forderung nach einem eigenen Bücherzimmer absah, damit sie in Ruhe lesen konnte. Der Raum wurde geschaffen, indem man das einzige gute Gästezimmer zu ihrer alleinigen Verwendung umgestaltete, womit die eheliche Harmonie gestärkt und die Einladung jeglicher Verwandten zum Übernachten unmöglich gemacht war.

Im Herbst 1803, dem Jahr, in dem Mrs. Bingley und Mrs. Darcy das jeweils sechste glückliche Ehejahr feierten, hatte sich nur für eine von Mrs. Bennets Töchtern, Kitty, noch kein Ehemann gefunden. Aber weder Mrs. Bennet noch Kitty selbst grämten sich über diesen Misserfolg. Kitty genoss das Ansehen und die Annehmlichkeiten der einzigen noch zu Hause wohnenden Tochter, besuchte regelmäßig Jane, deren Kinder sie sehr mochten, und kostete ein Leben aus, das nicht erfüllender hätte sein können. Obendrein waren die Besuche von Wickham und Lydia kaum dazu angetan, für die Ehe zu werben. Sie trafen stets in ausgelassener Stimmung ein und wurden von Mrs. Bennet, die sich immer freute, ihre Lieblingstochter zu sehen, überschwenglich begrüßt. Doch der anfängliche gute Wille der beiden verkam bald zu Streit, gegenseitigen Schuldzuweisungen und Klagen darüber, wie dürftig ihre finanzielle Unterstützung durch Jane und Elizabeth ausfalle, so dass Mrs. Bennet sich über ihre Abreise schließlich genauso freute wie darauf, sie beim nächsten Besuch wieder willkommen heißen zu dürfen. Aber sie brauchte eine Tochter zu Hause, und Kitty, die seit Lydias Weggang sehr viel liebenswerter und hilfsbereiter geworden war, machte ihre Sache gut. Deshalb konnte man Mrs. Bennet im Jahre 1803 als eine – soweit es ihre Natur zuließ – glückliche Frau bezeichnen; sie hatte sogar bereits ein viergängiges Dinner im Beisein von Sir William und Lady Lucas durchgestanden, ohne sich auch nur einmal über die Ungerechtigkeit des Erbvertrags auszulassen.

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Erstes Buch

Der Tag vor dem Ball

1

Am 14. Oktober 1803, einem Freitag, saß Elizabeth Darcy um elf Uhr vormittags am Tisch in ihrem Wohnzimmer im ersten Stock von Pemberley. Das Zimmer war nicht groß, aber besonders schön geschnitten, und die beiden Fenster boten einen Blick auf den Fluss. Diesen Raum hatte sich Elizabeth ausgesucht und ganz nach ihren Wünschen mit Möbeln, Vorhängen, Teppichen und Gemälden aus Pemberleys reichen Beständen ausstatten lassen. Darcy hatte die Arbeiten höchstpersönlich beaufsichtigt, und die Freude, die ihrem Mann ins Gesicht geschrieben stand, als Elizabeth das Zimmer in Besitz nahm, aber auch die Sorgfalt, mit der man ihren Wünschen nachgekommen war, hatten ihr, mehr noch als die prunkvollen Herrlichkeiten des Hauses, deutlich gemacht, über welche Privilegien Mrs. Darcy von Pemberley verfügte.

Fast ebenso sehr wie das Wohnzimmer gefiel ihr Pemberleys prächtige Bibliothek. Sie war das Werk mehrerer Generationen, dessen Reichtum nun ihr Mann mit Interesse und Vergnügen vergrößerte. Die Bibliothek in Longbourn war Mr. Bennets Domäne und wurde selbst von Elizabeth, seinem Lieblingskind, nur auf Einladung betreten. Die Bibliothek in Pemberley dagegen stand ihr genauso offen wie ihrem Mann. In den zurückliegenden sechs Jahren hatte sie, von Darcy zartfühlend und liebevoll unterstützt, mehr und mit größerer Freude gelesen als in den fünfzehn Jahren davor und so auch ihre Bildung verbessert, die, wie sie jetzt erkannte, immer nur elementar gewesen war. Auch die Dinners in Pemberley unterschieden sich sehr von denen, die sie in Meryton durchgestanden hatte. Damals hatten die immer gleichen Leute den immer gleichen Tratsch verbreitet und die immer gleichen Meinungen ausgetauscht; ein bisschen lustiger war es nur dann geworden, wenn sich Sir William Lucas in aller Ausführlichkeit ein weiteres faszinierendes Detail seiner Einführung bei Hof in Erinnerung rief. Jetzt fing sie die Blicke der Damen immer nur widerwillig auf, die besagten, dass es Zeit sei, die Herren mit ihren Männerthemen allein zu lassen. Sie hatte es als eine Offenbarung empfunden, dass es Männer gab, die eine intelligente Frau zu schätzen wussten.

Es war der Tag vor Lady Annes Ball. In der vergangenen Stunde hatte Elizabeth mit Mrs. Reynolds, der Haushälterin, überprüft, ob die bisherigen Vorbereitungen ordentlich ausgeführt waren und alles gut voranging. Jetzt war sie allein. Der Ball hatte zum ersten Mal in Darcys zweitem Lebensjahr anlässlich des Geburtstags seiner Mutter stattgefunden und war außer in der Trauerzeit nach dem Tod ihres Mannes alljährlich veranstaltet worden, bis Lady Anne selbst starb. Da er stets am ersten Samstag nach dem Oktobervollmond abgehalten wurde, lag er meistens nur wenige Tage vor oder nach dem Hochzeitstag von Darcy und Elizabeth, den sie jedoch immer in aller Ruhe mit den Bingleys verbrachten, die am selben Tag geheiratet hatten. Der Anlass war ihnen zu intim und kostbar, als dass sie ihn mit öffentlichen Festlichkeiten begehen wollten, und der Herbstball, der in der Grafschaft als das wichtigste gesellschaftliche Ereignis des Jahres galt, blieb auf Elizabeths Wunsch hin nach Lady Anne benannt.

Mr. Darcy hatte zwar seine Besorgnis geäußert, dass es diesmal womöglich nicht passend sei, den Ball abzuhalten – war doch der erwartete Krieg gegen Frankreich bereits erklärt worden, weswegen im Süden des Landes, wo man täglich mit dem Einmarsch Bonapartes rechnete, die Angst wuchs. Außerdem war die Ernte schlecht ausgefallen, was sich stets stark auf das Landleben auswirkte. Einige Herren hatten den besorgten Blick von den Rechnungsbüchern gehoben und erwogen, den Ball in diesem Jahr nicht zu besuchen, waren jedoch angesichts der Empörung, die ihnen seitens ihrer Gattinnen entgegenschlug, und aufgrund der Gewissheit, mindestens zwei Monate häuslichen Unfriedens erdulden zu müssen, schließlich darin übereingekommen, dass nichts der Moral zuträglicher sei als ein wenig harmlose Unterhaltung – und dass Paris womöglich in Jubel ausbrechen und erstarken würde, sollte diese unbedarfte Stadt erfahren, dass man den Ball in Pemberley abgesagt habe.

Belustigung und jahreszeitlich bedingter Zeitvertreib sind auf dem Land weder häufig noch verlockend genug, als dass die gesellschaftlichen Verpflichtungen eines großen Hauses den Nachbarn, die daran teilhaben dürfen, gleichgültig sein könnten.

Als sich das Erstaunen über Mr. Darcys Wahl gelegt hatte, ließ seine Verheiratung zumindest hoffen, dass er sich nun häufiger als zuvor zu Hause aufhalten und seine junge Frau sich ihrer Verantwortung stellen würde. Nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise, die sie nach Italien geführt hatte, mussten Elizabeth und Darcy die unvermeidlichen offiziellen Besuche absolvieren und die üblichen Gratulationscouren und Plaudereien mit aller aufbietbaren Höflichkeit durchstehen. Darcy, der seit seiner Kindheit wusste, dass Pemberley stets mehr zu geben hatte, als es erhielt, ertrug die Zusammenkünfte mit bewundernswertem Gleichmut, während Elizabeth sich dabei heimlich amüsierte, weil die Nachbarn ständig ihre Neugier zu stillen versuchten, ohne Zweifel an ihren Umgangsformen aufkommen zu lassen. Und die Besucher kamen in den Genuss doppelter Freude, denn nach der vorgeschriebenen halben Stunde in Mrs. Darcys elegantem, behaglichem Wohnzimmer konnten sie sich mit den Nachbarn um ein einmütiges Urteil über das Kleid, die Liebenswürdigkeit und die Eignung der Braut bemühen sowie über die Aussichten des Paares auf häusliches Glück spekulieren. Binnen eines Monats herrschte Einigkeit: Die Herren zeigten sich von Elizabeths Schönheit und Scharfsinn beeindruckt, ihre Ehefrauen von ihrer Eleganz, ihrer Freundlichkeit und der Qualität der gereichten Erfrischungen. Pemberley, darin war man sich einig, gab trotz der ungünstigen Vorgeschichte der neuen Herrin nunmehr allen Anlass zu der Hoffnung, es werde wieder, wie zu Zeiten Lady Anne Darcys, seinen rechtmäßigen Platz im gesellschaftlichen Leben der Grafschaft einnehmen.

Elizabeth war Realistin genug, um zu wissen, dass man diese Vorgeschichte nicht vergessen hatte und keine neue Familie in die Gegend ziehen konnte, ohne mit der Erzählung von Mr. Darcys wundersamer Brautwahl unterhalten zu werden. Schließlich kannte man ihn als einen stolzen Mann, für den Tradition und Ruf der Familie an erster Stelle standen und dessen Vater das gesellschaftliche Ansehen der Familie durch seine Heirat mit der Tochter eines Earls erhöht hatte. Obwohl es ganz danach ausgesehen hatte, als wäre keine Frau gut genug, um Mrs. Fitzwilliam Darcy zu werden, war seine Wahl auf die zweite Tochter eines Gentlemans gefallen, dessen Besitz, auf dem die Last eines die eigenen Kinder ausschließenden Erbschaftsvertrags ruhte, nur wenig größer als die Lustgärten von Pemberley war. Die junge Frau verfügte angeblich über ein Privatvermögen von nur fünfhundert Pfund und hatte zwei unverheiratete Schwestern sowie eine Mutter, die wegen ihrer schrillen Gewöhnlichkeit als nicht gesellschaftsfähig gelten musste. Zu allem Übel hatte eine der jüngeren Töchter George Wickham geheiratet, den in Ungnade gefallenen Sohn des Verwalters zu Zeiten von Mr. Darcys Vater, und zwar unter Umständen, über die, wollte man den Anstand wahren, nur im Flüsterton gesprochen werden konnte. Damit war Mr. Darcy und seiner Familie ein Mann aufgebürdet, den er so sehr verachtete, dass der Name Wickham in Pemberley nie ausgesprochen wurde und dem Paar das Haus verboten blieb. Elizabeth selbst galt allerdings als achtbar, und selbst die Zweifler gestanden nach einiger Zeit ein, dass sie sehr hübsch war und schöne Augen hatte; trotzdem sah man die Heirat als ein Wunder an, mit dem besonders einige junge Damen haderten, die auf den Rat ihrer Mütter hin mehrere vernünftige Angebote ausgeschlagen hatten, um sich für die funkelnde Trophäe verfügbar zu halten, nun aber ohne irgendwelche Aussichten bereits auf das gefährliche Alter von dreißig Jahren zugingen. Trösten konnte Elizabeth sich bei alldem mit der Erinnerung an die Antwort, die sie Lady Catherine de Bourgh gegeben hatte. Damals war die empörte Schwester von Lady Anne auf die Nachteile zu sprechen gekommen, die Elizabeth erwachsen würden, sollte sie die Dreistigkeit besitzen, Mrs. Darcy zu werden. »Das wäre ein großes Ungemach, aber eine Ehe mit Mr. Darcy verspricht so außergewöhnliche Quellen des Glücks, dass es für seine Frau aufs Ganze gesehen keinerlei Grund zur Klage geben dürfte.«

Den ersten Ball, bei dem Elizabeth als Gastgeberin mit ihrem Mann oben an der Treppe stand und die heraufkommenden Gäste begrüßte, hatte sie sich als Qual vorgestellt, war dann aber im Triumph aus dem Abend hervorgegangen. Sie tanzte gern und konnte inzwischen mit Fug und Recht behaupten, ebenso viel Vergnügen an dem Ball zu haben wie ihre Gäste. Lady Anne hatte in ihrer eleganten Handschrift alles für das Ereignis minutiös festgelegt. Ihr Notizbuch, in dessen schönen Ledereinband das Wappen der Darcys geprägt war, fand noch immer Verwendung und hatte an jenem Morgen aufgeschlagen vor Elizabeth und Mrs. Reynolds gelegen. Die Gästeliste hatte sich im Großen und Ganzen nicht verändert, nur waren die Freunde von Darcy und Elizabeth hinzugekommen, darunter auch die Gardiners, Elizabeths Onkel und Tante. Bingley und Jane bedurften keiner Erwähnung, wollten aber in diesem Jahr endlich ihren Hausgast mitbringen, einen jungen Anwalt namens Henry Alveston, der, gut aussehend, klug und lebhaft, in Pemberley ebenso willkommen war wie in Highmarten.

Alle Vorbereitungen waren getroffen, und Elizabeth hegte keinerlei Zweifel am Erfolg des Balls. Man hatte Holz in großer Menge gehackt, um sicherzustellen, dass kein Kaminfeuer erlosch, vor allem nicht im Ballsaal. Der Konditor sollte bis zum Vormittag mit der Herstellung der empfindlichen, von den Damen so geliebten Törtchen und pikanten Häppchen warten, während das Geflügel und das Wild für die reichhaltigeren, von den Männern gewünschten Gerichte bereits geschlachtet und abgehangen waren. Man hatte Wein aus dem Keller geholt und Mandeln gerieben, um genug von der beliebten weißen Suppe kochen zu können. Den Punsch würde man erst im letzten Moment hinzufügen, damit sie würziger und stärker und der Abend vergnüglicher wurde. In den Treibhäusern hatte man bereits Blumen und Zweige ausgesucht, die jederzeit eimerweise in den Wintergarten geschafft werden konnten, wo sie unter der Aufsicht von Elizabeth und Georgiana, Darcys Schwester, am Nachmittag des nächsten Tages arrangiert werden sollten. Und Thomas Bidwell war aus seinem Cottage gekommen und polierte zu ebendieser Stunde im Anrichteraum die vielen Kerzenleuchter, die für den Ballsaal, den Wintergarten und das den weiblichen Gästen vorbehaltene kleine Wohnzimmer benötigt wurden. Bidwell hatte als Oberkutscher für den verstorbenen Mr. Darcy gearbeitet, so wie sein Vater für die Darcys vor ihm. Inzwischen machten ihm der Rheumatismus in beiden Knien und sein Rücken die Arbeit mit den Pferden unmöglich, aber seine Hände waren noch kräftig, und so putzte er in der Woche vor dem Ball jeden Abend Silber, staubte die zusätzlichen Stühle für die Anstandsdamen ab und machte sich überhaupt unentbehrlich. Morgen würden die Kutschen der Gutsbesitzer und die Mietdroschken der weniger Wohlhabenden die Auffahrt verstopfen und die plappernden Gäste ausspucken. Dann würden die Musselinkleider und glitzernden Kopfbedeckungen zum Schutz gegen die frische Herbstluft noch verhüllt sein, und alle würden sich wieder auf die Vergnügungen von Lady Annes Ball freuen, die ihnen vom Vorjahr in Erinnerung waren.

Mrs. Reynolds hatte Elizabeth bei den Vorbereitungen verlässlich zur Seite gestanden. Die beiden Frauen hatten sich kennengelernt, als Elizabeth mit ihrem Onkel und ihrer Tante Pemberley besichtigte und von der Haushälterin empfangen und herumgeführt wurde. Mrs. Reynolds hatte Mr. Darcy schon als Knaben gekannt und ihn als Herrn wie als Mann so überschwenglich gepriesen, dass sich Elizabeth damals zum ersten Mal fragte, ob sie mit ihrem Vorurteil gegen ihn nicht im Unrecht war. Über die Vergangenheit hatte sie mit Mrs. Reynolds nie gesprochen, aber die Haushälterin und sie waren Freundinnen geworden, und Mrs. Reynolds hatte sich durch ihre diskrete Unterstützung als unschätzbar wertvoll für Elizabeth erwiesen. Schon vor ihrem ersten Eintreffen in Pemberley als Braut hatte Elizabeth erkannt, dass Herrin eines solchen Sitzes und für das Wohl so vieler Bediensteter verantwortlich zu sein nicht mit der Aufgabe ihrer Mutter zu vergleichen war, den Haushalt in Longbourn zu führen. Doch ihre Freundlichkeit und Anteilnahme am Leben der Diener hatten diesen die Zuversicht gegeben, dass ihr Wohlergehen der neuen Herrin am Herzen lag. So war alles einfacher als erwartet gewesen und sogar weniger mühsam als in Longbourn, weil Mrs. Reynolds und Stoughton, der Butler, das Personal von Pemberley, das zum größten Teil schon seit langem dort arbeitete, in der Tradition unterwiesen hatten, die Familie niemals Unannehmlichkeiten erdulden zu lassen und sie tadellos zu bedienen.

Ihr früheres Leben vermisste Elizabeth kaum, doch an die Diener in Longbourn dachte sie oft zurück: an Hill, die Haushälterin, die in alle Familiengeheimnisse eingeweiht gewesen war und sogar von Lydias berüchtigter Flucht gewusst hatte, an Wright, die Köchin, die Mrs. Bennets gelegentlich unmäßige Ansprüche klaglos erfüllte, und an die beiden Hausmädchen, die zusätzlich zu ihren eigentlichen Pflichten Dienste als Kammerzofe geleistet und Jane und sie vor jedem Ball frisiert hatten. Sie waren zu Familienmitgliedern geworden, wie es die Diener in Pemberley nie sein würden; doch Elizabeth wusste, dass Familie, Personal und Pächter hier eben durch Pemberley, durch das Haus und die Darcys, in gegenseitiger Loyalität miteinander verbunden waren. Viele aus der Dienerschaft waren die Kinder und Enkel früherer Bediensteter, sie hatten das Haus und seine Geschichte im Blut. Und sie wusste natürlich auch, dass ihr endgültiger Triumph die Geburt der beiden hübschen, gesunden Knaben dort oben im Kinderzimmer gewesen war – Fitzwilliam, fast fünf, und Charles, drei Jahre alt –, stellten die Kleinen doch sicher, dass die Familie und deren Erbe weiterbestand und ihnen, ihren Kindern und Enkelkindern Arbeit verschaffte und es weiterhin Darcys in Pemberley gab.

Fast sechs Jahre zuvor hatte Mrs. Reynolds, als über die Gästeliste, die Speisefolge und den Blumenschmuck für Elizabeths erstes Dinner beraten wurde, gesagt: »Es war für uns alle ein glücklicher Tag, als Mr. Darcy seine Braut nach Hause brachte. Es war der größte Wunsch meiner Herrin, ihren Sohn verheiratet zu wissen. Leider wurde er nicht erfüllt. Sie wollte doch so sehr, dass er ein glückliches Familienleben führte, nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch wegen Pemberley.«

Da hatte Elizabeths Neugier über ihre Diskretion gesiegt, und während sie geschäftig irgendwelche Papiere auf dem Schreibtisch hin und her schob, hatte sie, ohne den Blick zu heben, gefragt: »Aber vielleicht ja nicht mit dieser Frau. Lady Anne Darcy und ihre Schwester hatten doch vereinbart, Mr. Darcy mit Miss de Bourgh zu verheiraten, nicht wahr?«

»Madam, ich sage nicht, dass Lady Catherine so etwas nicht im Sinn gehabt hat. Sie brachte ja Miss de Bourgh oft genug nach Pemberley mit, wenn Mr. Darcy hier war. Aber es wäre niemals so gekommen. Die arme Miss de Bourgh war nämlich immer kränklich, und Lady Anne war sehr an der Gesundheit einer möglichen Braut gelegen. Es kam uns allerdings zu Ohren, dass Lady Catherine hoffte, Miss de Bourghs anderer Cousin, Oberst Fitzwilliam, würde ihr einen Antrag machen, aber das geschah nicht.«

Elizabeth richtete ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart. Sie legte Lady Annes Notizbuch in eine Schublade und trat, nur widerwillig die Ruhe und Abgeschiedenheit verlassend, die ihr erst wieder nach dem Ball vergönnt sein würden, an eines der beiden Fenster. Von dort sah man die lange, geschwungene Auffahrt zum Haus und den Fluss, wie er den berühmten Baumpark von Pemberley durchschnitt, der Generationen zuvor unter der Leitung eines namhaften Gartenarchitekten gepflanzt worden war. Jeder Baum am Rand, von vollkommenem Wuchs und mit dem warmen Gold des ersten Herbstlaubs behängt, stand ein wenig von den anderen entfernt, wie um seine einzigartige Schönheit hervorzuheben; dahinter erhoben sie sich dichter und lenkten den Blick geschickt auf die üppige, erdig duftende Abgeschiedenheit des Waldesinneren. Im Nordwesten lag ein zweiter, größerer Wald, dessen Bäume und Sträucher natürlich wachsen durften und in dem Darcy als Knabe viel gespielt und Zuflucht von seinem Kinderzimmer gefunden hatte. Sein Urgroßvater, der nach der Übernahme des Besitzes zum Einsiedler geworden war, hatte dort ein Cottage gebaut und sich darin erschossen; seitdem versetzte dieser Wald die Diener und Pächter von Pemberley in abergläubische Furcht und wurde nur selten betreten. Ein schmaler Weg führte durch ihn hindurch zu einem zweiten Eingang von Pemberley, der jedoch vorwiegend von Handwerkern benutzt wurde. Die Ballgäste würden über die Hauptauffahrt kommen, ihre Pferde und Gefährte während des Balls im Stall untergebracht und die Kutscher in den Küchen beköstigt werden.

Elizabeth schob die Belange des Tages beiseite und ließ den Blick auf der vertrauten, beruhigenden, wenngleich sich ständig verändernden Schönheit ruhen. Die Sonne schien vom tiefblauen Himmel, an dem nur wenige zarte Wölkchen wie Rauchfahnen dahinschwanden. Während des kurzen Spaziergangs, den sie mit ihrem Mann bei Tagesbeginn zu machen pflegte, hatte sie gespürt, wie trügerisch die Herbstsonne sein konnte. Der kühle Wind, auf den sie nicht eingerichtet gewesen war, hatte sie bald wieder ins Haus getrieben. Jetzt sah sie, dass er sogar noch auffrischte. Auf dem Fluss tanzten kleine Wellen und verloren sich zwischen den Gräsern und Büschen am Ufer, deren durchbrochene Schatten über das aufgewühlte Wasser zuckten.

Zwei Gestalten trotzten der Morgenkälte. Georgiana und Colonel Fitzwilliam waren am Fluss entlangspaziert und lenkten ihre Schritte jetzt hin zu dem Rasen und der Steintreppe vor dem Haus. Colonel Fitzwilliams rote Uniformjacke wirkte wie ein greller Farbfleck vor Georgianas zartblauem pelzgefüttertem Mantel. Sie hielten ein bisschen Abstand, wirkten aber, wie Elizabeth fand, sehr freundschaftlich miteinander. Hin und wieder hielten sie inne, und Georgiana griff nach ihrem Hut, der davonzuwehen drohte. Als sie näher kamen, trat Elizabeth vom Fenster weg, damit sie sich nicht beobachtet fühlten, und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. Briefe waren zu schreiben, Einladungen zu beantworten, und sie musste entscheiden, welche Dorfbewohner so arm oder von Sorgen bedrängt waren, dass sie ihren Besuch, ihr Mitgefühl oder ihre tatkräftige Hilfe begrüßen würden.

Kaum hatte sie die Feder ergriffen, klopfte es leise an der Tür, und Mrs. Reynolds trat ein. »Entschuldigen Sie die Störung, Madam, aber Colonel Fitzwilliam ist gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt und lässt fragen, ob Sie ein paar Minuten für ihn hätten, falls es nicht ungelegen ist.«

»Ich habe Zeit, er soll ruhig heraufkommen«, erwiderte Elizabeth.

Sie glaubte zu wissen, was er ihr mitteilen wollte – ein Ansinnen, von dem sie gern verschont geblieben wäre. Darcy hatte nur wenige enge Freunde, und sein Cousin Colonel Fitzwilliam war häufig zu Gast in Pemberley. Zu Beginn seiner Militärlaufbahn war er nicht sooft erschienen, doch in den letzten achtzehn Monaten hatten seine Besuche zwar an Dauer abgenommen, an Häufigkeit jedoch gewonnen, und Elizabeth war ein feiner, aber nicht zu verkennender Unterschied an seinem Verhalten gegenüber Georgiana aufgefallen. In ihrer Anwesenheit lächelte er jetzt mehr, er setzte sich öfter zu ihr und verwickelte sie, wenn es die Situation zuließ, in ein Gespräch. Seit seinem Aufenthalt anlässlich des Balls im Jahr zuvor war eine materielle Veränderung in seinem Leben erfolgt. Sein älterer Bruder, der Erbe des Grafentitels, war im Ausland gestorben, so dass der Titel Viscount Hartlep auf ihn übergegangen und er der rechtmäßige Erbe war. Seinen neuen Titel verwendete er jedoch kaum, vor allem nicht unter Freunden, denn er hatte beschlossen, ihn erst anzunehmen, wenn er die Nachfolge antrat und die vielen damit verbundenen Pflichten übernahm. Deshalb wurde er nach wie vor Colonel Fitzwilliam genannt.

Er wollte sich natürlich verheiraten, besonders jetzt, da sich England im Krieg mit Frankreich befand und er fallen konnte, ohne einen Erben zu hinterlassen. Elizabeth hatte sich nie mit dem Familienstammbaum befasst, wusste jedoch, dass der Colonel keine engen männlichen Verwandten hatte und der Grafentitel erlöschen würde, sollte Fitzwilliam ohne einen Sohn sterben. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob er in Pemberley eine Ehefrau suchte und wie Darcy darauf reagieren würde. Bestimmt wäre es ihm angenehm zu wissen, dass seine Schwester eines Tages Countess sein und ihr Mann Mitglied des House of Lords werden und zu den Gesetzgebern des Landes zählen würde. Das alles war Grund genug, um stolz auf die Familie zu sein, doch würde Georgiana diesen Stolz teilen? Sie war jetzt eine erwachsene Frau und kein Mündel mehr, aber eine Heirat mit einem Mann in Betracht zu ziehen, den ihr Bruder nicht gutheißen konnte, würde Georgiana schmerzen, das war Elizabeth klar.

Und Henry Alveston machte die Sache noch komplizierter. Elizabeth hatte genug gesehen, um von seiner Verliebtheit überzeugt zu sein – zumindest stand er kurz davor, sich zu verlieben –, aber was war mit Georgiana? Eines wusste Elizabeth genau: Georgiana Darcy würde niemals einen Mann heiraten, den sie nicht liebte. Er musste wenigstens über die Anziehungskraft, die Zuneigung und den Respekt ihr gegenüber verfügen, die sich der Überzeugung einer Frau nach zu Liebe vertiefen konnten. So wie Elizabeth selbst dies als ausreichend empfunden hätte, wenn Colonel Fitzwilliam während seines Besuchs auf Rosings mit einem Antrag zu ihr gekommen wäre. Die Vorstellung jedoch, Darcy und ihr gegenwärtiges Glück unwissentlich an das Angebot seines Cousins verloren zu haben, war noch beschämender als die Erinnerung an ihr Faible für den niederträchtigen George Wickham, und sie schob sie energisch beiseite.

Der Colonel war am Abend zuvor rechtzeitig zum Dinner in Pemberley eingetroffen, doch nach der Begrüßung hatten Elizabeth und er nur wenig Zeit miteinander verbracht. Als er nun leise anklopfte, eintrat und ihr gegenüber auf dem angebotenen Stuhl am Kamin Platz nahm, kam es ihr vor, als sähe sie ihn zum ersten Mal deutlich. Er war fünf Jahre älter als Darcy, aber bei ihrer ersten Begegnung im Wohnzimmer von Rosings hatten sein fröhlicher Humor und seine ansprechende Lebhaftigkeit die stille Art seines Cousins noch stärker zur Geltung gebracht und ihn jünger wirken lassen. Doch damit war es vorbei. Jetzt strahlte er eine Reife und Ernsthaftigkeit aus, die ihn älter machten, als er war. Vielleicht, dachte sie, hing es mit seinem Militärdienst und der großen Verantwortung zusammen, die er als Befehlshaber trug; der Statuswechsel hingegen hatte ihm nicht nur eine gewisse Gesetztheit verliehen, sondern auch einen deutlicher spürbaren Stolz auf seine Familie und sogar einen nicht sonderlich anziehenden Hauch von Dünkelhaftigkeit mit sich gebracht.

Er ergriff nicht gleich das Wort. In der entstandenen Stille kam sie zu dem Entschluss, ihn als Ersten reden zu lassen, da er nun einmal um das Gespräch gebeten hatte. Er schien darüber nachzudenken, wie er am besten vorgehen sollte, wirkte aber weder verlegen noch aufgeregt. Nach einer Weile beugte er sich zu ihr vor und sagte: »Liebe Cousine, da Sie ein scharfes Auge besitzen und sich für die Angelegenheiten anderer Menschen interessieren, wird Ihnen nicht gänzlich unbekannt sein, was ich sagen will. Wie Sie wissen, habe ich seit dem Tod meiner Tante Lady Anne Darcy das Privileg, gemeinsam mit Darcy die Vormundschaft über seine Schwester auszuüben, und ich glaube sagen zu dürfen, dass ich meinen Pflichten mit großem Verantwortungsgefühl und unbeirrbarer brüderlicher Zuneigung zu meinem Mündel nachgekommen bin. Aus dieser Zuneigung ist nun die tiefe Liebe geworden, die ein Mann für die Frau, die er zu heiraten hofft, empfinden sollte, und es ist mein größter Wunsch, dass Georgiana meine Frau werden möge. Ich habe Darcy noch nicht offiziell gefragt, doch er hegt eine gewisse Vermutung – so, wie ich die Hoffnung hege, dass mein Antrag auf seine Billigung und Zustimmung trifft.«

Elizabeth hielt es für klüger, nicht darauf hinzuweisen, dass Georgiana ihre Volljährigkeit erreicht hatte und eine Zustimmung daher nicht notwendig war. »Und Georgiana?«

»Ohne Darcys Einwilligung fühle ich mich nicht berechtigt, mit ihr zu sprechen. Ich muss zugeben, dass Georgiana mir bisher mit keiner Äußerung Anlass zu großer Hoffnung gegeben hat. Ihre Haltung mir gegenüber ist stets von Freundschaftlichkeit, Vertrauen und, wie ich glaube, Zuneigung geprägt. Und ich hoffe, dass aus Vertrauen und Zuneigung Liebe wird, wenn ich Geduld beweise. Meiner Überzeugung nach kommt die Liebe bei einer Frau eher nach der Hochzeit als davor, was mir nur natürlich und richtig erscheint. Ich kenne sie schließlich schon seit ihrer Geburt. Der Altersunterschied könnte zugegebenermaßen ein Problem darstellen, aber ich bin nur fünf Jahre älter als Darcy und kann darin keinen Hinderungsgrund erkennen.«

Elizabeth wusste, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab. »Das Alter mag kein Hinderungsgrund sein, wohl aber möglicherweise eine vorhandene Neigung.«

»Sie meinen Henry Alveston? Ich weiß, dass Georgiana ihn mag, aber ich sehe da keine tiefere Zuneigung. Er ist ein liebenswürdiger, intelligenter und ganz vortrefflicher junger Mann, von dem ich nur Gutes höre. Durchaus möglich, dass er sich Hoffnungen macht – er ist ja darauf angewiesen, Geld zu heiraten.«

Elizabeth wandte sich ab. Da fügte er hastig hinzu: »Ich wollte ihm nicht unterstellen, habgierig zu sein oder es nicht ernst mit ihr zu meinen, aber aufgrund seiner Verpflichtungen und seines bewundernswerten Entschlusses, das Vermögen seiner Familie zu sanieren und große Anstrengungen zu unternehmen, eines der schönsten Häuser Englands wiederherzustellen, kann er es sich nicht leisten, eine arme Frau zu heiraten. Das würde beide unglücklich machen, ja geradezu ins Elend stürzen.«

Elizabeth schwieg. Sie dachte wieder an die erste Begegnung mit Colonel Fitzwilliam in Rosings, erinnerte sich an die Gespräche nach dem Abendessen, an Musik und Gelächter, an seine häufigen Besuche im Pfarrhaus, seine Aufmerksamkeiten ihr gegenüber, die zu offensichtlich gewesen waren, um unbemerkt zu bleiben. Beim großen Dinner hatte Lady Catherine, deren scharfem Auge nichts entging, genug Beunruhigendes gesehen. Elizabeth brachte sich ihren Ausruf in Erinnerung: »Worüber unterhaltet ihr euch? Ich möchte mitreden!« Elizabeth hatte sich bereits mit der Frage beschäftigt, ob sie mit diesem Mann glücklich werden könnte, doch ihre Hoffnung – wenn man es Hoffnung nennen konnte – war kurz darauf zerstoben, als sie ihm, sei es zufällig, sei es von ihm absichtlich herbeigeführt, während eines Spaziergangs durch den Park von Rosings begegnete und er sie zum Pfarrhaus zurückbegleitete. Damals hatte er seine Armut beklagt, und sie hatte ihn mit der Bemerkung geneckt, sie könne sich nicht vorstellen, welche Nachteile Armut für einen jüngeren Grafensohn mit sich bringe. Die jüngeren Söhne »können nicht heiraten, wen sie wollen«, hatte er geantwortet. Sie hatte sich damals gefragt, ob seine Worte womöglich eine Warnung beinhalteten; die Vermutung hatte sie sehr verlegen gemacht, was sie zu verbergen suchte, indem sie das Gespräch ins Scherzhafte zog. Doch bei der Erinnerung an den Vorfall war ihr ganz und gar nicht zum Scherzen zumute gewesen. Sie hatte der von Colonel Fitzwilliam ausgesprochenen Warnung nicht bedurft, um zu wissen, was ein unvermögendes Mädchen mit vier unverheirateten Schwestern in Bezug auf die Ehe erwarten konnte. Wollte er ihr sagen, dass ein vom Glück begünstigter junger Mann sich der Gesellschaft einer solchen Frau zwar erfreuen, ja sogar diskret mit ihr flirten durfte, die Vorsicht es jedoch gebot, sie darüber hinaus nicht zu ermuntern? Vielleicht war die Warnung doch nötig gewesen, aber gut hatte er es nicht gemacht. Wenn er sie ohnehin nie in Betracht gezogen hatte, wäre es gnädiger gewesen, sich nicht gar so eifrig um sie zu bemühen.

Colonel Fitzwilliam hatte ihr Schweigen zur Kenntnis genommen. Jetzt sagte er: »Ich darf auf Ihre Zustimmung hoffen?«

Sie wandte sich zu ihm und erwiderte in nachdrücklichem Ton: »Ich werde mich in diese Angelegenheit nicht einmischen, Colonel. Georgiana muss selbst entscheiden, wo sie ihr Glück finden will. Sollte sie in die Heirat mit Ihnen einwilligen, werde ich die Freude meines Mannes über diese Verbindung voll und ganz teilen. Aber beeinflussen kann ich hier nichts. Es liegt ganz allein bei Georgiana.«

»Ich dachte, sie hätte vielleicht mit Ihnen gesprochen …«

»Sie hat sich mir nicht offenbart, und es ist nicht an mir, sie zu fragen, ehe sie nicht selbst die Sprache darauf bringt.«

Dies schien ihn fürs Erste zufriedenzustellen. Doch gleich darauf kam er wie unter einem Zwang auf den Mann zurück, den er als möglichen Rivalen betrachtete. »Alveston ist ein gutaussehender, liebenswürdiger junger Mann und weiß zu reden. Sein etwas übersteigertes Selbstvertrauen und seine Neigung, älteren Menschen weniger Respekt entgegenzubringen, als in seinem Alter angemessen wäre – was bei einem so fähigen Menschen sehr bedauerlich ist –, werden im Lauf der Zeit und mit zunehmender Reife sicherlich eine gewisse Mäßigung erfahren. Ich glaube gern, dass er ein stets willkommener Gast in Highmarten ist, finde es jedoch erstaunlich, dass er Mr. und Mrs. Bingley so häufig besucht. Normalerweise sind erfolgreiche Anwälte nicht so freigebig mit ihrer Zeit.«

Da Elizabeth nichts erwiderte, dachte er vielleicht, seine Kritik, die offen ausgesprochene wie die angedeutete, sei unüberlegt gewesen, denn er fügte hinzu: »Andererseits hält er sich immer nur sonnabends oder sonntags in Derbyshire auf oder wenn die Gerichte nicht tagen. Wahrscheinlich studiert er die Akten in seiner Freizeit.«

»Meine Schwester sagt, kein anderer Gast hat jemals so viel in der Bibliothek gearbeitet wie er.«

Wieder entstand eine Pause. Schließlich fragte der Colonel, sehr zu Elizabeths Erstaunen und Unbehagen: »George Wickham wird wohl nach wie vor nicht in Pemberley empfangen, ist das richtig?«

»Nein, niemals. Seit seinem Besuch in Longbourn nach der Heirat mit Lydia haben weder Mr. Darcy noch ich ihn gesehen oder Kontakt zu ihm gehabt.«

Nach einer weiteren, noch längeren Gesprächspause sagte Colonel Fitzwilliam: »Es ist bedauerlich, dass man in seinen jungen Jahren so viel Aufhebens von Wickham gemacht hat. Er wuchs mit Darcy auf wie mit einem Bruder. In der Kindheit mag es beiden förderlich gewesen sein, und wenn man bedenkt, wie sehr der verstorbene Mr. Darcy seinem Verwalter zugetan war, kann man es nur als eine selbstverständliche gute Tat bezeichnen, dass man nach dem Tod des Vaters eine gewisse Verantwortung für das Kind übernommen hat. Doch für einen Jungen von Wickhams Naturell – geldgierig, ehrgeizig, zum Neid neigend – erwies es sich als gefährlich, ein Privileg zu genießen, an dem er nach dem Ende seiner Jugend nicht mehr teilhaben durfte. An der Universität besuchten sie unterschiedliche Colleges, und bei Darcys Kavalierstour durch Europa war er natürlich nicht mit von der Partie. Vielleicht wurden sein Status und seine Erwartungen zu rigoros und zu jäh beschnitten. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Lady Anne Darcy die Gefahr vorhersah.«

»Wickham konnte nicht ernsthaft erwarten, an der Kavalierstour teilnehmen zu dürfen«, entgegnete Elizabeth.

»Ich weiß nicht, was er wirklich erwartete, außer dass es immer mehr war, als er verdient hatte.«

»Vielleicht waren die früh gewährten Begünstigungen in gewisser Weise unklug, und es ist immer leicht, das Urteilsvermögen anderer Menschen in Dingen anzuzweifeln, über die wir möglicherweise nicht alles wissen.«