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Rahel ist erst 16 Jahre alt und hat bereits alles verloren, ihre Eltern, ihre Freunde und ihr zu Hause. Nun wurde sie auch noch von ihren verhassten Verwandten an das Ende der Welt in ein Internat verfrachtet. Sie weiß weder, dass sie hier mitten in einem Werwolfgebiet gelandet ist, noch dass sie die Seelenverwandte des extrem gefährlichen Alpha Dared ist, der schon lange nach seiner Mate sucht... Der 1. Teil der Seelenverwandt, Alpha-Reihe, neu überarbeitete und becoverte 3. Auflage von der Wattpad-Erfolgsautorin Bea Stache alias Beatrixi2508
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
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Epilog
Vertrieb durch
Tolino Media GmbH
3. Auflage 12.2021
Copyright© 2021 by Bea Stache
Am Weißen Stein 30
34613 Schwalmstadt
Lektorat: Franziska Eife und Troubleblack
Umschlaggestaltung: © 2021 by RiaRaven_Coverdesign
Unter Verwendung von lizensierten Bildern und Motiven von Shutterstock
In dieser Reihe bereits erschienen:
Band 1 Seelenverwandt – Rahel, Die Mate des Alpha
Band 2 Seelenverwandt – Mia, Die Alpha-Luna
Band 3 Seelenverwandt – Marnie, Die wilde Luna
Band 4 Seelenverwandt – Julia – Die Rogue Mate
Alpha
Der Alpha ist der anführende Werwolf eines Rudels, sein Beschützer und Versorger. Er wird entweder in sein Amt hineingeboren oder erwirbt es im Kampf auf Leben und Tod gegen den alten Alpha.
Ein Alpha kann mit seiner Alpha-Tonlage sein ganzes Rudel unterwerfen und zur Mitarbeit zwingen, auch wenn sie es nicht wollen, sie müssen ihm gehorchen.
LunaDie Luna ist die Gefährtin des Alpha. In den meisten Fällen seine Seelenverwandte (Mate). Sie sorgt für den Zusammenhalt im Rudel, kümmert sich besonders um Schwache und Verletzte und besitzt einen natürlichen Instinkt zum Schutz ihres Rudels und der Welpen.
Mit ihrer Lunastimme kann sie das Rudel unterwerfen, außer den Alpha, der ihr stets überlegen ist.
Beta Der Beta ist der Stellvertreter des Alpha und kommuniziert seine Befehle mit dem Rudel und deren Leadern, wenn der Alpha das nicht selbst machen kann oder will.
Er führt dessen Befehle aus und ist der zweitstärkste Werwolf im Rudel nach dem Alpha. Wenn der Alpha nicht da ist, hat er das Kommando, ist aber immer der Luna unterstellt.
Third in Comand – Tic
Er ist der Stellvertreter des Beta und führt außerdem als Leader eine Gruppe im Rudel an. Ist der Beta abwesend, übernimmt er vorübergehend dessen Aufgaben und bleibt im Falle eines Rudelkrieges oft zurück, um die Luna und die Welpen zu beschützen. Er ist der drittstärkste Werwolf im Rudel.
Leader
Leader sind die Anführer der verschiedenen Territorien-Gebiete innerhalb des Rudels. Sie erkämpfen sich diesen Rang innerhalb ihres Gebietes und können durch weitere Rangordnungskämpfe innerhalb der Leader die Position des Tic für sich erstreiten.
MateEin Mate ist der oder die Seelenverwandte eines Werwolfes. Der Werwolf weiß es immer sofort, wenn er seine oder seinen Mate findet, denn er liebt diese Person sofort und ist nahezu besessen nach seiner oder ihrer Nähe. Dabei ist es aber ganz gleichgültig, ob der Mate nun ein Mensch oder ein Werwolf ist. Der Werwolfmate kann ohne seinen Seelenverwandten auf Dauer nicht leben.
Stirbt ein Mate, dann stirbt meistens auch sein Gefährte oder seine Gefährtin in demselben Augenblick. Die wenigen Ausnahmen bilden Mütter, deren Kind oder Kinder sie noch brauchen, weil sie noch zu klein, zu schwach oder aber gerade schwer verletzt sind und ohne sie vermutlich sterben würden. In den meisten dieser seltenen Fälle überleben jedoch nur gebissene Werwolfmütter, die nicht schon als solche geboren wurden.
Der Link
Das ist Werwolftelepathie.
Es gibt verschiedene Arten von Links innerhalb des eigenen Rudels: der Mate-Link, der nur zwischen zwei Mate funktioniert, den Familien-Link, der in der Familie zwischen Eltern und Kindern funktioniert, der Leader-Link, der nur von Alpha, Luna, Beta, Tic und den Leadern genutzt werden kann und dann noch den Rudel-Link, in dem sich das gesamte Rudel miteinander unterhalten, Neuigkeiten austauschen, oder in dem Alpha und Luna wie auch die Leader Mitteilungen an das Rudel bekannt geben können.
Man kann willentlich diesen Link unterbrechen, indem man eine innere Barriere dagegen aufbaut, sodass ein Wolf nicht immer automatisch am Rudel-Link teilnehmen muss. Nur wenn Alpha und Luna zum Rudel sprechen, kann man diese Barriere vorübergehend nicht aufbauen.
Rudelübergreifend können sich nur Alpha und Luna mit fremden Wölfen unterhalten, es sei denn, die beiden Rudelalpha schließen einen Verbund zwischen ihren Rudeln. Dann können sich auch Rudelwölfe mit anderen Rudelwölfen in Wolfsgestalt austauschen, was zum Beispiel hilfreich ist in einem Rudelkrieg.
Markieren Die Markierung ist ein Biss in den Hals des weiblichen Mate (normalerweise an der Seite unterhalb des Ohrs).
Damit werden auch Menschengefährten zu Werwölfen gewandelt. Es ist das sichtbare Zeichen für alle männlichen Werwölfe, dass die Wölfin schon vergeben ist.
Mate-BissBeim Mate-Biss beißt der männliche Wolf in die Markierung am Hals hinein, um die Wölfin entweder zu beruhigen oder zu erregen. Bei geborenen Wölfen tut dieser Biss niemals weh, bei gebissenen Wölfen dauert es oft ein wenig, bis sie sich an diese wölfische Zuneigungsgeste gewöhnt haben und es ebenfalls mögen.
Walk
Spaziergang der Wölfe, der in Gruppen und in Wolfsgestalt abgehalten wird. Verstärkt die Zugehörigkeitsgefühle zum Rudel, schafft eine Bindung und verhilft einem neuen Werwolf dazu, egal in welcher Gestalt auch immer, in den Rudel-Link hereinzukommen. Jeder Alpha und jede Luna walken am besten regelmäßig, entweder mit dem ganzen Rudel oder nur mit einem Teil davon. Sonst wird das Band zum Rudel brüchig oder verschwindet irgendwann gänzlich.
Rahel erwachte im ersten grauen Nebeldunst des heraufziehenden Herbstmorgens und seufzte leise auf.
Der Wecker - ihre Armbanduhr - piepste leise vor sich hin und sie streckte müde und mit noch halb geschlossenen Augen die Hand zu dem kahlen, kleinen Tischchen hin, um sie auszuschalten.
Seltsam wie trist und trostlos ihr hier alles vorkam. Das war früher mal ganz anders gewesen. Da hatte sie sich auf das Leben gefreut, ihre Freundinnen, die Schule, die Kurse ...
Aber hier in dieser neuen, kalten Umgebung am Ende der Welt war sie nur noch eines, ... verloren.
Still blieb sie liegen, als sie, so wie gestern, das Husten, Schimpfen, Knurren, Schnaufen und das Geraschel, Lachen und Brüllen ihrer Mitschüler auf dem Korridor vernahm, die alle zugleich ins Bad stürmten.
Still sah sie über sich an die Decke und zählte die Sekunden, die Minuten, blieb einfach nur liegen und genoss noch ein wenig die Wärme des wenigstens guten Federbettes, wenn schon nichts anderes hier an diesem Internat irgendwie gut war. Schon mal gar nicht die seltsamen Schüler.
Vorgestern war sie von denen auf ganz seltsame Weise abgecheckt worden, gleich nach ihrem ersten Unterricht in der ersten Pause.
Die schienen da irgendwie einer behämmerten Regel zu folgen. Die Typen gingen ganz nahe an ihr vorbei, sahen sie von oben bis unten an und schnüffelten dann an ihr. Ja, sie schnüffelten, ganz so, als ob sie stinken würde.
Und das tat nicht nur eine Clique der hiesigen Irren so, das taten sie alle, sogar einige der Lehrer. Dann aber wandten sie sich einfach wie er kopfschüttelnd oder achselzuckend von ihr ab und stiefelten davon. Echt seltsam.
Doch das Bescheuerte war, dass einige der Mädchen es ganz genau so hielten und sie dabei auch noch so biestig und böse angrinsten, als wäre sie der nächste, vorbestimmte Putzlappen, der den Boden wischen würde. Und genau das würde heute auch wieder im Bad so laufen, wenn sie jetzt da hinüberging. Genau so würden sie sie ansehen und versuchen zu mobben. Aber es gab immer zwei, die zum Mobben gehörten, hatte ihr Vater immer gesagt. Jene, die Täter waren und andere, die sich als Opfer fühlten und hergaben. Rahel hatte beileibe keinen Bock darauf, hier das Opfer zu spielen und wenn die sie heute noch mal so abchecken und beleidigen würden, würde sie mal eben ihre gute Erziehung vergessen und ihren schwarzen Gürtel in Karate auspacken. Die würden sie hier ganz sicher nicht auch noch klein machen wie einen Fingerhut. Eh-Eh! Nicht mit ihr! Also hatte sie ihren Plan heute Morgen etwas umgestellt und würde sich nun generell unberechenbar verhalten, damit die Typen auch garantiert keinen Ansatzpunkt finden würden.
Schließlich war das hier ja auch gar nicht von Dauer. Nur ein Jahr und zwei Monate musste sie hierbleiben, für sich bleiben und lernen, dann konnte sie wieder zurückgehen. Dann würde sie achtzehn sein, erwachsen, ... dann konnte sie ihr verdammtes Erbe antreten und würde alle anderen, die sie gerade grausam im Stich gelassen hatten, so was von fertig machen.
Grollend stand sie schließlich auf, als die halbe Stunde endlich um war, und warf die Bettdecke von sich. Sie hatte sich gestern schon ihre Sachen bereitgelegt und schlüpfte nun lediglich schnell hinein, schnappte sich ihre Zahnbürste und ihre Haarbürste und ging mit schnellen Schritten ins Gemeinschaftsbad der Mädchen. Da standen nur noch zwei bescheuerte Trullas vor den breiten Spiegeln, die sich gerade ihre zwei Pfund Schminke zu Ende auf die Backen kleisterten, ihre Augen wie Gothic-Girls schwarz und breit umrandeten und sie mal wieder böse bis verächtlich anstarrten.
Danke, ihr mich auch, dachte sie nur ebenso verächtlich und kalt blickend, was zumindest bei der einen Trulla für ein überraschtes Brauen heben sorgte. Schnell also Zähne geputzt, Wasser ins Gesicht geklatscht und Haare durchgerissen, schon stand sie wieder in ihrem Zimmer und schnappte sich ihre Bücher und den Kugelschreiber.
Tja, ... die schönen, coolen Schultaschenzeiten waren wohl erst mal um, solange ihre Cousine mit ihrem beinahe nagelneuen Rucksack herumdüste und Geld hatte sie ja schließlich auch keines mitbekommen, um sich vielleicht noch einen anderen zu kaufen, ... ha! Sie stürmte noch an den letzten Nachzüglern vorbei die Treppe herunter, wich dabei geschickt zwei schnell vorgestreckten Füßen aus und zeigte den Möchtegernmobbern mal eben kurz den Stinkefinger und ein kaltes Lächeln, bevor sie in die Mensa hineinging, schlicht zum Buffet vordrängelte, sich dort nur einen Apfel und eines der bereits gefüllten Gläser Wasser schnappte und damit zu einem der hintersten, am dunkelsten gelegenen Single-Tischchen für Ausgestoßene setzte, um gleich mal klarzustellen, dass sie sie alle mal kreuzweise konnten.
Wieder erntete es dafür einige verblüffte Blicke der Schüler und ärgerliche von der Hausmutter, die auch gleich zu ihr marschierte. „Du bist zu spät, Mädchen! Und man stellt sich gemeinhin hinten in der Schlange an!“, schimpfte sie laut genug mit ihr, dass es natürlich die meisten mitbekamen.
Pädagogik 6, setzen!, dachte sie nur grimmig und biss in ihren Apfel. „Ja, willst du denn hier bis zu deinem Schulabschluss allein in der Ecke sitzen bleiben? Das wirst du nämlich, wenn du dich nicht an die Regeln hältst.“
„Was denn, ... den Schulabschluss? Hier? Also bitte ...! Bei diesem Lernniveau und diesen bekloppten Lehrern werde ich dann höchstens noch Aushilfskellnerin und nicht wie bisher mit einem Suma cum laude-Zeugnis mein Abi machen.
Oh nein, ... hier mache ich das ganz sicher nicht! Mit achtzehn bin ich ganz schnell und so was von weg, das können Sie aber glauben. Und dann gehe ich wieder an eine echte Schule, mit wirklich gut ausgebildeten Lehrern, die ihren Lehrauftrag als solchen auch tatsächlich verstehen und zudem sogar auch noch Ahnung von den Grundzügen der Pädagogik haben. Sie sehen also ... Es wird wohl kaum bis zum Schulabschluss sein, dass Sie mich werden ertragen müssen, Frau Danzig. Trotzdem danke für den extra laut gebrüllten Hinweis ... vor der versammelten Cafeteria“, gab sie nur noch extra patzig von sich. Die Frau sah, wenn überhaupt möglich, nun noch empörter aus als zuvor, und wackelte kopfschüttelnd und irgendetwas Zischelndes knurrend wieder davon.
Auch gut.
Sollte sie doch.
Rahel aber verspeiste derweil erst einmal ihren Apfel und trank in Rekordzeit ihr Wasser aus. Es dauerte alles in allem gerade mal zwei Minuten. Nicht genug Zeit für die vielen herumlungernden Halbstarken, um sich dafür zu entscheiden, noch mal kurz zu ihrem Tisch herüber zu kommen und ihr freundlich zusammenschlagend zu erklären, wie der Hase hier so lief.
Sie hatte nicht vor, selbiger zu werden, also stand sie schon wieder auf, schnappte sich ihre Tasche, brachte die Apfelgrütze weg und auch das Glas an die Durchreiche, wo sie schon wieder so merkwürdig angesehen wurde. Diesmal von den Schulschönheiten, wer auch sonst?
Früher hatte sie auch einmal zu so einer Gruppe gehört. Andere Zeit, anderer Ort, ganz andere Welt.
Doch diese alte Welt war tot. So tot wie ihre Eltern. Also lang lebe die Ungerechtigkeit, ... bah!
„Fräulein Degenhard! Was denken Sie, wohin Sie jetzt schon gehen wollen?“, rief die Hausmutter ihr noch verdutzt und im Vorbeilaufen zu.
„Also hören Sie mal, meine Beste, ... Sie haben doch gerade eben noch laut brüllend behauptet, ich sei viel zu spät!“, drehte sie sich nur spöttisch und extra freundlich lächelnd zu der Hausmutter um, „und selbstverständlich gehört es sich nicht, hier auch noch zu spät in den Unterricht zu kommen, also gehe ich dann jetzt und vielen Dank nochmal für die Info!“, zwitscherte sie süßlich tuend und klimperte sogar noch übertrieben mit den Wimpern, bevor sie sich umdrehte und nur genervt schnaubte.
Wofür hielt sich die Frau eigentlich? Den Master of the Universe, ihre Mutter oder ihren verkackten Big-Boss? Wie auch immer ... Sie würde diese generelle Mobbing-Tour hier nicht mitmachen. Sie stand von vornherein außen vor und es war gut so. Denn dann würde es ihr nächstes Jahr im November nur umso leichter fallen, dieser Schule mit einem verbalen Arschtritt (der sich gewaschen hatte) goodbye zu sagen. Und zwar auf Nimmerwiedersehen!
Sie kam eine halbe Stunde zu früh in ihre Klasse und setzte sich schon mal auf den absoluten Loser-Platz. Also gleich nach ganz vorne vor das Lehrerpult.
Doch so konnten ihre Lehrkräfte sie wenigstens nicht schon wieder den ganzen Tag lang übersehen, wenn sie sich dauerhaft meldete, aber doch nie drankam.
Und dann konnten sie später auch nicht behaupten, sie hätten nie etwas von ihr gehört. Denn wenn es so war, dann nur, weil sie sie nicht drangenommen hatten, aber ihre Bereitschaft dazu war immerhin vorhanden.
Gegen Mittag waren ihre restlichen Illusionen von einer ordentlichen Schule mit ordentlichem Unterricht restlos erschöpft. In Geschichte war sie sogar rausgeflogen, nur weil sie auf eine Frage des Lehrers hin und nach gefühlten hundertmal vergeblich Melden die Antwort einfach reingerufen hatte. Beim ersten Mal hatte ihr Lehrer sie nur angeknurrt, beim zweiten Mal angefaucht, was das sollte. Sie hätte gefälligst zu warten, bis sie dran wäre. Beim dritten Mal war sie dann aber nach dreimal vergeblichem Fragen seitens des Lehrers an die Schüler und ihrer vergeblichen Melderei aufgestanden und hatte ihn angefaucht, warum er denn irgendjemanden fragen würde, wenn er die Antwort doch eigentlich gar nicht wissen wollte, da er ja die Schüler, die etwas auf dem Kasten hätten, generell und gerne übersehen würde. Den Rest der Stunde hatte sie also auf dem Flur verbracht, aber immerhin ihre Bücher dorthin mitgenommen, um schon mal ein bisschen für Chemie vorzulernen. Doch dort war es nur genauso gewesen. Sie meldete sich, wohl als Einzige … und wurde komplett ignoriert. Selbst als sie später auf die Toilette musste in Deutsch. Schließlich war sie wieder nur kopfschüttelnd aufgestanden und hatte den sofort wütend auffahrenden Lehrer ebenso wütend angefaucht, er hätte schlicht seinen Beruf als Lehrer verfehlt. Denn sonst würde er doch wenigstens einmal die neue Schülerin an dieser Schule gefragt haben, warum sie sich die ganze Zeit über meldete, selbst wenn er keine Frage zum Thema gestellt hatte. Sie würde dann jetzt also unerlaubt aufs Klo gehen und dann den Rest der Stunde lieber wieder lesender Weise, mit dem Deutschbuch auf den Knien, draußen auf der Treppe verbringen, denn dadurch würde sie erheblich mehr lernen, … tja. Und genau das hatte sie dann auch getan. Und dann anschließend in der Freistunde nachgesessen bis eben gerade und eine Abhandlung über den vergangenen Unterricht geschrieben.
Thema: Eine Interpretation von Dantes Inferno in Verbindung mit dem tatsächlichen Glauben der katholischen Kirche. Man wie langweilig! Sie hatten das Buch schon vor zwei Jahren an ihrer alten Schule gehabt, also schrieb sie ihre fünf Seiten voll, über alles, was ihre Professoren damals darüber gesagt hatten, die tatsächlich gute Lehrer gewesen waren, und gab es dann bei dem erstaunt glotzenden Herrn Meier ab mit dem Kommentar, das wäre ja wohl nur achte Klasse Niveau gewesen, nicht mehr. Der Arsch konnte sie mal so was von kreuzweise …!
Und weil sie ja nun ganz unberechenbar und abweisend und kühl sein wollte und würde, bis sie achtzehn war, saß sie nun im sonnenbeschienenen Park in der Mittagszeit, statt etwas in der Mensa essen zu gehen. Sie las lieber wieder in ihren Büchern über die mehr als nur bescheuerten Physikthemen, die sie an ihrer alten Schule auch schon längst durchgenommen hatten.
Die Leute hier hatten wirklich alle einen gewaltigen und geistig zurückgebliebenen Sockenschuss, aber okay. Sie musste mit denen ja tatsächlich nichts mehr weiter zu tun haben.
Kleine Erinnerung. Warum hatte ihr Onkel sie nochmal ausgerechnet hierher geschickt? Tsss …, weil es so spottbillig war.
Die schlechteste Schulbildung in ganz Deutschland, soweit sie erkennen konnte. Na sicher doch. Dabei waren ihre Eltern gerade erst drei Monate tot und Dr. Peters, Papas Anwaltskollege, hatte ihr noch hoch und heilig versichert, dass wieder alles gut werden und sie ihr Leben beinahe ohne jede Änderung fortsetzen konnte. Im Internat … mit ihren Freunden und den guten Noten und doch viel freundlicheren Zukunftsaussichten, wenn schon die Gegenwart beinahe unerträglich war.
Klar doch! War ja nun alles bestens hier, oder? Es hatte diesen beschissenen Dreckskerl am Ende auch tatsächlich ganz groß gekümmert, wo sie nun hingesteckt worden war.
Scheiße war das. Alles! Papa hätte besser daran getan, sie nach Timbuktu oder nach England in ein Internat zu befehlen, statt ausgerechnet ihrem beschissenen Onkel die Vormundschaft zu überlassen. Der wollte nämlich einzig und allein ihr Geld und sonst gar nichts.
Es war nur noch ihr Glück, dass das meiste Geld in einem Treuhandfonds festlag und selbst ihr geldgeiler Onkel kam da nicht heran, auch wenn er es natürlich schon versucht hatte. Er hatte also nur ihr jährliches Schulgeld zur Überweisung auf ihr Internat erhalten, eine stattliche Summe. Doch statt dann das zu tun, was er sollte, hatte ihr Onkel nur noch feist grinsend gemeint, dass er ihr diesen ganzen, tollen Schnickschnack nun ganz sicher nicht mehr länger bezahlen würde. Schon gar nicht, weil er mit seiner Familie dieses Jahr von ihrem Schulgeld nach Amerika fliegen würde. Doch mitnehmen wollte er sie dabei ganz sicher nicht. Also hatte er gegoogelt, wo es das billigste Internat überhaupt in Deutschland gab und sie, so schnell es ihm nur möglich war, hierher in den Schwarzwald, also ans Ende der Welt, verfrachtet. Arschloch! Und nun war sie schon seit drei Tagen hier. Alles war schrecklich und es gab hier noch nicht mal einen Stall! - Ergo auch keine Pferde. Keine Schwimmhalle, keine Karategruppe, keine Handballmannschaften, kein Hockeyteam, keine Möglichkeiten mal irgendwie raus zu kommen, ja noch nicht mal ein Kino in der Nähe. Nur die verdammte, abgerissene Schule mit den asbestverseuchten Fugen in den Wänden, die irgendjemand mit Panzerband notdürftig abgeklebt hatte. Es stank. Es war verrottet. Das Ende der Welt eben.
Rahel schloss kurz die Augen, doch es war schon zu spät. Eine zornige Träne fiel auf ihre Hand, während sie einmal mehr tief durchatmete und trübsinnig auf ihre Bücher hinunterschaute. Wenn sie wenigstens noch ihre gute Swarovskiuhr gehabt hätte, eine Erinnerung an ihre Mutter, welche dieselbe in silber besessen hatte. Gekauft vor erst zwei Jahren zu Weihnachten. Glückliche Weihnachten. Eine echt glückliche Zeit. Sie hatte damals ja gar nicht gewusst, wie glücklich sie tatsächlich noch gewesen war. Doch ihre tolle Uhr in rosé-gold hatte sich nun ebenfalls ihre Cousine geschnappt und ihr Cousin hatte sich ihr Handy genommen. Einfach alles gehörte nun den beiden. Ihre Schulsachen, die Malsachen, die schönsten ihrer Klamotten, hach …! Wenigstens hatte sie den beiden dafür noch ordentlich eins aufs Maul gegeben, bevor sie dann zwangsweise ins Auto geschafft und hierher gebracht worden war. Ihr alter Sensei wäre nun sicherlich schwer enttäuscht von ihr. Er war immer strikt dagegen gewesen, rein aus persönlichen Gründen zu kämpfen und nicht nur zur Selbstverteidigung. Und ihr Vater erst. Oh Gott … Ihre Eltern fehlten ihr so sehr. Und wieder landete eine Träne auf ihrer Hand.
Plötzlich knurrte es ganz in Ihrer Nähe wild auf. Es klang nach einem tollwütigen oder extrem bösen Hund.
Rahel sprang erschrocken auf ihre Füße, ließ ihre Bücher fallen und drehte sich um.
Da stand ein Typ, … halbnackt?!
Oh, ... okay?! Vollmeise, oder? Er sah auch sonst ein bisschen arg wild aus, schwarze, wirre Haare, bloßer Oberkörper, schwarze Hosen und keine Schuhe. Er guckte außerdem ziemlich irre, war unrasiert und gut zwei Köpfe größer als sie, ... hu?
„Was soll das?“, fragte sie ihn nun doch leicht unsicher, ob sie es nicht gerade mit einem entlaufenen Irren aus der Anstalt zu tun hatte, doch er kam einfach auf sie zu geprescht mit zwei großen Schritten und hielt auf einmal ihren Hals im Würgegriff gefangen, während er sie auf die Füße hochriss.
„Meine Mate ...?“, knurrte er sie finster an, ohne auf ihre Frage zu achten.
„Arrrgh! Lass mich los!“, keuchte sie halb erstickt und reagierte dann einfach nur so, wie ihr Sensei es ihnen unzählige Male gezeigt und sie üben gelassen hatte: Ihr Daumen hebelte seinen Knochen an der Hand mit einer speziellen Grifftechnik aus, sodass sich sein Griff lockerte.
„MEINE MATE ...!“, knurrte er derweil noch lauter, noch bedrohlicher und Rahel vergaß beinahe alles um sich herum. „OH NEIN!“, brüllte sie nur noch schrill auf und riss ihr Knie hoch, traf seinen ungeschützten Unterleib und bemerkte seinen kurz geschockten Blick, als er auch schon nach vorne klappte und röchelnd die Luft ausstieß.
„Da hast du dir wohl die falsche Tussi zum Abschleppen ausgesucht, du Arsch!“, brüllte sie ihn wütend an, während sie seine Hand packte und schwungvoll umdrehte, bis es beinahe knackte.
Doch aus irgendeinem Grund schaffte er es noch, dagegenzuhalten, sodass der Knochen nicht wie gewollt brach. „Lass das, Mate!“, fauchte er sie bestialisch an und wollte erneut nach ihrem Hals greifen, doch Rahel benutze seine Vorwärtsbewegung und sein eigenes Körpergewicht gegen ihn und warf ihn, schnell zupackend und so heftig sie nur konnte, an ihm zerrend, mit einer halben Drehung über ihre Hüfte hinweg auf den Boden.
Der Knall, mit dem er aufkam, war irre laut, aber noch irrer war das sofort einsetzende, fauchende Knurren, das er von sich gab. Wie ein Tier, ... hu! Echt gruselig.
Rahel konnte nicht anders, als erschrocken laut aufzukreischen und wegzurennen, so schnell sie nur konnte, ... zum Schulgelände zurück.
Denn dort würde der Kerl sie sicherlich in Frieden lassen. Aber hinter sich hörte sie es immer noch irgendwo knurren und laut fauchen: „Warte! Ich befehle es Dir ...!“
Als ob ich es mir befehlen lassen würde, auf einen durchgeknallten Irren zu warten, der mich höchst wahrscheinlich gerade vergewaltigen oder verletzten will, dachte Rahel entsetzt und floh in das Hauptgebäude der Schule hinein, rempelte irgendwen dabei an, der sofort empört aufschrie: „Eyyyyy!“, und rannte jedoch einfach nur gehetzt weiter.
Denn richtig ... Er folgte ihr immer noch, was das heftige Aufschlagen der Eingangstür gegen die Innenwand und das dabei hart klirrende Geräusch der zerspringenden Glasscheibe, wie auch das erschrockene Kreischen der Leute, die der Kerl nun aus dem Weg rammte, ihr verrieten. Schnell warf sie noch einen erschrockenen Blick über die Schulter zurück.
Er kam ihr tatsächlich nach ... und holte sehr schnell auf. Scheiße! „WARTE!“, bellte er durch den ganzen Korridor.
Als ob sie so bescheuert wäre!
Stattdessen floh sie nun immer gleich drei Stufen auf einmal überspringend die Treppe hinauf ins Sekretariat und dort direkt an der erschrockenen Sekretärin des Direktors vorbei in sein Zimmer hinein, wobei sie laut kreischend um Hilfe rief.
„Was bitte ist hier los? Frau Degenhard ...? Warum brüllen Sie denn so?“, stand der Direktor bei ihrem unerlaubten Eintreten mehr als nur empört auf.
„Rufen Sie die Polizei, Herr Wagner! - Bitte! Da ist ein Irrer hinter mir her, der mich gerade angegriffen hat. Und er verfolgt mich ... Hat unten eine Tür zu Bruch gehauen“, versuchte sie ihm schnell keuchend zu erklären, während sie schon hektisch seine Bürotür abschloss und dann von dem gleich darauffolgenden heftigen Poltern und Hämmern dagegen erschrocken zurückwich.
„SOFORT DIE TÜR AUF!“, grollte es bestialisch auf der anderen Seite. „Was, bei allen Göttern ...“, kam nun auch der verwirrte Direktor hinter seinem Schreibtisch hervor und sah sie dann aber nur ganz seltsam an.
Doch noch ehe sie antworten, ihn fragen konnte, ob sie einen Mega-Pickel im Gesicht hatte, oder auch nur blinzeln konnte, wurde die Tür mit brachialer Gewalt aus den Angeln und das Schloss aus der Wand herausgesprengt.
Rahel schrie auf, als die Trümmer der Tür sie trafen und sie darunter aufkreischend zu Boden ging.
„MEINE MATE!!!“, brüllte der Typ sofort besorgt und noch ehe sie unter dem Gewicht der massiven Holztür stöhnen, wimmern oder nochmal kreischen konnte, wurden die Teile auch schon von ihr heruntergehoben.
Sie hörte den Direktor rufen: „Um Gottes willen! Es ist der Alpha!“ Schon hob sie der Kerl, dem sie eben noch hart in die Eier getreten hatte, einfach vom Boden auf und trug sie weg.
„NEIN, ... HILFE!“, brüllte sie nur wieder laut auf und hieb dem irren Kerl ihre Faust mitten ins Gesicht. Aber das tat ihm gar nichts. Er sah sie lediglich etwas gereizt an. „Lass das endlich, Mate!“, befahl er ihr mit tiefer, dunkler Stimme.
„ICH BIN ABER NUN MAL NICHT MATE!“, brüllte sie nur wieder strampelnd und versuchte sich keuchend aus seinem harten Griff herauszuwinden.
Nicht mal Herr Wagner stellte sich dem Arsch noch in den Weg. „Rufen Sie die Polizei an!“, brüllte sie zu der geschockten Sekretärin hin, die sie aber nur total sprachlos anblinzelte, bevor sie irrerweise freudig zu lächeln begann.
„Na, endlich!“, hörte sie die Frau sogar erleichtert sagen. Gott ...! Was lief hier nur?
Endlich? - Hä?
Steckten die hier also alle unter einer Decke?
Entsetzt schaute sie über die Schulter des Typen zurück und bemerkte den Direktor des Internats, der nun ebenfalls lächelnd durch seine vollkommen zerstörte Bürotür trat und Frau Eberlein nur seelenruhig anwies: „Informieren Sie bitte den Stadtrat, Susanne. Der Alpha hat gerade seine Luna gefunden.“
Rahel überlief es bei diesen Worten eiskalt und erneut begann sie sich zu winden, doch ohne Erfolg.
Er trug sie einfach nur wieder schweigend die Treppe herunter und alle Schüler und sogar die Lehrer sprangen oder rannten ihm sofort aus dem Weg, während Rahel nur weiter laut um Hilfe schrie, zappelte und auf ihn einschlug.
Aber das juckte ihn tatsächlich immer noch nicht.
Er trug sie einfach aus der Schule heraus, den Weg hinunter in den Park zurück und von dort aus in den Wald hinein.
Oh Gott!
Rahel war inzwischen verstummt und hatte auch zu zappeln und sich zu winden aufgehört. Denn das brachte ja eh nichts, kostete sie nur kostbare Kraft.
Aufgeregt keuchend überlegte sie, wie sie den riesigen Kerl überwältigen konnte, wenn er sie irgendwann herunterlassen würde. Das Überraschungsmoment hatte ihr immerhin schon mal bei ihm geholfen. Und wenn sie es wieder schaffen würde, ihn zu erwischen, würde sie ihn diesmal windelweich ...
„Du hast einen starken Tritt, Mate, und deine Schläge verraten mir, dass du schon oft gekämpft hast. Das ist gut. Das wirst du brauchen können als meine Luna“, sagte er plötzlich zu ihr und unterbrach damit ihre Gedankengänge. Er klang gerade ganz normal und sogar vergnügt.
Gab's das denn?
Hallo? Er entführte sie hier gerade, oder?
„Lass mich nur erst herunter und ich zeige dir gleich nochmal Mate und Luna, du irres Arschloch! Ich rufe die Polizei! Das ist Freiheitsberaubung ...!“, tobte sie ihn schrill an.
Da blieb er plötzlich stehen und hob belustigt auflachend seine Brauen, was sie aber nur sehen konnte, weil er sie wieder halb von seiner Schulter herunterzog. Oh Gott, ... sah der Typ vielleicht gut aus. Fast so wie ein Männermodel, mit ordentlich Muckis an den Armen und am Bauch ... Auch wenn er natürlich trotzdem ein Arsch war.
Doch seine ungewöhnlichen, hellgrauen Augen blitzten nun amüsiert und er war vermutlich doch noch um einiges jünger, als zuerst gedacht. Vielleicht Anfang zwanzig. Zudem herrlich zerzaustes, schwarzes Haar. Ein absoluter Hingucker ... Doch seine Worte brachten sie nun schnell wieder in die Realität zurück. „Was bitte denkst du denn, was die Polizei hier in Waldbach unternehmen würde, eh? Dich vor mir retten?“, schnurrte er nun schon fast seidenweich, grinste dabei megabreit und ließ sie plötzlich doch ganz herunter.
Schwerer Fehler!
Sofort trat sie hinter sein Standbein und rempelte hart mit Schulter und ihrem Schlagarm gegen seine massigen Schultern und den Hals.
Sein eigenes Körpergewicht ließ ihn dabei hinten überkippen und riss ihm schlicht die Beine unterm Hintern weg. Er verlor verdutzt aufkeuchend sein Gleichgewicht und krachte erneut hart zu Boden.
Nur, dass er sie dabei noch irgendwie packte und mit sich zu Boden riss. Sie versuchte noch alles, um sich frei zu winden, trat gegen ihn und flog dabei aber glatt über seine Schulter hinweg, direkt auf eine herausragende Baumwurzel zu. Schon krachte sie mit der Stirn gegen das Holz und sah buchstäblich Sterne, hörte den Typen noch fluchen, ... dann war alles dunkel.
*
„Holt Mathias her! Sofort!“, bellte eine scharf klingende Stimme laut und weckte sie halb aus ihrer Bewusstlosigkeit auf.
Sie lag zusammengekrümmt an einer breiten, starken Brust, zu benommen, um sich zu rühren oder nur die Augen zu öffnen. In ihrem Kopf dröhnte es wie bei einem Presslufthammer.
„Alpha!?“, erklang eine männliche Stimme ganz in der Nähe. „Alpha! Wer ist das? Hat sich etwa ein Mensch in unseren Wald verirrt?“, fragte eine andere, knurriger klingende Stimme. Auch ein Kerl ...
„Glotz nicht so blöde, Dennis! Und schaut sie ja nicht so an ... SIE GEHÖRT MIR!“, knurrte es wieder bestialisch laut auf. „Bei Lunas Ohren ... Ein Mensch ist die Mate unseres Alpha?“, hörte sie jemanden, ... noch eine andere Jungenstimme, keuchend flüstern.
„Oh Dared, jetzt benimm dich doch mal und lege sie hierhin, los!“, mischte sich eine Frauenstimme besorgt rufend ein. Eine Tür klappte.
„Mia!“ Wieder diese Frauenstimme. „Bring mir einen sauberen Lappen und lauwarmes Wasser! Das Mädchen hat eine dicke Platzwunde am Kopf.“
„Hat dich jemand angegriffen, als du deine Mate gefunden und mitgenommen hast, Dared, oder wollte sie nur nicht freiwillig mit dir kommen, sodass du sie umhauen musstest?“, fragte eine junge Mädchenstimme leise.
„Nein, ich habe sie nicht geschlagen! Sie wollte mir nur entfliehen und ist dabei über mich gestolpert. Sie weiß scheinbar nichts von uns. Kommt offenbar auch gar nicht von hier. Bei Lunas Ohren ... Wo bleibt nur Mathias?“, erklang wieder die knurrige Stimme ihres Entführers.
„Er kommt doch gleich. Beruhige dich endlich! Er war auf Hausbesuch in Waldbach bei Hans und Frieda Ehrhard ...“
„Na dann habe ich wohl noch ein bisschen Zeit ... - SEHT SIE NICHT AN, verdammt!“, fauchte er wieder bestialisch laut auf. „SIE GEHÖRT MIR!“
Aua, ... tat seine irre Stimme wieder in ihren Ohren weh und erst recht in ihrem Kopf.
Rahel fühlte, wie sie auf einer weichen Unterlage abgelegt wurde und gleich darauf, wie sie etwas Raues am Hals kitzelte. Unruhig begann sie sich zu bewegen und wollte schon blinzelnd die Augen aufschlagen, ... zu hell! „Uhhhh ...!“
Erneut berührte sie etwas am Hals.
„Oh, Dared! Bitte! Tu es wenigstens schnell, wenn du sie jetzt schon sofort markieren willst. Sie wacht gleich auf!“, sagte wieder diese Frauenstimme leise und Rahel spürte, wie ein warmer Mund sie sanft auf den Hals zu küssen begann.
Ein tiefes, kehliges Schnurren erklang: „Meine, ... du bist jetzt meine Mate.“
Ihre Haut schien zu kribbeln, ihr Magen zu flattern, in ihrem Kopf schwirrte alles durcheinander.
Auf einmal fühlte sie ein paar heftige Stiche, keuchte auf ... Dann ein Brennen, ... es pitzte heftig und tat dann kurz sogar richtig weh. Laut aufkreischend kam Rahel wieder aus dem Nebel hoch, der sich um sie herumgelegt hatte und stemmte sich mit aller Kraft gegen den bulligen Körper, der noch immer halb auf ihr lag.
„Jetzt bist du mein!“, hörte sie die raue Stimme wieder seufzend flüstern und schlug entsetzt und verwirrt blinzelnd die Augen auf ... und schaute dann im nächsten Moment um sich, als sie ihren Entführer erkannte.
Ja, genau der war das! Und er hockte nun mit Blut an den grinsenden Lippen über ihr. Sehr eindringlich, aber eindeutig auch belustigt, sah er sie an, die nur noch geschockt die Augen aufgerissen hatte.
„Hi, Kleines! Na, wie geht’s? Du bist jetzt meine Luna und mein Name ist Dared, ich bin neunzehn Jahre alt und der Alpha des Schwarzwald-Rudels und vermute mal, dass du keine Ahnung hast, wovon ich hier gerade spreche, aber du wirst dich sicher bald schon daran gewöhnen, mir zu gehören! Und nur mir allein!“, warnte er sie knurrig und immer noch belustigt, was Rahel nun vollkommen entsetzte, ... doch immer noch sah sie nur starr auf die Bluttropfen an seinem Mund, ... Blut, ... ihr Blut? Während er schon weitersprach: „Sei dir sicher, ... wenn du einen anderen Jungen oder einen Mann auch nur aus der Ferne anlächelst, bringe ich ihn auf der Stelle um, verstanden?“, fragte er sie bedrohlich sanft und sie starrte nun ungläubig und verständnislos in diese unglaublichen grauen Augen, nun so kalt wie ein Stück Eis ... In diesem irren, aber auch unglaublich attraktiven Gesicht, ... das immer noch Blut am Mund hatte, ... bevor ihre Muskeln dann aber doch endlich wieder auf die vielen wild aufkreischenden Befehle und spontanen Reaktionen ihres erschütterten Hirns reagierten.
Ihre Faust krachte von ganz allein hart gegen sein Kinn und obwohl sie dabei ganz deutlich einen ihrer Fingerknochen brechen fühlte, überlagerte die Wut und das Entsetzen auf diesen Idioten gerade noch jeden Schmerz, den sie ansonsten sicher hätte empfinden müssen.
„Du krankes Arschloch ...! Hast du mich gerade echt GEBISSEN?“, brüllte sie ihn schrill los kreischend an.
Zum Glück war er von der Kante des Sofas gerutscht und saß nun überrascht zu ihr hochblickend am Boden.
Um sie herum standen aber noch eine Menge andere Leute:
Eine überrascht aussehende, ältere Frau mit einer großen Schüssel voll Wasser und einem Lappen in der Hand, wie auch ein paar junge Frauen und sechs in schwarzes Leder gekleidete Typen, die sie gerade total ehrfürchtig anstarrten.
Blöd, oder was?
Hastig kam sie auf die Füße, ohne dabei noch weiter auf den Schwindel oder ihre heftig pochende Hand zu achten und betastete hektisch und um Fassung ringend ihren eigenen Hals ...
Jawohl, es blutete. Der Irre hatte sie also tatsächlich gebissen! „KANNIBALE!“, schrie sie wütend auf und schwang sofort, als ihr Entführer nun wieder belustigt lächelnd aufstehen wollte, ihren Fuß in seine Richtung, erwischte ihn mit voller Wucht und ihrem Turnschuhabsatz direkt an der rechten Schläfe und trat ihm damit endgültig das Licht aus.
Wie ein Baum krachte er zu Boden und Rahel schrie sofort wieder wie eine Irre auf, als sie sich nun nachschlagend auf den Typen stürzte und mit den Fäusten zornig auf ihn einhieb, während es um sie herum nun totenstill war.
Aus irgendeinem Grund mischte sich aber keiner der anderen in ihr Handeln ein. Und das war wohl einzig ihr Glück, denn als sie nun wieder aufstand, musste sie nur kurz keuchend und zornig in die Runde blicken.
Keiner hielt sie auf oder rührte sich auch nur, als sie durch das elegant eingerichtete Wohnzimmer, ... besser gesagt die Wohnhalle, taumelte und im Korridor dann endlich den Ausgang nach draußen fand, während die Leute im Wohnzimmer nun alle durcheinander zu reden begannen:
„Dasist unsere neue Luna?“
„Aber hallo! Sie ist unglaublich, hat ihn einfach ausgeknockt, ... unseren Alpha!“
„Kann doch kein reiner Mensch sein, oder?“
„Hast du gesehen, wie stark sie ist!?“
„Wenn wir sie gehen lassen, wird der Alpha sicher sauer werden. - Dennis! Besser du holst sie zurück und lässt Mathias nach ihr sehen. Ich glaube, sie hat sich bei dem Akt gerade ein paar Knochen gebrochen.“
„Das wird Dared sicher nicht gefallen!“
„Mir gefällt sie aber! Was für ein Temperament!“
„Hast du vielleicht gerade Todessehnsucht, Oliver?“
Die Stimmen rissen ab, als Rahel hinter sich die Haustür zuwarf und losrannte. Besser gesagt, sie versuchte es taumelnd. Doch nach nur wenigen Schritten war ihr wieder so schrecklich schwindelig, dass sie wieder hart aufkeuchend zu Boden ging.
„Hey! Hey, ... Mädchen! Ganz ruhig ... Es ist alles gut. Du brauchst nicht zu flüchten. Dir passiert doch nichts Schlimmes“, wollte ihr ein Typ aufhelfen, doch sie schrie ihn nur erneut schrill kreischend an und krabbelte weiter von ihm weg. Da war auf einmal dieser Irre wieder da und klaubte sie einfach zupackend vom Boden auf. Hatte der sich echt soschnell von ihrem Tritt und den Schlägen erholt?
Hallo?Wer war der Typ?!
- Superman?
Er klemmte sie sich diesmal extrem wütend knurrend unter den Arm und schleppte sie zornig schnaubend und ohne noch weiter auf ihr wildes Kreischen und Keuchen und auf ihn Einschlagen zu achten, zurück ins Haus, zwei Treppen hoch und in ein Zimmer hinein, wo er sie reichlich unsanft auf das breite Bett fallen ließ.
Rahel schrie erneut schrill auf vor Schmerz, weil sie auf der kaputten Hand aufkam, und rollte sich dann erst einmal ganz klein zusammen, während der Typ sich nun wieder über sie kauerte und sie böse anknurrte.
„Wage es nie wieder, mich, den Alpha dieses Rudels, vor allen anderen derart auszuknocken, sonst vergesse ich mal eben, dass du meine Luna bist und leg dich übers Knie, ist das klar?“, fauchte er sie finster an und Rahel spürte, weil sie sich prompt von ihm weggedreht hatte, seinen Atem in ihrem Nacken kribbeln.
„HÖR AUF!“, schrie sie sofort schrill schluchzend los.
Da strich sein Mund plötzlich ganz sachte über ihre Haut an der Wange und drückte dabei ihre Arme wieder herunter, die sie gerade schützend hatte heben wollen, bevor er ihr sachte über den Scheitel zu streicheln begann.
Hä ...?
Völlig gaga der Alte?
Sie brüllte schon wieder ganz hoch und schrill auf und schüttelte heftig den Kopf, trat nach ihm aus, da lachte er tatsächlich leise glucksend los.
„So ein starkes und tapferes Menschenmädchen und hat trotzdem noch Angst vor mir?“, spottete er belustigt und hauchte ihr dann aber plötzlich einen Kuss auf den Nacken, bevor er sie mit einem Ruck zu sich umdrehte und dann aber sofort ernsthaft werdend ihr nun tränenüberströmtes Gesicht betrachtete.
Seine Augen waren sofort wieder kühl und grau, die Belustigung schwand, als er bemerkte, dass sie tatsächlich gar nicht mitlachte oder etwa zornig war, so wie er erwartet hatte.
Seine dunklen Haare standen ihm wild zu Berge, als hätte er sie sich gerade heftig gerauft. Außerdem hatte er da tatsächlich ein paar leichte Flecken von ihren Schlägen im Gesicht.
Nur ein paar rote Stellen?!
Von einem Tritt an die Schläfe gab es doch mindestens eine fette Beule, oder? Also, ... was zum Teufel lief hier nur?
„Lass mich gefälligst in Ruhe, du irres Tier, du!“, brüllte sie ihn wieder an, okay, und das zeigte dann doch Wirkung. Er richtete sich abrupt wieder auf und rückte von ihr ab.
„Verzeih, ... ich wollte mich nicht lustig machen, sondern dir nur zeigen, dass du vor mir nichts zu befürchten hast. Schließlich bist du meine Mate, meine Seelenverwandte.“
„Hä? Sag mal, spinnst du?“, brüllte sie nun wieder vom Bettrand zurückweichend auf, jetzt da er sie losgelassen hatte, kroch sie von ihm zurück und seine Miene änderte sich wieder. War nun ... besorgt oder so ähnlich.
Rahel fragte sich einmal mehr, was hier gerade Seltsames ablief. Warum er sie verschleppt hatte, was diese dämlichen Wortspiele mit Alpha und Luna sollten und Mate und seelenverwandt. Sie wollte ihn schon fragen, ihn deshalb nochmal anbrüllen, bemerkte aber plötzlich, dass sein Blick den ihren gefangen hielt, ... genauso wie nun auch noch den ganzen Rest von ihr. Sie konnte tatsächlich keinen einzigen Muskel mehr bewegen, während er nun leise brummte oder summte. Konnte seiner Hand, die er nun hob, um ihr eine verschwitzte Strähne ihres braunen, langen Haares aus dem Gesicht zurückzustreichen, nicht ausweichen.
Es war fast so, als stünde sie unter einem magischen Bann, und nur ihre Lippen bebten gerade noch vor Angst, was dieses Monster nun mit ihr vorhaben mochte.
„Du hast so unglaublich schöne, große und vor allem dunkle Augen ... Bei Lunas Seele ... Du bist wunderschön.“, meinte sie ihn leise und wie verträumt wispern zu hören. Doch vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, weil ihr Herz immer noch Stakkato trommelte.
Warum nur konnte sie sich gerade nicht bewegen? Und warum nicht von ihm wegsehen?
Er hatte ebenfalls total krasse Augen, denn sie wechselten ständig die Farbe. Mal hellgrau wie Eis, dann mittelgrau wie ein Gletscherbach, den sie mal auf Island gesehen hatte, und dann auch noch ganz dunkel, fast schwarz, wenn er ebenfalls wütend wurde und knurrte. Einfach atemberaubend. Und angsteinflößend ... und faszinierend.
Außerdem pochte ihre Hand gerade immer mehr und mehr. Da löste sich auf einmal der Bann in ihrer Kehle und es gelang ihr zumindest leise zu flüstern:
„Was zum Teufel bist du eigentlich für ein Ding?“
Er hob wieder nur überrascht beide Brauen.
„Bist du denn noch immer nicht selbst darauf gekommen?“, fragte er sie sichtlich angespannt, ja fast schon besorgt.
Da war der Bann nun vollends gebrochen und sie schluchzte leise auf und stöhnte zugleich schmerzlich, während sie ihre wehe Hand nun an ihrer Brust barg.
„Du ... Du ... Was machst du nur mit mir? Du zauberst an mir rum, oder? Und du hast mich einfach so gebissen, bis aufs Blut! Warum hast du mich denn nur so derbe gebissen? Bist du etwa ein Vampir? Willst du mich umbringen, ja? ... Ich ... Ich verstehe das einfach nicht. Lass mich doch bitte wieder gehen.“, schluchzte sie leise vor sich hin und wich seinem eindringlichen, aber auch wieder verdutzten Blick nun doch lieber aus.
„Ein Vampir ...? Oh, bei Luna ... Nein! Nein, Kleines ... Ich bin kein Blutsauger. Denn die gibt es nun wirklich nicht in echt. Nein, ich bin ein Werwolf.“, erklärte er ihr verdutzt, was sie aber nur spontan schnaubend mit „Ja klar ... Und ich bin Onkel Dagobert und schwimme in Gold“, kommentierte.
Er lächelte sofort wieder.
„Ernsthaft!“, nickte er dennoch bekräftigend. „Wir sind Werwölfe und das da unten ist ein Teil meines Rudels. Jedoch ist diese Werwolfgeschichte nicht ganz so der Horror wie in den Gruselgeschichten. Wir sind verwandelt nicht solche Halbwesen, also halb Mensch und halb Bestie und unbewusst ohne jede Kontrolle. Auch Weihwasser und Silberkugeln machen uns nichts oder nur genauso viel oder wenig aus wie jedem anderen Menschen und wenn wir uns verwandeln, dann sind wir echte Wölfe, laufen wie solche, jagen wie solche, kämpfen als solche, leben wie sie. Seit zwei Jahren bin ich nun der Alpha dieses Rudels, ich wurde es mit siebzehn, war es nicht von Geburt an, doch durch Kampf und Sieg erhielt ich diesen Rang.“
Rahel hob nur wieder leicht schnaubend die Brauen, während er sie nun anlächelte wie ein Bekloppter. Doch das war er schließlich auch. Rannte mitten im Herbst bei gerade mal zehn Grad ohne Schuhe und Pulli draußen herum und spielte Werwolf.
Tja, ... haha.
Weshalb hatte sie ihn auch danach gefragt? Einen irren, durchgeknallten Hooligan, der meins und Mate schrie und sie aus der Schule entführt hatte und sich nun selbst Alpha nannte und auch noch etwas mit D. - Daniel. Daren. Dorin, ... irgend so etwas eben. War doch glasklar, dass sonst nur Schwachsinn von dem kam.
So wie jetzt auch wieder, denn er sprach einfach ganz munter und mit normal klingender Stimme weiter, lächelte sogar total stolz auf sie herunter ... Sachen gab es ...
„Das hier, also der Schwarzwald, ist unser angestammtes Territorium, weißt du? Hier im Umkreis sind fast alle menschlich aussehenden Wesen Werwölfe ... Also aus deiner Sicht gesehen sind es so etwas wie Gastaltwandler, wie aus dem Märchenbuch. Nur sind manche Märchen wirklich wahr und werden nur vor aller Augen und Ohren verborgen gehalten, damit wir und auch die Menschen in aller Ruhe miteinander leben können.
Und das tut unser Rudel schon seit Anbeginn der Besiedlung dieser Wälder durch den Menschen, noch vor den Römern, zur Zeit der alten Germanen. Einer von den ganz großen Häuptlingen soll sogar unser aller Ahne sein, der sich mit den Göttern handelnd auf diese Form des Lebens einließ, um seinen Clan vor grausamen Feinden zu retten“, erklärte er ihr seufzend. Anscheinend stand er nicht so auf seine selbst ausgedachte Geschichte ... oder aber er hatte bemerkt, dass sie nur höflich nickte und ihm kein Wort glaubte, doch er erklärte es ihr trotzdem, wohl nur, damit sie ihm vielleicht doch noch Glauben schenken würde. Tja ...
Da hatte er sich tatsächlich die Falsche ausgesucht.
Aber Rahel wunderte sich hier nun langsam über rein gar nichts mehr und versuchte nur, so wenig wie möglich zu zeigen, was sie tatsächlich von diesem durchgeknallten Arschloch hielt, das ihr vermutlich gerade Tetanus oder Aids oder eine Blutvergiftung verpasst hatte. Schließlich war es total widerlich und auch gefährlich, einen anderen Menschen bis aufs Blut zu beißen.
Aber davon hatte dieser Dämel wohl keine Ahnung.
Nein, ernsthaft, ... sie wollte nur noch, dass der Kerl verschwand, sich dann ein Telefon suchen und die Bullen anrufen, damit die diesen irren Typen in eine geschlossene Anstalt bringen würden.
Am besten ohne jeden Rückfahrschein.
Werwölfe, pah!
„Weißt du ...“, sprach er da schon weiter. „Hier in Waldbachtal wissen alle darüber Bescheid, dass wir existieren. Die Menschen arbeiten mit uns und für uns, leben in der Nähe des Rudels in unseren Diensten und auf lebenslangen Anstellungen mit von uns gestellten, schönen Wohnhäusern und vielen Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitaktivitäten, um neugierige Blicke abzuhalten. Denn kommen irgendwann einmal Gerüchte auf von wilden Bestien im Schwarzwald oder Werwölfen, dann findet ein übereifriger Reporter bei uns nur ein beschauliches Örtchen mit ganz normalen Menschen, während unser Rudel eher im Verborgenen und außerdem weitab von den Dörfern hier draußen in den Waldsiedlungen lebt.
Ebenso machen es auch andere Rudel in anderen Gebieten. Wir beschützen natürlich auch die Menschen, wenn es mal Krieg gibt und bezahlen sie für ihr Schweigen. Und dafür nehmen ihre Kinder dann im passenden Alter jedes Jahr an den Mädchenaustausch-Jahren teil oder sie melden diese an einem der fünf Wolfs-Internate in Deutschland an, damit jeder Werwolf hoffentlich schnell seine Mate findet. So wie ich nun dich gefunden habe.
Also, warum wurdest du hier an unserem Internat angemeldet und weist aber gar nichts von uns?“, verlangte er sanft brummend von ihr zu wissen und betrachtete sie kurz nachdenklich. Rahel war seltsam zumute. Der glaubte das wirklich, oder? Werwölfe? Und nur darum hatte er sie gebissen, um nun auch ein solches Fabelwesen aus ihr zu machen?
Entsetzt sah sie zu ihm auf.
„Aber ... es gibt nun mal keine Werwölfe, Mann! Du hast mich entführt und das ist echt schlimm. Wenn die Bullen das herausfinden, landest du im Knast, aber wenn du mich jetzt einfach gehen lässt, werde ich denen nichts verraten. Und auch nichts über deinen Geisteszustand sagen, okay? Denn was du da erzählst, ist einfach nur irre. Und dass du mich in den Hals gebissen hast, ist bestenfalls Körperverletzung, schlechtesten falls versuchter Mord!“, versuchte sie es wider besseres Wissen mit Vernunft.
„Okay, ... okay, ... du glaubst mir das jetzt noch nicht. Das verstehe ich. Du bist ohne das Wissen um die Rudel aufgewachsen und darum ist das, was ich dir erzähle, dass ich dich hergebracht und markiert habe, sicherlich erst einmal ein Schock für dich. Doch schon beim nächsten Vollmond wirst du so sein wie wir anderen.“, nickte er ihr kurz zu und strich ihr wieder sachte über die Wange, weil sie nun geschockt zu beben begonnen hatte.
„Werde ich garantiert nicht! Ich bin nämlich nicht verrückt!“, wisperte sie nur wieder leise.
„Nein, ... das bist du nicht. Aber du bist jetzt meine Mate. Das ist allerdings nur eine abkürzende Beschreibung für das, was wir eigentlich damit meinen: Seelenverwandte. So nennen wir diejenigen, die unser Gegenstück sind. Und ja, ... okay. Das ist für dich sicher nicht ganz einfach zu verstehen, aber ich musste dich heute schon beißen, um dich für mich zu markieren. Damit dich mir auch kein anderer Wolf mehr irgendwie wegschnappen kann.“, erklärte er ihr ruhig und grinste dann aber plötzlich wieder amüsiert vor sich hin.
„Und ich muss schon sagen ... Du hast da unten im Wohnzimmer gerade auch ganz schön Eindruck auf meine Leader gemacht. Ich meine, ... du bist ein echter Mensch. Und normalerweise nimmt ein Alpha sich nur eine geborene Werwölfin zur Gefährtin. Die Tochter eines Beta oder Tic.
Aber, da du nur aus Zufall hier gelandet bist, und tatsächlich gar nichts von uns wusstest, ist es für mich ein umso größeres Glück, dass ich dich so schnell gefunden habe.“, erklärte er ihr nun ganz weich und seltsam sanft klingend.
Rahel erschauerte unter seiner warmen Hand, die nun zart über die frische Bissspur an ihrem Hals strich. Doch sie zuckte zurück. „Was ist denn?“, fragte er sie besorgt.
„Ich will nicht, dass du die Wunde auch noch anfasst. Das entzündet sich doch sowieso. Und ich heiße übrigens immer noch nicht Mate und das will ich auch gar nicht heißen, ist mir egal, was es für dich bedeutet, okay? Also nenn mich gefälligst bei meinem Namen oder gar nicht ... Ich heiße Rahel, Rahel Degenhard und komme aus Bremerhaven. Bisher ging ich in Hamburg auf eine Schule, klar? Und ich sollte auch eigentlich gar nicht hier sein. Verstehst du das, ähm, ... Alpha?!
Ich bin die Falsche!
Du hast hier die absolut Falsche erwischt für dein Werwolfrollenspiel. Also lass mich bitte einfach gehen und such dir einen anderen Dummen. … Und jetzt will ich in nur noch in ein Krankenhaus. Meine Hand tut so weh ...“, flüsterte sie zum Schluss ganz leise geworden und drückte sie wieder fest an ihre Brust.
Er strich erneut mit einer zarten Bewegung des Daumens über ihr Kinn und schließlich beugte er sich vor, sog tief die Luft ein und strich dann mit dem Mund sanft über ihre Wange, die sie aber hastig wieder von ihm wegdrehte.
Das einzig Komische daran war ... Es fühlte sich weder peinlich noch eklig an, wenn er sie berührte, sondern war im Gegenteil sogar ganz angenehm und kribbelig und fühlte sich irgendwie richtig an, sodass Rahel sich nicht noch einmal dagegen wehren konnte.
„Meine Rahel. Das ist wirklich ein wunderschöner Name für ein wunderschönes Mädchen. Ich weiß, du bist nun erst mal verwirrt und unsicher. Doch hab jetzt keine Angst mehr, ja? Weder vor mir, noch vor dem Rudel. Auch wenn du jetzt noch nicht weißt, was es bedeutet, meine Luna zu sein, hattest du heute einen starken ersten Auftritt. Und das ist ein großer Vorteil bei uns Werwölfen.
Du brauchst dich übrigens auch nicht vor deiner ersten Verwandlung zu fürchten, ich werde bei dir sein und dir da durchhelfen, versprochen.“, sagte er nun wieder so ernsthaft, dass Rahel ihm fast hätte glauben mögen.
„Oh man, ... begreife das doch! Ich will und werde mich nicht verwandeln. Ich will auch nicht deine Luna, Mate oder auch nur Freundin sein!“, sagte sie nun ernsthaft trotzig zu ihm auf.
Sein warmes, nachsichtiges Lächeln aber raubte ihr nun wirklich den Atem.
„Bald schon wirst du es wollen, denn wir beide gehören zusammen. Und selbst wenn du nicht an diese Schule gekommen wärst, hätte ich dich irgendwann dort draußen gefunden, Rahel. Denn es ist nun mal deine Bestimmung, meine Seelengefährtin zu sein. Und meine ist es, dich für immer und ewig zu beschützen.“
Okay, ... er war also eindeutig wahnsinnig.
Rahel brach in Tränen aus.
Dared
Dared hatte das Gefühl, als würde gleich etwas in ihm zerbrechen. Ihre dunkelbraunen, ja fast schwarzen, Augen waren so wunderschön, aber auch so misstrauisch, traurig und voller Angst. Ihre Gestalt war nicht sehr groß, eher zierlich, klein und zart, mit langem braunem Haar und vollen, naturroten Lippen, in einem gerade schneeweißen, ovalen Gesicht. Unglaublich, dass dieses schöne, zarte Menschenmädchen wirklich nun seine Mate war.
Eigentlich hatte er Menschen ja immer verachtet, weil sie in der Regel zu schwach und dumm waren, um es mit den Werwölfen aufnehmen zu können.
Doch im letzten Jahr hatte er alle Werwolf-Rudel, wie auch sämtliche Mate-Bälle, die sie hier in Deutschland hatten, besucht und war sogar in den Territorien herumgereist, nur um sie zu finden. Den zweiten Teil seiner Seele, der ihm bisher immer gefehlt hatte.
Und sie war ein Mensch.
Nun ja, ... bald nicht mehr. Der Biss zeigte bereits Wirkung. Sie fühlte sich schon ein wenig zu ihm hingezogen.
Gut so.
Einmal mehr sog er ihren berauschenden Duft ein. Süß wie Schokolade mit einer herben Note, die wohl von ihrem hitzigen Temperament sprach.
Einfach atemberaubend.
Er hatte es sofort gerochen, als er vorhin frustriert aus dem Auto gestiegen war. Denn auf der Suche nach seiner Mate hatte er schon angefangen, den weiter gesteckten Umkreis über den Rand seines Territoriums hinaus, abzusuchen und war nur noch in der Hoffnung auf eine Witterung, die Straßen abgefahren. Und dann war es passiert. Ausgerechnet jetzt, als er eigentlich nur wieder nach Hause gekommen war, um sich noch mehr Geld zu holen und einen anderen fahrbaren Untersatz. Denn der Porsche war dort draußen in den freien Gebieten doch ein bisschen zu auffällig.
Er war nur vier Tage fort gewesen. Doch sein innerer Wolf hatte begeistert und hibbelig wie noch nie aufgejault, als er sie gespürt hatte. Seine Mate ... und sie war hier an der Wolfsschule. Schon kannte er kein Halten mehr und hatte sie vermutlich auch nur deshalb so sehr erschreckt, dass sie vor ihm getürmt war.
Sein Beta war nach anfänglicher Überraschung darüber, dass die neue Luna wirklich nur ein Mensch war, nun aber restlos begeistert von ihrem Temperament.
Seine Mutter jubelte nur noch und hatte gerade eben damit begonnen, ihm seine Lieblingskekse zu backen.
Das hatte sie schon seit über einem Jahr nicht mehr getan, weil sie gedacht hatte, die Götter würden ihn für seine Anmaßung bestrafen, den alten Alpha dieses Rudels und seinen Sohn herausgefordert und getötet zu haben.
Er, ... Dared, ... ein ehemaliger Beta-Sohn.
Doch Aristo hatte seinen Vater heimtückisch getötet, weil der einen Verrat des Alpha an seinem ganzen Rudel aufgedeckt hatte. Er hatte gerade noch die Kraft gehabt, es allen zu erzählen, bevor er seinen schweren Verletzungen erlegen war.
Aristos Sohn Hakon hatte daraufhin nur gegrinst und seinem Vater eiskalt vorgeschlagen, jeden zu töten, der gegen ihn protestierte. Angefangen beim Sohn des Beta.
Tja, nur hatte Dared dann in seiner fassungslosen Wut zuerst zugeschlagen und Hakon, der ihm schon immer ein Dorn im Fleisch gewesen war, mit einem gut gezielten Biss in die Kehle schnell getötet.
Seinen Vater, den zornigen Alpha, hatte er dann aber nur mit viel Glück besiegt und nachher viele Tage gebraucht, um sich von diesem zweiten Fight zu erholen.
Beinahe wäre auch er noch den vielen Verletzungen erlegen. Doch seither fürchteten ihn alle. Seine Härte gegenüber Aristos Befürwortern und dass er die gesamte erste Riege getötet hatte. Ja, er hatte die Werwölfe seines Alters um die Position der Leader kämpfen lassen und die alten ausgeschlossen, da er sie nach den Ereignissen um Aristo nun für unfähig hielt, auch nur das Beste für sein Rudel zu wollen.
Wer sich widersetzt hatte, den hatte er gnadenlos getötet oder als Rogue davongejagt. Es war ihm auch egal gewesen, dass sie ihn alle dafür gehasst und gefürchtet hatten bis heute.
Seine Mutter war gerade zum ersten Mal seit langem wieder ganz normal mit ihm umgesprungen und hatte ihn eben regelrecht begeistert von seiner Mate angefaucht, das jetzt bloß nicht zu versauen. Er sollte nicht die Geduld verlieren oder böse werden, nur weil das Mädchen ein reiner Mensch war und verständlicherweise nun ziemlich Angst vor ihm haben musste, ... ihrem Entführer. Es war zwecklos, Mahmen zu erklären, dass er das ja gar nicht war, oder dem Mädchen zu sagen, sie sollte aufhören, sich zu fürchten, denn das tat sie trotzdem.
Denn seine wunderschöne Luna hielt Werwölfe einzig für einen Mythos und kannte noch nicht einmal den Mate-Biss. Dared versuchte also schleunigst, seiner gerechten Empörung Herr zu werden, während er ihr kopfschüttelnd aus dem Haus folgte, um sie an der Flucht vor ihm zu hindern. Denn, dass sie ihn auch noch im Beisein seiner Mutter und seiner Anführer im Rudel angegriffen und besiegt hatte, war wirklich eine Schande. Aber anderseits natürlich auch bewunderungswürdig. Sie duckte sich nicht vor ihm, sondern kämpfte. Ganz anders, als er es bisher von Menschen gewohnt war.
Schon schnappte er sie sich und klemmte sie sich wie einen Sack Mehl unter den Arm.
Wohl möglich hatte er dabei aber nicht richtig aufgepasst, weshalb sie nun ihre Hand so schützend um krampfte und mit Tränen verhangenen Blicken zu ihm hochschaute ... mit heftig bebenden Lippen.
Bei Luna ... Er hatte das Gefühl, gleich kotzen zu müssen. Seine Mate litt gerade Schmerzen und war nun bleich und sogar richtig unterwürfig geworden.
Eigentlich ein Umstand, der ihn erfreuen sollte, doch er hielt es nicht aus.
Denn seine Luna sollte sich nicht so ängstlich vor ihm ducken. Ihm gefiel ihre kratzbürstige Art, ... er musste ihr sofort helfen. „Mathias!“, brüllte er wieder laut in Richtung Tür. Sein Beta öffnete sie mit dem Handy am Ohr.
„Er fährt gerade vor, Alpha! Er ist dreimal geblitzt worden und ein Polizist fährt hinter ihm die Auffahrt hoch, soll ich dir von ihm ausrichten ...“, meinte er ernsthaft.
Dared sah ihn nur aus zornroten Augen an und knurrte mit seiner besten Alpha-Stimme: „Dann kümmere dich darum! Wozu bist du sonst mein Beta?“
„Sofort, Alpha!“ Er verschwand schnell genug, dass er ihm nicht auch noch Beine machen musste. Schon kam der Rudelarzt Mathias die Treppe hinaufgesprungen. „Bin schon da, Alpha! Ich gratuliere. Wie ich höre, habt ihr eure Mate endlich gefunden ...“
„Sie leidet Schmerzen!“, herrschte er den etwas älteren Wolf nur knurrend wie ein Höllenhund an.
Der blonde Mathias nickte sofort unterwürfig den Kopf senkend und huschte schnell an seinem Rudelboss vorbei zum Bett hin, auf dem sich Rahel aber nun in die hinterste Ecke geflüchtet hatte. „Verzeih mir bitte, Luna, wenn ich mich einfach so vorstelle. Ich bin Rudelarzt Mathias. Darf ich mir bitte deine Hand ansehen, die du so fest umklammert hältst?“, fragte er sie sanft klingend. Rahel sah ihn aber nur eingeschüchtert an und schüttelte mit riesengroßen Augen den Kopf.
„Nun gib ihm schon deine Hand! Er beißt sie dir auch ganz sicher nicht ab, schließlich bin ich auch noch hier und werde dich beschützen!“, knurrte Dared sie nun ernsthaft ungeduldig an. Er konnte ihre Schmerzen nicht ertragen, ... sie wiegte sich sogar schniefend auf dem Bett vor und zurück und ihre wunderschönen, dunklen Augen schwammen vor gleich überlaufenden Tränen.
Also stürmte er nun schlicht zu ihr auf das Bett, als sie immer noch stur den Kopf schüttelte, und zog sie blitzschnell mit sich nach vorne an die Bettkante, hob sie dort auf seinen Schoß und legte ihr nachdrücklich eine Hand auf den Mund, um ihren sofortigen, schrillen Aufschrei zu unterdrücken.
Zugleich hielt er ihr gesundes Handgelenk eisern fest und nickte Mathias grimmig zu.
„Fang an!“
Rahel
Sie wusste nicht, wie ihr geschah, schon war dieser Verrückte, der sich für einen echten Werwolf hielt, übers Bett gesprungen, hatte sie gepackt und mit sich gezerrt.
Er hinderte sie auch noch am Schreien und hielt sie eisern fest, während der andere Kerl nun an ihrer verletzten Hand herumfingerte. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und sie zitterte, ... aber nicht nur vor Schreck oder Angst, oh nein!
Die Wärme dieses Typen ließ sie wohlig erschauern. Genauso wie sein Daumen, der über ihr Handgelenk strich.
Oh mein Gott!
Was lief hier nur?
Der Typ, der sich selbst Arzt genannt hatte, drückte nun auf ihre Knochen, zog zugleich an einem Finger und noch ehe sie wusste, was sie tat, biss sie Dared fest in die Handkante hinein.
Er knurrte und brummte aber nur wieder ganz leise, statt sie deswegen wütend anzufahren oder zu schlagen.
Verstehe einer diesen irren Kerl?!
Sie schmeckte sogar sein Blut auf der Zunge und irgendwie war ihr dadurch nun ganz seltsam zumute, schummrig und … zu warm. Sie spürte gerade kaum noch Schmerzen, bekam nicht einmal mehr mit, dass der Arzt ihr eine Handschiene verpasste ... oder dass weitere Personen ins Zimmer eintraten und dem Geschehen nun ruhig oder zuversichtlich lächelnd zuschauten. Rahel sah nur noch in seine eindringlich blickenden, grauen Augen, die Sorge darin, die Ruhe und Kraft.
Sie bemerkte sein leichtes, seltsam verwundertes Stirnrunzeln, während er nur immer weiter brummte, ... knurrte ... oder schnurrte? Oder war das etwa eine Sprache, mit der er sie beruhigen wollte? Rahel wusste es nicht mehr. Es vermischte sich in Klang und Ton zu einem anhaltend brummenden Geräusch, das sie unglaublich beruhigte, tröstete und irgendwie sogar geborgen hielt.
Sie lehnte sich schließlich nur noch leise seufzend an ihn, löste ihre Zähne von seiner Hand, atmete im selben Rhythmus wie er und es war ... irgendwie gut.
Er roch so anziehend. Seltsam, aber gut. Und er hielt weiter den Blickkontakt mit ihr, bis der Arzt auf einmal laut und deutlich, „Fertig!“, sagte.
Und da brach der Bann, den er scheinbar mit seinem knurrigen Gebrumm über sie gelegt hatte. Wieder so eine seltsame Zauberei, genauso wie vorhin mit seinem Blick, oder?
Verwirrt blinzelnd ließ sie es zu, dass er sie zurück auf das Bett setzte und in die Kissen drückte, bevor er lächelnd seine blutige Handkante betrachtete.
„So hast du mich nun also auch markiert. Gleiches Recht für alle, meine Luna.“, knurrte er sanft und sah dann über seine Schulter zu dem Arzt hin.
„Wie lange muss sie denn das Ding jetzt tragen, Doc?“, nickte er auf ihre geschiente Hand herunter.