Die besten Ärzte - Sammelband 72 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 72 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1837: Gestern noch im Mittelpunkt
Notärztin Andrea Bergen 1316: In ihrer eigenen Welt
Dr. Stefan Frank 2270: Ich bin eine gute Ärztin!
Der Notarzt 319: Ein Wiegenlied für Anton


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 256 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Katrin Kastell Isabelle Winter Stefan Frank Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 72

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014/2017/2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © gpointstudio / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-7898-5

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 72

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1837

Gestern noch im Mittelpunkt

Die Notärztin 1316

In ihrer eigenen Welt

Dr. Stefan Frank 2270

Ich bin eine gute Ärztin!

Der Notarzt 319

Ein Wiegenlied für Anton

Guide

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Contents

Gestern noch im Mittelpunkt

Als alle Freunde von ihr gingen

Von Katrin Kastell

Strahlender Mittelpunkt ihrer Clique und verlobt mit dem aufregendsten Mann der Welt – so hätte Tina Lindner sich selbst beschrieben, bevor ein schwerer Verkehrsunfall alles zerstört hat! Wochenlang ringen Dr. Holl und seine Mitarbeiter an der Berling-Klinik um das Leben der jungen Architektin, und selbst als sie vorsichtig zu hoffen wagen, steht fest, dass der Genesungsprozess noch Monate in Anspruch nehmen wird. Aber Tina verliert nicht den Mut. Für Uwe, den Mann ihrer Träume, will sie wieder ganz gesund werden …

Erst als sie dahinterkommt, dass er sich längst mit ihrer besten Freundin Lilo getröstet hat, erleidet Tina einen lebensgefährlichen Rückfall! Da hält nur noch der junge Chirurg Nico Baumgart zu ihr – doch auch er scheint Tina nicht mehr helfen zu können …

Dr. Nico Baumgart kniff für einen Moment die Augen zusammen, als er zum wiederholten Mal das scharfe Brennen der Schweißtropfen spürte. Schwester Marion, aufmerksam wie immer, sah es und tupfte ihm mit einem Tuch über die Stirn.

„Danke“, murmelte der Arzt, ohne sie anzuschauen, denn die Patientin auf der Tabula erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Seit Stunden stand er mit drei Kollegen im Operationssaal 2 der Berling-Klinik und versuchte, das Leben der Schwerverletzten zu retten.

In den frühen Morgenstunden war sie vom Notarzt eingeliefert worden. Erste Untersuchungen hatten ein Polytrauma ergeben, und noch immer war nicht sicher, ob die junge Frau ihre Verletzungen überleben würde.

Die Chirurgen kämpften mit allen ihren Kräften. Dr. Baumgart konnte nur hoffen, dass der Kreislauf und das Herz der Patientin durchhielten. Stumpfe Einwirkungen auf den Bauch hatten einen Riss in der Milzkapsel, die Durchtrennung eines großen Gefäßes und den Abriss eines Eileiters verursacht. Außerdem waren bis jetzt drei Knochenbrüche gezählt worden, darunter das rechte Schlüsselbein.

Zum Glück waren im Gehirn keine Blutungen erkennbar gewesen. Dennoch blieb abzuwarten, ob die sofort vorgenommene Notoperation das Schlimmste bei diesem Polytrauma verhindern konnte.

Die Frakturen wurden einstimmig als weniger kritisch betrachtet und ihre Versorgung auf später verschoben. Um sie behandeln zu können, sollten erst die Schwellungen in den betroffenen Regionen zurückgehen.

Zunächst versorgten die Ärzte die Milz und einen Lebereinriss unter Zufuhr von Blutkonserven. Der Bauchraum war eröffnet, geronnenes Blut entfernt und abgesaugt worden.

„Bei der Milz beschränken wir uns auf eine Resektion“, sagte Dr. Baumgart. „Ist jemand anderer Meinung?“

Chefarzt Dr. Holl signalisierte Zustimmung, indem er ein kurzes Okay durch den Mundschutz vernehmen ließ.

„Wäre die komplette Entfernung nicht besser?“ Kollege Michael Wolfram, ebenfalls Chirurg, stand auf der anderen Seite des OP-Tisches. Mit zwei Rundhaken hielt er die Wundränder auseinander. „So würden wir weiteren Komplikationen vorbeugen.“

„Ich möchte die Blutgefäße erhalten, also versuchen wir es.“

Dr. Nico Baumgart blieb bei seiner Einschätzung. Die Milz wurde an der offenen Stelle vernäht und mit Gewebeklebern verschlossen. Ebenso verfuhren die Ärzte beim Lebereinriss.

Nun versorgte Dr. Holl die inneren Geschlechtsorgane. Die Eierstöcke schienen unverletzt, aber den rechten Eileiter musste er zu seinem großen Bedauern entfernen. Den linken vernähte er mit feinen Stichen an der Uteruswand. Sollte die nun verbliebene Tube durch die Bauchraumverletzungen im Laufe der Zeit verkleben, konnte diese junge Frau nicht mehr auf natürlichem Wege schwanger werden. Aber zum Glück gab es ja mittlerweile gute Methoden der künstlichen Befruchtung.

Zwischendurch machte Dr. Andrea Kellberg, die gemeinsam mit ihrer Assistentin Hanna Hartmann am Kopfende saß, auf die Kreislaufwerte der Bewusstlosen aufmerksam, die ebenfalls Anlass zur Sorge gaben.

Nico Baumgart wusste, dass es typische Unfallverletzungen waren, die sie behandelten. Laut Notarzt hatte die Frau das Fahrzeug gesteuert, aber auch ein Mann war noch dabei gewesen. Der Begleiter der Verunglückten war mit leichteren Verletzungen in eine andere Klinik gebracht worden.

„Wir müssen sie in einen künstlichen Tiefschlaf versetzen“, ordnete Chefarzt Dr. Holl an, der in seiner Eigenschaft als Gynäkologe ebenfalls anwesend war. Die Bauchverletzungen hatten ja auch die inneren Geschlechtsorgane in Mitleidenschaft gezogen.

„Hauptsache, wir können sie retten“, sagte Nico Baumgart inbrünstig. Er wusste nicht, wie viele Stunden er und das Team schon am OP-Tisch standen. Die körperliche Anstrengung war ihm auch unwichtig. Er wollte dieses junge Leben retten. Dafür ging er gern bis an seine Grenzen.

Acht Stunden nach Operationsbeginn gab Dr. Kellberg die passende Dosierung für den Tiefschlaf.

Dr. Baumgart und Dr. Wolfram gönnten sich erst einmal einen Kaffee, während Dr. Holl gleich nach Hause fuhr. Seine Dienstzeit war wieder einmal um Stunden überschritten, aber das betraf nicht nur ihn allein, sondern eigentlich alle seiner Mitarbeiter.

Unterwegs überlegte er schon, wie er seine Entschuldigung formulieren sollte. Erst gestern war er von seiner jüngsten Tochter Juju dringend aufgefordert worden, in Zukunft wieder öfter zu Hause zu sein.

„Sonst hab ich dich nicht mehr lieb, Papi“, hatte sie ihren Worten eindringlich hinzugefügt und versucht, dabei ganz streng dreinzublicken. Lange konnte sie die Strenge aber nicht durchhalten. Im nächsten Augenblick wurde er umarmt und bekam süße kleine Küsse auf die Wange.

Dr. Stefan Holl, Chefarzt und Gynäkologe, liebte seine Arbeit, die für ihn eher eine Berufung war.

Die Klinik hatte er von seinem Schwiegervater Walter Berling übernommen, der schon längst gemeinsam mit seiner Frau Nessy den wohlverdienten Ruhestand genoss.

Kaum zu Hause angekommen, sprang Juju ihrem Vater schon entgegen. Er fing die Kleine auf und schwenkte sie ein paar Mal durch die Luft, was bei ihr ein fröhliches Kreischen auslöste.

„Was ist denn hier los?“, rief Julia Holl, die im Hauseingang stand. „Geht’s nicht auch ein bisschen leiser?“

Stefan trug das Mädchen hinein, gab seiner Frau im Vorbeigehen einen Kuss und teilte mit, dass er kurz vor dem Hungertod stehe.

„Ich habe Cäcilie beim Kochen geholfen“, erklärte Juju ihrem heiß geliebten Papi, als der sie auf den Fußboden zurückstellte. „Du wirst sehen, heute schmeckt es ganz besonders gut.“

Wenig später überkam den Chefarzt der Berling-Klinik wieder dieses wunderbare Gefühl inmitten seiner Familie, diesem Quell der Kraft, den er für seine anstrengende Arbeit so dringend brauchte. Das gelegentlich recht turbulente Leben mit Julia und den vier gemeinsamen Kindern bedeutete für ihn mehr Erholung als drei Wochen Urlaub.

Heute saßen außer Juju noch der fünfzehnjährige Chris und die zwanzigjährigen Zwillinge Marc und Daniela am Tisch. Klar, dass es recht temperamentvoll zuging. Doch Mutter Julia gelang auch diesmal wieder eine halbwegs ausgewogene Moderation.

***

Dr. Nico Baumgart betrachtete die junge Frau, die er gemeinsam mit den Kollegen so lange operiert hatte. Ein Arm war schon geschient worden, ein Bein lag auf einem Gipsbett, das Beatmungsgerät arbeitete im immer gleichen Rhythmus.

Die Frau hieß Tina Lindner, war fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte in München. Das Fahrzeug war gegen einen Baum geprallt und später ausgebrannt. Bevor es in Flammen aufging, war es jedoch dem Beifahrer gelungen, seine Freundin aus dem Wagen zu bergen. Anschließend hatte er den Notarzt alarmiert. Mehr wusste Nico nicht.

Eine Weile blieb er noch neben der reglosen Gestalt des Unfallopfers stehen. Das Gesicht war geschwollen und wies einige Prellungen auf. Auf der Stirn befanden sich ein paar kleinere Schnittwunden, aber all das würde, ganz im Gegensatz zu den anderen Verletzungen, in ein paar Tagen wieder verheilt sein. Fraglich war auch, ob sie sich überhaupt noch an das schreckliche Geschehen erinnerte. Ereignisse dieser Art zogen nicht selten Gedächtnislücken oder gar den Gedächtnisverlust nach sich.

Nico Baumgart verließ die Intensivstation. Erst jetzt spürte er die Müdigkeit als Folge dieser langen Anstrengung und beschloss, sich einen Kaffee aus dem Getränkeautomaten zu holen. In seiner Hosentasche fand er ein passendes Geldstück, warf es ein und zog den Becher aus dem Fach.

Der Chirurg machte ein paar Schritte zum Fenster hinüber und schaute hinaus in den frühen Abend. Seit Wochen lag ein milder Herbst über dem Land. Laut Wetterbericht sollte es auch noch eine ganze Weile so bleiben. Das bunte Laub der Bäume setzte die schönsten Farbtupfer in die Landeshauptstadt. Schade, dass es nicht den Winter über so bleiben kann, dachte Nico.

Der schwarze und ungesüßte Kaffee schmeckte bitter, tat aber durchaus seine belebende Wirkung. Noch während Nico Schlückchen für Schlückchen den Becher leerte, hörte er aus dem gegenüberliegenden Raum ein erregtes Gespräch, in dem er auch Hannas Stimme zu hören glaubte.

Schließlich warf er das leere Gefäß in den Abfalleimer, machte ein paar Schritte über den Gang und schob die nur angelehnte Tür weiter auf.

„Hallo“, sagte er und lächelte. „Kann ich irgendwie behilflich sein?“

Dr. Andrea Kellberg und Dr. Hanna Hartmann standen sich wie zwei Kampfhennen gegenüber und fuhren jetzt auseinander. Dr. Kellbergs Miene wirkte ausgesprochen ärgerlich, während Hanna etwas betreten zu ihm hersah.

Andrea Kellberg ergriff als Erste das Wort.

„Danke, Nico, aber ich glaube, wir haben die Differenzen geklärt.“ Während sie sprach, glätteten sich die Falten auf ihrer Stirn.

„Es ging um den Tiefschlaf bei der Patientin Lindner. Die Kollegin Hartmann hat nicht die wirkungsabhängige Dosierung vorgenommen, die ich angeordnet hatte. Darum habe ich dieses Versäumnis korrigiert und sie nun daraufhin noch mal angesprochen. Bei so einer OP auf Leben und Tod dürfen solche Fehler nicht passieren.“

„Die OP war ja schon vorbei“, erklärte Hanna Hartmann ziemlich patzig und warf Nico einen hilfesuchenden Blick zu.

Der Arzt strich sich über das dunkelblonde Haar und schaute mit seinen blauen Augen von einer zur anderen. Er dachte gar nicht daran, für Dr. Kellberg oder für Hanna, mit der er befreundet war, Partei zu ergreifen, sondern blieb bewusst vage.

„Wenn wirklich ein grober Fehler passiert ist, muss einer der beiden Chefärzte, Doktor Holl oder Doktor Falk, informiert werden. Ansonsten gilt, dass die leitende Anästhesistin die Medikamentendosierung vorgibt, nach der man sich zu richten hat.“

„Danke, Nico“, sagte Andrea. „Ich verzichte auf eine Meldung, aber nur, wenn die Kollegin Hartmann mir versichert, dass so etwas nicht mehr vorkommt.“

„Das ist doch ein gutes Angebot“, meinte Nico. Er verspürte wirklich keine Lust, jetzt noch in einen Streit hineingezogen zu werden.

„Entschuldigung“, stieß Hanna schmallippig hervor.

„Angenommen!“ Andrea zwinkerte Nico verschwörerisch zu, bevor sie den Raum verließ.

„Was fällt dir ein, dich auf die Seite dieser blöden Kuh zu stellen?“, fauchte Hanna, kaum, dass sie allein waren.

„Die Kollegin Kellberg ist keine blöde Kuh“, versuchte Nico, seine Freundin zu beruhigen, und umfasste ihre Handgelenke. „Sie ist äußerst tüchtig, weshalb ich sie im OP sehr schätze. Außerdem hat sie recht. Sei also bitte nicht unsachlich.“

„Wie kommt sie dazu, mir Befehle zu geben, ich bin auch Narkoseärztin …“

„… in der Probezeit“, ergänzte Nico mit einer gewissen Gnadenlosigkeit ihren Satz. „Da gelten nun mal andere Regeln.“

„Wenn ich gewusst hätte, was das hier für ein Betrieb ist, wäre ich wahrscheinlich nicht hierhergekommen.“

„Hör auf, Liebling, bitte!“ Nico drückte ihr einen raschen Kuss auf den Mund, doch auch diese zärtliche Geste zeigte keine besänftigende Wirkung. „Andrea ist im Recht, du hingegen nicht. Du hast dich entschuldigt, damit ist die Sache erledigt.“

„Sie hat mich gedemütigt“, erklärte Hanna, immer noch empört. Sie war eine kleine und sehr zierliche Frau, die auf Männer stets ausgesprochen hilfsbedürftig wirkte. Aber wenn sie wütend war, konnte sie zur Furie werden. „Die Kellberg ist jünger als ich. Wer sagt denn, dass sie die größere Erfahrung hat?“

„Sie ist nun mal die Chef-Anästhesistin. Die Position hat mit dem Alter nichts zu tun. Im Übrigen weiß ich, dass sie ihre Ausbildung sehr zielstrebig vorangetrieben hat.“

Er zwickte sie verliebt ins Kinn. „Wie wär’s, wenn wir beide jetzt nach Hause fahren und uns eine schöne Flasche Wein aufmachen? Dazu essen wir einen Happen und entspannen uns nach diesem harten Tag. Und anschließend machen wir es uns im Bett gemütlich. Ist das nicht ein toller Vorschlag?“

Hanna bemerkte sehr wohl den zärtlichen Unterton in seiner Stimme.

„Na gut“, meinte sie immer noch ein wenig schmollend, küsste ihn aber zärtlich auf den Mund. „Lassen wir dieses Thema! Aber ich möchte zum Essen schick ausgehen. So kann ich mich am besten entspannen.“

Eigentlich verspürte Nico keine große Lust, sich jetzt in ein Restaurant zu setzen. Am liebsten hätte er es sich auf dem Sofa daheim bequem gemacht und einfach abgeschaltet, aber Hanna hatte nun mal anderes im Sinn.

Vor vier Monaten hatte er sie von Köln nach München an die Berling Klinik geholt, um endlich aus dieser schon lange andauernden Wochenendbeziehung etwas Richtiges zu machen, doch nun gestaltete sich das Zusammenleben viel schwieriger, als er angenommen hatte. Da seine Wohnung größer war als ihr Mini-Apartment, verbrachte sie die meiste Zeit bei ihm. Ja, eigentlich konnte man sagen, sie wohnte schon dort.

Eine Stunde später saßen sie in ihrem Lieblingslokal. Hanna plauderte unbefangen, sie schien den Tag und die Auseinandersetzung mit der Kollegin schon locker weggesteckt zu haben, während Nico immer wieder an die zurückliegenden Stunden denken musste.

Nach der Vorspeise entschuldigte er sich kurz und ging nach draußen, um kurz in der Klinik anzurufen. Schwester Inge, Stationsleiterin auf der Intensivstation, hatte keine besonderen Vorkommnisse zu berichten. Der Zustand der Patientin sei stabil, die angeschlossenen Monitore zeigten nichts Ungewöhnliches.

Beruhigt kehrte Nico Baumgart an den Tisch zurück.

***

„Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sich Dr. Holl, als er den Mann, dessen linker Arm in einer Schlaufe hing, etwas unsicher über den Gang humpeln sah.

„Ja, sicher.“ Der Besucher blieb stehen. Sein Gesicht war leicht lädiert, die Augen blau unterlaufen, die Unterlippe aufgesprungen.

„Mein Name ist Uwe Scholl. Meine Verlobte ist gestern hier eingeliefert worden. Wir hatten einen schweren Unfall. Der Wagen ist in Flammen aufgegangen. Totalschaden.“

Dr. Holl ahnte schon, wer gemeint war, erkundigte sich aber dennoch nach dem Namen.

„Wie heißt Ihre Verlobte?“

„Tina Lindner. Wie geht es ihr? Ich konnte nicht eher kommen. Mein rechtes Fußgelenk ist etwas lädiert. Ich muss es schonen. Wir waren auf dem Nachhauseweg von einer Geburtstagsparty. Mein Gott, ich kann es immer noch nicht fassen. Wird sie durchkommen?“

„Kommen Sie, setzen wir uns doch dorthin, so können Sie Ihren Fuß schonen. Ich bin einer von Frau Lindners Ärzten. Wir haben sie gestern stundenlang operiert und sie dann in künstlichen Tiefschlaf versetzt. Jetzt müssen wir erst mal abwarten. Ihr Zustand ist stabil; wenn das die nächste Zeit so bleibt, werden die Chancen mit jedem Tag größer.“

Uwe, ein schlanker junger Mann von dreißig Jahren, begann zu weinen und zu zittern. Stefan legte ihm mitleidig eine Hand auf die Schulter.

„Es wird eine Weile dauern, bis Sie dieses Erlebnis verarbeitet haben. Kaum jemand steht das ohne therapeutische Hilfe durch. Zögern Sie nicht, sich helfen zu lassen, wenn Sie allein damit nicht klarkommen.“

„Der Schock ist noch nicht ganz überwunden“, gab Uwe zu und wischte sich mit der rechten Hand über die Augen. „Aber Tina ist viel schlimmer dran als ich. Kann ich sie wenigstens sehen?“

„Ja, sicher. Kommen Sie.“

Dr. Holl brachte den jungen Mann persönlich zur Intensivstation, übergab ihn dann der diensthabenden Pflegerin und kehrte in sein Büro zurück, wo schon der Kollege Baumgart auf ihn wartete.

Sie sprachen über die Patientin Lindner und ihren augenblicklichen Zustand.

„Die Frakturen behandeln wir erst, wenn wir sie aus dem Tiefschlaf holen“, fasste Nico zusammen. „Meiner Einschätzung nach wird sie noch lange hierbleiben müssen.“

„Hauptsache ist doch, dass wir sie eines Tages als geheilt entlassen können“, erwiderte Dr. Holl.

Der Chefarzt der Berling-Klinik war ein gut aussehender Mann mit grauen Natursträhnen im dichten Haar. Er hatte immer ein offenes Ohr für seine Kranken, nahm sich auch Zeit für Trost und längere Gespräche. Nach seinem Dafürhalten wirkte sich Hektik für alle Betroffenen immer negativ aus. Darum wurde in seiner Klinik der Kontakt zum Patienten großgeschrieben.

***

Als Dr. Nico Baumgart auf die Chirurgie zurückging, traf er mit Schwester Inge zusammen.

„Gut, dass ich Sie treffe, Doktor“, sagte die Pflegerin. „Es kommen immer wieder Anrufe wegen Frau Lindner, vor allem besorgte Freunde. Welche Auskünfte soll ich geben?“

„Nur allgemeine“, schlug Dr. Baumgart vor. „Waren die Angehörigen schon da?“

„Ja, ein Mann, Uwe Scholl. Er ist ihr Verlobter, Doktor Holl hat ihn zu ihr geführt. Eine Weile hat er an ihrem Bett gesessen und ist dann wieder gegangen. Er sagte mir, dass die Mutter von Frau Lindner tot ist. Aber er hat mit dem Vater Kontakt aufgenommen. Der lebt mit seiner Familie in Neuseeland.“

„Das ist ja am anderen Ende der Welt! Wenn er anruft, stellen Sie mir das Gespräch bitte durch.“

Bei Dienstschluss wurde Nico von Hanna abgeholt. Sie lächelte ihn strahlend an, was auf allerbeste Laune hindeutete. Heute war Hanna mit einem Abend zu Hause sofort einverstanden.

Sie überraschte Nico sogar mit ein paar Leckereien und einer Flasche Sekt.

Nach dem Essen schauten sie einen Krimi im Fernsehen an.

„Wir sind schon gut aufeinander abgestimmt, findest du nicht?“ Hannas Kopf lag auf seiner Schulter. Mit den Fingerspitzen strich sie über sein Kinn.

Nico hielt die Hand fest und küsste sie.

„Ich bin ganz deiner Meinung“, bestätigte er arglos.

„Nur in einer Sache scheint es nicht zu klappen“, fuhr sie seufzend fort.

„Was meinst du?“

„Du weißt doch, dass ich gern ein Kind möchte …“

Der Chirurg setzte sich aufrecht hin.

„Hast du etwa die Verhütung ausgesetzt?“

Hanna ging auf seine Frage nicht ein.

„Ich bin jetzt vierunddreißig“, stellte sie fest. „Meine biologische Uhr tickt.“

„Nun, also ich …“

„Nico, wir lieben uns!“, rief die zierliche Dunkelhaarige beschwörend aus. „Wir haben keine Probleme und wollen zusammenbleiben. Zum vollkommenen Glück gehört für mich auch ein Kind. Eins jetzt und ein zweites ein Jahr später. Dann wären wir eine komplette Familie.“

Nico suchte verzweifelt nach ein paar guten Begründungen für seine Ablehnung, aber es fielen ihm keine ein.

Wie sollte er seine Haltung auch erklären? Damit, dass er sich mit seinen fünfunddreißig Jahren noch nicht reif fühle für eine Vaterschaft? Dass es eine schreckliche Vorstellung für ihn sei, ein Kind in diese böse Welt zu setzen? Oder sollte er einfach nur für eine sorglose Beziehung plädieren, die mit einem Kind nicht mehr möglich schien?

Hanna ging hinaus und kam mit einer Schachtel zurück, aus der sie ein Gerät heraushob. „Das habe ich mir gekauft“, sagte sie mit leichtem Triumph in der Stimme. „Ein Mini-Computer, der den Eisprung und die fruchtbaren Tage anzeigt. Damit wird es sicher klappen.“

Nico seufzte tief auf, doch Hanna überhörte diesen Laut und erklärte ihm voller Eifer die leichte Bedienung ihrer Errungenschaft, die fortpflanzungswilligen Paaren zum Wunschkind verhelfen sollte.

„Diese Wohnung wird dann aber irgendwann zu eng für drei“, meinte Nico und bemühte sich vergeblich, ein wenig begeisterter dreinzuschauen.

„Solange das Kind klein ist, wird’s schon gehen.“ Mit Leichtigkeit ging Hanna über seinen Einwand hinweg. „Und später suchen wir uns eben etwas Größeres. Vielleicht sogar ein Haus am Stadtrand.“

Nun wiederholte sie noch einmal alle Argumente, die für den Nachwuchs sprachen.

Nico gab sich geschlagen. „Wirst du deinen Beruf aufgeben?“

„Nein, auf keinen Fall“, widersprach Hanna. „Die erste Zeit nach der Geburt teilen wir uns in die Pflege unseres Babys. Später dann geben wir es in eine Krippe.“

Er nahm sie in die Arme und küsste sie, damit wenigstens für diesen Abend das Thema vom Tisch war, doch nach ein paar Augenblicken wehrte sie ihn ab.

„Heute ist es noch nicht so weit“, erklärte sie ihm. „Wir müssen noch ein paar Tage warten.“

Um diese Bemerkung zu verdauen, musste er unbedingt noch ein Glas trinken. Mit Sex wurde es ja heute garantiert nichts mehr …

***

Am nächsten Tag musste Dr. Nico Baumgart etliche Fragen von Anrufern beantworten, alles Leute, die sich als Tinas Freunde ausgaben und sehr in Sorge um die junge Frau waren. Der Chirurg betonte immer wieder, dass der Zustand der Patientin stabil sei, er aber noch keine Prognosen abgeben könne.

Es wurden Blumen und Geschenke zugestellt, und auch Briefe trafen ein. Alles wurde für den Tag aufbewahrt, an dem man das intravenös verabreichte Narkosemittel absetzen würde.

Nach einer knappen Woche einigten sich Dr. Holl und Dr. Baumgart, dass dieser Zeitpunkt nun gekommen war. Nico und Andrea Kellberg, die Anästhesistin, verbrachten eine ganze Weile am Lager der Patientin, bis die ersten Regungen in deren Gesicht anzeigten, dass sie kurz davor war, das Bewusstsein wieder zu erlangen.

Würde sie sich sofort an den Unfall erinnern und den mit Sicherheit einsetzenden Schock darüber verkraften können?

Als die Patientin zu blinzeln begann, erhob sich Andrea. „Da ist sie wieder!“, sagte sie lächelnd zu ihrem Kollegen. „Ihre Patientin!“

Zum ersten Mal sah Nico in Tina Lindners braune Augen. Ihr Blick war der einer Traumatisierten, verwirrt und trübe.

„Nicht gleich wieder abtauchen!“, bat er und klopfte ihr ganz leicht auf die rechte Wange. „Bleiben Sie hier.“

Die Lider glitten wie Rollos über den Augapfel nach unten. Vielleicht war diese seltsame Umwelt, in der sie sich jetzt befand, noch zu anstrengend für sie.

„Wir sind in der Berling-Klinik“, sagte der Arzt so sanft wie möglich. „Ich bin Ihr Chirurg. Nico Baumgart ist mein Name. Sie hatten einen Unfall.“

Lange Zeit blieb es still. Nico dachte schon, sie sei vom Wachsein wieder abgetaucht unter die Oberfläche ihrer Empfindungen, dorthin, wo es immer ruhig war und sie keine Angst verspürte.

Doch plötzlich sprach sie: „Ich habe Schmerzen.“ Ihre Stimme klang wegen der vorgenommenen Intubierung noch etwas heiser, aber sie hatte nicht die Kraft, sich zu räuspern.

„Das wird gleich besser werden“, sagte er und winkte Schwester Inge. Nach einem kurzen gedämpften Gespräch injizierte die Pflegerin ein starkes Schmerzmittel in den Venenkatheter.

„Sie haben lange geschlafen“, nahm Nico seinen Bericht wieder auf, als Inge sich zurückzog. „Wir haben Sie operiert und danach in eine Langzeitnarkose versetzt. Die Einzelheiten erzähle ich Ihnen später.“

„Seit wann bin ich hier?“ Die Worte kamen nur zögernd von ihren Lippen. Das Sprechen strengte sie an.

„Eine Woche“, erwiderte Nico. „Ihr Zustand ist stabil. Sie werden wieder gesund werden.“

„Wo ist Uwe?“

„Ihr Verlobter, nicht wahr? Er war schon hier und wollte Sie sehen. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde ihn gleich benachrichtigen.“

„Bitte, tun Sie das …“ Tränen bildeten sich in den Samtaugen und hinterließen bei ihrem Lauf über die bleichen Wangen feuchte Spuren.

Behutsam tupfte er mit einem Papiertuch über ihr Gesicht, das trotz einiger Schrammen und Prellungen von seiner Schönheit kaum etwas verloren hatte.

„Weinen Sie nicht“, bat Nico und umfasste vorsichtig ihre linke Hand, zusammen mit dem Gesicht einer der wenigen Körperteile ohne Bandagen. „Sie sind hier bei uns gut aufgehoben. Meine Kollegen und ich tun alles, um Sie bald wieder als gesund entlassen zu können. Aber ein wenig Zeit dafür müssen Sie schon noch aufbringen.“

„Bald?“, hauchte sie. „Wann ist das?“

„Ruhen Sie sich aus!“, wich er leise aus, als ihm bewusst wurde, dass er ihr darauf auch nicht ansatzweise eine halbwegs stimmige Antwort geben konnte. Wann sie wieder ins Leben zurückkehren konnte, stand allenfalls in den Sternen.

Erleichtert stellte er fest, dass ihre Hand erschlafft war. Tina Lindner schlief friedlich. So sollte es sein. Jetzt kam es darauf an, dass sie die anstehenden Untersuchungen und den anstrengenden Heilungsprozess hinter sich brachte, was sicher noch einige Rückschläge bringen und auch viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Das beste Heilmittel war und blieb der Schlaf, der als gute und natürliche Medizin und außerdem frei von jeglichen Nebenwirkungen oft die erstaunlichsten Ergebnisse zeitigte. Noch abends zu Hause sah er immer wieder Tinas erschütternd traurige Augen vor sich und beschloss ganz unbewusst, sich um diese Patientin besonders intensiv zu kümmern.

***

„Haben Sie gut geschlafen, Frau Lindner?“, erkundigte sich Schwester Inge.

„Ja, ich glaube“, gab Tina zurück. Als sie versuchte, sich ein wenig aufzurichten, durchzuckte sie ein heftiger Schulterschmerz.

„Sie machen gute Fortschritte.“ Schwester Inge zog das verrutschte Laken zurecht. „Wenn Sie so weitermachen, dürfen Sie bestimmt bald auf die normale Station wechseln. Dort werden Sie mehr Ruhe haben als hier.“

„Ihr Verlobter hat übrigens angerufen“, fuhr Inge fort, während sie das Kissen aufschüttelte. „Ich soll Sie herzlich grüßen. Er freut sich sehr, dass sie nun nicht mehr im künstlichen Koma liegen, und möchte Sie heute Nachmittag besuchen. Auch die Polizei will noch mit Ihnen sprechen, aber dieses Ansinnen hat Doktor Baumgart vorläufig zurückgewiesen.“

Tina seufzte leise. Noch war ihre Erinnerung von Lücken unterbrochen, aber dass sie mit Uwe im Auto gefahren war, wusste sie noch. Und auch, dass es vorher einen heftigen Streit gegeben hatte. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken, sondern sich auf die Heilung konzentrieren, auch wenn sie nicht so recht wusste, wie das ging.

„Es sind viele Blumen für Sie gekommen. Ich hatte sie über die ganze Station verteilt. Inzwischen ist schon ein großer Teil verwelkt. Und Sie haben viel Post bekommen. Möchten Sie, dass ich Ihnen etwas davon vorlese?“

„Nein“, murmelte Tina. Sie fühlte sich noch zu schwach, um sich Genesungswünsche anzuhören. Außerdem verstärkte sich das merkwürdige Gefühl, sie müsste die Welt da draußen und die hier drinnen strikt auseinanderhalten, jedenfalls so lange, bis sie wieder auf ihren eigenen Füßen überall hingehen konnte.

Nach dem Gespräch mit Schwester Inge schlief Tina erneut ein und wachte erst auf, als eine vertraute Stimme an ihr Ohr drang. Sie schlug die Augen auf.

„Uwe!“ Sofort stürzen ihr die Tränen aus den Augen.

Uwe gelang es trotz seines lädierten Arms, sich über sie zu beugen und auf die blassen Lippen zu küssen.

„Tinchen, wein nicht! Ich weiß, es hat dich übel erwischt, aber du bist doch schon über dem Berg. Es besteht keine Gefahr mehr, aber es wird lange dauern, bis du wieder auf den Beinen bist.“

„Weiß mein Chef schon Bescheid?“

„Natürlich, das habe ich alles erledigt. Ich habe auch deinen Vater informiert. Er lässt dir gute Besserung wünschen, kann jetzt aber unmöglich von seiner Firma weg.“

Tina schluchzte trocken auf. Auch wenn der Kontakt zum Vater eher dürftig war, hätte sie ihn jetzt in dieser für sie so schweren Zeit doch gern bei sich gehabt. Aber von Neuseeland nach München war es nun mal kein Katzensprung.

„Hast du ihm gesagt, wie es um mich steht?“

Uwe nickte zögernd und strich ihr ein wenig scheu über das Gesicht. Offensichtlich wusste er nicht so recht, wie er sich seiner schwer verletzten Verlobten gegenüber verhalten sollte.

„Ja, das habe ich getan, aber ich habe ihm Hoffnung gemacht, dass du wieder ganz gesund wirst, auch wenn es Monate dauert.“

„Monate?“ Sie bedachte ihn mit einem Blick, in dem sich Entsetzen und Resignation die Waage hielten. „Wer hat das gesagt?“

„Nun …“ Uwe biss sich auf die Lippen. Er hatte mit einer Pflegerin über Tina gesprochen, die ihm nicht viel Hoffnung auf eine baldige Besserung gemacht hatte. Und auch von Dr. Baumgart wusste er, dass Tina viel, viel Geduld brauchte, um wieder so zu sein wie vor dem Unglück. „Du hast ziemlich viele Verletzungen. Etliche Organe waren in Mitleidenschaft gezogen. Dazu noch die Knochenbrüche …“

Tinas Gesicht blieb unbewegt, aber wieder liefen die Tränen langsam und lautlos über die Wangen.

Eigentlich wollte Uwe noch mit ihr das besprechen, was ihm ganz besonders am Herzen lag, weil es den Unfall betraf. Bevor die Polizei mit ihr sprechen konnte, musste er unbedingt noch einige Punkte bezüglich des Unfalls mit Tina klären.

Aber er sah ein, dass sie jetzt dazu nicht in der Lage war, also stellte er seine Absicht zurück. Morgen würde er sie darum bitten, seine Version vom Unfallhergang zu bestätigen, falls sie danach gefragt wurde.

„Ich soll dich von der ganzen Clique grüßen, ganz besonders von Lilo.“

Ein winziges Lächeln stahl sich in Tinas Mundwinkel.

„Grüß sie zurück. Ich melde mich bei ihr, sobald ich kann.“

Seit der Schulzeit war die rothaarige Lilo Tinas beste Freundin. Sie teilten ihre Geheimnisse, vertrauten sich ihren Kummer an und verbrachten so manches Wochenende gemeinsam am Starnberger See.

„Alle werden dich besuchen, sobald die Ärzte es erlauben. In der Zwischenzeit kannst du ja mit ihnen telefonieren.“

„Sage allen meinen Dank für die Blumen und die Kartengrüße. Ich werde mich telefonisch bei ihnen melden, wenn ich dazu in der Lage bin. Im Augenblick möchte ich niemanden sehen, nur dich … bitte komm bald wieder …“

Sie brach ab. Die letzten Worte hatten sie sehr erschöpft. Und als Uwe jetzt auch von Schwester Inge ein unmissverständliches Zeichen bekam, verabschiedete er sich.

„Wie geht es deinem Arm?“, fragte Tina leise.

„Ach, das ist doch nicht der Rede wert“, wehrte er ab. „Du hast viel mehr abbekommen als ich. Tut mir wirklich leid, Schatz.“

Noch ein schneller Kuss auf die Stirn, dann war er schon draußen.

Der Aufenthalt in der Klinik bekam ihm nicht, ja, er hatte sogar den Eindruck, dass sich sein Gemütszustand beim Betreten des Gebäudes sofort verschlechterte. Seit jeher versuchte er, Kranken und Krankheiten so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Auch Tinas Anblick belastete ihn, aber er wünschte ihr, dass sie bald wieder so aussehen würde wie vor dem Unfall. Als er hinaustrat in den milden Tag, kletterte sein Stimmungsbarometer sofort wieder in die Höhe. Draußen wartete Lilo auf ihn.

Als sie ihn sah, kam sie sofort auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und drückte ihm einen innigen Kuss auf die Lippen.

„Na, wie war’s?“, erkundigte sie sich teilnahmsvoll und strich ihm über das Haar.

Uwe Scholl war das, was man einen sehr gut aussehenden Mann nannte. Er war schlank, wohlgebaut, hatte dichtes blondes Haar und stahlblaue Augen. Viele Frauen drehten sich nach ihm um, manche ganz offen interessiert, andere wieder mehr verstohlen. Selbst der hinkende Gang und der lädierte Arm in der Schlinge taten seinem Charme keinen Abbruch.

Er hielt Lilo fest. „Nur ein Kuss?“

Sie lächelte ihn verschmitzt an.

„Wir fahren zu mir“, schlug sie vor. „Dort gibt es dann noch etwas mehr … von allem.“

***

„Wo sind Sie gerade, Kollege Baumgart?“, erkundigte sich Dr. Holl schmunzelnd.

Nico zuckte zusammen. „Entschuldigen Sie bitte, ich war mit den Gedanken woanders.“

„Ja, das habe ich gemerkt. Gibt’s irgendwelche Probleme?“

Die beiden Ärzte standen gerade vor der Cafeteria, und Dr. Holl machte eine einladende Handbewegung.

„Wie wär’s mit einem Kaffee? Kommen Sie, leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Eine kleine Pause haben wir uns verdient.“

Nico kam der Aufforderung des Chefarztes gern nach, und noch während er darauf wartete, dass der Kaffeestrahl aus dem Automaten die Tasse füllte, freute er sich schon auf den ersten Schluck. Kaffee war jetzt genau das, was er brauchte.

Als die Männer sich dann am Tisch gegenübersaßen, kam Dr. Holl noch mal auf seine Eingangsfrage zurück, die bei Nico offensichtlich nicht angekommen war. Er wollte wissen, ob die Kollegen der Chirurgie bei der Patientin Tina Lindner schon einschätzen konnten, wie lange der Heilungsprozess wohl noch dauern würde.

„Einige Monate bis zu einem Jahr“, erwiderte Nico. „Seelisch kommt sie mir relativ stabil vor, hundertprozentig sicher bin ich mir aber nicht. Von einer körperlichen Wiederherstellung kann noch lange keine Rede sein. Leib und Seele müssen hier erst wieder zu einem harmonischen Ganzen zusammenfinden. Aber ich glaube, sie bekommt viel Unterstützung aus ihrem Freundeskreis. Täglich treffen Blumen und Anrufe ein.“

Nico nippte an seiner Tasse. „Darf ich Sie etwas Privates fragen, Doktor Holl?“

„Nur keine Scheu!“, forderte der Klinikchef den jüngeren Kollegen auf.

Nico suchte noch nach einer passenden Einleitung, doch dann formulierte er frank und frei, was er wissen wollte.

„Was halten Sie als Gynäkologe von Mini-Computern zur Ermittlung des weiblichen Eisprungs?“

Dr. Holl zog die Schultern hoch. „Nun ja, diese Geräte können durchaus dienlich sein, aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann dienen sie doch eher dem Profit der Hersteller. Der Eisprung kann ja immer nur ungefähr eingegrenzt werden, wann genau er stattfindet, ist immer nur ein Annäherungswert. Ein schlichtes Thermometer zur Messung der Basaltemperatur tut es genauso gut.“

Nico schaute den Chefarzt an. „Danke für Ihren Rat. Eine Bekannte erkundigte sich danach, aber da ich kein Gynäkologe bin, wollte ich mich erst einmal schlaumachen, bevor ich ihr eine Antwort gebe.“

Für einen winzigen Moment war Nico versucht, über seine Beziehung zu Hanna zu sprechen, konnte sich dann aber doch nicht dazu durchringen. Es wäre zu persönlich, und Dr. Holl würde das gewiss nicht interessieren.

Später, als er sich auf dem Nachhauseweg befand, überlegte er, ob er Hanna diese Information des erfahrenen Frauenarztes weitergeben sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte das Gerät ja schon gekauft, nun sollte sie es auch benutzen.

Die Frage allerdings, ob er jetzt wirklich ein Kind mit Hanna wollte, war damit noch nicht beantwortet. Im Grund wusste er es selber nicht.

Natürlich war die attraktive Ärztin die Frau an seiner Seite. Sie verstanden sich gut, auch wenn es manchmal zu Streitigkeiten kam, aber in welcher Beziehung war das anders? Nirgendwo gab es nur Friede, Freude, Eierkuchen. Wenn man mit einem anderen Menschen zusammenlebte, musste man immer Kompromisse schließen – oder aber allein bleiben, was er auf keinen Fall wollte.

Unterwegs hielt er an und kaufte ein paar Blumen, um Hanna eine Freude zu machen. Das gelang ihm dann auch tatsächlich.

Sie war schon da, als er die Tür aufschloss und fiel ihm gleich mal um den Hals.

„Ich habe schon sehnsüchtig auf dich gewartet“, sagte sie.

Ihr verheißungsvolles Lächeln versprach einen leidenschaftlichen Abend. Oder stand nur der Baby-Computer dahinter? Wie auch immer, um sich eine unangenehme Antwort zu ersparen, fragte er gar nicht erst, sondern zog sie einfach an sich.

***

Julia Holl bereitete ihrem Mann an diesem Abend einen ganz ungewöhnlichen Empfang. Sie hatte alles für ein Romantik-Dinner zu zweit vorbereitet.

„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich Stefan überrascht. Vom Vorhaben seiner Frau hatte er nichts geahnt. „Das ist ja, als befänden wir uns plötzlich auf Wolke sieben.“

Jetzt bekam er erst mal einen Begrüßungskuss, der etwas länger ausfiel als gewöhnlich.

„Die Zwillinge sind unterwegs, Chris ist seit heute auf Klassenfahrt, und Juju übernachtet bei ihrer Freundin Rena. Cäcilie bleibt bis morgen bei ihrer Cousine in Freising. Da dachte ich, wir machen uns mal einen schönen Abend zu zweit.“

„Ob wir das überhaupt noch können?“ Stefan schmunzelte in sich hinein. „Wir als altes Ehepaar und Eltern von vier Kindern?“

„Wir versuchen es einfach“, schlug Julia gut gelaunt vor und zündete die Tischkerzen an. „Entkorke schon mal den Wein, während ich die Vorspeise aus der Küche hole.“

„Dein Wunsch ist mir Befehl“, erklärte der Hausherr, während er das Etikett auf der Flasche studierte. Julia hatte einen weißen Burgunder vorgesehen. Er goss einen Schluck in sein Glas und verkostete den Wein. „Hervorragend“, stellte er genüsslich fest. „Also gönnen wir uns heute mal etwas ganz besonders Feines.“

„Erst gibt es gebackene Garnelen auf Lauchtörtchen. Danach Perlhuhn mit Spargelspitzen“, zählte Julia augenzwinkernd die Menüfolge auf. „Wenn es nicht schmeckt, können wir immer noch ins Restaurant gehen.“ Wenig später kehrte sie mit den gefüllten Porzellantellern zurück, die zu dem feinen Service gehörten, das sie sich vor ein paar Jahren anlässlich eines Besuches in Meißen geleistet hatten.

„Edler als hier könnte es in keinem Restaurant der Welt sein“, stellte Stefan fest. Er war begeistert, als er die Vorspeise kostete. „Schmeckt himmlisch“, stellte er fest. „Hast du das wirklich alles ganz allein fabriziert?“

„Zweifelst du etwa an meinen Kochkünsten?“, lachte Julia. „Auch wenn Cäcilie für unser leibliches Wohl die Hauptverantwortung trägt, so war ich doch auch immer eine gute Köchin, jedenfalls was Pasta und Gemüseaufläufe betrifft. Oder willst du das bestreiten?“

„Aber nein, mein Schatz. Ich finde deine Kreativität in der Küche ganz toll. Es ist einfach köstlich, was du uns da auftischst.“ Er legte das Besteck auf den Teller zurück und hob das gefüllte Glas. „Auf dein Wohl!“

„Auf unseres“, korrigierte Julia ihn sanft.

Das Essen war ihr gelungen, und der Wein passte hervorragend dazu. Entspannt saßen sie am Tisch und überließen sich ganz dem Genuss.

Nach dem Essen ließen sie draußen auf dem überdachten Teil der Terrasse den Tag ausklingen, der heute eher spätsommerlich als herbstlich war. Eine leichte Stola über den Schultern genügte Julia vollkommen, um sich wohlzufühlen.

„Woran denkst du?“, fragte sie leise.

„Ich genieße es, mit dir hier zu sitzen“, erwiderte er, und jedes seiner Worte drückte tiefe Zärtlichkeit aus.

„Küss mich!“, verlangte seine Frau. Stefan Holl zögerte nicht den Bruchteil einer Sekunde, dieser Aufforderung nachzukommen.

***

Eine Woche später hatte sich der Zustand von Nicos Sorgenpatientin so weit stabilisiert, dass man sie von der Intensivstation in ein Einzelzimmer verlegen konnte.

„Hier werden Sie mehr Ruhe haben, Frau Lindner“, meinte er begütigend, als er sah, dass dieser kleine Umzug ihr doch mehr Stress als erwartet verursachte.

„Wann immer Sie etwas wünschen, klingeln Sie bitte. Unser Vierundzwanzig-Stunden-Service stets immer für Sie da“, scherzte er. „Nur keine Skrupel!“

„Danke, Doktor Baumgart“, sagte Tina. Ihre Stimme klang schon wieder viel kräftiger. Die Heiserkeit war verschwunden, und manchmal glaubte er, in ihren braunen Augen so etwas wie neuen Lebensmut zu sehen. „Was Sie alle hier für mich tun, weiß ich zu schätzen.“

„Wenn Sie möchten, können Sie jetzt auch Besuch empfangen, aber nicht alle Ihre Freunde auf einmal. Sie können telefonieren oder fernsehen und sich die Zeit so angenehm wie möglich machen. Fühlen Sie sich denn gut genug, um der Polizei noch ein paar Fragen zu beantworten?“

„Ja, ich glaube schon“, sagte Tina. „Aber vorher möchte ich von Ihnen noch die genaue Diagnose hören. Was wurde mir entfernt, mit welchen Unfallfolgen muss ich in Zukunft zurechtkommen? Und wann werde ich die Berling-Klinik wieder verlassen können?“

„Ihre Fragen werde ich alle beantworten, doch lassen Sie mir noch ein paar Tage Zeit. Genießen Sie inzwischen die neue Umgebung, soweit Ihnen das möglich ist. Wenn sie den Kopf ein wenig nach rechts drehen, können Sie die wunderbaren Herbstfarben der Gartenanlagen sehen. Ich finde, diese Farben haben immer etwas sehr Beruhigendes.“

Plötzlich stand Uwe in der Tür. Er hatte nicht angeklopft. „Hier bist du!“, rief er leicht gereizt und dann doch wieder erleichtert aus. „Schatz, ich musste dich erst suchen!“

„Na, dann lasse ich Sie jetzt mal allein.“ Nico drückte ganz sanft Tinas Arm, und zu dem Besucher sagte er: „Bitte keine Aufregung!“

„Schon gut“, wiegelte Uwe ab. „Ich war nur im ersten Moment so erschrocken, als sie nicht mehr auf der alten Station war.“

Nico zog die Tür hinter sich zu und ging zum Chefarzt-Büro hinüber. Als er den Raum fast erreicht hatte, trat Stefan aus der Tür.

„Ich war bei der Patientin Lindner“, berichtete Nico. „Sie will jetzt Gewissheit haben, mit welchen Problemen sie nach ihrer Entlassung fertig werden muss.“

„Das kann ich der jungen Frau nicht verdenken“, meinte Dr. Holl und seufzte tief. „Sie hat ja ihr ganzes Leben noch vor sich. Dennoch, dass sie durch den Unfall unfruchtbar geworden ist … diese Tatsache möchte ich ihr gern noch eine Weile vorenthalten. Es ist ja nicht unbedingt nötig, ihr das jetzt schon aufzutischen, solange sie noch ans Bett gefesselt ist.“

„Sie haben recht“, pflichtete Nico dem älteren Kollegen bei. „Das kann noch warten. Viel wichtiger ist jetzt, dass sie so hergestellt wird, um wieder eigenständig leben zu können. Das wird noch eine ganze Weile in Anspruch nehmen.“

***

An diesem Abend kam Nico mit einer Lustlosigkeit nach Hause, die er sich selbst nicht erklären konnte. Hinter ihm lagen sechzehn Stunden harter Arbeit in der Klinik, jetzt wäre die Zeit, sich von seiner anstrengenden Tätigkeit zu erholen, doch merkwürdigerweise trat dieser Zustand nicht ein.

Hanna berichtete als Erstes wie nun fast jeden Tag von ihren täglichen Ovulations-Mess-Ergebnissen.

Während Nico versuchte, eine interessierte Miene zu machen, ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass ihn dieser ganze Weiberkram eigentlich überhaupt nichts anging. Aber das konnte er Hanna natürlich nicht sagen, wenn er sich nicht wieder einer endlosen Befragung über seine Gefühle für sie und ihre kommenden Kinder unterziehen wollte.

„In den nächsten Tagen wird es zum Eisprung kommen“, sagte sie. „Dann sollten wir alle achtzehn Stunden Sex zu haben. Schaffst du das?“

Jetzt musste Nico laut herauslachen.

„Zweifelst du etwa daran?“, erkundigte er sich ironisch. „Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist der Zwang, der jetzt dahintersteckt.“

„Wenn wir es auf eine Schwangerschaft anlegen, bleibt uns keine andere Wahl. Nico, ich muss mich ranhalten.“

„Es ist aber auch so, dass gerade der Druck, den du dir nun selber machst, genau das verhindert, was du erreichen willst.“

„Ich setzte mich nicht unter Druck“, behauptete Hanna. „Wir werden das jetzt ein Jahr versuchen. Und wenn sich dann immer noch kein Erfolg eingestellt hat, werde ich mich von unserem Chefarzt über eine künstliche Befruchtung beraten lassen.“

Ein Jahr lang Liebe nach dem Mini-Computer!, dachte Nico frustriert. Das kann ja heiter werden.

***

„Lilo war noch gar nicht da“, beklagte sich Tina bei ihrem Verlobten, der neben ihr am Bett saß. „Weißt du, was mit ihr los ist?“

„Wahrscheinlich erstickt sie wieder mal in Arbeit“, erwiderte er mit abgewandter Miene. „Ruf sie doch an!“

„Ja, irgendwann in den nächsten Tagen werde ich das tun“, stimmte Tina ihm zu. „Wie geht es dir, Uwe? Ist dein Fuß schon besser? Und der Arm …?“

Er fing an zu lachen. „Wir beide gäben mit unseren Bandagen bestimmt ein lustiges Paar ab“, amüsierte er sich. „Das nächste Mal bringe ich den Fotoapparat mit.“

„Ich will mich so nicht fotografieren lassen“, widersprach Tina. „Ich konnte noch nicht in den Spiegel schauen, aber bestimmt sehe ich ganz schlimm aus.“

Auch wenn Uwe ihre Worte nicht direkt bestätigte, sondern höflich lächelnd den Kopf schüttelte, so glaubte sie doch in seiner Miene eine Bestätigung ihrer Worte zu lesen. Heftiger Widerspruch seinerseits hätte ihr jetzt so gutgetan.

Prellungen und Hämatome verheilten, darum würde sie eines Tages wieder ihr altes Aussehen zurückhaben. Leider war der Weg dahin noch ziemlich weit. Sie brauchte nur mit den Fingerspitzen über die lädierten Stellen im Gesicht zu fahren, um zu wissen, dass noch längst nicht alle äußeren Verletzungen abgeheilt waren, von den inneren ganz zu schweigen.

Uwe zog sich mit dem rechten Arm einen Stuhl heran und setzte sich.

„Tina, ich muss noch was mit dir klären. Ich habe bei der Polizei zu Protokoll gegeben, dass du am Steuer gesessen hast und ich der Beifahrer war.“

„Aber das stimmt doch gar nicht!“, stellte Tina verwundert fest. „Warum hast du denn nicht die Wahrheit gesagt? Was hat es denn für einen Sinn, jetzt zu lügen?“

„Hör zu, das ist sehr wichtig für mich! Du musst meine Aussage bestätigen. Ich hatte Alkohol im Blut, du nicht. Willst du, dass sie mir den Führerschein abnehmen? Dann bin ich beruflich erledigt.“

Tina öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch sie schloss ihn wieder.

„Ich habe dich aus dem brennenden Wagen gezogen. Und du bestätigst im Gegenzug, dass ich nicht am Steuer gesessen habe.“

Gespannt wartete Uwe auf die Reaktion seiner Verlobten. „Du weißt, dass ich als Immobilienverkäufer viel unterwegs sein muss …“

„Ich dachte, du hast mich aus dem Wagen gezogen, weil du mich liebst und Angst um mich hattest.“

„So ist es doch auch, Schatz!“ Seine rechte Hand berührte sie an dem Arm, in dem der zentrale Venenkatheter steckte. „Nur deswegen habe ich mich in Lebensgefahr begeben …“

Tina erinnerte sich an die Auseinandersetzung, die sie mit ihm nach der Party auf dem Nachhauseweg gehabt hatte. Gut, er hatte zu viel getrunken, was in der letzten Zeit häufiger vorkam. Sie hatte ihm zu viele Fragen gestellt, die ihm unangenehm waren, und wissen wollen, ob es eine andere Frau in seinem Leben gab, was ihr aber nur seinen Vorwurf eingetragen hatte, krankhaft eifersüchtig zu sein und Gespenster zu sehen.

Ihre Augen waren voller Tränen gewesen, als plötzlich diese scharfe Kurve auftauchte, Uwe die Kontrolle über den Wagen verlor und sie sich schreien hörte. Dann hatte sie das Bewusstsein verloren und war erst Tage später in der Klinik aufgewacht.

„Ich liebe dich doch!“, sagte er. „Es ist doch völlig egal, ob ich am Steuer gesessen habe oder du. Auch du warst doch von der plötzlich auftauchenden Kurve überrascht.“

„Ja, weil wir gestritten und nicht auf die Verkehrsschilder geachtet haben, ich weiß.“ Tinas Worte klangen jetzt sehr schuldbewusst. „Ich hätte nicht mit dir streiten dürfen, während du fuhrst. Es tut mir leid.“

„Ich liebe dich!“ Er drückte ihre Hand. „Dann wirst du mir also den Gefallen tun?“

„Natürlich“, erwiderte die junge Patientin. „Ich will doch auch nicht, dass du noch Schwierigkeiten bekommst.“

„Dir werden sie den Führerschein nicht abnehmen, weil du ja vollkommen nüchtern warst. Du hast also gar nichts zu befürchten.“

Er schaute auf die Uhr. „Du, ich muss los“, sagte er.

„Kommst du morgen wieder?“

„Morgen kann ich nicht“, gab er bedauernd zurück. „Ich bin in der Firma.“

„Aber dein Arm ist doch eingegipst. Und fest auftreten kannst du auch noch nicht.“

„Aber deswegen kann ich doch ein wenig am Computer arbeiten“, erklärte Uwe optimistisch. Mach es gut, Schatz. Ich melde mich wieder.“

Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, hielt Tina für einige Minuten die Augen geschlossen, damit sich der Aufruhr in ihrem Herzen wieder legte.

Uwe arbeitete seit einigen Monaten in der Immobilienfirma Kranz. Sie selbst hatte ihm über ihre beste Freundin Lilo diesen Job vermittelt. Und wie es aussah, arbeiteten Lilo und Uwe gut zusammen. Ziemlich schnell hatte er sein Verkaufstalent unter Beweis gestellt.

Tina selbst arbeitete als Architektin frisch von der Uni in einem Planungsbüro, allerdings nur halbtags, sodass sie sich ziemlich abmühen musste, um mit dem Geld klarzukommen.

Doch so bald wie möglich wollte sie mit Uwe zusammenziehen. Er hatte ihr auch schon zugesagt, den größten Teil der Miete an der neuen Wohnung zu übernehmen. Und da er selbst an der Quelle saß, würde er schon etwas Passendes für sie beide finden.

Doch nun war alles anders. Die alten Pläne galten nicht mehr. Jetzt musste sie geduldig sein und gesund werden. Nach Dr. Baumgarts Worten konnte es noch lange dauern, bis dieses Ziel erreicht war. Dann erst konnte sie wieder an einen neuen Lebensplan denken.

***

Lilo wartete wieder auf ihren heimlichen Geliebten. Sie hielt ihm lächelnd die Wagentür auf, als er heranhumpelte. Bevor er sich etwas umständlich mit dem verletzten Fuß auf dem Beifahrersitz niederließ, gab sie ihm noch einen Kuss.

„Nicht hier!“, warnte er. „Wenn man uns sieht!“

„Aber Tina ist doch ans Bett gebunden. Sie kann nicht aufstehen und aus dem Fenster schauen.“

Bevor Lilo hinter dem Steuer Platz nehmen konnte, läutete ihr Handy. Babsi, eine Freundin aus der Clique, war dran. Schnell ging Lilo ein paar Meter vom Fahrzeug weg, denn Uwe musste nicht unbedingt hören, was sie mit Babsi zu besprechen hatte. Die wollte erst einmal wissen, wie es Tina gehe.

„Ich komme gerade von ihr“, log Lilo fröhlich. „Es geht ihr nicht besonders gut.“

„Hast du ihr schon gesagt, dass du und Uwe hinter ihrem Rücken was angefangen habt? Ehrlich, Lilo, ich finde das ziemlich schäbig von euch.“ Babsi schnaufte empört.

„Aber wir lieben uns!“, rief Lilo aus, zügelte den kleinen Ausbruch jedoch sofort wieder. „Es ist uns ernst. Unsere Liebe ist aufrichtig. Und dass Tina darunter leiden muss, tut niemandem mehr leid als mir, das kannst du mir glauben. Aber täglich trennen sich unzählige Menschen voneinander, weil sie sich in jemand anders verliebt haben.“

„Du bist ihre beste Freundin!“

Lilo blieb gefasst. „Sobald ihr Zustand noch etwas stabiler ist, sprechen wir mit ihr. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Ich werde Tina in den nächsten Tagen besuchen“, kam es trotzig aus dem Telefon.

„Nein, das wirst du nicht tun! Tina hat mir heute selbst gesagt, dass sie dich nicht sehen will, auch Theres und Gerd nicht, und schon gar nicht den lauten Micha. Bitte, tu mir den Gefallen und sag allen Bescheid! Die Ärzte sehen es auch nicht gern, wenn man sich bei Tina dauernd die Klinke in die Hand gibt.“

„Hör mal, Lilo, ich lass mir von dir keine Vorschriften machen …“

„Darf ich dich daran erinnern, dass ich dir vor zwei Monaten ein äußerst preiswertes Apartment zugeschanzt und auf meine Provision verzichtet habe? Ich kann den Vermieter jederzeit davon überzeugen, dass er ein Drittel mehr an Miete bekommen könnte. Wir sind schließlich in München. Dann wärst du deine Bleibe wieder los.“

„Du bist gemein, Lilo.“

„Nein, ich will nur nicht, dass du dich in meine Angelegenheiten einmischst. Haben wir uns verstanden …?“ Lilo hatte nicht bemerkt, dass sich am Himmel ein Herbstgewitter zusammenbraute. Kalte Luft aus dem Osten vermischte sich mit der bisherigen Wärme. Es begann zu brodeln und zu blitzen, und der erste dicke Tropfen fiel auf Lilos Nasenspitze. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte sie hastig. „Hier geht gerade ein Unwetter los. Ich melde mich wieder bei dir. Ciao.“

Rasch stieg sie ein und seufzte erleichtert auf.

„Mit wem hast du denn so angeregt geplaudert?“, wollte Uwe wissen.

„Mit Babsi“, gab Lilo zurück. „Sie hat uns beide neulich in dem italienischen Lokal gesehen, erinnerst du dich? Wir haben uns ziemlich oft geküsst, und das ist ihr natürlich sauer aufgestoßen. Sie hat mir Vorwürfe gemacht, weil du doch Tinas Verlobter warst. Aber sei ganz beruhigt, sie wird Tina nichts sagen, dafür habe ich schon gesorgt.“

Uwe seufzte. Und er verfluchte die Unfallnacht. Er war ja drauf und dran gewesen, Tina im Fahrzeug alles zu gestehen, als er die Beherrschung über das Fahrzeug verlor.

Und natürlich hatte auch der Alkohol eine große Rolle gespielt. Wenn das alles nicht passiert wäre, könnte er sich jetzt schon seiner Freiheit erfreuen und ganz ungeniert mit Lilo zusammen sein.

„Es wird höchste Zeit, dass Tina Bescheid weiß“, verlangte Lilo. „Ich habe keine Lust, unsere Beziehung noch länger zu verstecken.“

„Du bist ihre beste Freundin!“

„Das hat Babsi auch gesagt. Aber mir bleibt ja nur, auf dich zu verzichten oder auf Tina. Ich habe mich für die zweite Möglichkeit entschieden. Wir beide sind ein unschlagbares Gespann im Immobiliengeschäft. Und außerdem liebe ich dich.“

Uwe schaute in zwei grüne, äußerst unternehmungslustige Augen in einem ebenmäßigen Gesicht voller Sommersprossen. Und einmal mehr hatte er das Gefühl, mit Lilo in ein viel aufregenderes Leben zu starten, als es mit Tina möglich gewesen wäre.

Lilo beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Nach einigen Minuten normalisierten sich die himmlischen Wasserfälle wieder. Endlich startete Lilo den Wagen und fuhr los.

Uwe seufzte tief. Obwohl ihm längst klar geworden war, dass er eine gute Zukunft nur mit Lilo Kranz haben konnte, die jetzt schon zur Geschäftsführung gehörte, dachte er mit äußerst unangenehmen Empfindungen an das Geständnis, das er Tina bald machen musste. Es würde keinen Weg daran vorbei geben. Außerdem brauchte er klare Verhältnisse, nicht so sehr deswegen, weil er ein Wahrheitsfanatiker war.

Vielmehr kam es ihm hauptsächlich darauf an, sich endlich mit der Tochter des Firmeninhabers Kranz in aller Öffentlichkeit zeigen zu können. Niemals wieder würde er Lilo freiwillig aufgeben. Denn sie war nicht nur eine attraktive Frau, sondern kam auch noch aus einem reichen Elternhaus. Wenn alles gut lief, würde er in einigen Jahren gemeinsam mit ihr die Firmenspitze bilden.

Darum musste er sich von Tina trennen, sobald ein wenig Gras über den Unfall gewachsen war – und nachdem sie seine Version des Geschehens der Polizei gegenüber bestätigt hatte.

Wie sie darauf reagieren würde, dass ausgerecht Lilo, ihre beste Freundin, jetzt ein Trennungsgrund war, konnte er natürlich jetzt noch nicht abschätzen. Vielleicht fiel ihm ja noch etwas ein, wie er dann eine persönliche Aussprache umgehen konnte.

***

„Alles okay?“, erkundigte sich Nico leise bei der Patientin, deren Lampe über dem Bett noch brannte.

„Ja, danke“, gab Tina leise zurück. „Ich kann nicht schlafen.“

Eigentlich wollte er ihr ein Schlafmittel vorschlagen, doch er besann sich anders. Die wahre Heilkunst lag nicht immer unbedingt in der Verabreichung von Medikamenten und in der Erstellung von umfangreichen Diagnosen, denn oft blieb dabei das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient auf der Strecke. Die junge Patientin schien etwas ganz anderes nötig zu haben, nämlich Fürsorge und Anteilnahme.

Nicos Funkgerät war auf Empfang. Auf der Station war es ruhig. Er hatte diese ganze Woche Nachtdienst, was er als eine gewisse Freiheit von Hanna betrachtete, also schloss er die Tür hinter sich und setzte sich an Tinas Bett.

„Was tun Sie hier?“, fragte Tina verwundert. „Ich meine, jetzt, um diese Zeit?“

„Ich habe Nachtdienst, ganz einfach. Bis morgen früh. Die ganze Woche lang.“ Er lächelte, während er den Kopf auf die Seite neigte. „Oder ist Ihnen meine Anwesenheit unangenehm?“

„Aber nein, ganz im Gegenteil. Ich dachte nur, weil ich ja nicht allein auf der Station bin und …“

„Im Augenblick zählen nur Sie. Sie sind hier Patientin und haben schon viel durchmachen müssen. Hier können Sie abgeschirmt und in aller Ruhe wieder gesund werden. Selbstverständlich bekommen Sie die besten Therapien. Aus ärztlicher Sicht haben Sie den Weg der Besserung schon eingeschlagen. Ich begleite Sie auf diesem Weg, bis das Ziel erreicht ist. Ich möchte Ihnen Ihre Fragen beantworten und mit Ihnen auch über das sprechen, was Ihnen auf dem Herzen liegt oder Ihnen sogar Angst macht. Mit anderen Worten, ich stehe Ihnen zur Verfügung.“

Danach trat ein längeres Schweigen ein. Tina musste sich erst einmal daran gewöhnen, dass es jemandem gab, der ihr etwas ganz Wichtiges schenkte, nämlich seine Zeit! Und dann gestand sie sich ein, dass ihr Vertrauen in diesen Arzt unendlich groß war.

Bei Uwe hingegen hatte sie immer das Gefühl, dass er sich abkapselte, in Eile war und darum schnell wieder verschwand. Ja, natürlich wusste sie, dass er die Atmosphäre einer Klinik, in der sich so viele kranke Menschen aufhielten, nur schwer ertrug, aber solche Gefühle spielten doch keine Rolle mehr, wenn es um einen geliebten Menschen ging.

„Wie ich sehe, haben Sie viele Blumengrüße bekommen.“ Weich und leise drang Dr. Baumgarts Stimme in ihre Gedanken.

„Ja, von Bekannten und Freunden. Und von Uwe, der zur Zeit des Unfalls bei mir war und mich gerettet hat.“

Nico schwieg dazu, weil ihm das Gespräch unangenehm wurde, aber er gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Auf keinen Fall durfte er die Patientin beunruhigen. Dass er diesen Mann, der ein Bein nachzog und den Arm in der Schlinge trug, erst gestern auf dem Parkplatz beobachtet hatte, wie er eine andere Frau küsste, das durfte sie jetzt nicht erfahren. Es könnte ihre Genesung nachhaltig beeinträchtigen.

„Eigentlich wollten wir noch in diesem Herbst zusammenziehen“, fuhr Tina arglos fort. „Aber jetzt muss ich erst mal wieder gesund werden. Was glauben Sie, wie lange es dauern wird? Mein Chef wollte das wissen, als ich heute mit ihm sprach.“

„So ein Heilungsprozess ist von Mensch zu Mensch verschieden. Und er hängt auch von vielen Faktoren ab. Nicht nur die Therapien sind wichtig, sondern auch ein gutes Umfeld, das heißt, Angehörige und nahestehende Menschen, die einen unterstützen.“

Dr. Baumgart räusperte sich. „Ich denke, dass es mindestens noch drei Monate dauern wird, bis Sie so weit wiederhergestellt sind, um für ein paar Stunden täglich zu arbeiten. Seien Sie geduldig mit sich selbst, das wird Ihnen am besten helfen. Und jetzt werde ich Sie wieder verlassen, denn während ich sprach, sind Ihnen schon zweimal die Augen zugefallen. Schlafen Sie gut und träumen Sie etwas Schönes.“

„Kommen Sie wieder, Doktor?“

„Selbstverständlich.“ Er lächelte sie herzlich an. „Ich komme so lange, wie Sie mich brauchen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht!“, hauchte Tina. Zwei Minuten später schlief sie ein. In dieser Nacht träumte sie erstmals nicht von dem schrecklichen Unfall, sondern von ihrer Mutter, die ihr von Weitem zuwinkte und ihr etwas zurief, was Tina aber nicht verstehen konnte.

***

„Haben Sie einen Moment Zeit für mich?“ Hanna lächelte den Chefarzt so verführerisch an, dass der sie erstaunt musterte.

„Was kann ich für Sie tun, Frau Kollegin?“, erkundigte er sich sachlich. Sie standen mitten auf dem Gang der Chirurgie. Als ein Pfleger mit einem Patienten im Krankenbett näher kam, zog Dr. Holl die zierliche Ärztin im weißen Kittel zur Seite.

„Vielleicht könnten wir das in Ihrem Büro besprechen“, schlug Hanna vor.

„Dann folgen Sie mir bitte!“ Dr. Holl machte eine einladende Handbewegung. Er war ohnehin auf dem Weg dorthin gewesen. Natürlich war auch ihm der Streit zwischen den beiden Anästhesistinnen zu Ohren gekommen. Möglicherweise wollte Frau Dr. Hartmann darüber noch einmal mit ihm reden.

Umso überraschter war er dann, als sie ein ganz anderes Thema ansprach. Ihr Interesse galt dem neuesten Stand der künstlichen Befruchtung.

„Sie wissen ja sicher, dass Nico und ich ein Paar sind. Schon lange bemühen wir uns um ein Kind, aber es klappt nicht. Ich habe mir sogar einen Baby-Computer angeschafft, um den günstigsten Zeitpunkt herauszufinden.“

Jetzt erinnerte sich Dr. Holl wieder an das Gespräch mit dem Kollegen Dr. Baumgart, als der sich nach dem Sinn und Zweck eines solchen Gerätes erkundigt hatte.

Nein, er wusste nichts von der Verbindung dieser beiden. Dass Frau Dr. Hartmann ihn ohne Umschweife in ihre Paar-Probleme einweihte, war ihm ein wenig unangenehm. Ganz gewiss würde er sich zu diesem Punkt nicht äußern.

„Nun ja, die In-vitro-Fertilisation ist schon längst kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Die Erfolge können sich sehen lassen. Allerdings geht einer solchen Behandlung immer ein ausführliches Gespräch mit dem Paar voraus.“

„Nico hat diese Woche Nachtdienst und hat mich darum schon mal allein vorgeschickt“, schwindelte Hanna charmant.

„Eine Erfolgsgarantie gibt es natürlich nicht“, sagte Dr. Holl. „Sie wissen ja sicher, dass in einem Behandlungszyklus nur ein Eibläschen heranreift. Um die Chancen zu erhöhen, wird eine Hormonbehandlung vorgenommen, um genügend befruchtungsfähige Eizellen aus den Ovarien zu gewinnen. Wie alt sind Sie, Frau Kollegin?“

„Vierunddreißig.“

„Nun, dann sollten Sie nicht schon in Torschlusspanik verfallen. Wie lange versuchen Sie denn schon, schwanger zu werden?“

„Ein paar Monate …“

„Dann kann eine Schwangerschaft doch immer noch auf dem natürlichen Wege zustande kommen“, wandte Dr. Holl ein.

„Aber ich bin so ungeduldig.“ Hanna verzog das Gesicht.

„Sie sollten sich nicht unter Druck setzen, das wäre kontraproduktiv. Wir sollten ein gemeinsames Gespräch für nächste Woche ausmachen und die Vorgehensweise erörtern.“ Zum Glück meldete sich Moni, seine Sekretärin, und erinnerte ihn an eine Besprechung mit zwei Kollegen, die von auswärts kamen. Stefan erhob sich. „Tut mir leid, dass ich jetzt keine Zeit mehr für Sie habe. Lassen Sie sich von Frau Wolfram einen Termin geben, dann reden wir weiter.“

Hanna musste sich mit dieser vorläufigen Auskunft zufriedengeben und verabschiedete sich vom Chefarzt. Eine halbe Stunde später war sie bereits auf dem Heimweg.

***