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Wieso wacht Herrmann Mussert in einem ihm vertrauten Zimmer in Lissabon auf, obwohl er doch in Amsterdam wohnt und sich dort auch am Abend zuvor zum Schlafen niedergelegt hat? Ein spontaner Entschluß zum Aufbrechen in eine andere Gegend kann es nicht gewesen sein, denn dieser Altphilologe, der nicht mehr unterrichtet, ist ein eher Lebensuntüchtiger, ganz seinen griechischen und lateinischen Autoren zugewandter Mensch; seine Schüler nannten ihn Sokrates. Träumt er nur, in Lissabon aufzuwachen? Oder ist sein Gang durch Lissabon eine Reise in der Erinnerung, also eine Reise in der Zeit? Denn immerhin ist dies der Ort einer richtigen Affäre mit einer Kollegin.
Cees Nooteboom verhindert durch seine meisterhaften erzählerischen Fähigkeiten, daß wir diese Fragen eindeutig beantworten können, und steigert so die Spannung. In einem zweiten Teil der Geschichte bricht Mussert – im Traum? in der Wirklichkeit? – mit sechs anderen Personen zu einer Schiffsreise nach Brasilien auf. Alle Reisenden erzählen von ihrem Leben. Die Geschichte, die Herrmann Mussert als letzter erzählt, scheint alle Rätsel zu lösen: er gibt ihr den Titel Die folgende Geschichte.
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Seitenzahl: 138
Wieso wacht Hermann Mussert in einem ihm vertrauten Zimmer in Lissabon auf, obwohl er doch in Amsterdam wohnt und sich dort am Abend zuvor zum Schlafen niedergelegt hat? Ein spontaner Entschluß zum Aufbrechen in eine andere Gegend kann es nicht gewesen sein, denn dieser Altphilologe, der nicht mehr unterrichtet, ist ein eher Lebensuntüchtiger, ein ganz seinen griechischen und lateinischen Autoren zugewandter Mensch; seine Schüler nannten ihn Sokrates. Träumt er nur, in Lissabon aufzuwachen? Oder ist sein Gang durch Lissabon eine Reise in die Erinnerung, also eine Reise in der Zeit? Denn immerhin ist dies der Ort einer richtigen Affäre mit einer Kollegin.
Cees Nooteboom verhindert durch seine meisterhaften erzählerischen Fähigkeiten, daß wir diese Fragen eindeutig beantworten können, und steigert so die Spannung. In einem zweiten Teil der Geschichte bricht Mussert – im Traum? in der Wirklichkeit? – mit sechs anderen Personen zu einer Schiffsreise nach Brasilien auf. Alle Reisenden erzählen von ihrem Leben. Die Geschichte, die Hermann Mussert als letzter erzählt, scheint alle Rätsel zu lösen: er gibt ihr den Titel Die folgende Geschichte.
»Cees Nooteboom hat auf wunderbare Weise eine Geschichte erzählt, deren eigentliche Hauptfigur die Poesie selbst ist. Sie kann kein Ende finden, weil sie mit jedem Ende, und also auch mit dem Tod, etwas anfangen kann. Oder um mit Heimito von Doderer zu sprechen: ›Die Zauberkraft der Sprache macht eben das Leben im Handumdrehen zu einem leichten Joch, das uns sanftgeschwungen aufliegt…‹« Rüdiger Safranski, Die Zeit
Cees Nooteboom, geboren 1933 in Den Haag, lebt in Amsterdam und auf Menorca. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Die Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel Het volgende verhaal bei B. V. Uitgeverij De Arbeiderspers, Amsterdam 1991.
Umschlagillustration: Glaude Verlinde. Angoisse d’auteur (Ausschnitt), 1978. © VG Bild‐Kunst, Bonn 2005.
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Erstausgabe im Suhrkamp Hauptprogramm, 1991.
© Cees Nooteboom 1991
Copyright der deutschen Ausgabe in der Übersetzung von Helga van Beuningen: © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1991
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Umschlaggestaltung: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-73509-1
www.suhrkamp.de
Cees Nooteboom
Die folgende Geschichte
Aus dem Niederländischenvon Helga van Beuningen
Suhrkamp
Die folgende Geschichte
I
II
Scham sträubt sich dagegen,
metaphysische Intentionen unmittelbar
auszudrücken;
wagte man es, so wäre man
dem jubelnden
Mißverständnis preisgegeben.
Th. W. Adorno, Noten zur Literatur II,
Zur Schlußszene des Faust
Meine eigene Person hat mich nie sonderlich interessiert, doch das hieß nicht, daß ich auf Wunsch einfach hätte aufhören können, über mich nachzudenken – leider nicht. Und an jenem Morgen hatte ich etwas zum Nachdenken, soviel ist sicher. Ein anderer würde es vielleicht als eine Sache von Leben und Tod bezeichnen, doch derlei große Worte kommen mir nicht über die Lippen, nicht einmal, wenn niemand zugegen ist, wie damals.
Ich war mit dem lächerlichen Gefühl wach geworden, ich sei vielleicht tot, doch ob ich nun wirklich tot war oder tot gewesen war, oder nichts von alledem, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht feststellen. Der Tod, so hatte ich gelernt, war nichts, und wenn man tot war, auch das hatte ich gelernt, dann hörte jegliches Nachdenken auf. Das also traf nicht zu, denn sie waren noch da, Überlegungen, Gedanken, Erinnerungen. Und ich war noch da, wenig später sollte sich sogar herausstellen, daß ich gehen konnte, sehen, essen (den süßen Geschmack dieser aus Muttermilch und Honig zubereiteten Teigklöße, die die Portugiesen zum Frühstück essen, hatte ich noch Stunden danach im Mund). Ich konnte sogar mit richtigem Geld bezahlen. Und dieser Umstand war für mich der überzeugendste. Man wacht in einem Zimmer auf, in dem man nicht eingeschlafen ist, die eigene Brieftasche liegt, wie sich das gehört, auf einem Stuhl neben dem Bett. Daß ich in Portugal war, wußte ich bereits, wenngleich ich am Abend zuvor wie üblich in Amsterdam zu Bett gegangen war, aber daß sich portugiesisches Geld in meiner Brieftasche befinden würde, das hätte ich nicht erwartet. Das Zimmer selbst hatte ich auf Anhieb erkannt. Hier hatte sich schließlich eine der bedeutsamsten Episoden meines Lebens abgespielt, sofern in meinem Leben von derlei überhaupt die Rede sein konnte.
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