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Der perfekte Liebesroman für die Sommerzeit! Stefanie Holländer erbt eine kleine Pension am Ammersee. Aber so friedlich wie die Landschaft sind die Menschen in ihrer neuen Heimat nicht. Der Hotelier von Ahlen versucht ihr das Seegrundstück abspenstig zu machen, statt keinem gibt es auf einmal zwei Männer in ihrem Leben und ihre eifersüchtige Nachbarin spinnt eine Intrige nach der anderen. Gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten und die Pension vor dem Ruin zu retten. Aber Stefanie wäre nicht Stefanie, wenn sie nicht allen Widerständen zum Trotz um ihr Glück und ihre Liebe kämpfen würde.
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Johanna Nellon lebt im schönen Rheinland, ist aber gern auf Reisen und liebt den Chiemgau und das Dreiländereck. Von Johanna Nellon sind in unserem Hause bereits erschienen: Ein Sommer am Chiemsee, Liebesleuchten am Bodensee, Marillenglück und Gummistiefel, Nussgipfel und Alpenglück, Herzklopfen am Bodensee
Der perfekte Liebesroman für die Sommerzeit!
Stefanie Holländer erbt eine kleine Pension am Ammersee. Aber so friedlich wie die Landschaft sind die Menschen in ihrer neuen Heimat nicht. Der Hotelier von Ahlen versucht ihr das Seegrundstück abspenstig zu machen, statt keinem gibt es auf einmal zwei Männer in ihrem Leben und ihre eifersüchtige Nachbarin spinnt eine Intrige nach der anderen. Gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten und die Pension vor dem Ruin zu retten. Aber Stefanie wäre nicht Stefanie, wenn sie nicht allen Widerständen zum Trotz um ihr Glück und ihre Liebe kämpfen würde.
Johanna Nellon
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Mai 2018© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: www.buerosued.deE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten
ISBN 978-8437-1737-3
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Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Die kleine Pension am Ammersee
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Cover
Titelseite
Inhalt
Die kleine Pension am Ammersee
Seit drei Tagen lag eine Hitzeglocke über der Stadt. Sowohl die Einheimischen als auch die Touristen, die München besuchten, stöhnten über das Wetter. Dennoch waren die Straßen von quirligem Leben erfüllt, und in den lauschigen Biergärten fand sich kein einziger freier Platz.
In der Lobby des renommierten Hotels Zum Isarbogen war es angenehm kühl, was viele Gäste dazu verlockte, es sich in den hellgrauen Polstermöbeln mit den dunkelvioletten Kissen bequem zu machen. Doch auch der üppig bepflanzte Innenhof war gut besucht, die meisten der Gäste hier genossen einen Drink oder einen Kaffee.
»Ein Glück, dass Sie endlich da sind, Stefanie.« Direktor Stadler kam aus der Bar und winkte Stefanie zu. »Danke fürs Einspringen.« Nervös strich er sich über das dunkle Haar, in das sich bereits etliche graue Strähnen mischten.
»Kein Problem. Ich hatte nichts Besonderes vor.« Stefanie beeilte sich, die Dienstkleidung anzuziehen und ihren Platz an der weitläufigen Rezeption einzunehmen. Die beiden Auszubildenden, die bislang allein hier Dienst getan hatten, atmeten erleichtert auf.
»Bin ich froh, dass du kommen konntest.« Annette Kaiser, im zweiten Ausbildungsjahr, reichte einer älteren Dame die gewünschte Straßenkarte, dann wandte sie sich Stefanie zu. »Wir sind zu Tode erschrocken, als Herr Kornbrenner plötzlich schlappmachte.« Sie schob sich mit einer für sie typischen Geste eine blonde Haarsträhne hinters Ohr.
»Mal wieder sein Kreislauf, oder?«
»Ja. Diesmal muss er sich gründlich durchchecken lassen, sagt der Chef. Es ist das zweite Mal dieses Jahr, dass er schlappmacht. Das darf er nicht so einfach ignorieren.«
Stefanie nickte nur, dann wandte sie sich vier Japanern zu, die gerade durch die breite Doppeltür kamen und in gebrochenem Englisch Auskünfte über abendliche Veranstaltungen wünschten.
Stefanie gab etliche Tipps, dann klingelte wieder einmal das Telefon, und drei neue Buchungen mussten entgegengenommen werden. Konzentriert sah sie im Computer nach, ob die gewünschten zwei Suiten noch frei waren.
»Gleich gibt’s ein Gewitter.« Unbemerkt war Christian Peuser hinter Stefanie getreten. Für einen kleinen Moment legte er ihr den Arm um die Taille. »Alles in Ordnung?« Sie spürte seinen warmen Atem im Nacken.
»Ja, ja, wir kommen klar.«
»Wir sehen uns später.« Der Griff um ihre Taille wurde für einen Moment fester. »Ich freue mich, wenn du mit mir zum Mittagessen gehst.«
Stefanie machte einen Schritt zur Seite und drehte kurz den Kopf zu ihm um. »Bitte lass das, Christian!«
»Schon gut.« Er ließ sie los. »Ich wollte ja nur fragen, ob alles läuft ohne den alten Kornbrenner.« Er lehnte sich an den Tresen und sah Stefanie an. »Wird Zeit, dass der Alte in Rente geht. Er passt absolut nicht mehr in das Hotel.«
»Wie kannst du so etwas sagen! Herr Kornbrenner ist die gute Seele des Hotels. Er kennt alle Stammgäste, und sie wissen seine Art sehr zu schätzen.«
»Unsinn, er ist einfach verbraucht, das wiegt viel schwerer. Aber du musst ihn ja in Schutz nehmen, du Gutmensch.«
Stefanie gab keine Antwort, sondern wandte ihre Aufmerksamkeit einem älteren Ehepaar aus Wien zu, das zu den Stammgästen des Hauses gehörte und für den Abend einen Tisch im Dachgarten-Restaurant reservieren wollte.
Christian Peuser war seit einem knappen Jahr stellvertretender Hoteldirektor. Er war sehr kompetent in seinem Beruf, konnte ungemein charmant sein und sah ausgesprochen gut aus. Stets perfekt gekleidet, war er ein Mann, nach dem sich die Frauen umdrehten. Er genoss diese Bewunderung sichtlich und war vor allem den weiblichen Gästen gegenüber von ausgesuchter Freundlichkeit.
Dass Stefanie ihn ganz neutral behandelte und in ihm nicht mehr als einen Vorgesetzten sah, ärgerte ihn. Immer wieder suchte er ihre Nähe, und seit etwa zwei Monaten wurden seine Avancen aufdringlicher.
Stefanie bereute, dass sie nach einem gemeinsamen Essen mit allen Mitarbeitern zugestimmt hatte, ihn zu duzen. Seither ließ er die notwendige Distanz vermissen und nahm sich immer häufiger Vertraulichkeiten heraus, die sie abstießen.
»Du hast bei dem schönen Christian einen Stein im Brett«, raunte ihr Annette zu. »Beneidenswert.« Sie sah dem Mann, der jetzt quer durch die Halle in Richtung Bar ging, mit leuchtenden Augen nach.
»Darauf kann ich verzichten.«
»Aber wieso das denn? Wenn er dich doch mag … das kann nur von Vorteil sein.«
»Auf die Art werde ich bestimmt keine Karriere machen.« Stefanies Stimme und ihre Miene machten deutlich, dass sie dieses Thema nicht weiter vertiefen wollte. Zum Glück blieb während des restlichen Tages kaum Zeit für ein privates Wort. Erleichtert atmete sie auf, als die Ablösung kam und sie heimgehen konnte.
Stefanie wohnte in Schwabing in einem sehr schönen Altbau. Schon ihre Großeltern hatten in dem Haus gewohnt, der alte Vermieter überließ ihr die Mansardenwohnung wohl aus alter Verbundenheit heraus zu einer relativ günstigen Miete. Normalerweise war eine Zweizimmerwohnung in dieser bevorzugten Lage in München unerschwinglich.
»So eilig?« Christian Peuser stand plötzlich vor ihr, gerade in dem Moment, in dem sie das Hotel durch den Personalausgang verlassen wollte.
»Ja, stimmt. Ich habe heute Abend noch etwas vor.« Sie wollte sich an ihm vorbeidrängen, doch er stellte sich ihr in den Weg.
»Ich kann dich fahren.« Er wies zum Himmel. »Gleich gibt’s wieder ein Gewitter. Kein Wunder nach der drückenden Schwüle, die den ganzen Tag über geherrscht hat. Dieser Frühling hat’s in sich. Die Föhntage mehren sich.«
Stefanie zögerte. Sie war schon spät dran, und wenn sie rechtzeitig in die Oper kommen wollte, musste sie sich beeilen.
»Nun stell dich nicht so an, ich beiße dich schon nicht.« Er zeigte zu seinem Wagen, einem schnittigen Cabriolet, das auf einem für die Direktion reservierten Parkplatz stand.
»Also gut. Aber es reicht, wenn du mich bis zur Haltestelle bringst.«
»So weit kommt es noch! Ich fahre dich natürlich nach Hause.« Er hielt Stefanie die Tür auf und glitt dann mit einer geschmeidigen Bewegung hinters Lenkrad.
Er wies durch die Frontscheibe. »Sieh raus, da hinten zucken die ersten Blitze über den Himmel. Gleich geht’s los.«
Und wirklich, schon einige Sekunden später prasselten die ersten Tropfen gegen die Windschutzscheibe. Als der erste Donner krachte, zuckte Stefanie leicht zusammen.
Nun folgten in rascher Folge einige Blitze und Donnerschläge, das Gewitter war genau über ihnen. Der Verkehr stockte, sie kamen nur langsam voran.
»Puh, da haben wir genau den Moment erwischt, in dem es losging.« Christian Peuser streckte die Arme ein wenig. »Zum Glück kann ich so bleiben, wie ich bin. Hab mir vorsichtshalber ein frisches Hemd angezogen.«
»Wieso das?«
Er lachte. »Na ja, ich habe auch noch eine Karte für die Oper ergattern können.« Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. »La Bohème ist so herrlich kitschig, das will ich mir noch mal ansehen.«
Stefanie zuckte zusammen. Kitschig nannte er diese wunderschöne Oper, die ihr absoluter Favorit war. Und heute würde auch noch eine der berühmtesten Sopranistinnen der Welt die Rolle der Mimi singen. Seit Wochen freute sich Stefanie auf diesen Abend.
Und jetzt erklärte ihr Christian Peuser, dass er in die Oper gehen würde – um sich etwas »Kitschiges« anzuhören. Sie musste sich beherrschen, um ruhig zu erwidern: »Wenn du Puccini nicht magst, warum gehst du überhaupt zu der Aufführung?«
Sekundenlang legte er ihr die Hand aufs Knie. »Weißt du das wirklich nicht?« Seine Stimme klang plötzlich heiser. »Als ich mitbekam, wie du vor zwei Monaten die Karten bestellt hast, hab ich mich ebenfalls um eine bemüht.« Er lachte leise und zog zu ihrer Erleichterung seine Hand wieder zurück. »So komme ich auf jeden Fall in den Genuss, neben dir sitzen zu können. Du hättest mich ja nicht aufgefordert mitzukommen.«
»Wieso sollte ich denn auch?«
»Vielleicht, weil du gespürt hast, dass du mir viel bedeutest.« Seine Stimme bekam einen etwas anzüglichen Unterton. »Und ich hoffe doch, dass du mich auch magst. Zumindest ein bisschen. Oder?« Wieder sah er sie von der Seite an.
Ehe Stefanie antworten konnte, zuckte dicht vor ihnen ein greller Blitz auf, es schien fast, als sei er in eine der Straßenlaternen gefahren, die am Straßenrand standen. Der darauf folgende Donner war ohrenbetäubend.
»Ein Glück, dass wir im geschlossenen Wagen sitzen. Der ist wie ein faradayscher Käfig, da kann uns kein Blitzschlag treffen.«
»Ich weiß.« Stefanie presste die Lippen zusammen und sah angestrengt nach draußen. »Das hab ich auch in der Schule gelernt.« Sie hasste es, wenn er mit Wissen prahlte, das eigentlich selbstverständlich war.
»Angst?«
»Nein. Höchstens die Sorge, dass wir doch zu spät kommen.«
»Ach was. Wenn du nicht zu lange trödelst, schaffen wir es locker. Von mir aus kannst du aber auch so bleiben, wie du bist. Mir gefällst du auch so.«
»Danke. Aber ich würde mich schon gerne umziehen.«
»Ja, ja, ich verstehe schon, weibliche Eitelkeit.« Er lachte. »Aber meinetwegen kannst du sogar in Jeans gehen. Mir gefällst du immer.« Stefanie fuhr zusammen, als er wieder die Hand auf ihr Knie legte.
»Die Kleidervorschriften haben sich zwar stark gelockert in den letzten Jahren, aber ich käme nie auf die Idee, so in die Oper zu gehen.« Stefanie wies auf ihre Jeans, zu der sie einen legeren Trachtenjanker aus schwarzem Wildleder trug, gleichzeitig schob sie Christians Hand fort. »Ich finde es einfach schön, wenn die Theaterbesucher ein wenig elegant gekleidet sind. Es schafft ja doch eine besondere Atmosphäre.«
»Da hast du recht. Diese Atmosphäre werde ich sicher auch spüren – dicht neben dir.«
Stefanie schwieg. Sie fühlte sich unwohl und bereute, Christians Angebot, sie heimzufahren, angenommen zu haben. Seine immer deutlicheren Avancen waren ihr unangenehm, sie wusste einfach nicht, wie sie den Mann auf Distanz halten konnte, ohne ihn zu beleidigen.
Sie atmete auf, als sie am Ziel waren und Christian erklärte: »Ich warte hier im Wagen auf dich. Eventuell fahre ich zweimal um den Block, wenn ich nicht doch einen Parkplatz in der Nähe ergattere.«
»Gut, ich beeile mich.«
Sie machte sich in Rekordzeit fertig und hastete dann wieder nach unten auf die Straße. Es regnete immer noch, doch das Gewitter war weitergezogen. Sie sah sich um, von Christians Wagen keine Spur.
Schon wollte sie erleichtert aufatmen, als er vorfuhr und den Wagenschlag öffnete.
»Ich hab in der Einfahrt dort drüben gewartet.« Er wies auf ein schräg gegenüber stehendes Haus. »Zum Glück kam auch niemand.«
»Prima.« Stefanie zog sich den leichten Mantel fester um die Beine. Sie hatte sich im letzten Moment dazu entschieden, ein schlichtes schwarzes Jerseykleid anzuziehen, zu dem sie nur einen bunt gemusterten Seidenschal umgelegt hatte. Vor drei Wochen hatte sie in einer kleinen Boutique ein wunderschönes Satinkleid gefunden, dessen Oberteil, eine knappe Korsage, mit Spitze bedeckt war. Das großzügige Dekolleté war so nicht allzu sexy. Stefanie hatte sich sofort in das nachtblaue Kleid verliebt und sich schon darauf gefreut, es bei dem Opernbesuch tragen zu können. Doch jetzt, in Christians Begleitung, wollte sie so unauffällig wie möglich wirken.
Auf dem Weg zum Opernhaus sprachen sie nur wenig, doch immer wieder warf Christian seiner Begleiterin lange Blicke zu. Und auch während der Aufführung schaute er sie so intensiv an, dass es ihr nach einer Weile unangenehm wurde.
»Ist die Netrebko nicht einfach wunderbar?« In der Pause bemühte sie sich um Konversation. »Als ich sie vor drei Jahren zum ersten Mal gesehen habe, war ich hin und weg von ihrer ausdrucksstarken Stimme.«
»Wo hast du sie gesehen?«
»In Mailand. In der Scala.«
Überrascht zog er die Augenbrauen ein wenig nach oben. »Das klingt, als wärst du ein echter Opernfan.«
»Bin ich auch.« Sie zögerte, dann fragte sie: »Und du? Magst du die Musik auch, oder … oder bist du heute nur meinetwegen mitgekommen?« Sie sah ihn nicht an, sondern spielte mit dem Stiel des Sektglases, das vor ihr auf dem hohen Bistrotisch stand. Wie die meisten der Opernbesucher hatten auch Christian und sie sich an der Bar ein Glas Sekt geholt.
Statt zu antworten, legte ihr Christian den Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Du weißt genau, dass nur du mich interessierst.«
Stefanie schüttelte den Kopf. »Sag so was nicht, bitte.«
Sein Griff wurde noch etwas fester. »Doch. Ich will, dass du es endlich weißt: Ich mag dich, Stefanie. Sehr sogar.« Er zögerte, ließ sie abrupt los und trank sein Glas in einem Zug leer.
Erleichtert atmete Stefanie auf, als in diesem Moment der Gong ertönte und anzeigte, dass die Pause zu Ende war. Den Rest der Aufführung konnte sie nicht so genießen, wie sie es sich gewünscht hatte. Immer wieder sah sie verstohlen zu Christian hin, der so tat, als folge er konzentriert dem Geschehen auf der Bühne.
Als sie das Opernhaus verließen, regnete es immer noch. Auf dem Weg nach Schwabing sprachen sie wieder nur wenig. Aus dem Autoradio klang leise Musik, und Christian Peuser summte die amerikanischen Songs mit.
Als er vor Stefanies Haus hielt, öffnete sie rasch den Wagenschlag.
»Warte.« Er hielt sie am Arm fest. »Was ist mit einem Abschiedskuss? Den hab ich mir verdient, finde ich.«
Stefanie hatte schon ein Bein auf den Asphalt gestellt und drehte sich nur knapp zu ihm um. »Bitte lass das.«
»Was?« In seinen Augen blitzte es auf. »Bilde dir nicht allzu viel ein. Was denkst du, wer du bist, ha?«
»Ich bin deine Kollegin. Und die würde ich auch gern bleiben. Danke fürs Fahren, Christian.« Sie schwang auch das zweite Bein aus dem Wagen. »Gute Nacht.«
»Hey, warte gefälligst!« Christian Peuser sprang aus dem Wagen und stellte sich Stefanie in den Weg. Der Griff um ihre Schultern war schmerzhaft grob.
»Glaubst du, ich hab mich ganz umsonst den Abend über zu Tode gelangweilt?« Er schüttelte den Kopf. Seine Augen brannten, und er atmete schwer. »Verdammt noch mal, Stefanie, ich will dich! Du machst mich scharf wie seit Langem keine Frau mehr. Also hör auf, die Unnahbare zu spielen.«
Mit aller Kraft schob Stefanie ihn von sich. »Lass mich los, Christian. Sofort.« Und als er nicht reagierte, fuhr sie fort: »Was du hier treibst, ist sexuelle Belästigung. Das werde ich melden, wenn du nicht sofort aufhörst.« Sie sah sich um, doch die sonst recht belebte Straße war menschenleer.
Mit einem Ruck schob er sie von sich. Stefanie taumelte und musste sich an der Hauswand abstützen. Regentropfen mischten sich mit den Tränen, die ihr über die Wangen liefen.
»Dann leck mich doch, du blöde Kuh!« Der Mann konnte seine Wut nicht länger zügeln. »Solltest froh sein, dass ich mich für dich interessiere! Und du drohst mir nicht noch mal!« Dicht stellte er sich vor Stefanie, sein Atem streifte ihren Mund, und ehe sie ihn daran hindern konnte, küsste er sie brutal.
Sie spürte noch das Blut auf ihren Lippen, als er sich abwandte, zum Wagen hastete und mit aufheulendem Motor davonfuhr.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis Stefanie sich so weit gefasst hatte, dass sie den Schlüssel ins Schloss stecken und aufschließen konnte. Sie zitterte am ganzen Körper. Auch jetzt noch glaubte sie, Christians Lippen auf ihrem Mund zu spüren, seine Zunge, die sich grob in ihren Mund gedrängt hatte – und seine Hände, die ihre Schultern viel zu fest umklammert hielten.
»So ein widerliches Ekel«, murmelte sie und zog das kleine Schwarze aus, hängte es an den Schrank und sah sich im hohen Spiegel an. »Das geht nicht so weiter, Stefanie«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Du solltest dich langsam nach einem neuen Job umsehen.«
Noch lag ein letzter Hauch von Morgenrot über den Dächern der Stadt, doch die Sonne stieg stetig höher und trocknete die Tautropfen auf den Pflanzen in den breiten Kübeln vor dem Hotelkomplex.
»Stefanie! Gut, dass du schon da bist.« Elmar Kornbrenner, wieder genesen, winkte sie zu sich. »Du hast gleich einen Termin mit dem Chef.«
»Ist gut.« Stefanie lächelte dem alten Kollegen zu. »Ich wollte auch mit ihm sprechen.«
»Ist was passiert?« Besorgt sah Elmar Kornbrenner sie an. Stefanie war ungewöhnlich blass, und ihr Lächeln wirkte gezwungen.
»Ja.« Schnell ging sie hinter den breiten Tresen und umarmte den liebenswerten Kollegen. »Ihnen sag ich es jetzt schon: Ich werde kündigen!«
»Nein!« Entsetzt sah er sie an. »Warum das denn, um Himmels willen? Doch nicht etwa wegen Herrn Peuser?«
Stefanie schüttelte den Kopf. »Nein, es ist …« Sie stockte, ihr Lächeln wurde offener, dann fuhr sie leise fort: »Ich hab eine Pension geerbt, Herr Kornbrenner. Stellen Sie sich das mal vor! Meine Tante Katharina, die in Dießen am Ammersee lebte, hat mir tatsächlich ihre Pension vererbt.«
»Gratuliere!«
Stefanie biss sich auf die Lippe. »Es ist unfassbar. Wie ein Traum. Der Notartermin war erst Freitagnachmittag, und ich … ich bin noch vollkommen durch den Wind. Das Wochenende hab ich dazu genutzt, mal rauszufahren und mir alles anzusehen. Ich war ewig lange nicht mehr da.« Sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Sie war gerade mal siebzig, als sie starb. Nie hätte ich mit ihrem frühen Tod gerechnet, sie war immer fit und aktiv.«
Der alte Portier senkte den Kopf. »Manchmal schlägt das Schicksal gerade dann zu, wenn man es nicht erwartet. Aber für dich freue ich mich aufrichtig.«
»Danke!« Sie nickte ihm zu. »Dann will ich mal hören, was es bei der Direktion gibt.«
»Der Peuser hat sich über dich beschwert, das weiß ich schon. Nur Konkretes hab ich nicht erfahren können.«
»Ist mir klar. Aber der wird sich wundern! Und unser Chef auch.«
Ihr Gespräch mit dem Hoteldirektor war ebenso kurz wie unerfreulich. Sie verwahrte sich gegen die Vorwürfe, die Christian Peuser gegen sie erhob, und als der Hotelchef ihr nicht sofort glaubte, erklärte sie knapp: »Unter den gegebenen Umständen wird es besser sein, dass ich dieses Haus sofort verlasse, meinen Sie nicht auch, meine Herren?« Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen sah sie von einem zum anderen – und genoss es, beide für zwei Minuten sprachlos zu sehen.
»So war das nicht gemeint. Wir können uns noch einmal zusammensetzen, wenn die Emotionen nicht mehr so hochkochen. Ich möchte Sie nicht verlieren, Frau Holländer.« Hoteldirektor Arno Stadler fühlte sich sichtlich unwohl.
»Da gibt es nichts mehr zu diskutieren. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen – im Gegensatz zu Herrn Peuser, der leider die Distanz zu seinen weiblichen Mitarbeiterinnen nicht genügend wahrt.« Sie nickte Direktor Stadler zu. »Glauben Sie mir, ich bin nicht die erste junge Frau, bei der er sich nicht beherrschen kann. Leider haben die meisten meiner Kolleginnen Angst, sich zu melden und sein Verhalten zur Anzeige zu bringen.«
»Das ist eine infame Unterstellung!«, begehrte Christian Peuser auf.
»Das ist die Wahrheit.« Ruhig sah ihn Stefanie an. »Sei froh, dass ich auf eine offizielle Anzeige verzichte. Aber ich verlasse das Hotel noch heute.« Sie stand auf. »Meine schriftliche Kündigung reiche ich nach. Und jetzt entschuldigen Sie mich, meine Herren.«
Sie nahm sich danach nur noch kurz Zeit, sich von einigen Kollegen zu verabschieden, dann verließ sie das Hotel. Allerdings nicht, ohne Elmar Kornbrenner zu sagen: »Wir bleiben auf jeden Fall in Kontakt.«
»Würde mich freuen, Stefanie.«
»Wenn ich mich eingerichtet habe, müssen Sie mich unbedingt mal in Dießen besuchen kommen. Das ist ein wirklich hübscher Ort.«
»Das mach ich, auf jeden Fall!«
»Auf der Bank hat die Katharina auch immer gesessen, wenn sie mal ausspannen wollte.« Mit langen Schritten kam ein dunkelhaariger Mann auf Stefanie zu. »Hey, ich bin der Kroller Mathias. Und du sicher Katharinas Nichte.«
»Stimmt.« Stefanie stand auf und ging zum schmiedeeisernen breiten Gartentor. »Stefanie Holländer.«
»Freut mich.« Für einen kurzen Moment blitzte es in den dunklen Männeraugen auf. »Dich hab ich hier noch nie gesehen. Hast du deine Tante nie besucht?« Ungeniert duzte er Stefanie.
»Doch. Hab ich. Nur leider nicht allzu oft in den letzten Jahren.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Und dich hab ich hier nie gesehen, wenn ich mal hier war. Wohnst du in der Nähe?«
»Gleich gegenüber.«
»Tatsächlich?« Stefanie runzelte die Stirn. »Dann hätten wir uns doch mal sehen müssen!«
Mathias schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Die Werkstatt hat mein Vater bis vor zwei Jahren noch geführt. Ich hab bis zu seinem Tod sechs Jahre in Kanada gelebt und war zwischenzeitlich nur selten daheim.«
Das war natürlich eine Erklärung. Stefanie streckte ihm die Hand entgegen. »Dann auf gute Nachbarschaft.« Sie zögerte, fügte dann hinzu: »Es kann sein, dass ich deine Hilfe bald mal brauchen werde. Ich kenne mich in der Gegend nicht gut aus, und du kannst mir sicher helfen, Handwerker zu finden.«
»Nur zu, sag einfach, was zu tun ist.«
»Viel zu viel.« Ein tiefer Seufzer folgte. »Ich bin ja erst drei Tage hier und hab mir gerade erst einen Eindruck verschafft, aber eins ist sicher: In der Pension ist die Zeit stehen geblieben. Vieles ist veraltet und sollte dringend renoviert werden. Mal sehen, was ich alles machen lassen muss. Ich kann nur hoffen, dass das Geld für die wesentlichsten Modernisierungen reicht.«
»Ich helfe dir gern, wenn ich kann.« Für einen Moment legte er ihr die Hand auf den Unterarm. »Ruf mich einfach, wenn du Unterstützung brauchst.«
»Danke, das ist sehr nett.« Stefanie sah auf, hinein in ein dunkles Augenpaar, das sie freundlich anlächelte. Ihr Herz klopfte ein paar Takte schneller, und instinktiv trat sie zwei Schritte zurück. »Ich muss wieder rein, hab noch nicht mal alles ausgepackt, was ich für die ersten Tage mitgebracht habe.« Sie nickte Mathias zu. »Morgen kommen die restlichen Möbel, und dann komme ich sicher auf dein Angebot zurück.«
»Tu das.« Er zögerte. »Was hältst du davon, wenn du zum Abendessen zu mir rüberkommst? Du hast doch sicher noch nicht viel im Haus. Und wir könnten auf gute Nachbarschaft ein Glas Wein trinken.«
»Einverstanden. Gegen acht?«
»Perfekt. Bis dann.« Grüßend hob er die Hand und ging zurück zur anderen Straßenseite. Sein Haus lag, so wie die Pension, ein paar Meter zurückversetzt in einem großen Garten. Das Gebäude wirkte sehr gepflegt, Blickfang war eine hohe Holztür, die mit Schnitzerei reich verziert war. Rechts und links davon standen zwei Terrakottakübel, in denen kleine Rosenbüsche steckten.
Bevor sie ihr Haus betrat, drehte sich Stefanie noch einmal um. »Deine Haustür ist wunderschön – im Gegensatz zu der hier.« Kurz strich sie über das rissige Holz der Pensionstür. Die Farbe der Tür blätterte an manchen Stellen ab, und tiefe Furchen zogen sich durch die vier großen Ornamente, die vor Jahren sicher einmal sehr dekorativ gewesen waren.
»Danke. Das war mein Meisterstück.« Mathias war noch einmal zurückgekommen. »Deine Tante wollte sich nicht helfen lassen. Leider. Ich hätte ihr die Tür gern gerichtet. Es ist eine Schande, dass sie sie mal grün hat streichen lassen.«
»Finde ich auch.« Stefanie seufzte leise auf. Sie erinnerte sich noch daran, dass ihre Tante früher ein sehr fröhlicher, optimistischer Mensch gewesen war. In den letzten Jahren allerdings hatte sie sich verändert, hatte oft mürrisch und verbittert gewirkt. Mit ein Grund, warum Stefanie den Kontakt zuletzt auf wenige Anrufe und Grußkarten beschränkt hatte. Und auch Tante Katharina hatte offenbar kein Interesse an näherem Kontakt gehabt.
»Na ja, ich muss mich nach und nach um das alles kümmern.« Sie hob die Hand. »Wir sehen uns.«
Drinnen, in den Privaträumen ihrer Tante, ließ sie sich auf einem alten Sessel nieder und sah sich um. Im Gegensatz zu den Pensionsräumen war hier alles gepflegt, die Küche war modern und mit allen technischen Raffinessen ausgestattet. Im geräumigen Wohnzimmer standen neben den zwei wunderschönen bemalten Bauernschränken allerdings auch ein paar alte, abgewetzte Möbel. Doch der Parkettboden war gut gepflegt, die alten Teppiche hingegen würde sie entsorgen. Insgesamt jedoch wollte Stefanie hier nur wenig verändern. Ihre helle Couchgarnitur würde gut zu den Schränken passen, ebenso der Esstisch aus Kirschbaumholz und die zwei kleinen Beistelltische.
Die Schlafzimmermöbel würden morgen schon abgeholt werden, ebenso etliche andere Dinge, die noch gut erhalten waren, ihr aber nicht gefielen. Zum Glück gab es karitative Organisationen, die man für solche Dienste einsetzen konnte.
Drei Stunden arbeitete Stefanie noch intensiv, dann gönnte sie sich eine Pause und ging hinaus auf die weitläufige Terrasse. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick auf den Ammersee, der im Abendlicht wie mit einem goldenen Tuch bedeckt vor ihr lag. Die Bergspitzen im Hintergrund glitzerten im Licht der untergehenden Sonne.
Stefanie hatte immer gewusst, dass so ein Seegrundstück einen gewissen Wert besaß. Wie unendlich kostbar es jedoch heutzutage war, war ihr erst seit dem Notartermin klar geworden.
»Sie können froh sein, dass Ihre Tante einiges an Wertpapieren besessen hat, die Sie jetzt sicher zu Geld machen werden«, hatte der Notar gesagt und sie mit einem kleinen, verständnisvollen Lächeln angesehen.
»Wieso sollte ich?«
»Nun …« Ein kurzes Räuspern folgte. »Ich glaube nicht, dass Sie so viel besitzen, um die Erbschaftssteuer begleichen zu können, die sich für Sie ergibt.« Dr. Kalscheurer war aufgestanden und ein paar Schritte auf Stefanie zugegangen. »Wenn es Ihnen recht ist, kümmere ich mich um diese Angelegenheiten.«
Nur kurz hatte Stefanie überlegen müssen, dann zustimmend genickt. »Sie haben recht, daran hatte ich gar nicht gedacht. Einige Tausend Euro hab ich zwar gespart, aber das wird wohl nicht reichen, oder?«
Er hatte den Kopf mit dem weißen Haarkranz geschüttelt und ein wenig nachsichtig gelächelt. »Sicher nicht. Das Seegrundstück ist einige Millionen wert. Zumal es ungewöhnlich groß ist. Dafür würde manch einer ein Vermögen geben. Vor allem die Hoteliers der Gegend wären mehr als interessiert, da bin ich sicher.«
»Was sagen Sie da? Millionen ist alles wert?« Stefanie war total überrascht. »Das … das hab ich nicht gewusst.«
»Allein die Lage ist sehr viel wert.«
»Aber ich verkaufe den Katharinenhof dennoch nicht. Auf keinen Fall. Das hätte meine Tante sicher nicht gewollt.«
»Ich freue mich, dass Sie so denken.« Für einen Moment verdunkelte sich seine Miene. »Katharina hat also recht gehabt.«
»Womit?«
»Was Sie und Ihre Einstellung zu dem Erbe betrifft.« Er war zu einem Safe an der langen, holzgetäfelten Wand gegangen und hatte einen großen Umschlag herausgeholt. »Den sollte ich Ihnen nur geben, wenn klar ist, dass Sie die Pension und das Grundstück nicht verkaufen werden.«
Stirnrunzelnd sah Stefanie erst auf den Umschlag, dann wieder zu dem Notar. »Was ist das?«
Ein fast gütiges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Ich vermute, eine große Summe Bargeld. Katharina hat nicht alles, was sie besaß, den Banken anvertraut. Und dem Finanzamt wollte sie auch nicht alles zukommen lassen.«
»Aber das ist doch … das geht doch nicht!«
»Ich habe da keine Bedenken.« Der Notar hatte ihr die Hand entgegengestreckt. »Nehmen Sie den Umschlag, und öffnen Sie ihn in aller Ruhe zu Hause. Und wenn Sie noch weitere Hilfe brauchen, kommen Sie zu mir. Katharina und ich waren alte Freunde, es wäre mir eine Freude, Ihnen helfen zu dürfen, Stefanie.«
»Und was wäre passiert, wenn ich verkauft hätte?«
Dr. Kalscheurer schloss die Safetür und drehte sich zu ihr um. »Dann wäre das Geld einer gemeinnützigen Institution zugutegekommen.«
Bisher hatte Stefanie den großen braunen Umschlag noch nicht geöffnet. Er lag in der Schublade des alten, wunderschön gearbeiteten Sekretärs, der in der geräumigen Diele stand.
Als sie ihn jetzt wieder einmal in die Hand nahm, brannte das Papier zwischen ihren Fingern.
»Los, stell dich nicht so an«, murmelte Stefanie und riss entschlossen die breite Lasche auf. Im nächsten Augenblick stockte ihr der Atem: Vier Geldbündel fielen aus dem Umschlag heraus.
»Zweihunderttausend Euro …« Stefanie hatte keine Mühe, die auf die Banderolen aufgedruckten Zahlen zu addieren. »So ein Vermögen …«
Schon wollte sie das Geld zurück in den Umschlag stecken, als sie das Kuvert bemerkte, das sie bisher nicht gesehen hatte. Darauf stand in der schwungvollen Handschrift der Tante ihr Name. Mit klopfendem Herzen öffnete Stefanie das Kuvert und zog den Brief hervor.
Liebe Stefanie,
wenn Du diese Zeilen liest, hast Du mein Erbe angenommen – und Dich vor allem entschlossen, den Katharinenhof weiterzuführen. Das freut mich sehr, denn die Pension ist mein Lebenswerk. Wenn ich in den letzten Jahren auch nicht mehr die Kraft hatte, alles auf dem neuesten Stand zu halten, so habe ich doch dafür gesorgt, dass Du ohne große Sorgen renovieren und dem Haus ein neues, modernes Gesicht geben kannst. Das Bargeld nimm für die ersten Investitionen, etliche Papiere kannst Du sicher gut verkaufen und damit die anfallenden Kosten begleichen.
Mein alter Freund, Notar Kalscheurer, wird Dir bei allen Projekten mit Rat und Tat zur Seite stehen. Scheue Dich nicht, ihn anzurufen und um Unterstützung zu bitten. Wenn Du Handwerker engagierst, dann frag Mathias Kroller um Rat. Er ist ein aufrichtiger Mensch, den ich sehr schätze, ebenso, wie ich seinen Vater geschätzt habe.
Ich bin sicher, liebe Stefanie, dass Du den Katharinenhof wieder in altem Glanz erstrahlen lassen wirst. Zu gern hätte ich es selbst getan, doch mein Nervenleiden hat mich daran gehindert, es hat mir Kraft und Lebensfreude genommen. Deshalb habe ich mich auch von Dir zurückgezogen. Ich wollte Dich nicht belasten. Aber ich habe Dich immer sehr, sehr lieb gehabt, mein Kind.
Ich wünsche Dir viel Erfolg und umarme Dich – Deine Tante Katharina.
Tränen standen in Stefanies Augen, als sie den Brief sinken ließ. Jetzt bereute sie es, sich nicht intensiver um die Tante gekümmert zu haben. Vielleicht hätte sie bemerkt, dass die Tante kränker war als gedacht. Aber jetzt war es zur Reue zu spät. Sie konnte sich nur dankbar erweisen, indem sie den Katharinenhof wieder auf Vordermann brachte.
An diesem Abend, nachdem sie eine deftige Suppe und eine Brotzeit gegessen hatten, sprach sie mit Mathias über ihre Pläne.
»Es muss so einiges passieren«, sagte sie. »Aber ich hab nur vage Ideen, wie die Pension aussehen müsste, um wieder zeitgemäß und wirtschaftlich erfolgreich zu sein.«
»Das hat noch ein paar Tage Zeit.« Über den Tisch hinweg griff er nach ihrer Hand. »Lass uns jetzt nicht mehr darüber reden. Erzähl mir lieber etwas von dir.«
Stefanie zuckte leicht mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen«, meinte sie. »Ich hab eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht, war auch ein Jahr auf der Hotelfachschule, dann habe ich in zwei renommierten Hotels gearbeitet.« Ein kleiner Schatten flog über ihr Gesicht. »Zuletzt in München.«
»Und da bist du wegen der Erbschaft weg?«, fragte Mathias.
»Nein. Nicht direkt jedenfalls. Es hat da ein paar Vorfälle gegeben, die mich bewogen haben zu kündigen.«
»Verstehe.« Er räumte die Teller beiseite und trug sie nach nebenan in die Küche.
»Warte, ich helfe dir.« Stefanie stand auf, und da er gerade zurückkam, stießen sie an der Tür zusammen. Sekundenlang hielt Stefanie den Atem an, als sie Mathias so nahe war. Vorsichtig sog sie seinen Duft ein. Er roch dezent nach einem herben Rasierwasser – und ein wenig nach frischem Holz.
Für eine Sekunde spürte sie Mathias’ Hände, die sich sanft um ihre Oberarme legten. »Es ist schön, dass du da bist«, sagte er mit leicht rauer Stimme, drehte sich dann abrupt um und holte aus der Küche eine neue Flasche Rotwein. »Du magst doch noch ein Glas?«
»Aber nur noch eins.« Langsam, fast zögernd ging sie zum Tisch zurück. »Ich muss noch ein bisschen was tun.«
»Nichts da. Heute wird nicht mehr gearbeitet.« Er goss noch einmal ein. »Wenn du möchtest, schicke ich dir in den nächsten Tagen die Anni vorbei. Das ist eine ehemalige Schulfreundin von mir. Sie hat Innenarchitektur studiert und leitet inzwischen das Geschäft ihrer Eltern. Die Burgmers haben wunderschöne Sachen in ihrem Laden. Ich bin sicher, dass die Anni dir helfen kann. Sie hat schon etliche Hotels hier in der Gegend ausgestattet und weiß genau, was bei den Leuten ankommt.«
Es war verrückt, aber als er von dieser Anni sprach, versetzte es Stefanie einen kleinen Stich ins Herz.
»Das wäre nett.« Sie trank einen Schluck. »Ein paar Anregungen von einer Fachfrau können sicher nicht schaden.«
»Die Anni ist wirklich super in ihrem Job. Außerdem eine patente Person, die weiß, was sie will.« Ein kleines Lachen folgte.
»Du kennst sie also gut?« Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen.
»Sicher. Wir arbeiten oft zusammen. Wenn sie etwas Besonderes braucht – oder wenn ihre Kunden Sonderwünsche haben, die man nicht maschinell fertigen lassen kann, bekomme ich den Auftrag durch sie.« Er lachte. »Wir ergänzen uns sehr.«
Stefanie trank ihr Glas aus und stand auf.
»Du willst schon gehen? Komm, bleib noch. Erzähl mir noch ein bisschen mehr von dir.«
»Ein andermal. Ich muss jetzt wirklich heim. Danke für alles.« Ehe er sie hindern konnte, war sie draußen und lief über die Straße hinüber zur Pension. Mit zitternden Fingern schloss sie auf und lehnte sich von innen gegen die Haustür.
»Schade«, murmelte sie und ärgerte sich, weil ihr Tränen in die Augen schossen.
»Und? Was sagen Sie zu den Skizzen?« Anni Burgmer legte noch drei weitere Blätter vor Stefanie auf den Tisch. »Die hab ich gestern noch gemacht, nachdem mir Mathias gesagt hat, wie die neuen Türen aussehen werden.«
»Danke.« Stefanie schaute sich die Blätter genau an. »Das ist … perfekt.« Sie lächelte Anni zu. »Genau so habe ich es mir vorgestellt. Das ist die richtige Mischung zwischen alpenländischer Gemütlichkeit und modernem Ambiente.«
»Freut mich, dass es dir gefällt.« Die Innenarchitektin zögerte, dann streckte sie Stefanie die Hand hin. »Ich finde, wir sollten uns duzen. Sind ja fast gleichaltrig. Und so arbeitet es sich noch besser. Was meinst?«
Stefanie nickte. »Gerne.« Sie schob die großen Blätter zusammen. »Kannst du mir schon in etwa sagen, was das alles kosten wird?« Sie hielt kurz inne. »Ins Uferlose sollten die Kosten für den Umbau nicht gehen.«
»Da steht alles.« Anni zeigte auf ein separat liegendes Blatt.
Für einen kurzen Moment stockte Stefanie der Atem, als sie die Summe las, doch dann nickte sie. »In Ordnung. Wann kannst du denn anfangen?«
»In der nächsten Woche, wenn es dir recht ist.«
»Gut. Da haben zwar zwei Familien vorreserviert, aber denen muss ich dann eben absagen.«
»Oder du bietest ihnen einen Sonderpreis an. Die Pensionszimmer willst du ja erst nach der Saison richten lassen, oder?«
Stefanie zögerte. »Das hatte ich eigentlich vor. Aber wenn ich es so recht bedenke, sollte ich alles in einem Aufwasch erledigen lassen. Sonst verzögert sich die Renovierung immer mehr.«
»Dann machst du gar nicht erst wieder auf, sondern Nägel mit Köpfen.« Anni schob sich eine ihrer kurzen schwarzen Locken hinters Ohr. »Richtig so! Der Katharinenhof wird dann vollständig in neuem Glanz erstrahlen.«
»Wenn ich mir vorstelle, was da alles auf mich zukommt, krieg ich kalte Füße.« Stefanie lächelte ein bisschen schief. »Aber vorgestern war ich beim Notar, der auch der Nachlassverwalter meiner Tante ist. Und er hat mir auch zugeraten.«
»Dann tu’s auch!« Anni erhob sich. »Ich geh dann jetzt. Bis nächste Woche.«
»Danke dir.«
»Ich danke dir – für einen tollen Auftrag.« Anni ging zu ihrem Lieferwagen, der in der Einfahrt parkte, und hob winkend die Hand. »Bis dann!«
Stefanie nickte und wollte schon die Tür schließen, als sie sah, dass Anni nicht einstieg, sondern abwartend neben dem Wagen stehen blieb.
»Hallo, Mathias! Grüß dich!« Stefanie sah, wie Anni auf Mathias zuging und ihm beide Arme um den Nacken legte. Die vertraute, beinahe zärtliche Geste zu beobachten versetzte ihr einen Stich, und rasch schloss sie die Tür.
Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich von innen dagegen. Du bist eine dumme Gans, schalt sie sich. Die beiden kennen sich seit Ewigkeiten, und da ist es doch ganz normal, dass sie sich freundschaftlich begrüßen.
Und doch blieb der leise Schmerz in ihrem Herzen.
»Oha! Jetzt wird’s spannend.«
»Spannend wär’s, wenn du mir die genauen Messungen durchgeben würdest.« Der Fensterbauer, der seit drei Wochen mit seinen Leuten im Haus arbeitete, warf dem blonden Azubi einen strafenden Blick zu. »Los doch, Maxi.«
»Gleich. Aber da vorn …« Maxi deutete zur Straße. Gerade stieg ein grauhaariger Mann in einem dunklen Trachtenanzug aus einer Limousine. Sein Gesicht war gebräunt, was einen interessanten Kontrast zum grauen Haar bildete.
»Der von Ahlen!« Auch der Fensterbauer schaute neugierig zur Straße. »Das taugt nicht.«
»Was will der wohl von der Frau Holländer?«
»Keine Ahnung. Und es geht uns auch nix an. Los, Maxi, weiterarbeiten!«
Auch Stefanie hatte den Wagen bemerkt, der direkt vor dem Grundstück parkte. Sie war gerade dabei, den Handwerkern einen Imbiss zu machen, und wischte sich kurz die Hände ab, ehe sie zur Haustür ging, um zu öffnen.
»Grüß Gott.« Sie lächelte dem Fremden entgegen. »Es tut mir leid, die Pension ist bis zum Herbst geschlossen.«
»Das ist mir bewusst.« Ein flüchtiges Lächeln, das die graublauen Augen nicht erreichte, huschte über das kantige Gesicht. »Ich bin Bruno von Ahlen. Mir gehört das Seeschlösschen gleich nebenan.«
»Stefanie Holländer. Angenehm, Sie kennenzulernen, Herr von Ahlen.«
»Wir sind jetzt so was wie Nachbarn, und da wollte ich mal vorbeischauen und sehen, wie Sie zurechtkommen mit der Sache hier.« Er machte eine knappe Handbewegung. »Die Katharina hat Ihnen ja net grade ein Schmuckkästchen überlassen. So verwohnt und altmodisch, wie die Pension inzwischen ist …«
»Deshalb renoviere ich ja.« Stefanie maß den Besucher mit einem kurzen, taxierenden Blick. »Tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht mal einen Platz anbieten, überall wird gewerkelt. Ein bisschen bequem ist es höchstens im Garten.«
»Dann gehen wir dorthin.« Und schon ging er ihr voran zur Terrasse.
Stefanie folgte ihm mit einem unguten Gefühl. Was wollte der Hotelier von ihr?
Er ließ sie über seine Absichten nicht lange im Unklaren.
»Es liegt mir nicht, lange um den heißen Brei herumzureden«, begann er, kaum dass er in einem der alten Sessel, die in Gruppen auf der weitläufigen Terrasse standen, Platz genommen hatte. »Ich bin hier, um Ihnen ein Kaufangebot zu unterbreiten.«
»Aber … ich denke nicht daran zu verkaufen.« Stefanie schüttelte den Kopf. »Sie sehen ja, dass ich schon angefangen habe zu renovieren.«
»Ja, ja, ich hab’s gesehen. Aber es ist nicht damit getan, neue Fenster einbauen zu lassen und vielleicht dem Haus einen frischen Anstrich zu verpassen. Das alles ist doch total veraltet, nicht mehr zeitgemäß.«
»Das ist mir bewusst.«
Er sah sie mit einem fast mitleidigen Blick an. »Ahnen Sie auch nur im Entferntesten, was Sie da angefangen haben, junge Frau?«
Stefanie ersparte sich eine Antwort. Sie sah hinaus auf den See, wo dicht am Ufer zwei Schwanenpaare ihre Bahnen zogen.
»Der Katharinenhof interessiert mich, das gebe ich unumwunden zu.« Bruno von Ahlen lehnte sich in dem Sessel zurück, der leise unter seinem Gewicht knarrte. »Ihre Tante hat Ihnen keinen Gefallen getan, als sie Ihnen den alten Kasten vererbte. Man nennt so ein Objekt ein Groschengrab. Glauben Sie mir, ich verstehe was von Hotels – und den Kosten, die sie verursachen.« Er beugte sich ein wenig vor. »Frau Holländer, Sie könnten unbeschwert und in Freuden leben, wenn wir ins Geschäft kämen.« Er legte für einen kurzen Moment seine Hand auf Stefanies Arm. »Ich kaufe Ihnen den alten Kasten ab.« Gespannt blickte er sie an. »Was sagen Sie?«
»Nein.« Stefanie sah ihn entschlossen an. »Ich verkaufe nicht.«
»Dann sind Sie schön dumm!« Unwillig blitzte es in den grauen Augen auf.
»Das, Herr von Ahlen, können Sie nicht beurteilen.« Stefanie stand auf. »Danke für Ihr Angebot, ich bin sicher, dass Sie es gut gemeint haben. Doch ich werde die Pension renovieren und dann selbst weiterführen.«
»Sie sollten noch einmal gründlich nachdenken.« Auch Bruno von Ahlen stand auf. »Fünf Millionen – und Sie haben mit nichts mehr was zu tun. Was sagen Sie dazu?«
Vor einigen Wochen noch wäre Stefanie bei der Nennung der Summe zusammengezuckt, inzwischen aber wusste sie um den Wert des Katharinenhofs.
»Nochmals danke. Aber ich bleibe bei meiner Entscheidung.« Stefanie machte eine Handbewegung in Richtung Haus. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe zu tun.«
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