Destillate - Dagmar Leupold - E-Book

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Dagmar Leupold

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Beschreibung

Literarische Destillate: Erzählungen, Kurzprosa und Gedichte von größter Genauigkeit, Intensität und Sprachkraft Sinnliche Vergegenwärtigung durch die Kraft der Worte: Die besondere Gabe der Schriftstellerin Dagmar Leupold erweist sich in diesen Texten mit beeindruckender Suggestivität. Die versammelten Kunststücke erzählen von Freude und Trauer, Sehnsucht und erotischer Erfüllung, Schönheit und Grausamkeit. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 82

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Dagmar Leupold

Destillate

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Inhalt

Über das SchreibenVergegenwärtigungen IKatzenjammer/KaterAusleseSchwipsNachleseDestillieren/fermentierenMitfahrgelegenheitVergegenwärtigungen IIIntercityGeislinger SteigeBriefe/ZugfahrtKirschenBeim FriseurMittagsschlafIm Deutschen ist der Tod ein MannRegenbogenPost-WendeDie gemästete GreteVergegenwärtigungen IIIIn crimine flagrantiFlorentinische NächtePionierHeulen bei VollmondBraunauge. Hascherl. My CollegegirlCollageFragen an den DichterEine kleine Reflexion über den ZwiebackKlagenfurter Klein-Drama: Frösche am Wört(h)er SeeTelecollageGesetzLiteraturtheorie am frühen MorgenSchneeTerrorTat twam asiKindergeburtstagSado-MasoLicht und SchattenAus dem GermanistenlebenVietnam Veteran/Penn Station, New YorkKnoblauch Ecke 92. und BroadwayHerzanschlagMamma, I want to singPlanktonEntre nousDer SchuhKlimaklage an AllerseelenErziehungs-DadaFreie RadikaleUnterwegs mit TaschenlampeBissVergegenwärtigungen IVDer HolländerErntedank auf den BundesstrassenConsecutio temporumAdieuVergegenwärtigungen VDa capoSchnitt/MusterAllegro assaiAnstelle eines SonettsIm Weltall der FrauenStillebenAusblick vom RofanCalidariumCroce e deliziaSeelenFahrt auf der ElbeDer AbortUnfallDer KochBesuchDas AnliegenLieber JohannesDie Autorin dankt dem [...]

Über das Schreiben

Als ich meinem Kind die Zähne putze, schaue ich tief in seinen Rachen. Ein vollendetes Zäpfchen hängt wie ein zarter Stalaktit in der Gaumenhöhle, und ich bin außer mir vor Verwunderung, daß auch solch eine – den Blicken gewöhnlich entzogene – Kleinigkeit keinen Pfusch aufweist.

Vergegenwärtigungen I

Got a souvenir from Naples …, ein richtiger Kleinmädchen-Pyjama, mit hellroten Buschwindröschen auf weißem Grund. Aus kochfester Baumwolle.

Den trug ich also in jener Nacht, als der Citroën mit gurgelndem Motor vor dem Haus Nummer 19 hielt. Das Schließen der dünnen Blechtür war kaum zu hören, dann feste Schritte auf Asphalt, schließlich verschluckt vom Rasenstück direkt unter meinem Fenster. Es wäre schön, jetzt zu behaupten, das einzig vernehmbare Geräusch sei das laute Pochen meines Herzens gewesen. Es stand aber eher still.

Auf dem Fenstersims die Gestalt des Mannes, mit dem ich einen Abend lang – im Beisein seiner Frau – Blicke und Worte ausgetauscht hatte, aber nicht die Adressen.

Den kleinen Rosen auf meinem Schlafanzug wuchsen Dornen.

Ebenso still schaute ich ihm zu: zielstrebige Bewegungen. Die Gürtelschnalle löste sich nach einem Ruck mit einem satten, dumpfen Ton; er erinnerte mich an das Reiben und Festzurren der Lederriemen beim Aufzäumen von Pferden. Er knöpfte sein Hemd mit der Rechten auf, während er mit der Linken die Schnürsenkel löste. Eine Verrenkung, die mich belustigte und erleichterte. Das Hemd ließ er achtlos hinter sich gleiten, ganz flüchtig dachte ich: Es segelt wie ein müdes Herbstblatt zu Boden, kehrte aber sofort mit allen Sinnen in die Prosa zurück, als er gerade seine Unterhose bis zu den Knöcheln hinabstreifte. Er machte einen Schritt zurück, angelte mit dem linken Fuß nach ihr und hob sie auf Hüfthöhe, wo er sie bequem erreichte. Mit einem Ausdruck, als entledige er sich aller Sorgen, warf er sie über seine rechte Schulter nach hinten, dem Hemd zur Gesellschaft. Ich glaube, er lächelte mich dabei an. Ich schlug das Federbett zurück. Der kleine Häwelmann kam mir in den Sinn, wie er sternenverloren auf Reisen geht und seine Träume entdeckt. Mein Bett tanzte wie auf hoher See: Zaubersam losgelöst von meinem vorherigen Schlaf steuerte ich begeistert und furchtlos gegen den Pulsschlag der rabiaten Wellen an. So ist das Seefahren also.

Eine halbe Stunde später ist meine Haut wieder allein. Ein Kuß strandet, in der Dunkelheit schlecht gezielt, dicht neben meinem Ohr, die Gestalt am Fenster, nicht mehr ganz so schattenhaft wie bei ihrer Ankunft, springt in das weiche, morgenfeuchte Beet. Motorengeräusch. Sekunden später vernimmt mein durch die schöne Anstrengung geschärftes Gehör zum ersten Mal das Klappern des Briefkastendeckels beim Hineinschieben der Zeitung. Sie jeden Morgen ohne die geringste Spur oder Botschaft ihres Überbringers vorzufinden war mir immer wie ein Wunder erschienen.

Ein Engel weniger; ein Engel mehr.

Ich taste mich, ohne Licht einzuschalten, in den Hausflur und ziehe die Zeitung geräuschlos aus dem halboffenen Schlitz.

Die Druckerschwärze riecht fast so gut.

Katzenjammer/Kater

Das vierte Junge unserer schwarzen Katze war das schwächste des Wurfs von sechs. So schwach, daß ich darauf verzichtete, es auf sein Geschlecht hin zu untersuchen. Es erhielt den Namen das Musch. Das Musch trank nur dann, wenn sich ihm durch ein Räkeln der Mutter eine Zitze geradezu in das Mäulchen drängte. Die Anstrengung des Saugens war größer als der Gewinn, den es aus einem halbwegs gestillten Hunger zog: Das Musch öffnete schließlich die rosigen Lefzen auch bei erfolgter Berührung nicht mehr. Es sah nun aus wie eines dieser Fellbündel, die als Schlüsselanhänger dienen. Ich beschloß, den ›Mouton-Cadet‹ des Barons Philippe, den ich an diesem Abend zu meiner Lektüre trinken wollte, mit ihm zu teilen.

Das gewichtlose Musch in der einen, das Rotweinglas in der anderen Hand, setzte ich mich in den breiten Armsessel unter der Leselampe.

Ich badete meinen kleinen Finger in dem Rotwein und befeuchtete mit der nassen Fingerkuppe Muschs Nase. Eine Haaresbreite rosa Zunge wurde sichtbar, ein Tropfen blieb auf ihr hängen. Das Musch lag rücklings in meiner hohlen Hand wie in einem maßangefertigten Schaukelstuhl, die Augen fest zu Schlitzen verschlossen. Es ähnelte mehr der Skizze einer Katze als einer Katze selbst. Die Zungenspitze war nicht mehr zu sehen: Der Tropfen mußte die mikroskopischen Geschmacksknospen ganz hinten auf der rauhen Oberfläche der Zunge erreicht haben, denn in Muschs Gesicht war auf einmal eine Verwunderung zu lesen, die beim Menschen in der Regel mit hochgezogenen Brauen einhergeht. Bei dem Musch dagegen öffneten sich die Augen, und mir wurde unversehens, als wäre ein Zeltdach vom Sturm fortgerissen worden, Ausblick in den nachtblauen Himmel gewährt. So starb es.

Auslese

Im Kiesbelag des Vorhofes der Grundschule funkelten Bruchteile flachster Steinpartikel, so winzig, daß sie genaugenommen Partikelchen heißen müßten. Sie schmälerten mein Unglück in völligem Unverhältnis zu ihrer Größe. Ihretwegen ertrug ich das Essen aus Plastiknäpfen und das ganztägige Tragen von Schürzen mit Fassung.

Im Sommer, wenn die verhaßten, die Zehen zur Schau stellenden Sandalen Saison hatten, blieben manchmal einige dieser kleinen Steinchen unter den Fußsohlen haften; zu Hause las ich sie, im Badezimmer eingeschlossen, auf und verwahrte sie in einem eigens zu diesem Zweck entwendeten Umschlag, der den Stempel meines Vaters trug. Den strich ich durch und schrieb ich darüber.

Schwips

Unversehens kreuzen sich die Kondensstreifen mehrerer Flugzeuge am Himmel, derart, daß ein A entsteht.

Wäre es Sommer und gäbe es eine Wiese, auf der ich mich, einen Grashalm zwischen den Lippen, ausstrecken könnte, dann ließe sich behaupten: Die Lufthansa dichtet.

Nachlese

Ein paar Zeilen schönen Lichts

ohne Farbe – nichts

im Vergleich zu dem

Helldunkel der endenden Nacht –

aber doch

wiederholte Berührung.

Zu Recht

hält die Sprache

was sie anzettelt

im Zaum.

Destillieren/fermentieren

Einem Asthmatiker ist leidenschaftliches Lieben kaum möglich. Sogar zum Flüstern fehlt gelegentlich die Luft; selbst dann, wenn man so nah an der Ohrmuschel des anderen ist, daß man das Wort ohne zu atmen, atemlos im wahrsten Sinne, in den wartenden Gehörgang betten könnte.

Mag sein, daß mir aus diesem Grunde die Vorstellung unentbehrlich wurde, an der Wurzel gefaßt zu werden, wenn ich liebte. Ich weiß, das ist eine eher männliche Metapher – ganz zu Unrecht, denn Wurzeln sind schließlich unter der Erde. Aber Kurzatmigkeit macht erfinderisch, und so wuchsen für mich radix und reductio zusammen: zu einem Gewächs, das in der Etymologieflora nicht vorgesehen ist, sich daher seinen Lebensraum der Einfachheit halber gleich mit ausdenkt und diesen durch paradoxes Gedeihen behauptet. Paradox, weil Gedeihen bei dieser Pflanze nicht Ausbreitung, Wucherung bedeutet, sondern Einsparung, Streichung und Enthaltung.

Köstlich auf allen Vieren, deine Stöße wie knappe Botschaften, die Wirbelsäule gespannt aus Gier und Not: Dann ist die Lust nicht Überschwemmung, Maßlosigkeit und Ozean, sondern ein Lichtspan konzentrierter Energie. Ein Gedicht.

Einmal war ich so dumm, überwältigt von der Eindringlichkeit dieser radikalen, reduzierenden und daher atemraubenden Kraft mitten in meinem Leib, deinen Samen, der bei jener Gelegenheit in sanftem Bogen meinen Bauchnabel verfehlte und zum Beckenknochen rann, zu loben: Er sähe aus wie frisch gegorener Wein. »Federweißer also?« hast du, noch abwesend, gefragt und lächelnd hinzugesetzt: »So bin ich eben.«

Mitfahrgelegenheit

Wir hatten über die Mitfahrzentrale verabredet, uns auf dem Parkplatz des Getränkemarkts zu treffen. Ich hätte es wegen meiner schweren Tasche vorgezogen, abgeholt zu werden, aber die Stimme am anderen Ende der Leitung ermunterte mich nicht gerade, solche Extrawünsche zu äußern.

Am Abfahrtstag wurde es zum ersten Mal richtig heiß: Der Winter war übergangslos in Frühsommer gemündet, und ich schwitzte unter dem Gewicht meiner Jacke und der geschulterten Tasche. Kein roter Golf zu sehen; ich suchte mir einen schattigen Platz und setzte mich auf meine Tasche. Mit geschlossenen Augen genoß ich den leichten Wind und das luxuriöse Gefühl, Abkühlung zu brauchen.

»Fahren Sie mit mir nach Berlin?«

Ein schmächtiger, blonder Mann stand vor mir und schlenkerte mit dem Autoschlüssel. Seine Brillengläser waren trüb.

Ich stand auf, er ging auf ein gelbes Auto zu. »Sagten Sie nicht, Ihr Auto sei rot?«

»Nein«, antwortete er ohne weitere Erklärung, wandte sich dann aber lächelnd um und nahm die Tasche von meiner Schulter. Als er sie im Kofferraum verstaut hatte, setzte er sich auf den Beifahrersitz. »Fahren Sie bitte? Ich bin noch sehr müde.«

Ich nickte, zu verdutzt, um meinen Ärger angesichts all dieser Überraschungen zu äußern.

Er schlief ein, kaum daß wir auf der Autobahn waren, und ich schaute hin und wieder zu seinem blassen Profil und den roten Abdrücken, die die Brille auf seinem Nasenrücken hinterlassen hatte. Er trug Breitcordhosen und ein kariertes Flanellhemd – nicht gerade frühlingshaft, dachte ich.