Die besten 3 Arztromane Februar 2023 - Thomas West - E-Book

Die besten 3 Arztromane Februar 2023 E-Book

Thomas West

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane Mord und Mobbing im Krankenhaus (Thomas West) Das Leben ist zu kostbar (Thomas West) Geschichten, die das Leben schrieb (Anna Martach) Rainer Hahn kann endlich die Kaserne verlassen. Bei einem Umtrunk mit seinen Kumpeln erfährt er, dass seine Tania einen Neuen hat. Voller Wut und betrunken rast er mit seinem Auto los. Der berühmte Trapezkünstler Salvatore Ikarelli ist die Hauptattraktion des Zirkus' Markos. Seine Frau Lisa jedoch ist besorgt, dass ihm etwas zustoßen könnte. Dr. Herbert Conrady findet in seinem Fach einen Erpresserbrief. Jemand hat beobachtet, dass er mit der jungen Carola vor einiger Zeit seine Frau Clara betrogen hat. Das wird sicher kein ruhiger Dienst im Krankenhaus für Frau Dr. Heinze.

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Thomas West, Anna Martach

Die besten 3 Arztromane Februar 2023

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Inhaltsverzeichnis

Die besten 3 Arztromane Februar 2023

Copyright

Mobbing und Mord im Krankenhaus

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Das Leben ist zu kostbar

Geschichten, die das Leben schreibt

Die besten 3 Arztromane Februar 2023

Thomas West, Anna Martach

Dieser Band enthält folgende Romane

Mord und Mobbing im Krankenhaus (Thomas West)

Das Leben ist zu kostbar (Thomas West)

Geschichten, die das Leben schrieb (Anna Martach)

Rainer Hahn kann endlich die Kaserne verlassen. Bei einem Umtrunk mit seinen Kumpeln erfährt er, dass seine Tania einen Neuen hat. Voller Wut und betrunken rast er mit seinem Auto los.

Der berühmte Trapezkünstler Salvatore Ikarelli ist die Hauptattraktion des Zirkus‘ Markos. Seine Frau Lisa jedoch ist besorgt, dass ihm etwas zustoßen könnte.

Dr. Herbert Conrady findet in seinem Fach einen Erpresserbrief. Jemand hat beobachtet, dass er mit der jungen Carola vor einiger Zeit seine Frau Clara betrogen hat.

Das wird sicher kein ruhiger Dienst im Krankenhaus für Frau Dr. Heinze.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Mobbing und Mord im Krankenhaus

Ärztin Alexandra Heinze

Arztroman von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 138 Taschenbuchseiten.

Die engagierte Ärztin Alexandra Heinze erlebt viele Schicksale hautnah mit: Kollegen, Mitarbeiter und Patienten im Krankenhaus sind weder vor Mobbing, noch vor Mordanschlägen sicher.

1

An den Reportern vorbei streckten sich Hände in das geräumige Badezimmer und reichten geöffnete Sektflaschen hinein. Steffen griff sich gleich drei davon, Thomas die zwei anderen. Gemeinsam leerten sie den schäumenden Sekt über die kaffeebraune nackte Frau in der Badewanne. Steffen hatte aufgehört die Flaschen zu zählen, die er in den letzten fünf Minuten in die Wanne geleert hatte. Zwölf waren es mindestens.

"Wow!" Nancy kreischte vor Vergnügen. Hinter den Journalisten im Flur klatschten die Partygäste Beifall. Das Blitzlichtgewitter brach los. "Wonderful!", tönte Nancy mit ihrer rauchigen Altstimme. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, schloss die Augen und hielt ihren geöffneten Mund in den Sektstrahl aus Thomas' Flasche. Ihr Mann grinste kopfschüttelnd. "Verrücktes Weib!"

Das Blitzlichtgewitter ebbte ab. "Baden Sie öfter in Sekt, Frau Belafonte?", rief einer der Reporter. Steffen kannte ihn. Er schrieb für ein Regenbogenblatt und stand oft vor Thomas' Haustür.

Nancy hustete, weil sie Sekt in den falschen Hals bekommen hatte und konnte nicht antworten. "Quatsch!", entgegnete Thomas barsch, während er ihr auf den braunen Rücken klatschte. "Es ist das erste Mal - einmalige Ereignisse müssen eben auf einmalige Weise gefeiert werden!"

"Stimmt es also doch, Herr Fried, dass Ihre Frau eine Hauptrolle in einem neuen Hollywoodfilm bekommen hat!?"

"Natürlich!" Nancy hatte sich beruhigt und Thomas streichelte zärtlich über ihre sekttriefenden Rastalocken.

"In was für einem Film? Wann beginnen die Dreharbeiten?" Die Männer und Frauen vor der Badezimmertür versuchten sich gegenseitig mit ihren Fragen zu übertönen. "Wie heißt der Regisseur? Fahren Sie und das Kind mit zu den Drehorten?"

Thomas hob beschwichtigend die Hände. "Moment, meine Damen und Herren, nicht alle auf einmal!" Er nickte Steffen zu und begann sich durch die Reporterhorde zu drängen. "Folgen Sie mir, ich lade Sie zu einem Glas Sekt ein. Dann können wir eine inoffizielle Pressekonferenz abhalten."

Steffen schob die Storyjäger mit ausgebreiteten Armen aus dem Badezimmer. Einige der Partygäste drängten sich johlend und lachend herein. Manche tauchten ihre Gläser in die Wanne. "Die trinken wir jetzt leer!", rief einer.

"Wie hast du deinen seriösen Gatten nur zu dieser verrückten Promotionnummer überreden können!?", wurde Nancy gefragt.

"War nicht schwer", lachte sie. Sie sprach mit rollendem, amerikanischen Akzent. "Ich bekomme fast alles von ihm, was ich will."

Schmunzelnd verließ Steffen das Bad. Einige Frauen warfen ihm vielversprechende Blicke zu. Er registrierte sie nur beiläufig. Der jungenhaft wirkende, achtundzwanzigjährige Mann mit dem dichten langen Blondschopf und den fast immer lachenden blauen Augen war es gewohnt, das Interesse der Frauen auf sich zu ziehen. Es berührte ihn nicht sonderlich. Steffen war ganz und gar uneitel. Außerdem meinte er, man müsse ihm ansehen, dass er so eine Art gescheiterte Existenz war.

Manchmal wunderte er sich sogar über seine Wirkung auf Frauen. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, ob er gut aussah oder gar erotisch wirkte, er fand sich einfach durchschnittlich.

Irgendjemand hatte die Haustür der Villa offen stehen lassen. Steffen fröstelte. Er ging in Tommis Zimmer, zog sein nasses T-Shirt aus und hängte es über das Gitterbett des schlafenden Babys. Nancys und Thomas' Sohn schien nichts mitzubekommen von dem Trubel im Haus seiner Eltern.

Steffen angelte sein abgewetztes Jackett von der Garderobe und zog es über seinen nackten Oberkörper. Die ersten Journalisten verließen wieder das Haus. Steffen betrat das riesige Wohnzimmer und fand seinen Freund Thomas immer noch umringt von Zeitungsleuten und Partygästen.

Ja, Thomas - der hatte es geschafft. Seit drei Jahren hatte er ein festes Engagement an einem renommierten Kölner Theater. Hier in Bonn genoss er einen guten Ruf als Schauspiellehrer. Sogar Politiker nahmen Unterricht bei ihm. Und nun war Nancy auch noch diese Hauptrolle angeboten worden.

Freilich - Thomas war zwanzig Jahre älter als Steffen. Und hatte sein halbes Leben lang hart für den Erfolg arbeiten müssen. Steffen seufzte. Ob er auch einmal von Journalisten umringt sein würde? Ob er auch einmal ohne diesen verdammten chronischen Geldmangel leben würde? Ob ihm das Glück auch einmal einfach so in den Schoß fallen würde wie Nancy, die erst Mitte zwanzig war?

Als die letzten Journalisten gegangen waren, kam Thomas zu ihm und legte den Arm um ihn. "Ich hasse diesen Rummel, aber Nancy war nicht abzubringen von ihrer Idee."

Steffen grinste. "Kann ich mir vorstellen. Gibt’s überhaupt etwas, was du ihr abschlagen würdest?"

"Ja." Thomas strich sich über sein langes, graues Haar, das er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden hatte. "Ich würde mir um ihretwillen keine Dauerwelle legen lassen."

Sie lachten. "Ich freu' mich für euch", Steffen nahm sich ein volles Glas vom Buffet, "ich freue mich über euren Erfolg."

Sie stießen an. "Ich weiß, Steffen", Thomas senkte die Stimme und sah sich um, "du bist einer der wenigen hier, der Nancy und mir den Erfolg gönnt." Ernst blickte er seinen jüngeren Freund an. "Und dabei hättest du ihn selbst so nötig."

Steffen zuckte mit den Schultern. "Wird schon noch kommen", er grinste den älteren an, "mit so einem Coach wie dir, muss doch was aus mir werden."

"Nancy hat Glück gehabt", Thomas ließ sich in einen freien Sessel fallen, "davon abgesehen, dass sie gut ist und sträflich schön, hat sie einfach Glück gehabt." Irgendjemand hatte einen Walzer aufgelegt. Einige Paare tanzten über den Teppich des riesigen Zimmers.

"Schau mich an", Thomas legte die Hand auf seine Brust, "ich habe einen ähnlich schrägen Lebenslauf wie du: Lastwagenfahrer, abgebrochenes Studium, abgebrochene Lehre, jahrelang kleine Rollen und nebenbei gejobbt", er winkte ab, "was habe ich nicht schon alles gemacht!" Er zog Steffen auf die Lehne des Sessels. Der blonde Mann setzte sich neben Thomas. "Mit der Schauspielerei ist es wie mit den anderen Künsten auch", eindringlich blickte Thomas Fried in die blauen Augen seines Freundes, "du musst mindestens zehn Jahre lang schuften wie ein Blöder, bevor du einigermaßen etabliert bist."

"Na dann habe ich ja noch einiges vor mir", Steffen bemerkte selbst die Resignation in seiner Stimme.

"Hast du die Rolle in Düsseldorf bekommen?", wollte Thomas wissen.

"Ich hätte sie bekommen", Steffen senkte den Blick, "aber durch den dämlichen Zivildienst bin ich vorläufig an diese Gegend gebunden." Steffen hatte darauf spekuliert, dass das >Bundesamt für den Zivildienst< ihn vergessen würde. Doch kaum hatte er sein Germanistikstudium hingeworfen, war auch schon der Einberufungsbescheid ins Haus geflattert. Seit zwei Monaten leistete er nun seinen Zivildienst im Marien-Krankenhaus ab. In der Krankenpflege.

Steffen sah auf die Uhr. "Schon zwei Uhr. Ich muss um sechs anfangen." Er stand auf. "Bleibt es bei Montag?" Thomas nickte. Er gab Steffen Privatunterricht. Auch die Schauspielschule hatte der junge Mann nicht abgeschlossen.

Vor der Haustür verabschiedeten sie sich. Die Aprilnacht war ungewöhnlich mild. "Wird schon werden!", rief Thomas ihm nach.

2

"Da ist es", Jupp Diederichs wies auf die winkende Gestalt an der nächtlichen Straßenecke. Die Frau trug einen Morgenmantel und Pantoffeln, die sie am Rennen hinderten.

"Hoffentlich stolpert sie nicht", brummte Ewald Zühlke mit besorgtem Blick auf die neben dem Notarztwagen herlaufende Frau. Jetzt blieb sie stehen und wies das Fahrzeug in die Garteneinfahrt eines großen Hauses.

"Scheinen bessere Leute zu sein." Zühlke hatte die Hand schon am Türgriff.

"Ein alter Mann mit Verdacht auf Herzinfarkt", sagte Alexandra Heinze, "wir sollten uns auf das Schlimmste gefasst machen." Jupp Diederichs gab die Ankunft am Einsatzort an die Leitstelle durch. Sie sprangen aus dem Fahrzeug. Atemlos stolperte die Frau im Morgenmantel in die Garteneinfahrt.

"Oben im in der ersten Etage", rief sie, "wo das Fenster erleuchtet ist." Die Notärztin und die Sanitäter stürmten durch die offenstehende Haustür.

Dann die Treppe hoch in das erleuchtete Zimmer. Trotz der Hektik nahm Alexandra wahr, dass es sich um ein ziemlich nobles Schlafzimmer handelte. Schwere dunkle Eichenmöbel verströmten eine feierliche Atmosphäre.

In dem einzigen, großen Bett lag ein alter Herr in blauem Seidenschlafanzug. Neben ihm - in Jogginghose und weißem Muskelshirt - saß ein etwa fünfzigjähriger Mann mit grauem Stoppelhaar. Der streichelte dem Alten zärtlich die Wange.

"Endlich!" Er sprang auf, als das Notarztteam zur Tür hereinkam. "Ich glaub', mein Vater stirbt!"

Alexandra beugte sich über den alten Herrn. Sein Augen waren geöffnet und er blickte seltsam verdreht nach links oben. "Wie heißt er?", fragte Alexandra knapp.

"Hieronymus Maurer", antwortete der Mann. Er war ziemlich dünn und mittelgroß. "Und ich bin Armin Maurer ..."

"Herr Maurer!", rief Alexandra den Alten an. "Herr Maurer, hören Sie mich?!" Ein schwaches Röcheln drang aus dem offenen Mund. Der rechte Mundwinkel hing seltsam schlaff herab. Alexandra hob den rechten Arm des Mannes und ließ ihn fallen. Wie leblos schlug er auf der Matratze auf.

Zühlke dachte an die gleiche Diagnose wie die Notärztin. Er hatte eben den Blutdruck gemessen. "260 zu 150", sagte er und zog die Bettdecke zurück. Ein dunkler, feuchter Fleck breitete sich auf dem Leintuch aus. Zühlke rümpfte die Nase. "Eingenässt und eingestuhlt", murmelte er. Ein eindeutiges Symptom.

"Herr Diederichs, die Trage!" Alexandra wandte sich an den Sohn des Kranken. "Würden Sie dem Sanitäter behilflich sein, die Trage zu holen, Herr Maurer? Ihr Vater muss sofort ins Krankenhaus. Er hat einen Schlaganfall." Maurer nickte und lief Diederichs hinterher.

Zühlke und die Notärztin spulten die in solchen Fällen nötigen Routinehandgriffe ab: EKG, venöser Zugang, Infusionen, Injektionen, um den bedrohlichen Bluthochdruck zu senken. Sie waren ein eingespieltes Team.

"War Ihr Mann Hypertoniker?", fragte Alexandra die Frau im Morgenmantel, die inzwischen auch das Zimmer betreten hatte.

"Ich bin die Haushälterin, Gundi heiß ich. Herr Maurer ist schon lange verwitwet", sagte sie hastig, "ja, mit dem Blutdruck, da hat er's schon seitdem er sechzig war."

"Wie alt ist er denn?", wollte Alexandra wissen.

"Vierundachtzig."

Der Sanitäter und die Notärztin warfen sich skeptische Blicke zu. Beide dachten dasselbe. Sie dachten daran, dass Maurer sen. in wenigen Minuten das letzte Mal sein Schlafzimmer verlassen würde. "Wahrscheinlich eine massive Hirnblutung", murmelte Alexandra.

"Aber er war rüstig, der Herr Maurer", erzählte Gundi. Sie mochte um die sechzig sein. "Jeden Tag hat er eines seiner Geschäfte in der Stadt und den umliegenden Ortschaften persönlich aufgesucht."

"Ist das etwa der Besitzer der Metzgereikette Maurer?", sagte Zühlke erstaunt.

"Aber ja doch", fast vorwurfsvoll klang Gundis Stimme. Offenbar ging sie davon aus, dass man den Chef der bekannten Metzgereikette sogar dann erkennen musste, wenn er halbtot in seinem Bett lag. "Und jeden Tag ist der Herr Maurer spazieren gegangen. Zusammen mit Armin." Die Haushälterin seufzte. "Überhaupt der Armin - wie der sich um seinen Vater gekümmert hat. Dabei ist er nur der Adoptivsohn. Immer war er da für ihn. Ganz anders als der Hermann." Ihre Stimme wurde plötzlich leiser und nahm einen eisigen Klang an.

"Wer ist Hermann?" Alexandra stand auf und hielt die Infusionsflasche hoch, während Ewald Zühlke den Venenkatheder mit Pflaster am Unterarm befestigte.

"Der Hermann ist Herrn Maurers leiblicher Sohn", Gundi flüsterte jetzt fast, "er ist der Geschäftsführer. Der Armin arbeitet nur als Metzger in einer der Filialen ..." Sie unterbrach sich, weil Maurer und Diederichs mit der Trage die Treppe hochkamen.

Sie säuberten den alten Herrn notdürftig und transportierten ihn in den Notarztwagen. Armin Maurer wich keinen Augenblick von der Trage. "Ich ziehe mich schnell um, dann komme ich mit Vaters Wagen ins Krankenhaus", sagte er, "mein Vater kommt doch sicher auf die Innere?"

Alexandra zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich zunächst einmal auf die Intensivstation." Der Mann wirkte schlicht. Er hatte nichts Geziertes oder Arrogantes an sich, eine ehrliche Haut. Irgendwie schien er Alexandra nicht in dieses herrschaftliche Haus zu passen.

3

Die junge Frau blieb einen Augenblick vor der großen Milchglastür mit der Aufschrift >OP< stehen. Hinter dieser Tür würde sie in den nächsten zwei Jahren wohl den größten Teil ihrer Arbeitszeit verbringen. Ihr Herz schlug schneller und ihr Hände wurden feucht. Es war eine Mischung aus Lampenfieber und Vorfreude.

Sie wandte sich ab und ging auf die beiden Türen neben dem OP-Trakt zu. >Dr. med. Albert Kranz, Chefarzt der Inneren Medizin<, stand auf dem Schild neben der ersten Tür. Zu dem wollte sie nicht. Auf dem Schild neben der nächsten Tür las sie den Namen des Mannes, mit dem sie das Bewerbungsgespräch geführt hatte: >Prof. Dr. med. Walter Streithuber, Klinikdirektor und Chefarzt der Chirurgie<. Sie klopfte.

Eine Frauenstimme rief sie hinein. Streithubers Sekretärin. "Ah, Sie sind Frau Pascal!" Die Sekretärin stand von ihrem Schreibtisch auf und ging auf die schwarzhaarige schlanke Frau zu. "Ich bin Therese Neumayr, Professor Streithubers Sekretärin", sie reichte ihr die Hand, "ich wünsche Ihnen einen guten Anfang in unserem Haus." Therese ging zurück zu ihrem Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. "Herr Professor, Frau Dr. Pascal ist da."

Die Sekretärin öffnete der Ärztin die lederverkleidete Tür zum Chefarztzimmer. "Bitte."

Der Professor legte sein Diktiergerät beiseite und setzte seine Brille auf. "Frau Pascal!" Er stand auf und kam ihr entgegen. "Willkommen in der besten Klinik der Stadt!" Er grinste schalkhaft und drückte seiner neuen Mitarbeiterin die Hand. "Und? Aufgeregt?"

"Ein bisschen", die Stimme der Ärztin klang etwas rauchig, "aber es wäre ja bedenklich, wenn ich nicht aufgeregt wäre."

"Genau", flötete der Professor und zog sich seinen Arztmantel über, "nur wer ein bisschen gestresst ist, wird sich schnell mit neuen Umständen vertraut machen." Er grinste wohlwollend. "Aber keine Angst, wir werden sie Schritt für Schritt in die Geheimnisse des Marien-Krankenhauses einführen."

Auf dem Weg zur chirurgischen Station trafen sie Alexandra Heinze. "Darf ich Ihnen unsere neue Kollegin vorstellen, Frau Heinze?" Er machte die beiden miteinander bekannt.

"Lena Pascal", die neue Ärztin musterte die Notärztin. Trotz ihrer braunen Augen lag etwas Kühles in ihrem Blick.

"Einen guten Start wünsche ich Ihnen", sagte Alexandra, während sie der Frau die Hand schüttelte. Sie war ein ganz anderer Frauentyp, als sie selbst: Dunkel, groß und eine eigenartige Distanziertheit ging von ihr aus.

"Frau Pascal wird bei uns ihren Facharzt machen", erklärte der Professor. Er führte sie ins Arztzimmer, machte sie mit Dr. Benrath, dem Stationsarzt, bekannt und stellte sie den anwesenden Schwestern vor.

"Sie laufen erst einmal mit, Frau Pascal. Ich habe mit dem Oberarzt vereinbart, dass Sie ihm am späten Vormittag bei einer Operation assistieren. Bis dahin können Sie Ihre Angelegenheiten auf der Verwaltung erledigen." Er winkte und verschwand im Treppenhaus.

Lena Pascal hatte ihn gleich bei ihrer ersten Begegnung gemocht. Er wirkte so offen und war ein warmherziger, fast väterlicher Typ. Sie atmete auf. Der Einstieg war gut gewesen. Nun war sie gespannt auf den Oberarzt. Er hatte einen guten Ruf als Operateur. Sie würde viel von ihm lernen können.

Die nächsten zwei Stunden wurde sie erst einmal von Rudolph Benrath unter die Fittiche genommen. Er zeigte ihr die Station und nahm sie mit auf die Visite. Gegen halb elf brachte er sie in den OP. Der Oberarzt stand bereits im Waschraum.

"Ich kann Ihnen leider nicht die Hand reichen", er hob bedauernd die von Desinfektionsmittel triefenden Hände über das Waschbecken, "aber es gilt auch so: Mein Name ist Höper, willkommen im Kollegenkreis."

Lena legte ihren Arztmantel ab und begann sich ebenfalls die Hände zu desinfizieren. "Haben Sie schon mal Varizen operiert?" Lena schüttelte den Kopf. "Na um so besser", immer wieder wanderten seine Augen zu der neuen Kollegin, "dann lernen Sie ja gleich etwas Neues. Sie schauen mir einfach auf die Finger, während ich die Krampfadern raushole und fragen mich Löcher in den Bauch."

Der Oberarzt drehte sich um und schrie in Richtung OP: "Verdammt, wo bleiben die Handschuhe?!" Eine Schwester, auf deren Namensschild Lena den Namen >Waltraud< las, brachte eilig eine sterile Trommel in den Waschraum und angelte ein paar Handschuhe heraus. Sie half Höper beim Anziehen.

Lena war der plötzliche Wechsel im Tonfall des Oberarztes nicht weiter aufgefallen. Sie stand noch ganz unter dem Eindruck der ersten Begegnung mit ihm. Und die war besser verlaufen, als sie gehofft hatte. Die interessierten Blicke des Mannes waren ihr nicht entgangen. Offenbar gefiel sie ihm. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie diesen Trumpf ausspielte.

4

Der Mann schlich über die abgedunkelte Bühne. Er trug hohe Lederstiefel, schwarze strumpfhosenartige Beinkleider und eine lange dunkelrote Bluse. Um seine Hüften baumelte ein Degen.

Vor der Kulisse mit dem schlossartigen Gebäude war eine Mauer angedeutet. Davor blieb der Mann stehen und sah sehnsüchtig hinüber auf das Gebäude.

"Kann ich von hinnen, da mein Herz hier bleibt?

Geh' frost'ge Erde, suche deine Sonne!"

Der Mann blickte lauernd um sich und stieg dann auf die Mauer.

"O.k.", rief eine Männerstimme aus dem Bühnenraum, "wirkt ganz gut von hier unten. Der Auftritt von Benvolio und Mercutio hat gestern schon gesessen." Das Licht flammte auf und erhellte die Bühne. "Wir machen morgen weiter. Mit der Begegnung von Romeo und Julia in

Capulets Garten."

Der Mann im Bühnenraum stand auf und ging auf die Bühne. "Und dass du mir bis dahin den Text kannst, Lars!" Mit der Rechten deutete er eine drohende Gebärde in Richtung des Degenträgers hinter der Mauer an.

"Was soll das heißen, Lukas", antwortete der gereizt, "bin ich schon mal hängen geblieben in den letzten Tagen?!"

Der Regisseur winkte beschwichtigend ab. Das Verhältnis zwischen ihm und Lars Corten war gespannt. Ständig kriegten sie sich in die Wolle.

Lukas Kramer inszenierte >Romeo und Julia< nicht zum ersten Mal. Er hatte sich für Corten als Romeo entschieden, weil er ein erfahrener Bühnenschauspieler war. Er war bereits fünfunddreißig Jahre alt, also eigentlich zu alt für die Rolle des Romeos. Allerdings sah er acht bis zehn Jahre jünger aus. Das hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Allerdings - und das war der Nachteil von Alter und Erfahrung - hatte er seine eigenen Vorstellungen. Jedenfalls hielt der ehrgeizige Regisseur das für einen Nachteil. Nun gut - er war schon mit starrköpfigeren Mimen fertig geworden.

Lars Corten saß vor dem Garderobenspiegel, als der Anruf kam. "Lars, Telefon!" Max, der Bühnentechniker streckte den Kopf in die Garderobe. "Am Apparat in der Werkstatt!"

"Kannst du's nicht in die Garderobe stellen?!" Lars bellte den Bühnentechniker an.

"O.k., o.k. - reg' dich ab, ich versuchs." Zwei Minuten später läutete das Telefon in der Garderobe. Lars nahm ab.

"Mein Name ist Engelhardt, können Sie sprechen?"

"Was wollen Sie?", knurrte Lars ungehalten.

"Ihnen eine Rolle in einer neuen Fernsehserie anbieten, die SAT 1 produzieren wird." Einen Augenblick stand Lars wie vom Donner gerührt. Kein Wort brachte er heraus. "Hallo? Herr Corten? Sind Sie noch dran?"

In den Spiegeln sah Lars die neugierigen Blicke der Kollegen. "Kann ich Sie zurückrufen?" Er notierte Name und Telefonnummer. Betont ruhig ging er zurück zu seinem Spiegel.

"Etwas Unangenehmes?", fragte Berlitz. Er spielte den Capulet.

"Weiß ich noch nicht. War mein Autohändler aus München, irgendwas mit dem bestellten Neuwagen haut nicht so hin, wie ich's mir vorstellte." Lars wohnte mit seiner Frau Marianne und seinen beiden kleinen Töchtern in München. Das Engagement für den Romeo hatte es ihm ermöglicht, einen BMW zu bestellen. Er wollte wenigstens einmal in der Woche nach Hause fahren während der Proben.

Nur mühsam gelang es ihm, seine Aufregung zu unterdrücken. Eine Rolle! In einer Serie! Lars Gedanken rotierten im Kreis. Das wäre der Durchbruch! Das wäre der langersehnte Sprung ins Fernsehen! Wie oft hatte er schon langweilige Nebenrollen angenommen, kurze Auftritte, die auch finanziell kaum erwähnenswert waren. Und jetzt das!

Viel schneller als sonst war er fertig. "Tschüss und bis morgen!", rief er.

"He, du hast's aber eilig heute!", rief Berlitz ihm nach. Lars kümmerte sich nicht darum. Er eilte in sein Hotel, das glücklicherweise in der Nähe des Theaters lag. Auf seinem Zimmer rief er diesen Engelhardt von SAT 1 an.

Es ging um eine neue Krimiserie im Vorabendprogramm. Engelhardt bot ihm eine der Hauptrollen an - den Assistenten des Kommissars. Das Honorar war schwindelerregend. Es sollte an den unterschiedlichsten Drehorten gedreht werden. Auch in verschiedenen europäischen Hauptstädten. Einmal sogar in Thailand. Die Dreharbeiten sollten im Winter beginnen. Lars sagte zu.

Danach schrie er laut und schlug einige Purzelbäume auf seinem Bett. Kurze Zeit später saß er an der Theke der Hotelbar und trank Sekt. Als nächstes würde er Marianne anrufen. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Ihm war klar, dass Marianne seine Begeisterung nicht teilen würde. Sie plädierte stark für eine Arbeit in der Nähe von München.

Lars bestellte ein zweites Glas Sekt. Er fürchtete das Gespräch mit Marianne. Hoffentlich macht sie mir nicht wieder eine Szene am Telefon, dachte er.

5

Es war Montag, der 4. Mai. Sein dritter Monat als Zivi begann. Steffen war das ganze Wochenende Taxi gefahren und war hundemüde, als er auf die Chirurgie kam. Zu spät wie meistens. Seine Kollegen waren schon im Stationszimmer versammelt und warteten auf die Übergabe der Frühschicht.

Hastig zog er sich um. Fünf Minuten später betrat er das Stationszimmer und wurde freundlich begrüßt. Steffen war es nicht schwer gefallen, sich an das Krankenhausmilieu zu gewöhnen. Er gehörte zu den Menschen, denen die Herzen der anderen ohne weiteres zuflogen. So war er auch auf der chirurgischen Station schnell ein bei allen Schwestern und Ärzten beliebter Mitarbeiter geworden.

Er lehnte an den Medischrank und versuchte, sich auf Schwester Beates Bericht zu konzentrieren. Sie machte die Übergabe für die Frühschicht. Es gab keine aufregenden Neuigkeiten, das OP-Programm war relativ schmal gewesen - der Nachmittag versprach, ruhig zu werden. Steffen gähnte. Eine Übergabe wie hundert andere zuvor auch. Trotzdem sollte er sie nie mehr vergessen.

Auf dem Gang wurden Schritte laut. Der Oberarzt betrat das Stationszimmer. Bei ihm war eine Ärztin, die Steffen noch nie gesehen hatte. "Sie machen gerade Übergabe?", tönte Dr. Höper. "Das trifft sich gut. Dann darf ich dem Personal von der Spätschicht gleich mal unsere neue Kollegin vorstellen." Fast stolz wies er auf die schwarzhaarige Frau neben sich. "Das ist Frau Dr. Pascal. Sie wird hier auf der Chirurgie Stationsdienst machen."

"Guten Tag", sagte die Frau. Ihre Stimme klang tief und rauchig. Sie war relativ groß und das dunkle dicht gewellte Haar umrahmte ein weiches sommersprossiges Gesicht. Sie trug es zu einem dicken Zopf geflochten. Die stark ausgeprägte Mundpartie verlieh ihrem Gesicht einen energischen Zug.

Steffen stand da und starrte sie an. Es war, als würde ein Blitz durch seine Brust zucken. Der Schrank, an den er lehnte, schien zu vibrieren, seine Knie wurden weich. Selbst die Lichtverhältnisse im Stationszimmer veränderten sich plötzlich. Jedenfalls hatte Steffen den Eindruck, als hätte jemand einen Vorhang geöffnet, um die Sonne hereinzulassen oder ein Licht angeschaltet. Doch weder hatten die Fenster in diesem Raum Vorhänge, noch brannte eine Lampe.

Von dem Rest der Übergabe bekam Steffen rein gar nichts mit. Er hatte nur noch Augen für die neue Ärztin. Dreimal trafen sich ihre Blicke. Beim dritten Mal runzelte die Frau ärgerlich die Stirn. Steffen versuchte, woanders hinzuschauen. Doch immer wieder wanderten seine Augen zurück zu ihr. Wie alt mochte sie sein? Wie hieß sie wohl mit Vornamen?

Irgendwann schlug ihm jemand auf die Schulter. "Auf gehts, Steffen", Ralf, ein Pfleger in seinem Alter, zog ihn aus dem Stationszimmer, "wir beide gehen Fieber messen und Tee verteilen.

Steffen zuckte zusammen und taumelte hinter Ralf her auf den Stationsgang. Die neue Ärztin und Dr. Höper blieben im Stationszimmer und unterhielten sich lachend. Das sah verdammt nach einem Flirt aus. Steffen warf einen scheuen Blick zurück.

Beim Fiebermessen fielen ihm dreimal das Gerät für die digitale Temperaturmessung aus der Hand. Jedes zweite Teeglas, das er füllte, schwappte auf dem Weg vom Teewagen zum Patientenbett über. Er tastete zwar den Puls und zählte die Herzschläge der Patienten, aber wenn er sich über den Kurvenwagen beugte, um die gemessene Herzfrequenz in die Verlaufskurve des Patienten einzutragen, hatte er den Wert bereits vergessen und schrieb irgendeine grobe Schätzung hin.

"Was ist los mit dir, Alter?" Halb scherzend, halb vorwurfsvoll sah ihn Ralf an. "Du benimmst dich, als hättest du das ganze Wochenende durch gesoffen."

Daran stimmte nur, dass Steffen sich tatsächlich wie betrunken fühlte. Aber erst, seitdem er die neue Ärztin gesehen hatte. Seine Gedanken kreisten nur noch um die Frau. Verdammt, das ist ja wie eine Krankheit, dachte er. Und als er sie gegen drei Uhr zusammen mit Höper die Station verlassen sah, loderte plötzlich die Eifersucht in ihm hoch.

Schweigsam saß er mit den anderen am Kaffeetisch. "He!" Assisa stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. "Bist du krank?" Sonst erzählte er von seinen Wochenenden, gab irgendwelche Anekdoten aus seinem bewegten Leben zum besten oder erheiterte die Kollegen durch irgendeinen Witz. Heute war er gar nicht anwesend. Ralf runzelte skeptisch die Stirn.

Der Rest des Tages rauschte wie ein Film an ihm vorbei. Das einzige, was er mit einigem Engagement zustande brachte, war das Erfinden von Vorwänden, um möglichst oft ins Stationszimmer zu gehen oder sich in der Nähe des Arztzimmers aufzuhalten. Doch er sah die Ärztin nur noch einmal: Um halb sechs, als sie die Station verließ, um nach Hause zu gehen.

Er wickelte gerade frisch gewaschenen Binden auf, die er auf einer Trage vor dem Stationszimmer ausgebreitet hatte. Sie kam aus dem Arztzimmer. Sie trug ein kurzes rotes Kleid und eine schwarze Lederjacke. Steffen schaute sie hingerissen an.

"Was starren Sie mich so an?", fragte die Ärztin barsch. Steffen sah, dass sie ein paar Jahre älter sein musste, als er selbst.

"Ich ... äh", schnell gewann er die Kontrolle über sich und lächelte sein strahlendstes Lächeln, "ich finde ihr Kleid sehr schön und ihre Jacke." Wenn sie auch nur für einen Moment zurück gelächelt hätte, hätte Steffen noch mehr gesagt. Und vielleicht zu viel. Doch ihr Gesicht blieb unbewegt und kühl. Grußlos verließ sie die Station.

Steffen ging mit der halb aufgerollten Binde in der Hand bis zur Stationstür. Er lauschte ihren Schritten auf der Treppe nach, bis sie verhallten. Schnell stürmte er ins nächstbeste zum Garten gelegene Patientenzimmer, fummelte einige Augenblicke an den Infusionen herum und trat dann ans Fenster.

Er sah sie durch den Krankenhausgarten gehen. Mit energischen Schritten eilte sie auf den Parkplatz zu. Oder wohnte sie im Personalwohnheim? Ob jemand auf sie wartete?

Bis zu diesem Tag hatte Steffen nicht geglaubt, dass es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gäbe. Er hatte es für romantisches Gerede gehalten. Und Steffen war alles andere, als ein Romantiker. Jetzt musste er seine Ansicht korrigieren. Ihm war, als wäre eine Macht über ihn hergefallen. Eine Macht, die stärker war als er selbst. Und die ihn fest im Griff hatte.

Er ging in die Patiententoilette, um eine Zigarette zu rauchen. Er stand vor dem geöffneten Fenster und blies den Rauch in die milde Abendluft. >Liebe auf den ersten Blick< ... wenn er die einschlägigen Romane und Filme mit diesem Motiv richtig verstanden hatte, handelte es sich meistens darum, dass sich zwei Menschen auf den ersten Blick ineinander verliebten. Und wenn er das Verhalten dieser unglaublich schönen Frau richtig deutete, schien sie von ihm eher genervt zu sein.

Er hielt die Kippe unter den laufenden Wasserhahn und warf sie in den Papierkorb. In diesem Augenblick beschloss er, die Liebe dieser Frau zu erobern - koste es, was es wolle. Danach hatte er das Gefühl eine Entscheidung getroffen zu haben, von der sein ganzes weiteres Leben abhing.

6

Die tiefen, röchelnden Atemzüge des bewusstlosen Mannes vermischten sich mit dem Piepsen des Monitors über seinem Bett. Aus den zahllosen Flaschen am Infusionsständer tropften Flüssigkeiten in die spindelartigen Verdickungen am Anfang der Infusionsschläuche. Armin Maurer saß neben dem Bett seines Vaters und hielt dessen leblose Hand. Sie fühlte sich heiß und trocken an. Müde und traurig betrachtete er das eingefallene Gesicht des Bewusstlosen. Seit vier Tagen lag der alte Mann in einem tiefen Koma.

Am Fußende des Bettes stand mit auf dem Rücken verschränkten Armen ein etwa fünfzigjähriger Mann in einem dunkelgrauen Anzug: Armins Bruder Hermann. "Ich konnte mich jetzt erst freimachen, ein Termin hat mal wieder den anderen gejagt." Fast unbeteiligt betrachtete er die medizinischen Geräte in dem Intensivzimmer: Die Monitoren, die Tropfenzähler, das Beatmungsgerät am Nachbarbett. "Ich muss auch gleich wieder gehen, sobald wir mit der Ärztin gesprochen haben", er nestelte am Knoten seiner Krawatte herum. "Und du, Armin", er räusperte sich, "du solltest auch wieder zur Arbeit gehen. Wir brauchen dich in der Filiale am Marktplatz."

"Aber einer muss doch bei Vater bleiben."

"Ach", Hermann Maurer winkte ab, "der ist doch bewusstlos. Was nützt es ihm da, wenn ständig einer bei ihm hockt."

Armin war davon überzeugt, dass er es dem Vater schuldig war, ihn in dieser schlimmen Situation nicht allein zu lassen. Er hatte ihn damals aus dem Waisenhaus geholt, drei Jahre alt war er gewesen, er hatte ihn aufgezogen, wie einen eigenen Sohn, er hatte dafür gesorgt, dass er einigermaßen glimpflich durch die schwierige Schulzeit gekommen war und hatte ihm eine Ausbildung als Metzger ermöglicht.

Ohne diesen Greisen hätte Armin nie erfahren, was das ist: Familie, Geborgenheit, Sicherheit und Liebe. So viele Erinnerungen waren ihm durch das Herz gezogen in den letzten Tagen hier am Krankenbett seines Adoptivvaters. So viele schöne Erinnerungen. Wie der Alte ihm die erste Angel geschenkt hatte zum Beispiel. Neun Jahre alt war er damals gewesen. Und wie oft hatte er ihn mitgenommen an die Flüsse und Seen. Seit seiner Jugend betrieb Armin den Angelsport mit großer Leidenschaft. An fast jedem Wochenende saß er an irgendeinem Fluss.

Gestern erst war ihm klar geworden, dass das Angeln mehr für ihn war, als nur ein schönes Hobby. Es war für ihn das Sinnbild für angenommen sein und geliebt sein, für die Freude darüber, dass er, das verlassene Waisenkind, wieder ein Zuhause, eine Familie und einen Vater gefunden hatte. Einen Vater, der ihm eine Angel geschenkt hatte.

Die Frau des alten Maurer, Armins Adoptivmutter, war gestorben als Armin zwölf war. Er hatte kaum Erinnerungen an sie. Sie hatte ihn wohl mehr versorgt als geliebt. Besonders, als sie wider Erwarten doch noch ein eigenes Kind bekommen hatte - eben Hermann - hatte Armin es nicht leicht bei ihr gehabt. Doch sein Adoptivvater hatte ihn genauso geliebt, wie Hermann. Nie hatte er einen Unterschied zwischen den beiden gemacht. Armin hing mit tiefer Dankbarkeit an ihm. Bis heute hatte er sein Leben mit dem alten Mann geteilt und war bei ihm im Haus geblieben.

Doch wie sollte er all das seinem Bruder erklären? Für den zählte nur Geld und Leistung. Einen Realisten nannte er sich. Und ihn, Armin, einen Träumer.

Armin seufzte nur. "Ich will ihn nicht allein lassen, weißt du? Ich kann doch meinen Urlaub nehmen ..."

"Aber Armin, das ist doch Blödsinn", Hermann Mauer wurde laut, "wem nützt denn das ..."

Die Tür ging auf und Dr. Richard Kallweit, der verantwortliche Arzt für die internistische Einheit der Intensiv-Station, schaute herein. "Die Oberärztin ist jetzt auf Station. Wollen Sie mitkommen?" Die beiden Brüder folgten dem Arzt. "Frau Dr. Keller wartet im Arztzimmer."

Lore Keller, Oberärztin der Inneren Medizin, begrüßte die beiden Männer und bot ihnen Plätze an. "Leider habe ich keine guten Nachrichten für Sie. Ihr Vater hat eine sehr massive Hirnblutung. Wenn ich noch sein hohes Alter in Betracht ziehe, muss ich Ihnen eine sehr ungünstige Prognose stellen."

Hermann blieb stumm. Sein Gesichtsausdruck verriet keinerlei Bewegung. Armin dagegen war blass geworden. Der Schreck über die Worte der Ärztin stand in seinen Augen. "Heißt das, dass unser Vater ...?" Die Stimme versagte ihm.

"Ja", sagte Lore Keller leise, "Sie müssen damit rechnen, dass er in den nächsten fünf bis sieben Tagen verstirbt." Eine Zeitlang herrschte bedrücktes Schweigen in dem kleinen Arztzimmer.

"Nun", Hermann Maurer räusperte sich, "das ist natürlich bitter. Aber auf der anderen Seite hat unser Vater ja ein hohes Alter erreicht. Und wenigstens bleibt es ihm erspart, lange zu leiden", unruhig blickte er seinen Bruder an, "oder gar ein Pflegefall zu werden."

Armin Maurer sagte nichts. Er stützte seine Stirn in die Hand und starrte stumm auf den dunklen Schreibtisch. "Wir werden ihren Vater morgen auf die internistische Normalstation verlegen", meldete sich Richard Kallweit zu Wort, "wir können hier nichts mehr für ihn tun."

Wenige Minuten später, auf dem Gang der Intensivstation, blieb Armin unschlüssig vor der offenen Tür zur internistischen Einheit stehen. Traurig schaute er durch das Glasfenster über dem Zentralcomputer auf das Bett seines Vaters. "Komm jetzt Armin", Hermann wandte sich ab, "ich nehme dich in meinem Wagen mit und setze dich zu Hause ab. Und morgen gehst du wieder zur Arbeit."

Armin schwieg. "Also komm", Hermann Maurer fasste seinen Bruder am Ärmel seiner abgewetzten Windjacke, "du kannst hier nichts mehr für Vater tun."

Armin machte sich los und ging auf das Zimmer seines Vaters zu. "Ich bleibe bei ihm."

"Das ist doch Quatsch ...!"

"Und ab morgen nehme ich Urlaub. Er soll nicht allein sterben." Er ging in das Krankenzimmer seines Vaters und schloss die Tür.

Unwillig schüttelte sein Bruder den Kopf. "Narr!" Ärgerlich verließ er die Intensivstation.

7

Lars Corten bestellte noch einen Cognac. Aus der Tasche seines Wildlederjackets kramte er ein Tablettenform-Beruhigungsmittel. Er schluckte eines der Dragées und zündete sich eine Zigarette an.

Die Proben waren eine einzige Katastrophe gewesen. Mit keiner einzigen Szene war Lukas Kramer zufrieden gewesen. Vor allem an Lars hatte er ständig herum gemäkelt. "Verdammter Perfektionist!", zischte Lars. Er goss den Cognac hinunter und bestellte gleich das nächste Glas.

Aber nicht wegen den nervenaufreibenden Proben war die Stimmung des Schauspielers auf dem Nullpunkt, sondern wegen Marianne, seiner Frau. Vorgestern Abend, als er ihr die aufregenden Neuigkeiten am Telefon erzählt hatte - begeistert und überzeugt von seiner Zukunft als Fernsehstar - war sie zunächst seltsam wortkarg geblieben. Und dann hatte sie ihm die befürchtete Szene gemacht.

Sie würde eine Wochenendbeziehung nicht länger ertragen, die Kinder bräuchten ihn, er hätte nur Ruhm und Geld im Kopf, er hätte ihr versprochen, sich in München um ein Engagement zu bemühen und so weiter.

Schließlich hatte sie ihm die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder die Rolle bei SAT 1 oder sie und die Kinder. Bis heute sollte er sich entscheiden. Dann hatte sie aufgelegt.

"So ein Blödsinn", murmelte er, "das ist die Chance für uns alle und die Kuh stellt sich quer!" Er war entschlossen, die Rolle anzunehmen. Außerdem hatte er ja schon zugesagt. Und er war entschlossen, Marianne zu überzeugen. Bisher war ihm das noch jedes mal gelungen.

Er trank seinen Cognac aus und ging in sein Zimmer hinauf. Er wählte ihre Nummer. "Corten?"

"Marianne, ich bin’s, Lars - wie geht’s euch?"

"Schön, dass du dich dafür interessierst", Mariannes Stimme klang kühl, "was ist mit der Rolle? Hast du abgesagt?"

"Marianne, ich bitte dich!" Lars wurde sofort laut. "Das kann doch nicht dein Ernst sein! Was glaubst du, was ich da verdiene?! Das ist die Chance für uns!"

"Wenn du das meinst, Lars, dann musst du zugreifen", Marianne blieb seltsam ruhig und kühl, "aber ich mache nicht mit. Ich habe eine andere Vorstellung von Partnerschaft. Ich will dir auch nicht im Wege stehen, wenn du unbedingt deine Karriere willst, dann werde ich eben mit den Kindern gehen."

"Also Marianne, jetzt spinn' doch nicht! Was du da tust, ist Erpressung, weißt du das eigentlich? Das lass ich mir nicht bieten..., Marianne?!"

Sie hatte aufgelegt. "Scheiße!" Lars fluchte. "Elende Zicke!" Wütend tigerte er im Hotelzimmer auf und ab. "Die spinnt doch!" Er versuchte, noch ein paar Mal anzurufen, aber seine Frau nahm nicht mehr ab.

Später saß er wieder an der Bar und trank Cognac. Düster brütete er vor sich hin. Er wollte die Rolle unter allen Umständen. Und er würde seine Zusage auf gar keinen Fall zurücknehmen! Aber er wollte auch Marianne und die Kinder. Wenigstens zwei oder dreimal im Monat jedenfalls. Er entschloss sich, am Wochenende nach München zu fahren und Marianne persönlich zu überzeugen.

8

Das Altenheim lag in einem Vorort. Die Oberschwester stand winkend vor dem Haupteingang. Alexandra kannte sie von früheren Einsätzen. Jupp Friederichs fuhr den Notarztwagen auf den angrenzenden Parkweg, während Ewald Zühlke schon die Tür öffnete.

Weniger als eine Minute später stürmten sie durch die offene Tür eines Zimmers auf der Altenpflegestation. In einem der beiden Betten lag eine unglaublich dicke alte Dame. "Frau Braun", stellte die Oberschwester sie vor.

"Frau Braun?" Alexandra sprach sie an. Keine Reaktion. "Frau Braun!" Die Frau schien, tief bewusstlos zu sein. Ihre langsamen Atemzüge waren auffallend tief.

"Sie ist Diabetikerin", erklärte die Oberschwester. Mit ängstlichem Gesicht beobachtete sie, wie Ewald Zühlke die Blutdruckmanschette anlegte und Alexandra Heinze die Unterarmvene punktierte. Jupp Friederichs kramte ein Röhrchen aus dem Notfallkoffer und entnahm ihm einen schmalen weißen Plastikstreifen. Er hielt ihn unter die Nadel, die Alexandra in die Vene eingeführt hatte und die Notärztin ließ einen Blutstropfen auf die markierten Felder an der Spitze des Streifens tropfen. Alles ging ohne Worte vor sich.

Friederichs wartete eine Minute, dann wischte er den Blutstropfen ab und steckte ihn nach einer weiteren Minute in einen kleinen flachen Apparat, den er ebenfalls dem Notfallkoffer entnahm. "Siebenhundertfünfzig", staunte er.

Die Oberschwester schlug die Hände über dem Kopf zusammen. "Soviel?!"

Alexandra musterte sie kritisch. "Der Blutzucker ist ja extrem hoch! Die Frau liegt in einem diabetischen Koma. Wie viel Insulin bekommt sie denn?"

"Dreimal zwölf Einheiten."

"Und hat sie die heute morgen bekommen?"

"Ja selbstverständlich!" Die Oberschwester wurde unsicher. "Das hoffe ich doch ..." Sie rannte hinaus.

Alexandra spritzte der Frau eine hohe Dosis Insulin in die Vene. "Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Würden Sie die Trage holen? Sie muss auf jeden Fall auf die Intensivstation." Zühlke und Friederichs verließen das Zimmer.

Kurz darauf stand die Oberschwester im Türrahmen. In der Hand hielt sie eine dünne Einmalspritze. Sie machte ein betretenes Gesicht. "Der Altenpfleger, der Frau Braun betreut, ist überraschend krank geworden und die Aushilfskraft hat das Insulin vergessen", sagte sie schuldbewusst.

Alexandra antwortete nichts. Auf dem Nachttisch der Frau entdeckte sie Schokoladenpapier. Sie hob es wortlos hoch. Mit gerunzelter Stirn zeigte sie es der Oberschwester. Die biss sich auf die Unterlippe.

Friederichs und Zühlke brachten die Trage. Zu dritt hievten sie die übergewichtige Frau aus ihrem Bett. Die Schwester hielt die Beine fest, Friederichs das Gesäß und Zühlke den Oberkörper. Sie ließen die Bewusstlose gerade auf die Trage nieder, als Ewald Miehle laut aufschrie. "Ah!" Er ließ die Frau los. Zusammenkrümmt und wie erstarrt stand er neben der Trage und schrie. "Mein Rücken! Verdammt, mein Rücken!" Langsam ließ er sich auf den Fußboden sinken.

Alexandra eilte zu ihm. Er konnte kaum atmen vor Schmerzen. Leichenblass war er und kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. "Mein Rücken! Ich kann mich nicht bewegen!" Alexandra untersuchte ihn vorsichtig.

"Wahrscheinlich ein Bandscheibenvorfall", sagte Friederichs heiser, "bei meinem Vater ging das genauso ab." Zühlke stöhnte und jammerte vor Schmerzen.

"Schnell, fordern sie einen Rettungswagen an!", wies Alexandra ihren Fahrer an. "Die sollen die Frau in die Klinik transportieren. Da muss kein Arzt dabei sein. Das Insulin wird bald seine Wirkung zeigen." Friederichs sprang zur Tür. "Und bringen Sie die Vakuummatratze mit!"

Alexandra stand der Schreck über Zühlkes Zusammenbruch im Gesicht geschrieben. Auch sie war aschfahl geworden. "Ich halt's nicht aus!", schrie Zühlke. "Ich halt's nicht aus!" Es waren nicht viele akute Bandscheibenvorfälle, die Alexandra bisher zu Gesicht bekommen hatte. Aber die wenigen reichten aus, um sie zu der Schatulle mit den Morphinen greifen zu lassen. Sie wusste, dass diese Art der Schmerzen unerträglich war. Sie zog eine Ampulle Morphium auf, legte auch ihrem Sanitäter einen venösen Zugang und spritzte ihm langsam das starke Schmerzmittel.

Der zweite Rettungswagen traf schon fünf Minuten später ein. Der Blutzuckerwert der alten Dame war inzwischen deutlich gesunken. Die beiden Sanitäter halfen mit, den leicht betäubten Zühlke auf die Vakuummatratze zu legen und ihn in den Notarztwagen zu tragen.

Wenig später saß Alexandra neben ihm im Heck des Wagens. Er stöhnte leise vor sich hin. "Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass ich mal in dieser Position hier liege", flüsterte er.

9

Der dritte Tag war vorbei. Lena hängte ihren Arztmantel in den Schrank und zog sich ihre Jacke über. Sie war zufrieden. Ihr Einstieg in ihre neue Arbeit war geglückt. Besser hätte es gar nicht laufen können. Die Kollegen waren nett, mit den Schwestern ließ sich auskommen, der Chefarzt entsprach ganz dem guten ersten Eindruck, den sie während des Vorstellungsgespräches von ihm gewonnen hatte. Und der Oberarzt schien sich sogar ein wenig in sie verguckt zu haben.

Lena hing sich ihren Lederbeutel um die Schulter und schloss den Schrank. Jemand klopfte an die Tür. "Ja, bitte?"

Dr. Höper kam herein. "Ah, Frau Pascal, Sie brechen schon auf. Gut, dass ich sie noch erwische. Er lächelte charmant. "Darf ich Ihnen schnell noch Ihre Arbeit für morgen vorstellen?" Er knipste den Wandschirm an und heftete zwei Röntgenbilder an die erleuchtete Milchglasfläche. "Eine komplizierte Unterschenkelfraktur. Typische Verletzung nach einem Unfall mit Inlineskates." Er deutete auf eine Stelle knapp eine Handbreit über dem Knöchel. "Torsionsfraktur. Die zersplitterten Bruchstellen sind schön zu erkennen, sehen Sie mal."

Lena betrachtete die Aufnahme. "Wer operiert?"

"Herr Meurer", Höper strahlte sie an. Er schien bestens gelaunt. "Ich dachte, sie assistieren."

Lena nickte. "Einverstanden."

Der Oberarzt schaltete die Bildlampe aus. "Gut. Und morgen früh nehme ich Sie mit auf die Visite." Er steckte die Röntgenbilder zurück in ein großes, braunes Kuvert. "Und? Wie fühlen Sie sich an Ihrem neuen Arbeitsplatz?"

"Bestens, vielen Dank."

"Das merkt man Ihnen an. Und die fremde Stadt? Kommen Sie zurecht?"

"Ich wohne ja erst eine Woche hier", sagte Lena, "aber ich denke schon. Die Stadt erinnert mich in vielem an Münster." Lena hatte zuvor an der Uniklinik Münster gearbeitet.

"Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen am Wochenende ein wenig die Stadt zeige", erwartungsvoll sah der Oberarzt sie an, "ich habe am Samstagabend zufällig ein bisschen Zeit und würde mich sehr freuen, wenn ich Sie überreden könnte, mit mir essen zu gehen." Wieder sein äußerst charmantes Lächeln.

"Warum nicht?", rutschte es Lena heraus. Sofort wurde sie unsicher. Was hatte der Mann im Sinn? "Oder halt", winkte sie ab, "am Wochenende wollte mich ja mein Bruder besuchen." Das stimmte wirklich. Lenas jüngerer Bruder studierte in Köln Journalistik. "Aber meistens überlegt er es sich im letzten Augenblick anders. Ich werde ihn heute Abend mal anrufen. Wenn er seinen Besuch bei mir storniert, hätte ich Zeit."

"Gut", sagte Höper, "dann sagen Sie mir morgen Bescheid. Abgemacht?"

"Abgemacht." Höper verabschiedete sich und verließ das Arztzimmer. Lena ließ sich in einen der Bürosessel sinken. "Huch, geht das schnell." Die Einladung des Oberarztes kam doch ziemlich überraschend für sie. Auf der einen Seite fühlte sie sich in ihrem weiblichen Stolz bestätigt. Sie fand es einfach schön, wenn jemand so offenkundiges Interesse an ihr zeigte. Sie genoss es sogar. Ihre Wirkung auf Männer hatte sie oft genug erprobt und ausgespielt.

Andererseits war ihr ein wenig mulmig zumute. Das waren fast zu viel Schritte auf einmal. Nun gut - vielleicht blieb ihr Bruder ja bei seinem versprochenen Besuch, dann konnte sie dem Oberarzt gegenüber besten Gewissens einen Rückzieher machen. Und wenn nicht...

Sie dachte den Gedanken nicht zu Ende. Es war ihre Art, die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen. Soweit es ihr Privatleben betraf jedenfalls.

Lena verließ das Arztzimmer. Während sie die Tür abschloss, beschlich sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie sah auf und entdeckte den Zivi am anderen Ende des Stationsganges. Er begleitete einen älteren Patienten bei seinen ersten Gehversuchen an Krücken. Aber statt den Patienten im Auge zu behalten, sah er ungeniert zu ihr. Jetzt grinste er sogar. Lena wandte sich ab und steuerte das Treppenhaus an. Dieser Typ war ihr schon am ersten Tag aufgefallen. Er hatte sie angeglotzt, als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Auch gestern und vorgestern war sie ihm begegnet. Auffallend oft sogar, wenn sie es recht bedachte.

Während sie die Treppen heruntereilte, fiel ihr auf, dass der blonde Zivi der einzige Mitarbeiter auf der Chirurgie war, mit dem sie noch keine zwei Sätze gesprochen hatte. "Warum auch", dachte sie, "ich muss ja schließlich nicht mit jedem dahergelaufenen Hilfspfleger quatschen."

10

"Tschüss, alter Junge - ich werd' dich vermissen." Jupp Friederichs schob die Trage mit seinem Kollegen Ewald Zühlke auf den Hubschrauberlandeplatz.

Zühlke versuchte zu grinsen. "Du kannst ja noch besser lügen als ich dachte", sagte er müde.

Alexandra, die die Trage zog, sah ihren Sanitäter mitleidig an. "Ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Zühlke, werden Sie bald wieder gesund."

"Klar doch, Frau Doktor, Unkraut vergeht nicht." Sie rollten die Trage auf den Hubschrauber zu. Die Besatzung schob den Sanitäter in das Heck der Maschine. Das hämmernde Geräusch der Rotoren verstärkte sich. Alexandra Heinze und Jupp Friederichs rannten an den Rand des Hubschrauberlandeplatzes. Alexandra hielt sich mit beiden Händen ihr Haar fest, das im Luftzug der rotierenden Rotoren flatterte. Die Maschine hob ab und stieg in den blauen Himmel des Maiabends. Sie schauten ihr nach, bis nur noch ein schwarzer Punkte zu sehen war.

Der Röntgenbefund von Zühlkes Wirbelsäule hätte nicht eindeutiger ausfallen können: Bandscheibenvorfall des fünften Lendenwirbels. Der Sanitäter wurde nun in eine Kölner Klinik geflogen, an der erfahrene Orthopäden sich um seine Wirbelsäule kümmern würden. Wenn er Pech hatte, mit dem Skalpell. Wie auch immer - Alexandras' Notarztteam war von jetzt auf nun um ein Drittel reduziert.

"Und?" Alexandra wandte sich an Friederichs. "Was sprechen die Häuptlinge des Roten Kreuzes?"

"Für den Rest der Woche können sie einen Mann abstellen." Friederichs blickte auf die Uhr. "Er muss jeden Moment hier sein." Sie wandten sich dem Eingang der Klinik zu. "Aber ab nächste Woche sieht es mau aus. Das DRK hat absolut kein Personal übrig."

"Vielleicht rufen wir mal das Bundeswehrkrankenhaus an."

"Da habe ich wenig Hoffnung, Frau Doktor", Friederichs hielt der Ärztin die Tür auf, "die haben in der Regel keinen Mann zu viel."

"Und die Feuerwehr?"

"Die werde ich heute Abend noch anrufen."

"Und ich telefoniere mit der Oberschwester", sagte Alexandra, "vielleicht hat die eine Idee."

Vor dem Bereitschaftszimmer wartete bereits der Ersatzmann, den die Rettungsleitstelle aushilfsweise zur Verfügung stellte. Ein junger Mann, den Alexandra erst zwei, dreimal gesehen hatte. Er schien ganz dankbar zu sein für die Abwechslung.

Prompt ging ein Notruf von der Leitstelle ein und der Neue musste sich gleich bewähren. Er verstand zwar sein Handwerk, aber Alexandra vermisste die eingespielte Zusammenarbeit mit Ewald Zühlke. Zwischen ihm und ihr reichte meistens ein Blick, um sich zu verständigen.

Erst gegen Abend kam Alexandra dazu, mit der Oberschwester Kontakt aufzunehmen. Bettina Eilers war nicht mehr in ihrem Büro und die Notärztin rief sie zu Hause an. "Ich bin gerade im Begriff, ins Theater zu gehen, Frau Dr. Heinze. Fünf Minuten später und Sie hätten mich nicht mehr erwischt. Wo brennt's denn?"

"In meinem Notarztteam. Herr Zühlke ist ausgefallen." Alexandra schilderte die Ereignisse des Nachmittags. "Bis zum Wochenende kommen wir klar, aber spätestens ab Samstag brauchen wir dringend einen dritten Mann."

Sie überlegten hin und her. "Wissen Sie was, Frau Dr. Heinze? Ich komme mal eben rüber, ich glaub' ich habe da eine Idee. Ich müsste aber einen Blick in eine Personalakte werfen."

"Sie wollten doch ins Theater gehen."

"Ach, das kann ich morgen noch - der Dienst geht vor." Eine Viertelstunde später saß Alexandra ihr gegenüber im Büro der Pflegedienstleitung. Bettina Eilers blätterte in einer Personalakte. "Ah, wusste ich's doch", rief sie plötzlich aus, "dieser Zivi hier", sie hob die Akte hoch, "der hat schon alles Mögliche gemacht. Und vor vier Jahren glücklicherweise auch eine Ausbildung zum Rettungssanitäter."

Alexandra runzelte die Stirn. "Zivi? Hat der denn Berufserfahrung?"

"Nun, zumindest hat er die letzten Jahre immer wieder beim Roten Kreuz gejobbt", die Oberschwester beugte sich über die Papiere, "notfalls könnte man ihn auch als Fahrer einsetzen. Er hat den Führerschein Klasse zwei und fährt manchmal Taxi, hat also einen Personenbeförderungsschein." Sie strahlte die Notärztin an. "Dann könnte Herr Friederichs seinen Kollegen als Sani vertreten."

"Da wird der nicht so begeistert sein", wandte Alexandra ein, "wie alt ist denn dieser Zivi?"

"Achtundzwanzig", Bettina Eilers schlug die Akte zu und sah auf die Uhr, "schade - er hat seit einer halben Stunde Feierabend, wir werden ihn nicht mehr erwischen. Morgen arbeitet er in der Spätschicht. Ich werde mit ihm sprechen."

11

Die Übergabe war vorbei, Steffen klapperte die Patientenzimmer ab: Tee verteilen, Fieber messen, Puls fühlen und ähnlichen Routinekram. Manchmal lehnte er sich innerlich gegen diese Arbeit auf. Es war ganz und gar nicht das, was er tun wollte. Er war Schauspieler und er wollte auf der Bühne stehen. Doch die Zeit, die er in dieser Klinik abstottern musste, war zu übersehen. Irgendwie würde er sie hinter sich bringen.

Im Moment war er sogar froh, hier zu sein. Nicht der Arbeit wegen. Ihretwegen. Jedes Mal, wenn er aus einem Patientenzimmer trat, um Temperatur und Pulsfrequenz in die Kurven einzutragen, wanderte sein Blick zum Arztzimmer. Doch bis jetzt hatte sich die neue Ärztin noch nicht blicken lassen.

Er war gerade dabei, einen Patienten auf den Topf zu setzen, als die Oberschwester ihren Kopf ins Zimmer streckte. "Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Herr Bäumer?" Sie gingen miteinander in das Dienstzimmer und die Oberschwester unterbreitete ihm die Versetzungspläne.

Seine erste Reaktion war Begeisterung. Die Arbeit im Notarztteam würde aufregend und abwechslungsreich sein. Doch sofort fiel ihm die Schattenseite dieses Wechsels ein. "Ich weiß nicht recht...", murmelte Steffen und dachte an die neue Ärztin. Er würde kaum noch Gelegenheit haben, sie zu sehen.

"Aber Sie haben doch eine Ausbildung und Berufserfahrung haben Sie auch", für die Oberschwester schien seine Versetzung schon eine beschlossene Sache zu sein. Als Zivi hatte er schlechte Karten.

"Schon ...", krampfhaft suchte er nach einer Ausrede. Es fiel ihm keine ein.

"Na also", die Oberschwester strahlte, "machen Sie am Freitag frei und fangen Sie am Samstagmorgen auf dem Notarztwagen an, o.k.?" Was blieb ihm übrig? Steffen nickte.

Mit sehr gemischten Gefühlen schob er später den Kurvenwagen ins Dienstzimmer zurück. Er musste irgendwie an diese Frau herankommen, er musste. Und er würde Wege finden. Auch dann, wenn er da unten im Bereitschaftszimmer des Notarztteams saß.

Er rollte den Wagen über die Schwelle zum Dienstzimmer. Plötzlich machte sein Herz einen Sprung: Lena Pascal saß am Schreibtisch und telefonierte. Mit dem Labor offensichtlich. Er versuchte, sie anzulächeln, doch sie schien nicht einmal Notiz von ihm zu nehmen. Er schob den Wagen an seinen Platz, holte einige Kurven heraus und begann, sie intensiv zu studieren. Jedenfalls tat er so. Unter keinen Umständen würde er diesen Raum verlassen, bevor er nicht ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte. Und wenn er über das Wetter reden musste.

"Und?", begann er seinen ersten Anlauf nachdem sie aufgelegt hatte, "wie gefällt's Ihnen bei uns?"

"Nicht schlecht", antwortete Lena Pascal und vertiefte sich in einige Zettel mit Laborwerten.

"Sie sind nicht von hier, oder?" Steffen wandte sich der Ärztin zu. Enttäuscht musste er registrieren, dass Sie scheinbar nicht das geringste Interesse an einer Unterhaltung mit ihm hatte. Mehr als ein kühles >Nein< brachte sie nicht über die Lippen. Trotzdem gab er sich einen Ruck und erzählte einfach von sich.

"Ich bin auch erst seit drei Monaten im Haus. Dummerweise hat mich das Bundesamt nicht vergessen. Vor ein paar Jahren war ich schon einmal in der Branche...", er versuchte, so locker wie möglich zu klingen, "wollt' mal Krankenpfleger werden. Als Sani hab' ich auch schon gearbeitet. Ganz fremd fühle ich mich also nicht unter all den weißen Kitteln." Sie reagierte überhaupt nicht, stellte nicht einmal höflichkeitshalber eine Frage, sie saß einfach nur mit zusammengezogenen Schultern da, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen."

Steffen wurde ärgerlich. "Sind Sie immer so gesprächig?"

Wenn sie überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken. "Selten", sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

"Haben Sie grundsätzlich was gegen Krankenpflegepersonal, oder liegts an mir?"

"Kann sein."

"Schade", Steffen wurde schnippisch, "Sie gefallen mir nämlich verdammt gut." Sie fuhr herum und sah ihn halb erstaunt, halb unwillig an. In dem Moment kam Dr. Höper herein.

"Hallo, Frau Pascal, wie stehen die Aktien hier?"

Sie schluckte, warf Steffen noch einen kurzen wütenden Blick zu und lächelte dann den Oberarzt an. "Keine nennenswerten Probleme." Steffen packte die Kurven zusammen und verließ das Dienstzimmer.

"Und am Wochenende?", hörte er den Oberarzt sagen, als er schon draußen war. Er blieb stehen und lauschte. "Kommt Ihr Bruder oder haben Sie Zeit für mich?"

"Er hat mich versetzt - ich kann Ihre Einladung annehmen." Steffen hielt die Luft an. "Nicht nur arrogant, sondern auch noch naiv", zischte er. Trotzdem er erst drei Monate in der Klinik arbeitete, hatte er schon zweimal erlebt, dass eine Schwester bzw. eine Ärztin sich mit Höper eingelassen hatte. Er konnte solche Frauen nicht einmal bedauern. Wer sich von diesem unangenehmen Schnösel umgarnen ließ, dessen Aufreißermentalität doch jedem ins Auge springen musste, der war selbst Schuld. So dachte Steffen über den Oberarzt und seine Frauengeschichten.

Aber dass nun ausgerechnet diese Ärztin auf ihn hereinfallen musste... Sollte er sich so in ihr getäuscht haben?

Steffens Stimmung sank auf den Nullpunkt. Wieder saß er schweigend am Kaffeetisch. Nicht mal von der bevorstehenden Versetzung wollte er sprechen. Sein Kollege Ralf musterte ihn besorgt. Nach der Kaffeepause, als sie zu zweit zum Betten machen unterwegs waren, legte er Steffen die Hand auf die Schulter. "Irgendwas ist faul. Ist es etwas Schlimmes?"

"Schlimmer hätt's nicht kommen können - mich hat's erwischt..."

12

"Läuft doch ganz gut, Lars", Kramer war versöhnlich gestimmt und reichte Lars zum Abschied sogar die Hand, "erhol' dich ein bisschen am Wochenende, siehst kaputt aus. Stimmt irgendetwas nicht?"

"Nein, nein", wehrte Lars ab, etwas zu heftig, wie Lukas Kramer fand, "alles o.k., bin nur ein wenig nervös, weil ich gleich nach München fliege."

Das wenigstens stimmte. Um 19.24 Uhr ging sein Flugzeug vom Köln-Bonner Flughafen aus. In Ordnung allerdings war nicht mehr viel bei Lars Corten: Er schlief schlecht, fühlte sich abgeschlagen und unruhig und trank zu viel. Dass er Marianne nicht mehr erreichen konnte, machte alles nur noch schlimmer. Außerdem plagten ihn seit ein paar Tagen Herzbeschwerden.

Mit finsterer Miene ging er eine dreiviertel Stunde später nervös auf dem Bahnsteig auf und ab. "Ich kann nicht mehr", drängte eine innere Stimme sich ihm auf, "es ist alles zu viel für mich." Er schob sie beiseite. Später, im Zug, nahm er zwei Beruhigungsdragées.

Er war wütend auf Marianne, sehr wütend. Unglaublich, ihn so unter Druck zu setzen! Wahrscheinlich hatte sie das Telefon ausgestöpselt, um ihn schmoren zu lassen. Na warte! Diesmal würde er ihr eine Szene machen...

In München fuhr er mit dem Taxi vom Flughafen nach Ottobrunn, wo das Haus stand, das sie gemietet hatten. Oder besser: Das Marianne und die Kinder gemietet hatten. Er selbst wohnte relativ selten dort. Er bezahlte den Taxifahrer und schritt mit einem mulmigen Gefühl im Bauch über den Kiesweg durch den Garten auf die Haustür zu.

Er klingelte. Niemand öffnete. Er durchwühlte die Taschen seines Trenchcoats. Endlich fand er den Haustürschlüssel. Ein paar Sekunden blieb er auf der Schwelle der geöffneten Haustür stehen. Aus dem Flur wehte ihm eine merkwürdige Atmosphäre entgegen: Die stumme Verlassenheit unbewohnter Häuser.

"Marianne?!" Er schloss die Haustür hinter sich. "Marianne!" Keine Antwort. "Anna! Lars!" Auch seine Töchter reagierten nicht. Ohne den Mantel abzulegen, ging er durch das Haus. Erst langsam und suchend, dann immer hektischer.