Die Gemahlin des Meerkönigs - S.E. Smith - E-Book

Die Gemahlin des Meerkönigs E-Book

S.E. Smith

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Beschreibung

Eine Welt voller Drachen, Meermenschen, Piraten, Hexen, Monster, Elementargeister, liebenswerter, schelmischer Jungs, die sich eine neue Mutter wünschen, und umwerfender, einsamer Könige, die von Geheimnissen umwoben sind …
Jenny Ackerly kann sich nicht dazu durchringen, die Suche nach ihrer besten Freundin Carly aufzugeben, noch nicht. Sie würde es wissen, wenn Carly tot wäre – da ist sie sich ganz sicher! Obwohl es heute genau zwei Jahre her ist, seit Carly spurlos im Yachats State Park verschwunden ist und Jenny weiß, dass sie mit dem Thema abschließen sollte, verspürt sie trotzdem das dringende Bedürfnis, ein letztes Mal in den Park zu gehen …
Orion ist der mächtige Herrscher der Insel der Meeresschlange und Beschützer der Ozeane – und hat sich noch nie in seinem Leben so hilflos gefühlt. Schon seit Hunderten von Jahren sind die Augen der Meeresschlange im Besitz seiner Familie und verleihen ihnen Macht über die Ozeane, doch nun sind sie gestohlen worden! Währenddessen droht der Pakt, den sein ältester Sohn mit der Meerhexe geschlossen hat, das Schicksal der Meermenschen zu besiegeln – möglicherweise das Schicksal aller Sieben Königreiche, denn Orions Volk wird in dem bevorstehenden Krieg bestimmt gebraucht werden. Die Situation scheint aussichtslos … bis eine temperamentvolle Frau aus einer anderen Welt auftaucht.
Ein ungewöhnliches Bündnis zwischen Jenny und Orion könnte alles verändern, aber wie kann das Böse besiegt werden, das in den Tiefen des Ozeans lauert?
Die weltberühmte Autorin S.E. Smith präsentiert ein neues aufregendes Buch voller Leidenschaft und Abenteuer. Durch ihren einzigartigen Humor, die lebhaften Landschaften und die beliebten Charaktere wird dieses Buch garantiert ein weiterer Fan-Favorit!

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Die Gemahlin des Meerkönigs

Eine Sieben Königreiche Erzählung 2

S.E. Smith

Danksagung

Ich danke meinem Mann Steve dafür, dass er an mich geglaubt hat und so stolz auf mich war, dass ich den Mut hatte, meinem Traum zu folgen. Ein besonderer Dank gilt außerdem meiner Schwester und besten Freundin Linda, die mich nicht nur zum Schreiben ermutigt, sondern auch das Manuskript gelesen hat; und auch meinen anderen Freundinnen, die an mich glauben: Maria, Jennifer, Jasmin, Rebecca, Julie, Jackie, Lisa, Sally, Elizabeth (Beth), Laurelle, und Narelle. Diese Mädels geben mir Kraft!

Und ein ganz besonderes Dankeschön an Paul Heitsch, David Brenin, Samantha Cook, Suzanne Elise Freeman, Laura Sophie, Vincent Fallow, Amandine Vincent, und PJ Ochlan – die wunderbaren Stimmen meiner Hörbücher!

—S.E. Smith

Die Gemahlin des Meerkönigs

Eine Sieben Königreiche Erzählung 2

Copyright © 2021 bei Susan E. Smith

Erstveröffentlichung des E-Books auf Englisch Dezember 2017

Erstveröffentlichung des E-Books auf DeutschApril2021

Umschlaggestaltung von: Melody Simmons und Montana Publishing

ALLE RECHTE VORBEHALTEN: Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der Autorin auf irgendeine Art und Weise vervielfältigt werden, dazu zählen auch vollständige oder teilweise elektronische oder fotografische Vervielfältigungen.

Alle Charaktere und Ereignisse in diesem Buch rein fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen oder tatsächlichen Ereignissen oder Organisationen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Zusammenfassung: Die verzweifelte Suche einer jungen Frau nach ihrer Freundin führt sie in ein magisches Unterwasser-Königreich, in dem das Böse lauert.

ISBN: 9781955158015 (Taschenbuch)

ISBN: 9781955158008 (eBook)

Science Fiction Romance – Aliens | Romantic Comedy | Action Adventure Romance

Veröffentlicht von Montana Publishing, LLC

und SE Smith von Florida Inc. www.sesmithfl.com

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Weitere Bücher und Informationen

Über die Autorin

Übersicht

Eine Welt voller Drachen, Meermenschen, Piraten, Hexen, Monster, Elementargeister, liebenswerter, schelmischer Jungs, die sich eine neue Mutter wünschen, und umwerfender, einsamer Könige, die von Geheimnissen umwoben sind …

Jenny Ackerly kann sich nicht dazu durchringen, die Suche nach ihrer besten Freundin Carly aufzugeben, noch nicht. Sie würde es wissen, wenn Carly tot wäre – da ist sie sich ganz sicher! Obwohl es heute genau zwei Jahre her ist, seit Carly spurlos im Yachats State Park verschwunden ist und Jenny weiß, dass sie mit dem Thema abschließen sollte, verspürt sie trotzdem das dringende Bedürfnis, ein letztes Mal in den Park zu gehen …

Orion ist der mächtige Herrscher der Insel der Meeresschlange und Beschützer der Ozeane – und hat sich noch nie in seinem Leben so hilflos gefühlt. Schon seit Hunderten von Jahren sind die Augen der Meeresschlange im Besitz seiner Familie und verleihen ihnen Macht über die Ozeane, doch nun sind sie gestohlen worden! Währenddessen droht der Pakt, den sein ältester Sohn mit der Meerhexe geschlossen hat, das Schicksal der Meermenschen zu besiegeln – möglicherweise das Schicksal aller Sieben Königreiche, denn Orions Volk wird in dem bevorstehenden Krieg bestimmt gebraucht werden. Die Situation scheint aussichtslos … bis eine temperamentvolle Frau aus einer anderen Welt auftaucht.

Ein ungewöhnliches Bündnis zwischen Jenny und Orion könnte alles verändern, aber wie kann das Böse besiegt werden, das in den Tiefen des Ozeans lauert?

Die weltberühmte Autorin S.E. Smith präsentiert ein neues aufregendes Buch voller Leidenschaft und Abenteuer!

Die Sieben Königreiche Referenzen

Insel der Elementargeister – als erste geschaffen

König Ruger und Königin Adrina

•Beherrschen Erde, Wind, Feuer, Wasser und Luft. Leider ist ihre Macht außerhalb ihrer Insel schwächer.

•Geschenk der Göttin: Das Juwel der Macht.

Dracheninsel – als zweite geschaffen

König Drago

•Herrscht über die Drachen

•Geschenk der Göttin: Drachenherz.

Insel der Meeresschlange – als dritte geschaffen

König Orion

•Herrscht über die Ozeane und Meeresgeschöpfe

•Geschenk der Göttin: Die Augen der Meeresschlange.

Zauberinsel – als vierte geschaffen

König Oray und Königin Magika

•Ihre Zauberkräfte sind extrem mächtig, lassen aber etwas nach, wenn sie nicht auf ihrer Insel sind.

•Geschenk der Göttin: Der Reichsapfel des ewigen Lichts.

Insel der Monster – als fünfte geschaffen, für all diejenigen, die zu gefährlich oder selten sind, um auf den anderen Inseln zu leben.

Kaiserin Nali kann die Zukunft sehen.

•Geschenk der Göttin: Der Spiegel der Göttin

Insel der Riesen – als sechste geschaffen

König Koorgan

•Riesen können gigantische Ausmaße annehmen, wenn sie bedroht werden – aber nur, wenn sie sich außerhalb ihrer Insel befinden

•Geschenk der Göttin: Der Baum des Lebens.

Pirateninsel – als letzte geschaffen, für alle, die von den anderen Inseln verstoßen wurden.

Der Piratenkönig Ashure Waves, Hüter der verlorenen Seelen

•Sammler der schönen Dinge. Die wilden und cleveren Piraten durchstreifen die Inseln, handeln, feilschen und bedienen sich gelegentlich an interessanten Gegenständen.

•Geschenk der Göttin: Der Geisterkessel.

Charaktere:

Magna: halb Hexe/halb Meerjungfrau ist Orions entfernte Cousine väterlicherseits

Drago: König der Drachen.

CarlyTate: Bankangestellte aus Yachats, Oregon

Orion: König des Meeresvolks

JennyAckerly: Lehrerin und Carlys beste Freundin

Dolph: Orions 8-jähriger Sohn aus seiner ersten Ehe

Juno: Orions 5-jähriger Sohn aus seiner ersten Ehe

Shamill: Orions erste Frau – verstorben.

Kapian: Orions Hauptmann und bester Freund

Kelia: Orions altes Kindermädchen

Coralus: Kelias Ehemann, königlicher Wächter & Orions und Kapians Mentor

Kell: Magnas Vater

Seline: Magnas Mutter

AshureWaves: König der Piraten

Bleu LaBluff: Ashurs Stellvertreter

Nali: Kaiserin der Monster

Ross Galloway: Fischer aus Yachats, Oregon

Mike Hallbrook: Polizeikommissar in Yachats, Oregon

Koorgan: König der Riesen

Isha: Hauptmann der königlichen Leibgarde auf der Zauberinsel

Magika: Königin der Zauberinsel

Cyan: Weiblicher Zyklop: Boosts Gefährtin

Boost: Männlicher Zyklop: Cyans Gefährte

Meir: Minotaurus

Prolog

Fünf Jahre zuvor:

„Eure Majestät“, rief eine der Wachen Orion mit eindringlicher Stimme zu.

Orion drehte sich stirnrunzelnd um. Er gab Kapian, dem Hauptmann seiner Leibgarde, mit einem Nicken zu verstehen, dass er auf ihn warten sollte. Sie mussten den Schaden begutachten, die ein kleines Erdbeben vor drei Stunden verursacht hatte, einen Aktionsplan ausarbeiten, um den Betroffenen zu helfen, und Hilfstrupps schicken, um mit den Reparaturen zu beginnen.

Kapian und er waren gerade von einer Erkundungsmission an der Küste zurückgekehrt. Durch das Beben hatten sich Risse im felsigen Meeresgrund gebildet und es hatte sich eine Spalte geöffnet, in die sie fast hineingesogen worden wären. Als sie erkannt hatten, dass das Beben wahrscheinlich auch die Insel treffen würde, waren sie eilig zur Insel der Meeresschlange zurückgekehrt.

Nach ihrer Rückkehr hatten sie festgestellt, dass die Unterwasserstadt zwar keinen Schaden genommen hatte, dafür aber die Stadt darüber, wie ihm berichtet worden war. Auch wenn es kein starkes Erdbeben gewesen war, machte er sich Sorgen, dass ein Tsunami vielleicht noch mehr Schaden im oberen Königreich anrichten könnte. Die neuen Gebäude waren zwar so konstruiert, dass sie viel stärkeren Beben standhalten konnten, aber es gab auch viele ältere Bauten, die einstürzen könnten. Die Furchen auf seiner Stirn wurden noch tiefer, als er begriff, wer nach ihm gerufen hatte. York war der persönliche Leibwächter seiner Frau und für gewöhnlich immer in ihrer Nähe.

„Gibt es ein Problem?“, fragte er, als er Yorks besorgten Blick bemerkte.

„Es geht um die Königin, Eure Majestät. Sie ist bei dem Erdbeben verletzt worden“, erklärte York.

„Orion, soll ich ...“, fragte Kapian und drehte sich zu Orion um.

Doch Orion schüttelte bei Kapians mitfühlendem Tonfall nur den Kopf. „Finde heraus, ob noch jemand verletzt wurde, Kapian. Ich kümmere mich währenddessen um Shamill“, wies Orion ihn an, bevor er sich wieder York zuwandte. „Wo ist sie?“

„In ihren Gemächern, Eure Majestät“, antwortete York.

Orion drängte sich an dem Wachmann vorbei und schritt auf die Gemächer seiner Frau zu. Die Palastwachen richteten sich auf, als er vorbeiging, aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Seine Gedanken waren bei Shamill.

„Eure Majestät“, rief York ihm nach.

Mit der Hand am Griff der Tür zu Shamills Wohnbereich drehte Orion sich ungeduldig zu der Wache um. Er wartete darauf, dass York zu ihm aufschloss und kniff die Lippen zusammen, als er den traurigen Blick des Mannes sah.

„Was ist?“, fragte er.

„Ich sollte Euch warnen ...“, sagte York, bevor er verstummte und zur Tür blickte. „Die Verletzungen der Königin sind äußerst schwerwiegend. Ich hätte sie besser beschützen müssen. Ich möchte Euch mein aufrichtiges Bedauern aussprechen, Eure Majestät.“

Orion wartete Yorks nächste Worte nicht ab. Das musste er auch nicht – dem Gesichtsausdruck des Mannes nach zu urteilen mussten Shamills Verletzungen schlimmer sein, als er zunächst gedacht hatte. Er drehte sich um und stieß die Tür auf. Als er den Raum betrat wandten sich drei Heiler zu ihm um und machten eine respektvolle Verbeugung. Sie sagten kein Wort, als er durch das Wohnzimmer zu Shamills Schlafzimmer ging.

In der Tür hielt er einen kurzen Augenblick lang inne. Neben den Heilern, die sich im Wohnzimmer unterhielten, waren noch drei weitere Frauen im Zimmer seiner Frau. Die erste war eine von Shamills Hofdamen, die Shamills blasse Stirn mit einem feuchten Tuch abtupfte. Shamill lag auf den makellosen weißen Laken, die fast die gleiche Farbe wie ihre Haut hatten. Sein Blick fiel auf die zweite Frau, die in der Nähe des Fensters stand. Sie hielt ein kleines Bündel in ihren Armen und wiegte es hin und her.

„Eure Majestät“, murmelte die dritte Frau, Kelia, und neigte respektvoll den Kopf.

Kelia war früher sein Kindermädchen gewesen und hatte sich in den späteren Monaten von Shamills Schwangerschaft um sie gekümmert. Sein Blick glitt über Kelias faltiges Gesicht, bevor er auf Shamills friedlichem Gesicht verweilte. Ihm war der besorgte Blick der älteren Frau nicht entgangen.

„Wie geht es ihr?“, fragte er mit leiser Stimme.

„Nicht gut, Eure Majestät. Ihre Hoheit ist gerade über die oberen Klippen spaziert, als sich das Erdbeben ereignet hat. Ein Teil der Stützmauer entlang einer der Pfade ist über ihr eingestürzt und hat sie unter sich begraben“, erklärte Kelia mit zitternder Stimme. „Ihr Wächter hat sie gefunden und um Hilfe gerufen.“

„Das Baby ...“, fragte Orion zögernd.

„Euer Sohn hat überlebt, aber ihre Anstrengungen, ihn am Leben zu halten, bis er geboren werden konnte, haben die Königin das Leben gekostet“, antwortete Kelia.

Orion ging zum Bett hinüber. Shamills Hofdame erhob sich und ging schweigend zum Fenster. Orion ließ sich neben seine Frau auf das Bett sinken.

Im Hintergrund hörte er, wie Kelia der jungen Frau, die neben dem Fenster stand, leise etwas zu murmelte. Die junge Frau, die seinen Sohn in den Armen hielt, reichte Kelia den Säugling, bevor sie und Shamills Hofdame leise den Raum verließen. Kelia ging zu ihm und hielt ihm den Säugling hin. Orion nahm das Baby behutsam in seine Arme.

„Ich bin vor der Tür, falls Ihr mich braucht“, flüsterte Kelia.

Orion nickte und blickte auf die runden, rosigen Wangen des schlafenden Säuglings hinab. Er hob einen Finger und strich damit sanft über die Wange des Babys. Fast sofort drehte das Baby den Kopf und öffnete den Mund.

„Ist ... er ... gesund?“, fragte Shamill mit kaum hörbarer Stimme.

Orion blickte zu Shamill. Ihre Augen waren offen, aber er konnte die Schatten des Todes darin sehen. Ihr Blick war nicht mehr scharf und klar und der Glanz, der normalerweise in ihren Augen schimmerte, war kaum noch zu sehen.

„Ja, das ist er“, sagte Orion und verlagerte das Baby in seinen Armen, sodass Shamill es sehen konnte.

Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, bevor es wieder verblasste. Sie zuckte zusammen und holte zitternd Luft. Ihre Augenlider flatterten und schlossen sich für einen Moment, bevor sie sie mühsam wieder öffnete. Als ihre Blicke sich trafen, überkam ihn ein Gefühl der Traurigkeit. Obwohl Shamill und er nie richtig ineinander verliebt gewesen waren, waren sie gute Freunde. Er respektierte ihre stille Anmut und ihre Güte.

„Dolph …“, flüsterte Shamill.

„Er ist in Sicherheit“, beruhigte Orion sie.

„Lass mich … nur ein … Mal … bevor …“

Orion legte das Baby sanft auf Shamills Brust. Instinktiv streckte er die Hand aus, um die Träne aufzufangen, die aus ihrem Augenwinkel gesickert war. Sie bewegte ihre linke Hand, aber sie war zu schwach, um sie zu heben. Er griff danach und legte ihre kalten Finger an die warme Wange ihres Sohnes.

„Welcher ... Name ...?“, fragte sie mit schwacher Stimme.

„Juno. Sein Name ist Juno, so wie du es wolltest“, erwiderte Orion mit einem kleinen, traurigen Lächeln.

„Juno …“, flüsterte Shamill.

Orion griff nach ihrer Hand, als sie ihm zu entgleiten begann. Er zog ihre kalten Finger an seine Lippen und drückte einen Kuss auf ihre Fingerspitzen. Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, als das letzte Licht in ihren Augen noch einmal aufleuchtete und dann erlosch. Juno stieß einen durchringenden Schrei aus. Es war, als könne das Kind spüren, dass seine Mutter fort war.

„Möge deine Reise dich ins Glück führen, Shamill. Ich werde unsere beiden Söhne und das Königreich beschützen“, sagte Orion mit ruhiger Stimme.

Er beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er das quengelnde Baby sanft in seine Arme schloss. Trauer durchflutete ihn, als er sich vom Bett erhob und sich umdrehte. Direkt vor der Tür stand Kelia. Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu, aber er schüttelte den Kopf.

„Wo ist Dolph?“, fragte er.

„Der junge Lord ist im Garten mit seinem Kindermädchen“, erwiderte Kelia.

„Ich möchte, dass du ein Kindermädchen für Juno findest. Sag ihr, sie soll mich in zehn Minuten im Garten treffen“, befahl Orion.

„Ja, Eure Majestät“, antwortete Kelia mit einer Verbeugung.

Orion durchquerte das Wohnzimmer und ging auf den Balkon hinaus. Da sie unter Höhenangst litt und gerne in der Nähe der Gärten war, hatte Shamill auf einer Wohnung im ersten Stock bestanden, als sie geheiratet hatten. Seine eigenen Gemächer befanden sich im Westturm. Er zog es vor, auf den Ozean hinauszuschauen, wenn er auf der Insel war.

Orion überquerte den breiten, überdachten Balkon und stieg dann die Stufen hinunter, die zu dem Steinweg führten. Instinktiv schirmte er das Baby in seinen Armen ab, als er durch den Garten ging. Obwohl die Sonne schon relativ tief stand, wusste er, dass das Baby empfindlich auf Licht reagieren würde. Unter einem Baum hielt er inne und lauschte. Er lächelte, als er das Juchzen seines ältesten Sohnes hörte, gefolgt von einem Plätschern.

„Master Dolph, du sollst dich doch nicht nass machen! Bald gibt es Abendessen“, schimpfte das Kindermädchen mit strenger Stimme.

Orion ging den Weg hinunter zu einem kleinen Bach, der durch den Garten lief. Dolph saß lachend und planschend im Wasser. Sein ältester Sohn hatte es bereits faustdick hinter den Ohren und der frustrierte Gesichtsausdruck der Frau verriet ihm, dass er sich wahrscheinlich schon bald nach einem neuen Kindermädchen für ihn umsehen musste.

„Ich werde mich um ihn kümmern“, sagte Orion bestimmt.

Die Frau drehte sich überrascht um. Orion bemerkte, wie ihr Blick zuerst zu dem Baby in seinen Armen und dann wieder zu seinem Gesicht wanderte. Sie sah erschüttert aus.

„Ja, Eure Majestät. Ich … Mein Herz ist bei der Königin“, sagte sie und fasste sich ans Herz.

„Danke für Ihre Anteilnahme“, erwiderte Orion, bevor er seine Aufmerksamkeit auf seinen ältesten Sohn richtete. „Dolph, komm her.“

„Vater, ich kann das Wasser tanzen lassen!“ Dolph kicherte und wackelte mit den Fingern.

Orion sah zu, wie das Wasser auf das Kommando seines Sohnes hin nach oben stieg und umherwirbelte. Es war nicht zu leugnen, dass Dolph eines Tages ein sehr mächtiger Herrscher sein würde. Die Freude seines ältesten Sohnes entlockte Orion ein Lächeln. Das Leben würde weitergehen.

„Sehr gut, mein Sohn. Schau mal, ich möchte dir deinen kleinen Bruder vorstellen“, sagte Orion. Er ging zu einer Steinbank unter einem Baum und setzte sich.

„Kann ich ihm beibringen, wie man das Wasser tanzen lässt?“, fragte Dolph und kletterte auf die Bank.

Orion gluckste. „Wenn er älter ist“, versprach er.

Dolph lief auf seinen Vater zu. Er hielt inne und betrachtete das kleine Bündel in Orions Armen, bevor er stirnrunzelnd wieder zu seinem Vater aufblickte. Wieder lächelte Orion, als er den verwirrten Gesichtsausdruck seines Sohnes sah.

„Er ist klein“, sagte Dolph mit einem erneuten Blick auf seinen Bruder.

„Das warst du auch, als du in seinem Alter warst“, erklärte Orion geduldig.

„Darf ich ihn anfassen?“, fragte Dolph und blickte zu seinem Vater auf.

„Ja, aber sei vorsichtig“, erwiderte Orion und positionierte Juno so, dass sein älterer Bruder ihn besser sehen konnte.

„Mutter ist fortgegangen. Wollte sie nicht mehr bei uns sein?“, fragte Dolph, während er mit einem Finger über Junos Wange strich.

„Wer hat dir von deiner Mutter erzählt?“, fragte Orion und sah seinen Sohn aufmerksam an.

Dolph kicherte, als Juno seinen Mund öffnete und versuchte, an seinem Finger zu saugen. Orion presste verärgert die Lippen aufeinander. Es war seine Aufgabe, Dolph zu erklären, was mit Shamill geschehen war. Wenn das Kindermädchen etwas gesagt hatte …

„Das Wasser“, antwortete Dolph nur. „Wird er Zähne bekommen?“

„Das Wasser ...?“, fragte Orion und runzelte die Stirn.

Dolph nickte und sah zu seinem Vater auf. „Das Wasser hat mir gesagt, dass Mutter in den Ozean zurückgekehrt ist. Es hat gesagt, ich solle nicht traurig sein, weil wir eines Tages eine neue Mutter haben würden, die uns genauso lieb hat“, fuhr er fort. „Kann ich wieder im Wasser spielen?“

Orion nickte, verblüfft über die Aussage seines Sohnes. Dann erregte das Geräusch von herannahenden Schritten seine Aufmerksamkeit. Auf dem Pfad, der zu der Steinbank führte, auf der er saß, standen Kapian, Kelia und ein junges Mädchen.

Orion erhob sich, als sie auf ihn zukamen. Kelia streckte die Hand nach Juno aus, der wieder zu wimmern begann. Er reichte ihr das Neugeborene.

„Wir werden uns um ihn kümmern, Eure Majestät“, sagte Kelia. „Das ist meine Enkelin, Karin.“

„Danke, Kelia“, erwiderte Orion abwesend.

Ihm wurde erst so richtig bewusst, was geschehen war, als er zusah, wie Karin Juno in ihren Armen wiegte, bevor sie und Kelia sich umdrehten und wieder davongingen. Orion drehte sich zu Dolph um und sah ihm zu, wie er im Wasser spielte. Selbst im zarten Alter von zweieinhalb Jahren zeigte sich bei seinem Ältesten schon die Macht, die mit seinem Geburtsrecht als Prinz des Meeresvolks einherging. Dolph würde eine strenge Hand brauchen, die ihn führte.

Orion blickte zu seinem Freund Kapian. „Ich will genau wissen, was passiert ist. Shamill hatte große Höhenangst. Sie wäre niemals einfach so den Klippenpfad entlangspaziert“, sagte er grimmig.

„Ich werde so bald wie möglich einen vollständigen Bericht für dich haben. Außerdem habe ich den Bau von temporären Sicherheitsgeländern entlang der Klippen angeordnet. Es wird eine Weile dauern, bis alle Schäden behoben sind, aber wir werden alles tun, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt“, versicherte Kapian ihm.

Orion nickte gedankenverloren. Es gab im Moment zu viel zu tun, um der Trauer nachzugeben, die auf ihm lastete. Shamills Tod würde nicht nur in seinem Leben eine Lücke hinterlassen, sondern im gesamten Königreich.

Kapitel 1

Heute – Yachats, Oregon:

Jenny Ackerlys Herz sagte ihr, dass ihre beste Freundin nicht tot war – auch wenn ihr Kopf das Gegenteil behauptete. Die lange, kurvenreiche Straße, die durch den Redwood Nationalpark an der Küste von Oregon führte, fühlte sich genauso wie ihr Leben in den letzten zwei Jahren seit Carlys Verschwinden an – eine nicht enden wollende Reise voller Drehungen und Wendungen. Sie war bereit, die Straße des Lebens ein wenig zu begradigen, damit sie sehen konnte, wohin sie führte.

„Sie ist nicht tot. Ich würde es wissen, verdammt noch mal!“, fluchte sie leise.

Das Brennen in ihren Augen und das plötzliche Bedürfnis zu niesen warnten Jenny, dass sie kurz davor war, zu weinen. Das tat sie immer, wenn sie sich dem Yachats State Park bis auf acht Kilometer genähert hatte.

Den Blick auf die Straße gerichtet, lehnte sie sich über den Beifahrersitz, öffnete das Handschuhfach ihres Subaru Outback und zog eine Handvoll Servietten heraus, die sie aus verschiedenen Restaurants mitgenommen hatte. Die Taschentücher, die von ihrer letzten Fahrt hierher vor drei Monaten noch übrig gewesen waren, hatte sie bereits aufgebraucht.

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, bevor sie sich lautstark in die feuchte Serviette schnäuzte. Dann stopfte sie die benutzte Serviette in die leere Taschentuchbox und drehte das Radio lauter. Wieder fluchte sie lautstark, als ein neuer Song begann und sie erkannte, dass es einer von Carlys Lieblingssongs war. Das brachte das Wasserwerk natürlich so richtig zum Laufen. Sie drückte den Knopf und schaltete das Radio aus.

Dann schnappte sie sich eine weitere Serviette und tupfte die Tränen ab, die ihr die Sicht verschleierten. Wenn sie zu stark weinte, würde sie auf dem Seitenstreifen anhalten müssen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie anhalten musste, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Leider war das Einzige, was Weinen bewirkte, dass ihr Gesicht rot wurde und sie wertvolle Zeit verlor, die sie nutzen konnte, um herauszufinden, was mit Carly geschehen war. Sie schnäuzte sich noch einmal und stopfte das benutzte Taschentuch wütend in die Schachtel, die rasch immer voller wurde.

„Ich schwöre, wenn ich herausfinde, wer dir das angetan hat, Carly, mache ich sie fertig. Ich werde sie in Stücke reißen, wieder zusammensetzen, sie fragen, wie es sich anfühlt, und dann das Ganze noch einmal machen“, schwor Jenny und umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. „Wenn sie dir … wehgetan … haben, werde ich sie in einem Feuerameisenbett mitten in der Wüste begraben und zusehen, wie sie von den Ameisen verschlungen werden, während ich an einer eiskalten Limonade nippe.“

Okay, das würde sie nicht wirklich tun, aber sie konnte es sich vorstellen. Ja, sie konnte ein bisschen unangenehm werden, wenn jemand ihre Freunde verletzte. Jenny fand, dass das einfach dazugehörte, wenn man rote Haare hatte. Eigentlich war sie für ihr nettes, ausgeglichenes Wesen bekannt – bis jemand etwas tat, das sie verärgerte. Dann kam das Temperament, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, in seiner ganzen feurigen Pracht zum Vorschein.

Als sie die Ausfahrt vor sich sah, wurde Jenny langsamer und betätigte den Blinker. Sie bog links in die Einfahrt zum Yachats State Park ein und folgte der Straße bis zum Ranger-Posten. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, aber das würde sie nicht von ihrer Mission abhalten. Egal, ob Regen oder Sonnenschein, Kälte oder Nebel, sie würde die Strecke laufen, die Carly genommen hatte, bevor sie verschwunden war. Sie würde jeden winzigen Zentimeter absuchen, in der Hoffnung, dass das Wetter und die Zeit vielleicht irgendeinen Hinweis freigelegt hatten, den die Polizei und die freiwilligen Helfer vor zwei Jahren übersehen hatten, als sie ihre Freundin als vermisst gemeldet hatte.

„Wie viele?“, fragte der Ranger, als sie an das Fenster heranfuhr.

„Nur eine“, antwortete Jenny und reichte ihm ihre Jahreskarte.

Der Ranger musterte die Karte kurz, bevor er Jenny anschaute. Sie konnte spüren, wie sein Blick über ihr Gesicht wanderte. Es dauerte nicht lange, bis er sie erkannte.

„Du bist das Mädchen, das immer nach der Verschwundenen sucht, nicht wahr?“, fragte der Ranger und stützte sich auf die Fensterbank.

Jenny zog eine Grimasse und nickte. „Ihr Name ist Carly Tate. Hat jemand etwas gefunden?“, fragte sie und streckte ihre Hand nach dem Ausweis aus.

„Nichts. Gelegentlich kommen noch ein paar Leute, um nach Spuren zu suchen, aber das letzte Mal, dass jemand da war, ist schon eine Weile her“, antwortete der Ranger mit einem freundlichen Lächeln. „Ich habe um drei Uhr Feierabend, wenn Sie möchten, dass ich Sie begleite.“

Jenny schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. „Das ist schon okay. Ich habe heute nicht viel Zeit“, log sie.

Der Ranger machte ein langes Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Seien Sie vorsichtig. Entlang des Pfades, der zur Bucht hinunterführt, gibt es einige Erosionen“, sagte er und reichte ihr den Pass und einen Parkschein. „Und halten Sie Ausschau nach plötzlichen Wetteränderungen. Um diese Jahreszeit kann es schnell neblig werden oder regnen. Das erschwert die Sicht.“

„Das werde ich, danke.“

Jenny wartete den Rest seines auswendig gelernten Vortrags nicht ab. Da sie in dieser Gegend aufgewachsen war, war sie mit den plötzlichen Wetterumschwüngen bestens vertraut und wusste, wie man damit umzugehen hatte. Sie drückte auf den Knopf, um das Fenster zu schließen, gab ein wenig mehr Gas als beabsichtigt und spürte den Ruck der Bodenwelle. Sie verzog das Gesicht, verringerte den Druck auf das Pedal und fuhr etwas langsamer weiter.

Sobald sie außer Sichtweite des Ranger-Postens war, beschleunigte sie wieder. Sie folgte der langen, kurvenreichen Straße und bog an den entsprechenden Schildern ab, ohne sie zu lesen. Sie wusste, wo sie hinwollte. Als sie auf den Parkplatz fuhr, stellte sie mit Genugtuung fest, dass sich dort nur noch ein weiteres Auto befand und wie es aussah, waren dessen Besitzer gerade im Begriff, zu gehen.

Jenny saß in ihrem Auto und wartete, während der Mann und die Frau sich über die Karte stritten, die sie studierten. Sie tippte mit den Fingern auf das Lenkrad und widerstand dem Drang, auszusteigen und die beiden zu fragen, ob sie Hilfe brauchten. Dann stellte sie den Motor ab, löste den Sicherheitsgurt und drehte sich um, um nach ihrer Jacke zu greifen, die auf dem Rücksitz lag.

Sie richtete sich in ihrem Sitz auf, blinzelte die Tränen zurück, die schon wieder in ihren Augen brannten und stieß einen tiefen, zittrigen Atemzug aus, als das Auto neben ihr endlich wegfuhr. Sie öffnete die Tür, stieg aus, zog ihre Jacke an und machte den Reißverschluss zu, bevor sie die Tür schloss. Aus Gewohnheit schaute sie sich noch einmal, bevor sie die Tür abschloss und ihre Autoschlüssel einsteckte.

Seit Carly vor zwei Jahren verschwunden war, fühlte Jenny sich nicht mehr sicher. Sie war vor über einem Jahr aus der kleinen Küstengemeinde Yachats, Oregon, weggezogen, um ihr Leben in den Griff zu bekommen. Bis jetzt war ihr das nicht besonders gut gelungen, wie sie zugeben musste.

Langsam folgte Jenny dem Pfad und hielt an einer Gabelung inne. Der Weg vor ihr führte in einer Schleife durch den Wald und am Berg entlang. Der Pfad rechts davon führte hinunter zur Bucht und zum Strand.

Diese Route verwarf sie jedoch rasch. Carly hatte eine Karte des Parks in ihrem Auto gelassen, auf der der längste Weg grün markiert war und daneben standen die Worte ‚Ich schaffe das‘. Jenny lächelte, als sie daran dachte, dass außerdem auch das Wort ‚Eiscreme‘ in schwarzer Farbe am Ende des Weges geschrieben stand und eingekreist war.

Sie schob ihre Hände in die Taschen und ging weiter, vorbei an dem Schild, das zum Strand führte, und atmete den herrlichen Duft von immergrünen Bäumen, feuchter Erde und kalter Meeresluft ein. Jenny betrachtete den Weg, während sie sich vorstellte, wie es für Carly gewesen sein musste.

Sie hat bestimmt ganz schön gemeckert, dachte Jenny, nachdem sie dem Weg anderthalb Kilometer lang gefolgt war.

Sie hielt inne, um sich umzusehen, und seufzte. Sie war umringt von hohen Bäumen, dichten Farnen und abfallenden Schluchten. Vielleicht war Carly gestolpert und den Abhang hinunter in die Farne gerollt. Sie hätte sich den Kopf an einem Stein stoßen und von der dichten Vegetation verschluckt werden können. Carly war für ihre Tollpatschigkeit bekannt. Vielleicht hatte sie einfach nur Pech, gestand sich Jenny im Stillen ein.

„Bestimmt hätte sie jemand gefunden, wenn das passiert wäre“, murmelte Jenny, bevor sie den schmalen Pfad weiter entlangging.

Als Jenny zurück in die Stadt fuhr, dämmerte es bereits. Wieder ein erfolgloser Ausflug ohne neue Spuren. Sie hatte noch einen weiteren Stopp vor sich, bevor sie für heute Schluss machen würde.

Als sie in die Stadt fuhr, wurde sie langsamer und hielt nach einem Parkplatz Ausschau. Jetzt, wo der Sommer begann und die Leute in den Urlaub fuhren, waren viele Touristen in der Stadt. Sie atmete erleichtert auf, als sie zwei freie Parkplätze vor dem örtlichen Polizeirevier sah.

Sie betätigte den Blinker und wartete, bis mehrere Autos vorbeigefahren waren, bevor sie auf einen der leeren Plätze fuhr. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es später war, als sie gedacht hatte. Sie schaltete in den Parkmodus und stellte den Motor ab. Direkt vor sich konnte sie eine Frau hinter dem Schreibtisch erkennen. Es sah so aus, als würde sie sich gerade bereit machen zu gehen.

Ohne zu zögern löste Jenny ihren Sicherheitsgurt und stieß die Autotür auf. Sie hoffte, dass der neue Kommissar, mit dem sie in den letzten Monaten gesprochen hatte, Dienst hatte. Durch das Fenster konnte sie ihn nicht sehen, aber aus einem Büro am Ende des Flurs drang Licht. Sie knallte die Autotür zu, schloss sie ab und ging über den Bürgersteig. Sie stieß die Tür genau in dem Moment auf, als die Frau hinter dem Schreibtisch den Riemen ihrer Handtasche auf ihre Schulter schob.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte die Frau und blickte zu Jenny auf, als sie eintrat.

Jenny lächelte, als sie die Frau von ihrem letzten Besuch wiedererkannte. Sie hoffte, dass Patty sich auch an sie erinnerte. Es dauerte einen Moment, bis sie sie wiedererkannte. Patty warf einen schnellen Blick über ihre Schulter.

„Mike, die Dame mit der vermissten Person ist da“, rief Patty und ging um den Schreibtisch herum. „Er wird gleich bei Ihnen sein. Er telefoniert gerade.“

„Danke“, sagte Jenny mit einem anerkennenden Lächeln, bevor sie zur Seite trat.

„Kein Problem. Ich muss meinen Sohn abholen. Einen schönen Abend noch“, sagte Patty mit einem leichten Lächeln, bevor sie die Tür öffnete und hinausging.

Im Hintergrund konnte Jenny eine leise Männerstimme hören. Sie drehte sich um und ging zum vorderen Fenster, wo sie stehen blieb und auf die Straße hinausstarrte. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie sein Gespräch belauschte. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie erst bemerkte, dass er aufgehört hatte, zu telefonieren, als sie seine Stimme hinter sich hörte.

„Guten Tag, Miss Ackerly“, begrüßte Mike Hallbrooks sie mit seiner tiefen angenehmen Stimme.

Jenny drehte sich zu dem großen, gut aussehenden Mann um, der etwa Anfang dreißig sein musste. Mike Hallbrook hatte eine ruhige, gelassene Ausstrahlung, die einen regelrecht fesselte und einem ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Seine unbestreitbar autoritäre Haltung verriet ihr, dass er zwar entspannt wirken mochte, aber immer in Alarmbereitschaft war.

Sie strich sich ein verirrtes Haar hinters Ohr und kaute unschlüssig auf ihrer Lippe herum. Sie fühlte sich ein wenig unwohl, weil sie noch nie so spät hier aufgetaucht war. In einer kleinen Stadt wie Yachats bestand eigentlich kein Bedarf, jemanden mit Mikes Fachwissen nach Feierabend im Dienst zu haben, es sei denn, es ereignete sich ein größeres Verbrechen. Trotzdem musste sie fragen.

Jenny schenkte Mike ein müdes, entschuldigendes Lächeln. Nach einer zehnstündigen Wanderung, auf der sie jeden Winkel entlang des Weges abgesucht hatte, war sie erschöpft und durcheinander. Sie war einfach nur dankbar, dass es ihm nichts auszumachen schien, dass sie so spät noch hier war.

„Hallo, Detective Hallbrook. Danke, dass Sie mich empfangen“, antwortete sie.

Mike Hallbrook nickte. „Jederzeit. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er.

Jenny spürte seinen prüfenden Blick. Sie konnte sich vorstellen, was er sah – feuchte und zerknitterte Kleidung, dunkle Ringe unter ihren Augen, vom Wind zerzaustes Haar und gerötete Wangen. Wahrscheinlich sah sie aus, als wäre sie gerade am Strand angespült worden. Mit einem müden Lächeln holte sie Luft und stieß sie dann wieder aus.

„Ich wollte wissen, ob es irgendwelche Neuigkeiten im Fall der vermissten Carly Tate gibt“, sagte sie.

„Nicht seit Sie vor drei Monaten das letzte Mal hier waren“, erwiderte Mike mitfühlend.

„Oh ... Der ... Der Fall ist aber nicht abgeschlossen, oder?“, fragte sie.

Mike Hallbrook betrachtete die müde, zerzauste Frau, die ihm gegenüberstand. Ein Anflug des Bedauerns durchfuhr ihn, weil er ihr nicht die Antwort auf die Frage geben konnte, die sie schon seit zwei Jahren beschäftigte – nämlich, was mit ihrer Freundin passiert war. Das Schicksal von Carly Tate war immer noch unbekannt – ein ungeklärter Fall in ihrer Kleinstadt.

Als Patty, die Empfangsdame des Yachats Polizeireviers, ihm zugerufen hatte, dass das Mädchen, das nach der vermissten Frau suchte, wieder da sei, hatte Mike auch ohne Fallnummer gewusst, von wem Patty sprach. Es gab nicht viele ungelöste Verbrechen in dieser Gegend.

„Nein, der Fall ist erst abgeschlossen, wenn wir wissen, was mit Ihrer Freundin passiert ist. Leider gibt es nicht viele Anhaltspunkte. Ich gehe den Hinweisen weiter nach. Haben Sie irgendwelche neuen Informationen?“, fragte er.

Jenny schüttelte den Kopf und schlang die Arme um ihre Taille. „Nein. Haben Sie noch einmal mit Ross Galloway gesprochen? Er war der letzte Kerl, mit dem Carly ausgegangen ist. Ich wollte ihn schon lange fragen, habe es aber immer wieder vergessen“, erklärte sie.

Mike nickte. „Ja. Er hat ein wasserdichtes Alibi für den Tag, an dem Carly verschwunden ist“, erwiderte er.

Mike trat einen Schritt näher, als er sah, dass Jennys Augen sich mit Tränen füllten. In Momenten wie diesen hasste er es, Polizist zu sein. Er sah zu, wie sie ihren Kopf senkte und ein Taschentuch aus ihrer Tasche zog. Dann hörte er, wie sie zitternd einatmete, bevor sie zu ihm aufsah. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Entschlossenheit in ihrem Blick sah.

„Ich habe Ihrer Empfangsdame meine Telefonnummer hinterlassen, als ich das letzte Mal hier war. Können Sie mich bitte anrufen, wenn Sie etwas herausfinden?“, fragte sie.

„Ich werde nachsehen, ob es dieselbe Nummer ist, die ich in der Akte vermerkt habe. Sobald wir etwas in Erfahrung bringen, werde ich Sie selbstverständlich anrufen“, versprach er.

„Danke“, sagte sie und wandte sich zur Tür um.

„Jederzeit. Wenn Ihnen irgendetwas einfällt, das uns helfen könnte, Ihre Freundin zu finden, zögern Sie bitte, nicht anzurufen“, fügte Mike hinzu.

„Natürlich nicht. Ich werde die ganze Woche hierbleiben. Nochmals vielen Dank, dass Sie Carly nicht aufgegeben haben“, sagte Jenny und blickte zu ihm hoch, als er um sie herumgriff, um ihr die Tür zu öffnen.

„Wir werden sie schon finden“, antwortete er in einem ruhigen Ton.

Tränen schimmerten in Jennys Augen. Sie nickte und trat durch die geöffnete Tür. Mike sah zu, wie sie über den Bürgersteig zu einem dunkelroten Subaru eilte, der vor dem Gebäude parkte. Gedankenversunken blieb er in der Tür stehen.

Der Fall verwirrte ihn. Aus den wenigen Gesprächen, die er mit Carlys Eltern geführt hatte, hatte er entnommen, dass sie bereits akzeptiert hatten, dass ihre Tochter tot war und wahrscheinlich nie gefunden werden würde. Die kalte, unbeteiligte Resignation in ihren Stimmen war das genaue Gegenteil von Jenny Ackerlys Trauer. Während seiner Ermittlungen hatte er erfahren, dass Carly eine warmherzige, fröhliche junge Frau war, die mit jedem auskam. Verdammt, sogar Ross Galloway hatte den Kopf geschüttelt und gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass jemand Carly etwas antun würde.

„Sie ist doch schon eine Gefahr für sich selbst“, hatte Ross entrüstet gesagt.

Als Mike Ross gefragt hatte, was er damit meinte, hatte er fahren, dass Carly eine liebenswerte, aber auch sehr tollpatschige Frau war. Ross’ Beschreibung, wie sie sein Boot in Brand gesetzt hatte – auch wenn es nur ein sehr kleines Feuer gewesen war, wie Ross hastig klargestellt hatte – hatte Mike geholfen, auch einige der anderen Anspielungen zu verstehen, die Leute bezüglich Carly gemacht hatten.

„Wie ich Carly kenne, hat sie sich wahrscheinlich im Wald verlaufen oder ist von einer Klippe gestürzt“, hatte Ross achselzuckend gesagt. „Wäre nicht das erste Mal.“

Es war eine Möglichkeit, aber irgendetwas sagte Mike, dass mehr dahintersteckte und sich die junge Frau nicht einfach nur verirrt hatte. Wenn das der Fall wäre, hätten die zahlreichen Suchtrupps irgendetwas gefunden. Wenn Carly von der Klippe gestürzt wäre, wäre sie aufgrund der Form der Bucht ans Ufer gespült worden. Das Gebiet war bereits gründlich durchsucht worden.

Mike blinzelte, als ein Anwohner vorbeifuhr und zur Begrüßung hupte. Automatisch hob er die Hand, um zu winken, und stellte fest, dass er immer noch in der offenen Tür des kleinen Polizeireviers stand. Mit einem resignierten Kopfschütteln ging er wieder hinein, schloss die Tür und verriegelte sie.

Eigentlich sollte er jetzt Feierabend machen. Stattdessen ging er wieder in sein Büro zurück. Vielleicht würde er noch einmal einen Blick in die Akte werfen und prüfen, ob er etwas übersehen hatte. Schließlich verschwanden Leute nicht einfach so vom Erdboden! Es musste doch irgendeinen Hinweis darauf geben, was mit Carly Tate geschehen war.

Kapitel 2

Jenny fuhr rückwärts aus dem Parkplatz heraus und bog nach Süden ab. Eine Straße weiter begann ihr Magen heftig zu knurren. Sie zog eine Grimasse, als ihr auffiel, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, und überlegte, ob sie in den Lebensmittelladen oder in eines der Restaurants gehen sollte.

Schnell kam sie zu dem Schluss, dass ihr die Menschenmassen im Lebensmittelgeschäft und die anschließende Zubereitung von Essen im Moment zu viel waren. Nachdem diese Entscheidung getroffen war, überlegte sie, wo sie anhalten sollte. Eigentlich hatte sie keine Lust, allein in eines der schöneren Restaurants am Wasser zu gehen. Aber sie wollte unbedingt ein schönes kaltes Bier und eine Portion Fish and Chips.

An der Ampel bog sie rechts ab und steuerte auf eine Kneipe zu, die bei den Einheimischen sehr beliebt war. Fünf Minuten später fuhr sie auf den Parkplatz des Underground Pubs. Von außen sah er eher unscheinbar aus, aber es gab gutes Essen, kaltes Bier, Live-Musik und das Ambiente war angenehm.

Sie schnappte sich ihre Handtasche und ihre Jacke vom Beifahrersitz, öffnete die Tür und stieg aus. Der Geruch des Ozeans, gemischt mit dem köstlichen Duft des Essens entlockten ihrem Magen erneut ein erwartungsvolles Knurren.

Jenny schloss die Autotür und verriegelte sie. Die Möwen landeten kreischend auf den Docks, in der Hoffnung, sich bei den Fischern, die ihren täglichen Fang säuberten, einen Snack zu erschleichen, oder einen großzügigen Gast zu finden, der bereit war, ein oder zwei übrig gebliebene Pommes frites zu teilen. Jenny fröstelte in der frischen Brise und schlüpfte schnell in ihre Jacke. Sie warf sich ihre Handtasche über die Schulter und ging über den Kiesparkplatz zum Eingang der Kneipe.

Jenny zog die Tür auf und betrat den schummrigen Innenraum. Sie hielt inne, während sich ihre Augen an die schwache Beleuchtung gewöhnten. Als sie sich umschaute, sah sie, dass an einer Wand eine Bandausrüstung aufgebaut war. Der Raum war mit so vielen Holztischen voller Gewürze und verkratzten, aber robusten Stühlen vollgestellt, dass Jenny erstaunt war, dass sich die Kellnerin noch dazwischen hindurchquetschen konnte.

Es war noch früh am Abend und fast die Hälfte der Tische war bereits mit Gästen besetzt. Jenny nickte der Kellnerin zu, als diese ihr zurief, sie solle sich hinsetzen, wo immer sie wolle. Sie zwängte sich zwischen zwei Tischen hindurch und steuerte auf einen zu, der sich in der Nähe der großen Doppeltüren im hinteren Bereich befand, die auf die Terrasse hinausführten.

Sie setzte sich mit dem Rücken zu dem dunklen Gang, der zu den Toiletten führte, auf einen leeren Stuhl. Von diesem Platz aus konnte sie die Docks draußen sehen, war aber immer noch weit genug von der Band entfernt, um nicht taub zu werden, wenn sie zu spielen anfing. Sie warf einen Blick auf ihr Handy – fast acht Uhr. Die Band fing um neun an. Wenn sie Glück hatte, würde sie bis dahin hier raus sein. Sonst würde ihr der Kopf noch viel mehr wehtun als ohnehin schon.

„Mein Name ist Dorothy. Was möchten Sie trinken, meine Liebe?“, fragte die Kellnerin mit einem freundlichen Lächeln.

„Ein Bier vom Fass, bitte. Ich brauche keine Speisekarte. Ich nehme eine Portion Fish and Chips mit Krautsalat“, sagte Jenny.

Dorothy klemmte sich die Speisekarte, die sie ihr gerade geben wollte, wieder unter den Arm und grinste. „Groß oder klein, meine Liebe?“, fragte Dorothy.

„Die kleine Portion bitte“, antwortete Jenny.

„Ich bringe Ihnen ein paar Chips und Salsa“, teilte Dorothy ihr mit einem erneuten Lächeln mit.

„Danke“, erwiderte Jenny.