Die Flucht vor der Ehe - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Die Flucht vor der Ehe E-Book

Hedwig Courths-Mahler

0,0

Beschreibung

Nach dem Willen des Vaters soll Mona Runek mit Bernd Kronau verheiratet werden. Doch auf einem Ball wird deutlich, dass der zukünftige Gatte das junge Mädchen nur wenig apart findet. Tief getroffen flieht Mona daraufhin zu ihren Verwandten ins Georgental, bei denen sie überwiegend aufgewachsen ist. Dort entwickelt sich das junge Mädchen mit der Zeit zu einer hübschen Frau und soll auch Bernd noch einmal begegnen...-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 354

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hedwig Courths-Mahler

Die Flucht vor der Ehe

 

Saga

Die Flucht vor der Ehe

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1931, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726950182

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Mona Runeck war froh, dass sie aus dem lauken Festtrubel in das stille Nebenzimmer flüchten konnte. Ihr Kopf war ganz wirr von all den gesellschaftlichen Phrasen, die sie mit all den vielen Gästen ihres Vaters hatte tauschen müssen, und sie bewunderte ihre Stiefmutter, dass sie nicht müde wurde, allen Anforderungen, die dieses Fest an sie stellte, gerecht zu werden.

Mona war dieses laute, gesellige Treiben nicht gewöhnt, ihr Leben hatte sich bisher in grosser Stille und Zurückgezogenheit abgespielt. Und nun war sie plötzlich von dem Vater heimgerufen worden, sollte plötzlich der gesellige Mittelpunkt in seinem Hause sein. Dazu hatte sie weder Neigung noch Talent. Nirgends fühlte sie sich heimat- und wurzelloser, als in ihrem Vaterhaus.

Sie war zwar jedes Jahr einige Wochen daheim gewesen, aber da hatte man sie nie gezwungen, an dem geselligen Leben teilzunehmen. Bisher war sie zu jung gewesen, als dass man sie in die Gesellschaft hätte einführen müssen, und ihre noch sehr jugendliche Stiefmutter hatte es auch gar nicht gewünscht, sich an der Seite einer erwachsenen Tochter der Gesellschaft zu zeigen. Sie hatte es immer wieder ihrem Gatten auszureden gewusst, dass man Mona heimrief und in Gesellschaft führte.

Früher, wenn Mona auf kurze Zeit zu Hause weilte, hatte sie still auf ihrem Zimmer gesessen, wenn Gesellschaft im Hause war. Leise waren dann nur Musik und Stimmengewirr zu ihr herübergeklungen. Manchmal hatte sie das verlockt, ihr Buch fortzulegen und hinunterzuschlüpfen in eins der stillen Nebenzimmer, von wo sie, durch einen Vorhang verborgen, ein wenig dem festlichen Treiben zugeschaut hatte. Das war ganz unterhaltend gewesen. Sie brauchte ja nicht mitzutun. Und eines Abends, als sie wieder auf ihrem stillen Lauscherposten hinter dem Vorhang gesessen hatte, da war ein junger, hochgewachsener Herr in dies Nebenzimmer gekommen, um verstohlen eine Zigarette zu rauchen. Mona hatte nicht fliehen können, weil er sie dann hätte sehen müssen. Sie war viel zu scheu, um das zu wagen. Still, ein wenig beklommen, hatte sie hinter dem Vorhang gesessen und durch einen schmalen Spalt in demselben den jungen Herrn beobachtet. Und ihr Herz hatte dabei sehr stark und laut geklopft.

Dieser junge Mann war Bernd Kronau, der Sohn eines Freundes von Monas Vater. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass er von zwei scheuen Mädchenaugen scharf beobachtet wurde. Noch weniger hatte er geahnt, da er sich ganz allein wähnte, dass er in dieser Stunde eine grosse Eroberung gemacht hatte. Denn von dieser Stunde an gehörte Monas junges Herz diesem Manne, mit dem sie nie ein Wort gesprochen hatte.

Sie selbst wusste nicht, dass sie ihr Herz an Bernd Kronau verloren hatte. Sie kannte ihn nicht, er war ihr ein Fremder. Und in ihrer Unerfahrenheit ahnte sie nicht einmal, dass es eine schnell emporgekeimte Liebe war, die ihr Herz so unruhig bei seinem Anblick klopfen liess. Aber ihre Augen konnten nicht von dem eleganten jungen Herrn lassen, dessen schlanke, kraftvolle Gestalt ihr so wohl gefiel und dessen Gesicht ihr vom ersten Sehen an so sehr sympathisch war. Immer wieder vertiefte sie sich in die energischen, gut gebildeten Züge des jungen Mannes, und es entging ihr keine Einzelheit in denselben. Als er schliesslich seine Zigarette geraucht hatte, sich erhob und in den Saal zurückkehrte, schlüpfte sie davon und suchte wieder ihr Zimmer auf.

Und wenn sie von jener Zeit an wieder einmal für einige Wochen nach Hause gerufen wurde, fragte sie sich immer zuerst, ob sie wohl den jungen Herrn wiedersehen würde, den sie nicht hatte vergessen können. Es war ihr noch einigemal seitdem gelungen, ihn wiederzusehen, immer, ohne dass er eine Ahnung gehabt hatte, dass er heimlich beobachtet wurde. Wenn Gesellschaft im Hause ihres Vaters war, dann war auch er anwesend, und immer wieder schlüpfte sie auf ihren Lauscherposten in dem stillen Nebenzimmer, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Und wenn sie ihn erblickte, dann klopfte ihr Herz in lauten, schnellen Schlägen.

Eines Tages hatte sie dann auch erfahren, wer er war. Gerade in dem Zimmer, in dem sie versteckt war, ganz dicht an ihrem Lauscherposten, traf er eines Tages mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter zusammen. Sie hatten einige Worte gewechselt, und daraus hatte Mona erfahren, dass der junge Mann, der ihr so wohl gefiel, Bernd Kronau war.

Zuweilen war nun in ihr die Sehnsucht aufgewacht, an diesen Geselligkeiten mit teilnehmen zu dürfen. Wie herrlich müsste es sein, mit diesem jungen Mann sprechen zu dürfen. Er hatte eine so warme, gute Stimme, die sich ihr ins Herz geschmeichelt hatte. Sie beneidete die jungen Damen, die mit ihm sprechen und tanzen durften, und wünschte sich brennend, dass sie so schön sein möge, wie viele unter ihnen. Denn sie gefiel sich selbst gar nicht. Mit schwerem Herzen blickte sie jetzt zuweilen in den Spiegel und sah bekümmert, dass sie mit dem breiten Streifen von Sommersprossen, der ihr Gesicht geradezu entstellte, durchaus kein schöner Anblick war.

Dass sie sehr feine und angenehme Züge hatte, wundervolle Augen und herrliches Haar, das entging ihr völlig, sie sah immer nur diese entstellenden braunen Flecken, die ihr feines Näschen so seltsam breit erscheinen liessen und wie ein breiter, dunkler Strich von der Nase über die Wangen verliefen.

Früher hatte sie das nie gestört, sie hatte kaum darauf geachtet, aber jetzt bekümmerte sie dieser braune Strich, der zu ihrem Leidwesen auch im Winter nicht weichen wollte. Und ihre Stiefmutter hatte zu ihr gesagt:

„Du müsstest etwas gegen diese Sommersprossen tun, Mona.“

Aber damit war der Fall für die Stiefmutter erledigt, und Mona wusste nicht, was sie dagegen tun sollte, ahnte nicht einmal, dass man so etwas entfernen konnte.

Als nun ihr Vater vor kurzem geschrieben hatte, sie müsse nun endlich nach Hause kommen, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, da schlug ihr das Herz sehr unruhig. In die Gesellschaft eingeführt werden, das hiess für sie: Bernd Kronau von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, ihn kennen lernen. Und das erfüllte sie teils mit jubelnder Freude, teils mit scheuer Beklommenheit.

Sie ahnte nicht, dass ihr Vater erst von ihrer Tante, bei der sie seit seiner zweiten Vermählung lebte, darauf hingewiesen werden musste, dass es an der Zeit sei, Mona in Gesellschaft einzuführen. Da hatte sich dann auch Monas Stiefmutter bereit erklären müssen, an der Seite einer erwachsenen Stieftochter in der Gesellschaft aufzutreten.

Mona dachte auch jetzt nur an Bernd Kronau. Sein Bild lebte als etwas Herrliches, Wunderschönes in ihrem jungen Herzen, und unruhig und erwartungsvoll war sie diesmal heimgereist und sah ihrer ersten Gesellschaft entgegen.

Würde sie ihn nun kennen lernen, mit ihm sprechen dürfen? Dieser Gedanke hatte ihr den Abschied von Tante Herta, von dem verwitweten Vetter Lothar und seinem kleinen Sohn, mit denen zusammen sie bisher ihr Leben verbracht hatte, seit der Vater die zweite Frau heimgeführt, etwas leichter gemacht. Denn diesmal sollte sie nicht nur für einige Wochen, sondern für immer in ihr Vaterhaus zurückkehren, und das hätte sie viel tiefer betrübt, wenn nicht eben Bernd Kronau zuweilen in das Haus ihres Vaters kommen würde.

Die ersten Wochen fühlte sie sich dann auch sehr einsam und unglücklich in ihrem Vaterhaus. Das stete Zusammensein mit ihrer Stiefmutter, der sie kühl gegenüberstand und der sie nur lästig war, quälte Mona. Und dem Vater war sie so fremd geworden, seit er sich wieder verheiratet hatte. Nur der Gedanke an Bernd Kronau half ihr ein wenig über diese Wochen hinweg. Mit unruhiger Erwartung sah sie nun der ersten Geselligkeit im Hause ihres Vaters entgegen. Die Stiefmutter fuhr mit ihr in verschiedene Modehäuser, in denen sie neu ausgestattet wurde, und sie freute sich zum ersten Male an schönen Kleidern. Wenn sie dieselben anprobierte, fragte sie sich, ob sie Bernd Kronau wohl ein wenig darin gefallen würde. Die Kleider waren doch so schön. Aber wenn dann ihre Stiefmutter neben ihr seufzte und unzufrieden in ihr von Sommersprossen entstelltes Gesicht sah, dann wurde sie schrecklich kleinmütig. Nein, sie würde Bernd Kronau sicher nicht gefallen mit den hässlichen braunen Flecken über der Nase. Einmal fuhr ihr die Stiefmutter mit einer dicken Puderschicht über diese Stelle, aber das half nur ganz kurze Zeit. Und dann brachte sie ihr irgendeine Salbe, die sie auflegen sollte. Dadurch sollten die Sommersprossen verschwinden. Eifrig gebrauchte Mona dies Mittel, aber vergeblich, die braunen Flecken blieben. Da gab es Mona seufzend auf, von diesem Schönheitsfehler je befreit zu werden. Aber der Gedanke daran bedrückte sie immer mehr, je näher der Tag der ersten festlichen Geselligkeit heranrückte, an dem Mona in die Gesellschaft eingeführt werden sollte.

Nun war der Festabend herangekommen. Bernd Kronau war wirklich anwesend, und das Fest war glänzend, wie alle Festlichkeiten in dem Runeckschen Hause. Dafür sorgte schon die schöne Stiefmutter Monas, deren Ehrgeiz es war, eine grosse Rolle in der Gesellschaft zu spielen.

Für Mona war dieses Fest nur eine lästige Beigabe, für sie hatte es nur den einen Wert: Bernd Kronau offiziell kennen zu lernen, mit ihm sprechen zu dürfen, vielleicht gar mit ihm zu tanzen.

Und ach, dieser Augenblick, nach dem sie sich in so lange gesehnt hatte, auf den sie sich so sehr gefreut, der war nun vorüber — und hatte ihr nur eine schmerzliche Enttäuschung gebracht. Denn der Mann, dem sie, ohne es zu wissen, ihr ganzes Herz geschenkt hatte, der hatte sie nur kühl und kritisch angesehen, hatte einige höfliche Worte mit ihr gewechselt und sich dann mit aufleuchtenden Augen einer anderen jungen Dame zugewandt, die herangetreten war. Sie hatte kaum gewagt, ihn anzusehen, hatte erschrocken vor seinem kühlen Blick die Augen gesenkt und schmerzlich zugehört, wie liebenswürdig und angeregt er sich mit der schönen jungen Dame unterhielt, an die er sich gewandt hatte.

Wie ein schwerer Stein lag ihr das Herz in der Brust.

Scheu hatte sie sich beiseitegeschlichen, ohne dass er Notiz davon genommen hatte, und war durch den Festtrubel hindurch nach dem stillen Nebenzimmer geflüchtet, von dem aus sie früher die Gesellschaft belauscht hatte. Sie flüchtete sich hinter die schweren Samtvorhänge in die tiefe Fensternische und sank seufzend in den Sessel, der dort stand.

Was sollte sie hier in diesem Hause, in dem sie so fremd geworden war? Seit die Stiefmutter hier ihren Einzug gehalten hatte, war hier keine Heimat mehr für sie. Kein Mensch brauchte sie hier, niemand kümmerte sich um sie. Was sollte sie noch hier, seit Bernd Kronau sie so kalt und kritisch angesehen hatte? Oh, wie hatte ihr Herz geklopft, als der Vater ihr ihn vorgestellt hatte und dann weiterging! Sie hatte nicht gewagt, ihm in die Augen zu sehen. Erst, als er mit ihr sprach, einige belanglose Worte ohne jede Wärme, da hatte sie schnell und scheu zu ihm aufgesehen und hatte gemerkt, dass sein kritischer Blick erbarmungslos über sie hinwegglitt und sich der schönen, jungen Dame zuwandte, die er mit einem liebenswürdigen Lächeln und mit warmen Worten begrüsste.

Nie in ihrem Leben war sie sich so einsam, so verlassen erschienen, und sie war so unglücklich gewesen wie nie zuvor, trotzdem sie sich schon oft recht einsam gefühlt hatte in ihrem jungen Leben.

Nun sass sie reglos in ihrem Versteck, froh, dass sie hier kein Auge erblicken konnte. Die Hände hatten sich krampfhaft in ihrem Schoss zusammengefaltet, die Augen hielt sie fest geschlossen, als wolle sie nichts mehr sehen, und so liess sie den Schmerz sich immer tiefer und fester in ihr Herz hineinbohren. Ach, dass sie wieder bei Tante Herta sein könnte und bei dem kleinen Gerd. Dort hatte man sie doch lieb. Was sollte sie hier? Weshalb hatte der Vater sie plötzlich nach Hause kommen lassen? Um sie in Gesellschaft einzuführen? Was sollte sie in dieser Gesellschaft, in der sie sich so entsetzlich fremd fühlte, in der sie sich in ihrer Scheu so linkisch und unbeholfen benahm, weil sie immer kritische Blicke auf sich ruhen fühlte. Und Bernd Kronaus Augen hatten am fremdesten und am kritischsten auf ihr geruht, als wollten sie fragen: „Was willst du hier, hier ist kein Platz für Leute deiner Art, was soll man hier mit dir anfangen?“

Wie weh ihr das getan hatte, wie unbeschreiblich weh!

Und der Vater hatte auch keine Zeit für sie, er wurde so leicht ungeduldig und verstand seine arme, kleine Mona längst nicht mehr. Er hatte nur Augen und Ohren für seine schöne junge Frau.

Sie wollte gerade einen tiefen Seufzer ausstossen, konnte ihn aber zum Glück oder Unglück gerade noch zurückhalten, als sie in ihrer Nähe Stimmen hörte. Erschrocken blinzelte sie durch einen schmalen Spalt im Vorhang und sah, wie sich zwei Herren dicht neben ihrem Lauscherposten in zwei Sessel niederliessen, die hier mit einem kleinen Tisch zusammenstanden. Sie hatte deren Kommen in ihrer schmerzvollen Versunkenheit nicht bemerkt. Zu ihrem Schrecken erkannte sie in dem einen Bernd Kronau, der für dieses stille Nebenzimmer anscheinend eine besondere Vorliebe zu haben schien. Den anderen älteren Herrn kannte sie auch, es war Bernd Kronaus Vater, der Freund ihres Vaters. Sie hätte jetzt um keinen Preis der Welt ihren Platz verlassen und an Bernd Kronau vorübergehen mögen. Es wäre ihr unmöglich gewesen, noch einmal seinem kalten, kritischen Blick begegnen zu müssen. So blieb sie reglos sitzen, trotzdem sie sich sagen musste, dass sie jetzt jedes Wort hören müsse, das die beiden Herren zusammen sprachen.

Aber hoffentlich sprachen sie nur über gleichgültige Dinge. Und eine Weile blieb es ganz ruhig. Dann endlich fragte Bernd Kronau:

„Was wolltest du von mir, Vater? Du gabst mir verstohlen ein Zeichen, dass du mich hier in diesem Zimmer sprechen wolltest.“

Georg Kronau, der Vater, richtete sich mit nervöser Erregung auf und sah seinen Sohn unruhig an.

„Du hast dich wieder viel zu lange und zu eingehend mit Fräulein Weimann unterhalten, Bernd, und hast sie mit viel zu feurigen Augen angesehen.“

Bernd Kronau lachte sorglos.

„Aber lieber Vater, Susanne Weimann ist doch wert, dass man sich mit ihr beschäftigt. Sie ist nicht nur ein blendend schönes Mädchen, sondern, was mehr wert ist, sie hat Geist und ist liebenswert.“

„Aber — sie ist gänzlich vermögenslos, mein Sohn“, sagte der Vater bedeutungsvoll.

„Deshalb kann ich mich doch mit ihr unterhalten“, sagte Bernd ruhig.

„Und dabei vergisst du ganz, dich um Fräulein Runeck zu kümmern“, stiess der Vater unmutig hervor.

Mona zuckte leise zusammen, als plötzlich ihr Name siel, und nun hätte sie viel darum gegeben, wenn sie weit weg von dieser Stelle gewesen wäre.

Bernd Kronau sah seinen Vater erstaunt an.

„Weshalb soll ich mich denn um Fräulein Runeck kümmern?“

„Aber Bernd, hast du ganz vergessen, dass ich dir gesagt habe, du sollst dich ihr so viel als möglich widmen?“

Wieder lachte Bernd Kronau sorglos auf.

„Aber lieber Vater, das kannst du wirklich nicht von mir verlangen. Dieses reizlose, verschüchterte kleine Mädel mit den unbeholfenen Bewegungen, das kaum ein Wort ohne Stottern hervorbringt und die Augen niederschlägt, wenn man mit ihm spricht, das ist doch keine Gesellschaft für deinen Sohn. Und dann solltest du doch wissen, dass es mir geradezu Unbehagen schafft, wenn ich mit einer Frau sprechen muss, die einen unklaren Teint hat. Ich habe von Fräulein Runeck kaum etwas anderes gesehen, als dass sie einen scheusslichen braunen Streifen von Sommersprossen über die Nase und die Wangen hat, und da habe ich meine Augen so schnell wie möglich von ihr abgewandt. Ich kann nun einmal nicht gegen diese Abneigung gegen einen solchen Frauenteint ankommen.“

„Das höre ich nicht gern, Bernd, gegen solche Ausserlichkeiten muss man angehen. Es ist mir sehr unangenehm, dass du so von Fräulein Runeck sprichst. Sommersprossen sind doch nur kleine Schönheitsfehler.“

„Aber wenn sie so in Massen und so entstellend auftreten, sind sie für mich geradezu abschreckend.“

„Ich bitte dich, Bernd, lass diese törichten Reden. Da du meine Anspielungen nicht verstanden hast oder nicht verstehen willst, muss ich deutlicher werden. Mona Runeck soll deine Frau werden.“

Mit einem entsetzten Blick fuhr Bernd zu seinem Vater herum.

„Um Gottes willen! Dies kleine Greuel! Diese personifizierte Reizlosigkeit mit dem hässlichen Teint? Meine Frau? Nein, Vater — ausgeschlossen! Ich hoffe, das ist nur ein Scherz von dir.“

Georg Kronau atmete tief und schwer.

„Nein, Bernd, es ist bitterer Ernst! Mir ist nicht nach Scherzen zumute.“

Bernd richtete sich wie kampfbereit empor.

„Aber ich denke gar nicht daran, jetzt schon zu heiraten, und am wenigsten dieses kleine Greuel.“

„Ich verbiete dir, so von ihr zu reden. Du vergisst, dass sie eine der reichsten Erbinnen ist.“

„Das macht sie für mich weder schöner noch begehrenswerter. Ich habe ganz gewiss nicht die Absicht, mich an eine reiche Erbin zu verkaufen. Bitte, lieber Vater, lass diesen Gedanken fallen. Du bist mit ihrem Vater sehr befreundet, das weiss ich, und ihr habt vielleicht beide diesen Plan ins Auge gefasst, eure Kinder miteinander zu verheiraten. Aber ohne mich — ganz bestimmt ohne mich. Ich heirate ganz bestimmt niemals eine Frau, die mir so zuwider, zum mindesten ganz und gar gleichgültig ist. Sie flösst mir nicht die geringste Sympathie ein. Das habe ich doch gottlob als dein Sohn nicht nötig, meine Freiheit an so ein unschönes, unbedeutendes Geschöpf zu verkaufen, nur weil sie eine reiche Erbin ist.“

Wieder atmete der alte Herr tief und schwer. Dann sagte er heiser:

„Du irrst, Bernd, du hast es sehr nötig, eine reiche Heirat zu machen.“

Erschrocken starrte Bernd in seines Vaters blasses, düsteres Gesicht.

„Vater!“

„Schweig, nicht so laut, mein Sohn. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu sprechen, aber du musst unbedingt heute abend noch wissen, wie die Dinge liegen, damit du den schlechten Eindruck noch verwischen kannst, den du bisher sicher auf Fräulein Runeck gemacht hast. Sie wird die Auswahl haben unter zahlreichen Freiern, bei ihrem Reichtum. Also höre gut zu: Du zwingst mich, jetzt gleich Farbe zu bekennen — ich stehe dicht vor dem Ruin.“

Bernd Kronau erblasste.

„Vater — um Gottes willen!“

„Es ist so, Bernd, ich muss nächstens den Bankerott ansagen, wenn mir nicht schnell Hilfe kommt. Deine Verlobung mit Fräulein Runeck eröffnet mir sofort wieder Kredite, die mir jetzt verschlossen sind. Weiss Gott, ich hätte es dir gern erspart, das zu erfahren, aber wie gesagt, es muss schnell Hilfe kommen. Alle Hilfsquellen sind erschöpft, ich bin zu Ende mit meinem Latein. Und so habe ich es als Rettung in höchster Not angesehen, als mein Freund Runeck mir voi einigen Tagen das Angebot machte, dir seine Tochter zur Frau zu geben.“

Mona zuckte hinter dem Vorhang so erschrocken zusammen wie Bernd.

Dieser sagte fassungslos:

„Herr Runeck hat dir das angeboten?“

„Ja, ich hätte an diesen Rettungsanker gar nicht gedacht in meiner Verzweiflung. Aber Runeck sagte mir, dass seine Frau auf den Gedanken gekommen sei. Man will scheinbar die Tochter, die in dieser jungen Ehe lästig ist, so schnell als möglich an den Mann bringen. Es geht nicht an, dass man sie länger von zu Hause fernhält. Die Tante hat das ihrem Vater nahegelegt. Aber die schöne junge Stiefmutter will natürlich nicht gern so eine erwachsene Tochter um sich haben.“

Bernd strich sich über das Haar.

„Das arme Kind!“ sagte er mitleidig.

Und er ahnte nicht, dass dieses gute, mitleidige Wort von Mona gehört wurde und ihr heisse Tränen in die Augen trieb, die sie mühsam unterdrückte.

„Halte dich an dies Mitleid, Bernd, das wird dir alles leichter machen. Ich muss dir gestehen, dass mir dies Anerbieten Runecks wie eine Erlösung von schlimmer Pein erschien. Fräulein Runeck besitzt von ihrer verstorbenen Mutter her schon ein grosses Vermögen, über das sie sofort verfügen kann, ganz abgesehen davon, dass sie auch die Erbin ihres Vaters wird, denn seine zweite Ehe wird ganz sicher nicht mehr mit Kindern gesegnet. Da sie gleich über ein grosses Vermögen verfügt, bedeutet das sichere Rettung für uns, Rettung für die Firma Kronau. Du wirst nun, nachdem du alles weisst, vernünftig sein und dich noch heute eingehend um Fräulein Runeck bemühen. Das Herz dieses jungen Mädchens zu gewinnen, wird dir nicht schwer fallen. Die Hauptsache ist, der Erste zu sein.“

Bernd Kronau war sehr blass geworden, Mona konnte das von ihrem Versteck aus sehen. Es zuckte in seinem charakteristischen Gesicht, seine Züge waren angespannt, und seine Lippen hatten sich fest aufeinandergepresst. Jetzt warf er den Kopf zurück.

„Nein, Vater, du verlangst Unmögliches von mir. Ich kann mich nicht um Geld verkaufen. Wie verächtlich müsste ich mir selbst erscheinen! Ich will für dich arbeiten, ich habe ja viel gelernt und bin jung und gesund. Aber verlange nicht von mir, dass ich mir selbst untreu werden soll.“

Der Vater atmete gepresst, dass es wie ein Stöhnen klang.

„Wenn du nicht hilfst, Bernd, dann bleibt mir nur — den Ruin meines Hauses überlebe ich nicht!“ stiess er hervor.

„Vater!“ rief Bernd entsetzt.

„Du weisst nun, wie alles steht, Bernd — ich habe dir nichts mehr zu sagen. Ich — ich will dich nicht zwingen, wenn es dir unmöglich ist“, sagte der alte Herr leise und kraftlos.

„Ist denn keine andere Hilfe möglich, Vater?“

„Keine — ich habe alles erwogen.“

Eine Weile sassen die beiden Herren schweigend einander gegenüber. Vom Saal herüber klang leise die Musik und das Lachen fröhlicher Menschen. Der Vater sass blass und düster dem Sohn gegenüber, und dieser starrte ihn an, als müsse er sich überzeugen, dass keine andere Hilfe möglich sei. Aus dem verzweifelten Gesicht seines Vaters las er, dass alle Hoffnung vergebens sein würde. Es zuckte in seinen Zügen, und die Augen, diese sonst so lebensfroh strahlenden Augen, die Mona Runeck so sehr liebte, blickten erloschen.

Mona sass wie erstarrt von allem, was sie hatte hören müssen. Ihr eigenes Leid vergass sie jetzt über dem Leid Bernd Kronaus. Sie konnte sein Gesicht sehen durch den schmalen Spalt im Vorhang, las den schweren Kampf, den er mit sich ausfocht, und hätte in tiefster Herzensnot laut aufschreien mögen. Nicht an sich dachte sie jetzt, sie spürte nur, dass sich Bernd Kronaus ganzes Wesen wie im Entsetzen aufbäumte gegen das Opfer, das man ihm auferlegen wollte, und wie er doch vor Angst geschüttelt wurde, dass der Vater seine Drohung ausführen könne. Er wehrte sich mit zusammengebissenen Zähnen dagegen, dass er „das kleine Greuel“ zu seiner Frau machen, dass er sich überhaupt um Geld verkaufen sollte. Oh, wie gut konnte sie ihm, trotz allem Leid, das er ihr unbewusst antat, verstehen. Ein Mann wie er empfand es als Schmach, sich zu verkaufen, und sie musste ihn nur noch viel mehr lieben, dass er es nicht tun wollte. Entsetzen las sie in feinen erloschenen Augen, Entsetzen vor einer Vereinigung mit ihr und zugleich Angst, weil das Leben des Vaters auf dem Spiel stand, wenn er sich nicht opferte. Sie dachte nicht an das, was ihr soeben zugefügt worden war, was ihr zugefügt werden sollte, sie musste nur denken, dass Bernd Kronau sich opfern sollte für diesen alten Mann, der sein Vater war. Und ein Gefühl des Hasses gegen seinen Vater stieg in ihr auf. Wie konnte er seinen Sohn mit einer solchen Drohung ängstigen?

Ach, dass sie ihm helfen könnte, dem Mann, den sie nicht hatte vergessen können, seit sie ihn zuerst gesehen hatte.

Jetzt erhob sich Georg Kronau langsam und schwerfällig.

„Wir können hier nicht länger derweilen, es könnte auffallen. Wir müssen zur Gesellschaft zurück. Du weisst nun alles, Bernd, bei dir liegt die Entscheidung“, sagte er heiser.

Bernd riss sich zusammen.

„Gibt es wirklich keinen andern Ausweg, Vater? Würde dir dein Freund Runeck nicht helfen?“

„Um solche Summen, wie ich sie brauche, um den Ruin von meinem Hause abzuwenden, kann man keinen Freund bitten. Und — er würde vielleicht sein Angebot, dir seine Tochter zur Frau zu geben, zurückziehen, würde ich ihm meine Verhältnisse klarlegen. Ich lasse dich jetzt allein, überlege und triff deinen Entschluss. Denke nicht an mich — ich ziehe einen kurzen Schluss vor, wenn mir keine Hilfe kommt.“

Bernd lachte heiser auf.

„Und mit dieser Aussicht soll ich einen andern Entschluss treffen, als mich zu fügen? Du lässt mir ja keine Wahl, Vater!“

„Ist es denn so schwer, Bernd?“

Bernd biss die Zähne zusammen.

„Kannst du dir denken, dass mir leicht wird, etwas zu tun, wofür ich mich selbst verachten werde?“

„So tu es nicht, Bernd, lass die Dinge laufen“, sagte Georg Kronau müde.

Bernd sprang auf.

„Geh nur! Ich — ich werde es tun — muss es tun, was du von mir forderst, aber — bitte — lass mich jetzt allein — nur fünf Minuten“, stiess er verzweifelt hervor.

Da ging der alte Herr langsam davon. Bernd Kronau warf sich wieder in seinen Sessel. Ein leises Stöhnen brach aus seiner Brust. Und er ahnte nicht, dass dicht neben ihm, nur durch einen Samtvorhang von ihm getrennt, das junge Mädchen sass, das er heiraten sollte, um seine Firma vor dem Untergang zu retten, um seinem Vater das Leben zu erhalten.

Er kannte seinen Vater, wusste, dass dessen ganzes Sein mit der Firma verwachsen war. Er wusste, es war keine leere Drohung, sondern ein unabänderlicher Entschluss seines Vaters, sich das Leben zu nehmen, wenn er Bankerott machen würde. Das ertrug er nicht.

Wie hatte es nur so weit kommen können? fragte sich Bernd. Er konnte sich diese Frage nicht beantworten. Er wusste nicht, dass sein Vater, um Inflationsverluste zu decken, angefangen hatte, zu spekulieren, und dass er sich dadurch vollends zu grunde gerichtet hatte.

Ganz plötzlich stand er nun nach dieser Unterredung mit dem Vater der erschütternden Tatsache gegenüber. Er hatte freilich in letzter Zeit gemerkt, dass die Firma mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Da er im Geschäft seines Vaters arbeitete, konnte ihm das nicht ganz verborgen bleiben, aber er hatte das für eine unbedeutende, vorübergehende Störung gehalten, die bald behoben sein würde.

Was sollte er tun? Gab es für ihn noch eine Wahl? Konnte er den Vater sterben lassen? Für sich selbst fürchtete er den Ruin der Firma nicht so sehr, er war ein tüchtiger Kaufmann und konnte sich gewiss weiterhelfen, auch den Vater mit durchbringen, wenn das Schlimmste kam. Aber der Vater überlebte den Untergang der Firma nicht. Das wusste er. Dass er dieses kleine, reizlose und, wie ihm schien, unbedeutende Mädchen heiraten sollte, das der eigene Vater trotz ihres grossen Vermögens ausbieten musste, um sie los zu werden, das war noch nicht einmal das Schlimmste, aber dass er sich verkaufen sollte, dass er vor sich selbst verächtlich erscheinen musste, das drückte ihn nieder.

Die arme Mona litt in ihrem Versteck tausend Qualen, mit ihm und um ihn, aber sie regte sich nicht. Er durfte nicht ahnen, dass diese Unterredung mit seinem Vater einen Zeugen gehabt hatte — niemand durfte darum wissen.

Endlich erhob sich Bernd Kronau, und sie sah, wie bleich er geworden war, wie sein Gesicht in dieser kurzen Zeit feste und harte Linien bekommen hatte. Alles schien daraus fortgewischt zu sein, was an Lebensfreude gemahnte. Herb pressten sich die Lippen aufeinander wie in einem schweren, festen Entschluss, und seine Augen blickten starr und leer.

Mona, tat das Herz weh. Wie gern hätte sie ihm helfen mögen! Sie sah ihm nach, wie er langsam zu dem Saal hinüberschritt. Er hatte wohl eingesehen, dass es keine Wahl für ihn gab, und nun ging er seinem Schicksal entgegen, dem Schicksal, sich verkaufen zu müssen an „das kleine Greuel“, wie er sie genannt hatte, an die personifizierte Reizlosigkeit, vor deren unklarem Teint er einen Schauder empfand. Sie schauerte zusammen vor Weh und Herzeleid. Ach, wie jammervoll war es doch, dass sie nicht schön und reizvoll war, so schön und liebreizend und so geistvoll wie Susanne Weimann. Wahrscheinlich liebte er diese, er hatte sie mit so strahlenden Blicken angesehen. Und nun musste er von ihr lassen und wurde so unglücklich, wie sie selbst geworden war in dieser Stunde.

Ja, jetzt ging er wohl, um seines Vaters Wunsch zu erfüllen, um sich der reichen Erbin zu nähern, die seine Firma retten sollte — und seines Vaters Leben. Er würde sich dazu zwingen, um sie zu werben — und — würde sie hassen.

Dieser Gedanke trieb sie in angstvoller Hast empor. Um keinen Preis hätte sie jetzt noch mit ihm zusammentreffen können, um keinen Preis in seine Augen sehen mögen, in denen sie immer lesen würde: „Du kleines Greuel!“

So gern sie ihm helfen möchte — ach — ihren ganzen Reichtum hätte sie willig geopfert, um ihm das Herz wieder leicht zu machen — sie konnte es nicht, konnte diese Komödie nicht mitspielen — lieber sterben, als unter diesen Umständen seine Frau zu werden.

Ängstlich lugte sie durch den Vorhangspalt. Gottlob, das Zimmer war leer, sie konnte unbemerkt zwischen den Vorhängen hindurch und zum Zimmer hinaus nach der anderen Seite des Hauses schlüpfen. Hier würde sie niemand begegnen, höchstens jemand von der Dienerschaft. Schnell war sie draussen und sah sich um. Nur ein Diener lief ihr in den Weg, als sie hinauf in ihr Zimmer eilte. Zu diesem sagte sie hastig: „Melden Sie meinen Eltern, dass mich ein plötzliches Unwohlsein befallen hat, ich will mich niederlegen.“

Der Diener sah sie an und merkte, dass sie sehr bleich war. Er glaubte an ihr Unwohlsein und ging, ihren Auftrag auszurichten.

*

Frau Dora Runecks Stirn zog sich in ärgerliche Falten, als der Diener ihr Monas Botschaft meldete. Sie winkte dem Diener hastig ab. Ihr schönes Gesicht wurde einen Augenblick entstellt durch einen ärgerlichen, gehässigen Ausdruck. Diese Stieftochter war für sie eine Quelle von allerlei Verdriesslichkeiten, und sie wollte sie wirklich so schnell als möglich verheiraten, um sie aus dem Hause zu schaffen, da Monas Tante so energisch verlangt hatte, dass man das Kind ins Vaterhaus zurückrufen und in Gesellschaft einführen müsse. Nun hatte man die heutige Gesellschaft gegeben, um sie mit Bernd Kronau zusammenzubringen, und nun zog sie sich einfach wegen eines kleinen Unwohlseins zurück. Darüber ärgerte sich Frau Dora Runeck sehr. Aber sie zwang sich gleich wieder zu einem liebenswürdigen Lächeln, als jetzt Bernd Kronau zu ihr trat und mit einer artigen Verbeugung fragte:

„Können Sie mir sagen, gnädige Frau, wo sich Ihr Fräulein Tochter aufhält? Ich suche sie schon eine ganze Weile vergeblich.“

Frau Dora zuckte jedesmal ein wenig schmerzhaft zusammen, wenn sie nach „ihrer Tochter“ gefragt wurde, aber sie vermochte doch mit einem Lächeln in Bernd Kronaus blasses und gezwungen ruhiges Gesicht zu blicken.

„Ich bin ganz untröstlich, mein lieber Herr Kronau, ein Diener meldete mir soeben, dass sich meine Stieftochter wegen eines leichten Unwohlseins auf ihr Zimmer zurückgezogen hat. Aber sie wird wohl bald wieder erscheinen, ich will gleich selbst nach ihr sehen und werde sie Ihnen dann zuführen. Sie müssen sich nur ein Weilchen gedulden.“

Frau Dora lag sehr viel daran, dass die Heirat zwischen Mona und Bernd Kronau schnell zustande kam. Tante Herta hatte geschrieben, bei ihr käme Mona mit keinem jungen Menschen zusammen, da sie ganz abgeschieden von allem Verkehr im Hause ihres Neffen lebe, es sei nun endlich an der Zeit, dass Mona die Freuden der Jugend kennen lerne, und sie käme nun in das heiratsfähige Alter.

Das hatte Frau Dora schnell aufgegriffen. Mona musste so schnell als möglich wieder aus dem Hause, und da die Tante Mona jetzt nicht wieder aufnehmen würde, so sehr sie auch an ihr hing, so blieb eben nur eine schnelle Heirat. Mona war freilich erst achtzehn Jahre alt, aber es heiraten viel junge Mädchen schon in diesem Alter.

Und da ihr Gatte etwas wie Reueanwandlung gehabt hatte, als Tante Herta so geschrieben, und sie einsah, dass er nun seiner Vaterpflicht genügen wollte, hatte sie klug dahin gearbeitet, dass er auf den Gedanken kam, Mona mit Bernd Kronau, den er sehr gern hatte, zu verheiraten. Tante Herta stand Frau Dora ziemlich zurückhaltend gegenüber, und diese meinte, das sei nur der Fall, weil sie die Nachfolgerin ihrer Schwester geworden war. Sie vergalt es mit einer herzhaften Feindschaft gegen Tante Herta, obwohl sie ihr zu Dank verpflichtet war, dass sie Mona gleich nach der zweiten Verheiratung ihres Schwagers zu sich nahm. Und Tante Herta hatte Mona nicht gern i hergegeben, aber sie hatte es für ihre Pflicht gehalten, Mona in Gesellschaft junger Menschen zu bringen.

Frau Dora war es ein leichtes gewesen, ihren Gatten, der seine junge Frau mit der Liebe des alternden Mannes zu einer um zwanzig Jahre jüngeren Frau leidenschaftlich liebte, zu überzeugen, dass man Mona bald verheiraten müsse und dass Bernd Kronau die passendste Partie für sie sein würde. Monas Vater war gleich begeistert gewesen von diesem Gedanken, denn seine späte Liebe füllte sein Dasein so völlig aus, dass auch ihm die Anwesenheit seiner Tochter ziemlich störend erschien. So war es schon beschlossene Sache gewesen, Mona mit Bernd Kronau zu verheiraten, ehe Mona noch im Vaterhause eingetroffen war. Und Frau Dora spielte sich auch noch als Beglückerin ihrer Stieftochter auf. Mona erschien ihr so reizlos, dass sie meinte, diese müsse sich glücklich schätzen, einen so reizenden, eleganten und interessanten Mann zu bekommen. Bernd Kronau würde zwar weniger entzückt sein, dass er eine so reizlose Gattin heimführen solle, aber dafür war Mona eine reiche Erbin, und reiche Erbinnen werden immer sehr begehrt. Er konnte sich ja schliesslich nach Männerart anderweitig schadlos halten.

So hatte Frau Dora gedacht, und sie hatte nicht geahnt, dass ihre Pläne an Bernd Kronaus Widerstreben gescheitert sein würden, wenn er eben nicht von seinem Vater erfahren haben würde, dass dessen kaufmännische Ehre und sein Leben davon abhängen werden, dass sein Sohn eine reiche Partie machte.

Bernd Kronau war wirklich nicht der Mann, der sich um Geld an eine ungeliebte Frau verkaufte. Wenn er es nun doch tun wollte, so geschah es eben nur, um seinen Vater zu retten. Schwer genug kam es ihn an, und wenn ihm Frau Dora hätte ins Herz sehen können, dann wäre sie wohl erstaunt gewesen, darin gar keine Sehnsucht nach der reichen Erbin, sondern nur eine bittere Resignation zu lesen, dass man ihm Zwang antat, sich zu verkaufen. Das etwas kupplerische Lächeln wäre Frau Dora dann sicher vergangen.

Wohl liebte Bernd Kronau keine andere Frau, mit Fräulein Weimann verband ihn nur ein leichter Flirt. Ihre geistvolle Unterhaltung entzückte ihn noch mehr als ihre Schönheit. Ein tiefes Gefühl hatte er bisher überhaupt noch keiner Frau entgegengebracht. Kleine Liebeleien hatte er gehabt wie alle jungen Männer, aber an eine Heirat hatte er mit seinen achtundzwanzig Jahren überhaupt noch nicht gedacht. Seine Freiheit war ihm bisher so lieb gewesen, dass ihm niemand wert genug war, um sie zu opfern.

Nun aber musste er es tun, und wahrlich mit schwerem Herzen. Er rang noch immer mit dem Entsetzen, das seines Vaters Mitteilung in ihm ausgelöst hatte. Trotzdem sah er sich nun suchend nach der jungen Erbin um, damit er sich ihr nähern konnte.

Frau Doras Auskunft schien ihm nur wie eine letzte Gnadenfrist. Aber er suchte sich mit Mona Runecks Anblick schon vertraut zu machen, und wenn er auch bestimmt wusste, dass sie ihm wie ein kleines Greuel erschienen war mit ihrem entstellenden sommersprossigen Teint und ihrer scheuen, schüchternen Art, die er für unbedeutend hielt, so erfüllte ihn doch etwas wie Mitleid mit ihr. Arme reiche Erbin! Man gönnte ihr kein warmes Plätzchen im Vaterhaus, sie sollte der schönen, jungen Stiefmutter schnell aus dem Wege geräumt werden. Konnte ihm dies Mitleid nicht helfen, ihn mit dem Gedanken an eine Verbindung mit ihr auszusöhnen? Aber dieser Gedanke half ihm wenig. Er hatte nach ihr gesucht und sie nicht gefunden; nur schwach erinnerte er sich, dass sie ein licht: blaues Kleid getragen hatte und dass gerade dies lichte Blau den braunen Sommersprossenstreifen noch mehr hatte hervortreten lassen. Da er sie nicht fand, hatte er sich schliesslich an ihre Stiefmutter gewandt.

Als er nun hörte, dass sie nicht wohl war, dachte er bitter:

Sie scheint nicht nur reizlos und unbedeutend zu sein, sondern auch schwächlich und kränklich. Und das machte ihm das Opfer nur noch schwerer.

Während Frau Dora nun ging, um ihre Stieftochter aufzusuchen und sie um jeden Preis wieder zurückzubringen, sah Bernd Kronau Susanne Weimann auf sich zukommen. Aber zugleich begegnete er einem beschwörenden Blick seines Vaters, und da wich er ihr aus und trat zu ihm heran.

„Fräulein Kronau ist von einem Unwohlsein befallen worden, Vater, aber du kannst ruhig sein — ich werde deinen Wunsch erfüllen, und wenn sie mir ihr Jawort gibt, soll sie meine Frau werden.“

Der Vater drückte ihm krampfhaft die Hand.

„Ich danke dir, Bernd — du gibst mir das Leben wieder.“

Vater und Sohn sahen sich mit brennenden Augen in die blassen Gesichter. Der Vater wusste, dass sein Sohn sich für ihn opferte, und der Sohn, dass er sich opfern musste.

*

Mona hatte die Tür ihres Zimmers hinter sich abgeschlossen und war fassungslos in einem Sessel zusammengesunken. Wie gelähmt lag sie da und starrte mit toten, leeren Augen vor sich hin. Was sie in ihrem Versteck hatte mit anhören müssen, hatte sie ganz verstört. Sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, suchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Was war denn nur geschehen, was hatte sie in die Flucht geschlagen und sie in die Einsamkeit ihres Zimmers getrieben?

Ah, jetzt wusste sie es wieder.

Bernd Kronau, der Mann, dem die heimliche Sehnsucht ihres jungen Herzens gehörte, an den sie in schwärmerischer Verehrung gedacht hatte all die Zeit über, der sollte auf Wunsch ihres Vaters ihr Gatte werden, weil sie im Vaterhause lästig und überflüssig geworden war. Und Bernd Kronaus Vater wollte sich durch diese Heirat vor dem drohenden Ruin retten. Ja, so war es.

Ihr Vater wollte sie für immer los werden. Sie hatte seine Liebe verloren, seit er seine junge Frau heimgeführt hatte, und sie war ihm störend. Deshalb sollte sie so schnell als möglich verheiratet werden, damit sie wieder aus dem Hause kam. Oh, wie tat diese Erkenntnis weh! Aber viel tausendmal weher tat es ihr, dass der Vater sie einfach einem Manne angeboten hatte wie eine schlechte, unverkäufliche Ware, die man schnell los werden musste, angeboten gerade dem Manne, dem sie — ach, das wurde ihr in dieser Stunde klar —, dem sie ihr junges Herz für ewig geschenkt hatte.

Grosser Gott — wenn sie nun dies Gespräch nicht mit angehört hätte, und er hätte um sie geworben! Wenn sie ihm selig und beglückt ihre Hand gereicht hätte, ahnungslos, dass er sie verabscheute und nur einem Zwange gehorchte?

Sie schauerte zusammen wie im Frost und biss die Zähne aufeinander. Ja, er verabscheute sie und hatte dies Anerbieten entsetzt zurückgewiesen. Wie hatte er sie genannt? „Ein kleines Greuel!“ Die personifizierte Reizlosigkeit mit dem hässlichen Teint! Oh, wie war sie schmerzhaft zusammengezuckt unter seinen Worten! Entsetzt hatte er sich dagegen gewehrt, sie zu heiraten, bis ihm sein Vater gesagt hatte, dass sein Leben davon abhängen würde. Arme Mona, wie hart hatte es sie getroffen, dass er ein so vernichtendes Urteil über sie gefällt hatte!

Und doch hatte er dann so warm und mitleidsvoll gesagt: „Armes Kind!“ Als er erfuhr, dass man sie los sein wollte im Elternhaus. Ja, Mitleid hatte er selbst für sie gefühlt, die er verabscheute. „Armes Kind?“ Oh ja, sie war ein armes, bedauernswertes Kind.

Aber wieviel härter als alles das traf es sie, dass er, den sie liebte mit der ganzen heissen Inbrunst ihres vereinsamten Herzens, sich jetzt opfern sollte, opfern, um das Leben seines Vaters zu retten. Wie grausam auch von diesem Vater, seinen Sohn vor solch eine entsetzliche Wahl zu stellen! Er konnte danach doch nicht anders, als sich um die reiche Erbin zu bewerben, so reizlos und widerwärtig sie ihm auch erschien. Wie musste es jetzt in seinem Herzen aussehen? Wahrscheinlich liebte er doch die schöne Susanne Weimann, die so viel Geist und Liebreiz hatte. Und mit dieser Liebe im Herzen sollte er eine ungeliebte Frau heiraten, die ihm widerwärtig war. Viel tiefer traf es sie, dass man auch ihn unglücklich machen wollte, so unglücklich, wie sie war.

Aber musste denn das sein? Nein, nein — es durfte nicht sein, er durfte dies Opfer nicht bringen, das konnte sie ja verhindern. Niemals würde sie nach allem, was sie wusste, seine Frau werden. Also konnte sie ihn doch davor bewahren, dies Opfer bringen zu müssen — ja — sie allein konnte das. Welch ein Trost war das in ihrem bitteren Leide! Sie brauchte ja nur seine Bewerbung nicht anzunehmen, konnte ihn einfach zurückweisen, dann war er frei, dann hatte er getan, was man von ihm verlangte, ohne dass er sich opfern musste. Ja, sie konnte ihn retten durch ihre Abweisung — und das würde trotz allem ein tröstlicher Gedanke für sie sein.

Dass sie es dadurch ihm auch unmöglich machte, seinen Vater zu retten, daran dachte sie nicht. Das i erschien ihr in ihrer jetzigen Verfassung nicht wichtig genug. Sie wollte nur Bernd Kronau helfen — und zugleich sich selbst, denn so sehr sie ihn liebte, nie hätte sie ein Glück an seiner Seite finden können mit dem Bewusstsein, dass er sie verabscheute und sie nur als lästige Fessel betrachten würde.

Seine Liebe zu erringen war unmöglich — nie würde er eine Frau lieben, die einen so hässlichen Teint hatte wie sie. Das kleine Greuel würde sie immer für ihn bleiben.

Das kleine Greuel?

Sie erhob sich plötzlich und trat vor den Spiegel. Er warf ihr Bild zurück vom Kopf bis zu den Füssen. Mit grossen, erbarmungslos kritischen Augen starrte sie sich an. Sie sah ein überschlankes Geschöpf, das noch nicht voll entwickelt war. Wirkungslos hing das elegante und kostbare Kleid an ihr herab, trotz seiner reizenden Machart. Dies lichte Blau kleidete sie zum Erbarmen, es liess die braunen Sommersprossenflecken noch schärfer hervortreten, die ihr Gesicht wie eine Maske entstellten. Da, wo keine Sommersprossen zu sehen waren, sah sie eine fahle Blässe, die den braunen Streifen noch betonte. Und die Augen — diese braunen Augen waren viel zu gross und starrten so glanzlos und erloschen aus dem schmerzverzogenen Gesicht und sahen sie so trostlos und verzweifelt an. Ihr Haar war vielleicht nicht weniger schön als das anderer Frauen, aber es umgab den schmalen Kopf mit einer reizlosen Frisur, wenn es auch einen eigenartig metallischen Schimmer hatte, wenn, wie eben jetzt, das Licht der elektrischen Lampe darüber glitt. Ach, warum hatte sie nicht wenigstens dies Haar kleidsamer ordnen lassen? Warum hatte sie immer so wenig Wert darauf gelegt? Freilich, schöner wäre sie dadurch auch nicht geworden.

Und der Mund? Der war hübsch geschweift, aber jetzt so herb geschlossen, man sah nicht, dass sich schöne, regelmässige Zähne dahinter verbargen. Ach — Mona fand sich selbst so hässlich und reizlos, dass sie es Bernd Kronau nicht verargen konnte, dass er sie abscheulich fand. Sie fand sich selbst abscheulich und kritisierte sich erbarmungslos mit fast gehässigen Blicken.

„Du Greuel — du kleines Greuel!“ schalt sie ihr Spiegelbild. Und dann schluchzte sie hart auf und sagte leise, so, wie es Bernd Kronau gesagt hatte: „Armes Kind!“

Das löste endlich eine Tränenflut.