Die Fremden - Erwählt - Bea Stache - E-Book

Die Fremden - Erwählt E-Book

Bea Stache

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Beschreibung

Es herrscht Krieg, schon seit Jahrhunderten. Seit die Fremden von den Sternen kamen und rasch zur dominanten Spezies auf der Erde wurden. Nur die mutigen und gut ausgebildeten Archner-Krieger, die absolute Elite der Buckellande, stellen sich noch den schlangengleichen Alienmonstern entgegen. Sie beschützen die Tallande und die dort ohne den Schutz starker Wallmauern lebenden Bauern, wie auch die Ernten, welche die Menschen dieser Tage dringend zum Überleben brauchen. Doch nicht nur die Fremden bedrohen und nehmen das Leben der Archner ... * * Dies ist der erste Teil der dystrophischen Science-Fiction Romanserie "Die Fremden", zuerst erschienen in seiner Rohfassung auf der Internetplattform Wattpad im Frühjahr 2021 und sofort gehypt und geliebt. Es wurde auf Wunsch der Community Vorgezogen und schon dieses Jahr veröffentlicht. Achtung: Gewaltsame und auch sexuelle Inhalte, Unterdrückung, Mord, Aliens, kriegerische Aktivitäten und Angriffe

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

1

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Impressum

Vertrieben von

Tolino Media GmbH

1. Auflage

Copyright© April 2022 by Bea Stache

Brunnenweg 4

34628 Willingshausen

[email protected]

Lektorat: Franziska Eife

und Trouble Black

Covergestaltung:

© by RiaRaven_ Coverdesign

Unter Verwendung von lizensierten Motiven von Shutterstock

1

2278 n. Chr.

Die Welt, wie sie früher einmal war, existiert nicht mehr.

Die alten Geschichtenerzähler sprachen von gewaltigen Blutfeuern, die bis in den Götterhimmel hinaufreichten und alles vernichteten, was es damals Gutes gab, sprachen von Verzweiflung, Flucht, Mord und Tod über alle Kontinente und Ozeane hinweg, … als sie hier landeten, auf unserer Welt.

Die Fremden.

Sie waren Monster von den Sternen, hieß es, noch größer, oder besser gesagt länger, als Menschen, aber mit sechs schlangenähnlichen Gliedmaßen am ebenfalls schlangengleichen Körper, mit dem sie sich blitzschnell vorwärtswinden und sogar gewaltige Sprünge machen konnten.

Sie waren schnell und stark und nur ein Biss von ihnen hatte die Macht, uns Menschen in annähernd ihresgleichen zu verwandeln, denn ihr Gift enthielt ein mutagenes Virus, das unsere Zellen angriff und veränderte, bis alles Menschliche darin ausgemerzt war und der Körper wie auch der Geist mutiert und in das instinktgesteuerte Fremdenkollektiv übernommen worden waren.

Die Geschichtenerzähler meinten ja, dass man früher noch versucht hatte, sie irgendwie auszurotten, die betroffenen Gebiete zu isolieren, sie dann mit gewaltigen Bomben zu zerstören, doch die Bakterien, welche die Fremden mitbrachten, breiteten sich bald auch schon über die Luft aus und infizierten viele Menschen außerhalb der damaligen Sperrzonen.

Doch nicht alle konnten auf diese Weise infiziert werden und sie organisierten, allmählich dazulernend, ihren Widerstand.

Und so lebten wir Menschen dann hunderte Jahre in einem nicht mehr enden wollenden Krieg gegen die Fremden oder auch gegeneinander … um gesicherte Territorien, sauberes Wasser, genügend Nahrung ... und nicht zuletzt um uns Frauen. Ja, Frauen!

Erwachsene, gebärfähige Frauen, die in gewissen Gebieten von den Mächtigen geschützt und behütet aufwachsen durften, und in anderen wiederum nicht, denn Mädchen galten in der neuen Zeit nicht mehr länger als Garanten auf den Fortbestand der Menschheit, nein, sie waren vielmehr Handelsware, Tauschgut wie auch Opfergaben für den neuen fanatischen Fremdenkult in den Tallanden, den sich die Dörfler ausdachten, um die Bestien von den Wällen und der Ernte fernzuhalten. Denn was die Fremden noch viel mehr als Nahrung suchten, waren Frauen, um ihnen dann bei noch lebendigem Leibe ihre Schlupfe einzusetzen und sie gefangen zu halten, bis diese parasitären Wesen sich irgendwann aus ihnen herausgefressen hatten, um auf diese grausame Weise geboren zu werden. Hunderte von ihnen auf einmal …

Doch das geschah nur in den Tallanden. Und nicht auf den von einem steinernen und mächtigen Wall wie auch von gut ausgestatteten Kriegern geschützten Buckeln, wie wir das letzte Reservat der sicher lebenden Menschen nannten.

Doch nicht alle durften dort leben. Es war nicht genug Platz und sie hatten auch nicht genügend Ressourcen, um dort abgeschottet von allem zu bleiben und zu leben, denn die Berge waren nun mal nicht fruchtbar genug, um dort alle zu ernähren.

Nur deshalb bestand noch der Schutzvertrag zwischen den Buckeln und Tallanden. Die Bauern im Talland wurden von den Kriegern der Buckellande beschützt und diese bekamen dafür einen Teil der Ernte ab und oft genug auch noch eine junge Frau aus dem Ort, wenn die Archner-Krieger, wie sie inzwischen genannt wurden, sich dazu entschieden, eine solche mitzunehmen.

Ich selbst war eine solche Talländerin.

Geboren, ganz im Geheimen, in einer Höhle, verbarg meine Mutter Java mich lange Zeit vor aller Augen, nur damit ich nicht, so wie unzählige andere vor mir, schon ganz jung an andere Walldörfer verkauft oder gar selektiert werden konnte.

Selektiert ...

Was für ein einfaches Wort für eine grausame Sache, welche die Männer den hiesigen Mädchen antaten, nur damit andere sicher und friedlich leben, aussähen und ernten konnten.

Zumindest gingen unsere Ältesten davon aus, dass das Opfern von Frauen und jungen Mädchen dabei half, die Fremden von den Walldörfern oder Ernten fernzuhalten.

Darum wurden auch knapp fünfzig Prozent aller weiblichen Kinder noch lange vor ihrem Eintritt ins Erwachsenenalter vor die Mauern der Orte gebracht, kaum, dass sie bluteten.

Man hörte so einiges darüber, vor allem ihre gequälten Schreie, wenn sie dann von den Fremden geholt wurden.

Doch wer nicht selektiert werden wollte, musste sich dann im Alter von siebzehn oder höchstens achtzehn Jahren einen starken Wächter zum Gefährten wählen … unter denen, die auch heiratswillig waren, und wenn es denn überhaupt noch einen solchen gab, der nicht gleich darauf auf der Jagd nach Fleisch, im Handel mit anderen Walldörfern oder in der Schlacht um die Ernten getötet wurde.

Starben diese Wächter im Kampf, dann wurden auch deren Witwen, die noch kinderlos waren, wieder selektiert.

Einfach der Gerechtigkeit wegen.

Natürlich gab es immer wieder Widerstand dagegen, doch auch die Archner-Krieger, die von den Buckeln herabkamen, bessere Waffen, bessere Rüstungen und viel mehr Kampferfahrung hatten als die Wächter im Talland, setzten diese Selektionen von Frauen ebenfalls gnadenlos durch. Besonders dann, wenn sie ihren Anteil der Ernten holten, nahmen auch sie Mädchen und Frauen aus den Wallorten, die Witwen, Waisen, krank oder schutzlos waren, mit sich hinaus vor die Wälle, um sie dann irgendwo anzubinden oder laufen zu lassen - für einen ungehinderten, sicheren Abzug bis hin zum nächsten Walldorf oder zurück zum Buckel.

Tja ... und trotz, dass ich es doch so genau wusste, wie die Archner, Walldorfbewohner und auch die Fremden im Talland so tickten, dass ich zu absoluter Aufmerksamkeit, Vorsicht und einem streng geheim gehaltenen und vor den nahen Talländern eher verborgenen Leben erzogen worden war, hatte ein einziger Moment der Unaufmerksamkeit für mich gereicht, um gefunden und aufgegriffen zu werden … und zwar von den Archnern des ersten Buckels.

Doch ich hatte einfach noch nicht mit diesen Kriegern im Talland gerechnet, als ich am Morgen ganz früh die Höhle verließ, um mich nach einer Woche im Schlamm und Matsch des Waldes, durch den ich auf der Suche nach nützlichen Dingen gekrochen war, einmal hastig zu waschen und etwas zu trinken. Sie waren schon unten am Bach gewesen und ich Idiotin hatte sie nicht bemerkt ... oder besser gesagt, den Archner, der sich auch gerade im Bach säuberte, … aber bei meiner Ankunft gerade untergetaucht gewesen war, als ich mich am Ufer niederkniete, um als erstes etwas zu trinken.

Plötzlich aber stand der Krieger einfach vor mir, sah ich seine bloßen, kräftige Beine direkt vor meinen Augen, … das Wasser, das an ihnen abperlte, … und von seinem nassen Haar hinab ins Wasser tropfte.

Ich sah hoch, … er war wirklich vollkommen nackt … und stand da, starrte mich an, als sei ich eine Erscheinung der großen Mutter, aber ich sah ganz sicher nicht weniger erschrocken aus.

„Na, wo kommst du denn her, Kleine? Hast du dich etwa verlaufen oder wurdest du selektiert?“, fragte er mich schließlich verblüfft.

Oh. Ich versuchte natürlich sofort, vor ihm zu flüchten, doch er erwischte mich am Arm, zerrte mich einfach zu sich ins Wasser und warf mich dann einfach hochhebend über seine Schulter, derweil ich wie wild strampelte, keuchte und ihn kratzte. Doch davon völlig ungerührt durchwatete er wieder den Bach und pfiff dann, auf der anderen Seite angekommen, nach den anderen Archnern, welche mich ebenso überrascht wie er gerade entgegennahmen, festhielten und dann sogleich den Uferhang hinauf und in ihr Lager zerrten, derweil der nackte Archner sich nun kopfschüttelnd anziehen ging.

Alles strampeln, treten, zappeln und losreißen versuchen hatte nun keinen Zweck mehr. Ich war gefangen worden und wusste es.

Und auch die anderen Krieger wussten es und lachten über die „kleine Range“, die einfach so hier draußen im Wald herumspazierte, derweil sie mich weiter zu dritt festhielten.

Na, ganz toll!

Denn im Grunde gab es nun ja keinerlei Ausrede oder Entschuldigung mehr für mich. Meine Mutter hätte mich nun sicher angebrüllt oder sogar hart an den Haaren gerissen, weil ich so idiotisch gewesen war.

Jede noch so kleine Unaufmerksamkeit war hier draußen tödlich, das wusste ich doch genau. Und trotzdem hatte ich gerade nur noch das fließende Wasser im Blick gehabt, war noch vom Schlaf benommen, weil ich tagaktiv ging, statt, wie die Dörfler und Archner, immer nur nachts auf die Fremden zu lauschen.

Gewiss … Das Plätschern des Wassers hatte wohl die Geräusche der Archner, wie auch ihrer Pferde, auf der anderen Bachseite übertönt, doch das half mir nun auch nichts mehr, da dieser riesenhafte Kerl nun angezogen zurückkehrte und mich erneut und diesmal sogar ziemlich eindringlich musterte.

„So … nun haben wir uns vielleicht ein wenig beruhigt, was? Dann sprich … Wie heißt du? Was machst du hier ganz allein draußen im Wald, Mädchen?“, fragte er mich nun deutlich strenger, doch ich starrte ihn nur weiter mit großen Augen an, denn ja, dieser riesenhafte, kräftig gebaute und mit einer dicken Narbe quer über das halbe Gesicht entstellte Archner, der nun wieder seinen Harnisch und unzählige Waffen am Leib trug, jagte mir Angst ein, panische Angst sogar …

„Sie will nichts sagen!“, kommentierte ein blonder Krieger schließlich genervt und der scheinbare Anführer, der mich am Ufer gefangen hatte, griff nur einfach wieder nach mir und warf mich bäuchlings auf sein Pferd, bevor er hinter mir aufsaß und das Kommando zum Abreiten gab. Ich hätte vor Demütigung und Scham beinahe geschrien, während die anderen Krieger nun ebenfalls auf ihren Pferden aufsaßen, laut darüber lachend und scherzend, ein so störrisches kleines Mädchen hier draußen gefunden zu haben.

Sie fragten sich natürlich, ob es da noch weitere Frauen gab, vielleicht sogar meine Mutter oder Schwestern, oder ob man hier generell die Frauen und Mädchen aus dem Ort rausgeschafft hatte, bevor noch die Archner eintreffen sollten.

Ich bezwang mich und auch meinen Zorn, derweil ich kopfüber nach unten hing und inzwischen auch auf den Beinen des Archners hin und her rutschte, bis mir schlecht war und ich würgen musste. Da erst seufzte der Archner genervt auf, zog mich hoch und setzte mich rittlings auf seinen Schoß. „Benimm dich, sonst hängst du gleich wieder mit dem Kopf nach unten, Mädchen, verstanden?“, klapste er mir leicht gegen den Hinterkopf, was ich mit einem zornigen Blick zu ihm zurück quittierte, doch er beachtete mich gerade gar nicht weiter und behielt nur konzentriert die Umgebung im Blick.

Besser so … für ihn.

Und auch für mich, denn nun konnte ich meinen Magen endlich wieder ein bisschen beruhigen. Doch ich selbst blieb nervös wie auch ängstlich. Denn was würde nun mit mir geschehen? Was würden sie tun, die Archner, mit einem weit vor dem Wall aufgefundenen Mädchen?

Sicher, … sie würden nun erst mal herauszufinden versuchen, woher ich kam, wenn ich nicht zu ihnen sprach. Also brachten sie mich nun wohl zuerst nach Ligustertal, das nächstgelegene Walldorf, wo aber tatsächlich niemand etwas von mir wusste, außer Java, meine Mutter, die hier gerade ihren jährlichen Tribut an Jorge verrichtete, den Dorfvorsteher, um nicht auf seiner schwarzen Liste der demnächst zu selektierenden Frauen zu landen. Denn Ligustertal war leider ihr Heimat- und Geburtsort und die Regeln in den Tallanden waren streng, ganz besonders für uns Frauen. Denn wer einem Ort nichts mehr nutzte und zu alt wurde, konnte mitunter ganz schnell weg sein.

Zu blöd also, dass ich es noch vor Javas Rückkehr gewagt hatte, die Höhle zu verlassen. Später hatten wir uns schließlich wieder auf den Weg machen wollen, um, entgegen den Archner-Bewegungen, andere Wallorte zu besuchen, denn dort war das Leben für uns sehr viel einfacher und besser, da wir dort nicht ortsansässig waren und als Händler gefragter Waren, einen geehrten und auch geschützten Status besaßen.

Doch nun war das vorbei … aus … Ende … und ich konnte meine Mutter nun auch nicht einfach so verraten, indem ich sie vielleicht auch nur anblickte oder etwas darüber sagte, wer ich war, sonst würde sie am Ende noch mit mir selektiert werden. Also tat ich nun lieber so, als sei ich stumm und geistlos, damit sich niemand für mich interessieren würde, sah nur immer geradeaus und schwieg. Ja …

So würden sie mich dann vielleicht auch nur wieder, wie andere Mädchen vor mir, als Zielscheibe für die Fremden vor den Toren des Walles aussetzen, um ihren Rückzug zu decken … oder auch irgendwo festbinden.

Java würde in dem Fall sicher rasch kommen und mich holen, wusste ich, also blieb ich nun, von diesen Gedanken beseelt, ruhig und wehrte mich auch nicht mehr weiter, als der Anführer dieser Archner-Krieger mich mitten auf dem Dorfplatz absetzte und dann ebenfalls vom Pferd stieg, um nun vor mich zu treten, wie auch vor Jorge, der mich nun zum ersten Mal sah und mich doch nicht kannte.

„Zu wem gehört dieses Mädchen? Sie wurde draußen vor dem Wall aufgegriffen. Beim Trinken unten am Bach!“, sagte der Archner-Krieger, der mich, nun auf ebenem Grund stehend, um fast drei Köpfe überragte.

Oh, mein Herz schlug so unglaublich schnell. Und der Krieger mit seiner Metallrüstung und unter voller Bewaffnung war so unglaublich breit und groß. Kurz wagte ich es, zu ihm hochzublicken, als sich seine große Hand auf meine Schulter legte, doch er sah mich nicht an, sondern nur Jorge, der mich verblüfft musterte und schließlich ehrlicherweise die Schultern hob.

„Vielleicht eine selektierte Göre von Freinheim, Herr Archner Laar. Seid willkommen in Ligustertal. Wir freuen uns sehr, Eure Erntehilfe zu erhalten, Archner!“, begrüßte der Dorfvorsteher ihn geschmeidig.

Also hieß der ungehobelte Archner-Krieger Laar? Was für ein seltsamer Name. Doch in den Buckellanden war ja Vieles seltsam und deren Namensgebung ziemlich oft merkwürdig, wenn nicht gar lächerlich. Nichts, was ein Talländer je seinem Kind angetan hätte, aber gut, … wenn sie es denn so mochten. Ich würde mich darüber gewiss nicht lustig machen, sondern weiter hübsch still sein und bleiben.

Da traf mich auf einmal sein eiskalter Blick …

Die Augen des Archners waren so grün wie junger Weizen im Frühling, seine Haare waren schwarz, vielleicht aber auch nur, weil sie immer noch etwas feucht waren.

Er hatte sich auch gerade gewaschen, so wie ich. Und ich hatte ihn noch nicht einmal gesehen oder die wartenden Archner bemerkt, … so dämlich. Und was für ein Pech.

„Sag mir deinen Namen, Kind!“, befahl er mir schließlich erneut, derweil die Walldörfler nun alle herantraten und mich neugierig oder auch abschätzig musterten. Alle starrten sie mich nun an.

Ich schwieg jedoch und sah ihn nur weiterhin direkt und absolut regungslos an.

Da schnaufte er plötzlich leise auf.

„Dann sag mir doch wenigstens, wer deine Eltern sind, Mädchen? Stammen sie aus diesem Ort? Haben sie dich vielleicht verborgen gehalten ...? - Wie alt bist du?“, fragte er mich weiter.

Ich wagte es nicht, nur einmal zu blinzeln. Sah nur weiter groß, und hoffentlich verwirrt scheinend, hinauf zu ihm. Seine linke Gesichtsseite lenkte mich ab, sein linkes Auge, jenes, das ohne Narbe war, sah sogar recht gut aus, oder ...? Da wirkte er sogar noch richtig jung. Aber dennoch war er schon sehr hochgestellt. Ein Anführer der Archner, … also ein Hauptmann oder so. Und die anderen Archner hörten sogar auf ihn ... oh, Mann.

„Bist du alt genug, um zu wählen, Mädchen? Du bist noch so klein ... Hast du dir vielleicht trotzdem schon einen hiesigen Wächter erwählt oder möchtest du gerne jemanden erwählen?“, fragte er mich nun stirnrunzelnd weiter und sofort tauchten eine Reihe schmierig aussehender Archner und auch noch einige ältere Krieger aus dem Dorf auf, die keine Frau bekommen konnten, weil sie zu fies waren, und grausam und brutal. Meine Mutter hatte mich gewarnt. Es sei derzeit schlimmer als der Tod durch die Fremden, wenn ein Mädchen sich hier einen Wächter erwählte.

Und auch diese Archner sollten kaum besser sein als Bestien. Es hieß, sie behielten die Mädchen höchstens mal für eine oder zwei Nächte, um sich mit ihnen zu vergnügen.

Und zogen sie dann weiter, ließen sie sie mitten im Wald oder auf freiem Feld für die Fremden zurück … oh ja … hoffentlich. Denn dann könnte ich einfach heimkehren, zu Java.

„Nun?“, fragte mich der Archner wieder hart und ich blickte erneut stumm und ohne jede Regung zu ihm auf.

„Laar, das ist zwecklos. Was denkst du dir? Sie ist dumm oder taubstumm, die Kleine. Und zudem sicher auch noch immer ein Kind. Sie kann also noch gar nicht gewählt haben, sagt ja noch nicht einmal ein Wort, hat auch nicht geschrien, als du sie eingesammelt und hergebracht hast. Sie wehrt sich doch auch gar nicht richtig und sieht dich gerade nur so an, als wären in ihrem Kopf ein paar echt große Schrauben locker!“, mischte sich einer der anderen Archner plötzlich spottend ein.

Die restlichen dieser Krieger lachten laut los.

Doch der, den sie Laar genannt hatten, sah mich nur noch um einiges eindringlicher, ja forschend an, und schließlich zu den auf dem Platz versammelten Menschen hin.

„Wer kennt dieses Mädchen? - Sagt die Wahrheit!“, fragte er laut und forsch.

Keiner antwortete ihm, nur der Dorfälteste, den ich von Javas Beschreibungen her kannte und der Einauge-Lars hieß, trat schließlich verlegen vor.

„Sie gehört nicht zu diesem Ort, Herr, wie der Vorsteher schon sagte ... Vielleicht wurde sie wirklich wegen ihrer Dummheit oder einer Krankheit in einem anderen Ort, Freinheim oder Grabenhügel, selektiert und ist bis hierher gelaufen. Schließlich habt ihr sie noch draußen vor dem Wall gefunden, oder?“, fragte er eingeschüchtert durch den harten Blick des Archners.

„Ja, ... das habe ich“, meinte der nur gedehnt und ergriff mich dann gleich wieder am Arm.

„Doch ist es seltsam, dass ein selektiertes Mädchen dort draußen und gerade in dieser Zeit nicht auch von den Fremden gefunden und verschleppt wurde“, murmelte er irritiert und schob eine Hand unter mein Kinn, hob mein Gesicht erneut an und dann nach rechts und wieder nach links.

Ja, er blickte mir sogar in die Ohren rein ... was zum ...?!

Dann schnipste er auch noch, doch ich bewegte mich nicht. „Vielleicht ist sie tatsächlich taubstumm, Laar. Oder auch geistig krank und die Fremden wollen sie deshalb nicht haben. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass sie am Bach ...“

„Genug!“, zischte der, der mich festhielt, aufbrausend und sah den Sprecher böse an.

„Wenn die Fremden das Kind nicht haben oder einfach so töten wollten, nützt eine weitere Selektion hier vor Ort wohl auch nichts“, meinte einer der älteren Archner mit grauen Haaren leise zu ihm.

Dieser Laar nickte nur finster, schon wieder fühlte ich, wie sich sein Griff um meinen Arm verstärkte.

„Wenn sie selbst nicht wählt, nicht selektiert werden kann und von den Fremden nicht gewollt ist ...“, begann er nachdenklich und beäugte mich wieder von oben bis unten „... dann nehme ich sie.“

„Archner!“, zischte eine Männerstimme aus den Reihen der Dörfler bissig.

„Das ist nicht fair. Ihr nehmt Euch die noch zu junge Stumme, nur weil sie nicht wählen kann, und uns bleibt nichts, schon wieder nicht. Wie soll unser Ort überleben, wenn wir keine Frauen mehr haben? Dieses Jahr wurden alle selektiert, einfach alle!“, kreischte einer der jüngeren Wächter erbost.

Der Archner hob nur überrascht die Brauen.

„So denkst du, dieses Mädchen hier, das die Fremden ganz offensichtlich nicht haben wollten, ist gesund genug, schon gebärfähig und von Nutzen für den Ort?“, fragte er und ließ mich so plötzlich los, dass ich stolperte und beinahe hinfiel. „So will ich sehen, für was sich das Kind entscheidet. – So sie denn noch eines ist. Doch wenn Ihr sie für begehrenswert haltet und uns Archner für unfair ... So stellt Euch um sie herum auf, wer immer sie haben will. Auf wen sie zugeht oder an wem sie zunächst stehend vorbeigehen will, der soll es sein“, gebot der finstere Anführer der Archner den Dorfleuten entschieden.

„Ja, das ist fair ...“, stürmten gleich drei von den Dorf-Wächtern vor und stellten sich in einigem Abstand zueinander auf. Alle so, dass ich sie sehen konnte, und der Archner, Laar, stellte sich irgendwo hinter mich.

Mein Herz klopfte inzwischen bis fast zum Zerspringen.

Was immer ich nun auch tun würde, es war falsch. Ging ich zu den Archnern, würden die mich benutzen und dann im Wald entsorgen. Genauso wie die Dorf-Wächter, … die ihre Frauen auch untereinander weiterreichten. Und waren diese krank, wurden sie bei der Ernte angebunden und tief in die Haut geschnitten, um zu bluten, als Ablenkung für die Fremden.

Beides nichts, was ich wollte. Beides nicht.

Große Erdenmutter …

„Komm her, ... na komm schon, kommschonkommschon!“, versuchte mich ein grinsender Graubart zu locken und hielt mir dabei ein Stück Trockenfleisch entgegen.

So, als wäre ich ein Tier, dachte ich erschauernd vor Ekel und sah schwer atmend nach rechts, wo nun ebenfalls einer der Archner-Krieger lockte, rief und pfiff und komische Grimmassen schnitt.

„Hierher, ... Süße, ... Kleine, ... komm zum Korre, komm her, hierher, sage ich!", befahl er mir immer härter und befehlend sprechend. Süße Worte, strenge Worte, Essen, Trinken. Zwischen den Menschen dort hinten sah ich dann kurz das Gesicht meiner Mutter auftauchen, bleich und entsetzt, sofort blickte ich wieder fort und drehte mich ein wenig auf der Stelle um.

Die Archner grinsten mich daraufhin auffordernd an, auch sie machten nun lockende Gesten. Ich zitterte aber nun am ganzen Leib und blieb schlicht stehen.

Was sollte ich nun tun?

Und dieser Hauptmann Laar stand nun einfach regungslos da. Sein vernarbtes Gesicht zuckte kurz, als sich unsere Blicke erneut trafen.

Er war wirklich noch nicht so alt, dachte ich kurz. Aber das würde mir nun auch nichts mehr helfen. Wer auch immer hier etwas von mir wollte, ... die würden es sich nun einfach nehmen. Jeder dieser Widerlinge und nur Laar lockte mich nicht. Wohl der grausamste unter den Archnern, ganz sicher. Sonst würde er doch nicht noch so jung eine derart hohe Position erreicht haben, oder?

Aber zu ihm hingehen wollte ich beileibe auch nicht.

Ich drehte mich also nur wieder weiter, ... drehte mich langsam um mich selbst, dann starrte ich zum Himmel hinauf, während um mich herum die Männer nun näher rückten.

„He, ... he, sie guckt ja noch nicht mal mehr zu uns hin, ... ist die denn wirklich dumm, oder so?“

Ich gab einen schwachen, wie erstickenden Laut von mir und hob eine Hand an meinen Hals. Sank auf die Knie, einfach weil der Kloß in meinem Hals immer dicker wurde und ich auch ganz eindeutig nicht mehr mitansehen wollte, was sie nun unter sich ausmachten, ... die Wächter und Krieger.

„Sie kriegt keine Luft! Die Stumme ist krank! Ist schwach ... Fremden-Bakterien ...“, brüllte jemand und auf einmal waren alle um mich herum verschwunden. 

Alle außer dem Archner, der schon wieder neben mir stand. Ich fühlte die Tränen, die aus meinen brennenden Augen herausliefen. Etwas piekste mich kurz in den Arm ...

„Was ist, Laar?“, fragte ein anderer, der blonde Hüne, ihn grimmig, der nun in einigem Abstand wartete, die Hand am Schwertgriff. „Keine Bakterien im Blut, die nicht da hingehören. Sie ist nicht infiziert, doch vielleicht hat sie Asthma oder eine andere Kehlkopf- oder Lungenkrankheit, ... weshalb sie auch nicht spricht“, murmelte der Archner finster und griff in meine Haare, damit ich ihn wieder ansehen musste.

„Oder du hast einfach nur zu große Angst“, entschied er, nachdem er meine aufsteigenden und überlaufenden Tränen gesehen und mit den Fingerspitzen, die rau und schwielig waren, nachgezeichnet hatte.

Ich gab einen weiteren erstickten Laut von mir, was ihn wieder finster gucken ließ.

„Ja, weine du nur. Hast dir selbst vermutlich keinen Gefallen getan, Kleine, aber mir schon“, murmelte er an meinem Ohr. Dann schob er etwas Schweres, Eisernes über meinen Oberarm. Es klickte metallisch und ich wollte wegzucken, doch er hielt mich noch immer zu sehr an sich gedrückt.

Aber was auch immer er da gerade an meinem Arm befestigt hatte, es passte sich dem Umfang meines Armes rasch an und hielt daran fest, ließ sich nun auch nicht mehr abschütteln oder abstreifen, obwohl ich es natürlich sofort versuchte.

„Hör auf. Du wirst die Schelle nun nicht mehr los“, erklärte der Krieger mir kühl. „Doch das ist nun immerhin auch mein Schutz für dich.“ Er sah mich so hart an, dass mir der Angstschweiß von der Stirn hinunterperlte.

„Mein Schutz mit meinem Zeichen darauf ... Laar steht da, denn du gehörst nun mir, Mädchen, merk dir das“, tippte er auf die Schelle und sah mich seltsam an.

„Warum gibst du ihr deine Abzeichen-Schelle?“, fragte der blonde Krieger ihn indes verwirrt.

„Wird sie gefragt, zu wem sie gehört, was meinst du, wird der Fragende zu hören bekommen?“, grollte der Archner ihn lediglich finster an.

Der blonde Krieger grinste daraufhin breit. Dann berührte er plötzlich mit seiner flachen Hand meine Stirn, noch ehe ich wegzucken konnte.

Doch sowieso kam ich nicht weit, denn hinter mir befand sich nun schon wieder Laar, der mich an beiden Armen umklammert festhielt. Ich stieß mit dem Kopf nach hinten, gegen seinen Brustpanzer, als ich ausweichen wollte, und gab dabei ein weiteres Geräusch von mir, ein tiefes Atmen.

„Sie grüßt dich, Oliver“, grollte Laar nun ziemlich zynisch klingend.

Der Blonde lächelte kurz ironisch.

„Und ich grüße dich, Gefährtin meines ersten Waffenbruders, - Archner-Frau ...“, murmelte er abschließend, stockte und blickte dann wieder skeptisch zu Laar auf. „Wie nennt sie sich?“ Laar gluckste leise auf.

„Ich werde sie noch benennen, Oliver, keine Sorge. Vielleicht kann sie ihren Namen später auch aufschreiben, doch wenn nicht, erhält sie von mir einen solchen“, entschied er und der blonde Archner nickte nur erneut, verneigte sich leicht und ging weg. Ein anderer trat heran und legte mir ebenfalls seine flache Hand auf die Stirn. Das war wohl ein Ritual ... Hu?

„Sei gegrüßt, Archner-Kind-Frau ... Dein Glück, dass du so dumm und noch dazu taub bist, sodass du nicht weißt noch ahnst, was dich erwartet“, murmelte er höhnisch.

„Willst du mich etwa herausfordern, Zurroh?“, grollte der Archner hinter mir und der grauhaarige Krieger ging schlicht weiter. Der nächste kam, grüßte mich, dann wieder der nächste, bis alle Archner mir letztlich die Hand auf die Stirn gelegt hatten.

So absonderlich ...

Dann erst packte mich Laar wieder am Oberarm und zerrte mich zu seinem wartenden Pferd, das schwarz und unerhört riesig war. 

Doch Fahrzeuge gab es ja schon lange nicht mehr in den Tallanden, denn diese lockten mit ihren vibrierenden Motoren alle Fremden im Umkreis von zehn Kilometern an.

Nur Pferd und Wagen wurden von ihnen geduldet, ... wenn sie sich nicht gerade auf der Jagd befanden. Sie wollten Wasser, Getreide und Frauen, ... so wie auch die Männer hier genau dies immer suchten.

„Vorsicht!“, sprach Laar nun noch einmal leise zu mir, umfasste meine Taille mit beiden Händen und hob mich auf das schnaubende Pferd hinauf.

Ich stieß erschrocken die Luft aus, wollte sogleich wieder auf der anderen Seite herunterspringen und weglaufen, so schnell ich nur konnte. Doch Laar war schon hinter mir aufgestiegen und presste mir, mit einem Arm um meine Mitte greifend, nun fast die Luft ab.

Ich stieß ein erneutes Keuchen aus, und noch eins, schlug schließlich auf seine Hand ein, mit meiner winzigen Faust auf seine schwielige, riesige Hand.

„Na, da erwacht jetzt also doch noch ein klein wenig Kampfgeist in dir?“, murmelte er an meinem Ohr, wenn der wüsste ... Wenn wir hier nicht gerade mitten in der Siedlung und umringt von Archnern wären, hätte ich ihm bereits sein eigenes Messer in den Wanst gejagt, doch dann wäre ich bald tot ... und tote Menschen konnten unmöglich weiterleben. Ergo, ... ich hielt mich vorerst bedeckt.

„Lass dir eines von mir sagen, Mädchen ohne Namen: Du brauchst mich nicht zu fürchten. Du nicht“, flüsterte er noch, dann drückten seine rauen harten Finger auf einen Punkt an meinem Hals. Wahhhhh????

Ich bekam keine Luft mehr, ... mir schwindelte ...

„Gahhhrrr ...!!!“, schüttelte ich mich noch und versuchte, mich frei zu winden, dann verlor ich bereits die Besinnung.

Geräusche wie Pfeifen, Fiepen und Stöhnen weckten mich auf. Jemand schrie irgendwo. Das Klirren von Stahl auf Panzerhorn erklang, dann Schüsse ...

Rings um mich herum waren Blätter und dornige Zweige. Der Archner hatte mich offensichtlich in einen Busch reinfallen lassen. Als Ablenkung für die Fremden, ... damit sie den angreifenden Massen entkommen konnten, ... hatte ich es doch gewusst … Bastarde ...!

Also waren die Gerüchte tatsächlich wahr und dieser ganze Zirkus von wegen Archner-Frau in der Siedlung nur ein Schauspiel für die dortigen Männer.

Die Archner ließen die Mädchen wirklich nur draußen im Wald, wenn ihnen das nützte, sie ließen sie einfach sterben. Und um mich herum tobte gerade ein irrer Kampf - Archner gegen Fremde.

Durch das dichte Gewirr der Blätter sah ich vereinzelte Gliedmaßen, jedoch nicht nur Hände und Füße, Arme und Beine, ... nein.

Wie Schlangen, dick und rund und schnell, bewegten sich die dicken Fremdenkörper am Gebüsch vorbei. Ich selbst bewegte mich nun nicht mehr, da meine Mutter mir erklärt hatte, dass die Fremden eine jede noch so kleine Bewegung spüren konnten, es jedoch nicht sahen oder spürten, wenn man ganz still blieb und alle Lebenszeichen unterdrückte.

Ein zischender Laut erklang ganz in der Nähe. Ich hielt rasch den Atem an, doch es war schon zu spät.

Etwas Kneifzangenähnliches, Scheren, Klauen, packten mich an meinem Kleid und zogen mich aus dem Gebüsch.

Ich segelte durch die Luft, dann fiel ich zu Boden und keuchte unwillkürlich aus.

Ein Baumstamm - zumindest fühlte es sich wie einer an - drückte mich in der nächsten Sekunde hart zu Boden, riss an meinen Kleidern, ... riss an meinen Haaren, aber ich zwang mich dazu, vollkommen schlaff zu bleiben, regungslos und hielt nach einem raschen, flachen Einatmen erneut die Luft an.

Etwas klickte an meinem Arm. Ein Schnabel, eine Klaue, was auch immer sich da über mich drüber bewegte, was zu einem der Fremden um mich herum gehörte, glitt über die Armschelle, schabte über meine Haut.

Es fühlte sich kalt und schuppig an.

Dann zischte es wieder, direkt an meinem Ohr.

Ich wollte eigentlich wegzucken, tat es aber nicht, sah auch nicht auf, starrte nur weiter die Luft anhaltend auf den Boden, auf meine schlaffen Finger, auf die rissigen Nägel und das Moos darunter. Ich war nicht da, ... lebte nicht ... Bei allen Göttern, ... bitte!!! Dann waren sie plötzlich alle weg und ich atmete flach und leise aus und gleich wieder ein.

Flüche erklangen, dann eilige Schritte, ich regte mich nicht, zwang mich, nicht zu zittern, nichts zu sagen, nicht zu schreien, nicht aufzublicken, auch wenn ich mir nun einige weitere, flache Atemzüge erlaubte.

„Du hattest recht, Laar, die Fremden wollen sie wirklich nicht. Aus welchem Grund auch immer“, meinte Oliver grimmig, während Laar mich nur schon wieder am Kragen packte und auf die Füße stellte.

Oh, am liebsten hätte ich ihm nun die Augen ausgekratzt. Dieser bescheuerte Frauen-Selektierer …

„Ja ... Sonst hätten sie sie sicher schon längst aus ihrem Versteck geholt.

Sie ist anders. Nicht dümmer, ... vielleicht nur todesmutiger“, meinte er kurz, klopfte mir dabei grob die Kleider ab, entfernte Dornenzweige aus meinen Kleidern und Haar und schob dann meine wirren Wellen hinter meine Ohren zurück.

„Bist du okay?“, fragte er mich und rüttelte an meinem Arm. „Vielleicht ist sie ja wirklich taub?!“, vermutete der blonde Hüne stirnrunzelnd.

„Nein, das glaube ich nicht. Sie versteht mich. Versteht alles, was wir sagen. Und ich denke, sie könnte sogar sprechen …“, vermutete Laar finster und hob einmal mehr mein Gesicht zu sich empor, doch ich sah ihn diesmal nicht mehr an. Sah niemanden an, starrte nur wieder in den Himmel hinauf und versuchte zu verdrängen, wie weh mir nun alles tat, nach dem Sturz und diesem Fremden-Körper, der sich auf mich geworfen und meine Haut aufgeschürft hatte.

„Laar, ich bitte dich ... Sie hat nicht mal geschrien, als sie durch die Luft geflogen ist. Sie atmet nur und gibt Laute von sich. Das ist kein Reden ...“, murmelte der andere Archner wieder unsicher und seufzte schließlich.

„Für heute sind wir die Dinger jedenfalls los."

„Und morgen werden sie wiederkommen“, brummte Laar finster und umfasste nun sogar mein Gesicht mit beiden Händen, bis ich ihn doch noch anblickte, und er sah mich an, voller Härte und Grimm. „Du wirst mich ansehen!“, befahl er mir und nickte bekräftigend.

Ich wagte kaum zu atmen, als er mit seinem Daumen über mein schmutziges Gesicht strich.

„Jetzt zittert die auch noch, Laar. Ich glaube, sie fürchtet sich mehr vor dir als vor den Fremden“, spöttelte Oliver gleich hinter mir.

Laar sah mich derweil immer noch an und ich konnte nicht fortsehen. „Mag sein, dass es so ist. Doch sie wird sich an mich gewöhnen. Sie ist mutig genug, sonst hätte ich sie nicht beansprucht“, stellte er klar.

- Und das galt mir. Einzig und allein mir!

Ich und mutig?

Ich fühlte mein Zittern, als seine Hand über eine Schramme an der Stirn fuhr.

„Weiche nicht vor mir zurück, niemals!“, befahl er mir hart, als ich prompt wegzucken wollte.

Mir entfuhr erneut ein leises Keuchen, als er etwas auf die Schramme presste. Es fühlte sich hart an und kalt. Wieder keuchte ich scharf auf, als es schmerzte, und umklammerte instinktiv seine Handgelenkte, um ihn wegzuschieben.

„Du tust ihr weh“, murmelte Oliver stirnrunzelnd.

„Ich hole nur die Bakterienstränge unter ihrer Haut heraus, die der Fremde dort platziert hat“, murmelte Laar zurück und hielt kurz inne.

„Hände. runter!“, knurrte er mich an, als ich mit aller Macht an seinem Arm zog.

Sein Blick war so düster. Ich spürte, wie ich wieder zu weinen begann, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte.

„Sag ich doch, sie versteht dich nicht!“, murmelte der blonde Archner erneut seufzend.

„Vielleicht solltest du sie einfach hierlassen. Die Fremden tun ihr ja nichts weiter …“

„Aber die Bakterien machen sie krank und sie würde sterben, noch bevor drei Tage vorbei sind“, fauchte Laar ihn böse an und dann sah er wieder auf mich herunter.

„Hände ... runter!“, brüllte er erneut und seine Augen blitzten nun so bösartig wie die der Fremden. Ich begann noch mehr zu beben, klammerte mich noch fester an seine Arme. Da riss er sich plötzlich los und schlug mir hart auf die Finger. Ein Knochen knackte, der Finger musste aus dem Gelenk gesprungen sein. Tosen und Brausen in den Ohren, schillernde Schmerzwellen durchzuckten mich von Kopf bis Fuß ...

Der Schmerz ließ mich würgen. Mein Magen hob sich, obschon kaum etwas darinnen war.

Ich hörte die Krieger fluchen.

„Halte sie!“

„Ihre Hand ... Laar, sieh dir den Finger an ...!“

„Ich sagte, halte sie fest!“

Eine weitere Schmerzwelle jagte durch mein Hirn, als er an meinen Fingern riss und ich sacke nur noch wie ein nasser Lumpen vornüber.

Fiel zu Boden ... oder wurde dort abgelegt?!

Sekundenlang hörte ich nur Rauschen, vielleicht auch Minuten. Ich sah die Archner, wie sie über mir standen, Laar kniete über mir, ... verband mit finsterem Gesicht meine Hand und der Blonde redete derweil besorgt, ...  ich hörte Satzfetzen ... „hat nicht geschrien, ... Mund aufgerissen, ...  laut geatmet, ... das beweist, ... verdammt, Laar!“

Und noch während der Schmerz allmählich abklang, ließ auch das Rauschen nach, ... die vorwurfsvolle Stimme des Archners Oliver wurde wieder klar und verständlich.

„Sie kann nun mal nicht sprechen, sie kann's einfach nicht! Und sie versteht vermutlich ebenso wenig von alldem hier wie der Hund von Johann dem Schlächter. Sie ist bestimmt taubstumm. Kein Wunder also, dass die Fremden sie nicht wollen. Kein Wunder, dass sie ausgegrenzt wurde, dass sie sie nur infiziert haben und dann gegangen sind.

„Sie kann sehen, sie kann lernen und da sie mir wohl wirklich nichts sagen kann, gebe ich ihr nun den Namen Naani.“

„Naani?“, fragte der blonde Archner ungläubig. „So wie deine letzte ...?!“

„Ja, sie heißt jetzt Naani. Sie ist mutig und tapfer wie sie. Sie ist besonders, ... wie Naani“, meinte Laar kurzum.

Bei der Großen Erdenmutter, ... war der dumm, oder was? Ich drehte den Kopf hin und her. Er hielt ihn fest, mit einer Hand, und zwang mir erneut seinen Blick auf. Und deutete auf mich. „Naani!“, sagte er laut und deutlich. „Du bist jetzt Naani. Und ich bin Laar!“, deutete er auf sich selbst.

Ich sah ihn nur schmerzerfüllt an und spürte meine Lippe zittern.

Er ließ mein Kinn los und nickte bekräftigend. „Sie wird das schon noch lernen“, murmelte er grimmig. „Und sie wird mir irgendwann eine gute Gefährtin sein.“

„Zumindest wird sie kein anderer für sich beanspruchen wollen, auch wenn sie recht hübsch ist. Doch ist sie taubstumm ...“

„Taub ist sie nicht, nicht ganz zumindest, das glaube ich nicht. Ihre Augen sagen anderes. Sie sprechen und verraten ihren wachen Verstand.“

„Den sie aber nicht benutzt. Nicht einmal, um ihr eigenes Leben zu retten, Laar. Sie hätte im Dorf bleiben können ... unter ihresgleichen.“ „Ihresgleichen hätten sie getötet, wenn sie doch anders ist, oder wieder vor dem Wall ausgesetzt, was auf dasselbe herauskommt.“

Er griff unter meine Knie und unter meine Arme, hob mich so leicht hoch, sodass ich schauderte, trug mich einen kurzen Trampelpfad entlang und ich wagte es nicht, viel mehr zu tun als zu schlucken, zu schlucken und nochmals zu schlucken. Meine Hand tat immer noch weh. Vielleicht war da sogar etwas gebrochen und nicht nur ausgerenkt worden.

Da standen wir auch schon auf einer großen Lichtung. Die Pferde waren da, die anderen Archner, die sich misstrauisch umsahen oder Leichenteile von Fremden auf einen großen, brennenden Scheiterhaufen warfen, bevor sie wieder auf ihre Pferde stiegen. Laar sagte etwas knurrig Klingendes und hob mich erneut auf seinen Riesengaul. Ich zuckte zusammen, da saß er auch schon wieder hinter mir.

Diesmal versuchte ich nicht, wieder herunterzuspringen. Ich wollte schließlich nicht schon wieder bewusstlos sein und dann mitten im Chaos erwachen.

Wenn ich ihm indes weiter die Stumme vorspielte, würde der Blonde sicher noch weiter auf ihn einwirken, mich wieder gehen zu lassen. Und wer weiß, vielleicht würde es ja funktionieren ...

„Denk nur nicht, ich durchschaue dich nicht“, murmelte er an meinem Ohr und ich duckte mich unwillkürlich weiter herunter. Er aber umfasste nur wieder meine Mitte und zerrte mich an sich, zwang mich in eine aufrechte Haltung und ritt an den anderen Archnern vorbei an die Spitze der Gruppe.

Dichtes Unterholz peitschte immer wieder über meinen Kopf. Der Archner machte sich nicht die Mühe, es abzuhalten, dafür hob ich jedes Mal die Hände, um zumindest mein Gesicht zu schützen. Er ritt sehr schnell und die schaukelnden Bewegungen ließen meinen Magen erneut durcheinanderwirbeln. Der Himmel, den man nur sehr vereinzelt durch die dichten Blätterkronen hereinblitzen sah, war hell und die Sonne schien. Es wurde schnell heißer, das bedeutete, vorhin musste die Sonne aufgegangen sein. Nachts jagten die Fremden die Frauen im Wald, die selektiert worden waren. Tagsüber sollten sie angeblich schlafen.

Weshalb die Siedlungen auch nur nachts richtig von den Wächtern auf den Wällen beschützt wurden.

Irgendwann kamen wir dann aber ans Ende des Waldes, weite, offene Ackerflächen öffneten sich und dahinter, in der Ferne, erhoben sich die Berge, die man die Buckel nannte.

Da wollte ich nicht hin.

Um nichts in der Welt.

Doch vorerst konnte ich nichts tun, denn der Griff des Archners war zu fest und er selbst viel zu stark, um sich weiter zu sträuben.

Doch zu meiner Überraschung ritten die Krieger gar nicht mehr lange weiter, hielten tatsächlich auf einer Ebene, wo hohes Gras stand, und bildeten dort, alles niedertrampelnd, einen großen Kreis.

„Zelte, Feuer! Verbindet eure Wunden und zieht die Bakterien heraus, bevor wir weiterreiten. Wir werden es den Fremden heute Nacht schwer machen, uns aufzureiben.

Hiros! Mein Zelt dorthin und ich möchte einen Pfahl darinnen, der fünf Fuß tief in die Erde hinabreicht.“

„Muss seine neue Gefährtin wohl anbinden, damit die nicht wegläuft!“, kicherte irgendjemand höhnisch.

„Er muss noch ihre restlichen Wunden versorgen, ihre Hand heilen, sie impfen wie auch säubern ... und das wird sie sicher nicht mögen!“, konterte Oliver derbe und ritt mit gezogener Waffe vor den, der gelacht hatte.

„Im Übrigen wirst du deine Zunge hüten. Lord Laar hat eine Gefährtin gefunden. Es ist seine Sache, wie er sie an sich gewöhnt. Denn, wenn ich dich erinnern darf, hat deine eigene Gefährtin auch so an die fünfzehn Fluchtversuche unternommen, bevor sie dir eine Tochter schenkte und sich endlich eingewöhnte.“ „Deshalb lacht er ja“, warf ein anderer Krieger gutmütig ein. „Er und auch wir werden zählen, wie oft es diese kleine Range versuchen wird. Und da sie taub und stumm ist, wird keine Rede sie beschwichtigen können oder ihr die Ängste nehmen“, sagte ein dritter Krieger ernsthaft.

Ich sah derweil nur starr auf den Pferdehals hinunter und versuchte, möglichst nicht zu den Sprechern hinzusehen, mich nicht zu bewegen, keine Regung zu zeigen. Das war mein einziger Schutz. Doch die Sache mit dem Pfahl im Zelt beunruhigte mich trotzdem. Was, wenn er mich wirklich daran festbinden würde?

Zum Wunden reinigen, - ja klar.

Und dann?

Ich bebte wie Espenlaub im Wind, als Laar mich packte. Keine Ahnung, wie er so schnell abgestiegen war, ohne dass ich es bemerkt hatte, doch nun hatte er mich gepackt und zog mich am Arm hinter sich her, ... einfach so, hin und her, obwohl meine Beine mich kaum trugen, obwohl ich mich am liebsten nur ins weiche Gras niedergesetzt hätte.

„Bewege dich, sonst kehrt das Blut nicht schnell genug in die Füße zurück und du hast Probleme, falls du bald schnell laufen musst“, sagte er zu mir, aber ohne mich dabei anzusehen. Er zwang mich ganze vier Mal um den Platz zu gehen, während die Krieger nun geschwind die Zelte errichteten und Feuer schürten. Erst dann gab er mich frei und deutete auf das Gras, das hoch wuchs und sich sachte im Wind bog.

„Geh, ... verrichte deine Notdurft!“, befahl er mir knurrig und sah mich an.

Ich hätte mich beinahe umgedreht, doch nur beinahe.

Wenn ich ihm taub vorspielen wollte, musste ich auch Verständnislosigkeit spielen. Also sah ich mich nur um und dann wieder in den Himmel hinauf. Den ich nur selten so frei und klar und blau gesehen hatte. Wir waren ja fast immer im Wald oder in einer Siedlung gewesen.

Das Blau verzückte mich, verzauberte mich, faszinierte mich sofort, ebenso das helle, warme Licht der Sonne.

Ich vergaß ganz, dass ich umgeben war von Archnern, und drehte mich nur staunend um.

„Was macht sie da?“, fragte Oliver schließlich, als ich mit den Händen über das wogende Gras strich und die hellgrünen Spitzen mich an den Handflächen kitzelten.

Laar, der mich nicht aus den Augen ließ, zuckte mit den Schultern. „Naani hat wohl noch nie den Himmel gesehen und offenes Land damit sicher auch nicht. - Geh, Oliver. Bereite den Sud vor und pack den Knochenrebutor aus. Ich passe derweil auf, dass sie nicht entwischt.“

„Sie hat dich aber gerade schon wieder nicht verstanden!“, murmelte der blonde Hüne warnend.

„Meinst du?“, fragte Laar nur zurück. Ich drehte mich wieder um und schloss dabei die Augen, drehte und drehte mich, bis ich das Gleichgewicht verlor und nach hinten umfiel.

Doch ich landete in seinen Armen, nicht auf dem Boden.

„Sei vorsichtig!“, riet Laar mir sofort, als ich meine Augen wieder aufschlug und an seinen Fingern zu zerren begann, die mich wieder um die Mitte herum hielten.

„Schhh ...“, wisperte er mir hauchleise ins Ohr und das klang auf einmal sogar warnend ... und er legte eine Hand über meinen Mund ... und zerrte mich ins hohe Gras ...

Irgendwie verschwamm die Umgebung, als ich herumgewirbelt wurde und plötzlich hart auf dem Rücken landete. Sofort begann ich mit beiden Fäusten auf ihn einzuschlagen, atmete wieder keuchend, doch er fing lediglich mit einer Hand meine Hände ein und lauschte scheinbar auf die Umgebung.

Dabei glitt er über mich, setzte sich auf meinen Brustkorb, jedoch ohne sein ganzes Gewicht auf mich einzuwirken, sondern nur ungefähr ein Drittel, ... was ausreichte, … voll und ganz sogar, um mich zu bändigen. Der Kerl war wirklich höllisch schwer. „Hörst du das?“, fragte er mich schließlich, als er sich vorbeugte. Doch ich hatte keine Lust, auf seine Einbildung zu hören, still zu halten und am Ende vergewaltigt zu werden, nur weil ich dumm war, also wand ich mich heftig weiter unter ihm, kratzte mit den Fingernägeln an seinen Fingern herum, was ihm nur wenig auszumachen schien, und stemmte mich mit den Beinen in den Boden, um ihn abzuwerfen, ... vergebens ...

Schließlich betrachtete er mich nur wieder grollend und stirnrunzelnd, stand abrupt auf und zerrte mich wieder auf die Beine, zog mich in einem rasanten Tempo hinter sich her, wieder raus aus dem Gras.

„Geh da rein, mach was ...“, herrschte er mich nun deutlich säuerlicher an und demonstrierte mir mit einer kurzen Körperbewegung, was er von mir wollte, drehte mich danach an den Schultern wieder um und gab mir einen festen Stoß in den Rücken. Ich stolperte erneut zwischen das Gras und hörte ihn noch hinter mir seufzen.

„Was ist?“, fragte ihn der blonde Archner leise.

„Ich glaube, du hattest recht, denn, wenn sie etwas hört, dann nur sehr wenig und nur, wenn man direkt und laut zu ihr spricht, ins Ohr, ... aber nicht in der Ferne, nichts, was leise ist, nichts, wozu sie lauschen müsste.“

„Wills du sie dann nicht doch besser hierlassen?“, hörte ich den Blonden wieder fragen und mein Herz klopfte heftig, weil Laar so lange für seine Antwort brauchte.

„Nein, ... das werde ich nicht. Sie ist perfekt für meinen Plan, wird aufgrund ihrer Einschränkungen sicher weit weniger Angst empfinden und nur das zählt gerade“, meinte ich ihn schließlich murren zu hören.

Oh-ha, ... tolle Message an mich. Er würde also dem Brauch der Archner folgen, mich benutzen und dann erst wegwerfen? – Das konnte er glatt vergessen!

2

Statt mich zu erleichtern, ging ich runter auf die Knie, kroch sachte durch das hohe Gras, sodass sich oben möglichst wenig Halme bewegen würden. Wie gut, dass das früher ein Spiel gewesen war, zwischen den Dörflern und mir. Sie hatten mich dabei nie entdeckt, wenn ich im Weizen herumkroch oder im Gras. Und so hielt ich es auch hier.

Vorsichtig und schnell, wendig und geschmeidig, still und heimlich ...

Schon wenige Minuten darauf hörte ich seinen Ruf: „Naani!“ Und dann bald weitere. „Naani, sei nicht dumm, Frau!“ „Vor Archnern läuft man nicht fort ... Ach ... Wenn sie uns nur hören könnte ... Aber so haben wir zumindest einen Vorteil, wenn wir sie gleich wieder aufspüren, Laar“, tönte es hinter mir. Mit Sicherheit nicht, dachte ich mir nur, und kroch westwärts davon, nicht zurück zum Wald, denn das wäre blöd von mir gewesen. Die besten Chancen zu überleben, wenn die Fremden herumgingen, war, in Feldern und Buschwerk zu sitzen und sich nicht zu rühren.

Doch die Archner-Krieger schwärmten nun aus. Einer kam mit irrer Geschwindigkeit dicht an mir vorbei und lief in einem Bogen zurück, konnte mich aber im hohen Gras nicht ausmachen.

„Verdammt, ... wo ist sie?“, fragte jemand links von mir.

Ich verhielt und atmete nicht, kroch schließlich nur ganz sachte weiter. Geradeaus, ohne einen Halm zu bewegen, es sei denn, es sah aus wie eine natürliche Bewegung des Windes.

Hinter mir richteten sich die Halme gleich wieder auf. Kaum einer blieb geknickt und so verfehlte mich ein weiterer Archner nur knapp, als er einen engeren Kreis zog.

Die gingen tatsächlich systematisch vor ...

Glück gehabt, wieder verharrte ich kurz und hörte Pferde wiehern, Krieger rufen. Hörte das scharfe Zischen der Schwerter, mit denen sie das Gras nun einfach niederschlugen. Doch das Geräusch entfernte sich nun von mir.

Ich kroch weiter und weiter ... und dachte schon, ich würde es schaffen, das Gerstenfeld zu erreichen, dort wäre es dann noch einfacher gewesen zu verschwinden. Denn Gerste schnitten sie nicht nieder, um einen Menschen zu finden, der floh, Gerste war ein Nahrungsmittel und damit für alle Angriffe tabu.

Doch Laar stand auf einmal wieder über mir. Keine Ahnung, woher er kam und wie er mich gefunden hatte.

Er riss mich auf die Füße und stieß einen lauten Kriegsschrei aus. Sofort tat ich wieder so, als wäre ich taubstumm, sah mit in den Nacken gelegtem Kopf in den Himmel hinauf und keuchte laut.

Er griff mich indes hart im Nacken, verdammt, ... nein! Ich schlug nach ihm, versuchte, mich herauszuwinden, doch er gab nicht nach, riss mich mit sich zurück zum Lager, wo er mich zu Boden warf.

Ich rollte mich sofort ganz klein zusammen und schützte meinen Kopf mit den Armen, während er wild schimpfte und fluchte und vor mir hin und her lief.

„Eine gerade Linie ... Bei der großen Mutter, ... sie schleicht in einer geraden Linie fort, hört nicht auf ihre Umgebung ...“ „Weil sie taub ist, Laar. Weil sie es nicht kann. Weil sie dich nicht versteht!“, versuchte der Blonde ihn, herzukommend, zu beruhigen.

„Vermutlich haben ihre Eltern sie deshalb außerhalb und vermutlich auch in einer Höhle versteckt gehalten. Ein taubstummes Kind hätten die Ältesten doch sonst sofort getötet. Wer will auch schon so eine Frau, ... außer natürlich du“, murmelte er seufzend.

„Es hat sicher auch Vorteile. Sie wird nichts über mich hören können, nicht für andere spionieren oder ausgefragt werden, wie auch nicht gut fliehen können ...“, meinte der Lord finster.

„Sie hätte es beinahe in die Gerste geschafft“, widersprach der Blonde ihm knurrend und wies auf das Feld.

„Das spricht für ihren Intellekt“, murmelte Laar lediglich kühl, dann kam er wieder zu mir und ich rollte mich sofort noch kleiner zusammen und hielt meinen Kopf fest.

Doch er hockte sich nur über mir nieder und starrte auf mich herunter. Irgendwann blickte ich schließlich durch die Finger meiner Hände zurück, starrte ebenfalls, nun zittrig atmend. Schließlich schnappte er sich meine gesunde rechte Hand und bildete ein L mit meinem Daumen und meinem Zeigefinger.

„Laar!“, sagte er dabei deutlich und deutete auf sich.

Ich riss meine Hand zurück, doch er schüttelte nur grimmig den Kopf, schnappte sie sich wieder und bildete erneut das L mit meinen Fingern.

„Laar!“, wiederholte er und zog diesmal meine Hand an seine Brust.

„L... Laar!“, wiederholte er noch einmal und zeigte mir nun an seiner eigenen Hand, wie man das L formte.

Okay, sollte er doch seinen Spaß haben, ich tat es ihm also zögernd nach, formte das L.

Er nickte sogleich grimmig und schien zufrieden.

„Siehst du? Sie lernt!

L für Laar. Jetzt kann sie mich zumindest mit der Hand rufen“, knurrte er verdrossen, drehte sich dann wieder zu mir um und deutete auf den blonden Krieger, wobei er mit den Fingern und dem Daumen ein O formte und es mir zeigte. „Oliver!“, sagte er dabei kurz und nickte mir zu.

Ich sah den blonden Krieger an, dann wieder ihn, stellte mich extra dumm und formte ein L.

„Laar!“, nickte er und deutete auf sich.

Dann auf Oliver und bildete wieder das O mit der Hand.

Okay, ... keine Lust mehr. Ich ließ die Hand sinken und starrte wieder nur den Boden an.

„Besonders helle ist sie wohl nicht“, kommentierte Oliver lediglich kurz.

„Sie ist nur nicht sehr gesprächig. Sie sieht in uns Feinde, ebenso wie in den Fremden.

Vermutlich hat sie sich ein Leben lang vor allem versteckt gehalten und kommt gerade deshalb nicht damit klar, dass jetzt so viele Menschen um sie sind. Darum duckt sie sich eher, als zu lernen. Doch das wird noch. Dafür sorge ich“, grabschte Laar wieder nach meinem Arm und zerrte mich hinter sich her in ein Zelt hinein, das wahrhaft königliche Ausmaße hatte.

In der Mitte stand der Pfahl und daran hingen Seile herab. Prompt zog ich mit aller Kraft zurück, weil ich mich erinnerte, dass er mich wohl daran festbinden wollte.

„Bringen wir es hinter uns“, seufzte er indes nur kurz und zerrte mich erneut vor sich, umfasste mein Gesicht mit einer Hand und strich wie beruhigend mit der anderen über mein zerzaustes Haar.

Ich versuchte, an ihm vorbeizusehen, doch seine grünen Augen bannten mich - schon wieder.

Wie machte er das nur? Mir kamen vor lauter Angst die Tränen, als er mich sachte rückwärts drängte und ich schon nach drei Schritten gegen den Pfahl stieß.

Blitzschnell fasste jemand hinter mir meine Arme und umwickelte die Gelenke mit dicken Seilen, ohne sie indes zusammen zu binden. Ich zog und zerrte und keuchte und strampelte.

„Tu ihr nicht weh!“, befahl Laar dem Kumpanen, den ich nicht sah, scharf, als ich erschrocken die Luft einsog.

Ich atmete immer schneller und riss immer mehr an den Fesseln. Da drehte er mich plötzlich zum Pfahl um und legte meine Hände rechts und links daran. Während der Blonde die Seile nun in einer gerade eingeschlagenen Kerbe in Kopfhöhe festzurrte.

„Ruhig ...“, murmelte Laar derweil an meinem Ohr, während er nun mein Haar sachte beiseiteschob. Ich zitterte nun wirklich wie Espenlaub.

Was würde er nun tun? Meine Mutter hatte immer behauptet, dass die Archner ihre Gefangenen anbinden würden, bevor sie diese folterten und quälten, um sie zum Sprechen zu bringen oder um ein Geständnis zu erzwingen für Dinge, die sie gar nicht getan hatten. Oder sie taten es, um Verstecke von Frauen herauszubringen.

Laar hatte mir die Taubstumme von Anfang an nicht richtig abgenommen. Würde er mich also nun zwingen zu gestehen, dass ich alle belog?

Oh, große Erdenmutter ...

Ich riss erneut verzweifelt an den Seilen, doch sie gaben nicht nach.

Nur eine Sekunde später kam dann noch jemand ins Zelt herein und gleich darauf ergoss sich eiskaltes Wasser über meinen Kopf und den Rücken. Ich keuche, prustete, hustete und hielt mich an dem Holzpfahl fest. Ein weiterer Schwall, diesmal warmes Wasser, das mit irgendwelchen stinkenden Substanzen versetzt worden war, was scheußlich roch, wurde über mir ausgegossen. Und dann wieder kaltes und noch mal kaltes und wieder das stinkende warme, und wieder kaltes.  Ich blieb nun mit fest geschlossenen Augen stehen, ... so lange, bis es vorbei schien und ich nun am ganzen Leib schlotterte, ... aber nun wirklich vor Kälte.

„Hast du die Sachen?“, fragte Laar jemanden, ich sah aber nicht auf. Nur eine Sekunde später spürte ich kalten Stahl im Nacken und mein Kleid zerreißen. „HHHNNNGGGGHHH!“, gab ich von mir und hätte fast geschrien, doch schon stand Laar wieder hinter mir ... Er hielt etwas Weiches in der Hand.

„Ruhig ...“, murmelte er nur wieder und strich mir damit über das Haar, obwohl ich ihn noch zu treten versuchte. Verdammt. Ich hätte doch besser noch eine Flucht wagen sollen.

Nun drückte der Archner mich einfach wieder gegen den Stamm. „Schhhh ...“, blies er sachte in mein Ohr und zog mir dann schlicht die zerfetzten Sachen aus.

Ich wand mich trotzdem, ... bis er mich komplett entblößt hatte. Und nun hyperventilierte ich beinahe schon wieder vor Angst. „Ruhig, ... ganz ruhig, Naani. Ich tue dir nicht weh, ... wenn ich's vermeiden kann. - Oliver, ... hast du das Mittel?“, fragte er und ich hörte, wie etwas klickte. Drehte mich hastig um und sah, dass Laar gerade eine metallene Introvers-Spritze zugereicht bekam, welche alle Substanzen mit Druck in die Adern oder sogar auch gleich direkt in die Organe befördern konnten. Verbrecher wurden früher oft damit hingerichtet, ... bekamen das Gift direkt ins Herz geschossen ...

„HHHNNNNGGG ...“, machte ich also wieder und versuchte, rasch irgendwie hinter den Pfahl zu flüchten. Doch sein Kumpel fing mich diesmal ein.

„Halt sie nur fest, bis sie die Impfung erhalten hat! - Und tu ihr nicht weh!“, befahl Laar nur wieder sehr kalt und drückte mir die Substanz dann schlicht in den Oberarm hinein.

Ich riss den Mund auf. Das Mittel brannte so sehr ... Ich hechelte vor Schmerz ... und wurde dann richtig benommen. Meine Ohren rauschten, meine Beine wurden weich wie Wackelpudding.

„Sie reagiert, Laar! Pass auf, sie bricht zusammen“, kommentierte Oliver sogleich. Schon spürte ich, wie meine Fesseln gelöst wurden, und hörte Laar leise fluchen und wieder nach meinem rasenden Puls tasten.

„Ziehen wir sie nun schnell an. Ich glaube, das war nicht die Impfung. Sie hatte nur solche Panik vor dem, was wir hier vielleicht mit ihr machen wollten, dass sie hyperventiliert hat.“

„Und sie bekommt zumindest ein paar Laute raus, was schon mal gut ist: H, N und G!“, kommentierte Oliver trocken. Laar knurrte leise auf.

„Das ist nur ein Anstrengungslaut. – Was sie ebenso von sich geben kann.“

„Armes Kind. - Bist du dir wirklich ganz sicher, dass du sie zur Gefährtin willst? Immer noch?“, fragte der blonde Oliver Laar noch einmal ganz ernsthaft.

Oh, ja, bitte, er sollte ihn zweifeln lassen! - Bitte!, dachte ich betend und mit schwirrendem Kopf.

Wann immer ich die Augen öffnete, blitzten grelle Lichtpunkte auf. Oh ja ... Ich hatte mich wahrscheinlich wirklich gerade selbst so abgeschossen.

Doch als ich durch die Lichter hindurchblinzelte, sah Laar mich nur wieder so seltsam an. Also versuchte ich lieber, wieder die Augen geschlossen zu halten, während die Krieger mich nun hielten und anzogen wie ein Kleinkind. Doch das eher ruppig statt sanft.

„Frage mich nicht mehr. Du kennst die Antwort, Oliver. Keine andere Frau passt jetzt gerade so perfekt zu mir wie dieses Mädchen. Sie ist noch zu jung für eine Archner-Frau. Noch kaum was an ihr dran. Das ist gut. So werde ich später auch kaum Verpflichtungen ihr gegenüber haben, außer die eine, ihr Leben zu beschützen“, meinte Laar noch entschieden und drehte mein Kinn dann in seiner Hand wieder zu sich um.

Wenn der wüsste ... Ich und ein … Kind.

- Ein Kind hätte niemals allein da draußen im Wald überlebt ...! Ich schlug erbost auskeuchend auf seine Finger, doch er blieb davon natürlich unbeeindruckt und schob seine Hand lediglich tief in mein Haar, worauf ich wieder nach Luft schnappen musste, und versuchte, mich ihm zu entreißen und über das Lager zu flüchten.

Doch ich war noch zu benommen und er war zu schnell und zu stark. „Nein, du läufst mir nun nicht mehr weg, Naani“, zerrte er mich sofort wieder zurück und zeigte mir dann ein neues Handzeichen, deutete dann auf meine Brust und wiederholte es wieder.

„Du bist Nanni!“, sprach er dann schließlich noch einmal. Ich schüttelte nur wild den Kopf. Er fing mich an den Haaren wieder ein und zwang mich, ihn anzusehen.

„Und wie nennt man dich dann, wenn nicht Naani?“, fragte er mich finster grollend, wiederholte das Zeichen und deutete auf mich. Wieder versuchte ich, den Kopf zu schütteln. Schließlich konnte er mich nicht einfach so nennen, wie er es gerne wollte, selbst wenn ich niemals freiwillig mit ihm sprechen würde, nie im Leben! Doch sein Griff in mein Haar hielt mich auf.

„NAANI!“, wiederholte er laut, ganz dicht an meinem Ohr, fast schon brüllend.

Ich konnte nicht anders als zusammenzuzucken.

„Das hat sie wohl gehört!“, kommentierte Oliver lediglich finster. „Gut, dann wird sie ihren Namen erkennen, wenn ich ihn brülle!“, sprach Laar und wiederholte den Namen noch drei Mal extrem laut an meinem Ohr, wobei er mich nicht gehen ließ, bis ich schließlich die Augen schloss und mir den Kopf hielt. „Genug fürs erste. Sie ist nun gebadet, desinfiziert, geimpft und neu eingekleidet“, brummelte Laar schließlich und ließ mich endlich aufstehen und wegrennen ... in die nächste Ecke, zwischen dem Bett und eine Kiste eingeklemmt, weil er da vielleicht etwas schwerer an mich herankommen würde.

„Gute Ruhe“, wünschte der blonde Archner Laar nur spöttisch, der mir gerade noch den Fluchtweg nach draußen versperrt hatte, und ging. Wenn ich nun also mit diesem Archner allein blieb ...

„Stellt noch ein paar Wachen rund um mein Zelt auf. Ich will sie nicht gleich wieder anbinden müssen“, rief Laar hinter ihm her und zerstörte damit all meine Hoffnungen. Dann kam er zum Bett zurück, sah mich an und deutete dann schlicht auf das Lager. „Bett! Schlafen!“, legte er die Hände seitlich an seine Wange und bedeutete mir, was er von mir wollte.

Ha. Wenn der wüsste, was ich alles verstand. Der wollte jetzt doch nur endlich seinen Spaß haben ...

Nur deshalb hatten die mich gerade geimpft, ... damit ich nun keine Krankheiten mehr übertragen würde.

Denn auch davon hatte meine Mutter mir erzählt. Dass sie das oft mit den Walldorf-Frauen taten, wenn sie sich vergnügen wollten, … aber nicht anstecken.

An irgendwas.

Als ob wir alle infizierte Bestien oder gar Fremde wären, … Idioten!

Und dann auch noch anzunehmen, ich würde einfach so in sein Bett kriechen …

So haarsträubend und entwürdigend, wie das Prozedere gerade schon für mich gewesen war, würde ich mich nun sicher nicht auch noch dazu herablassen, ihm irgendein Einverständnis zu signalisieren, … oh nein!