Die alte Frau und das Weihnachtskind - Anja Zimmer - E-Book + Hörbuch

Die alte Frau und das Weihnachtskind E-Book und Hörbuch

Anja Zimmer

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Beschreibung

Eine einsame alte Frau, ein durchgefrorenes Kind und der schönste Advent aller Zeiten An einem Dezemberabend steht plötzlich ein völlig verwahrlostes Kind vor der Tür der alten Frau. Ganz erschrocken will sie schon die Tür schließen, aber dann lässt sie das Kind doch ein in ihr Haus. Zunächst kostet es sie Überwindung, aber schließlich kümmert sie sich mit immer mehr Liebe und Begeisterung um das Kind. - Und stellt fest, dass auch mit ihr eine leise aber mächtige Veränderung vorgeht... Ein Weihnachtsgeschichte über das innere Kind. Mit Federzeichnungen von MAF Räderscheidt

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Seitenzahl: 69

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Zeit:2 Std. 1 min

Sprecher:Anja Zimmer
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MAF Räderscheidt

Anja Zimmer

Die alte Frauund das Weihnachtskind

www.Frauenzimmer-Verlag.de

© Bilder: MAF Räderscheidt

© Text: Anja Zimmer

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Angelika Büscher

Umschlaggestaltung,

Satz und Layout Innenteil: Anja Zimmer

ISBN: 978 - 3 - 937013-71-8

Für die Genehmigung, einen Grünhainichener Engel abzudrucken, dankt der Verlag der Firma Wendt & Kühn sehr herzlich.

www.wendt-kuehn.de

Sei so gut zu dir, als hättest du einWeihnachtskind zu Besuch

Inhalt

Die alte Frau und das Weihnachtskind

Am Rande der Stadt, dort, wo der Wald mit all seinen Geheimnissen ganz nah ist, stand ein kleines Haus. Es war schon ein sehr altes Haus, mit einem Erker, Giebeln und grünen Fensterläden. Geißblatt wuchs nicht nur am Haus empor, sondern hatte auch den Staketenzaun erobert. Im Sommer duftete es hier wunderbar süß, aber im Winter, wo unsere Geschichte passiert ist, war davon nichts zu spüren.

Der Winter hat seinen eigenen Hauch von kalten Nebeln, die sich zwischen den Ästen der Bäume und Sträucher verfangen. Vom Raureif, der in der Morgensonne glitzert, und den abgestorbenen Blüten im Garten neues Leben verleiht. Vom Schrei der Amsel, der als Rauchwolke vor ihrem gelben Schnabel steht, wenn sie vermeldet, dass das Futterhäuschen schon wieder leer ist.

Jetzt im Winter war sogar das Moos zwischen den Pflastersteinen, die zum Haus hin führten, ein wenig fahl. Aus dem Schornstein stieg Rauch auf. Die alte Frau, die in dem Haus wohnte, hatte sich also ein Feuer im Kaminofen angemacht. Die Frau war schon sehr alt. Nicht ganz so alt wie das Haus, aber doch ziemlich alt. Sie ging schon etwas gebückt, musste sich dabei auf einen Stock stützen, und ihr Haarknoten im Nacken war so weiß wie der Schnee, der draußen fiel.

Vor vielen, vielen Jahren war es einmal blond gewesen, und sie hatte es gerne in offenen Locken getragen. Das war so lange vorbei, dass sie sich nur noch daran erinnern würde, wenn sie eines der alten Fotoalben hervorgeholt hätte.

Früher waren oft die Kinder aus der Nachbarschaft gekommen, um sie zu besuchen, denn sie hatte immer Zeit. Viel mehr als die Eltern der Kinder. Im Sommer pflückten die Kinder mit der alten Frau Erdbeeren, planschten an der Wasserpumpe oder spielten Verstecken zwischen den vielen Büschen und Bäumen. Im Winter aber buk die Frau mit ihnen Plätzchen, las ihnen Märchen vor, und vor langer Zeit, als sie es noch konnte, war sie sogar Schlitten mit ihnen gefahren. »Hexe« nannten die Nachbarn die alte Frau, aber sie sagten und meinten es sehr liebevoll. Mittlerweile waren die Nachbarskinder erwachsen geworden, fortgezogen in andere Städte, hatten selbst schon Kinder. Nun schauten die altgewordenen Eltern manchmal bei ihr vorbei, fragten, ob im Garten eine schwere Arbeit erledigt werden müsse, oder brachten ihr etwas aus der Stadt mit. Das waren meist Sachen aus der Apotheke. Alles andere, was sie selbst nicht im Garten hatte, holte die alte Frau in dem kleinen Laden vorn an der Ecke.

»Backen Sie denn auch mal wieder Plätzchen?«, fragten die Nachbarn in der Adventszeit. »Unsere Kinder erinnern sich so gerne an die Zeit bei Ihnen.«

Dann lag ein wehmütiges Lächeln auf dem Gesicht der alten Frau.

»Ach, für mich alleine muss ich nicht backen. Das bisschen, was ich an Plätzchen esse, kann ich mir auch vorne im Laden holen.« Das sagte sie zwar, aber sie tat es dann doch nicht. Entweder sie vergaß es, wenn sie im Laden stand. Oder, wenn sie im Laden daran dachte, dann kamen ihr gleichzeitig Gedanken wie: »Ach, für Plätzchen bin ich viel zu alt.« So lebte die alte Frau friedlich, aber auch ein wenig karg vor sich hin.

Und eines Abends, es war der erste Advent, veränderte sich plötzlich alles. Es war schon später Abend, ein eisiger Wind strich hungrig ums Haus, da klopfte es an der Tür. Die alte Frau hatte das Klopfen erst nicht gehört - so zaghaft war es, als entschuldige sich der Gast, dass er überhaupt hereinkommen wolle. Andererseits schien der Gast auch recht beharrlich zu sein, denn das Klopfen hörte nicht auf und schließlich erhob sich die alte Frau seufzend aus ihrem Sessel am Kamin, nahm ihren Stock und ging zur Tür. Sie öffnete die Tür, schaute hinaus in die kalte Finsternis, aber sah niemanden. Sie hatte natürlich mit einem erwachsenen Menschen gerechnet. Kein Kind würde zu dieser Uhrzeit und bei diesem Wetter noch unterwegs sein. Erst recht nicht alleine. Für einen Moment ließ sie ihren Blick durch ihren verschneiten Vorgarten schweifen, wo der Wind an den dürren Zweigen des Geißblatts zerrte.

Sie schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit, überhaupt an die Tür gegangen zu sein. Hatte ihr immer schwächer werdendes Gehör ihr einen Streich gespielt? Ach, nicht nur ihr Gehör wurde immer schlechter, auch ihre Augen, ihr Rücken und was alte Menschen sonst noch für Gebrechen haben können.

Sie schüttelte nicht nur den Kopf, sondern senkte auch den Blick, als schäme sie sich. Was sollten ihre Nachbarn denken? Die komische alte Frau steht spät abends in der Tür und schaut Löcher in die Luft!

Aber da sah sie das Kind. Und erschrak!

Ach, es sah erbarmungswürdig aus. Ganz klein und mager war es, das Haar struppig und fahl. Die Augen, die alt, und um viel zu viel Leid wissend, in dunklen Höhlen lagen, waren rotgeweint. Viel zu dünn war es angezogen. Das Kittelchen, das die Kleine trug, war zerrissen und schmutzig. Einen nackten Fuß hatte sie über den anderen gestellt, in dem sinnlosen Versuch, ihn ein wenig zu wärmen.

Trotz des kläglichen Zustandes erkannte die Frau doch, dass da ein kleines Mädchen vor ihr stand. Es mochte vielleicht vier Jahre alt sein, ein Jahr jünger oder älter, so genau konnte das die alte Frau nicht erkennen. Aber sollten Kinder in diesem Alter nicht rosige Pausbacken haben? Die Wangen dieses Kindes waren eingefallen und bleich. Als ein Zittern den kleinen Körper schüttelte, löste sich die Frau aus ihrer Schreckensstarre.

»Wer bist du?«, fragte sie fassungslos. Wie konnte ein so schäbiges Kind vor ihrer Tür stehen? Das konnte doch nur ein Zufall sein! Derart verlotterte Leute kannte sie überhaupt nicht. Wollte ihr da jemand dieses Kind unterschieben, weil sie früher so freundlich zu den Nachbarskindern gewesen war? Misstrauisch suchten ihre Augen die Straße hinauf und hinunter, auf der Suche nach einem ebenso verwahrlosten Erwachsenen, dem sie das Kind gleich zurückgeben würde. Doch die Straße war leer. Nur die nackten, im Schneegestöber verwehenden Fußstapfen des Kindes führten zu ihrer Tür. Also schaute die alte Frau wieder auf das Kind. Die Kleine schluchzte lautlos auf. So flehend blickte sie die alte Frau an, als könne sie ihre Gedanken lesen. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn im Gesicht der Frau spiegelte sich deutlich der Kampf, den Abscheu und Mitleid ausfochten. Schließlich gewann doch das Mitleid die Oberhand. Es kostete die Frau einige Überwindung, dem Kind ihre Hand hinzustrecken. Überrascht, als habe es mit so viel Güte nicht gerechnet, sah das Kind auf die abgearbeitete Hand, dann hinauf in das Gesicht, wo sich ein Lächeln an die Oberfläche gekämpft hatte. Die Kleine schluckte tapfer, als müsse sie nun all ihren Mut zusammennehmen. Zögernd legte sie ihre Hand in die Hand der Frau. Doch auch die Frau kostete es Mut, ihre Hand um das schmutzige Pfötchen zu schließen und das Kind mit sich hinein in ihr Haus zu ziehen.

Dort standen die beiden nun in der Diele unter der Milchglaslampe und blickten einander an. Die Frau spürte, dass das Kind ihre Hand gar nicht mehr loslassen wollte.

»Wer bist du?«, fragte sie noch einmal.

Die Kleine schaute sie erschrocken an, dann legte sich tiefe Trauer wie ein Mantel aus Blei über den kleinen Körper und sie sank in sich zusammen.

Kennst du mich denn gar nicht? Kannst du dich denn gar nicht an mich erinnern?, fragte ihr Blick enttäuscht. Die alte Frau schaute es an, dachte nach… War da nicht eine gewisse Ähnlichkeit mit… Nein, das konnte doch nicht sein. Sie atmete tief durch und beschloss, das Naheliegendste zu tun.

»Du bist ja ganz durchgefroren, meine Kleine! Am besten, du kommst mit ans Feuer und wärmst dich. Und Hunger hast du sicher auch.«