Die besten Ärzte - Sammelband 68 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 68 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1833: Unsere Liebe braucht viel Mut
Notärztin Andrea Bergen 1312: Gebt mir mein Gesicht zurück!
Dr. Stefan Frank 2266: Wir backen für Mutti!
Dr. Karsten Fabian 209: Diese Frau verlässt man nicht!
Der Notarzt 315: Einsames Baby sucht neue Mama


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 579

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Katrin Kastell Isabelle Winter Stefan Frank Ina Ritter Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 68

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2016/2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Studio Romantic / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-6482-7

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 68

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1833

Unsere Liebe braucht viel Mut

Die Notärztin 1312

Gebt mir mein Gesicht zurück!

Dr. Stefan Frank 2266

Wir backen für Mutti!

Dr. Karsten Fabian - Folge 209

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Diese Frau verlässt man nicht!

Der Notarzt 315

Einsames Baby sucht neue Mama

Guide

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Contents

Unsere Liebe braucht viel Mut

Zwei Menschen nehmen den Kampf um ihr Glück auf

Von Katrin Kastell

Langsam, wie tastend bewegt sich Bettina Schaller am Arm von Dr. Marcel Bruhns durch den Garten der Berling-Klinik, und die Wärme, die von dem Neurochirurgen ausgeht, gibt ihr Trost und Mut.

Zum Glück liegt die schwere Tumor-Operation endlich hinter ihr – doch an eine Zukunft kann Bettina immer noch nicht glauben. Viel zu sehr hat die Diagnose „Hirntumor“ sie aus der Bahn geworfen, dazu die Trennung von ihrem Verlobten, der mit einer „Hirnkranken“ nicht leben konnte …

Der Einzige, der ihr in den vergangenen Wochen beigestanden hat, ist Dr. Bruhns. Doch schon bald wird Bettina die Klinik verlassen müssen – und zurückkehren in ein Leben ohne Halt und Sinn …

Wie aus heiterem Himmel überfiel es sie wieder, dieses unangenehme Schwindelgefühl, das sie so hilflos machte.

Bettina Schaller lehnte sich gegen die Wand.

Wo, um Himmels willen, gab es einen freien Sitzplatz?

Ihr Blick erfasste das Sofa im großen Wohnraum. Sich einfach darauf sinken lassen und die Augen schließen, das würde sie jetzt am liebsten tun. Aber dann müsste sie den anderen sicher auch Fragen nach ihrem Befinden beantworten. Nein, lieber nicht.

Die Geräusche um sie herum klangen jetzt gedämpft, als hätte sich eine dicke Watteschicht über Benedikts Party gelegt. Die Furcht, ohnmächtig zu werden und einfach umzukippen, nahm zu.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Doch zu ihrer großen Erleichterung verschwand die unangenehme Empfindung schon nach kurzer Zeit wieder. Durfte sie sich schon erleichtert fühlen?

Zur Probe machte sie ein paar vorsichtige Schritte in Richtung offene Terrasse, dann gleich noch ein paar. Im Freien angekommen, atmete sie tief durch.

Die Stimmen um sie herum wurden deutlicher. Die Sonne schaute durch einen Wolkenspalt. Bettinas Unsicherheit verschwand, und niemand sah ihr an, dass sie sich gerade noch so elend gefühlt hatte.

Letzte Nacht hatte sie schlecht geschlafen, am Morgen kaum gefrühstückt und nur einen schwarzen Kaffee getrunken. Und auch mittags war sie nicht zum Essen gekommen.

Kein Wunder, dass sie nun von einem Schwächeanfall heimgesucht wurde!

„Ein gutes Frühstück ist die beste Grundlage für den ganzen Tag“, hatte Omi Adele ihr immer gepredigt. Bettina nahm sich vor, in Zukunft strenger auf eine regelmäßigere Nahrungsaufnahme zu achten.

Vergiss diesen Vorsatz nicht wieder!, ermahnte sie sich stumm.

Weiter hinten im Garten sah sie Nico an einem Tisch mit anderen sitzen. Er erzählte gerade eine der vielen Geschichten aus seinem reichhaltigen Fundus. Seine volle Baritonstimme übertönte die anderen Geräusche. Die Leute um ihn herum lauschten fasziniert.

Wie immer wirkte seine Anziehungskraft geradezu magisch auf seine Umgebung. Nie blieb er unbeachtet. Er dominierte jeden Raum, den er betrat, stand immer im Mittelpunkt, ohne dass er etwas dafür tun musste.

Seine große Gestalt, seine weit tragende Stimme, seine charismatische Art, all das erregte bei anderen Menschen Aufmerksamkeit. Kaum traf er irgendwo ein, so wie heute auf der Party eines Freundes, scharten sich gleich die Gäste um ihn, bombardierten ihn mit Fragen nach seinen nächsten Projekten und gestanden, wie sehr er ihnen in der Rolle des Kommissars Bender gefiel.

Wie die sprichwörtlichen Motten das Licht umschwirrten, so suchten andere seine Nähe, sobald sie ihn sahen. Seine Aura zog alle an.

Bettina war längst nicht mehr eifersüchtig. Sie wusste, dass sie die öffentliche Person Nico Weinberger mit einem großen Publikum teilen musste. Noch während der allerersten leidenschaftlichen Begegnung hatte sie das begriffen.

Nur in ganz wenigen, privaten Momenten gehörte der prominente Fernsehschauspieler ihr allein. Leider wurden diese wenigen Augenblicke in letzter Zeit immer noch seltener. Aber das war jetzt nicht wichtig. Sie wollte zu ihm.

Mit langsamen Schritten ging sie auf den Tisch zu. Nico war so sehr in seinem Element, dass er sie nicht bemerkte. Er gestikulierte, lachte, sprach laut und manchmal breitete er die Arme ganz weit aus, als wollte er die ganze Welt umarmen.

Sie trat hinter ihn und legte mit leichtem Druck ihre Hände auf seine Schultern. Er wusste sofort, dass sie es war, und griff nach ihrem linken Handgelenk.

Liebevoll drückte er einen Kuss auf den Brillantring, den er ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Den Umsitzenden aber erklärte er mit dem charmantesten Lächeln der Welt: „Das ist mein ganz persönlicher Schutzengel.“

Bettina errötete vor Freude. Sie genoss es, wenn er sich in aller Öffentlichkeit zu ihr bekannte. Sie lebte auf. Der Schwindelanfall war schon wieder vergessen.

Einer der jungen Männer holte noch einen zusätzlichen Stuhl für sie, der unbesetzt in der Nähe stand. Bettina nahm Platz, obwohl sie Nico gern unter vier Augen gesprochen hätte. Als jemand anderer aus der Runde sprach, drückte sie schnell Nicos Arm. Er neigte sich zu ihr.

„Bleiben wir noch lange?“, flüsterte sie in sein Ohr.

„Willst du schon gehen?“, fragte er erstaunt zurück. „Aber der Abend fängt doch jetzt erst an! Und endlich wird es etwas kühler nach diesem heißen Tag. Soll ich dir was zu trinken besorgen?“

„Irgendwo habe ich mein Glas stehen lassen“, gab Bettina zurück.

Vielleicht war es wirklich etwas übertrieben, jetzt schon zum Aufbruch zu drängen. Es konnte durchaus noch ein angenehmer Abend werden. Auch die Stimmungswellen schlugen immer höher.

„Ich hole dir ein Glas Wein“, entschied Nico und eilte davon, ehe Bettina ihn zurückhalten konnte.

Benedikt Großmann, Gastgeber und einer der engeren Freunde Nicos, kam näher. Er musterte Bettina aufmerksam.

„Alles okay?“, wollte er wissen.

„Ja, natürlich. Es ist eine Super-Party.“

In seinem Blick glaubte sie zu sehen, dass er an ihrer Aussage zweifelte. Hatte er womöglich sogar etwas von ihrer Schwäche bemerkt?

Demonstrativ wedelte sie sich mit der Hand ein wenig Luft zu.

„Aber es ist heute auch unglaublich heiß.“

Benedikt grinste breit. „Dafür hatten wir letzte Woche einen Kälteeinbruch mitten im Sommer. Die Wärme ist mir auf jeden Fall lieber. Und in ein paar Wochen kommen eh schon die ersten Herbststürme. Also genießen wir nach Kräften die sonnigen Tage.“

Bettina musste ihm recht geben. Doch bevor sie etwas äußern konnte, läutete ihr Handy. Eigentlich hätte sie es ausschalten sollen, aber nun war es zu spät.

Robert Merwald rief an, einer ihrer Patienten. Sie nahm den Anruf entgegen, stand auf und suchte Deckung hinter einem Rhododendron-Busch.

„Herr Merwald, was gibt’s denn?“

„Frau Schaller, kann ich zu Ihnen kommen? Mir geht es ziemlich schlecht …“

Sie zögerte kurz. „Aber Sie wissen doch, dass es bestimmte Abmachungen gibt, an die wir uns halten müssen. Morgen haben wir einen Termin. Dann können wir reden.“

„Ich weiß nicht, ob ich bis dahin durchhalte …“

„Das werden Sie müssen“, sagte Bettina eindringlich. „Ich bin zwar Ihre Therapeutin, das bedeutet aber nicht, dass ich Ihnen ständig zur Verfügung stehe. Haben Sie Ihre Medikamente genommen?“

Darauf gab er keine Antwort, sondern stöhnte nur.

„Ich fühle mich so elend. Mir ist, als wäre ich in einen tiefen Brunnen gefallen. Und die Wände sind so hoch und glitschig, dass ich aus eigener Kraft nicht mehr nach oben komme.“

„Wir werden morgen darüber reden …“

„Nein, jetzt. Sonst kann ich für nichts garantieren.“

„Was soll das heißen?“

„Es ist wohl besser für alle, wenn ich tot wäre.“

„Das will ich nicht gehört haben. Außerdem ist das keine Lösung Ihrer Probleme.“

„Vielleicht nicht, aber dann belastet mich nichts mehr …“

„Hören Sie auf, Herr Merwald!“, verlangte Bettina. „Und bitte tun Sie nichts Unüberlegtes! Sie dürfen Ihr Leben nicht wegwerfen. Sie haben nur das eine. Bitte, beruhigen Sie sich! Wenn es Ihnen hilft, komme ich kurz vorbei, aber ich werde nicht lange bleiben.“

„Das ist mir egal, Hauptsache, Sie machen mir so viel Mut, dass es bis morgen reicht.“

„Ich kann Sie in die psychiatrische Klinik bringen lassen …“

„Um Himmels willen, nein!“ Der Mann schrie so laut, dass sie das Telefon vom Ohr weghielt.

„Beruhigen Sie sich! Es war nur ein Vorschlag. Wo sind Sie jetzt?“

„Zu Hause.“

„Gut, dann erwarte ich Sie in einer Stunde in der Praxis. Bitte, seinen Sie pünktlich! Wir legen eine zusätzliche Sitzung ein. Fünfzig Minuten, nicht länger.“

Bettina wusste, dass ein gewisser Abstand zwischen ihr und den Patienten nötig war, ein Abstand, der immer eingehalten werden musste. Sie durften sich nicht zu nahekommen.

Robert Merwald schien das noch nicht begriffen zu haben. Seine Therapeutin, so glaubte er, musste Tag und Nacht für ihn verfügbar sein. Sie musste ihm noch mal in aller Deutlichkeit klarmachen, dass er sich in diesem Punkt irrte.

Die junge Psychotherapeutin beendete das Gespräch. Soeben kam Nico mit einem Glas Rotwein zurück und schaute sich suchend nach ihr um. Schnellen Schrittes ging sie auf ihn zu. Das Schwindelgefühl war vollkommen weg, dafür bekam sie jetzt Kopfschmerzen. Hoffentlich wurden sie nicht so heftig wie beim letzten Mal! Heute schien wirklich nicht ihr Tag zu sein.

„Ich muss gehen“, sagte sie leise zu Nico. „Ein Patient rief gerade an. Er ist ziemlich verzweifelt. Ich muss ihm helfen.“

„Ist das denn nötig?“ Obwohl sich Nico während der Party noch kein einziges Mal wirklich um sie gekümmert hatte, machte er jetzt aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Er stellte das Glas auf dem Tisch ab. „Ist der Patient denn wichtiger als ich?“

„Welche Frage! Natürlich nicht. Aber Herr Merwald ist psychisch krank – und du nicht. Er braucht mich.“

„Meiner Meinung nach buhlt er ständig um deine Aufmerksamkeit. Und dazu ist ihm jedes Mittel recht.“

„Tut mir leid, aber ich muss jetzt los.“

„Bitte Schatz, bleib!“ Nico umfasste ihre Schultern. „Wir wollten den Abend doch gemeinsam verbringen.“

„Da wusste ich eben noch nicht, dass es Robert Merwald schlechter gehen würde. Vielleicht kann ich ihn dazu überreden, in die Klinik zu gehen.“

Nico bedachte sie mit einem unergründlichen Blick.

„Gut, ganz wie du meinst. Ich muss deine Meinung akzeptieren.“ Er wandte sich an ein befreundetes Paar, das sich arglos zu ihnen gesellte. „Meine Freundin lässt mich wieder mal allein“, klagte er. Seine Enttäuschung war so wunderbar gespielt, als befände er sich am Set. „Aber so ist das nun mal, wenn man mit einer Seelenklempnerin zusammen ist. Die erste Geige spielen immer andere.“

Bettina spürte geballten Ärger in sich hochsteigen. Aber der Druck im Kopf und die Anwesenheit der anderen hinderten sie daran, Nico heftig zu widersprechen.

„Es ist ja noch früh am Abend“, sagte sie so gelassen wie möglich zu ihm. „Wenn ich mit meinem Patienten gesprochen habe, komme ich wieder zurück.“

„Mach es, wie du willst.“ Er schien wieder versöhnt, nahm sie in die Arme und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Wange. „Ruf mich an, wenn die Angelegenheit erledigt ist. Ich werde jedenfalls noch länger hier sein.“

Auf der Straße vor Benedikts Villa bestellte Bettina sich ein Taxi, das auch bald kam und sie in ihre Wohnung nach Haidhausen brachte, in der sie auch ihre Praxis betrieb.

***

Nachdem Marcel Bruhns sich mit einem Handkuss von der Hausherrin und mit einem festen Händedruck von seinem Chef verabschiedet hatte, winkten die Holls ihrem Gast noch so lange nach, bis er in seinen Wagen einstieg.

„Ein interessanter Mann“, kommentierte Julia, als sie noch ein Weilchen in der Sommernacht auf der Terrasse saßen und über den Besucher sprachen. „Wenn er von seinen Jahren in Amerika spricht, geht er ganz aus sich heraus. Ansonsten gehört er wohl eher zu den Zurückhaltenden.“

„Was in der Klinik ein Segen ist“, bestätigte Dr. Holl. „Er ist ein hervorragender Neurochirurg und entspricht vollkommen meinen Wünschen, auch wenn er nicht unbedingt ein pflegeleichter Kollege ist.“

Julia nahm einen Schluck verdünnten Johannisbeersaft.

„Was meinst du damit?“

„Na ja, man wird nicht so leicht warm mit ihm. Habe ich jedenfalls hier und da gehört. Ich selbst habe keine Probleme mit ihm. Mir ist ein gewisser Abstand sogar ganz angenehm. Immerhin ist er ja noch nicht so lange bei uns. Kollegialität oder sogar Freundschaft brauchen nun mal Zeit, um zu wachsen.“

„Eben sprach er von seiner Exfrau. Was weißt du über sein Privatleben?“

„Nur, dass er geschieden ist. Ob seine Frau auch im medizinischen Bereich arbeitet, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Auch, wenn ich ihn noch nicht so gut kenne, so hatte ich doch den Eindruck, dass er sich bei uns wohlfühlt.“

„So kam es mir auch vor“, pflichtete Dr. Julia Holl ihrem Mann bei.

Die Frau des Chefarztes war ebenfalls Ärztin, übte ihren Beruf jedoch nicht mehr aus. Dennoch hegte sie den Wunsch, in absehbarer Zeit wieder einzusteigen. Darum hatte sie sich an der Leopold-Franzens-Universität immatrikuliert, um in ihrem Fachbereich Pädiatrie wieder auf dem Laufenden zu sein.

Das musste sie ihrem Mann noch erzählen. Sie hatten vor einiger Zeit schon mal über dieses Thema gesprochen, und Stefan war ganz ihrer Meinung gewesen. Aber jetzt hatte sie eben den zweiten Schritt getan.

„In den nächsten zwei Wochen stehen einige Gehirn-Operationen auf dem Plan. Dr. Bruhns’ Vertrag läuft vorerst für ein Jahr, aber ich bin sicher, dass wir ihn verlängern werden. Daniel ist ganz meiner Meinung.“

„Wie geht es ihm übrigens?“

„Seine Sommergrippe ist ausgestanden. Er ist wieder voll da.“ Chefchirurg Dr. Daniel Falk war nicht nur Stefans engster Mitarbeiter, sondern auch ein guter Freund. Gelegentlich trafen sich die beiden Ärzte mit ihren Frauen zu einem Restaurantbesuch.

Julia schaute zum hellen Nachthimmel hinauf. Jupiter befand sich ganz in der Nähe des Mondes. Wie würde die Welt von dort wohl aussehen?

„Bist du müde?“, fragte Stefan in ihre Gedanken hinein.

„Nein, ich war nur gerade kurz im Universum.“

Stefan lachte leise. „Aber zum Glück hast du ja wieder auf die Erde zurückgefunden.“

Sie saßen noch fast eine Stunde in der milden Luft und lauschten den vielfältigen Geräuschen aus dem Garten, bevor sie zu Bett gingen. Julia konnte sich nur schwer der romantischen Atmosphäre entziehen.

„Eine Nacht wie im Süden“, meinte sie träumerisch. „Wenn ich die Augen schließe, kommt es mir vor, als säßen wir am Mittelmeer.“

Schließlich stand sie auf und folgte Stefan, der schon mit den leeren Gläsern ins Haus gegangen war. Morgen war ein normaler Arbeitstag. Und sie musste wieder früh aufstehen, damit Juju und Chris pünktlich in die Schule kamen.

Um Marc und Dani brauchte sie sich zum Glück nicht mehr zu kümmern. Die Zwillinge, die Medizin und Biologie studierten, waren selbst verantwortlich für ihren Zeitplan.

***

Nachdem er seinen Wagen vor der Garage geparkt hatte, ohne hineinzufahren, ging Marcel langsam auf die Eingangstür zu. Er ließ sich Zeit, das Haus zu betreten. Drinnen wartete ja keine Seele auf ihn.

Obwohl er sich inzwischen daran gewöhnt haben sollte, fiel ihm das Heimkommen immer noch schwer. Manchmal glaubte er noch, Ninas Lachen zu hören. Aber das war natürlich Einbildung. Vor drei Jahren war sie bei diesem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen.

Er hätte nicht gedacht, dass der Schmerz über den Verlust so lange anhalten würde. Das eigene Kind zu verlieren war ein besonders traumatisches Ereignis, das die Eltern immer unvorbereitet traf. Aber danach fragte das Schicksal nicht. Es verteilte seine Schläge nach Lust und Laune, so schien es jedenfalls.

Als er die Tür öffnete, knarrte sie leise, als wollte sie ihm einen Gruß zuraunen. Er musste sie bald einmal von einem qualifizierten Handwerker richten lassen.

Das hatte er sich schon mehrfach vorgenommen, doch er schaffte noch nicht einmal den Anruf. Also blieb alles beim Alten: Die Tür knarrte und er fasste Vorsätze, die er dann auf die lange Bank schob. Ein Hoch der Bequemlichkeit!, dachte er selbstironisch.

Im Vorraum blinkte der Anrufbeantworter. Ella war’s. Sie bat um seinen Rückruf. Er schaute kurz auf die Uhr und gab ihre Nummer ein. Es war zwar schon kurz vor elf, aber sie ging immer spät schlafen. Sie meldete sich sofort.

„Hallo“, sagte Marcel. „Ich bin wieder zurück. Was gibt es denn?“

Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete.

„Ich weiß gar nicht mehr, was ich wollte“, sagte sie in dem Singsang, der ihm verriet, dass sie wieder ein Glas zu viel intus hatte. Zwar war Alkohol keine gute Therapie, um über Schwierigkeiten hinwegzukommen, aber das wusste Ella selbst.

Also ersparte er sich jeglichen Vorwurf. Es ging ihn ja auch nichts mehr an, was sie aus ihrem Leben machte. Seit der einvernehmlichen Scheidung ein Jahr nach Ninas Tod gingen sie getrennte Wege. Er wäre gern mit Ella zusammengeblieben, aber sie wollte nicht.

„Ich wollte wohl einfach nur jemanden zum Reden haben“, fuhr sie nach einer Pause fort.

„Wir können uns morgen treffen und reden. Was hältst du davon?“

„Reden? Worüber? Zwischen uns ist doch schon alles gesagt.“

„Sieh doch nicht alles im Leben so negativ.“

„Wir haben unser Kind verloren!“ Ihre Stimme schwoll dramatisch an.

Marcel versuchte, ruhig zu bleiben.

„Das weiß ich, aber du bist nicht schuld daran und ich auch nicht. Das Leben geht weiter. Klingt banal, ist aber auch Realität. Und wir sind sicher nicht die einzigen Eltern, denen so was passiert ist.“

„Andere interessieren mich überhaupt nicht.“ Er hörte ein unterdrücktes Schluchzen. „Nina käme bald in die Schule.“

Nein, er wollte jetzt nicht zum hunderttausendsten Mal über den Unfall und seine Folgen sprechen – und wie er vermeidbar gewesen wäre. Marcel war müde und wollte schlafen. Morgen musste er kurz nach sechs raus. Er versuchte, seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ohne dass Ella sich verletzt fühlte.

„Hör auf zu weinen! Das ändert nichts. Es sind schon so viele Tränen geflossen.“

Er bemühte sich, ruhig zu bleiben. Immer wenn er mit seiner Exfrau über Nina sprach, spürte er selbst wieder diese unendliche Verzweiflung, die aus der Tiefe seiner Seele hochstieg und sich wie eine schwarze Wolke über sein Gemüt legte.

„Hör zu, ich komme morgen zu dir. Wir könnten was zusammen kochen. Oder auch ins Restaurant gehen, ganz wie du willst. Es soll zurzeit auch ein paar gute neue Filme geben …“

„Ich weiß es noch nicht“, unterbrach sie ihn. „Lass uns morgen wieder telefonieren. Wie lange hast du Dienst?“

„Ich denke, dass ich gegen achtzehn Uhr wieder zu Hause bin. Dann melde ich mich bei dir.“

Ella signalisierte ihr Einverständnis und legte einfach auf. Hilflos starrte Marcel auf das Telefon.

Und wieder einmal wurde ihm bewusst, dass er sie immer noch liebte. Doch seine Gefühle spielten keine Rolle. Die Liebe war das eine. Der Wunsch, sich wieder vertrauensvoll einander anzunähern, das andere.

***

Bettina Schaller sank erst nach Mitternacht erschöpft ins Bett. Die ungeplante Therapiesitzung mit Robert Merwald hatte länger gedauert als geplant. Obwohl sie mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass er jetzt gehen müsse, war er immer wieder auf sein Problem zurückgekommen.

Sie musste einen Weg finden, um den nötigen Abstand zu Herrn Merwald wiederherzustellen. Es wäre gut, sich vom Kollegen Brunner beraten zu lassen. Er hatte als Psychotherapeut mehr Erfahrung als sie und konnte ihr sicher etwas vorschlagen, das auch ihr Patient akzeptierte.

Während der Sitzung war ein Anruf von Nico gekommen, aber sie hatte das Gespräch nicht angenommen. Er würde schon wissen, warum, schließlich nannte er sie nicht ungern eine „Seelenklempnerin“. Sie mochte das Wort nicht, das nach ihrem Verständnis etwas Brachiales hatte. Es klang viel zu locker für eine oft sehr schwierige Arbeit.

Obwohl sie schon zwei Tabletten genommen hatte, ließ der Kopfschmerz nicht nach, er wurde im Gegenteil sogar noch heftiger. So musste sich Migräne anfühlen, eine Krankheit, unter der Omi Adele oft gelitten hatte. Sollte nun auch sie als Enkelin davon befallen sein?

Bettinas Gedanken verzweigten sich mehr und mehr. Erst in den frühen Morgenstunden schlief sie ein. Aber kurz vor sieben dudelte schon wieder der Weckruf ihres Handys.

Noch während sie die Beine aus dem Bett schob, machte sie sich klar, dass es so nicht weiterging. Sie musste Änderungen in ihrem Beruf vornehmen und sich endlich von einem Arzt untersuchen lassen. Die Schwindelanfälle, die viel öfter auftraten, als sie sich eingestand – und dazu die Kopfschmerzen, die mussten einen Grund haben. Einen, vor dem sie sich fürchtete.

Als sie am Nachmittag mit Oskar Brunner darüber sprach, der sie bei ihrer Arbeit betreute, schlug er gleich die Berling-Klinik vor.

„Dort ist dir eine gute Behandlung sicher. Ich kenne den Chefarzt persönlich. Wir haben zusammen das Studium begonnen. Ich bin dann zu den Psychologen gegangen, während er bei der Humanmedizin blieb. Wenn es dir hilft, rufe ich ihn an und mache einen Termin für dich aus. Dann kann ich sicher sein, dass du auch wirklich hingehst.“

Bettina zögerte. In den nächsten Tagen wollte sie Nico zu Filmaufnahmen nach Schweden begleiten. Da wäre ein fester Termin nur störend.

„Es muss ja nicht gleich nächste Woche sein“, meinte sie.

„Da bin ich anderer Meinung“, widersprach Oskar und strich sich nachdenklich über seinen Dreitagebart. „Jeder hat gelegentlich Kopfschmerzen. Aber die Ursache der Schwindelanfälle solltest du unbedingt abklären lassen. Was ist, wenn so was beim Autofahren auftritt? Tu mir den Gefallen und lass dich von Dr. Holl untersuchen! Dann sind wir auf der sicheren Seite.“

Nach kurzem Nachdenken willigte Bettina ein. Oskar hatte recht. Und so eine Untersuchung war ja auch schnell erledigt.

Sie versuchte also, sich keine Sorgen zu machen, aber das war nicht so ganz einfach. Gelegentlich musste sie mit Ängsten kämpfen, die aus ihrer Vergangenheit herrührten und viel mit dem frühen Verlust ihrer Eltern zu tun hatten. Zwar war Omi Adele ein äußerst liebenswerter Mensch gewesen, aber auch sie hatte der kleinen Enkelin nicht Vater und Mutter gleichzeitig ersetzen können.

Während Bettina ihren Gedanken nachhing, machte ihr Kollege Oskar Brunner gleich Nägel mit Köpfen. Wenige Minuten später hatte sie einen Termin für den kommenden Montag.

„Um acht Uhr in der Berling-Klinik“, sagte Oskar und griff nach Papier und Stift. „Brauchst du es schriftlich?“

„Nicht nötig, das kann ich mir gerade noch merken“, erwiderte sie trocken.

„Und du sollst nüchtern erscheinen.“

Das bedeutete kein Problem für sie. Morgens konnte sie ohnehin nicht viel essen. Da machte es nichts, wenn der Magen bis mittags leer blieb.

„Und wie läuft es mit deinem Problempatienten?“

„Schlecht“, erwiderte sie, ohne lange über Oskars Frage nachzudenken. „Er rief an, als ich mit Nico auf einer Gartenparty war. Robert Merwald wollte mich unbedingt an diesem Tag noch sehen.“

„Und bist du darauf eingegangen?“

„Ja, ich habe es einfach nicht fertiggebracht, ihm eine Abfuhr zu geben.“

„Das sollte sich nicht wiederholen.“ Oskar runzelte die Brauen. „Wenn du einmal so etwas anfängst, wird der betreffende Patient auch zukünftig deinen Einsatz rund um die Uhr erwarten. Aber das geht nicht. Und das weißt du auch.“

„Er klang so verzweifelt. Und er machte bestimmte Andeutungen, was sein Leben betrifft.“

„Damit erpresst er dich doch nur“, stellte Oskar klar. „Vielleicht wäre es in seinem Fall wirklich besser, sich für einige Zeit klinisch behandeln zu lassen.“

„Soll das heißen, dass ich es nicht schaffe, ihm zu helfen?“

„Wenn seine seelischen Störungen zu groß sind, kann eine Einzeltherapie tatsächlich nicht ausreichend sein. Nimmt er regelmäßig seine Medikamente?“

„Ja, aber er spricht auch davon, sie abzusetzen. Wegen der vielen Nebenwirkungen. Ich habe mich schon mit der psychiatrischen Klinik in Gröbenzell in Verbindung gesetzt. Dort wäre ein Platz frei für ihn, aber er will nicht. Und ich möchte ihn zu nichts zwingen. Ich kann ihn nur immer wieder darauf hinweisen, dass ihm in einer Klinik besser geholfen werden kann.“

Nico rief an. Sie überlegte kurz, ob sie ihm von dem Kliniktermin erzählen sollte, verschob es aber dann auf später. Er sollte sich keine Sorgen machen. Sie wollten gleich einen Makler treffen, um eine stilvolle Wohnung in bester Lage zu besichtigen.

Nico läutete seine Worte mit einem tiefen Seufzer ein.

„Hallo, Schatz, ich bin noch mitten in einer Besprechung mit dem Produzenten. Das dauert noch. Würde es dir was ausmachen, das Objekt allein anzuschauen?“

„Aber es muss uns doch beiden gefallen.“ Bettina fiel es schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen.

„Ich vertraue da ganz auf deinen Geschmack. Und wenn du meinst, es wäre das Richtige für uns, dann fahren wir morgen Vormittag noch mal gemeinsam vorbei.“

„Wir sind sicher nicht die Einzigen, die sich für diese Wohnung interessieren.“ Es handelte sich um eine Altbauwohnung am Englischen Garten.

„Dann sagst du dem Makler halt, dass Nico Weinberger großes Interesse hat. Dann wird er uns ein paar Tage Frist geben.“

„Also gut, wie du meinst“, gab sie nach. „Wir telefonieren dann später wieder. Kommst du noch vorbei? Oder treffen wir uns bei dir?“

„Sobald ich hier fertig bin, mache ich mich auf den Weg zu dir. Ich kann es nämlich kaum erwarten, dich zu küssen. Du hast mir auf der Party gefehlt. Ich will nicht, dass dir deine Patienten wichtiger sind als ich.“

„Davon kann gar keine Rede sein“, sagte Bettina schnell. „Es war ein einmaliger Notfall und wird sich nicht wiederholen.“

„Hoffentlich!“, meinte Nico. „Du, ich muss jetzt Schluss machen. Die Rauchpause ist vorbei. Bis später. Küsschen.“

Bevor sie noch etwas sagen konnte, war der Kontakt beendet. Sie verabschiedete sich von Oskar und dankte ihm noch mal ausdrücklich für seine permanente Unterstützung.

Anschließend kaufte sie Salat, Tomaten, Käse und Baguette für ein kleines Abendessen ein und fuhr mit der Bahn nach Haidhausen. Punkt acht traf sie sich mit dem Makler an der angegebenen Adresse.

Die Umgebung gefiel ihr schon mal sehr gut. Mit wenigen Schritten war man im Englischen Garten. Das Haus mit vier Etagen machte von außen einen äußerst gepflegten Eindruck. Und die Wohnung mit den großen, hohen Räumen gefiel ihr ausgesprochen gut.

Allerdings war sie sehr teuer, aber laut Nico sollte das keine Rolle spielen.

„Das können wir uns leisten“, hatte er gesagt.

Für ihn stimmte diese Aussage, denn er verdiente viel mehr als sie. Wenn sie dieses Thema ansprach, zerstreute er ihre Bedenken mit der Bemerkung, sie solle sich keine Gedanken machen. Sie seien ein Paar, da gab es kein Mein und kein Dein. Sie wollten alles miteinander teilen, auch das Finanzielle.

„Jetzt habe ich mehr Kohle als du“, pflegte er zu sagen. „Vielleicht ist das später mal anders, dann wirst du mich unterstützen, so wie ich jetzt dich.“

Hörte sich gut an, fand Bettina. Dennoch war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Sie allein hätte sich eine solche Wohnung nicht leisten können. Und wenn sie Nico die Bezahlung der Miete überließ, begab sie sich damit nicht schon in eine Abhängigkeit?

„Mein Verlobter hat es nicht mehr geschafft hierherzukommen“, erklärte sie, nachdem sie mit aufmerksamen Blicken durch alle vier Räume gegangen war. „Ich glaube, die Wohnung würde ihm sehr gefallen. Wir würden gern morgen Vormittag noch mal vorbeikommen …“

„Sie wissen schon, dass dies hier ein Schnäppchen ist“, unterbrach sie der Makler selbstbewusst. Sein Lächeln wirkte anzüglich. „1A-Lage, etwas Besseres finden Sie in der ganzen Stadt nicht.“

„Mein Verlobter ist Nico Weinberger.“

Der Mann neigte den Kopf zur Seite. „Müsste ich ihn kennen?“

„Aus dem Fernsehen ganz sicher. Er spielt den Kommissar Bender in der Serie Mörderisch, ist aber auch in anderen Sendungen zu sehen.“

„Krimis machen mich schlaflos, ganz ehrlich. Darum schaue ich sie nicht.“

„Ich wollte Sie ja nur im Namen meines Verlobten bitten, uns noch eine kleine Frist zum Überlegen zu geben. Er steckt mitten in anstrengenden Dreharbeiten und war einfach nicht abkömmlich.“

„Na gut, einem Prominenten will ich diesen Wunsch nicht abschlagen. Vielleicht kann er mir im Gegenzug auch mal einen Gefallen tun. Sie wissen ja, eine Hand wäscht die andere. Aber in spätestens achtundvierzig Stunden müssen Sie mir Ihre Entscheidung bekannt geben.“

„Sie können sich darauf verlassen.“ Bettina verabschiedete sich mit einem zustimmenden Lächeln. „Wegen des weiteren Besichtigungstermins melde ich mich morgen früh bei Ihnen.“

Er kramte in seiner schwarzen Umhängetasche.

„Hier, nehmen Sie diese Mappe mit. Sie enthält ein paar Fotos des Objekts. Sie werden Ihrem Verlobten den Mund wässrig machen. Wie heißt er doch gleich?“

„Nico Weinberger.“ Bettina nahm die Unterlagen erfreut entgegen. „Vielen Dank. Ich werde ihm noch heute alles zeigen und bin ziemlich sicher, dass diese Wohnung genau nach seinem Geschmack ist.“

***

„Hast du immer noch nichts gefunden?“, erkundigte sich Marcel sanft.

„Nein.“ Ella ließ die Speisenkarte sinken. „Nichts sagt mir so richtig zu. Ich glaube, ich habe gar keinen Hunger.“

„Wie wär’s mit Nudeln?“, schlug er vor. „Früher warst du ein richtiger Pasta-Fan.“

„Nudeln machen dick“, entgegnete sie mürrisch.

Schon gleich war ihm aufgefallen, dass sie heute nicht sonderlich gut gelaunt zu sein schien. Wahrscheinlich kämpfte sie gerade wieder mit einem ihrer zahlreichen Probleme. Im Laufe des Abends würde sie schon von selbst darauf zu sprechen kommen.

Bei diesem Gedanken musste er unwillkürlich lächeln. Ella hatte eigentlich immer richtige Problembündel, auf die sie sich obendrauf setzte. Schon, als sie sich kennenlernten, war das so gewesen.

„Dann bestell doch einfach eine kleine Portion!“

„Ich nehme einen Salat“, erklärte sie schließlich, denn soeben trat der Kellner, den sie nun schon zweimal weggeschickt hatten, wieder an ihren Tisch. „Aber mit einem Joghurt-Dressing.“

„Für mich ein Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat“, sagte Marcel. „Und bringen Sie mir bitte noch ein Bier!“

„Wie geht es dir?“, wollte er wissen, als sie wieder allein waren.

Sie begann ihre Antwort mit einem Seufzer.

„Ich schlafe schlecht. Und in meinem Job habe ich ständig Ärger. Meine letzten Arbeiten haben im Verlag keinen Anklang gefunden. Jetzt muss ich neue Zeichnungen vorlegen.“

Ella machte Illustrationen für Kinder- und Jugendbücher, die meistens sehr originell waren, aber mit Kritik, selbst konstruktiver, konnte sie nicht umgehen.

„Zeig mir doch mal die Entwürfe!“, schlug Nico vor.

„Du kannst deren Qualität doch gar nicht beurteilen“, wehrte Ella ab.

„Wieso nicht? Ich war auch mal Kind. Und bei uns in der Abteilung gibt es kleine Patienten, die sehr genau wissen, was ihnen gefällt und was nicht. Wenn du willst, kann ich deine Zeichnungen dort mal testen lassen.“

Wieder seufzte sie so laut, als müsste sie die gesamte Last der Welt auf ihren schmalen Schultern tragen.

„Vielleicht, wenn die neue Serie fertig ist …“

„Ella!“ Marcels sehnige Hand schob sich über das Holz des blank gescheuerten Tisches. „Sei doch nicht so mutlos! Wenn ich dir doch nur helfen könnte!“

Ihre blauen Augen verfinsterten sich. „Du weißt doch, warum …“

„Uns ist etwas Furchtbares widerfahren. Aber irgendwann musst auch du wieder nach vorn schauen. Warum fangen wir nicht noch mal von vorn an?“

Sie warf ihm einen abschätzigen, fast verächtlichen Blick zu.

„Von vorn?“, wiederholte sie mit erhobener Stimme. „Wie soll das denn gehen?“

„Ich liebe dich immer noch“, sagte er nach einer Pause, die sie zwangsläufig einlegen mussten, weil der Kellner das Bier brachte. „Lass uns doch einfach einen Versuch wagen! Wenn wir merken, dass es gut geht, machen wir weiter. Wenn nicht, hören wir auf.“

„Nein“, sagte Ella.

„Dann bin ich nicht mehr so allein, und du auch nicht.“

Ihr Blick war jetzt so unergründlich, dass er sich erst gar nicht die Mühe machte, ihn zu deuten. „Ich bin nicht allein.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe einen Freund. Sagte ich das nicht?“

Er spürte den Schock erst mit einiger Verzögerung. Seine Stirn legte sich in Falten, und seine Miene war eine einzige Enttäuschung. „Nein, das sagtest du nicht.“

„Jetzt siehst du aus wie ein waidwundes Reh. Sollte ich denn allein sein?“

Sie klang durchaus amüsiert. Was sie sah, schien ihr zu gefallen.

„Danke für das Kompliment“, gab er knapp zurück.

„Nun nimm’s mal nicht so tragisch! Es ist mein gutes Recht, einen Freund zu haben. Wir beide sind geschieden. Jeder von uns lebt sein eigenes Leben.“

„Stimmt“, sagte er. „Du kannst tun und lassen, was du willst. Aber warum triffst du dich dann mit mir? Wenn du Kummer hast, kannst du doch mit deinem Freund darüber reden. Oder ist er nur ein Mann für fröhliche Stunden?“

„Sieh mal an, du bist ja eifersüchtig“, stellte Ella mit sichtlicher Befriedigung fest.

Das Essen wurde gebracht. Eine Weile schwiegen die beiden.

Marcel musste sich eingestehen, dass ihn ihre Worte schmerzten. Aber nun, da es einen anderen in ihrem Leben gab, würde er nicht mehr über seine Gefühle reden. Vielleicht sollte auch er die Vergangenheit endlich hinter sich lassen und seinen Traum von einem Neuanfang mit Ella begraben. Ein für alle Mal.

***

„Nehmen Sie bitte Platz.“ Chefarzt Dr. Holl wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Was kann ich für Sie tun?“

Er warf einen kurzen Blick auf die persönlichen Daten der Patientin, die bereits im Computer gespeichert waren.

Obwohl sie sich ständig sagte, dass ihr hier nichts Schlimmes widerfahren würde, spürte Bettina ihr Herz aufgeregt klopfen. Natürlich hatte sie sich ein paar Sätze zurechtgelegt, fand aber nun trotzdem nur schlecht einen Anfang.

Der Klinikchef schenkte der schönen Frau ein aufmunterndes Lächeln.

„Sie sind Psychotherapeutin, nicht wahr?“

Bettina nickte und räusperte sich.

„Danke, dass Sie so schnell einen Termin für mich hatten. Von mir aus hätte ich noch warten können, aber Oskar meinte, ich solle eine Untersuchung nicht hinausschieben.“

„Da kann ich meinem alten Freund nur recht geben. Dann erzählen Sie mal, was Sie bedrückt, Frau Schaller! Oskar hat mir am Telefon was von Schwindelanfällen und Kopfschmerzen erzählt.“

Während Dr. Holl sprach, betrachtete Bettina den Arzt mit dem leichten Grauschimmer im Haar – und schon nach wenigen Augenblicken wusste sie, dass sie ihm vorbehaltlos vertrauen konnte. Sie berichtete jetzt ganz frei von den Zwischenfällen der letzten Zeit und versuchte sich auch zu erinnern, wann sie das erste Mal aufgetreten waren.

Doch als Dr. Holl nach Krankheiten ihrer Eltern forschte, konnte sie dazu nichts sagen.

„Daran kann ich mich nicht erinnern. Als sie starben, war ich noch ein Kind. Leider kann ich auch meine Großmutter nicht mehr fragen“, fügte sie bedauernd hinzu. „Auch sie ist schon gestorben.“

„Keine Sorge, wir werden den Grund für die auftretenden Symptome schon herausfinden. Am besten beginnen wir so bald wie möglich mit den Untersuchungen. Wir werden eine Computertomografie machen und, sollte es dann noch nötig sein, eine Kernspintomografie. Damit bekämen wir eine genauere Aussage. Das weitere Vorgehen hängt dann von den Befunden ab. Bitte, machen Sie sich nicht verrückt! Die Symptome können genauso gut auch leicht behebbar sein. Am besten lassen Sie sich gleich für nächste Woche einen Termin geben. Umso rascher haben wir Gewissheit.“

Obwohl noch gar nichts geklärt war, fühlte sich Bettina nach dem Besuch bei Dr. Holl erleichtert. Als wäre sie schon geheilt.

Anschließend traf sie sich mit Nico, um seine Wohnungsbesichtigung nachzuholen. Wie sie vorausgesehen hatte, war er von den Räumlichkeiten beeindruckt, ja regelrecht begeistert. An Ort und Stelle wurde der Vertrag gemacht.

Nico unterschrieb allein. „Ich bin ja auch der bessere Verdiener von uns beiden“, flüsterte er Bettina ins Ohr. Worte, die ein glückliches Lächeln um ihren vollen Mund zauberten.

„Das müssen wir feiern“, rief er aus, als sie wieder auf der Straße standen und einen letzten Blick auf das Gründerzeit-Haus warfen. „Hier beginnt bald unsere gemeinsame Zukunft. Ich habe ein gutes Gefühl. Du auch?“

Er umarmte sie und drückte ihr zwei zärtliche Küsschen auf ihre Wangen.

Bettina lächelte beglückt. „Ich glaube, wir werden es gut miteinander haben. Und wir kennen uns ja auch schon eine Weile. Große Überraschungen wird es sicher nicht mehr geben.“

„Unsere Liebe ist unsterblich. Wir sind die glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt. Ein gütiges Schicksal hat uns füreinander geschaffen.“

Mit welchem Gesichtsausdruck er das sagte! Manchmal war sie sich nicht ganz sicher, ob seine Gesten nicht doch gelegentlich zu theatralisch gerieten. Dann nämlich, wenn sein Schauspieltalent mit ihm durchging.

Doch nein, das, was er jetzt sagte und, vor allem, wie er es sagte, war unverfälscht und echt. Die leisen Zweifel verschwanden ebenso schnell, wie sie gekommen waren.

Im Stillen hoffte sie darauf, dass er mal von Heirat sprach, wenigstens diese Möglichkeit mal andeutete, doch dieser Wunsch erfüllte sich nicht.

Ihr war schon klar, dass man heute nicht mehr unbedingt ein Ehepaar sein musste, um in einer gemeinsamen Wohnung zu leben und füreinander einzustehen, aber dennoch wünschte sie sich heimlich eine romantische Hochzeit ganz in Weiß. Ein unvergesslicher Tag sollte es werden, von dem sie noch ihren Enkelkindern erzählen wollte.

Natürlich drängte sie ihn nicht. Das würde sie niemals tun. Aber gelegentlich ein paar Bemerkungen über Ehe und Familie konnte sie schon fallen lassen. So ganz nebenbei. Um ihm vielleicht ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

***

Eine Woche später ging Dr. Holl noch einmal die Befunde durch, die inzwischen vorlagen. Danach gab es keinen Zweifel, dass die Psychotherapeutin Bettina Schaller an einem Gehirntumor litt.

Noch war er nicht sehr raumgreifend, aber er saß an einer sensiblen Stelle, wo er beim Weiterwachsen großes Unheil im Broca-Areal anrichten würde, dem zuständigen Zentrum für Sprachproduktion, Wortfindung und Satzbildung.

Das Verstehen von Sprache fand hingegen im Wernicke-Areal statt, das sich in einiger Entfernung im hinteren oberen Teil des Schläfenlappens an der Hirnrinde befand.

Dr. Holl war noch in die Befunde vertieft, als seine Sekretärin ihm seinen Mitarbeiter Dr. Bruhns ankündigte.

„Soll zügig reinkommen!“

Der Chefarzt begrüßte den Neurologen. Gemeinsam besprachen sie die mögliche Therapie des Hirntumors der Patientin Bettina Schaller.

„Wir müssen operieren“, sagte Marcel, der den Fall schon kannte. „Und zwar möglichst bald. Die Patientin ist Therapeutin. Für sie ist die Sprache besonders wichtig. Das Ding muss raus aus ihrem Kopf. Die Frage ist, ob wir offen operieren oder ob zunächst nur eine Probeentnahme notwendig ist. Auch das Wachstumsverhalten des Tumors muss geklärt werden.“

Dr. Holl betrachtete den Neurochirurgen ernst.

„Wir rufen für morgen das gesamte Team zusammen und gehen Punkt für Punkt unsere Möglichkeiten durch.“

Die Berling-Klinik verfügte über ein hochmodernes Neuronavigationssystem, das bei allen Hirnoperationen zur präzisen Auffindung des Tumors eingesetzt wurde. Das bedeutete einen exakt planbaren Zugang und eine gezielte Zerstörung der malignen Zellen unter gleichzeitiger Schonung des gesunden Hirngewebes.

„Nach der bisherigen Diagnose liegt der Tumor nahe am Sprachareal Broca. Das müssen wir natürlich besonders schützen. Darum ist eine Erweckung der Patientin während einer bestimmten OP-Phase unumgänglich. Nur so können wir sicher sein, dass wir nicht unbeabsichtigt die Sprachfunktionen gefährden.“

Da Dr. Bruhns jetzt in den OP musste, wurde die weitere Diskussion auf morgen vertagt, wenn auch die anderen Kolleginnen und Kollegen dabei sein würden.

„Ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir der jungen Frau helfen können“, sagte Dr. Holl, während er gemeinsam mit dem Kollegen das Büro verließ. „Sie rief heute schon an, um sich nach dem Befund zu erkundigen, aber ich habe sie noch vertröstet.“

„Wir tun das Menschenmögliche“, meinte Marcel leise. „Die moderne Medizin macht vieles möglich, manchmal erleben wir sogar Wunder, aber Gott spielen können wir nicht. Zum Glück, würde ich sagen.“

„Das ist auch meine Meinung“, sagte der Klinikchef und legte seinem Kollegen eine Hand auf die Schulter.

***

„Wir sollten gelegentlich durch ein paar Möbelhäuser streifen“, meinte Nico und stöhnte ein bisschen. „Eigentlich habe ich keine Zeit für so was, aber ich sehe ein, dass es sein muss.“

„Nimm dir einen Innenarchitekten!“, schlug Bettina vor. „Dann bist du diese Sorge los.“

Sie und Nico saßen bei ihm zu Hause und warteten auf den Pizza-Service.

„Das ist nicht nötig“, verwarf der Schauspieler sofort ihre Idee. „Ich habe einen guten Geschmack. Und das möchte ich dir beweisen.“ Mit einer ausholenden Handbewegung deutete er auf die bereits vorhandenen Möbel. „Einen Teil davon nehmen wir natürlich mit, aber einiges fliegt auch raus. Und deine Sachen lassen wir komplett vom Sperrmüll abtransportieren.“

„Einspruch, Euer Ehren!“, rief Bettina. Um ihren aufkeimenden Ärger zu überspielen, zeigte sie ihm ein strahlendes Lächeln. „An ein paar schönen Dingen hänge ich sehr. Und die nehme ich auch mit in die neue Wohnung.“

Nico verzog das Gesicht. „Wie ich deine Sachen in Erinnerung habe, sind sie nicht mehr viel wert.“

„Die kleine Kommode ist noch von meiner Großmutter und hat inzwischen sicher einen gewissen Altertumswert“, widersprach Bettina diesmal schon ein wenig energischer. „Ich stelle sie in den Raum, in dem ich meine Patienten empfange.“

Urplötzlich entstand ein Schweigen.

„Deine Patienten? In unserer neuen Wohnung? Ist das dein Ernst?“

Sie musterte ihn verblüfft. „Ich dachte, das wäre eine abgemachte Sache. Wenn ich meine Wohnung aufgebe, bin ich auch die damit verbundene Praxis los. Ich habe dann also kein Behandlungszimmer mehr.“

Nico stand auf und ging ein paar Schritte nach links, dann wieder nach rechts.

Bevor er sich anschickte, seine Wanderung zu wiederholen, sprang Bettina auf und stellte sich ihm in den Weg.

„Wo liegt das Problem?“

„Ich möchte die Psychos nicht in meiner Wohnung haben“, sagte er.

Meinte er seine Worte wirklich so kalt und grausam, wie sie sich anhörten?

„Ich möchte nicht, dass du so von den Menschen mit seelischen Störungen redest“, verwies sie ihn. „Jeder kann in seinem Leben in eine Situation kommen, in der er Rat und Hilfe braucht. Das müsstest du wissen. Aber wenn du nicht willst, dass ich einen Raum für meine beruflichen Aktivitäten nutzte, muss ich mir eben etwas in der Nähe suchen. Es wird sich schon was finden. Ein Raum reicht ja schon.“

„Entschuldige bitte, als Angriff auf deine Patienten war das nicht gemeint.“ Aufseufzend nahm er sie in den Arm. Seine Zerknirschung rührte sie.

„Schon gut. Wegen so was müssen wir uns doch nicht streiten.“ Bettina legte ihre Stirn auf seine Brust und glaubte, seinen Herzschlag zu spüren.

„Ich bin davon ausgegangen, dass du deinen Job aufgibst“, sagte er nach ein paar Schweigesekunden. „Deshalb meine Reaktion.“

„Wie bitte? Aber davon war doch nie die Rede. Wie kommst du nur darauf?“

„Ich hielt es für selbstverständlich, aber ich sehe, es war naiv …“

In diesem Moment klingelte es. Bettina war froh über diese Unterbrechung, löste sich von ihm und ging zur Tür.

Der Pizzabote überreichte ihr mit einem freundlichen Grinsen die Kartons, nahm das Geld entgegen und wünschte noch einen angenehmen Abend, bevor er wieder pfeifend zum Aufzug ging. Der Tisch war schon gedeckt. Bettina ließ die noch dampfenden Pizzen auf die großen Teller gleiten und warf Nico einen auffordernden Blick zu.

„Komm, wir wollen essen.“

Mit einem immer noch mürrischen Gesichtsausdruck nahm er ihr gegenüber Platz, griff nach Messer und Gabel und säbelte sich geräuschvoll ein Stück von der Pizza ab.

Doch anstatt es in den Mund zu schieben, legte er es auf dem Teller wieder ab.

„Ich verdiene genug für uns beide“, sagte er mit kaum verhohlenem Vorwurf. „Für die nächsten Jahre bin ich ausgebucht. Warum willst du dich dann mit seelisch kranken Leuten rumschlagen?“

Seine Ausdrucksweise gefiel ihr nicht, aber Bettina ging darüber hinweg, weil sie jeglichen Streit vermeiden wollte.

„Ich verlange von dir doch auch nicht, vom Set wegzubleiben, also lass mich bitte das tun, wofür ich jahrelang studiert habe! Außerdem, und das ist eigentlich das Wichtigste, will ich nicht ganz und für immer von dir abhängig sein.“

„Du vertraust mir nicht!“, hielt er ihr entgegen.

„Bitte, Nico, sei nicht albern! Du würdest es doch auch nicht verstehen, wenn ich von dir etwas Ähnliches verlangen würde.“

„Die Zeit, die du deinen Patienten opferst, könntest du dann mit mir verbringen. Wäre dir das so unangenehm?“

Jetzt verging auch Bettina der Appetit.

„Nein, natürlich nicht. Aber ich arbeite ja gern in meinem Beruf. Außerdem kann ich die Leute, die ich zurzeit betreue, doch nicht einfach im Stich lassen.“

„Die rufen dich dann in deiner Freizeit an und verlangen sofort deinen Einsatz.“

„Das war etwas Einmaliges und wird ganz bestimmt nicht wieder vorkommen.“

Nico holte tief Luft. „Wir werden schon eine Lösung für deinen Praxisraum finden“, meinte er schließlich versöhnlich.

Bettina schätzte sehr an ihm, dass er nie lange böse war. Schnell glättete sich seine Stirn. Als sie endlich mit dem Essen fertig waren, kam er noch einmal auf den umfangreichen Möbelkauf zurück.

„Wir könnten doch gleich am Vormittag loslegen und …“

„Morgen geht es leider nicht.“

„Schon wieder Patiententermine?“ Er musterte sie misstrauisch.

Bettina schluckte. Da er es ohnehin erfahren musste, konnte sie ihm auch gleich den Hinderungsgrund nennen. Das bevorstehende Gespräch mit Dr. Holl beschäftigte sie schon eine ganze Weile, aber bis jetzt war es ihr gelungen, ihrer Angst keinen Platz einzuräumen.

„Nein, es ist kein Patient. Ich muss zu einer Besprechung mit Chefarzt Dr. Holl von der Berling-Klinik. Ich habe mich wegen meiner Kopfschmerzen untersuchen lassen. Die Befunde liegen nun vor. Irgendwas ist da. Dr. Holl will nun mit mir darüber reden. Aber ich bin sicher, dass es nichts Schwerwiegendes ist.“

„Und das erfahre ich erst jetzt?“ Hilflosigkeit spiegelte sich in seinem Gesicht. „Warum hast du mir nichts davon gesagt? Bin ich dein Vertrauen denn nicht wert?“

„Bitte, Nico, so darfst du nicht denken! Ich wollte dich nicht unnötig beunruhigen, sondern vorher wissen, worüber ich rede.“

„Mein lieber Schatz!“ Er drückte sie liebevoll an sich. „Selbstverständlich begleite ich dich. Die Möbel sind auch in den nächsten Tagen noch da. Aber eines musst du mir jetzt ganz fest versprechen.“

„Ich verspreche dir alles!“

„Schau mir in die Augen!“, verlangte er. „Und schwöre mir, dass du mir nie wieder etwas verheimlichst!“

„Ich schwöre es“, flüsterte sie, umfasste sein Gesicht und küsste ihn voller Hingabe.

***

„Frau Schaller ist da“, teilte Sekretärin Moni Wolfram über die Sprechanlage mit.

„Einen Augenblick“, bat Dr. Stefan Holl, der sich noch im Gespräch mit Dr. Bruhns befand. Der Klinikchef würde zunächst die allgemeinen Dinge erklären, während Marcel im Nebenraum wartete, um dann mit der Patientin unter vier Augen zu sprechen – falls sie das wünschte.

Bettina Schaller und Nico Weinberger traten ein. Man begrüßte sich, dann nahmen die beiden Besucher Platz. Dr. Holl registrierte, dass der Schauspieler wirklich so umwerfend gut aussah wie im Fernsehen.

„Erschrecken Sie nicht, Frau Schaller, aber wir haben es mit einem Tumor zu tun“, begann er.

Nico wechselte die Farbe, während Bettina tief durchatmete.

„Bösartig?“, fragte sie dann mit zitternden Lippen.

„Das können wir so noch nicht sagen“, erwiderte der Chefarzt.

„Aber wie kommt Bettina dazu?“, rief Nico dazwischen, als er sich vom ersten Schreck erholt hatte. „Sie ist doch erst achtundzwanzig.“

„Gehirntumore können in jedem Alter auftreten“, fuhr Dr. Holl ruhig fort. „Es handelt sich dabei um eine Systemerkrankung des Gehirns. Aber es gibt zum Glück sehr gute Therapieansätze …“

„Operation?“ Nico gelang es einfach nicht, den Arzt aussprechen zu lassen.

„In allen Fällen ist ein umfassendes Konzept nötig, das wir gemeinsam erarbeiten“, erwiderte Dr. Holl. „Viele gutartige Tumoren wachsen langsam, was uns eine Therapie in aller Ruhe erlaubt.“

Bettina begriff nun endlich, dass hier über sie gesprochen wurde. Sie hob die Hand.

„Ich muss an die frische Luft …“

Nico sprang auf. „Ich begleite dich, mein Schatz.“

„Vielleicht sollte Dr. Bruhns Sie begleiten“, meinte Dr. Holl und warf seinem Kollegen einen auffordernden Blick zu. „Er ist unser Neurologe.“

„Selbstverständlich, kommen Sie, Frau Schaller!“ Marcel führte sie hinaus, während Nico sich mit den Fingern einer Hand durch das dichte Haar fuhr.

„Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor Holl! Schwebt meine Verlobte in Lebensgefahr?“

„Ich kann, wie gesagt, keine verbindlichen Vorhersagen treffen. Erst müssen wir noch mehr über den Tumor wissen, bevor wir uns festlegen. Die Therapiemethoden machen wir dann vom Gewebetyp des Tumors ebenso abhängig wie vom Alter und Allgemeinzustand unserer Patientin. Wie für alle Erkrankungen gilt auch hier der Grundsatz, dass die Prognose umso günstiger ist, je früher der Tumor entdeckt wird. Dann besteht die Möglichkeit, das Gewebe vollständig zu entfernen, ohne dass Tumorzellen zurückbleiben.“ Dr. Holl räusperte sich. „Das wäre der Idealfall.“

Nico brach so plötzlich in Tränen aus, dass der Klinikchef im ersten Moment nicht wusste, wie er damit umgehen sollte.

„Bitte, beruhigen Sie sich!“, sagte er und reichte dem verzweifelten Mann ein Päckchen Papiertaschentücher. „Wir werden Ihre Verlobte nach den erfolgreichsten Methoden behandeln. Das heißt aber auch, dass sie nach der Operation mit Chemo- und Strahlentherapie rechnen muss.“

Nico schniefte, putzte sich die Nase und wischte sich über die Augen.

„Entschuldigen Sie, aber Ihre Worte haben mich in große Verzweiflung gestürzt. Wir sind gerade dabei, uns eine gemeinsame Wohnung einzurichten. Bettina ist die Frau meines Lebens. Eine Zukunft ohne sie kann ich mir nicht vorstellen.“

„Das müssen Sie auch nicht“, meinte Dr. Holl begütigend. Er fand es berührend, wie offen sich der Mann zu seiner Verlobten bekannte.

„Wir werden über alle Therapiepläne ausführlich mit Ihnen beiden reden. Vorerst sollten Sie sich auf die Operation vorbereiten. Und wenn sie überstanden ist, beginnen wir mit den Folgetherapien. Damit es nicht zu einem weiteren lokalen Tumorwachstum kommt. Aber eins ist natürlich klar: Jeder Eingriff am Gehirn ist ein großes Risiko. Etwas anderes zu behaupten wäre fahrlässig.“

„Gestern war meine Welt noch in Ordnung“, bekannte der Mann mit gebrochener Stimme. „Soeben ist sie aus den Fugen geraten. Nie hätte ich damit gerechnet, dass Bettina so krank ist, auch nicht, als sie in der letzten Zeit häufig über Kopfschmerzen klagte. Manchmal war ihr auch schwindelig oder übel. Jetzt mache ich mir Vorwürfe, dass ich sie nicht schon längst zum Arzt geschickt habe. Mein Gott, wie viel Zeit wird sie nun in der Klinik verbringen müssen?“

„Wenn die Operationswunde verheilt ist, kann Ihre Verlobte in häusliche Pflege entlassen werden. Weitere Therapien können ambulant durchgeführt werden.“

„Danke, Dr. Holl“, sagte Nico. „Ich muss jetzt auch mal an die frische Luft, sonst breche ich noch zusammen.“

„Ist Ihnen übel?“, wollte der Chefarzt besorgt wissen.

Nico schüttelte den Kopf. „Ich bin noch ganz benommen von dem, was ich hören musste, aber keine Sorge, ich werde schon nicht umkippen.“

Dr. Holl sah dem Mann nach, wie er schnellen Schrittes den Raum verließ.

***

Dr. Bruhns und Bettina gingen nebeneinander her durch die blühenden Anlagen der Berling-Klinik. Manchmal blieben sie stehen und maßen einander mit Blicken – wie zwei Menschen, die noch nicht wussten, was sie voneinander halten sollten.

Sprach die junge Frau, verschränkte Marcel die Arme vor der Brust und lauschte mit leicht geneigtem Kopf. Hatte der Arzt etwas zu sagen, unterstrich er seine Äußerungen mit ein paar sparsamen Gesten, während Bettina unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Ein unvoreingenommener Beobachter hätte sie für zwei Menschen halten können, die zwar ein hochinteressantes Thema diskutierten, aber von einer Einigung noch weit entfernt waren.

„Einen so langen Klinikaufenthalt kann ich mir gar nicht leisten“, erklärte Bettina so bestimmt, als müsste sie einen unliebsamen Verkäufer an der Tür abwimmeln. „Wie stellen Sie sich das vor?“

„Sie sind jetzt schockiert, Frau Schaller. Aber wenn wir krank werden, sollten wir uns alle Zeit der Welt nehmen, um die Sprache der Krankheit zu verstehen.“

„Was soll das heißen? Soll ich jetzt mit meinem Tumor reden und ihn fragen, warum er sich ausgerechnet meinen Kopf ausgesucht hat? Steht es überhaupt zweifelsfrei fest, dass es einer ist?“

„Daran gibt es keinen Zweifel“, sagte Marcel. „Aber was die Beschaffenheit betrifft und inwieweit er schon in seine Umgebung hineingewachsen ist, können wir noch nicht mit letzter Sicherheit sagen.“

„Sie wissen, dass ich Psychotherapeutin bin?“

„Ja, Dr. Holl sagte es mir.“

„Dann können Sie sich ja denken, dass ich Patienten habe, die mich brauchen. Nicht alle, aber einige meiner Patienten haben große psychische Probleme. Sie sind auf meinen Beistand angewiesen. Ich kann sie jetzt nicht einfach sich selbst überlassen.“

„Aber Sie sind krank, Frau Schaller. Wenn Sie nichts dagegen unternehmen, werden Sie mit Ihren Patienten bald nicht mehr in gewohnter Weise kommunizieren können. Wollen Sie das?“

Bettina stöhnte auf. „Natürlich nicht.“

„Wir sollten das Problem ganz schnell in Angriff nehmen, damit die Lage sich für Sie nicht verschlimmert. Dr. Holl erwähnte ja bereits, dass der Tumor sich in der Nähe des Sprachzentrums befindet.“

Bettina blieb abrupt stehen, kaum, dass sie ihre Wanderung wiederaufgenommen hatten.

„Muss ich sterben, Dr. Bruhns?“ Eindringlich fixierten ihre Augen den Mann im weißen Kittel.

„Später ja. Aber jetzt nicht, wenn Sie sich behandeln lassen.“

„Garantieren Sie mir ein ganz normales Weiterleben?“

Marcel betrachtete sie erstmals etwas genauer und stellte fest, dass sie ihm gefiel. Nicht von ihrem Äußeren her, sondern die Art und Weise, wie sie mit der neuen Erkenntnis umging, beeindruckte ihn.

„Sie verlangen ziemlich viel von mir“, sagte er betont ruhig. „Eine einklagbare Garantie kann ich Ihnen natürlich nicht geben. Aber ich verspreche Ihnen, dass wir Sie nach den neuesten Erkenntnissen der Medizin behandeln. Als Therapeutin wissen Sie, das Gehirn ist unsere Schaltzentrale.“ Er tippte sich kurz an die Schläfe. „Hier drin wird alles entschieden. Eben deshalb ist ein Tumor im Kopf immer eine äußerst komplizierte Angelegenheit.“

„Ich verlange nur grenzenlose Ehrlichkeit von Ihnen. Sollte ich feststellen, dass Sie mir etwas verheimlichen, werde ich mir andere Ärzte suchen.“

„Wie gesagt, garantierte Heilung gibt es nicht. Bei jedem noch so harmlos erscheinenden Eingriff können plötzlich Komplikationen auftauchen. Das liegt in der Natur der Dinge, ich brauche Ihnen das ja nicht ausführlich zu erläutern. Aber ich verspreche Ihnen jede erdenkliche Hilfe. Wenn wir mit vereinten Kräften den Kampf gegen den Tumor aufnehmen, ist schon sehr viel gewonnen. Genügt Ihnen das?“

„Ich glaube schon.“ Bettin wischte sich verstohlen über die Augen. Dr. Bruhns sah es trotzdem.

„Das freut mich. Dann sollten wir jetzt wieder zu Dr. Holl und Ihrem Verlobten zurückkehren. Wenn Ihnen danach ist, können Sie sich bei mir einhängen. Ich kann auch einen Rollstuhl kommen lassen …“

Bettina lächelte gequält. „Das werde ich schon schaffen“, sagte sie. „Den Weg in die Klinik habe ich ja auch noch allein gefunden.“

Sie wandten sich um. Doch bevor sie das Gebäude erreichten, kam Ihnen Nico mit ausgebreiteten Armen entgegengestürzt.

„Mein Liebling!“, rief er schon von Weitem so laut, dass andere Leute überrascht stehen blieben und zu ihnen herschauten. „Mein armer, armer Liebling!“

Er riss sie so ungestüm an seine Brust, sodass Bettina für einen Moment die Luft wegblieb. Energisch schob sie ihn von sich weg. Für Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit fehlte ihr jetzt jeglicher Sinn. Sie wollte es vermeiden, dass er von anderen Passanten erkannt und womöglich sogar angesprochen wurde.

Auch wenn sie solche Aufmerksamkeit mit ihm zusammen durchaus schon als angenehme Aufregung erlebt hatte, wäre sie ihr jetzt jedoch ausgesprochen lästig.

Nico schien verstanden zu haben, was sie gerade bewegte. Er nahm sie sanft zur Seite und flüsterte auf sie ein.

Marcel schob die Hände in die Kitteltaschen.

„Ich gehe schon mal vor“, erklärte er. „Kommen Sie so bald wie möglich nach! Wir müssen noch einen Termin festlegen. Ich erwartete Sie.“

Bettina wandte sich ihm zu. Ihre samtbraunen Augen waren vor lauter Verzweiflung so schwarz wie eine mondlose Nacht. Er hätte sie gern getröstet, doch dafür hatte sie ja schon einen anderen.

***

„Sieht Nico Weinberger wirklich so gut aus wie auf dem Bildschirm?“ Chris Holl warf seinem Vater einen interessierten Blick zu.

Stefan gab sich den Anschein, als müsste er nachdenken.

„Meines Erachtens sogar noch besser. Wie kommst du überhaupt auf ihn?“

„Er war doch bei dir in der Klinik wegen seiner Freundin.“

„Stand das in der Zeitung?“

Chris, der fünfzehnjährige Holl-Sohn, der sich als Sandwich-Kind zwischen seinen erwachsenen Zwillingsgeschwistern und dem Nesthäkchen Juju behaupten musste und das nach Meinung seiner Eltern bestens schaffte, grinste burschikos.

„Nein, er hat es selbst bei Facebook gepostet und schreibt, dass er todunglücklich ist und sich in einer Sinnkrise befindet. Er fragt sich, warum das Schicksal ausgerechnet ihm so übel mitspielt.“

„Also erst mal ist ja die Patientin betroffen“, mischte sich Julia in das Vater-Sohn-Gespräch ein. „Sie ist diejenige, die sich einer Therapie unterziehen muss. Wieso posaunt er das denn schon in der Gegend herum?“

Chris zog die Schultern hoch. „Keine Ahnung. Ich schaue öfter auf seine Profilseite, weil er immer so lustige Dinge vom Set berichtet. Jetzt ist er total am Ende, kriegt aber voll Zuspruch. Alle seine Freunde trösten ihn. Wenn du ihn wiedersiehst, bitte ihn doch um ein Autogramm für mich!“

Stefan betrachtete Chris schmunzelnd. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so was sammelst.“

„Tu ich gar nicht“, lautete die flotte Antwort. „Aber solche Dinge kann man prima im Internet versteigern. Oder auch in der Schule tauschen.“

Stefan Holl verdrehte die Augen. „Du willst mich also zum Handlanger deiner fragwürdigen Geschäfte machen?“

„Hab dich nicht so, Papa! Man muss mit der Zeit gehen. Und fragwürdig ist bei solchen Geschäften gar nix. Sagt Opa auch immer.“

Nachdem Chris wieder in Richtung Swimmingpool verschwunden war, wandte sich Stefan in gespielter Hilflosigkeit an seine Frau.

„Den Geschäftssinn kann der Bub nur von deinem Paps haben.“

„Was ja nichts Schlechtes ist“, nahm Julia Vater Walter augenzwinkernd in Schutz. „Papas Geschäftssinn verdanken wir die Berling-Klinik. Und wenn unser Sohn eines Tages was ähnlich Imposantes auf die Beine stellt wie sein Opa, wollen wir ihm den Autogrammhandel doch gönnen, oder?“

„Natürlich hast du recht. Wie immer. Ich werde sehen, was ich für unseren Sohn tun kann. Aber jetzt hätte ich gern noch ein Glas von deiner wunderbaren Zitronenlimonade. Die ist genau das Richtige für einen heißen Tag wie heute.“

Julia und Stefan saßen auf der Terrasse ihres Hauses. Im Schwimmbecken, das eigens für die Kinder erbaut worden war, tummelten sich derzeit Chris, Juju und zwei weitere Mädchen aus der Nachbarschaft. Die Kinder hatten ihren Spaß, und manchmal ging es ganz schön laut zu. Aber Julia sah keinen Grund, mäßigend einzugreifen. Diese schönen Sommertage musste man voll ausnutzen.

***

Es kostete Bettina viel Überredungskunst, ihrem Patienten Robert Merwald klarzumachen, sich in den kommenden Wochen vom Kollegen Oskar Brunner behandeln zu lassen. Robert sträubte sich mit Händen und Füßen gegen diesen Vorschlag, musste dann aber einsehen, dass es keine andere Möglichkeit gab.

„Ich bin ja nicht absichtlich krank geworden“, sagte Bettina. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen jetzt nicht mehr beistehen kann, doch auf Anraten der Ärzte darf ich die Operation nicht mehr lange hinausschieben. Bitte sprechen Sie mit meinem Kollegen! Er ist ein sehr guter Therapeut und wird die Behandlung in meinem Sinne fortführen.“

Nachdem das erledigt war, sichtete sie die Dokumente auf ihrem Schreibtisch, ordnete sie ein und schrieb dann … ihr Testament.

Alles, was sie besaß, sollte Nico bekommen, das kleine Erbe von Oma ebenso wie die wenigen Schmuckstücke, die sie besaß.

Sie beschriftete den Umschlag mit seinem Namen und ließ ihn auf ihrem Schreibtisch liegen. Am Abend sollte sie sich in der Klinik einfinden. Nico befand sich noch in Berlin, wo gerade eine weitere Folge der aktuellen Serie gedreht wurde, aber er wollte pünktlich zurück sein, um Bettina in die Klinik zu begleiten.

Eine kleine Tasche mit allem, was sie in den nächsten Tagen brauchen würde, stand schon gepackt bereit. Bettina goss sich ein Glas Wasser ein und setzte sich noch für eine Weile auf den Balkon. Wie ein Riesenschirm überzog der wolkenlose Himmel die Stadt.

Bedeutete das etwas Gutes? Sie wollte es gern glauben.

Noch immer konnte sie sich nicht wirklich vorstellen, was in den nächsten Tagen mit ihr passieren würde. Zwar hatte Dr. Bruhns ihr den Eingriff in allen Details geschildert, ihr kleine Skizzen gemacht und immer wieder versichert, dass jeder im OP-Team genau wusste, was zu tun sei. Aber wirklich beruhigt fühlte sie sich dennoch nicht.

Sicher würde sie den Eingriff überleben. Aber was kam danach? Würde sie noch wissen, wer sie war? Blieb ihre Erinnerung erhalten? Oder musste sie viele Dinge wieder ganz neu lernen? Und vor allem: Konnte ihre Liebe dieses belastende Ereignis überstehen?

Nico versicherte ihr, dass es für ihn nichts Wichtigeres auf der Welt gab als sie, dass sie immer seine große Liebe bleiben würde, ganz egal, was passierte.

Das, was er sagte, hörte sich wunderbar an. Und sicher meinte er es auch so. Andererseits war er ein vielgefragter Mann, der den größten Teil seiner Zeit in den vielen Studios dieses Landes verbrachte. Er würde gar keine Zeit haben, sich so intensiv um sie zu kümmern, wie sie es vielleicht brauchte.

In kleinen Schlucken leerte Bettina das Glas. Dann schaute sie so lange hinauf in das intensive Blau, bis sie die Helligkeit nicht mehr ertrug und die Augen schließen musste.

Sie fuhr hoch, als das Handy läutete. Es lag neben ihr auf dem kleinen Abstelltisch. Ungläubig schaute sie auf die Uhr. So spät schon? Sie musste eingeschlafen sein.

Sie nahm das Gespräch entgegen. Es war Nico.

„Hallo, mein lieber Schatz! Wie fühlst du dich?“

„Ich habe immer noch Angst, aber ich weiß ja, dass es sein muss. Wo bist du?“

„Tut mir entsetzlich leid, Liebes, aber ich stecke immer noch in Berlin.“

„Oh nein!“, rief Bettina aus. „Ausgerechnet heute … ich hatte so sehr mit dir gerechnet.“ Die Enttäuschung nahm ihr die Luft zum Atmen.



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