Die Gudrunsage - Joachim Nowotny - E-Book

Die Gudrunsage E-Book

Joachim Nowotny

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Beschreibung

Der Königssohn Hagen von Irlande wird als Kind von einem Greifen geraubt und auf eine Insel verschleppt. Dort gelingt ihm die Flucht und er verbirgt sich mit drei ebenfalls geraubten Prinzessinnen in einer Höhle, bis er zum Mann herangereift ist. Nun hat er die Kraft, den Greifen zu besiegen und es gelingt ihm die Flucht. In Irland heiratet er Hilde, eine der Prinzessinnen. Ihre Tochter Hilde wächst zu einer wunderschönen Frau heran, doch Hagen lässt alle Brautwerber töten. Nur mit List gelingt es Hetel von Hegelingen, Hilde zur Frau zu bekommen. Beide haben eine noch schönere Tochter Gudrun, die von drei mächtigen Königen umworben wird. Nachdem sie mit Herwig verlobt wird, überfällt Hartmut das Land und raubt Gudrun. Sie hält ihrem Verlobten 13 Jahre die Treue, bis er sie befreien kann. Gudrun stiftet weitere Hochzeitsbündnisse um die ursprünglichen Gegner zu versöhnen. Zu viel Blut ist ihretwegen geflossen und zu viel Leid geschehen. Joachim Nowotny hat das Kudrunlied, ein Heldenepos in mittelhochdeutscher Sprache, für Kinder ab 11 Jahre neu erzählt.

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Impressum

Joachim Nowotny

Die Gudrunsage

ISBN 978-3-86394-151-2 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1976 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

In Irland herrschte einst ein mächtiger König. Seinem Befehl gehorchten Recken aus den angesehensten Geschlechtern des Reiches. Viele Bauern dienten ihm mit reichen Abgaben. In seinen Waffenkammern fanden sich Rüstungen, Helme, Kettenpanzer, Schilde und Schwerter in solcher Fülle, wie sie kaum ein anderer König aufzuweisen hatte. Auch übertraf er in der Zahl edler Pferde, in den Kostbarkeiten seiner Gewölbe und im Prunk der Gewänder die Hofhaltung aller bekannten Herrscher jener Zeit.

Macht und Reichtum aber verführten den König nicht zum Übermut. Er regierte gerecht, er bestrafte die Schuldigen, schützte die Armen und zeigte sich freigebig gegenüber seinen Vasallen.

Seine Frau, die Königin, war die Tochter eines gleichfalls angesehenen norwegischen Herrschers. Die Hochzeit mit ihr hatte den Ruhm des jungen irländischen Fürsten vermehrt. Zu beider Freude wurde ihnen ein Sohn geboren, dem sie den Namen Hagen gaben. Der Knabe wurde sorgfältig erzogen. Er sollte ein Mann werden, der sich im Kampf behaupten konnte, ohne dabei ritterliches Verhalten zu verletzen.

Schon mit sieben Jahren hielt sich Hagen am liebsten bei den Kriegern seines Vaters auf. Er versuchte mit seinen schwachen Kräften das Schwert zu führen und den schweren Buckelschild zu heben. Wenn sie seinen Eifer sahen, lachten die Recken gutmütig und hoben ihn auf ihre Arme. Sie waren gewiss, dass Hagen die Hoffnungen seiner Eltern erfüllen werde.

Eines Tages sagte die Königin zu ihrem Gemahl: „Uns gerät alles nach Wunsch, aber das Leben hier am Hofe spiegelt so gar nicht unsere Freude wider. Warum sollen wir nicht einmal froh sein und feiern, wie es den Landesherren ansteht?“

Der König dachte über den Vorschlag nach und antwortete: „Du magst deinen Willen haben, Ich will die Fürsten des Landes einladen und auch deine Verwandten bitten. Im Kampfspiel werden wir unsere Kräfte messen. Die Sieger will ich reich belohnen, und an Speise und Trank wird auch kein Mangel sein. So stärken wir unser Ansehen.“

Es geschah, wie der König versprochen hatte. Aber zum ersten Mal ließ es der irländische Herrscher am rechten Maß fehlen. Einmal zu dem Fest entschlossen, sollte es alles übertreffen, was man bisher von Feierlichkeiten gehört hatte. Reitende Boten durchquerten das Land nach allen Himmelsrichtungen und luden viele Tausend Fürsten und Ritter ein. Inzwischen richteten des Königs Gefolgsleute vor der Burg einen großen neuen Turnierplatz her. Wochenlang mussten die Bauern Holz herbeifahren, daraus zimmerten sie Bänke und Tische und stellten sie im Freien auf. Die Zahl der Geladenen war so groß, dass sie nie und nimmer im Burghof Platz gefunden hätten. Truchsesse und Mundschenke bereiteten eine reiche Tafel vor. Und die Königin ließ täglich neue Kleider und kostbaren Schmuck aus den Truhen holen. Mit Bedacht wählte sie das Beste für Gastgeschenke aus. Schon bei der Ankunft sollten die Fremden spüren, in welch mächtiges und reiches Land sie gekommen waren.

So vergingen der Winter und das Frühjahr. Erst der Sommer aber trocknete die Wege und war die Zeit der Feste. Von überallher kamen die Gäste, sie wurden beschenkt und bewirtet, wie König und Königin es vorausgesagt hatten. Zum Dank ließen sie es an Zeichen der Freude und Anerkennung nicht fehlen. Die Fürsten und Ritter übten sich im Reiterspiel. Ross und Leib gepanzert, sprengten sie aufeinander zu und versuchten sich mit der Lanze aus dem Sattel zu stoßen. Die adligen Frauen aber schauten von den Zinnen der Burg herab zu und belohnten die Sieger mit huldvollem Lächeln.

Hagen verfolgte das Turnier mit glänzenden Augen. Wie gern hätte er mitgefochten, aber die Damen aus dem Gefolge der Mutter achteten streng darauf, dass er den Hufen der Streitrosse nicht zu nahe kam. Sie wollten ihn vor Unglück bewahren. Doch das ließ nicht auf sich warten.

Am zehnten Tag des Festes wurde das Turnier mit dem Auftritt eines besonders begabten Spielmanns gekrönt. Erst besang er mit wohlgesetzten Worten den Ruhm des Herrscherpaares und den Mut der Fürsten und Ritter, dann unterhielt er die Gäste mit lustigen Liedern. Von der allgemeinen Heiterkeit angelockt, drängten sich die Frauen, denen Hagen anvertraut war, hinzu. So entschlüpfte der Knabe ihrer Aufmerksamkeit und lief allein auf den leeren Turnierplatz. Aber für ihn war er nicht leer. Stürmten nicht von allen Seiten gewappnete Ritter auf ihn zu? Saß er nicht auch auf einem edlen Ross, fing alle Stöße mit dem schweren Buckelschild ab und warf die Angreifer in den Staub? In seinen Träumen war Hagen längst erwachsen und allen anderen an Kühnheit überlegen. So versunken war er in sein Spiel, dass er nicht gewahrte, was nun geschah.

Ein Schatten überzog das Land, Sturm peitschte Sand und Steine auf, vom Himmel herab senkte sich ein wilder Greif. Seine gewaltigen Schwingen hatten die Sonne verdunkelt, ihr Flügelschlag den Sturm entfacht. Vor Schreck schrie Hagen laut auf.

Der Greif packte ihn mit seinen Klauen, hob ihn in schwindelnde Höhe, wandte sich dann gegen den Wind und flog der Sonne zu.

Der Schrei des Knaben hatte das Lied des Spielmanns jäh unterbrochen. Vor Entsetzen wie gelähmt, starrten alle Festteilnehmer, ob sie nun tapfere Männer oder von Mitleid erfüllte Frauen waren, auf die grausige Entführung. Hagens Mutter versank in tiefen, stummen Schmerz. Und der König weinte so sehr um seinen Sohn, dass die Tränen durch den dichten Bart drangen und ihm die Brust nässten. Endlich fasste er sich.

„Edle Gäste“, sagte er, ,,das Fest ist zu Ende. Es sollte das größte werden, das je auf dieser Erde veranstaltet wurde. Nun haben wir die Strafe für unseren Übermut erhalten. Reitet heim und berichtet von unserem Leid.“

Während am Königshof der Aufbruch im Gange war, trug der Greif seine Beute viele Hundert Meilen südwärts zu einer felsigen Insel im Meer. In seinem Horst auf den Klippen warteten die Jungen, hungrig auf Atzung. Gierig drängten sie dem Greif entgegen, jeder wollte die Beute zuerst packen. Der stärkste unter ihnen riss den Knaben an sich. Um nicht teilen zu müssen, erhob er sich mit unsicherem Flügelschlag über den Rand des Horstes. Er konnte noch nicht richtig fliegen, deshalb versuchte er auf dem nächsten besten Ast zu landen. Der aber war morsch und brach unter seinem Gewicht. Hagen fiel zur Erde; er nahm allen Mut zusammen und verbarg sich rasch im dichten Buschwerk. Mochte der Greif ruhig lauern! Erst im Schutz der Dunkelheit suchte Hagen Unterschlupf in einer Höhle.

Hier wartete eine neue Überraschung auf ihn. Er fand Gefährten seiner Not, drei Königstöchter aus fernen Ländern, die der Greif ebenfalls geraubt hatte und die wie er glücklich entkommen waren. Sie lebten schon lange in dem Felsloch, kleideten sich mit Moos und Blattwerk und ernährten sich von Kräutern und Wurzeln. Zuerst erschraken sie, glaubten sie sich doch von einem wilden Tier bedroht. Dann aber sahen sie, dass es sich um ein weiteres Opfer des Greifen handelte. Sie nahmen Hagen auf und umsorgten ihn, so gut es die Umstände erlaubten. Unter ihrer Obhut wuchs er zu einem kräftigen Jüngling heran.

In diesen Jahren befuhren Pilger unter dem Zeichen des Kreuzes das Meer in Richtung Orient, um zu den heiligen Stätten ihres Glaubens zu gelangen. Eine ihrer Flotten geriet in Sturm und schwere See. Die Schiffe strandeten in den Klippen der Greifeninsel. Ihre hölzernen Planken zerbrachen unter der Gewalt des Anpralls, alle Seeleute und Pilger kamen dabei ums Leben. Diesmal fanden die Greife reiche Beute.

Hagen hatte den Schiffbruch vom Eingang der Höhle her beobachtet. Er wusste wohl, dass er den Toten nicht helfen konnte. Aber vielleicht hatten die Wellen auch Nahrungsmittel an den Strand gespült? Die wollte er den Greifen nicht überlassen. So schlich er sich im Schutz überhängender Äste an die Küste. Zu seiner Überraschung fand er einen Ritter in voller Rüstung, den die Wogen aufs Festland geworfen hatten. Beim Anblick der Waffen vergaß Hagen alle Vorsicht. Er zog dem Toten Harnisch und Helm ab, rüstete sich selbst damit, ergriff Pfeil und Bogen und hob das Schwert auf.

Die Greife hatten ihn erspäht, sie zögerten nicht mit dem Angriff. Aber diesmal sollte es ihnen schlecht ergehen. Hagen fürchtete sich nicht mehr. Er trat ihnen mutig entgegen, überschüttete sie mit Pfeilen, bedrängte sie mit dem Schild und schlug ihnen im wilden Kampf die Köpfe ab.

Von diesem Tag an lebten die Königskinder unter der Sonne. Hagen jagte wilde Tiere, gewann Feuer, indem er mit dem Schwert Funken aus dem Felsgestein schlug, und sorgte so für Nahrung in Fülle.

Als nach Jahren endlich ein Schiff die Insel ansteuerte, schämten sich die Geretteten ihrer Kleidung aus Moos und Blättern. Sie waren erwachsen geworden.

Der Besitzer des Schiffes ließ ihnen Gewänder aus seinen Vorräten bringen. Dann nahm er sie an Bord. Als er hörte, Hagen sei der Sohn des irländischen Königs, sagte er: „Ihr werdet mir als Geiseln dienen. Denn gerade dein Vater war es, der mir Unrecht zugefügt hat. Ich bin ein Graf und wohl nicht so mächtig wie ein König. Aber ich bin auch nicht so schwach, als dass ich nicht den Raub an meinem Grundbesitz und den Tod vieler treuer Gefolgsleute rächen könnte. Wenigstens das Land muss dein Vater zurückgeben, will er dich lebend wiedersehen.“

Den Seeleuten rief der Graf zu: „Entwaffnet ihn, es soll euer Schade nicht sein."

Dreißig Männer folgten dem Befehl. Hagen ließ sie herankommen, aber er war auf der Hut. Noch ehe sie ihn auch nur anrühren konnten, packte er sie einzeln, zu zweit oder gar zu dritt und schleuderte sie ins Meer. Erschrocken wich das Schiffsvolk zurück. Mit wem hatten sie sich da eingelassen? Hagens Zorn indes kannte keine Grenzen. Er wollte alle ins Meer werfen, auch den Grafen. Aber die Mädchen hielten ihn zurück.

„Wer wird das Schiff steuern, wenn sie tot sind?“, fragten sie.