Die besten Ärzte - Sammelband 65 - Katrin Kastell - E-Book

Die besten Ärzte - Sammelband 65 E-Book

Katrin Kastell

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Beschreibung

Willkommen zur privaten Sprechstunde in Sachen Liebe!

Sie sind ständig in Bereitschaft, um Leben zu retten. Das macht sie für ihre Patienten zu Helden.
Im Sammelband "Die besten Ärzte" erleben Sie hautnah die aufregende Welt in Weiß zwischen Krankenhausalltag und romantischen Liebesabenteuern. Da ist Herzklopfen garantiert!

Der Sammelband "Die besten Ärzte" ist ein perfektes Angebot für alle, die Geschichten um Ärzte und Ärztinnen, Schwestern und Patienten lieben. Dr. Stefan Frank, Chefarzt Dr. Holl, Notärztin Andrea Bergen - hier bekommen Sie alle! Und das zum günstigen Angebotspreis!

Dieser Sammelband enthält die folgenden Romane:

Chefarzt Dr. Holl 1830: Quälende Wochen auf der Isolierstation
Notärztin Andrea Bergen 1309: Konkurrenz für Dr. Anger
Dr. Stefan Frank 2263: Wichtig sind nur du und ich
Dr. Karsten Fabian 206: Von jetzt an sag ich Mama zu dir!
Der Notarzt 312: Heute wird gelebt


Der Inhalt dieses Sammelbands entspricht ca. 320 Taschenbuchseiten.
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Seitenzahl: 544

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Katrin Kastell Marina Anders Stefan Frank Sybille Nordmann Karin Graf
Die besten Ärzte - Sammelband 65

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2016/2018 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © PeopleImages.com - Yuri A / Shutterstock

ISBN: 978-3-7517-6479-7

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Die besten Ärzte - Sammelband 65

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Chefarzt Dr. Holl 1830

Quälende Wochen auf der Isolierstation

Die Notärztin 1309

Konkurrenz für Dr. Anger

Dr. Stefan Frank 2263

Wichtig sind nur du und ich

Dr. Karsten Fabian - Folge 206

Die wichtigsten Bewohner Altenhagens

Von jetzt an sag ich Mama zu dir!

Der Notarzt 312

Heute wird gelebt

Guide

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Contents

Quälende Wochen auf der Isolierstation

Warum plötzlich niemand in ihrer Nähe sein durfte

Von Katrin Kastell

Eduard Möllenberg und Patrizia Larsen haben in Rio gemeinsam eine Reportage über den dortigen Karneval gedreht. Die Zusammenarbeit hat bestens funktioniert, obwohl sich die beiden vorher gar nicht grün waren.

Privat kam es hingegen zu allerlei Verwicklungen. Nun macht sich Eduard große Sorgen um seine Kollegin, die gestern nach der Landung in München plötzlich totenbleich war und tiefe Schatten unter den Augen hatte. Nachdem Patrizia heute am Telefon nur wirr dahergeredet hat, macht Eduard sich sofort auf den Weg zu ihr. Auf sein Klingeln öffnet niemand, aber zum Glück kommt er ins Haus. Kurz darauf findet er Patrizia. Sie ist im Badezimmer zusammengebrochen und fantasiert im Fieber …

„Hallo, Julia! Willkommen, Stefan! Immer nur hereinspaziert! Ihr kennt das doch. Papas Geburtstag ist jedes Jahr ein Volksauflauf, und wer immer kann, huldigt ihm. Den Größenwahn müssen dann Mama und wir Kinder für den Rest des Jahres ausbaden“, scherzte Patrizia Larsen, als sie Dr. Stefan Holl und seine Frau Julia ins Haus bat, in dem es von Gästen nur so wimmelte.

„Patrizia Larsen! Wirst du wohl damit aufhören, deinen alten Herren an seinem Ehrentag zu verunglimpfen“, schimpfte ihr Vater, der lachend an die Tür kam und das Ehepaar herzlich umarmte, während es ihm gratulierte.

„Was wahr ist, muss wahr bleiben“, konterte seine Tochter und bekam von ihm einen angedeuteten Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite.

Dr. Lars Larsen feierte seinen siebzigsten Geburtstag. Unter den Gynäkologen Münchens war der alte Arzt eine Legende. Er hatte viel für die Frauenheilkunde in der Stadt geleistet. Unter seinen Gästen fanden sich zahlreiche Kollegen, aber auch Mütter, die seinem Einsatz und seiner Unterstützung verdankten, dass sie entgegen aller Prognosen eigene Kinder hatten.

Dr. Holl, der Leiter der Berling-Klinik in München und selbst Gynäkologe, ließ es sich nicht nehmen, öfter einmal bei seinem alten Lehrer und Freund vorbeizusehen, und der Besuch zum Geburtstag war Ehrensache. Dr. Larsen war eine besondere Persönlichkeit. Er hielt nie mit seiner Meinung hinter dem Berg, konnte, wenn es Not tat, direkt bis an die Grenze zur Unhöflichkeit sein, und zugleich war er ein einfühlsamer, sensibler Zuhörer.

„Stefan, sei froh, dass deine vier Kinder noch von dir abhängig sind und brav sein müssen! Seit Patrizia bekannt ist wie ein bunter Hund, ist sie unausstehlich geworden“, revanchierte sich Lars bei seiner Tochter für ihren Scherz.

„Papa! Du sollst doch nicht immer auf deiner Jüngsten herumhacken“, kam da eine tiefe Bassstimme von der Tür her, und Rolf Larsen kam herein. Er war ein Hüne von einem Mann mit dunkler, fast schwarzer Hautfarbe. Geboren war er in Nigeria.

Rolf war mit fünfundvierzig Jahren das älteste der Larsen-Kinder. Dr. Larsen und seine Frau Emma hatten ihn mit sieben Jahren adoptiert, als sie auf einem Hilfseinsatz in Afrika gewesen waren. Brüderlich legte er einen Arm um Patrizia, konnte das Sticheln aber auch nicht lassen.

„Ich finde es klasse, ein prominentes Schwesterlein zu haben“, lobte er sie. „Neulich habe ich dich bei einer Kochsendung entdeckt. Bemerkenswert. Soweit ich weiß, hast du vorher so gut wie keinen Kontakt zu einer Küche von innen aufgebaut, und deine Künste beschränkten sich wie bei mir auf die Bedienungsanleitung der Mikrowelle. Aber siehe da! Meine kleine Schwester ist groß geworden und erteilt Kochratschläge“, nahm auch er sie auf die Schippe.

„Ihr seid doof!“, schimpfte Patrizia und machte sich von ihrem Bruder los. Mit zweiunddreißig Jahren moderierte sie eine eigene Sendung bei einem anerkannten Fernsehsender, in deren Zentrum Tanz und Musik standen.

Man sah sie allerdings häufig auch als Gast bei den unterschiedlichsten Shows und heiteren Talkrunden, weil das Publikum sie für ihre frische, natürliche Art mochte. Nicht nur in München war ihr Gesicht allgemein bekannt.

„Weil wir stolz auf dich sind, Schwesterlein?“, fragte Rolf unschuldig.

„Weil ihr keine Gelegenheit auslasst, euch über mich lustig zu machen. Das Showgeschäft funktioniert nun einmal so. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, und wenn der Sender mir sagt, ich muss irgendwo auftreten, dann muss ich das auch. Mit Eitelkeit hat das wenig zu tun. Es geht knallhart um Einschaltquoten“, rechtfertigte sich Patrizia, die mit Grauen an die Kochsendung dachte.

„Kind, wir machen doch nur Spaß!“, meinte ihr Vater begütigend. „Also ich fand den ungewohnten Anblick von Patrizia Larsen in einer Küche am Herd sogar irgendwie ganz nett. Meine Generation kann Frauen am Herd durchaus noch etwas abgewinnen, wenn wir es auch nie zugeben würden, und alte Familienrezepte – das ist etwas ganz Besonderes!“

„Ich gebe es auf! Ihr lasst sowieso nicht locker. Möchte jemand das Rezept von den Semmelknödeln, das in unserer Familie seit Generationen kursiert?“, fragte Patrizia in ihr Schicksal ergeben.

„Ich! Schließlich soll ich es von meiner Mutter selig übernommen haben“, mischte sich Emma Larsen in das Gespräch ein. „Übrigens mache ich meine Knödel tatsächlich nach einem Geheimrezept deiner Oma. Du hättest fragen können!“

Patrizia schnitt eine Grimasse. Von den Familienknödeln hatte sie fünf Minuten vor der Sendung in der Maske erfahren. Mancher der Auftritte im Abendprogramm war ihr äußerst unangenehm und peinlich. Ihr gutes Aussehen war in Bezug auf ihren beruflichen Werdegang eher ein Hindernis. Eigentlich hatte sie Politologie studiert und einen ganz anderen Weg einschlagen wollen.

Tanzen war immer nur ihr Hobby gewesen, aber irgendwie galt sie plötzlich als Expertin für Tanzstile rund um den Erdball. Ihre politischen Ansichten interessierten dagegen niemanden, und den Traum, als Moderatorin eine prominente Politrunde zu einer guten Sendezeit zu moderieren, konnte sie vorerst vergessen.

Es stand außer Zweifel, dass sie Karriere machte, aber etwas in ihr blieb dabei unbefriedigt. Anfangs hatte es durchaus Spaß gemacht. Alles war neu und eine Herausforderung gewesen. Inzwischen konnte ihre Sendung sie kaum noch fesseln, und das meiste war Routine. Die guten Beiträge drehten andere im Ausland, und sie moderierte an, sorgte für gute Laune und langweilte sich dabei.

Immer öfter fragte sie sich, ob sie nicht die Reißleine ziehen und den Mut finden sollte, noch einmal ganz neu anzufangen. Was wünschte sie sich vom Leben? Was fehlte ihr? Fragen, die sie umtrieben, und einige Antworten waren ihr nur zu bewusst, wenn sie auch nicht wusste, wie sie daran etwas ändern sollte.

„Patrizia, ich schaue mir deine Sendung gerne an und freue mich jede Woche darauf“, mischte sich Julia Holl ein. „Als ich jung war, habe ich selbst gerne getanzt, und für eine Amateurin war ich gar nicht so übel.“

„Hört! Hört! Das hätte ich gerne gesehen!“, sagte Dr. Larsen mit leisem Spott.

„Da hättest du tatsächlich etwas zu sehen bekommen, Lars! Julia liebte die lateinamerikanischen Tänze, und sie war verdammt gut auf dem Parkett. Anfangs wollte sie mich unbedingt dafür begeistern, mit ihr zu tanzen“, sagte ihr Mann und schmunzelte. „Mit meinen zwei linken Beinen konnte ich sie zum Glück dann rasch vom Gegenteil überzeugen.“

Julia und Stefan Holl lachten bei der Erinnerung und nahmen sich zärtlich an der Hand. Auch wenn nie ein begnadetes Tanzpaar aus ihnen geworden war, führten sie eine lebendige und tiefe Beziehung.

Patrizia beobachtete das Paar und war ein wenig traurig. Genau das war es, was sie sich mehr als alles andere wünschte. Ob es in ihrem Leben wohl auch irgendwann einen Menschen geben würde, der sie so ansah wie Stefan Holl seine Frau? Eine eigene Familie, einen Partner und Kinder – das war etwas, was sie auf jeden Fall wollte, aber leider verfügte sie über die Gabe, jeden Mann nach ein paar Wochen zu vertreiben.

„Kind, irgendwann triffst du auf den Richtigen, der mit deinem Temperament, deiner inneren Unabhängigkeit und deinem Tempo umgehen kann. Du musst Geduld haben!“, tröstete ihre Mutter sie immer, wenn sie mit ihr darüber sprach. Sie nahm sich den Rat zwar zu Herzen, aber allmählich ging ihr trotz allem die Geduld aus.

Patrizia war fünf Jahre alt gewesen, als ihre Eltern sie in einem Kinderheim gefunden und adoptiert hatten. Lars und Emma Larsen mochten nicht ihre leiblichen Eltern sein, aber es waren wunderbare Eltern, die sie innig liebte. Bei ihnen hatte sie alles gefunden, was ein Kind brauchte, um sich entfalten zu können.

Da Emma keine Kinder bekommen konnte, hatten die beiden nach und nach fünf Kinder bei sich aufgenommen und ihnen ein Zuhause und eine Familie geschenkt. Patrizia hätte sich kein schöneres Elternhaus wünschen können, und auch zu ihren Geschwistern und deren Familien hatte sie einen engen Kontakt und ging in ihrer eigenwilligen Großfamilie auf.

Lars und Emma liebten ihre Kinder über alles. Sie hatten sie immer in allem gefördert und ihnen Lebensfreude und Lebensmut mit auf den Weg gegeben. Bei ihnen war es immer fröhlich und lebhaft zugegangen. Am Tisch war diskutiert, gelacht und auch gestritten worden.

Rolf war der Älteste. Dann gab es Nina mit einundvierzig, Petro mit achtunddreißig, Sabine mit vierunddreißig und schließlich Patrizia mit zweiunddreißig Jahren. Die Familie hielt eng zusammen. Eigentlich traf man sich mehr oder weniger jedes Wochenende irgendwo, ohne dass daraus eine große Sache gemacht wurde. Wer Lust und Zeit hatte, der kam, und wer seine Ruhe brauchte, dem nahm es keiner übel.

Wo immer die Larsens waren, herrschte munteres Treiben. Emma und Lars hatten inzwischen sieben Enkelkinder, die für Trubel sorgten. Außer Patrizia waren alle ihre Geschwister längst verheiratet. Ihre Nichten und Neffen liebten die Tante, mit der man jeden Unfug treiben konnte. An ihren freien Wochenenden sammelte sie öfter zwei oder drei von ihnen ein und unternahm etwas mit ihnen.

Patrizia war ein Familienmensch durch und durch und brauchte Leben um sich. Stille und Beschaulichkeit, das war nicht ihre Sache. In ihrer Zweizimmerwohnung in der Nähe des Senders fiel ihr die Decke auf den Kopf, wenn sie keine Termine hatte, und eigentlich hielt sie sich dort nur zum Schlafen auf.

„Kind, hilfst du mir mit den Häppchen? Du bist doch jetzt ein erfahrener Küchenprofi …“, fragte Emma Larsen, die wieder in die Küche musste.

„Mama, ich lasse dich selbstverständlich an meinem unerschöpflichen Wissen teilhaben und mache die Gurkengläser für dich auf! Die Pflicht ruft!“, entschuldigte sich Patrizia humorvoll und ging mit ihrer Mutter davon.

„Was bin ich für ein Gastgeber! Stehe hier mit euch herum, und ihr habt nicht einmal etwas zu trinken! Was hättet ihr gerne? Julia? Weißwein? Rotwein? Sekt? Bier? Wasser wie das liebe Vieh? Es gibt alles“, erklärte Lars fröhlich. „Getränke sind meine Aufgabe, und ich fürchte, hier sitzen einige auf dem Trockenen, weil ich pflichtvergessen plaudere.“

„Darf ich dir ein wenig zur Hand gehen?“, fragte Julia Holl sofort.

„Lass dich nicht aufhalten, meine Liebe!“, willigte er sichtlich erleichtert ein. „Dort drüben steht alles.“ Er deutete auf einen Tisch.

Ganz selbstverständlich half Julia beim Bewirten, und Stefan und Lars standen bald inmitten einer Traube von Ärzten, die sich angeregt über neue Forschungsergebnisse und ungewöhnliche Fälle unterhielten. Noch immer suchte man den Rat des alten Arztes, der sich nach wie vor über Fachzeitschriften auf dem Laufenden hielt und sich seine ganz eigenen Gedanken machte, die oft auf Protest bei der Pharmaindustrie gestoßen wären.

Stefan Holl diskutierte eifrig mit und wünschte sich, in Lars’ Alter einmal noch genauso wach und informiert zu sein. Der alte Arzt war sein großes Vorbild.

***

„Patrizia, wir haben ein Problem. Möllenberg hat zugeschlagen. Nadja Tauber weigert sich, mit ihm für den Beitrag über den Karneval nach Rio zu fliegen. O-Ton: Du kannst mich fristlos feuern, aber mit diesem Ekelpaket arbeite ich nicht zusammen! “

„Soll ich mit ihr reden und sie beruhigen?“, fragte Patrizia gelassen. Ihr Programmleiter hatte sie schon mehr als einmal gebeten, empörte Kolleginnen und Kollegen zu besänftigen, wenn es um Eduard Möllenberg ging.

„Keine Chance! Ich habe alles versucht. Sie hat geweint und nicht nur ein demonstratives Tränlein, sondern eine wahre Flut.“ Der Programmleiter schüttelte sich. Tränen waren ihm zuwider, und wer ihn kannte, wusste, dass man damit nichts erreichte.

„Mit Tränlein habe ich keine Schwierigkeiten. Sie hat einen Vertrag und …“

„Tja, da liegt das Problem. Den hatte sie noch nicht. Es ging darum, ob er verlängert wird oder nicht, und der Sender hat sich für oder-nicht entschieden. Nadja wird nicht mit nach Rio fliegen. Sie ist draußen. Endgültig!“, unterbrach der Programmleiter sie.

Patrizia begriff. Das war hart. Möllenberg war ein begnadeter Dokumentarfilmer, und um seine Beiträge riss man sich. Als Mensch aber war er unausstehlich – arrogant, kaltschnäuzig, mit nichts zufrieden und immer übler Laune. Er galt als erbarmungsloser Einzelgänger, der jeden an seine Grenze trieb, der irgendwie mit ihm zusammenarbeiten musste.

Es gab niemanden, der gerne mit ihm arbeitete, und doch galt es als Auszeichnung, wenn er jemanden direkt anforderte. Es war ein Ritterschlag, denn er wollte nur die Besten.

Nadja Tauber war noch Anfängerin und hatte es nicht leicht im Team. Sie sah gut aus, war ehrgeizig und bemühte sich, aber irgendwie wollte ihr kein Beitrag so ganz gelingen. Etwas fehlte ihr, was sie mit Lautstärke und Lebhaftigkeit überdecken wollte, aber das gelang leider nicht.

Patrizia wusste nicht, wen Möllenberg für Rio ursprünglich angefordert hatte, aber Nadja war es mit Sicherheit nicht gewesen. Sie war nicht sein Niveau. Die junge Kollegin tat ihr leid. An Möllenberg waren schon alte Hasen gescheitert, und das, ohne gleich entlassen zu werden.

„Nadja hat sich nicht so gut angelassen, aber sie war dabei, sich zu machen. Sie ist gar nicht mehr so übel und arbeitet hart an sich. Wer immer sie für Möllenberg eingeteilt hat, war ein Sadist. Ich meine …“

„Herzblatt, ich habe Nadja den Karneval-Beitrag zugewiesen. Möllenberg hat geschnaubt vor Zorn. Dem Typ mussten einmal Grenzen gesetzt werden. Er kann nicht jedes Mal, wenn er einen Beitrag für uns macht, die Besten anfordern. Würde er exklusiv für uns arbeiten, ja dann …“

„Dann ging es dir eigentlich darum, Möllenberg zu ködern, indem du ihn ärgerst? Ausgefeilte Strategie. Wirklich. Nur bei ihm eindeutig die falsche. Damit gewinnst du bei einem sturen Schädel wie ihm keinen Blumentopf. Und Nadjas Vertrag wolltest du nie verlängern, oder?“, durchschaute Patrizia sein Spiel.

„Kluges Mädchen!“

„Nenne mich nie wieder Mädchen! Und solltest du mich irgendwann entlassen wollen, dann sage es mir gefälligst ins Gesicht und spiele keine fiesen Spiele!“, wies Patrizia ihn kühl in seine Schranken.

Es gefiel ihr nicht, wie am Sender mit Menschen umgegangen wurde. War man gut in seinem Job, konnte man sich so ziemlich alles leisten. Schwächelte man einmal oder brachte nicht die erwartete Leistung, gab es kein Pardon.

Er grinste nur sein Wolfsgrinsen und reichte ihr wortlos einen schmalen Ordner. Sie warf einen Blick hinein, dann sah sie ihn überrascht an und hatte ihre Verärgerung und ihren Widerwillen augenblicklich vergessen.

„Ist das dein Ernst?“ Vergeblich versuchte sie, die Freude zu unterdrücken. Seit zwei Jahren bat sie ihn immer wieder darum, draußen eingesetzt zu werden. Sie wollte nicht mehr nur im Studio arbeiten und stattdessen eigene Beiträge produzieren.

„Freu dich nur nicht zu sehr! Möllenberg fordert dich seit einer Ewigkeit als seine erste Wahl an. Er hat wohl ein Faible für dich. Karneval in Rio mit Eduard Möllenberg – das ist besser als eine Schachtel Pralinen, die mit Rizinusöl versetzt sind. Du kannst mir danken, wenn du es überlebt hast! Falls ich dich dann nicht entlassen …“

„Danke!“, jubelte Patrizia und drückte ihm im Überschwang ihrer Freude rechts und links einen Kuss auf die Wange, wie es am Sender allgemein üblich war. Möllenberg jagte ihr keine Angst ein. Wenn es sein musste, konnte sie mindestens so boshaft sein wie er, und in einem waren sie sich ähnlich. Sie waren beide Perfektionisten und lieferten nur brillante Arbeit ab.

„Küsschen für den Programmleiter – haben Sie das nötig, Larsen?“, kam es da spöttisch von der Tür her.

„Eduard Möllenberg persönlich. Wenn man vom Teufel spricht … Was für eine Ehre! Falls Sie vorhaben, dafür zu sorgen, dass noch jemand seinen Job verliert, muss ich Sie enttäuschen. Mich bekommen Sie nicht klein!“, antwortete Patrizia kämpferisch. Sie konnte diesen Mann nicht ausstehen und geriet jedes Mal mit ihm aneinander, wenn sie aufeinandertrafen.

„So! So! Dann ist Nadja Tauber rausgeflogen. Gut so! Sie ist zu alt, um ihre Zeit länger zu vergeuden. Vor einer Kamera hat sie nichts verloren, wenn ich ihr auch durchaus zugestehe, recht nett auszusehen. Ihr fehlt jede Natürlichkeit. Sie hat kein Charisma und keine Ausstrahlung. Mein kostenloser Rat fürs Berufsleben: Ab hinter einen Schreibtisch und los geht es!“

„Wie gemein, kann man denn sein? Haben Sie überhaupt kein Gewissen?“ Patrizia verstand diesen Mann nicht, und wie immer brachte er sie auf die Palme.

„Was hat das mit meinem Gewissen zu tun, wenn jemand einem Berufstraum nachjagt, für den er nicht geschaffen ist? Ich wette mit Ihnen, Larsen, dass Mister Küsschen dort meiner Meinung ist. Und? Habe ich recht?“, wandte er sich an den Programmleiter.

„Nadja hat nicht das Zeug für eine gute Moderatorin. Schönheit allein reicht nicht, und es war ein Fehlgriff von mir, sie überhaupt einzustellen. Sie ist zu blass, zu nichtssagend. Das Publikum hat sie vergessen, sobald sie nicht mehr zu sehen ist. Keine Zukunft“, stimmte er geschäftsmäßig zu. „Mit solchem Material können wir unsere Einschaltquoten nicht halten und sind weg vom Fenster.“

„Wer ist hier gewissenlos?“, wollte Möllenberg spöttisch wissen. „Material – Larsen, lassen Sie sich das gut auf der Zunge zergehen! Sie sind Material.“

„Genau wie Sie, Möllenberg, nur dass ich mir dessen im Gegensatz zu Ihnen immer bewusst war“, konterte sie.

„Ich liefere Material, meine Gute, und zwar an den, der am besten zahlt und mir die optimalsten Bedingungen bietet. Um das einmal ganz klarzustellen: Sie sind Material, und ich liefere Material. Wir spielen auf vollkommen unterschiedlichem Level“, stellte er richtig und provozierte sichtlich mit Genuss.

„Ihr Turteltäubchen habt noch einiges zu bereden, bevor ihr morgen früh in euren Flieger steigt. Ich lasse euch dann einmal allein“, bemerkte der Programmchef ironisch.

„Morgen früh? Und meine Sendung? Übermorgen ist der Dreh und …“

„Das ziehen wir vor und machen es nachher noch schnell.“

„Aber …“

„Patrizia, morgen geht der Flieger, und ab jetzt musst du doppelt so viel leisten fürs selbe Gehalt. Falls du dich beschweren solltest, kann ich nur sagen: Du wolltest es so!“, bremste er sie aus.

„Und ob! Ich höre mich nicht klagen.“

***

Von dem Moment an, als der Programmleiter Patrizia den Ordner mit den Projektdaten in die Hand gedrückt hatte, bis zum Abflug am anderen Morgen musste sie tausend Dinge erledigen. Sie fand keine Sekunde Ruhe oder gar Zeit, sich etwas hinzulegen und zu schlafen.

Die Formalien wie das Umbuchen der Tickets und Ähnliches nahm ihr eine Assistentin ab, aber auch ohne sich darum zu kümmern, blieb ihr keine Zeit, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Sie rief die beiden am Morgen vom Flughafen aus an, als sie am Gate darauf warteten, an Bord der Maschine gehen zu dürfen.

„Mama, ich bin für zehn Tage in Rio. Möllenberg dreht eine Doku über den Karneval dort, und ich führe die Interviews, mache die Übergänge – bin das Gesicht vor der Kamera“, erzählte sie, und die Freude klang aus jedem Wort.

„Ist das großartig! Das hast du dir immer gewünscht“, freute sich ihre Mutter mit ihr.

„Entschuldige, dass ich nicht noch einmal kurz bei euch vorbeikommen und euch alles erzählen konnte! Ich habe es erst gestern erfahren. Eine Kollegin ist ausgefallen.“

Es war nicht die Art ihrer Eltern, Erwartungen zu haben und enttäuscht zu sein. Ganz im Gegenteil, die beiden überschütteten sie mit Fragen, weil sie wussten, wie wichtig es Patrizia war, nicht mehr nur im Studio zu arbeiten.

„Ist dieser Möllenberg nicht das Ekelpaket, von dem du uns ein paarmal erzählt hast und der bei euch die Damen reihenweise in Nervenzusammenbrüche treibt?“, wollte ihre Mutter unter anderem auch wissen.

Eduard Möllenberg saß direkt neben Patrizia, und sie war relativ sicher, dass er jedes Wort verstand. Fremder Leute Telefonate zu belauschen, das schien er für legitim zu halten, denn er spitzte ganz offensichtlich die Ohren, damit ihm kein Wort entging. Bei dieser Frage schmunzelte er selbstgefällig, als ob ihm jemand ein besonderes Kompliment gemacht hätte.

„Genau der!“, stöhnte Patrizia übertrieben. „Man kann nicht in allem Glück haben. Brasilien, Rio und jede Menge Samba – dafür nehme ich alles in Kauf, selbst einen Eduard Möllenberg“, antwortete sie und sah dem Lauschenden dabei direkt in die Augen.

Möllenberg lachte leise in sich hinein und ließ sie zu Ende telefonieren.

„Mutig! Sie nehmen mich in Kauf – ich bin beeindruckt“, kommentierte er, als sie aufgelegt hatte. „Und besonders hat mir die Lüge gefallen: Meine Kollegin ist ausgefallen. Soll die Mama nicht wissen, dass wir ehrgeizig sind und über Leichen gehen? Passt das nicht ins ehrenwerte Tochterbild?“, spottete er.

„Sie wissen nichts über meine Beziehung zu meinen Eltern, und so soll es auch bleiben. Außerdem ist Nadja kurzfristig ausgefallen. Das ist keine Lüge“, knurrte sie.

„Nett! Ich sehe unserer Konversation in den kommenden zehn Tagen mit Vergnügen entgegen“, erwiderte er.

Patrizia antwortete nichts darauf. Die Müdigkeit nach über vierundzwanzig durchgearbeiteten Stunden kam mit Macht bei ihr durch. Sie gähnte mehrmals und konnte die Augen kaum offen halten. Sehnsüchtig dachte sie an ihren Platz im Flugzeug und wollte erst einmal eine Runde schlafen.

„Habe ich da einen üblen Tausch gemacht? Hoffen wir, dass Sie nicht immer so eine Schlafmütze sind. Das kann ich nicht brauchen“, tadelte er sie.

„Sparen Sie sich Ihre Boshaftigkeiten bitte für die Arbeit auf, Möllenberg! Solange wir noch nicht in Brasilien gelandet sind, kann ich schlafen und gähnen nach Herzenslust, und es geht sie nichts an! Warum sitzen wir hier eigentlich nebeneinander? Sind wir etwa gute Freunde? Nicht dass ich wüsste! Ich bin wirklich müde, sonst wäre mir das nicht passiert.“ Mit diesen Worten stand sie auf, nahm ihr Handgepäck und suchte sich einen Platz am anderen Ende des Wartebereiches.

Amüsiert sah er ihr nach und blieb sitzen. Keine zehn Minuten später blieb Patrizia keine andere Wahl, als sich neben ihn zu setzen. Die Assistentin hatte dafür gesorgt, dass sie Plätze nebeneinander hatten. Vermutlich hatte sie es nett gemeint – vielleicht aber auch nicht.

Gute zwölf Stunden neben einem Eduard Möllenberg sitzen zu müssen – unter Umständen hatte da jemand seinem Neid ein Ventil verschafft. Patrizia nahm sich vor, solche Dinge in Zukunft dann doch lieber selbst zu organisieren, wenn sie rechtzeitig von einem Einsatz wusste.

„Da Sie ohnehin schlafen werden, sitze ich am Fenster“, bestimmte Möllenberg und setzte sich auf ihren Platz, ohne sie lange zu fragen oder gar zu bitten, mit ihm zu tauschen.

„Höflich, rücksichtsvoll und ungeheuer kollegial! Danke“, schimpfte Patrizia ironisch. Sie hatte sich über den Fensterplatz gefreut, weil er etwas mehr Raum bedeutete, um es sich gemütlich zu machen. Nun hatte sie einen Mittelplatz, und das war übel bei einem so langen Flug.

„So bin ich eben – immer charmant! Damen können davon ein Lied singen. Ich erobere die Herzen der stolzesten Frauen“, summte er und hatte die beste Laune. Kein Wunder, dachte Patrizia mürrisch, er saß schließlich auch am Fenster.

Der letzte Platz zum Gang des Flugzeuges hin wurde von einem Mann eingenommen, dessen Größe rundum gewaltig war. Mit knapp zwei Metern und beachtlichem Übergewicht musste es eine Tortur für ihn sein, sich irgendwie zusammenzufalten und sich in den viel zu kleinen und schmalen Sitz zu zwängen.

Eine Tortur bedeutete es auch für Patrizia, denn seine Beine und seine Körperfülle engten sie auf dem Mittelplatz derart ein, dass sie sich wie die Käsescheibe in einem Sandwich vorkam. Links von ihr saß Möllenberg, dem sie unter keinen Umständen zu nahe kommen wollte. Von rechts aber wurde sie mit reiner Körpergewalt nach links gedrängt und musste sich verzweifelt dagegenstemmen.

„Entschuldigen Sie“, sagte ihr Nebensitzer bekümmert, dem natürlich nicht entging, wie viel Platz er einnahm. „Ich bin einfach nicht für diese Flugzeugsitze geschaffen.“

„Das ist doch halb so schlimm!“, antwortete Patrizia höflich und konnte sehen, dass Möllenberg sich das Lachen verkniff und ihre Notlage witzig fand. Sie hätte ihn erwürgen können.

„Was funkeln Sie mich so wütend an, Larsen? Ist das mein Problem? Aber wenn Sie meinen weisen Rat wünschen fürs Leben, dann fällt mir ein Spruch ein, den ich einmal gehört habe: Gute Mädchen kommen in den Himmel und böse überallhin“, bemerkte er nach einer Weile, als ihre Laune den Tiefpunkt erreicht hatte.

„Wie kommen Sie nur auf den Gedanken, dass mir auch nur im Entferntesten etwas an Ihrem Rat gelegen sein könnte? Ihr Ego spielt Ihnen Streiche, Möllenberg.“

Er lachte nur und sagte nichts. Das musste er auch nicht. Patrizia saß derart unbequem, dass sich jeder ihrer Muskeln verspannte. Noch bevor das Flugzeug überhaupt zu dem zwölfstündigen Flug gestartet war, fühlte sie sich wie eine Sardine in der Dose, der jede Gräte wehtat. Das konnte heiter werden!

„Ich hoffe, Sie genießen die wunderbare Aussicht auf meinem Platz“, giftete sie, als sie in der Luft waren.

„Unbedingt! Ihnen entgeht da wirklich etwas. Meist fliege ich ja erster Klasse, aber ich muss sagen, so ist es auch gemütlich. Der Geiz Ihres Senders hat tatsächlich sein Gutes. Man soll sich nie zu sehr verwöhnen. Abhärtung, das ist der beste Umgang mit sich selbst. Larsen, Sie gefallen mir! Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, den er gelassen ignorierte. Das Flugzeug startete endlich, und die Reise begann. Patrizia freute sich auf Rio und das Abenteuer, und das half ihr, über den Mann an ihrer Seite hinwegzusehen und sich auf das Schöne und Spannende zu konzentrieren. Müde wie sie war, fielen ihr trotz allem die Augen zu, sobald sie sich abschnallen konnte.

„Guten Morgen! Sie haben das Beste verschlafen. Wir landen in zwei Stunden“, sagte Möllenberg, als sie zehn Stunden danach aufwachte. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, und er hatte den Arm in einer unmöglichen Haltung um sie gelegt, damit sie es gemütlicher hatte. Sie hatte sich im Schlaf förmlich an ihn geschmiegt.

Peinlich berührt wollte Patrizia sich aufrichten und stieß unsanft in ihren anderen Sitznachbarn, der ebenfalls schlief und fast ihren ganzen Sitz eingenommen hatte. Sie war gefangen und konnte der körperlichen Nähe zu Möllenberg nicht entfliehen.

„Machen Sie sich nichts daraus!“, tröstete er sie. „Viele Frauen finden mich anziehend und werfen sich mir an den Hals. Das bin ich gewohnt. Aber jetzt muss ich mir einmal meinen Arm von Ihnen ausleihen. Der tut höllisch weh.“ Erstaunlich sanft befreite er seinen Arm und reckte und streckte sich etwas.

Patrizia verstand nicht, warum er diese Unbequemlichkeit auf sich genommen hatte, nur damit sie ungestört schlafen konnte. Bei jedem anderen hätte sie das nett gefunden und sich bedankt. Bei Möllenberg ärgerte es sie. Ihr Stolz ließ nicht zu, sich zu bedanken.

„Sie hätten mich wecken können!“, brummte sie nur feindselig.

„Hätte ich“, stimmte er zu.

„Warum haben Sie es dann nicht getan?“

„Es ist so süß, wenn Sie schnarchen wie ein Bär mit Asthma. So eine zierliche, kleine Person kann solche Geräusche von sich geben! Unglaublich!“

„Sie lügen! Ich schnarche nicht!“, behauptete sie empört.

„Und woher wollen Sie das wissen? Normalerweise schlafen Menschen, wenn sie loslegen, Bäume zu sägen, und merken selbst nichts davon. Obwohl – bei Ihnen wundert es mich, warum Sie nicht selbst von dem Lärm aufwachen, den Sie verursachen. Sie sind ein Phänomen, Larsen!“, führte er genüsslich aus.

„Ich schnarche nicht!“, beharrte Patrizia.

„Ich wünschte, es wäre so!“, kam es da von einer älteren Frau, die im Sitz direkt vor ihr saß und sich extra umwandte. „Meine Liebe, Sie sollten unbedingt darüber nachdenken, sich operieren zu lassen. Man kann da heute einiges tun. Sie beide sind so ein schönes Paar, aber ich frage mich, wie es Ihrem Mann gelingt, zu Schlaf zu kommen. Nein, wirklich! Ich könnte das nicht.“ Voller Anteilnahme lächelte sie Möllenberg an.

„Die Liebe! Man gewöhnt sich an alles“, meinte der und lächelte zurück.

Patrizia wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken, aber angesichts der Höhe, in der sie flogen, war es ganz gut, dass das nicht ging.

„Zum Glück hat er damit keinerlei Probleme. Er ist nicht mein Mann, und wir sind auch nicht zusammen“, stellte sie richtig.

„Wirklich? Zu schade!“, kam es von der alten Dame, die sich dankenswerterweise wieder ihrer Lektüre widmete.

„Ist es wirklich so schlimm?“, fragte Patrizia flüsternd, als sich ihr das Rätsel von alleine löste. Das Schnarchen setzte mit elementarer Wucht wieder ein, und es war fürchterlich laut und dröhnend. Es kam von ihrem Nebenmann.

„Sie Monster!“, explodierte sie und musste zugleich lachen. „Ich bin tatsächlich darauf hereingefallen. Das war gemein!“

„Ich bin gemein. Schon vergessen?“ Möllenberg grinste.

Patrizia fragte sich, wie sie je den Eindruck hatte gewinnen können, dass er meistens grimmig, übellaunig und verschlossen sei. Inzwischen kam er ihr mehr wie ein Kobold vor, der großes Vergnügen daran hatte, seine Umwelt zu foppen und in den Wahnsinn zu treiben.

Sie war sich nicht ganz sicher, was schlimmer war. Es schien ihr einfacher, Möllenberg nicht ausstehen zu können. Darauf, ihn eigentlich recht nett zu finden, war sie nicht vorbereitet.

Die letzten Stunden bis zur Landung schwieg sie betont distanziert, um den Status quo zwischen ihnen wieder herzustellen. Sie fand Möllenberg unausstehlich – so war das! Das war eine schöne, klare Sache. Alles andere war ihr zu kompliziert. Falls er ein verkanntes und im Grunde vielleicht sogar recht nettes Genie sein sollte, wollte sie das nicht ausgerechnet bei ihrem ersten Auslandseinsatz herausfinden.

Heilfroh schnallte sie sich nach der Landung ab und wollte förmlich aus dem Flugzeug fliehen. Sie war in Rio! Alles in ihr jubelte. Sie hatte es geschafft, und es würde nicht bei diesem einen Einsatz bleiben, dafür würde sie sorgen.

„Larsen, ganz langsam! Es wird dauern, bis unsere Ausrüstung durch den Zoll ist. Schnell geht hier nichts. Wie gut, dass Sie so herrlich ausgeschlafen sind!“, rief Möllenberg sie zurück, und natürlich hatte er recht.

Es dauerte tatsächlich eine gefühlte Ewigkeit, bis sie den Flughafen verlassen konnten.

„Rio! Das ist meine Stadt!“ Möllenberg sah sich mit leuchtenden Augen um, als sie im Taxi zum Hotel saßen. „Ich möchte seit Jahren so einen Beitrag über den Karneval machen, aber dafür braucht man Kontakte und einen langen Atem.“

Patrizia wunderte sich etwas, sagte aber nichts dazu. Der Drehplan, den sie am Abend noch gründlich studiert hatte, um auf alles vorbereitet zu sein, war solide und gut, aber spektakulär war er nicht. Solche Beiträge gab es jedes Jahr wieder, und für Möllenberg fehlte der charakteristische Pfiff.

Etwas an seinen Dokumentationen war immer außergewöhnlich, verschaffte Einblicke in ein Thema, die man sonst kaum gewinnen konnte. Von diesem Plan war sie sogar etwas enttäuscht, wenn sie das auch nie zugegeben hätte. Für ihren ersten Außeneinsatz hätte sie sich etwas Besonderes gewünscht, aber man nahm, was man bekommen konnte.

„Larsen, jetzt schauen Sie doch nicht so böse drein! Sie sind in Rio! Nicht vergessen, Sie waren fest entschlossen, mich in Kauf zu nehmen“, neckte er sie fröhlich.

„Hoffentlich habe ich mir da nicht zu viel vorgenommen und verschlucke mich an dem Happen!“

„Hoffentlich!“ Er lachte fast ausgelassen, und sie begriff, dass er glücklich war. Ein glücklicher Eduard Möllenberg – das war mehr als verwirrend.

***

„Sie haben dreißig Minuten, um sich ein wenig frisch zu machen, Larsen, dann haben wir einen Termin mit einer der ganz großen Damen des Sambas. Sie hat alle Türen für mich geöffnet. Ohne ihre Fürsprache hätten wir nicht die Möglichkeit, bei drei der größten Sambaschulen zu drehen, wie sie ihre letzten Vorbereitungen treffen für den großen Wettstreit. Wir treffen uns an der Hotelbar mit ihr, und dann schauen wir, was so passiert“, wies Möllenberg Patrizia ein.

„Davon steht nichts im Plan und …“

„Werfen Sie den Plan in den Müll! Ich sage Ihnen rechtzeitig, wann wir erwartet werden und wo. Der Sender muss nicht alles wissen, nur weil er unsere Arbeit sponsert. Kunst braucht Freiheit und Freiraum. Pläne sind da, um den richtigen Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen. Was wir dann mit diesem Geld machen, das liegt bei uns!“ Mit diesen Worten ließ er sie stehen und marschierte im Eilschritt zu seinem Zimmer, das im selben Stockwerk lag wie Patrizias.

„Na wunderbar!“, stöhnte sie lautlos in sich hinein. Mit Pech war das doch ihr erster und ihr letzter Einsatz, und mit noch etwas mehr Pech konnte sie sich anschließend nach einem neuen Job umsehen. Die Mächtigen am Sender mochten es ganz und gar nicht, übertölpelt zu werden.

Kein Plan, und wir schauen, was so passiert … War das etwa Möllenbergs Arbeitsweise? Eigentlich sprachen seine Erfolge für ihn, aber sie wollte ungern an einem seiner ersten Misserfolge teilhaben. Etwas mehr Struktur war dringend erforderlich.

Patrizia gelang es, sich in dreißig Minuten zu duschen, komplett zu richten und fünf Minuten vor der abgesprochenen Zeit an der Bar zu sein. Das war auch gut so, denn Möllenberg saß schon auf einem der Hocker und nippte an einem Getränk. Er bemerkte sie nicht gleich, weil er gespannt zur anderen Tür sah. Und dann wusste sie auch, warum.

Die große Dame des Sambas verstand es, aus ihrem Erscheinen ein Spektakel zu machen. Patrizia verschlug es den Atem, als sie die Frau von Anfang fünfzig erkannte. Renata Terres hatte mehrere internationale Tanzwettbewerbe gewonnen und war eine wahre Legende des Karnevals. In Brasilien war sie ein großer Star, den jeder kannte und liebte.

Noch immer war die Tänzerin eine wahre Schönheit, und ihr Gang war von katzenhafter Leichtigkeit und Geschmeidigkeit. Mit ihrem Eintreten sprühte der Raum förmlich vor Erotik. Die Männer drehten sich ausnahmslos nach ihr um. Viele erhoben sich, deuteten eine Verbeugung an oder klatschten.

Huldvoll wie eine Königin nahm sie die Ehrerbietung an, nickte einigen zu, während sie zielsicher zu Möllenberg ging. Es waren nur ein paar Schritte durch eine Bar, und doch war es Samba. Es war Rhythmus und Tanz in Vollendung. Patrizia sah sie, bewunderte sie und staunte. Diese Frau verkörperte eine positive Weiblichkeit, von der sie nur träumen konnte.

Möllenberg und Renata Terres begrüßten sich wie alte Freunde. Sie umarmten sich lange, und man sah die echte Herzlichkeit. Woher kannte er sie wohl? Wie war es ihm gelungen, sie dazu zu bringen, ihm all diese Türen zu öffnen? Patrizia sah ihn mit neuen Augen.

Er war in der Tat ein Profi, und sie konnte viel von ihm lernen, wenn es ihr gelang, sich nicht von ihm vergraulen zu lassen. Selbst wenn sie ihren Job verlieren sollte, würden sich ihr nach der Zusammenarbeit mit ihm problemlos neue Türen öffnen. Es fiel ihr nicht leicht, sich das einzugestehen, aber Möllenberg war ein Glücksgriff für sie.

„Und das ist die Moderatorin, von der ich dir erzählt habe, Renata. Sie ist in manchen Dingen noch etwas grün hinter den Ohren, aber sie versteht ihr Handwerk, lernt schnell und hat das erforderliche Charisma“, stellte er Patrizia auf Englisch vor.

„Es ist mir eine Ehre, Sie persönlich kennenzulernen“, sagte Patrizia aus tiefstem Herzen.

Die Diva lachte ein tiefes, gurrendes Lachen und sah sie aus haselnussbraunen, unbeschreiblich schönen Augen amüsiert an. Offensichtlich fand sie die Ehrerbietung in ihrer Stimme erheiternd.

„Du hast recht, Eduard, sie ist noch sehr grün, aber niemand wird bei ihr auch nur auf den Gedanken kommen, dass sie ein doppeltes Spiel spielen könnte. Du hast eine gute Wahl getroffen. Natürliche Naivität ist der beste Schutz vor Misstrauen.“

Sprachlos stemmte Patrizia die Arme in die Seiten und wollte zu einer entsprechenden Erwiderung ansetzen, als die Diva sie einfach in den Arm nahm. Das war entwaffnend.

„Wie viel weißt du über den großen Wettstreit der Schulen?“, wurde sie von Renata gefragt, als sie zusammen an einem kleinen, etwas geschützten Tisch in einer Nische saßen.

„Wir in Deutschland würden sie nicht als Sambaschulen bezeichnen, sondern eher als unterschiedliche Karnevalsvereine, die beim Umzug gegeneinander antreten“, antwortete Patrizia knapp und nach Lehrbuch.

„Samba ist in Rio nicht einfach nur ein Tanz. Es ist eine Lebensphilosophie. Das ganze Jahr üben die Sambaschulen für ihren Auftritt, und ihr Motto des Jahres ist ein absolut gehütetes Geheimnis. Bis zum Beginn des Karnevals erfährt keiner, wie sie sich präsentieren werden. Natürlich haben sie immer ihre charakteristischen Farben, in denen ihre Kostüme und ihre Wagen gestaltet sind. Jede Schule hat ihr eigenes Lied.“

Gebannt lauschte Patrizia den Erläuterungen der Diva.

„Der Sieg im Karneval bedeutet alles. Es gibt Fangemeinden. Stadtviertel treten quasi gegeneinander an. Es wird mitgefiebert, mitgesungen und angefeuert. Viele Fans kommen zum Karneval in den Farben ihrer favorisierten Sambaschule. Nur ein randvoll gefülltes Fußballstadion mit fanatischen Fans mag entfernt die Atmosphäre erahnen lassen.“

Patrizia wusste das alles in der Theorie, aber es von dieser Frau zu hören, machte es zu etwas Besonderem.

„Es gibt insgesamt zwölf Sambaschulen, die gegeneinander antreten. Zum Höhepunkt des Karnevals treffen die sechs Besten aufeinander und präsentieren im Sambodromo vor rund siebzigtausend Zuschauern noch einmal ihre Paraden. Da wird dann der Gewinner des Jahres ermittelt.“

Wie sie nun erfuhren, würden sie morgen die Möglichkeit haben, in der Estacio de Sa, einer der besten Schulen, mit den Tänzerinnen und Tänzern zu sprechen und die Vorbereitungen zu filmen.

„Uniao da Ilha hat für übermorgen die Dreherlaubnis gegeben, und zum Abschluss könnt ihr noch bei Imperatriz Leopoldinense filmen“, fuhr Renata fort.

Patrizia sah fassungslos zu Möllenberg hinüber. Nichts von alldem stand in seinem Plan. Sobald sie wieder unter vier Augen waren, musste sie ihn darauf ansprechen. Nein, das versprach keine etwas fade Einheitsdokumentation über den Karneval zu werden – ganz und gar nicht!

Aufnahmen und Interviews aus den Sambaschulen vor dem Karneval mit all den Hoffnungen und Erwartungen der Darsteller, den eigenen Prognosen, wie das gewählte Motto und die Show wohl ankommen würden. Und dann der Karneval und was aus all den Hoffnungen wurde. Das waren persönliche Schicksale, Geschichten hinter den Kulissen und Einblicke ins Verborgene – Möllenbergs Spezialgebiet.

Patrizia war ganz aufgeregt vor Spannung. Für den Moment waren ihr die Reaktionen im Sender, wenn man nicht bekam, was man bestellt hatte, vollkommen egal. An so einem Projekt mitarbeiten zu können, war eine absolute Chance, sich zu bewähren und zu profilieren.

Renata Terres war voller Geschichten über den Karneval. Sie plauderte mit lebhaftem Temperament und gab Patrizia viele Tipps für die kommenden Tage, worauf sie besonders achten musste. Es machte Spaß ihr zuzuhören, und als sich die drei verabschiedeten, war es weit nach Mitternacht.

„Die Frau ist wie eine lebendige Verkörperung des Karnevals – einfach toll!“, schwärmte Patrizia, als sie wieder alleine waren und mit dem Aufzug nach oben zu ihren Zimmern fuhren.

„Ja, Renata ist eine Offenbarung. Alles an ihr wirkt so leicht und froh, als ob das Leben nur aus schönen Seiten bestünde. Aber man sieht nur halb, wenn man nicht tiefer blickt. Renata stammt aus einer bitterarmen Familie und hat sich hart nach oben gearbeitet. Sie war siebenunddreißig, als sie ihren Mann und ihren achtjährigen Sohn bei einem Autounfall verloren hat“, erzählte Möllenberg.

„Das ist ja furchtbar“, stieß Patrizia hervor.

„Ja, das ist es. Renata hat verhindert, dass es durch die Medien ging. Diese Frau lacht und strahlt eine große menschliche Wärme und Heiterkeit aus, weil sie Schmerz und Kummer kennt. Sie hat sich für das Lachen und die Leichtigkeit als Lebensmotto entschieden.“

Patrizia sah Möllenberg verwundert an. Sie hatte das Gefühl, in Rio mit einem völlig Fremden aus dem Flugzeug gestiegen zu sein. Wo war der bösartige Spötter? Wo der gleichgültige, kalte Egoist, der stets nur seinen Erfolg und seine Ziele im Blick hatte? Tiefe Einblicke in die menschliche Seele hatte sie zuletzt von ihm erwartet.

„Stimmt irgendetwas von dem, was Sie auf dem offiziellen Plan angegeben haben? Nur damit ich nicht zu sehr erschrecke, falls ich zufällig auf einen Programmpunkt stoße, auf den ich vorbereitet bin“, wollte sie wissen. Es klang nicht halb so bissig wie beabsichtigt.

„Enttäuscht?“, fragte er.

„Ich gebe es ungern zu, aber ich bin begeistert“, gestand sie.

„So dachte ich mir das.“ Er grinste zufrieden. „Renata hat uns die Türen geöffnet, aber noch dürfen wir nur kommen, weil dieser Ikone keiner etwas abschlagen kann. In den nächsten Tagen baue ich auf Sie, Larsen. Sie haben diese umwerfende Natürlichkeit und Herzlichkeit, die jedes Eis zum Schmelzen bringt. Zeigen Sie, was Sie können!“

Patrizia schluckte, als sie ganz begriff, was er von ihr erwartete. Sie war seine Geheimwaffe und sollte einen menschlichen Zugang öffnen, der für einen guten Beitrag absolut entscheidend war. Sein Vertrauen in sie war schmeichelhaft, aber auch irgendwie beunruhigend.

„Und wenn sie uns nicht mögen und mit ein paar netten Worten aus dem Vorzimmer wieder hinauskomplimentieren?“, hakte sie nach.

„Dann sind Sie gefeuert, Larsen! Ist doch klar, oder? Aber keine Bange, das wird nicht passieren! Ihrem Charme kann keiner widerstehen. Sie schaffen das!“, meinte er zuversichtlich.

„Soweit ich weiß, habe ich Sie bisher immer nur angegiftet und Ihre Opfer getröstet, Möllenberg …“ Fragend sah sie ihn an.

„Und?“ Er zuckte die Achseln. „Ich weiß trotzdem, was in Ihnen steckt.“

Sie verdrehte die Augen und öffnete ihre Zimmertür.

„Gute Nacht, Larsen! Acht Uhr Frühstück, dann geht es los. Zelebrieren Sie Ihren Schönheitsschlaf, damit Sie morgen vor der Kamera etwas hermachen! Auf zerknitterte Haut und Schatten unter den Augen steht in Rio die Höchststrafe.“

„Immer wenn ich kurzfristig für möglich halte, dass Sie vielleicht doch kein Idiot sein könnten, beweisen Sie mir das Gegenteil. Gute Nacht!“

Sie hörte noch sein Lachen, als sie die Tür hinter sich schloss, und musste selbst schmunzeln.

***

Die Sambaschule residierte in einem riesigen, hallenartigen Gebäude, in dem eine ungeheuere Betriebsamkeit herrschte. Überall wurde gebaut, verfeinert und geprobt. Tausende Menschen arbeiteten zusammen, und man konnte sehen, dass sie aufeinander eingespielt waren. Jeder wusste, wo er gebraucht wurde.

Patrizia hatte mit ihrer Vorstellung, dass man versuchen würde, sie im Vorzimmer mit ein paar Phrasen und Allgemeinplätzen abzuspeisen, den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine ältere Frau empfing sie, bot ihnen etwas zu trinken an und sorgte dafür, dass sie nicht viel zu sehen bekamen.

„Patrizia, ich habe die Kamera nicht zum Vergnügen dabei!“, sagte Möllenberg gereizt auf Deutsch nach einer halben Stunde und sprach sie das erste Mal mit ihrem Vornamen an, was wie ein Tadel klang. „Tun Sie etwas! Zaubern Sie! Das Drachenzähmen fällt in Ihren Aufgabenbereich.“

Patrizia erkannte am Aufblitzen in den Augen ihrer Wächterin, dass sie Deutsch sprach und jedes Wort verstanden hatte. Diesen Nachteil nutzte sie zu ihren Gunsten.

„Drache hat er nicht wörtlich gemeint – denke ich“, sagte sie verschmitzt zu der Frau.

„Das war sein voller Ernst“, erwiderte diese und schien es als Kompliment zu nehmen.

„Er möchte diese Doku über den Karneval seit Jahren machen, und das heute und hier bedeutet ihm viel. Achten Sie einfach nicht auf ihn! Er hat vom Samba keine Ahnung und ist viel zu verbissen. Ihm fehlt der Rhythmus“, scherzte sie auf Möllenbergs Kosten, der sie fassungslos ansah.

Der Drache beäugte sie von oben bis unten.

„Ihr veröffentlicht alles, was ihr hier seht, erst nach Ende des Karnevals, wie Renata es versprochen hat?“

„Unsere Dokumentation wird erst nach dem Karneval ausgestrahlt, und an unser Filmmaterial kommt keiner außer uns!“, beteuerte Patrizia.

Wieder herrschte längeres Schweigen. Möllenberg wirkte, als ob er gleich mit den Füßen scharren wollte, und Patrizia hätte ihm gerne einen Tritt gegeben. Geduld war eindeutig nicht seine starke Seite, was bei seinem Beruf verwunderlich war. Man musste warten können, um das Besondere einzufangen und sich nicht mit dem Banalen zufriedenzugeben.

„Dürfen wir uns nur ein wenig umsehen mit der Kamera? Mein Chef da bekommt sonst noch eine Gallenkolik, und dann wird er ganz gelb im Gesicht. Gruselig. Wir werden nicht stören! Bitte!“ Patrizia legte alles in ihr Lächeln, was sie an Charme hatte.

„Sie stören jetzt schon“, bekam sie zur Antwort, aber da war etwas in der Stimme, was sie nicht aufgeben ließ.

„Haben Sie mit Renata Terres getanzt?“, fragte sie einer Eingebung folgend, weil die Frauen etwa im gleichen Alter sein mussten und man ihrer Wächterin ansah, dass sie einmal eine Tänzerin gewesen sein musste und noch immer tanzte.

Ein Strahlen ging über ihr Gesicht, als sie nickte, und dann war es leicht. Patrizia sprach mit ihr darüber, was der Karneval und die Sambaschule für sie bedeuteten, und Möllenberg filmte ein Interview, das er voraussichtlich genauso in die Dokumentation aufnehmen wollte.

Patrizia war umwerfend. Sie war genau die richtige Wahl, aber daran hatte Möllenberg keine Sekunde gezweifelt. Er verfolgte ihre Karriere, seit sie am Sender angefangen hatte, und war überzeugt, dass sie es nach ganz oben schaffen würde. Sie hatte das Zeug dazu.

Es ergab sich ganz natürlich aus dem Gespräch, dass die Frau ihnen ihre Welt zeigen wollte. Gemeinsam mit ihr drangen sie in die geheimen Tiefen der Sambaschule vor. Sie führte sie zu den Kostümen, an die noch letzte Hand angelegt wurde. Das Motto der Schule für dieses Jahr wurde von den Schneiderinnen eifrig diskutiert, und fast auf Anhieb lachte und scherzte Patrizia mit ihnen.

„Sie haben die Figur dafür.“ Eine Schneiderin hielt ein besonderes gewagtes Kostüm hoch, das eindeutig mehr vom Körper der Trägerin enthüllte als bedeckte. „Probieren Sie es doch einmal an!“, meinte sie zwinkernd.

Die anderen kicherten ausgelassen.

„Dann finden und küren wir hier unten die Sambakönigin für dieses Jahr. Das ginge in die Legenden ein“, rief eine, und alle lachten los.

Zu den Handwerkern, die noch an den Wagen arbeiteten, fand Patrizia genauso spielend Zugang. Stolz auf ihre Arbeit und schon im Karnevalfieber zeigte man ihnen, was man sich hatte einfallen lassen.

„Dieses Jahr holen wir die Krone!“, sagte einer der Männer mit Gewissheit. „Letztes Jahr sind wir nur daran gescheitert, dass einer der Wagen ausgerechnet bei der Abschlussparade im Sambodromo gestreikt hat. Wir haben das Zeitlimit um fünf Minuten überschritten, weil wir ihn nicht in Gang bringen konnten. So eine Schmach! Die Niederlage lag an unserem Team hier. Nein, dieses Jahr passiert uns das nicht mehr!“

Als sie in den Raum kamen, in dem die Tänzer übten, konnte Patrizia die Beine nicht stillhalten. Sie liebte Samba und war selbst eine leidenschaftliche Tänzerin. Unbewusst bewegte sie sich wie alle anderen im Rhythmus, und der Tanz ergriff von ihr Besitz.

Eduard Möllenberg beobachtete es fasziniert und musste sich beherrschen, um die Kamera nicht immerzu auf sie zu halten. Er hatte noch nie mit einer Frau wie ihr zusammengearbeitet. Sie war unmittelbar, spontan und hatte zugleich ein treffsicheres Einfühlungsvermögen für die Menschen, mit denen sie sprach. Instinktiv traf sie bei jedem genau den richtigen Ton.

Als sie ihn vor der Wächterin lächerlich gemacht hatte, war er nahe daran gewesen, sich einzumischen und sie in ihre Schranken zu weisen. Er hatte es als Ausdruck ihrer Abneigung seiner Person verstanden und nicht gesehen, dass sie sich mit der Frau solidarisierte. Erst als das Wunder geschehen war, hatte er die Strategie erkannt.

Etwas ging von Patrizia aus, was die Herzen erwärmte und jedes Misstrauen schmelzen ließ. Sie gab nicht einfach nur vor, authentisch zu sein. Sie war es in der Tat, und das spürte man. In der Regel war es ihm egal, dass die meisten Menschen ihn unsympathisch fanden und ihm seine Direktheit übel nahmen. Bei ihr bedauerte er, dass sie ihn nicht mochte, aber so war das eben. Er war es gewohnt.

Einer der Vortänzer warf dem Drachen zuerst einen genervten Blick zu, als sie die Eindringlinge in seinen Raum brachte. Er erntete ein gelassenes Schulterzucken. Die Frau deutete auf Patrizia, und da verstand er. Genau wie sie musste er lächeln. Die Deutsche hatte den Rhythmus. Er wandte sich Patrizia zu und forderte sie mit der Hand auf, mit ihm zu tanzen.

Sie scheute sich nicht, sondern nahm seine Herausforderung an. Patrizia tanzte, seit sie ein junges Mädchen war, und Samba war immer einer ihrer liebsten Tänze gewesen. Mit der Leichtigkeit und Geschmeidigkeit einer erfahrenen Tänzerin ging sie auf ihn ein.

Beide hatten großen Spaß, und Möllenberg filmte und staunte nur noch über das, was sich da vor seiner Kamera abspielte. Patrizia eroberte nicht nur die Herzen. Sie wurde Teil des Geschehens, und die Zuschauer würden mit ihr den Blick wechseln und das Gefühl des Karnevals von innen erleben. Mehr konnte eine Dokumentation nicht leisten. Das war die Superlative.

„Ihr wollt doch sicher auch mit unseren Fans sprechen und etwas über sie erfahren. Heute Abend gegen zweiundzwanzig Uhr könnte ich euch zu einer Bar bringen, in der sich viele treffen, die uns anfeuern. Zwei Tage vor dem Karnevalbeginn geht es da hoch her“, bot der Tänzer an.

„Das ist großartig!“ Patrizia nahm das Angebot an, ohne auch nur in Möllenbergs Richtung zu blicken. Das musste sie nicht. In Begleitung einer der bekannten Tänzer der Sambaschule in so einer Bar aufzutauchen, das versprach Filmszenen, von denen man unter normalen Umständen nur träumen konnte.

„Sie waren verdammt gut heute, Larsen. Danke!“, bedankte sich Möllenberg für die gute Arbeit, als sie für zwei Stunden in ihr Hotel fuhren, um sich etwas auszuruhen und etwas zu essen, bevor sie wieder losmussten.

„Das war Freude und keine Arbeit. Ich bin so froh, dass ich mit im Boot bin und das alles erleben darf. Es ist unglaublich belebend, und ich muss aufpassen, dass ich schön brav mit meinen Füßen auf dem Boden bleibe und nicht abhebe. Ich fürchte, mich hat das Sambafieber erwischt. Ich möchte am liebsten mit diesen Leuten in den Karneval ziehen und alles andere vergessen!“, schwärmte sie.

Möllenberg musterte sie lange und war überrascht, was für Gefühle sie in ihm weckte. Gefühle, die zwischen Kollegen nichts verloren hatten und die er sich konsequent untersagte. Ganz durfte sie nicht in den Karneval eintauchen und sich verlieren, so schön es war, ihr dabei zuzusehen. Für ihre Arbeit brauchte sie einen klaren Kopf und eine gewisse Distanz.

„Tauchen Sie ein! Lassen Sie sich verführen und geben Sie sich dem Rhythmus hin!“, sagte er trotzdem sanft. „Ich halte Sie an einer Leine, damit Sie nicht davonschweben können.“

„Schaffen Sie das? Können Sie die Leine halten?“

Sie sahen sich in die Augen, und beide sahen schnell wieder weg, weil die Intensität sie erschreckte. Nicht nur mit Patrizia geschah etwas, auch er spürte, wie die Situation eine eigene Dynamik gewann. Es zog ihn auf eine Weise zu dieser Frau hin, die er so nicht kannte.

Arbeit, kein Vergnügen – erinnerte er sich streng. Arbeit!

„Ich lasse nicht los!“, versprach er leise.

***

Die Bar war absolut überfüllt, und man konnte sich kaum drehen und wenden, was aber keinen zu stören schien. Der Tänzer wurde mit einem begeisterten Hallo begrüßt. Er führte die deutschen Fernsehleute geschickt ein, und Patrizia und Möllenberg wurden herzlich willkommen geheißen.

Ohne jede Scheu erzählten die Fans, was die Sambaschule für sie in ihrem täglichen Leben bedeutete. Trophäen schmückten den Raum, und hinter jeder Trophäe verbarg sich eine Geschichte, die mit Leidenschaft zum Besten gegeben wurde.

Als der Tänzer erwähnte, dass Patrizia Samba tanzen könne wie eine Brasilianerin, gelang es den Leuten trotz der Enge, Raum zum Tanzen zu schaffen. Von da an verschmolz die Bar zu einer großen Einheit, und diese Einheit trank einen Caipirinha nach dem anderen, und vor allem lud sie die Deutsche zu einem Caipirinha nach dem anderen ein.

Patrizia versuchte, den Cocktail langsam zu trinken, aber das half ihr nichts, denn dann standen plötzlich zwei weitere Gläser vor ihr. Jeder Spender wollte mit ihr anstoßen. Sie war der Star des Abends und wurde gefeiert, ob sie nun wollte oder nicht.

Sie vertrug durchaus einiges an Alkohol, aber der Zuckerrohrschnaps mit braunem Zucker und Limette schoss ihr direkt ins Blut. Der Tag war aufregend und anstrengend gewesen, und sie hatte wie meist, wenn sie voll konzentriert arbeitete, kaum etwas gegessen.

„Holen Sie mich hier irgendwie raus, solange ich noch auf meinen zwei Beinen stehen kann!“, flüsterte sie Möllenberg zu, und er tat, was ihm möglich war. Leicht war es nicht, und als er sie endlich in ein Taxi bugsierte, war sie stockbetrunken, während er kaum etwas getrunken hatte.

„Schön war das heute. Richtig toll!“, säuselte sie und kuschelte sich auf dem Rücksitz ganz selbstverständlich an ihn. „Ich glaub, du bist gar nicht so schlimm. Nein, bist du nicht. Ich glaub, ich mag dich“, teilte sie ihm in der treuherzigen Offenheit der Betrunkenen mit.

„Zu schade, dass du das morgen früh vergessen haben wirst“, meinte er nur.

„Werde ich nicht! Ich vergesse nie nix! Nie!“, widersprach sie vehement. „Ich mag dich. Magst du mich auch?“

„Wenn du nüchtern bist, bist du unwiderstehlich“, zog er sich aus der Affäre.

„Ich bin aber betrunken“, kicherte sie und fand das ungeheuer lustig. „Ich bin besoffen. Ja, das bin ich. Magst du mich auch, wenn ich besoffen bin?“ Sie schmiegte sich noch etwas enger an ihn und sah zu ihm hoch. Es war klar, dass sie geküsst werden wollte.

„Nüchtern bist du mir eindeutig lieber. Wir sind wohl wie die Königskinder. Du willst mich, wenn du mehr Alkohol als Blut in den Adern hast, und ich mag dich, wenn dein Verstand funktioniert. Kein glückliches Ende für die Turteltauben des Jahres – so ein Pech!“

Sie lachte, und dann versuchte sie, ihn von sich aus zu küssen, was er mühsam abwehrte. Er wusste genau, dass sie ihm nie verzeihen würde, wenn er die Situation ausnutzte. Sie war betrunken und wusste nicht, was sie tat.

„Warum magst du mich nicht?“, fragte sie weinerlich, und ihre Stimmung schlug ins Gegenteil um. „Männer gehen immer fort, wenn sie mich kennenlernen. Die lassen mich immer allein, weil ich ihnen zu selbstständig und zu wenig anschmiegsam bin. Das ist gemein. Ich kann mich anschmiegen. Ich kann das! Echt! Ehrlich! Wahr!“

„Du kannst das wunderbar, und die Männer, die fortgehen, sind einfach dumm und wissen nicht, was gut ist!“, beruhigte er sie.

„Bleibst du da? Bist du der Richtige?“, wollte sie wissen und wirkte wie ein kleines Mädchen, das noch an den Märchenprinzen glaubte.

„Wie ist er denn, der Richtige?“, konnte er sich eine Frage nicht verkneifen und hoffte, dass sie am anderen Morgen wirklich alles vergessen haben würde. In gewisser Weise sagten Kinder und Betrunkene immer die Wahrheit.

„Er lässt mich nicht allein und behauptet auch nicht, dass ich niemanden brauche. Er bleibt bei mir und … und er hat mich lieb und ist gut zu mir“, teilte sie ihm lallend mit. „Und er mag Kinder mit mir haben und Weihnachten mit mir feiern und … und er geht nicht einfach weg und lässt mich allein. Ich will nicht immer allein bleiben.“

Er ahnte, wie tief ihre Verletzungen reichen mussten, von deren Existenz niemand etwas ahnte, weil sie nach außen so taff und stark wirkte. Sie hatten das Hotel erreicht.

„Ups! Warum dreht sich alles? Kannst du das Karussell abschalten? Ich will nicht mehr Karussell fahren!“, bat sie, als er sie aus dem Taxi zog und versuchte, sie auf ihre Beine zu stellen, was misslang. Alleine konnte sie sich nicht aufrecht halten.

Möllenberg legte den Arm um sie, um sie zu stabilisieren, und trug sie mehr, als dass sie ging, hoch zu ihren Zimmern.

„Kommst du alleine klar?“, fragte er zweifelnd, als sie vor ihrer Zimmertür angekommen waren.

„Klaro! Komm ich immer!“, beteuerte sie und wollte einen Schritt von ihm fort durch die Tür machen. Ihre Knie sackten weg, und er fing sie geschickt von hinten auf.

„Hm! Das sehe ich“, kommentierte er und wusste nicht so recht weiter. Sie schaffte es unmöglich, sich alleine auszuziehen und ins Bett zu legen.

„Bleib doch lieber bei mir!“, meinte sie, hielt sich an ihm fest und versuchte noch einmal, ihn zu küssen.

„Patrizia, du würdest mir das zu Recht nie verzeihen. Wenn wir diesen Beitrag abgedreht haben und wieder in Deutschland sind, dann schauen wir, ob da etwas ist zwischen uns oder ob es nur der Karneval war, der uns ins Blut gestiegen ist. Aber wenn wir jetzt miteinander schlafen, dann nehmen wir uns jede Chance, eine schöne Beziehung oder Freundschaft aufzubauen“, erklärte er mehr sich selbst als ihr.

Sie war wunderschön, und er war auch nur ein Mann. Die Versuchung war enorm. Nach diesem triumphalen Tag hätte er sie zu gerne geküsst und gestreichelt und die Nacht mit ihr verbracht. Sein Anstand hielt ihn zurück und seine Fairness. In ihrem betrunkenen Zustand wusste sie nicht, was sie da sagte und tat.

„Mir ist übel!“, stöhnte sie da von einem Moment auf den anderen. „Gott, ist mir übel!“ Sie würgte.

Kurz entschlossen nahm er sie auf den Arm und trug sie in sein Badezimmer. In der nächsten Stunde hielt er ihren Kopf und legte ihr immer wieder einen kalten Waschlappen in den Nacken, während sie sich übergab.

„Besser?“, fragte er immer wieder.

„Ich glaube, ich sterbe!“, jammerte sie dann, und schon ging es weiter. Als sie nichts mehr im Magen hatte, schlief sie im Badezimmer im Sitzen ein.

„Patrizia Larsen, du lässt mir keine Wahl. Ich wünschte, du würdest das später noch wissen!“, seufzte er.

Sie wachte nicht auf, als er sie zu seinem Bett trug. Er zog ihr nur die Jeans aus, damit sie es bequemer hatte, und auch das weckte sie nicht auf. Anschließend duschte er und legte sich später in respektvollem Abstand auf die andere Seite des Doppelbettes.

Als er am Morgen erwachte, lag sie, gemütlich in seine Arme gekuschelt, auf seiner Bettseite, und ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Vorsichtig wollte er sich von ihr lösen, um ins Badezimmer zu verschwinden, bevor der Wecker klingelte und sie aufwachte.

Er hatte kein Glück. Patrizia kam zu sich. Sie ließ ihn nicht los, sondern kuschelte sich im Aufwachen an ihn, bis sie die Augen aufschlug und ganz langsam begriff, dass da etwas nicht stimmte. Mit einem leisen Aufschrei sprang sie in einem beachtlichen Satz aus dem Bett.

Etwas beruhigt stellte sie fest, dass sie ihren Slip und ihr T-Shirt anhatte. Zumindest war sie nicht nackt. Das ließ Raum für Hoffnung. Es war eindeutig nicht ihr Zimmer und auch nicht ihr Bett, in dem sie geschlafen hatte. Das ließ den Raum für Hoffnung zusammenschrumpfen. In ihrem Kopf herrschte gähnende Leere.

„Was ist passiert?“, fauchte sie und legte ihre Hände an den Kopf, in dem zudem auch noch ein Presslufthammer dröhnte.

„Sie haben gestern Abend in der Bar etwas zu viel Caipirinha getrunken und …“, wollte er erklären.

„Daran erinnere ich mich sehr gut und auch daran, dass ich Sie gebeten habe, mich loszueisen. Ich konnte aus Höflichkeit nicht ablehnen. Und Sie haben die Situation schamlos ausgenutzt. Ist das erbärmlich! Wie konnten Sie nur? Hatten Sie Spaß mit einer vollbetrunkenen Frau?“, hielt sie ihm wütend vor und war vor Scham und Entrüstung den Tränen nahe. Sie fühlte sich schändlich missbraucht.

„Und ob!“, geriet auch er in Rage. „Ich tue nichts lieber, als die halbe Nacht betrunkenen Frauen dabei zu helfen, sich zu übergeben. Das ist die wahre Romantik. Wenn hier jemand eine richtig üble Nacht hatte, dann ich, denn ich war stocknüchtern.“

Patrizia sah noch einmal an sich hinunter.

„Dann haben wir nicht … Ich meine, dann haben Sie nicht …“ Die Frage hing im Raum, und er ließ sie eine Weile in der Ungewissheit zappeln, weil ihre Reaktion ihn verletzt hatte.

„Was? Ob wir Sex hatten? Mit einer komatös Schlafenden mit üblem Mundgeruch vergnüge ich mich in der Regel nicht. Sie können sich das vielleicht nicht vorstellen, aber das habe ich nicht nötig. Es gibt Frauen, die mich nicht für ein Monster halten und gerne mit mir ins Bett gehen“, konterte er.

Patrizia schluckte. Das Kopfweh war mörderisch, und sie hatte brennenden Durst. So einen Kater hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie gehabt. Unter anderen Umständen hätte sie den Tag mit einer Packung Kopfschmerztabletten im Bett verbracht, aber daran war nicht zu denken.

Sie hatten eine Einladung in die zweite Sambaschule. So einen Termin konnte man unmöglich platzen lassen. Der Wecker klingelte, wie um ihr zuzustimmen. Sie hielt sich ächzend die Ohren zu.

„Gehen Sie in Ihr Zimmer und legen Sie sich wieder hin!“, befahl Möllenberg ärgerlich. „In dem Zustand sind Sie mir heute keine Hilfe. Ich muss sehen, wie ich ohne Sie klarkomme.“