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Die Jagd nach dem weißen Tiger: Kripow & Kripow - Herr Doktor und die Polizei von A. F. Morland und Bernd Teuber Der Umfang dieses Buchs entspricht 150 Taschenbuchseiten. Kriminalhauptkommissarin Kathrin Kripow ermittelt gegen einen Drogendealer, der in der Szene unter dem Decknamen 'weißer Tiger' bekannt ist. Doch jedes Mal, wenn sie glaubt, ihn fassen zu können, entwischt er ihr wieder. Gibt es ihn überhaupt? Oder ist er nur ein Phantom? Nach einer missglückten Razzia bleibt Kathrin nicht mehr viel Zeit, die Existenz des 'Tigers' zu beweisen, ansonsten will man ihr den Fall entziehen. Doch sämtliche Nachforschungen bleiben ergebnislos. Erst mithilfe ihres Mannes Doktor Alexander Kripow, dem Chef der Falkenberg-Klinik, kommt sie dem 'Tiger' auf die Spur. Auftakt einer neuen Saga um das Ehepaar Kripow, deren Arbeit als Kommissarin und als Leiter der Falkenberg-Klinik, weit hinein strahlt, auch in das Privatleben des Paares. Dramatisch, spannend, romantisch - es bleibt nicht aus, das sich alle Lebensbereiche überschneiden und nach einem langem Arbeitstag zur Abwechslung auch einmal die "Rollen" vertauscht werden.
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Seitenzahl: 197
Die Jagd nach dem weißen Tiger: Kripow & Kripow - Herr Doktor und die Polizei
A. F. Morland and Bernd Teuber
Published by BEKKERpublishing, 2021.
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Kripow & Kripow -
Herr Doktor und die Polizei
von A. F. Morland und Bernd Teuber
Der Umfang dieses Buchs entspricht 150 Taschenbuchseiten.
Kriminalhauptkommissarin Kathrin Kripow ermittelt gegen einen Drogendealer, der in der Szene unter dem Decknamen ‚weißer Tiger‘ bekannt ist. Doch jedes Mal, wenn sie glaubt, ihn fassen zu können, entwischt er ihr wieder. Gibt es ihn überhaupt? Oder ist er nur ein Phantom? Nach einer missglückten Razzia bleibt Kathrin nicht mehr viel Zeit, die Existenz des ‚Tigers‘ zu beweisen, ansonsten will man ihr den Fall entziehen. Doch sämtliche Nachforschungen bleiben ergebnislos. Erst mithilfe ihres Mannes Doktor Alexander Kripow, dem Chef der Falkenberg-Klinik, kommt sie dem ‚Tiger‘ auf die Spur.
Auftakt einer neuen Saga um das Ehepaar Kripow, deren Arbeit als Kommissarin und als Leiter der Falkenberg-Klinik, weit hinein strahlt, auch in das Privatleben des Paares. Dramatisch, spannend, romantisch – es bleibt nicht aus, das sich alle Lebensbereiche überschneiden und nach einem langem Arbeitstag zur Abwechslung auch einmal die „Rollen“ vertauscht werden.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Cover: Steve Mayer, nach Motiven, 2021
Created by Marten Munsonius, Alle Rechte vorbehalten, 2021
Nach Romanmotiven von A. F. Morland & Bernd Teuber
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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„Sie können hier nicht ohne Einladung rein. Heute findet eine private Veranstaltung statt.“
Kriminaloberkommissarin Kathrin Kripow schaute den Türsteher an, der ihr den Zutritt zum ‚Tropicana-Club‘ verwehren wollte. Dann holte sie ihren Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Mann vors Gesicht. „Wir kommen überall rein, verstanden?“
Der Türsteher musterte die Frau aus schmalen Augen. Kathrin Kripow hatte rote, schulterlange Haare, die im Nacken zusammengebunden waren. Sie trug ein weißes T-Shirt und darüber eine schwarze Lederjacke. Die dunkelblaue Jeans saß hauteng. Ihre Füße steckten in weißen Sportschuhen.
„Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbeschluss?“, erkundigte sich der muskulöse Mann.
„Selbstverständlich.“
Kathrin griff abermals in ihre Tasche, holte das entsprechende Dokument hervor, faltete es auseinander und zeigte es dem Türsteher. Sie hielt die meisten Möchtegern-Helden schon allein durch ihr bestimmtes Auftreten auf Distanz. Und angesichts der Hundertschaft Polizisten, die hinter ihr stand, sah der Türsteher sofort ein, dass jeder Widerstand sinnlos war. Dafür wurde er einfach zu schlecht bezahlt.
„Was soll das eigentlich werden? Eine Razzia?“
„Schlauer Junge“, erwiderte Kathrin. „Hast wohl nicht das erste Mal mit der Polizei zu tun, was?“
„Na ja, ich ...“
„Schon gut. Sag drinnen Bescheid, dass noch ein paar Gäste kommen.“
Der Türsteher zögerte. „Das kostet mich meinen Job.“
„Du wirst dir sowieso einen anderen suchen müssen. Also los, nun mach schon.“
Die Tür zum ‚Tropicana-Club‘ ließ sich nur von innen öffnen. Der breitschultrige Mann drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage, die sich neben dem Türrahmen befand. „Da kommen noch welche. Sie haben eine Einladung.“
Damit sagte er nicht einmal die Unwahrheit. Er verschwieg nur, dass die Gäste eine richterliche Einladung hatten. Kathrin postierte sich neben der Tür und stieß sie auf, als der Summer ertönte. Sie betrat den Club als erste, gab ihren Kollegen Hauptkommissar Theo Felk und Kommissar Stefan Lehnert ein Zeichen und schob die beiden Gestalten mit einer ärgerlichen Handbewegung beiseite, die sich als Vorhut im Garderobenraum aufhielten.
„Keine Panik“, sagte sie. „Ihr habt Feierabend.“
Die Männer sahen sich verdutzt an. „Bullen?“
„Keiner rührt sich vom Fleck!“, rief Kathrin. „Dies ist eine polizeiliche Durchsuchung.“
Es rührte sich tatsächlich keiner. Überrascht starrten alle die Beamten an. Im nächsten Moment ging das Licht aus. Im Lokal ertönte das Scharren von Stühlen und hastige Schritte. Hinter Kathrin leuchteten ein halbes Dutzend Taschenlampen auf und erfassten die Szenerie. Einige der Gäste hatten sich im Schutz der Dunkelheit an die Hintertür herangearbeitet, kamen aber nicht mehr dazu, den Club zu verlassen. Flüche wurden laut, verstummten jedoch bald wieder. Einzeln wurden die Gäste nach Waffen durchsucht. Anschließend mussten sie in einer Ecke warten, bis man ihre Personalien aufgenommen hatte.
„Ich glaube, das war ein Reinfall“, sagte Theo Felk.
Kathrins Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Sie musste ihrem Kollegen recht geben. Der Mann, auf den es am meisten ankam, war verschwunden. Keiner der Anwesenden entsprach der Beschreibung, die sie von ihrem Informanten Julian Sosnik erhalten hatte. Seiner Nachricht zufolge sollte er sich an diesem Tag hier im ‚Tropicana-Club‘ aufhalten, um die Dealer mit Ware zu versorgen. Aber offenbar hatte er die Finsternis ausgenutzt, um zu fliehen. Durch die Hintertür konnte er nicht verschwunden sein. Draußen wäre er sofort von einem halben Dutzend Polizisten in Empfang genommen worden. Kathrin betrachtete die Männer und Frauen, die an der Wand Aufstellung genommen hatten.
Auch die Angestellten schienen geflohen zu sein. Daraus konnte man schließen, dass sie eine Tür benutzt hatten, die sich in unmittelbarer Nähe des Tresens befand. Einem war die Flucht allerdings nicht gelungen. Unter den Festgenommenen entdeckte Kathrin einen Mann in einer Kellnerkluft. Mit schnellen Schritten ging sie auf ihn zu.
„Durch welche Tür sind die anderen verschwunden?“, schnauzte sie ihn an.
Der Mann machte ein verständnisloses Gesicht. „Ich weiß gar nicht, wo von Sie reden.“
Kathrin packte ihn am Kragen und zog ihn ganz dicht zu sich heran. „Wenn Sie nicht sofort reden“, zischte sie drohend, „dann werde ich ungemütlich und Sie wachen erst im Krankenhaus wieder auf!“
Kathrin hatte durchaus nicht die Absicht, den Mann zusammenzuschlagen, dazu war sie viel zu korrekt, aber das konnte ihr Gegenüber natürlich nicht wissen. Er sah nur den drohenden Gesichtsausdruck und war fest davon überzeugt, dass die Kommissarin ihre Worte ernst meinte. Und weil er kein Held war, zog er es vor, mit heilen Knochen ins Gefängnis zu kommen.
„Lassen Sie mich los“, bat er. „Ich werde Ihnen die Tür zeigen.“
Zu seiner Feigheit kam noch die Überlegung, dass er keinem der Entflohenen mehr schaden würde, wenn er der Polizei den Fluchtweg zeigte. Die anderen hatten mit Sicherheit schon einen ordentlichen Vorsprung. Er führte Kathrin zum Tresen und deutete wortlos auf eine Stelle in der Wand. Bei genauerem Hinsehen konnte man dort die Umrisse einer verborgenen Tür erkennen.
„Und wie geht das Ding auf?“, fragte Kathrin.
Der Kellner ging zum Tresen, griff unter die Platte und betätigte einen Knopf. Lautlos öffnete sich die Geheimtür.
„Gehen Sie zu den anderen zurück!“, befahl Kathrin dem Kellner. Während sie ihre Pistole aus dem Schulterhalfter zog, wandte sie sich an ihren Kollegen. „Gib mir Deckung.“
Theo nickte und holte ebenfalls seine Waffe hervor.
Vorsichtig drangen die beiden in den Gang ein. Nach wenigen Metern gelangten sie in ein Büro. Rechts neben dem Schreibtisch gab es einen Tresor. Die Tür stand offen. Jemand schien es sehr eilig gehabt zu haben.
„Getürmt“, stellte Kathrin grimmig fest. „Und zwar auf Nimmerwiedersehen. Es hat wohl keinen Sinn, wenn wir die Kerle jetzt noch suchen.“ Sie wandte sich an Theo. „Ich bin zwar davon überzeugt, dass wir hier nichts mehr finden werden, aber die Leute von der Spurensicherung sollen den Raum trotzdem durchsuchen. Vor allem den Schreibtisch.“
„In Ordnung.“
Kathrin und Theo verließen das Büro und kehrten in den Clubraum zurück. Die Polizeibeamten waren gerade dabei, die Angestellten nach draußen zu führen und in die bereitgestellten Transporter zu setzen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Theo.
„Wir werden jeden einzelnen verhören. Irgendjemand muss etwas über den ‚weißen Tiger‘ wissen.“
„Ich glaube nicht, dass jemand reden wird. Die wissen ganz genau, was mit ihnen passiert, wenn sie den Mund aufmachen.“
„Abwarten“, erwiderte Kathrin.
Sie verließen den Club und traten auf die Straße. Im nächsten Moment brach bei einem der Polizeifahrzeuge ein Tumult aus.
„Was ist denn da los?“, fragte Theo.
Ein Schrei ertönte. Einer der Polizisten wurde zurückgeschleudert. Mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte er sich zusammen und fiel auf die Knie. Ein Mann in einer Jeansweste tauchte hinter einem der Fahrzeuge auf. Seine Arme waren mit Handschellen hinter seinem Rücken fixiert. Er warf Kathrin einen kurzen Blick zu, wandte sich ab und rannte die Straße entlang.
„Halt!“, schrie Theo. „Stehenbleiben!“ Er zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter, zielte und betätigte den Abzug. Der Knall des Schusses mischte sich in Kathrins Schrei.
„Nein!“
Der Mann in der Jeansweste taumelte, drehte sich um die eigene Achse und stürzte zu Boden. Regungslos blieb er liegen.
„Verdammt!“, brüllte Kathrin ihren Kollegen an. „Warum hast du das gemacht? Ein Toter nützt uns nichts!“
Theo ließ die Waffe sinken und blickte sie hilflos an. „Ich ... ich dachte ...“
Kathrin lief zu dem am Boden liegenden Mann, kniete neben ihm nieder und legte zwei Finger an seine Halsschlagader. Er lebte noch. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet. Sofort wandte sie sich an Kommissar Stefan Lehnert. „Los, ruf einen Notarzt!“
Er nickte, zog sein Smartphone hervor und setzte sich mit der Zentrale in Verbindung. Währenddessen kam Theo mit zögernden Schritten näher.
„Ich ... ich ...“, stammelte er.
„Musste das sein?“, fragte Kathrin schärfer als beabsichtigt.
„Entschuldige, es ... es war eine Kurzschlussreaktion.“
Die ersten Schaulustigen fanden sich ein. Sie redeten aufgeregt durcheinander, aber Kathrin blendete das Sprachengewirr aus. Einige hielten ihre Smartphones hoch und machten Aufnahmen. Kathrin spürte, wie das Blut in ihren Schläfen pochte. Als sie dem Verletzten die Handschellen abnahm, hörte sie die Sirene des Rettungswagens, und dahinter bog der Wagen des Notarztes um die Ecke. Mit quietschenden Reifen kamen die Fahrzeuge zum Stillstand. Die Türen wurden aufgerissen. Zwei Sanitäter liefen auf sie zu. Der Größere von ihnen schob Kathrin sanft zur Seite.
„Bitte lassen Sie uns durch.“
Auch der Notarzt näherte sich mit schnellen Schritten dem Verletzten. Er untersuchte ihn kurz, dann gab er den Sanitätern ein Zeichen. Sie liefen zurück zum Rettungswagen und kehrten mit einer Bahre zurück. Vorsichtig schnallten sie den Verletzten darauf fest. Der Arzt legte eine Infusion und schloss ihn an ein Beatmungsgerät an. Während der Verletzte in den Fond des Rettungswagens gebracht wurde, zeigte Kathrin dem Notarzt ihren Dienstausweis.
„Ich möchte, dass der Mann in die Falkenberg-Klinik gebracht wird“, verlangte sie.
Der Arzt nickte. „In Ordnung.“
Julia Kripow stand vor dem großen Schaufenster des Modegeschäfts und betrachtete die Kleidungsstücke, die dort ausgestellt waren. Vor allem das rote Top gefiel ihr. Doch als sie einen Blick auf das Preisschild warf, musste sie erst einmal heftig schlucken. Das grenzte ja schon Wucher. Trotzdem sah es hübsch aus. Mit einem tiefen Seufzer wandte sie sich vom Schaufenster ab. Dabei streifte ihr Blick das braunhaarige Mädchen, das gerade die Straße überquerte. Und sie sah auch den dunkelblauen Wagen, der mit hoher Geschwindigkeit auf sie zuraste.
Julia stieß einen Warnschrei aus. Doch dadurch konnte sie das Unglück auch nicht mehr verhindern. Wie ein Habicht auf seine Beute stieß der Wagen auf das Mädchen zu. In das Heulen der Hupe mischte sich das Kreischen der Reifen. Die Arme ausgebreitet, den Mund geöffnet, kippte sie auf die Motorhaube und hing dort einen Augenblick, während der Wagen zum Stillstand kam. Das Mädchen glitt nach rechts, fing sich am Seitenspiegel und stürzte auf die Straße.
Julia stand wie erstarrt. Sie hatte das Gefühl, als würde ein Film vor ihren Augen abrollen und nicht die Realität. Mehr noch, er rollte im Zeitlupentempo ab und ersparte ihr keines der grausigen Details. Die Wagentür wurde aufgerissen. Ein junger Mann stieg aus.
„O verdammt ... verdammt ...“, stammelte er. „Sie ist mir einfach ... ich – ich habe sie nicht gesehen ... Mir ist die Zigarette runtergefallen und da ...“
Julia beachtete ihn gar nicht. Sie lief zu der Verunglückten und beugte sich über sie. „Bist du verletzt?“
„Ich – ich weiß nicht ...“
„Kannst du aufstehen?“
Die Antwort bestand nur aus einem leichten Nicken.
„Gut“, sagte Julia. „Ich helfe dir.“
Sie legte sich den Arm des Mädchens um die Schulter und richtete sich mit ihr auf. „Geht es?“, fragte sie besorgt. „Wenn nicht ...“
Das Mädchen humpelte mit Julia auf den Gehsteig.
„Ich hab‘ dich nicht gesehen“, sagte der Autofahrer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Tut mir leid. Tut mir echt leid. Wirklich.“
Das Mädchen wischte sich mit einer unbeholfenen Geste über die Augen. „Mir – mir ist so komisch. Es verschwimmt alles ...“
„Mein Vater leitet eine Klinik“, erklärte Julia. Ihr Blick richtete sich auf den Autofahrer. „Wir bringen dich dorthin.“
„Das geht nicht“, widersprach das Mädchen. „Ich kann mir keinen Klinikaufenthalt leisten. Und dein Vater behandelt vermutlich nur Privatpatienten.“
„Mach dir darüber keine Gedanken. Das geht schon in Ordnung.“
Der Autofahrer näherte sich mit zögernden Schritten. Er war Mitte zwanzig, hatte dunkle, lockige Haare und ein längliches Gesicht mit einer geraden Nase und schmalen Augen. Seine Kleidung bestand aus einer braunen Windjacke, einem dunkelblauen Pullover und einer Bluejeans. Die Füße steckten in schwarzen Halbschuhen.
„Ich – ich bin versichert“, presste er heiser zwischen den schmalen Lippen hervor. „Meine Versicherung wird für alles aufkommen. Ich werde mich selber anzeigen.“
„Das kannst du später noch machen“, erwiderte Julia. „Zuerst bringst du uns mal zur Falkenberg-Klinik.“
„Ich – ich kann nicht“, sagte der Mann und hob seine zitternden Finger.
„Dann werde ich fahren.“
„Das wäre wohl besser. Ich bin mit den Nerven vollkommen am Ende.“
„Wie heißt du?“
„Weidner, Michael Weidner.“
„Gut, ich bin Julia Kripow.“
Sie bat den jungen Mann, ihr bei der Verletzten zu helfen. So behutsam wie möglich setzten sie das Mädchen auf den Beifahrersitz und schnallten sie an. Dann stiegen sie ein. Michael nahm auf der Rückbank Platz. Julia setzte sich ans Steuer. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag besaß sie einen Führerschein. Es mangelte ihr auch nicht an Fahrpraxis, denn sie und ihr Zwillingsbruder Oliver hatten einen gebrauchten Kleinwagen bekommen, und solange der Treibstoff nicht allzu teuer wurde, konnten sie es sich leisten, damit zu fahren. Julia legte den Sicherheitsgurt an, startete den Motor und fuhr los.
„Das hat vorhin verdammt schlimm ausgesehen“, sagte sie nach einer Weile.
„Ja, allerdings“, stimmte Michael ihr zu. „Mir blieb fast das Herz stehen, als ich sie durch die Luft fliegen sah. Wie heißt du überhaupt?“
„Caroline Kleffner“, antwortete das Mädchen mit vibrierender Stimme.
Hoffentlich hat sie keine inneren Verletzungen erlitten, dachte Julia, während sie den Wagen durch den immer dichter werdenden Verkehr stadtauswärts lenkte.
„Ich kann mich an den Unfall nicht erinnern“, sagte Caroline unsicher.
„Vermutlich hast du einen Schock erlitten“, meinte Julia.
„Mir tut der Kopf weh.“
„Ist dir auch schlecht?“
„Ein bisschen“, entgegnete Caroline.
„Könnte eine Gehirnerschütterung sein.“
„Oh verdammt!“, stöhnte Michael verzweifelt. „Und ich bin schuld daran. Ich rauche nie wieder im Auto. Nie wieder.“
„Ist es noch weit?“, wollte Caroline wissen.
„Wir sind gleich da“, versicherte Julia.
Wenige Minuten später passierte der Wagen das Ortsschild von Ewersbrunn, einem kleinen Dorf außerhalb von Hannover. Etwa dreihundert Menschen lebten hier, hauptsächlich Ältere mit einem dicken Bankkonto. In der Ferne tauchte die Falkenberg-Klinik auf. Es war ein hohes, weißes Gebäude aus Beton und Glas, das wie ein surrealistisches Kunstwerk aus den grünen Wiesen emporragte. Die einseitig verspiegelten Scheiben schienen das Sonnenlicht wie eine ganze Batterie überdimensionaler, quadratischer Scheinwerfer zu reflektieren.
Julia parkte den Wagen direkt vor dem Eingang der Notaufnahme. Dort übernahm Doktor Volkmer Sander die Patientin. Eine große Doppeltür schloss sich. Julia und Michael setzten sich auf die Plastikstühle im Wartebereich.
„Wie schnell so etwas passieren kann“, stöhnte er. „Stell dir vor, Caroline wäre ... sie wäre gestorben. Ich weiß nicht, was ich dann getan hätte.“
Julia musterte sein Gesicht. Er sah gut aus, hatte markante Züge und hübsche kleine Ohrläppchen. „Hattest du schon mal einen Unfall?“, fragte sie ihn.
Er schüttelte heftig den Kopf. „Noch nie. Ich dachte immer, so etwas könnte mir nicht passieren. Eigentlich bin ich ein guter Autofahrer.“ Er senkte seine Stimme. „Und dann fahre ich beinahe ein Mädchen tot.“
Assistenzarzt Doktor Roland Böwing erschien in der Notaufnahme. Er war überrascht, die älteste Tochter des Klinikchefs zu sehen. Julia erklärte ihm, weshalb sie hier war. Er nickte und verschwand ebenfalls hinter der Doppeltür.
Julia wandte sich wieder Michael zu. „Was machst du überhaupt beruflich?“
„Gar nichts. Ich bin zurzeit arbeitslos.“
„Und was hast du gelernt?“
„Einzelhandelskaufmann. Und was machst du?“
„Ich gehe noch zur Schule.“
„Und danach?“, fragte Michael. „Willst du Ärztin werden?“
„Mal sehen.“ Julia zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es noch nicht.“
Michael nagte an seiner Unterlippe. „Hoffentlich bekommt Caroline von meiner Versicherung ein angemessenes Schmerzensgeld. Und die Jeans muss man ihr auch ersetzen. Sie ist zerrissen. Hast du‘s gesehen?“
Julia nickte. „Hab‘ ich.“
„Ich werde die ganze Schuld auf mich nehmen. Caroline kann nichts dafür, dass ich sie angefahren habe. Sie wollte nur über die Straße, und ausgerechnet in dem Augenblick fiel mir die Zigarette ...“ Er ballte die Hände zu Fäusten. „Ach verdammt, ich sollte wirklich mit dem Rauchen aufhören.“
„Kann ich dich für einen Moment allein lassen?“, fragte Julia.
Michael blickte sie unsicher an. „Wo willst du hin?“
„Zu meinem Vater.“
Er nickte. „In Ordnung. Ich bleibe hier“, sagte Michael. „Ich werde diese Klinik erst verlassen, wenn ich weiß, wie es Caroline geht.“
Chefarzt Doktor Alexander Kripow saß am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und erledigte einige Schreibarbeiten, als es an der Tür klopfte.
„Ja“, rief er.
Die Tür wurde geöffnet und seine Sekretärin Susanne Lehmann trat ein. „Ihre Tochter ist da.“
Doktor Kripow legte die Akte beiseite und erhob sich, als Julia hereinkam. Er war ein gutaussehender Mann mit dunklem, gewelltem Haar und ebenmäßigen Gesichtszügen. Sein weißer Arztkittel unterstrich seine stattliche Erscheinung, und er war sich seiner Vorzüge stets bewusst. „Was führt dich denn hierher?“, fragte er überrascht.
„Hallo, Vati.“ Sie küsste ihn auf die Wange. „Nicht‘s Gutes.“ Sie erzählte ihm ausführlich, was geschehen war.
„Na, dann werde ich mir die junge Dame mal ansehen“, meinte Doktor Kripow.
Er verließ mit seiner Tochter das Arbeitszimmer. Als sie in der Notaufnahme ankamen, saß Michael immer noch auf seinem Platz. Er warf Julia einen nervösen Blick zu.
„Ich weiß immer noch nicht, was mit Caroline los ist“, sagte er. „Das macht mich allmählich verrückt. Während du weg warst, kamen drei Ärzte und zwei Krankenschwestern vorbei, aber niemand wollte mir etwas sagen.“
„Ich werde mal nachsehen“, erwiderte Doktor Kripow. Auch er verschwand durch die Doppeltür.
„Keine Sorge“, sagte Julia, als sie sich neben Michael setzte. „Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, wird er uns Bescheid geben.“
„Hoffentlich.“
Zehn Minuten später erschien Doktor Kripow wieder. Julia und Michael blickten ihm gespannt entgegen.
„Wie geht es Caroline?“, wollte sie wissen.
„Sie hat sich nichts gebrochen“, antwortete Doktor Kripow. „Auch nichts verstaucht oder geprellt.“
Michael atmete erleichtert auf. „Na, ein Glück ...“
„Nur ein paar blaue Flecken“, fuhr der Arzt fort.
„Sie sagte, ihr wäre übel und sie hätte Kopfschmerzen“, erwiderte Julia.
Doktor Kripow nickte. „Sie hat eine mittelschwere Gehirnerschütterung. Deshalb werden wir sie auch einige Zeit hierbehalten.“
„Einige Zeit?“, fragte Michael. „Was meinen Sie damit?“
Der Chefarzt zuckte mit den Schultern. „Das kann ich im Augenblick noch nicht genau sagen.“
„Drei, vier Tage? Eine Woche? Oder länger?“
„Ich weiß es nicht.“
„Dürfen wir zu ihr?“, fragte Julia.
„Ja, aber nicht zu lange. Sie braucht Ruhe.“
„Keine Sorge“, versprach die junge Frau. „Wir bleiben nur ein paar Minuten.“
„Sie befindet sich auf Zimmer 207.“
Julia und Michael gingen zum Fahrstuhl und betraten die Kabine. Gerade als sich die Tür geschlossen hatte, rollten zwei Sanitäter einen Mann auf einer Trage in die Notaufnahme. Er war bewusstlos und seine Kleidung blutdurchtränkt.
„Schussverletzung“, sagte einer der Sanitäter.
Doktor Kripow nickte. „Bringen Sie ihn in Saal 2. Ich werde mich gleich um ihn kümmern.“ Sein Blick fiel auf die Frau, die hinter den Sanitätern die Notaufnahme betrat. „Kathrin? Was ist passiert?“
„Felk hat den Mann angeschossen“, antwortete sie.
„Warum?“
„Er wollte fliehen.“
„Und was ist mit dir?“, fragte er besorgt. „Bist du in Ordnung?“
„Ja, ja, mir geht es gut.“
„Dann bin ich ja beruhigt.“
Er umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf den Mund.
„Der Mann muss durchkommen“, sagte sie.
„Ist er ein Polizist?“
„Nein, aber er hat unter Umständen wichtige Informationen.“
„Ich tue, was ich kann“, erwiderte Doktor Kripow.
Währenddessen betraten Julia und Michael Zimmer 207. Caroline lag im Bett. Sie sah blass und müde aus. Man hatte sie an einen Tropf angeschlossen.
„Wie geht es dir?“, fragte Julia leise.
„Nicht so gut“, erwiderte Caroline.
„Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“, wollte Michael wissen.
Sie schüttelte den Kopf, bereute es aber gleich darauf, denn die Bewegung bereitete ihr Schmerzen.
„Soll ich jemanden für sich anrufen?“, erkundigte sich Julia.
„Das hat mich die Schwester auch schon gefragt.“
„Und was hast du geantwortet?“
„Was hätte ich sagen sollen? Es gibt niemanden, der benachrichtigt werden muss.“
„Hast du denn keine Eltern mehr?“
„Doch“, antwortete Caroline.
„Wohnst du bei ihnen?“, forschte Julia weiter. „Sie werden dich bestimmt vermissen.“
Caroline schüttelte den Kopf. „Mich vermisst niemand“, sagte sie mit trauriger Stimme. „Meine Eltern leben getrennt. Mein Vater ist in Göttingen und meine Mutter in München. Jeder hat einen neuen Partner gefunden. Von mir will keiner was wissen.“
„Wieso nicht?“, fragte Julia verständnislos. Sie war behütet aufgewachsen und konnte sich gar nichts anderes vorstellen.
„Ich passe offenbar nicht mehr in ihr neues Leben.“
„Was ist mit Nachbarn? Oder Freunden?“
„Mich vermisst kein Mensch.“
„Wo von lebst du?“
„Ich bekomme von meinen Eltern monatlich Geld. Das machen sie nur, um ihr Gewissen zu beruhigen. Ich habe es also nicht nötig zu arbeiten.“ Caroline machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. „Aber deswegen gammel ich nicht den ganzen Tag herum.“
„Und was machst du?“, wollte Julia wissen.
„Ich möchte mal eine berühmte Schriftstellerin werden“, erklärte Caroline mit glänzenden Augen. „Ich arbeite schon ziemlich lange daran.“
Die Tür wurde geöffnet und die Stationsschwester betrat den Raum. „Ich muss Sie jetzt bitten, zu gehen“, sagte die freundlich.
„Ich komme morgen wieder“, versprach Julia dem Mädchen.
„Das brauchst du nicht“, erwiderte Caroline. Sie war es offenbar gewohnt, allein zu sein.
„Ich möchte aber.“
„Ich auch“, fügte Michael hinzu. „Ich hab‘ was gutzumachen.“
Sie verließen das Krankenzimmer. Draußen auf dem Flur fragte der junge Mann: „Würdest du mich zur Polizei begleiten?“
Julia sah ihn überrascht an. „Zur Polizei? Warum?“
„Als Zeugin. Du hast den Unfall doch gesehen.“
„Ja, natürlich.“
„Dann musst du bestätigen, dass Caroline völlig unschuldig war. Sie konnte nichts dafür.“
Julia nickte. „Okay, ich komme mit.“
Kommissarin Kathrin Kripow war inzwischen in das Hauptdienstgebäude des Zentralen Kriminaldienstes in der Waterloostraße zurückgekehrt. Nun saß sie ihrem Chef Dezernatsleiter Gerhard Tielich in dessen Büro gegenüber, um ihm Bericht zu erstatten.
„Und, Frau Kripow, war Ihr Einsatz erfolgreich?“, fragte Gerhard, nachdem sie Platz genommen hatte.