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Vier Romane in einem Bundle, die so glücklich machen wie ein Tag am See! Ein Sommer am Chiemsee Als Hannah Scheifart von einem Tag auf den anderen ihren Blumenladen schließen muss, bricht schon eine Welt für sie zusammen. Aber dann noch ihren Freund mit einer anderen im Bett zu erwischen, stürzt sie in ihre größte Krise. Sie flüchtet zu ihrem Cousin an den Chiemsee, wo bayerische Gemütlichkeit, grüne Wiesen, gut gelaunte neue Freunde und eine neue Liebe auf sie warten... *** Liebesleuchten am Bodensee Eine Landschaftsgärtnerin und ein Filmschauspieler – kann das gutgehen? Als Bettina Solberg den charmanten Rick auf der Insel Mainau kennenlernt, hält sie ihn zunächst für einen Winzer aus der Gegend. Und Rick ist froh, dass er mal nicht erkannt wird, und gibt den Weinkenner. So nimmt am hochsommerlichen Bodensee, zwischen Blütenpracht und Segeljacht, das Liebeschaos seinen Lauf. Doch je ernster es zwischen den beiden wird, desto größer die Flunkerei. Rick muss kämpfen für ein Happy End zwischen Mainau, Kreuzlingen und Bregenz ... *** Herzklopfen am Bodensee Am sommerlichen Bodensee will die Tierärztin Andrea Karlsberg einen Neuanfang wagen: Sie wurde von ihrem Verlobten hintergangen und braucht Abstand von allem. Doch in der von ihr übernommenen Praxis geht es hoch her, und die Bauern in der Gegend trauen ihr nichts zu. Als dann auch noch eine alte Rivalin auftaucht, zweifelt Andrea an ihrer Entscheidung. Aber zum Glück hat sie bald eine neue Patientin: die Stute des äußerst attraktiven Hoteliers Markus Eichner. Wird der Sommer am Bodensee doch noch zu einem glücklichen Neuanfang? *** Die kleine Pension am Ammersee Stefanie Holländer erbt eine kleine Pension am Ammersee. Aber so friedlich wie die Landschaft sind die Menschen in ihrer neuen Heimat nicht. Der Hotelier von Ahlen versucht ihr das Seegrundstück abspenstig zu machen, statt keinem gibt es auf einmal zwei Männer in ihrem Leben und ihre eifersüchtige Nachbarin spinnt eine Intrige nach der anderen. Gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten und die Pension vor dem Ruin zu retten. Aber Stefanie wäre nicht Stefanie, wenn sie nicht allen Widerständen zum Trotz um ihr Glück und ihre Liebe kämpfen würde.
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Das Buch
Andrea Karlsberg arbeitet in ihrer Praxis in Gauting bei München, als sie über dem Grundstück einen Rettungshubschrauber hört. Darin liegt ihr schwerverletzter Verlobter Gerhard, der jedoch nicht allein im Unfallwagen saß, sondern gemeinsam mit Ellen Häuser, seiner Sekretärin.
Für Andrea bricht eine Welt zusammen, und sie setzt Gerhard auf die Straße. Um Abstand von ihm zu gewinnen, besucht sie ihre Cousine Bettina am Bodensee. Dort erfährt sie von einer Tierarztpraxis, wo sie als Partnerin einsteigen könnte. Nach einigem Zögern nimmt sie das Angebot an. Der neue Lebensabschnitt beginnt turbulent: Noch ehe sie ganz angekommen ist, muss sie ein Pferd verarzten. Es gehört dem attraktiven Hotelier Markus Eichner … Doch wird es wirklich so einfach mit dem Neuanfang am Bodensee?
Die Autorin
Johanna Nellon lebt mit ihrem Mann und einer Katze in Köln. Sie ist Drehbuchautorin und schreibt seit vielen Jahren auch Romane.
Von Johanna Nellon sind in unserem Hause bereits erschienen:
Ein Sommer am ChiemseeLiebesleuchten am BodenseeMarillenglück und GummistiefelNussgipfel und Alpenglück
Johanna Nellon
Herzklopfen
am
Bodensee
Roman
List Taschenbuch
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ISBN978-3-8437-1537-9
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: www.buerosued.de
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Du solltest dich endlich um ein Brautkleid kümmern. In fünf Wochen ist Hochzeit, aber die Braut interessiert sich mehr für trächtige Kühe, scheinschwangere Dackel und alte Kater als für ein weißes Kleid.« Daniela Meyerbeer hob einen fetten schwarzweißen Kater auf den Untersuchungstisch.
»Ach, das Kleid … Davon gibt es Tausende in München zu kaufen. Irgendeins wird mir schon passen.« Ohne ihre langjährige Freundin und Mitarbeiterin anzusehen, schob sich Andrea Karlsberg das Stethoskop in die Ohren und horchte den Kater ab.
»Na also, mein Dicker, das hört sich doch gut an.« Sie kraulte den Kater hinter den Ohren. »Wenn sich dein Frauchen jetzt noch an meine Ratschläge hält und dich nicht mehr überfüttert, hast du noch ein paar gute Jahre.«
»Das wird sein Frauchen aber nicht tun. Im Gegenteil, es wird ihn wieder so lange mit ungesundem Zeug vollstopfen, bis er erneutes Nierenversagen kriegt und hier landet. Oder er stirbt an Herzverfettung.« Daniela hob den leise maunzenden Kater in seinen Korb zurück. »Ich werde nie verstehen, warum die Leute ihren Tieren so was antun.«
»Die meisten haben nur dieses Tier als Bezugsperson – und sie verwöhnen es eben. Auch wenn es unvernünftig ist.«
»Zum Glück hast du deinen Gerhard zum Liebhaben.« Daniela seufzte leise. »Er ist ein Traummann. Obwohl …« Sie biss sich auf die Lippe, erwiderte dann aber: »Manchmal ist er mir ein bisschen zu materiell eingestellt.«
»Na ja, er hat so seine Macken. Und er ist ausgesprochen geschäftstüchtig. Das ist auch nicht falsch.« Die blonde Tierärztin brachte den behandelten Kater selbst zu seiner Besitzerin zurück und gab der zierlichen alten Dame ein paar Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg. Danach behandelte sie, assistiert von Daniela, noch eine trächtige Hündin, einen Kanarienvogel und kastrierte zwei Kater.
Am Schluss erneuerte sie bei dem mächtigen Bernhardiner, den man ihr vor zwei Stunden mit einem heftigen Epilepsieanfall gebracht hatte, die Infusion. Apathisch und mit halbgeschlossenen Augen lag der große Hund in einer der Boxen, die Andrea in der Scheune installiert hatte, und reagierte kaum, als sie ihm liebevoll zuredete. Sie kontrollierte vorsichtshalber sein Herz, maß Fieber und machte sich dann zu einem Hausbesuch auf, da mit dem Bernhardiner so weit alles in Ordnung zu sein schien.
»Pass nur ja auf bei den Wagners«, mahnte Daniela und sah der Freundin nach, die in ihren graublauen alten Kombi stieg und kurz die Hand hob.
Die Wagner-Brüder wohnten nur ein paar Straßen entfernt und besaßen drei Pythonschlangen, von denen eine den erfahrenen Tierhaltern Sorge machte. Sie fraß nicht und lag apathisch in einer Ecke des großen Terrariums.
Vorsichtig untersuchte Andrea das Tier. Sie hatte keine Angst vor Schlangen, und diese Python war gerade mal einen Meter lang. »Sie hat Bakterien. Deshalb liegt sie auch gerne in ihrem Wasserbecken«, diagnostizierte sie schließlich.
»Aber das kann nicht sein!« Jens Wagner fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden dichten Locken. »Wir halten die Terrarien peinlich sauber, das wissen Sie doch, Frau Doktor.«
»Sicher. Aber woher wollen Sie wissen, dass nicht eins der Futtertiere mit Bakterien infiziert war?« Andrea zog eine Spritze auf und injizierte ein Antibiotikum. »Das Mittel ist erprobt«, erklärte sie. »Noch drei, vier Injektionen, dann ist Ihre Schlange sicher auf dem Weg der Besserung. Falls nicht, müssten Sie sie in eine Tierklinik bringen, die auf Schlangenkrankheiten spezialisiert ist. Aber ich bin sicher, dass sie sich bald erholt«, fügte sie rasch hinzu, als sie die bedrückten Gesichter der beiden jungen Männer sah.
Nach diesem ungewöhnlichen Hausbesuch fuhr sie noch zu drei weiteren Adressen, doch dort gab es keine besonderen Vorkommnisse.
Im Westen verfärbte sich der Himmel, die Gipfel der fernen Alpen wirkten, als wären sie mit einem rotgoldenen Tuch bedeckt worden. Noch lag Schnee auf den Spitzen, der Winter hatte sich im Gebirge noch nicht ganz verabschiedet, doch im Flachland hielt bereits der Frühling Einzug.
Für ein paar Minuten blieb Andrea hinter dem Lenkrad ihres Wagens sitzen und genoss die Ruhe und das schöne Szenario. Sie ließ den Blick schweifen, sah die braunen Rinder des Huber-Bauern, die sie vor einigen Wochen geimpft hatte, schaute hinüber zu den vier Haflingern, die der leidenschaftliche Pferdezüchter Bernd Huber oft vor seine alte Kutsche spannte.
Das hier, das ist meine Welt, dachte Andrea, und wieder einmal fragte sie sich, ob sie sich an einer Tierklinik in München wohlfühlen könnte. Gerhard, ihr Verlobter, hatte ihr vorgeschlagen, sich dort zu bewerben. Er liebte die Großstadt, besaß ein weitläufiges Apartment in Schwabing und wollte, dass sie nach der Hochzeit mit ihm dort lebte. Seit Monaten drängte er sie, die Praxis »auf dem Land«, wie er Gauting nannte, zu verkaufen oder zumindest zu verpachten, doch Andrea hatte sich noch nicht dazu durchringen können.
Ihre Arbeit als niedergelassene Tierärztin – das war der einzige Streitpunkt zwischen Gerhard und ihr. Seit gut einem Jahr kannte sie den erfolgreichen Immobilienmakler, Hals über Kopf hatte sie sich auf einer Party bei Bekannten in ihn verliebt. Sie waren ein schönes, harmonisches Paar, und die bevorstehende Heirat war in Gerhards Augen mehr als überfällig. Schon wenige Monate nach ihrem Kennenlernen hatte er Andrea einen Heiratsantrag gemacht.
Andrea allerdings hatte sich zunächst nicht entscheiden können. Sie liebte ihre Unabhängigkeit, liebte ihren Beruf, liebte das alte, geschmackvoll renovierte Bauernhaus am Ortsrand von Gauting, in dem sie lebte und in dem sich auch ihre Praxis befand. Ein Onkel hatte ihr den Besitz samt drei Hektar Land vor Jahren vererbt.
Als »brachliegendes Kapital« hatte Gerhard den Hof vor ein paar Tagen noch bezeichnet. »Im Umland von München bezahlen die Leute ein Vermögen für ein großes Grundstück in dieser Lage. Wenn du den ganzen Krempel verkaufst, könnten wir uns ein Haus kaufen. Oder, besser noch, eine Penthousewohnung direkt in der Innenstadt. Und es bliebe immer noch genug übrig, um sorglos leben zu können.«
Doch so sehr er auch drängte, Andrea zögerte, diesen entscheidenden Schritt zu tun. Allerdings war ihr auch klar, dass eine Ehe auf Dauer nicht funktionieren konnte, in der die Frau auf dem Land und der Ehemann in einer Luxuswohnung in der Stadt lebte.
Sie zuckte zusammen, als hinter ihr das dumpfe Tuten eines Traktors ertönte.
»Probleme, Frau Doktor?«, erkundigte sich der Huber-Bauer, der von seinem Gefährt gestiegen war und sich neben Andreas Wagen stellte.
»Nein, nein, alles in Ordnung. Ich hab mich nur in dem schönen Anblick des Sonnenuntergangs verloren.«
»Ja, ja, unsere Heimat ist einmalig schön. Wenn’s auch oft Arbeit macht, die Hangwiesen zu mähen«, fügte er lakonisch hinzu.
Andrea nickte. »Schönen Feierabend«, wünschte sie ihm.
»Ihnen auch, Frau Doktor. Und bis bald. Sie denken ja dran, dass bald die alte Fanny kalben wird. Die Gute kriegt noch mal Zwillinge.« Er kratzte sich am Kinn. »Hoffentlich geht alles gut, meine Frau hängt an dem Tier. Sie hat die Fanny mit der Flasche großgezogen.«
»Ich komme, sobald Sie mich rufen.« Andrea startete den Motor, nickte dem Bauern noch einmal zu und fuhr dann weiter. Sie freute sich auf einen ruhigen Abend, den sie mit dem neuen schwedischen Krimi verbringen wollte, den sie sich am Vormittag gekauft hatte. Gerhard würde in München bleiben, er hatte am Abend noch einen Kundentermin.
Gerade, als sie in die breite Einfahrt zu ihrem Haus einbog, die von einer halbhohen Ligusterhecke gesäumt wurde, klingelte ihr Mobiltelefon.
»Karlsberg.«
»Hey, Andrea, ich bin’s, Bettina.«
»Hallo, Bettina. Was gibt’s?« Sie fuhr den Wagen vor die links vom Haus neu gebaute Garage.
»Gute Neuigkeiten. Richard kann jetzt doch mit zu eurer Hochzeit kommen. Die Dreharbeiten zu seinem neuen Film verzögern sich.« Bettina Meiningen, Andreas Cousine, war seit knapp drei Jahren mit einem bekannten Schauspieler verheiratet. Die beiden lebten auf dem Weingut der Meiningens am Bodensee, wo Richard mithalf, sofern er nicht drehen musste. Wenn er in den Weinbergen arbeitete, erkannte niemand in ihm den berühmten Rick Meinhard, der schon in den USA gedreht hatte und der Hauptdarsteller eines dreiteiligen Fernsehfilms gewesen war, der beste Kritiken erhalten hatte. Seither war seine Bekanntheit noch gestiegen, die Aufträge und Angebote mehrten sich.
»Das wird meine Sprechstundenhilfe umhauen. Daniela schwärmt so für ihn.«
»Hoffentlich ist sie nicht enttäuscht, wenn sie ihn in natura sieht.« Bettina lachte. »Ich bin jedenfalls froh, dass er mitkommen kann.« Ihre letzten Worte wurden vom Rotorengeräusch eines Rettungshubschraubers geschluckt. »Wir telefonieren noch mal«, rief sie, dann brach das Gespräch ab.
Andrea stieg aus dem Wagen und sah nach Süden, wo der Hubschrauber in Richtung Starnberger See entschwand. Auf der Autobahn, die zum See führte, passierten immer wieder schwere Unfälle, und auch die Nebenstraßen waren unfallträchtig.
Von der nahen Koppel erklang nervöses Wiehern, und Mucki, die schwarze Katze, die Andrea vor einem Jahr halbverhungert im Garten gefunden und gesund gepflegt hatte, kam ums Hauseck und schmiegte sich an ihre Beine.
»Dich könnte ich auch nicht mitnehmen nach München«, murmelte Andrea, und ein Schatten fiel über ihr Gesicht.
Die Federn des alten blauen Sessels quietschten leise, als sich Andrea hineinkuschelte und die Füße über die rechte Lehne hängte. Unwillkürlich musste Andrea schmunzeln. Schon als Kind hatte sie in dieser Haltung gern gelesen, der alte Sessel war das einzige Möbelstück, das sie aus der Wohnung ihrer Großeltern mitgenommen hatte. Sie hatte ihn aufarbeiten und neu beziehen lassen. Und wenn sie jetzt die Füße über die Lehne legte, schimpfte auch niemand mehr mit ihr, so wie früher, als sie von ihrer Großmutter regelmäßig gerügt worden war. Allerdings hatte Gerhard den Kopf geschüttelt, als er mitbekommen hatte, dass sie in das alte Möbelstück Geld investiert hatte.
»Das Ding gehört auf den Sperrmüll, wie konntest du nur so viel Geld fürs Aufarbeiten ausgeben?«
»Ich liebe diesen Sessel.«
»Und ich finde ihn scheußlich. Glaub bloß nicht, dass ich ihn in meiner Wohnung haben will.«
Das werden wir ja noch sehen, hatte Andrea damals nur gedacht und sich auf keine weiteren Diskussionen eingelassen. Allerdings war es nicht das erste Mal, dass ihr Verlobter und sie völlig gegensätzliche Ansichten und Vorlieben hatten, aber beide diskutierten das nicht aus. Natürlich gab es auch etliche Gemeinsamkeiten. Sie besuchten beide gern Konzerte und Museen, vor allem die Impressionisten liebten beide. Und auch in puncto Urlaub waren sie sich bislang stets einig gewesen. Sie liefen beide sehr gut Ski, mochten keinen Strandurlaub.
Aber … das waren Dinge, die nicht so gravierend waren, dass sie die Grundlage für ein langes gemeinsames Leben bilden konnten.
Während sie sich in die ersten zwei Kapitel des Krimis vertiefte, aß Andrea ein Brot, das dick mit duftendem Heublumenkäse belegt war. Einer der Bauern in der Gegend produzierte diesen Käse, der hervorragend schmeckte. Dazu passte der Roséwein vom Bodensee ausgezeichnet. Zu Ostern hatte ihr Bettina eine Kiste davon geschickt. Die junge Winzerin, die sich erst nach der Hochzeit in den Betrieb eingearbeitet hatte, war sehr stolz auf dieses neue Produkt.
Andrea wollte sich gerade noch ein halbes Glas eingießen, als ihr Mobiltelefon klingelte. Mit einem kleinen Seufzer legte Andrea das Buch zur Seite und meldete sich.
»Schwester Marie-Christine vom Klinikum rechts der Isar. Frau Doktor Karlsberg?«
»Ja, bitte?« Andreas Puls beschleunigte sich.
»Wir haben Ihren Namen in den Papieren von Gerhard Gschwendner gefunden. Darin steht, dass Sie im Fall eines Unfalls benachrichtigt werden sollen. Herr Gschwendner ist vor einer Stunde hier eingeliefert worden und …«
»Was ist mit ihm?« Andrea musste sich bemühen, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich bin seine Verlobte.«
»Er hatte einen Unfall.« Die Schwester zögerte sekundenlang, dann fuhr sie fort: »Es wäre gut, wenn Sie kommen könnten.«
»Ja … danke. Ich komme sofort.« Andrea als Medizinerin wusste, dass es schlecht um Gerhard stehen musste, wenn man sie dringend bat, zu kommen.
Sekundenlang blieb sie mit geschlossenen Augen im Sessel sitzen. Ihr Herz raste, und sie glaubte für ein paar Atemzüge lang, nicht aufstehen zu können.
Gewaltsam riss sie sich zusammen. Ein Glück, dass sie das zweite Glas Wein noch nicht angerührt hatte!
Die Fahrt durch die einsetzende Dämmerung kam ihr unendlich lang vor. Das große Gebäude der Uniklinik war hell erleuchtet, der Parkplatz auch jetzt noch voll besetzt. Zwei Krankenwagen kamen Andrea entgegen, und in der weitläufigen Halle herrschte reges Kommen und Gehen.
Als sie sich endlich zum OP-Trakt durchgefragt hatte, war ihr elend vor Aufregung. Eine ältere Pflegerin kam gerade aus der breiten, doppelflügeligen Milchglastür, über der OP-Bereich – Eintritt verboten stand.
»Bitte, Schwester …« Andrea stellte sich der Schwester, deren Gesicht grau vor Müdigkeit war, in den Weg. »Können Sie mir etwas über das Befinden von Herrn Gschwendner sagen? Man hat mich angerufen und über seinen Unfall informiert.«
»Das war ich.« Die grauhaarige Schwester griff nach Andreas Arm und zog sie ein paar Schritte zur Seite. »Der Patient wird noch operiert. Er hat innere Verletzungen erlitten. Ebenso seine Begleiterin. Sie hat einen Armbruch und leider sehr schwere Gesichtsverletzungen. War wohl nicht angeschnallt.«
»Seine Begleiterin?«
Die Schwester nickte. »Ja. Er war nicht allein im Wagen. Tut mir leid.«
»Wann kann ich ihn sehen?« In ihrer Angst um Gerhard hörte Andrea gar nicht richtig zu.
Ein kurzer, mitleidiger Blick streifte sie. »Die Operation wird sicher noch länger dauern.« Die Schwester wies auf eine kleine Sitzecke. Helle Plastikstühle waren um einen ovalen Tisch gruppiert, auf dem ein paar zerlesene Zeitschriften lagen. »Man wird Ihnen Bescheid sagen, wenn er aus der Narkose erwacht ist. Mich entschuldigen Sie bitte, ich muss zur Intensivstation.«
Andrea war versucht, die Schwester noch einmal zurückzuhalten, doch sie sah ein, dass es sinnlos war. Mit schweren Schritten ging sie zu den vier Stühlen, doch sie setzte sich nicht. Blicklos, mit Tränen in den Augen schaute sie aus dem hohen Fenster in die Nacht hinaus.
Erst nach und nach drang in ihr Bewusstsein, was die Schwester gesagt hatte: Gerhard war schwer verletzt – genau wie seine Begleiterin!
Seine Begleiterin … Wer hatte mit ihm im Wagen gesessen? Eine Kundin? Eine Anhalterin?
Für kurze Zeit klammerte sie sich an diesen Gedanken. Doch im tiefsten Innern wusste sie, wer die Beifahrerin gewesen war: Ellen Häuser, Gerhards Sekretärin. Und Geliebte.
Schon vor Monaten hatte sie mitbekommen, dass er eine Affäre mit dieser Frau hatte. Ellen Häuser hatte ihr irgendwann aufgelauert, als sie abends von einem Besuch bei einem Bauern mit zwei kranken Schafen heimgekommen war.
Ungeniert hatte die schöne rothaarige Frau ihr erklärt: »Gerhard und ich lieben uns. Geben Sie ihn endlich frei. Er liebt Sie nicht, nur Ihr Geld. Und das hier …«, eine weit ausholende, das Terrain umfassende Handbewegung war gefolgt, »das hier hasst er. An dieser Hütte und dem Land interessiert ihn nur das Geld, das ein Verkauf einbringen wird.«
»Sie lügen. Gehen Sie!«
Es hatte Andrea Mühe gekostet, die Nerven zu bewahren. Und es war ihr auch schwergefallen, Gerhard zur Rede zu stellen. Doch er hatte sie beruhigt und mit treuem Blick gesagt: »Diese Ellen … Wir hatten mal was miteinander, aber das ist lange her. Sie kann nur nicht akzeptieren, dass ich sie nicht mehr liebe, sondern dass mein ganzes Herz dir gehört. Deshalb hat sie mich bei dir verleumden wollen.«
Er hatte damals so leidenschaftlich, so intensiv auf Andrea eingeredet, ihr mit so vielen schönen Worten klargemacht, dass sie seine große Liebe war, dass Andrea ihm geglaubt hatte.
Sie erinnerte sich noch an die Nacht, die nach der Aussprache gefolgt war. Mit unendlicher Zärtlichkeit hatte Gerhard sie geliebt, sie so verwöhnt wie noch kein Mann zuvor.
Und sie war glücklich gewesen.
Glücklich und vertrauensselig …
Zäh krochen die Minuten dahin. Hin und wieder kam eine Schwester aus der Milchglastür, hastete über den Flur, kehrte zurück und verschwand wieder im OP-Bereich.
Fast vier Stunden dauerte es, bis ein junger Assistenzarzt zu Andrea kam. »Der Eingriff ist geglückt«, erklärte er und reichte ihr flüchtig die Hand. »Es war knapp. Aber unser Chef hat wieder mal sein Bestes gegeben.«
»Kann ich zu meinem Verlobten?«
Der blonde Arzt mit der schwarzen Hornbrille, die überhaupt nicht zu seinem schmalen Gesicht passte, nickte. »Ich bringe Sie zur Intensivstation. Aber Sie können nur kurz bleiben.«
»Danke.« Andrea fragte sich, wieso sie in dieser Situation darüber nachdenken konnte, dass die Brille dem jungen Arzt so gar nicht stand. Verrückt!
Und dann stand sie an Gerhards Bett. Sein Gesicht war kaum zu erkennen, so zerschunden war es. Ein Verband verbarg die braunen Haare, über der Nase klebte ein festes Pflaster, leise summten die Instrumente, die neben dem Pflegebett standen.
»Er hat die Nase gebrochen und eine tiefe Risswunde am Haaransatz.« Eine Intensivmedizinerin mit olivfarbener Haut trat neben Andrea. »Aber das sind unbedeutende Verletzungen. Am schlimmsten sind die Wirbelbrüche. Zudem musste Professor Meyers die Milz entfernen. Und auch seine Lunge ist verletzt. Eine Rippe hat sich hineingebohrt.«
»Wirbelbrüche?« Andreas Stimme klang hohl.
»Ja. Drei.« Die Ärztin sah Andrea aus ihren dunklen Augen ernst an. »Er muss eine Weile in einer Gipsschale liegen, sonst droht doch noch eine Lähmung. Die Nervenbahnen sind …« Sie wollte ein paar weitere Erklärungen abgeben, aber Andrea unterbrach sie:
»Ich bin Veterinärmedizinerin. Ich weiß Bescheid.« Vorsichtig griff sie nach Gerhards Hand, in der eine Infusionsnadel steckte. »Kann ich noch eine Weile bleiben?«
»Fünf Minuten. Bitte nicht länger.«
»Danke.«
Dann saß sie neben ihm, schaute auf die Instrumente, die seine Lebensfunktionen aufzeichneten, in sein Gesicht, auf seinen Mund, den sie so oft geküsst hatte. Zärtlich strich sie mit dem Zeigefinger über die rissigen Lippen.
Gerhards Lider flatterten. »Ellen … was ist mit Ellen …« Er öffnete die Augen nicht, doch an den Instrumenten war abzulesen, dass sich sein Puls beschleunigte.
Andrea zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Die indische Ärztin kam zurück und forderte sie auf: »Bitte gehen Sie. Der Patient braucht unbedingt Ruhe.« Sie warf einen Blick auf die Instrumente, dann gab sie der Schwester, die sie begleitete, Anweisung, ein Medikament aufzuziehen. Doch ehe sie es injizierte, drängte sie Andrea aus der schmalen Kabine.
Morgen, spätestens übermorgen wird’s regnen.« Bettina Meiningen blieb stehen und blickte über den hohen Rebhang hinweg zum Bodensee hin, der sich in strahlendem Blau präsentierte. »Endlich!«
»So was kann auch nur eine Winzerin sagen.« Zärtlich legte Richard Meiningen den Arm um seine Frau. »Die Touristen genießen lieber die Sonnentage. Und ich, ehrlich gesagt, auch.«
»Du hast nur keinen Bock drauf, uns beim Biegen und Hochbinden der Reben zu helfen, gib’s zu!«
»Unsinn! Mit dir zusammen macht sogar die Rebenerziehung Spaß.« Treuherzig sah Richard seine Frau an. »Wobei ich zugeben muss, dass ich andere Dinge lieber mache. Das hier, zum Beispiel.« Übermütig zog er sie in die Arme und küsste sie. »Hab ich dir heute schon gesagt, wie glücklich du mich machst?«
»Nein.« Lachend schaute sie ihn an. Wie sehr sie ihn liebte! Und wie glücklich sie mit ihm war! Vor gut vier Jahren hatten sie sich während eines Unwetters am Bodensee kennengelernt. Damals hatte Bettina nicht gewusst, dass der Mann, mit dem zusammen sie einen kleinen Hund aus dem Wasser rettete, der berühmte Filmstar Rick Meinhard war.
Und Richard hatte sie lange im Unklaren gelassen. Er arbeitete in seiner Freizeit auf dem Weingut mit, unterstützte seinen alten Großvater, der den Besitz nach dem Tod von Sohn und Schwiegertochter bewirtschaftete. Ottmar Meiningen hatte Bettina schon bei ihrem ersten Besuch auf dem schönen alten Besitz ins Herz geschlossen. Und als sie sich entschloss, ihren Beruf als Landschaftsgärtnerin auf der Insel Mainau aufzugeben und den Winzerberuf zu erlernen, gewann sie seine Liebe endgültig. Sie arbeitete hart, aber mit Begeisterung, und täglich lernte sie von dem erfahrenen alten Winzer noch mehr.
»Wir müssen zurück. Sonja muss gefüttert werden.« Bettina wollte sich aus Richards Umarmung befreien, doch er hielt sie fest. »Noch einen Kuss.«
»Du bist ein pflichtvergessener Vater.« Sie lachte und strich ihm eine widerspenstige Haarlocke aus dem Gesicht. »Heute bist du schließlich dran mit Füttern und Baden.«
Seit fast zehn Monaten war die kleine Sonja auf der Welt, und niemand hätte stolzer sein können als Richard. Oft war er versucht, eine Rolle abzulehnen, wenn ihn die Dreharbeiten zu lange von daheim fortführten. Aber er wusste auch, dass das unklug gewesen wäre. Gerade war er gut im Geschäft, doch das konnte sich innerhalb weniger Monate ändern. Das Filmgeschäft war hart und kurzlebig.
»Ich liebe unsere Prinzessin«, murmelte Richard dicht an Bettinas Lippen. »Aber jetzt wäre ich nicht böse, wenn wir zwei noch eine Stunde für uns allein hätten.« Zärtlich knabberte er an ihrem Ohrläppchen, während sich seine Hände unter ihren leichten Pulli schoben.
»Später.« Bettina gab ihm noch einen raschen Kuss. »Der Abend gehört uns, versprochen.«
»Kein Papierkram? Keine Kontrolle im Weinkeller?«
»Nein. Nur du.« Sie legte ihm den Arm um die Hüfte, und eng umschlungen gingen sie den Weg durch die jungen Reben hoch zum Hof, der sich auf einer Anhöhe über dem Ort Nonnenhorn befand. Vom Vorplatz aus hatte man einen wunderbaren Blick über den Bodensee.
Auf der alten, sonnengebleichten Holzbank vor dem Haus saß Ottmar Meiningen, links von ihm stand Sonjas Kinderwagen, in dem die Kleine noch tief und fest schlief. Auf dem alten, schön gemaserten Holztisch stand ein Tonkrug mit hellroten Tulpen. Daneben das unvermeidliche Glas Wein, mit dem Ottmar seinen Feierabend begann.
»Die Süße schläft noch.«
»Irrtum. Sie spürt, wenn ihr Papi bei ihr ist.« Richard beugte sich über den Wagen. »Na, Prinzessin, ausgeschlafen?«
Klein Sonja sah ihn an, das Mündchen zu einem Lachen verzogen. Strampelnd befreite sie sich von der Wolldecke, die Ottmar über sie gebreitet hatte, und streckte die Arme nach ihrem Vater aus.
»Du verwöhnst sie.« Ottmar grinste. »Wirst schon sehen, was du davon hast.«
»Glück, was sonst?«
»Ich hole uns auch was zu trinken.« Bettina war noch nicht an der Haustür, als ihr Handy klingelte. Nach einem kurzen Blick aufs Display meldete sie sich.
»Hallo, Andrea! Was gibt’s Neues? Hast du endlich dein Brautkleid, oder soll ich dir meins mitbringen?«
Das Lachen, das folgte, blieb ihr in der nächsten Sekunde in der Kehle stecken.
»Es gibt keine Hochzeit.« Andreas Stimme klang dumpf. »Er hat mich betrogen.«
»Aber …«
»Ich weiß es genau. Seit fast zwei Jahren ist sie seine Sekretärin – und wohl auch mehr, und jetzt hatten die beiden einen Unfall.« Heftiges Schniefen unterbrach den aufgeregten Redeschwall. »Stell dir vor, er war noch halb betäubt nach der schweren OP, die hinter ihm lag, als er schon nach dieser Ellen rief.«
»Sie ist auch verletzt?«
»Ja. Sie hat Schnittwunden im Gesicht. Und er …«, wieder ein Schluchzen, »er hat Verletzungen im Gesicht, Prellungen, einen gebrochenen Arm, einen Lungenriss und eine Rückenverletzung. Aber er wird wohl nicht gelähmt bleiben. Dieser verdammte Mistkerl! Dieses Ekel! Ich hasse, hasse, hasse ihn!«
Es dauerte eine Weile, bis Bettina antworten konnte. Sie ging ins Haus und setzte sich in der Küche auf die breite Eckbank, die unter dem Fenster stand. »Beruhige dich. Andrea, bitte, reg dich nicht so auf. Vielleicht ist alles ein dummes Missverständnis, und er hat sich nur nach der Sekretärin erkundigt. Aus Fürsorge.«
»Pah! Das glaubst du doch selber nicht.«
Bettina schwieg. Nein, sie glaubte auch nicht an das, was sie gerade gesagt hatte. Und wenn sie ehrlich war, wunderte es sie gar nicht, dass Gerhard ihre Cousine betrogen hatte. Er war smart, wirkte oft aalglatt und hatte auf sie, als sie ihn einmal getroffen hatte, nicht sehr sympathisch gewirkt. Doch Andrea liebte ihn, und nur das schien ihr wichtig zu sein.
»Man hat mir seine Sachen gegeben, die die Polizei sichergestellt hat. In seiner Jacke waren Fotos … Und ein Flugticket nach Rom. In der nächsten Woche wollte er mit dieser Ellen für drei Tage dahin.«
»So kurz vor eurer Hochzeit? Das ist … abgefeimt.«
»Das ist gemein und hinterhältig. Mir hat er gesagt, er muss nach Berlin zu einer wichtigen Besprechung wegen eines Großprojekts.« Wieder schluchzte sie unterdrückt auf. »Und ich Trottel hab ihm geglaubt, hab nie hinterfragt, ob es stimmt, was er alles erzählt. Ich frag mich wirklich, warum er mich überhaupt heiraten wollte, wenn er doch anderweitig liiert ist.«
Bettina zögerte. »Dein Grundstück … Es ist ziemlich wertvoll, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wenn er darauf spekuliert hat …« Bettina brach ab. »Weißt du was, darüber reden wir, wenn du hier bist. Pack deine Sachen und komm her für zwei Tage. Wir alle würden uns freuen. Und du hast dein Patenkind lange nicht mehr gesehen. Sonja kann schon stehen, und die ersten Schritte versucht sie auch schon.«
Andrea zögerte. Das Angebot war verlockend, doch sie konnte ihre Tiere nicht allein lassen. Zwei frisch operierte Katzen und ein Bernhardiner mit Epilepsie befanden sich in ihrer Obhut. Vor allem der Hund musste intensiv betreut werden. Dazu kam, dass der Huber-Bauer darauf vertraute, dass sie sich um seine kalbende Kuh kümmerte.
»Ich kann nicht«, sagte sie leise. »Aber wenn ich darf, ruf ich dich wieder an, ja?«
»Mach das. Wann immer du willst.«
Was willst du? Alles verpachten? Das darf doch nicht wahr sein!« Gerhard Gschwendner wollte sich ruckartig aufrichten, doch im letzten Moment hielt er sich zurück. Die Wirbelverletzung war noch lange nicht ausgeheilt, rasche Bewegungen musste er meiden. »Du spinnst doch, Andrea! Sei vernünftig, wir können doch über alles reden.«
»Es gibt nichts mehr zu reden.« Andrea, die am Fußende des Krankenbetts stand, umklammerte das kühle Gestell so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Bettina hat mir die Beteiligung an einer Praxis am Bodensee vermittelt. Morgen fahre ich hin und verhandle mit dem Besitzer.«
»Das kannst du nicht machen! Du kannst mich doch jetzt nicht so einfach verlassen.« Er schaffte es tatsächlich, Tränen zu produzieren. »Verzeih mir, Liebes. Ich flehe dich an.«
Andrea schwieg, sah ihn nur mit einem kühlen Blick an.
»Ich hab einen Fehler gemacht, ich weiß. Einen riesigen Fehler. Den ich bereue, glaub mir. Aber das passiert nie wieder. Bitte, Liebes, wir hatten doch Pläne. Eine gemeinsame Zukunft.«
»Hatten wir die wirklich?«, warf Andrea spöttisch ein. »Ich sehe das anders.«
»Doch. Ich wollte wirklich immer nur dich. Das mit Ellen … Sie hat einfach nicht loslassen wollen. Deshalb hatte ich ihr ein letztes gemeinsames Wochenende versprochen.«
»Mieser Lügner!« Andrea wandte sich zum Gehen. »Gib dir keine Mühe mehr, es ist aus. Ich lass mich nicht noch länger von dir belügen. So schnell wie möglich werde ich die Gegend hier verlassen.«
»Und was willst du tun?«
»Ich fange am Bodensee neu an. Das steht fest.«
»Und dein Haus? Was wird damit?« Lauernd sah er sie an.
»Das Haus … Das interessiert dich wirklich mehr als alles andere.« Geringschätzig blickte sie auf ihn herunter. »Du hast wirklich nur darauf spekuliert, an diesen Besitz zu kommen, stimmt’s? Ich selbst war nur Beigabe. Und eine oft lästige noch dazu.«
»Unsinn! Wie kommst du auf so eine absurde Idee?« Gerhard schüttelte den Kopf, doch er konnte Andrea nicht in die Augen sehen. Sicher, sie war süß und attraktiv, doch ohne diesen großen Besitz im Rücken hätte er sich wohl nie für sie interessiert. Mit der rassigen Ellen, die ihn sexuell so stark reizte, dass er einfach nicht von ihr loskam, konnte sie ohnehin nicht mithalten.
»Was wird jetzt?« Er streckte die Hand nach Andrea aus. »Ich verspreche, dass ich mich von Ellen trennen werde. Wirklich! Sobald ich dieses verdammte Bett hier verlassen darf, gehe ich zu ihr und rede mit ihr. Ich liebe dich doch, Andrea. Nur dich. Glaub mir. Wenn wir erst verheiratet sind, wird alles anders. Ich ziehe auch zu dir auf den Hof, wenn du willst.«
Kühl schaute Andrea ihn an. »Du bist peinlich, Gerhard. Mach es jetzt nicht noch schlimmer.« Sie wandte sich zur Tür. »Ach ja, falls du es wissen willst: Die Praxis kann ich vermieten. Es ist ein Zufall, dass sich vorige Woche ein Ehepaar gefunden hat, das alles übernehmen will. Die beiden haben bisher in Freiburg gelebt, aber sie würden lieber heute als morgen nach Bayern ziehen. Wir sind uns schon in allen wichtigen Punkten einig.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenigstens das Glück hatte ich.«
»Andrea!« Er streckte erneut die Hand nach ihr aus. »Bitte, Liebes, verlass mich nicht. Du bist doch die Einzige. Die wirklich einzige große Liebe meines Lebens.«
»Lass die Schauspielerei, Gerhard. Das ist doch Schmierentheater. Darauf fall ich nicht mehr rein.«
Grußlos verließ Andrea das Krankenzimmer. Draußen auf dem Flur atmete sie tief durch. Geschafft! Sie hatte nicht geheult, nicht geschrien. Hatte ihm nicht gezeigt, wie sehr er sie verletzt hatte.
Vor dem Lift traf sie auf Schwester Marie-Christine.
»Frau Doktor Karlsberg … Sie waren bei Herrn Gschwendner?«
»Ja.« Andrea blieb kurz stehen. »Ein letztes Mal. Ich hab die Verlobung gelöst.«
»Verstehe.« Die Krankenschwester wollte weitergehen, doch Andrea hielt sie zurück.
»Bitte, Schwester, können Sie mir sagen, wie es Frau Häuser geht? Ich kann doch nicht einfach zu ihr gehen.«
Die erfahrene Pflegerin zögerte. »Ich darf Ihnen keine Auskunft geben«, sagte sie leise. »Das wissen Sie doch.«
»Ja, ich weiß.« Andrea senkte den Kopf.
»Vielleicht fragen Sie die Schwester der Patientin. Sie kommt heute Abend vorbei.«
»Nein, nein, auf keinen Fall.«
»Verstehe. Aber vielleicht könnten Sie mir die Papiere aufheben. Ich hab’s so im Rücken.« Im selben Moment fielen drei Blätter zu Boden.
Andrea bückte sich. Das dritte Schreiben war eine Überweisung in eine Spezialklinik für plastische Chirurgie. Der Name der Patientin: Ellen Häuser.
In Sekundenschnelle überflog Andrea die Unterlagen, dann gab sie die Blätter an Schwester Marie-Christine zurück. »Danke.«
Die Schwester nickte nur. »Alles Gute für Sie.« Schnell ging sie davon.
Andrea sah ihr nach, bis die Pflegerin hinter einer doppelten Schwingtür verschwunden war. Tausend Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, und sie musste sich zwingen, den Lift noch einmal zu rufen und die Klinik zu verlassen.
Draußen regnete es leicht, die Tropfen mischten sich mit Andreas Tränen.
»Frau Doktor! Frau Doktor, sehen Sie nur! Der Juppi ist wieder ganz gesund.« Ein etwa Zehnjähriger kam quer über den Parkplatz auf sie zugelaufen, einen Bernhardiner an der Leine, der brav neben ihm her trottete. »Wir warten auf meine Eltern. Mami hat ein Baby gekriegt und wird gleich entlassen.«
»Das freut mich. Gratuliere.« Andrea tätschelte den dicken Kopf des Hundes, der sich an sie schmiegte.
»Es ist ein Mädchen, und ich werde sie, wenn sie größer ist, auf Juppi reiten lassen. Das kann ich doch machen, oder?«
»Lieber nicht. Aber ich bin sicher, dass dein Juppi gut auf dein Schwesterchen aufpassen wird.«
»Tut er auf mich ja auch.«
»Ich weiß.« Andrea zwang sich zu einem Lächeln. »Du, ich muss los. Grüß deine Eltern.«
»Mach ich.«
Der Regen wurde heftiger, und Andrea beeilte sich, in ihren Wagen zu kommen. Sie fühlte sich besser, die Begegnung mit dem Jungen und seinem Hund hatten gutgetan. Sie war nicht allein. Sie hatte ihre Arbeit, Freunde – und bald eine neue Aufgabe!
Das zweistöckige Haus lag am Ortsrand von Lindau direkt am See. Eine Wiese, auf der etliche Obststräucher standen, reichte von der langgestreckten Terrasse bis zum Wasser. Ein Holzbalkon, in dessen Kästen Primeln und Tulpen blühten, zog sich um die Süd- und Westseite des ersten Stockwerks.
Vier Parkplätze waren vor dem hellgelb gestrichenen Gebäude für Patienten reserviert, eine Garage mit vorgelagertem Carport stand links vom Haus.
Andrea parkte auf dem Parkplatz ganz links. Direkt vor der Haustür stand ein schwarzer Porsche. Nicht gerade das richtige Gefährt für einen Tierarzt, schoss es Andrea durch den Kopf. Eine Weile saß sie hinter dem Lenkrad ihres Kombis und schaute hinüber zum See, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
»Kann ich Ihnen helfen? Fühlen Sie sich nicht wohl?« Ein gutaussehender Mann trat ans Seitenfenster, das halb heruntergelassen war.
»Nein, nein, alles in Ordnung, danke.« Andrea zuckte kurz zusammen.
»Sicher?« Der Fremde, der einen perfekt geschnittenen dunkelgrauen Anzug trug, runzelte leicht die gebräunte Stirn.
»Ja, danke.« Andrea zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hab hinüber zum See geschaut.«
»Jetzt, im Frühling, ist es hier besonders schön, finde ich. Im Sommer sind mir zu viele Touristen in der Gegend.« Der Mann öffnete ihr die Tür. »Wo haben Sie denn Ihr krankes Tier?«
»Ich hab keins.« Andrea stieg aus. »Ich bin selbst Tierärztin und möchte zu Doktor Paulsen. Andrea Karlsberg.«
»Ach, Sie sind das!« Ein Lächeln glitt über das gutgeschnittene Männergesicht. »Ich bin Tom Bender, Christians Freund. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm. Er sitzt sicher noch auf der Terrasse.«
»Dann störe ich seine Mittagspause.«
»Ach was, er erwartet Sie doch.« Ein kurzes Zögern, dann fügte Tom Bender hinzu: »Ich hoffe sehr, dass Sie sich einig werden. Chris arbeitet zu viel, seit sein alter Kollege den Schlaganfall hatte.« Während er sprach, führte er Andrea über einen Weg aus Natursteinen hinüber zur Terrasse.
Ein großer, breitschultriger Mann erhob sich bei ihrem Näherkommen.
»Chris, das ist Frau Karlsberg. Sie ist gerade angekommen, als ich fahren wollte.« Tom nickte Andrea zu. »Ich muss leider los. Hoffentlich sehen wir uns wieder.«
»Danke. Und auf Wiedersehen.«
Tom Bender hob kurz die Hand und verschwand dann ums Hauseck.
»Ich überfalle Sie während der Mittagszeit, tut mir leid.« Andrea streckte dem Kollegen die Hand entgegen.
»Das macht gar nichts.« Christian Paulsen war mindestens eins neunzig groß, hatte dunkelblondes, leicht gewelltes Haar und die blauesten Augen, die Andrea je gesehen hatte. »Setzen Sie sich doch. Ich hole Ihnen was zu trinken. Haben Sie Hunger?«
»Nein, nein, danke. Ich fahre gleich rüber nach Nonnenhorn zu Verwandten, da esse ich was. Aber einen Kaffee nehme ich gerne.«
In den ersten Minuten unterhielten sie sich über die Landschaft, über den See, zu dessen Schweizer Ufer man hinübersehen konnte, schließlich über den erkrankten Kollegen von Christian Paulsen.
»Erwin Trautmannsdorf ist gerade mal siebzig, doch es steht fest, dass er nie mehr arbeiten kann. Leider. Er war ein ausgezeichneter Tierarzt, konnte mit dem schwierigsten Tier umgehen. Er wohnt jetzt bei seiner Tochter drüben in Meersburg.«
»Und ich kann seinen Anteil der Praxis übernehmen?«
»Wenn wir uns einig werden … gern.« Dr. Paulsen zögerte, dann fügte er hinzu: »Ich müsste mich allerdings von Ihrer Qualifikation überzeugen. Sie verstehen …«
»Aber ja. Was halten Sie von ein paar Tagen Probearbeit?«
»Einverstanden.«
Andrea blieb noch eine knappe Stunde, in der sie mit Christian Paulsen Details einer eventuellen Partnerschaft besprach. Sie hatten viele Gemeinsamkeiten, stellten sie fest, waren sich in der Einstellung zur Arbeit sehr ähnlich. Und dass Andrea schon bald umziehen konnte, kam Christian sehr gelegen.
»Ich glaube, ich brauche keine Bedenkzeit«, sagte er, als er Andrea zu ihrem Wagen brachte.
Andrea lächelte. »Ich auch nicht.«
Die Räder des Rollstuhls quietschten unangenehm, als ein Pfleger Gerhard Gschwendner durch die langen Klinikflure hinüber zu einem anderen Trakt fuhr.
»Ich hätte gut laufen können«, monierte Gerhard.
»Nichts da, wir dürfen nichts riskieren. Der Herr Chefarzt hat Ihnen den Besuch bei Ihrer Bekannten nur genehmigt, wenn Sie sich ganz ruhig verhalten.«
»Schon gut. Ich sag ja nichts mehr.« Gerhard war nervös. Drei Wochen waren seit dem verhängnisvollen Unfall vergangen. Seine Verletzungen heilten gut, vorgestern hatte ihm der Arzt versichert, dass keine Lähmung mehr drohte. Und auch der Lungenriss verheilte zufriedenstellend.
Über Ellens Befinden wusste er nicht allzu viel. Wann immer er nach ihr fragte, hatte man ausweichend geantwortet und sich darauf berufen, dass er kein Angehöriger war.
»Verdammt, wir waren zusammen im Wagen! Sie ist meine Sekretärin. Ich hab ein Recht darauf zu wissen, was mit ihr los ist.«
»Ihre Bekannte hat etliche Gesichtsverletzungen erlitten«, hatte ihm einer der Ärzte daraufhin zögernd erklärt. »Man hat sie bereits zwei Mal operiert, aber keine Sorge, sie ist nicht lebensgefährlich verletzt. Der Beinbruch heilt optimal, nur der Schnitt in ihrer linken Wange macht Probleme.«
Ellens schönes, ebenmäßiges Gesicht verletzt … Er durfte es sich gar nicht vorstellen.
Nachdem er sich wieder ungehindert hatte bewegen können, hatte er ein paar Mal mit Ellen telefoniert, doch sie war sehr wortkarg gewesen. Zudem hatte er sie nur schwer verstehen können.
Ein beklemmendes Gefühl beherrschte ihn, als der Pfleger den Rollstuhl jetzt vor einer Zimmertür zum Stehen brachte, kurz anklopfte und das Gefährt Sekunden später schon in den leicht abgedunkelten Raum schob, auf ein »Herein« hatte er gar nicht erst gewartet.
»Ich lass Sie dann mal allein.« Kurz beugte er sich zu Gerhard herunter. »In einer Viertelstunde komme ich zurück, okay?«
»Ja. Danke.« Gerhard drehte sich nicht zu dem Pfleger um, er rollte die letzten Meter zum Bett – und konnte nur mit Mühe ein Aufstöhnen unterdrücken, als er Ellen dort liegen sah. Die obere Gesichtshälfte war frei, die linke Wangenpartie und das Kinn mit großen Mullkompressen bedeckt. Ein weiterer Verband befand sich an ihrer linken Stirnseite, zog sich bis zum Ohr, über dem die Haare abrasiert worden waren.
»Endlich! Ich hab so auf dich gewartet.« Ellen streckte ihm die Hand entgegen, die Gerhard zögernd ergriff.
»Hey, meine Süße.« Seine Stimme klang belegt, er musste sich zwingen, in das verbundene Gesicht zu schauen, das so gar keine Ähnlichkeit mehr mit den ebenmäßigen Zügen besaß, die Ellen einmal gehabt hatte. Das linke Augenlid hing leicht herab, die Lippen waren rissig, noch immer war etwas von der bräunlichen Desinfektionstinktur zu sehen, die man vor den Korrektureingriffen aufgetragen hatte.
»Schau mich nicht so an!« Ellens Stimme klang aggressiv. »Ich weiß, wie schrecklich ich aussehe. Aber das wird wieder, sagen die Ärzte.«
»Da bin ich auch ganz sicher.« Gerhard zog ihre Hand an die Lippen. »Du bist so tapfer, meine Süße. Ich hab schon gehört, dass man dich operiert hat. Wie schlimm ist es denn?«
Ellen zögerte. Mit der freien Hand tastete sie zu dem Verband an der Wange. Erst vor drei Tagen war sie von einem plastischen Chirurgen operiert worden. Aber ob es ihm gelungen war, die tiefe, zum teil zerfetzte Wunde so zu vernähen, dass keine Narbe zurückblieb, wusste noch niemand zu sagen. Der Arzt hatte sich optimistisch gezeigt, aber das war ja sein Job.
Von ihren Bedenken und Ängsten sagte Ellen nichts. Gerhard war ein Ästhet, sie ahnte, dass er sich mit ihrem Anblick schwertat. Sogar jetzt, da alle Wunden verdeckt waren, konnte er ihr kaum ins Gesicht sehen.
»Was ist denn mit dir?«, fragte sie ablenkend. »Du musst im Rollstuhl sitzen?«
»Vorsichtshalber noch. Aber es wird wieder.« Er strich über die Bettdecke. »Wir hatten Glück, wir zwei.«
»So würde ich das nun wirklich nicht nennen. Und wenn, dann hattest du allein Glück, wenn du wieder ganz okay wirst. Ich aber …« Sie biss sich auf die Lippe. »Sieh mich gefälligst an! Sieh dir an, was du mir angetan hast!«
»Ich habe dir gar nichts angetan. Wir hatten einen Unfall. Den ich mindestens so bedauere wie du.«
»Ach nein? Du bedauerst ihn. Wie edel! Du bist schuld an allem, du Mistkerl! Du warst viel zu leichtsinnig, hast in der Kurve überholt und …«
»Du hast mich abgelenkt, vergessen?« In der Erinnerung daran, dass sich Ellen über ihn gebeugt und während des Fahrens mit Zärtlichkeiten verwöhnt hatte, wurde ihm heiß. Sie war eine leidenschaftliche Geliebte und mochte, so wie er, aufregende Praktiken. Und Sex während der Fahrt gab ihnen beiden stets einen besonderen Kick. Im Gegensatz zu Andrea, die viel zu bieder, viel zu langweilig im Bett war, war Ellen sehr phantasievoll und mochte es auch schon mal härter, so wie er selbst.
Andrea hatte allerdings viele andere Vorzüge. Vor allem den, dass sie ein sehr wertvolles Grundstück besaß, für das er insgeheim schon Interessenten gefunden hatte. Fast zwei Millionen war allein der Grund wert, und auch für das alte Haus, das komplett saniert war, erzielte man beim Verkauf sicher einen sechsstelligen Betrag.
Andrea … Sie hatte sich nicht mehr gemeldet, unterband jeden seiner Versuche, sie zu kontaktieren. Bei der Erinnerung daran verdüsterte sich seine Miene. Nein, so leicht würde ihm der Goldfisch nicht entkommen. Wenn er erst mal aus der Klinik entlassen war, würde er alles versuchen, ihre Verzeihung zu erlangen. Und er war sicher, dass sie ihm auf Dauer nicht würde widerstehen können.
»Wann kannst du hier raus?« Ellens undeutliche Stimme unterbrach seine tristen Gedanken.
»Keine Ahnung. Das dauert wohl noch.« Er strich ihr über den Handrücken. »Und du?«
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