Ein Sommer am Gardasee - Johanna Nellon - E-Book

Ein Sommer am Gardasee E-Book

Johanna Nellon

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Beschreibung

Es ist ein Schock: Barbara hat gerade ihr Brautkleid ausgesucht, als sie ihren Verlobten mit einer anderen beobachtet. Um sich von ihrem Kummer abzulenken, fährt sie an den Gardasee, wo sie den rätselhaften Christian Wagner kennenlernt. Er fasziniert sie vom ersten Augenblick an, doch der Mann, der ihr deutlich seine Zuneigung zeigt, hat ein Geheimnis. Ist Barbaras Glück vorbei, ehe es richtig beginnt?

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Ein Sommer am Gardasee

Die Autorin

Johanna Nellon lebt im schönen Rheinland, ist aber viel auf Reisen und liebt es, über ihre Urlaubsziele zu schreiben.Von Johanna Nellon sind in unserem Hause bereits erschienen: Ein Sommer am Chiemsee ⋅ Liebesleuchten am Bodensee ⋅ Marillenglück und Gummistiefel ⋅ Nussgipfel und Alpenglück ⋅ Herzklopfen am Bodensee ⋅ Die kleine Pension am Ammersee ⋅ Ein Sommer am Gardasee

Das Buch

Barbara Schnitzler hat gerade ihr Brautkleid ausgesucht, als sie ihren Verlobten mit einer anderen erwischt. Sie ist am Boden zerstört und heilfroh, als ihre Tante ihr anbietet, zu ihr an den Gardasee zu kommen. Dort beginnt gerade der Sommer, und der Abstand tut Barbara genauso gut wie das unbeschwerte Leben am See. Als sie dann auch noch den attraktiven Christian Wagner kennenlernt, könnte sie sich endgültig von ihrer Vergangenheit lösen. Doch Christian hat ein Geheimnis …

Johanna Nellon

Ein Sommer am Gardasee

Roman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2019© 2019 by Johanna Nellon© dieser Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: www.buerosued.deE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-8437-2040-3

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

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Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

Strangers in the Night ertönte es ein wenig verzerrt aus dem Handy, und rasch wischte sich Barbara Schnitzler die nassen Hände an der Jeans ab. Es war Samstagnachmittag, und sie putzte seit zwei Stunden ihre kleine Wohnung. Vor seiner Abreise nach Kanada hatte Sven anderthalb Wochen lang bei ihr gewohnt und das reinste Chaos hinterlassen. Normalerweise hätte sie längst alles in Ordnung gebracht, doch eine Kollegin in der Apotheke war krank geworden, sodass sie Doppelschichten gearbeitet hatte und erst heute dazu kam, gründlich aufzuräumen und sauber zu machen.

»Sven! Wie schön, dass du anrufst, Schatz. Alles in Ordnung bei dir? Kommst du mit der Arbeit voran?«

»Mir geht’s wunderbar, Darling. Aber ich habe Sehnsucht nach dir. Große Sehnsucht.«

Der weiche, zärtliche Ton in seiner Stimme ließ Barbara lächeln. »Ich vermisse dich auch.«

Die Türklingel zerriss die romantische Stimmung. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass es sich um einen melodischen Dreiklang handelte.

»Sekunde, Sven, es hat gerade geläutet.« Mit dem Handy am Ohr ging sie zur Tür, öffnete und sah sich einem riesengroßen Rosenstrauß gegenüber. Dahinter, fast ganz versteckt, erkannte sie Svens lachendes, braun gebranntes Gesicht. Der Rosenstrauß fiel zu Boden, als er die Arme nach ihr ausstreckte und sie an sich zog, um sie lange und leidenschaftlich zu küssen.

Barbara hielt das Handy umklammert, während sie die Arme um Svens Nacken legte und seine Küsse erwiderte.

Erst als sie keine Luft mehr bekam, ließ Sven sie frei. »Na, ist mir die Überraschung gelungen?« Sein Lächeln war ebenso breit wie selbstgefällig, als er sich nach dem Rosenstrauß bückte und ihn ihr in die freie Hand drückte.

»Ja. O ja.« Schnell legte Barbara das Handy auf die schmale Kommode in der ebenso schmalen Diele, ehe sie auch mit der zweiten Hand den überdimensional großen Rosenstrauß umklammerte. Ein Stachel drang in ihren linken Zeigefinger, doch sie unterdrückte den Schmerzensschrei, der sich ihr auf die Lippen drängte. Sekundenlang schoss ihr durch den Kopf, dass ein etwas weniger üppiger Strauß ihr auch gefallen hätte. Aber so war Sven nun mal. Er übertrieb gern, und so war es auch, wenn er ihr Blumen schenkte.

»Was ist passiert?« Sie ging in die Küche links von der Diele und suchte im Wandschrank nach einer passenden Vase. Wie erwartet, gab es so ein großes Teil gar nicht, und so nahm sie einfach den gläsernen Sektkübel. »Hast du Schwierigkeiten bekommen mit den Kanadiern?« Sie ließ Wasser in die provisorische Vase laufen, stellte den Strauß hinein und sah sich dann nach Sven um.

»Ich war früher als erwartet fertig in Vancouver und wollte nur zu dir.« Sven trat hinter sie und legte ihr die Arme um die Taille. Sein warmer Atem streifte ihren Nacken, als er sie hinter dem linken Ohr küsste, wo eine ihrer erogensten Zonen war. Gleichzeitig schob er seine linke Hand höher und streichelte ihre kleine, feste linke Brust. »Hab ich dir gefehlt, Darling? So wie du mir?«

»Aber ja.« Ohne sich aus seinem Griff zu lösen, drehte sie den Kopf und schaute ihn wieder an. Gut sah er aus. Entspannt und gar nicht so, als lägen ein langer Flug und eine anstrengende Woche hinter ihm. Er behauptete immer, Jetlag nicht zu kennen. »Und sag nicht immer Darling zu mir. Du weißt doch, dass ich das nicht mag.«

»Okay, mein geliebter Schatz.« Er ließ sie los, und Barbara begann, die Rosen in dem Sektkühler zu arrangieren.

»Sie sind wunderschön. Danke.« Für zwei Sekunden barg sie das Gesicht in der roten Blütenpracht. Doch die Rosen, so perfekt sie auch waren, verströmten kaum Duft. »Aber so einen Riesenstrauß hättest du mir nicht schenken müssen. Ein paar Nummern kleiner wäre auch …«

»Nicht schon wieder diese Leier, du Sparfuchs«, fiel er ihr ins Wort. »Dabei hast du es doch gar nicht nötig.« Für einen Moment verzog er das Gesicht, hatte sich aber gleich wieder in der Gewalt. »Außerdem kann ich es mir leisten, dich zu verwöhnen.« Kurz strich er ihr über das blonde Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden hatte. »Komm mal mit rüber.« An der Hand zog er sie hinüber in den Wohnraum, der mit hellen Möbeln eingerichtet war. In einem schmalen Glasregal an der Stirnseite standen Karaffen und Gläser. Teilweise waren es Nachbildungen antiker Gefäße, aber auch ein paar jahrhundertealte Apothekerfläschchen sowie Amphoren und kleine Vasen, die Funden aus Italien oder Griechenland nachempfunden waren.

Schon Barbaras Großvater, der ebenso wie sie Apotheker gewesen war, hatte mit dem Sammeln begonnen, und Barbara hütete die wenigen echten Stücke wie einen Schatz.

»Setz dich doch.« Sven drückte sie in einen Sessel direkt unter dem hohen Fenster, durch das die helle Frühlingssonne schien. Er selbst hockte sich auf die schmale Lehne und zog eine kleine blaue Schachtel aus der Hosentasche.

Barbara hielt den Atem an. Sie waren schon lange zusammen, und immer wieder hatte sie daran gedacht, dass Sven und sie einmal heiraten würden. Doch nie hatte er davon gesprochen, im Gegenteil, er war schon einige Male fremdgegangen, und Barbara hatte lange danach an seiner Liebe gezweifelt. Doch immer war er zu ihr zurückgekehrt, hatte seine Seitensprünge bereut und versichert, nur sie wirklich zu lieben.

Und jetzt hatte er einen Ring für sie!

»Hier, für dich.« Sven räusperte sich zweimal, ließ die kleine Schachtel aufschnappen und fragte: »Willst du mich heiraten, Darling? Äh, Barbara-Schatz?«

Für einige Sekunden war Barbara nicht in der Lage zu antworten. Wie paralysiert sah sie auf den schmalen Goldreif, in dessen Mitte ein Diamant funkelte.

»Sven, das ist … Ich bin sprachlos.« Ihr Blick ging zwischen dem Freund und dem Ring auf dem kleinen blauen Seidenkissen hin und her.

»Sag einfach Ja, das genügt doch.« Er lachte leise, nahm den schmalen Ring und steckte ihn ihr an den Finger. »Also … ja?«

»Ja! Ja, ja, ja!« Sie umarmte ihn stürmisch.

»Dann ist es ja gut.«

Barbara lehnte sich in seinen Armen zurück und sah ihn an. Gut sah er aus! Sehr gut sogar! Das schmale Gesicht war gebräunt, die graublauen Augen blitzten sie jetzt übermütig an, und das hellbraune Haar war, wie stets, akkurat frisiert. Sie war versucht, mit der Hand durch die exakt geschnittene Frisur zu fahren und es ein wenig zu strubbeln, doch sie wusste, dass Sven das hasste.

Er war, was sein Aussehen betraf, höchst penibel. Stets war er topmodisch gekleidet, seine Schuhe mussten vom italienischen Edeldesigner sein, ebenso die Anzüge, die er beruflich trug. Doch auch seine Freizeitkleidung war gut und teuer, und Barbara dachte oft, dass er sich gab wie ein männliches Model.

Als Barbara und er sich vor knapp drei Jahren kennenlernten, hatte er gerade bei einer bedeutenden Unternehmensberatung angefangen. Es war kein besonders lukrativer Job, doch Sven erkannte rasch, dass es für ihn der erste Schritt zu einer großen Karriere sein könnte, hier länger auszuharren. Und so arbeitete er sich mit Ehrgeiz und Können, mit sehr viel Einsatz rasch hoch.

Dass sein Privatleben oft zu kurz kam, störte ihn nur wenig. Er hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen, und um das zu erreichen, war er bereit, einiges zu opfern.

Barbara wünschte sich hingegen, dass er häufiger daheim war, dass er mehr Freizeit hatte, die sie zusammen verbringen konnten, doch er vertröstete sie stets mit den Worten: »Wenn ich erst Juniorpartner bin, wenn ich das geschafft habe, können wir an Freizeit und sogar an längere Urlaube denken. Der alte Konradts weiß, was ich will, und er fördert mich ungemein. Aber das bedeutet auch, dass ich stets bereit sein muss, dorthin zu fahren, wohin er mich schickt. Eine Absage würde er nicht akzeptieren und es mich spüren lassen. Und das will ich auf keinen Fall riskieren.«

Obwohl sie seinen Ehrgeiz fast krankhaft groß fand, widersprach Barbara ihm nicht, sondern fügte sich. Es war ja auch bewundernswert, wie Sven, der aus kleinen Verhältnissen kam, an sich arbeitete. Von seinem Elternhaus im Schwarzwald sprach er kaum, nur zu Weihnachten schickte er der Mutter, die seit zwei Jahren Witwe war, ein Paket.

Barbara hatte im ersten Jahr ihrer Bekanntschaft versucht, ihn zu einem Besuch der Mutter zu überreden, doch er hatte so brüsk abgeblockt, dass sie keinen zweiten Versuch startete. Was auch immer vorgefallen war zwischen ihm und seinen Eltern – er wollte nicht darüber reden, und das musste sie wohl oder übel akzeptieren.

Es machte ihr allerdings immer noch zu schaffen, dass er so wenig von sich selbst preisgab. Freunde hatte er keine, zumindest gab es niemanden, mit dem er sich privat einmal traf. Nur mit Kollegen ging er hin und wieder aus, und dann war sie nie dabei.

»Du bist alles, was ich brauche«, hatte er schon oft zu ihr gesagt, wenn sie vorschlug, gemeinsam mit ihren Freunden oder Bekannten etwas zu unternehmen. »Die wenige Zeit, die uns zusammen bleibt, sollst du mir allein gehören.«

Sie war unsicher, ob sie sich über diese Einstellung freuen sollte, wusste aber inzwischen, dass er von diesem Standpunkt nicht so leicht abzubringen war. Und so gab sie um des lieben Friedens willen nach und blieb mit ihm allein.

Dass Sven jetzt, wo er von einer wichtigen Dienstreise kam, ans Heiraten dachte und ihr einen Antrag gemacht hatte, ließ sie auf einer rosaroten Wolke schweben.

»Gibt es keinen Champagner bei dir? Ich finde, wir sollten auf unsere Zukunft trinken.« Er schob sie von sich und ging in die Küche, um im Eisschrank nach einer Flasche zu suchen. »Nur Sekt.« Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. »Na ja, für heute wird’s gehen.«

»Das ist ein sehr guter Winzersekt. Tante Karoline hat mir ein paar Flaschen geschenkt.« Barbaras Euphorie bekam einen kleinen Dämpfer. Sie mochte es nicht, wenn er sich wie ein Snob benahm.

»Schon gut, Kleines, ich sag ja nichts mehr.« Er reichte ihr ein Glas, und sein Lächeln ließ ihren Groll gleich wieder dahinschmelzen. »Auf uns – und auf unsere Zukunft!«

2. Kapitel

Seit dem frühen Morgen regnete es. Dichte Wolken zogen über den tags zuvor noch blauen bayrischen Himmel, und ein kühler Wind fegte die ersten Blüten von den Obstbäumen.

Dennoch herrschte in Münchens Innenstadt reges Treiben, und Barbara atmete erleichtert auf, als sie nahe beim Viktualienmarkt einen Parkplatz fand. Manchmal hatte es eben Vorteile, nur einen Kleinwagen zu fahren.

Suchend sah sie sich nach ihrer Tante um, doch in dem Gewirr von Schirmen bemerkte sie sie erst, als Karoline Schnitzler dicht vor ihr stand.

»Guten Morgen, Barbara. Das ist nun wirklich kein ideales Wetter, um ein Brautkleid auszusuchen.« Barbaras Tante hielt ihren Schirm schräg, um ihre Nichte kurz auf die Wange zu küssen.

»Mir wäre Sonnenschein auch lieber gewesen. Aber weit ist es ja nicht bis zur Brautmodenboutique. Und wir haben eben nur heute beide frei.« Sie schloss ihren Schirm und hakte sich bei der Tante unter. Der helle Trench schützte vor dem Sprühregen, der jetzt von der Seite kam.

»Du bist also wirklich entschlossen, Sven zu heiraten.« Karoline Schnitzler, fünfundfünfzig Jahre alt und von Beruf Studienrätin, runzelte kaum merklich die Stirn. Sie liebte Barbara wie ein eigenes Kind. Nach dem Tod von Barbaras Eltern, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte sie die damals Vierzehnjährige aufgenommen und großgezogen.

Dass Barbara sich in den smarten Sven verliebt hatte, gefiel Karoline Schnitzler gar nicht. Sie hielt den Unternehmensberater für einen Egoisten, der in erster Linie sich selbst liebte. Schon zweimal hatte Barbara ihn bei einem Seitensprung ertappt, doch ihm immer wieder vergeben. Sehr zu Karolines Missfallen. Doch sie sagte nichts mehr zu diesem Thema, schließlich war Barbara alt genug, um zu wissen, was sie tat.

»Aber ja doch!« Ein rascher Seitenblick streifte die Tante. »Wir kennen uns lange genug, und Sven liebt mich wirklich, glaub mir.«

»Leider vergisst er das hin und wieder«, erwiderte Karoline leise. Aber Barbara hatte die Bemerkung doch gehört, und kurz huschte ein Schatten über ihr Gesicht.

»Er hat mir geschworen, dass so was nicht mehr vorkommt«, sagte sie. »Und ich glaube ihm. Er liebt nur mich, Tante Karoline.«

»Oh, jetzt bin ich wieder die alte Tante.« Karoline Schnitzler lachte. »Aber schon gut, ich bin ja still und wünsche dir von Herzen Glück mit deinem Sven.«

Während sie die wenigen Meter zu der Boutique gingen, in der sie als Erstes nach einem passenden Kleid suchen wollten, erzählte Barbara von dem herrlichen Rosenstrauß und dem Ring, den ihr Sven geschenkt hatte.

»Hier, sieh mal!« Stolz streckte sie die linke Hand aus, an der der schmale mattierte Goldreif, in dessen Mitte ein Brillant funkelte, steckte.

»Schön. Sehr schön.« Karoline warf einen kurzen Blick auf das Schmuckstück. »Geschmack hat er ja, das muss man ihm lassen.« Sie zwinkerte der Nichte zu, um den Worten die Schärfe zu nehmen. »Sonst hätte er sich ja auch nicht in dich verliebt.«

»Ach, Tantchen, du kannst es einfach nicht lassen!«

»Ich sag doch gar nichts!«

Die Unterhaltung stockte, denn sie hatten das Brautmodengeschäft erreicht.

Eine Verkäuferin, blond und gertenschlank, eilte sofort auf sie zu und nahm ihnen zunächst die Regenschirme ab.

»Ich suche ein Brautkleid. Nichts allzu Auffälliges bitte.« Barbara sah sich in dem großen hellen Raum um, an dessen Stirnseite ein weit ausladender Glasschrank stand, der mit Brautkleidern bestückt war. An einigen lebensgroßen Puppen waren besonders exquisite Modelle ausgestellt, und in einer Vitrine lagen Haarschmuck und kleine Ansteckblumen.

»Aber gern. Was hatten Sie sich denn vorgestellt?« Die Verkäuferin taxierte sowohl Barbaras Figur als auch ihr Outfit. Unter dem Regenmantel trug Barbara einen schmalen grauen Rock, dazu ein lachsfarbenes Kaschmir-Twinset. Eine Perlenkette, eines der Erbstücke ihrer Mutter, war der einzige Schmuck. »Etwas Elegantes, Schlichtes also?«

Barbara zuckte mit den Schultern. »Offen gestanden habe ich noch keine genaue Vorstellung. Nur nicht zu extravagant bitte. So etwas …« Sie wies auf ein Kleid mit weitem Rock, der mit Spitzenblumen und Strasssteinen bestickt war, »so was kommt nicht infrage.«

Eine knappe halbe Stunde später waren drei Modelle in die engere Wahl gezogen worden. Eines war ganz schlicht gehalten, der einzige Hingucker waren kleine Perlenstickereien am dezenten Dekolleté und an den kurzen Ärmeln.

»Mir gefällt das zweite Modell am besten«, sagte Karoline, als Barbara das schlichte Kleid noch einmal in die Höhe hielt. »Das dritte ist mir zu … na ja, sagen wir mal so, es wirkt zu verspielt. Das passt nicht zu dir.«

Dieses Korsagenkleid besaß einen weiten Tüllrock, und auch Barbara fand, dass es von den dreien am wenigsten geeignet war.

»Das hier stand Ihnen auch wirklich hervorragend. Und Sie haben die richtige Figur, um so ein enges Kleid tragen zu können.« Die Verkäuferin nahm das erwähnte Modell und hielt es Barbara entgegen. Es war ein nur leicht ausgeschnittenes Kleid aus matter Rohseide mit spitzem Ausschnitt und einem breiten Gürtel aus Pailletten in der Taille. Vorn war es einige Zentimeter kürzer als hinten, wo raffiniert eine kleine doppelte Schleppe eingearbeitet war.

»Ziehen Sie das Modell doch noch einmal an. Und vielleicht stecken wir Ihnen dann auch gleich einen Schleier ins Haar, dann können Sie das komplette Outfit prüfen.« Geschäftstüchtig griff die Verkäuferin nach einem kurzen Schleier, der an einem Blütenreif aus künstlichen Rosen angebracht war.

»Nein, nein, so etwas trage ich auf keinen Fall«, wehrte Barbara ab. »Höchstens ein paar echte Blumen im Haar.« Sie sah zu ihrer Tante hinüber, die an einem kleinen Tisch rechts von den Schaufenstern saß und sie mit leicht schräg gelegtem Kopf musterte. »Was meinst du?«

Noch ehe Karoline Schnitzler antworten konnte, stieß Barbara einen unterdrückten Schrei aus. Wie gebannt schaute sie hinaus auf die Straße, wo gerade schräg gegenüber, vor einem neuen, sehr angesagten Bistro, ein rotes Cabrio eingeparkt wurde.

»Nein …« Ihre Stimme erstarb, und ohne dass sie es wollte, traten ihr Tränen in die Augen.

Karoline Schnitzler sprang auf und stellte sich neben Barbara. Auch sie bemerkte jetzt das rote Cabrio, sah die rassige schwarzhaarige Frau, die ausstieg. Und sie sah auch Sven Gerhardsen, der die langen Beine aus dem Cabrio schwang und die Schwarzhaarige anhaltend küsste, ehe die beiden eng umschlungen ins Bistro gingen.

»Dieser Mistkerl!« Karoline machte eine abwehrende Handbewegung in Richtung der Verkäuferin, dann eilte sie Barbara nach, die in eine der Umkleidekabinen gelaufen war. Dort hockte sie, das sprichwörtliche Häufchen Elend, auf der mit gelber Seide bespannten Bank und hielt den Kopf in den Händen verborgen.

»Sag nichts«, stieß sie unter Schluchzen hervor. »Sag nur ja nichts!«

3. Kapitel

Nein, die Welt ging nicht unter. Sie drehte sich weiter, als sei nichts geschehen, als sei ihr Glück nicht an diesem Vormittag in tausend Scherben zersprungen. Als sei sie nicht mit einem lauten Knall von ihrer rosaroten Wolke gefallen.

Der Sprühregen vom Vormittag war heftiger geworden, böiger Wind bog die Äste der Bäume und fegte die Blätter des Mandelbäumchens, das Barbara und eine Nachbarin in den Kübel neben der Haustür gepflanzt hatten, durch die Luft.

»Soll ich nicht doch mit hochkommen?« Karoline Schnitzler sah ihre Nichte besorgt an.

»Nein, nein, ich komme schon klar.« Barbara biss sich auf die Lippe. Ihre Augen waren noch leicht gerötet vom Weinen, doch sie straffte die Schultern und fügte entschlossen hinzu: »Rauswerfen kann ich ihn ganz allein, glaub mir.«

»Hoffentlich bleibst du diesmal hart.« Karoline konnte sich diese Mahnung nicht verkneifen.

»Keine Sorge, ich bin endgültig kuriert. Was er sich heute geleistet hat, war wirklich zu viel.« Sie beugte sich vor und hauchte der Tante einen Kuss auf die Wange. »Mach dir keinen Kopf, ich schaffe das.«

»Melde dich später mal, ja?«

»Mach ich. Versprochen.«

Barbaras Finger zitterten, als sie den Schlüssel ins Schloss der Haustür steckte und aufschloss. Seit zwei Jahren bewohnte sie die hübsche Zweizimmerwohnung in Schwabing. Das Haus gehörte ihrem Chef, dem Apotheker Karl Mitterer. Die Miete war, zumindest für Münchener Verhältnisse, recht moderat, und Barbara hatte nicht gezögert, als ihr Karl beim Einstellungsgespräch die Wohnung in Aussicht gestellt hatte.

»Ich habe Ihren Vater während meines Studiums kennengelernt«, erzählte er. »Während der Semesterferien habe ich in seiner Apotheke gejobbt.« Mitfühlend sah er Barbara an. »Er ist viel zu früh gestorben.«

Barbara nickte.

»Ich bin froh, dass Sie sich bei mir beworben haben. Und ich bin sicher, dass wir sehr gut zusammenarbeiten werden.«

So war es in der Tat. Karl half ihr über die ersten Unsicherheiten, die sie nach dem Studium in der Praxis noch zeigte, freundlich hinweg und förderte sie nach Kräften.

Er war ein ungemein sympathischer Chef. Fünfundfünfzig Jahre alt, ledig, doch fest liiert mit Jonas Treibel, dem siebenundvierzigjährigen Besitzer einer noblen Herrenboutique. Die beiden lebten ebenfalls im Haus, sie bewohnten das großzügige Penthouse, zu dem noch ein kleiner Dachgarten gehörte.

Barbara war froh, dass ihr niemand begegnete, während sie durch das kühle Marmortreppenhaus hinauf zum zweiten Stock stieg. Draußen auf der Straße und bei der Verabschiedung von Tante Karoline hatte sie sich eisern beherrscht, doch jetzt traten ihr wieder Tränen in die Augen. Entschlossen wischte sie sich übers Gesicht.

»Mistkerl, verdammter. Du bist es wirklich nicht wert, dass man auch nur eine Träne um dich weint.«

Langsam wich die Trauer, wichen Entsetzen und Verzweiflung einer gesunden Wut. In der kleinen Diele hing seine Lederjacke, verströmte diesen ganz besonderen Duft nach Sandelholz und Rauch, der so typisch für Sven war, denn zur Entspannung rauchte er gern einmal eine Cohiba. Natürlich musste es diese teure kubanische Zigarre sein, sie war eines der Statussymbole, die ihm so viel bedeuteten.

Dem Rollkoffer, der gleich neben der Garderobe stand, gab sie einen Tritt. Erst gestern Abend hatte Sven ihr den Koffer in die Wohnung gestellt. »Du kümmerst dich drum, Darling, gell?«

»Nicht mal ein paar Sachen hat er ausgepackt. Das sollte ich wohl machen und seine dreckigen Socken waschen, während er sich amüsiert.« Fest presste sie die Lippen aufeinander, um die Tränen zu unterdrücken.

Im Wohnzimmer ließ sie sich erst einmal in ihren Lieblingssessel fallen, der gleich neben der Tür stand, die zur schmalen Terrasse führte. Sven lästerte gern über den abgewetzten Ledersessel mit den viel zu hohen Lehnen. Doch es war ein Stück aus ihrem Elternhaus, und nie im Leben würde sich Barbara davon trennen. Sie besaß nur noch wenige Dinge aus ihrer Kindheit. Nach dem Tod der Eltern wurde die Eigentumswohnung verkauft, die Möbel ebenso wie das Auto, das nach dem Unfall sowieso nur noch Schrottwert besaß. Auch die Apotheke, noch lange nicht schuldenfrei, musste veräußert werden. Von dem Erlös konnte Barbara sorgenfrei studieren, was sie in der Erinnerung an den geliebten Vater mit Begeisterung tat. Schon als Kind hatte sie zugesehen, wenn der Vater in seinem Labor Salben mischte oder Arzneien zusammenstellte. Für sie hatte immer festgestanden, dass sie einmal in seine Fußstapfen treten würde.

Nach dem Unfalltod der Eltern wurde Barbara von ihrer Tante aufgenommen, die in einer schönen Jugendstilvilla in Gauting lebte. Außer dem alten Sessel hatte Karoline noch einen wunderschönen Kirschholz-Sekretär und ein Service aus Meißner Porzellan für Barbara aufgehoben. Dinge, die Sven leider nicht schätzte. Er liebte moderne Designermöbel und bevorzugte funktionale Gegenstände des täglichen Lebens. Dass manche Dinge einen ideellen Wert besaßen, ignorierte er.

Leicht strich Barbara mit der Hand über das dunkelrote Leder, das vor allem an den Armlehnen abgeschabt war. Dann fiel ihr Blick auf den Rosenstrauß, und abrupt sprang sie auf, nahm die Blumen und stopfte sie kopfüber in den Abfalleimer. Ein wenig taten ihr die unschuldigen Rosen ja leid, doch ihren Anblick konnte sie nicht ertragen.

Auch der Ring an ihrer Hand schien plötzlich zu brennen, und rasch zog sie ihn ab.

Suchend sah sie sich nach dem kleinen blauen Schmuckkästchen um. »Von mir aus kann er ihn einem seiner Betthäschen schenken«, murmelte sie und kroch unter den Couchtisch, wo sie das Kästchen erspäht hatte.

Sie zuckte leicht zusammen, als drei kurze Pfeiftöne erklangen – Svens Handy! Diese kurze Tonfolge hatte er sich auf sein Diensthandy geladen, das er offensichtlich vergessen hatte.

Ehe sie das kleine Gerät ertasten konnte, sprang die Mailbox an. Eine Weile zögerte Barbara, drehte das Mobiltelefon in der Hand hin und her. Sie respektierte die Privatsphäre anderer unter allen Umständen, und nie zuvor war sie auf den Gedanken gekommen, in Svens Handy nach irgendwelchen Nachrichten zu suchen.

Doch heute, heute war alles anders. Noch einmal zögerte sie, dann entsperrte sie das Handy und hörte sich die Nachricht an. Sie war von einem Kollegen, den sie einmal flüchtig kennengelernt hatte.

»Hey, ich bin’s, Ben. Wollte nur fragen, ob es geklappt hat?« Ein leises, kehliges Lachen folgte. »Du weißt, wie wichtig es ist, dass du bald einen Ehering am Finger trägst. Der kanadische Kompagnon unseres verehrten Seniors legt Wert auf glücklich verheiratete Mitarbeiter.« Und wieder dieses ironische Lachen. »Also … Rosen und Ring gut angekommen? Hat Barbara deinen Antrag angenommen? Ich bin sicher, dass sie deinem Charme nicht hat widerstehen können.« Erneut ein Lachen. »Sicher steht jetzt dem Wechsel nach Vancouver nichts mehr im Weg, mein Alter. Melde dich und berichte.«

Vor fünf Minuten hatte Barbara noch geglaubt, dass Svens erneute Untreue sie tief ins Herz getroffen hätte. Doch das, was sie gerade gehört hatte, war der Gipfel aller Unverschämtheiten.

Tief atmete sie ein und aus, um das Rasen ihres Pulses wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dieser elende, verlogene Mistkerl! Dieses emotionslose, egoistische Monster!

In die Küche rennen, einen Müllsack hervorkramen und Svens Habseligkeiten darin verstauen war eine Sache von knapp zehn Minuten. Erst als der große dunkelblaue Sack vor der Wohnungstür lag, atmete Barbara erleichtert auf.

Und erst jetzt gestattete sie sich noch einmal zu weinen.

4. Kapitel

Seit gut fünf Minuten stand Sven Gerhardsen nun schon vor Barbaras Wohnungstür. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und die Fingerknöchel schmerzten vom Hämmern gegen den Türrahmen.

»Mach auf, verdammt noch mal! Lass uns reden! Das mit Angie, das hat doch gar nichts zu bedeuten.«

Wieder klingelte er Sturm, hämmerte dann mit der Faust gegen die Tür.

»Barbara, Liebes, lass uns reden. Es ist doch alles nicht so dramatisch, wie du es siehst. Angie und ich … Da war nicht wirklich was. Wir kennen uns von früher und haben im Grunde nur Wiedersehen gefeiert. Ich liebe nur dich, das weißt du doch.«

Aber Barbara ließ sich nicht dazu bewegen, ihm zu öffnen. Geschweige denn, ihm zuzuhören oder gar seine Entschuldigung anzunehmen.

»Bitte, Barbara-Schatz, sei lieb und mach endlich auf! Hast mich jetzt lange genug zappeln lassen.« Noch einmal hämmerte er gegen die Tür, dass es durchs ganze Haus schallte.

»Verdammt, verdammt, verdammt!« Sven presste die Lippen fest aufeinander. Er fühlte sich schrecklich. Allerdings nicht, weil ihn sein schlechtes Gewissen quälte, sondern weil er seine beruflichen Zukunftsträume in weite Ferne gerückt sah. Zu blöd aber auch, dass Barbara ihn gesehen hatte. Doch wie hätte er ahnen sollen, dass sie heute mit ihrer Tante unterwegs gewesen war, um ein Brautkleid auszusuchen.

Er haderte mit Barbara, mit Karoline, die ihn ebenso wenig ausstehen konnte wie er sie, mit sich selbst. Warum zum Teufel hatte er sich auch mit Angie in der Innenstadt treffen müssen! Weiter draußen, in einer kleinen verschwiegenen Pension, hätten sie es doch mindestens so nett gehabt. Doch Angie hatte unbedingt in die angesagte neue Location gehen wollen, und er hatte ihrem Charme wieder einmal nicht widerstehen können.

»Du bist ein Idiot«, murmelte er vor sich hin, dann versuchte er erneut, Barbara zum Öffnen der Tür zu überreden.

»Jetzt reicht’s aber, mein Lieber.« Unvermittelt stand Karl Mitterer vor ihm. »Sie schreien mir ja das ganze Haus zusammen.«

»Sie macht nicht auf, die dumme Zicke.« Sven hatte sich kaum noch in der Gewalt vor lauter Wut. »Dabei will ich doch nur mit ihr reden und ihr erklären, dass alles gar nicht so tragisch war.«

»Frau Schnitzler möchte aber nicht mit Ihnen sprechen. Nie mehr.« Karl, fast einen halben Kopf größer als der auch nicht gerade kleine Sven, stellte sich dicht vor ihn. »Und deshalb verlassen Sie jetzt mein Haus. Unverzüglich.«

»Und wenn nicht, ha?«

Karl Mitterer blieb gelassen. »Sie wissen genau, dass es simple Möglichkeiten gibt, Sie von hier entfernen zu lassen. Ein Anruf bei der Polizei genügt.«

»Sie … Sie …« Auf Svens Stirn schwoll eine dicke Ader, und er ballte die Hände hilflos zu Fäusten.

»Gehen Sie! Beruhigen Sie sich, und dann versuchen Sie in ein paar Tagen nochmals mit Barbara zu reden. Vielleicht haben Sie dann mehr Glück.«

»Klugscheißer.« Sven bückte sich und griff nach dem Koffer, der Reisetasche und dem blauen Sack mit den restlichen Habseligkeiten. »Wir sehen uns noch.« Es sollte wie eine Drohung klingen, doch der Apotheker hörte genau Svens Verzweiflung heraus.

Erst als unten die Haustür ins Schloss gefallen war, läutete Karl bei Barbara.

»Er ist weg. Und ich bin sicher, so rasch kommt er nicht zurück.«

»Danke. Danke Ihnen sehr, Herr Mitterer.«

»Keine Ursache. Wenn er noch mal zurückkommt und Sie belästigt, dann rufen Sie mich ruhig an.« Ein paar Sekunden blieb er abwartend vor Barbaras Tür stehen, doch als sie nicht öffnete, ging er zurück in seine Wohnung.

Kurz zuvor hatte ihn seine junge Mitarbeiterin angerufen, ihn in zwei knappen Sätzen informiert und um Hilfe gebeten.

»Ich kann ihn jetzt nicht sehen«, hatte sie gesagt. »Bitte schicken Sie ihn fort.«

Das hatte Karl nur zu gern getan. Er mochte Barbara, und er wünschte ihr einen besseren Partner als Sven Gerhardsen, den er für einen egoistischen Windhund hielt.

Barbara saß einfach nur da und starrte aus dem Fenster, ohne wirklich zu bemerken, was draußen vor sich ging. In ihrem Innern war alles leer. Nur ein dumpfer Schmerz in der Herzgegend zeugte davon, wie enttäuscht und verletzt sie war. Es war nicht das erste Mal, dass Sven sie betrogen hatte, doch sie hatte ihm geglaubt, dass es nur flüchtige, unbedeutende Ausrutscher gewesen waren.

»Ich liebe in Wirklichkeit nur dich«, hatte er immer wieder beteuert. »Diese anderen … Sie haben meiner Eitelkeit geschmeichelt, das ist alles. Und Angie … Die kenne ich seit der Schulzeit. Schon damals war sie hinter mir her, und jetzt hat sie es einfach drauf angelegt, mich zu verführen.«

Dumm war sie gewesen, diesen fadenscheinigen Erklärungen zu glauben und ihm zu verzeihen. Wer weiß, wie oft er sie hintergangen hatte. Sicher häufiger als die beiden Male, bei denen sie ihn ertappt hatte.

Ihr Blick fiel auf das gerahmte Foto auf der kleinen Vitrine. Es zeigte Sven und sie beim gemeinsamen Urlaub auf den Malediven. Sie presste die Lippen zusammen, sprang auf und fegte das Bild mit einer schnellen Bewegung zu Boden. Erst als das Glas auf dem Boden zersplitterte, kam sie zu sich. Fahrig strich sie sich übers Gesicht.

»Er ist es nicht wert, dieser Mistkerl, dieser verlogene Egoist«, murmelte sie und ging in die Küche, um eine Kehrschaufel zu holen.

Gemeinsam mit den Scherben und dem zerbrochenen Rahmen warf sie auch die Beziehung zu Sven in den Müll.

5. Kapitel

Schon seit vierzehn Tagen grassierte eine Grippewelle in München und Umgebung. In der Apotheke gaben sich die Kunden die Klinke in die Hand, die vor allem Mittel gegen Husten, Heiserkeit und Fieber verlangten.

Immer wieder erklärten Karl Mitterer und seine drei Mitarbeiter den Leuten, dass sie an einer fiebrigen Erkältung litten, doch sicher nicht an einer echten Grippe. Davon waren höchstens zehn Prozent der Erkrankten betroffen, und sie bekamen ihre Medikamente von den Ärzten verschrieben.

Es gab also sehr viel zu tun, und abends war Barbara dann so müde, dass sie kaum noch die Energie aufbrachte, an Sven und seinen Betrug zu denken.

Er hatte noch zwei Versuche unternommen, mit ihr zu reden, hatte sie sowohl vor der Apotheke als auch vor der Wohnung abzupassen versucht. Doch Barbara war ihm rechtzeitig ausgewichen.

Sie wollte ihn nicht mehr sehen, wollte ihn vergessen.

Endgültig!

Aber das war verdammt schwer. Immer und immer wieder geisterte er durch ihre Träume, dann sah sie ihn in den Armen einer anderen, hörte sein Lachen, sah seine verliebten Blicke, die nicht ihr galten, und wachte stets tränenüberströmt auf.

An einem Sonntag im April traf sie sich mit ihrer Tante zu einem gemütlichen Abendessen in einem Lokal in Gauting, das einer Freundin von Karoline gehörte. Es war ein schon recht lauer Abend, der Tag war sonnig und klar gewesen. Wie Scherenschnitte standen die Berge am noch hellen Abendhimmel, ein rosiger Schein hüllte die Bergspitzen ein.

Sie gehörten zu den ersten Gästen an diesem Abend, und der Restaurantleiter wies ihnen einen Tisch mit einem wunderbaren Blick auf die Alpen zu.

»Es wird Zeit, dass du mal rauskommst. Siehst nicht gerade prickelnd aus.« Tante Karoline war so direkt wie immer, doch ihr Blick war voller Sorge auf Barbara gerichtet. »Du hast sogar abgenommen, gell?«

»Ja. Aber nicht viel.«

»Das ist gelogen. Du bist nicht nur blass, sondern hast auch ganz eingefallene Wangen.« Über den Tisch hinweg legte Karoline die Hand auf Barbaras. »Kind, du musst mal ausspannen. Urlaub machen oder …« Sie zögerte. »Am besten nähmst du dir mal eine Auszeit.«

»Und wie soll die aussehen?«, fragte Barbara kopfschüttelnd. »Ich hab einen Job, schon vergessen?«

»Natürlich nicht. Aber deine Gesundheit geht vor.«

Für einen Moment stockte die Unterhaltung, denn ein Kellner servierte den bestellten Prosecco.

»Mir geht’s ganz gut«, versicherte Barbara, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte.

»Wer’s glaubt, wird selig.«

Während der nächsten Stunde genossen sie das vorzügliche Essen und ließen das brisante Thema ruhen. Erst beim abschließenden Espresso kam Karoline Schnitzler wieder darauf zurück.

»Ich hab mir etwas überlegt«, begann sie zögernd. »Du solltest unbedingt auf andere Gedanken kommen. Abschalten. Etwas Neues erleben, neue Eindrücke sammeln.«

»Aha!« Barbara verzog fast unmerklich das Gesicht.

»Ja. Genau das brauchst du.«

»Ach, Tantchen, hör auf. Mir geht’s schon wieder ganz gut.«

»Klingt vollkommen überzeugend. Vor allem, wenn man dich ansieht.« Karoline Schnitzler legte leicht den Kopf zur Seite und schaute die Nichte mit zusammengekniffenen Augen an.

»Den Blick kenne ich.« Barbara seufzte auf. »Schieß los, was hast du dir ausgedacht?«

»Ich mir? Gar nichts. Wie käme ich dazu?«

»Lüg nicht, Tantchen. Ich kenne dich schon mein ganzes Leben lang und weiß genau, wann du flunkerst.«

»Also gut. Dann hör zu.« Karoline beugte sich ein wenig vor. »Du erinnerst dich bestimmt an meine alte Internatsfreundin Antonia Moretti? Sie lebt seit Jahren am Gardasee, besitzt dort eine exklusive Boutique. Bei ihr könntest du privat wohnen und eine Weile Urlaub machen.«

Barbara wusste nicht, ob sie sich ärgern oder freuen sollte. Irgendwie war die Vorstellung, mal aus München fortzukönnen, wo so vieles sie an Sven erinnerte, recht verlockend. Doch dass Karoline über ihren Kopf hinweg gehandelt hatte, ärgerte sie. Schließlich war sie kein kleines Mädchen mehr, über das die Tante wachen und bestimmen konnte.

»Na, was meinst du?«

Barbara zögerte. »Du hast ja schon alles vorbereitet, oder?«

»Nein.« Karoline schüttelte den Kopf. »Gar nichts hab ich. Nur ein paar Überlegungen angestellt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass dir ein paar Wochen in Italien guttun würden.«

Für ein paar Augenblicke blieb es still. Von der Straße her war das Sirenengeheul eines Unfallwagens zu hören, und automatisch sahen die beiden Frauen aus dem Fenster, konnten jedoch nichts erkennen.

»Da war sicher wieder einer auf der kurvenreichen Strecke zu schnell unterwegs.« Karoline seufzte. »Vor einer Woche erst ist einer unserer älteren Schüler mit seinem Roller verunglückt. Wenn er Pech hat, wird er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen.«

»Das ist tragisch.« Barbara presste die Lippen aufeinander. Solch ein Schicksal war wesentlich schlimmer als das Wissen, einem untreuen Liebhaber aufgesessen zu sein.

»Weißt du was?« Mit einem kleinen Lächeln sah sie die Tante an. »Ich denke über deinen Vorschlag nach. Allzu weit ist es ja nicht von München bis zum Gardasee. Wenn es mir nach ein paar Tagen nicht gefällt, dann komme ich eben zurück.«

»Gute Idee!«

»Nun freu dich nicht zu früh. Erst einmal muss ich mit Herrn Mitterer sprechen, ob er mir so spontan freigeben kann.«

6. Kapitel

Wie so häufig staute sich auf der Brennerautobahn der Verkehr. Seit einer Stunde regnete es, der Himmel war grau und die Bergspitzen zum größten Teil hinter dichten Wolken verborgen.

Barbara sah auf das Navigationsgerät ihres Wagens. Es zeigte einen längeren Stau infolge eines Unfalls an. Sie seufzte auf. Da war sie extra früh losgefahren, um schon am frühen Nachmittag in Gardone Riviera zu sein, doch damit würde es wohl nichts werden, wenn es weiterhin in diesem Schneckentempo voranging.

Kurz sah sie auf die Uhr – gerade mal elf! Ob wohl Herrn Mitterers ältere Cousine, die in Passau lebte und ebenfalls Apothekerin war, bereits in München eingetroffen war? Sie war seit einem Jahr im Vorruhestand, weil sie sich um ihre Enkel kümmern wollte. Doch als Herr Mitterer sie gefragt hatte, ob sie wohl für eine Zeit lang bei ihm aushelfen wolle, hatte sie sofort zugestimmt.

»Ich denke mal, dass ihr die Zwillinge der Tochter, die gerade mal laufen lernen, zu stressig sind. Da ist ihr mein Angebot sicher ganz recht gewesen.« Der liebenswerte Apotheker hatte Barbara kurz die Hand auf die Schulter gelegt. »Sie brauchen wirklich eine kleine Auszeit, Barbara, da hat Ihre Frau Tante schon recht. Bleiben Sie, solange Sie wollen. Wir kommen schon zurecht.«

»Es ist mir aber unangenehm, so plötzlich um Urlaub bitten zu müssen.«

»Ach was, das lässt sich schon regeln mit Bettinas Hilfe. Was nicht heißt, dass ich für immer auf Sie verzichten möchte.« Als Barbara noch weitere Einwände machen wollte, hatte er entschieden abgewehrt. »Kein Wort mehr. Genießen Sie die Tage am Gardasee, und kommen Sie gesund und fröhlich zurück.«

»Ja dann … Wenn Sie wirklich einverstanden sind …«

»Bin ich. Viel Vergnügen.«

Er hat gut reden, dachte Barbara, während sie sich einen frischen Kaugummi aus der Handtasche fischte. Er und sein Jonas sind ein Herz und eine Seele, ich kenne kein Paar, das so gut harmoniert.

Sie zuckte zusammen, als ein Ball gegen die Windschutzscheibe prallte. Sekunden später sah sie zwei Jungs quer über die Fahrbahn laufen.

»Vorsicht!« So schnell es ging, löste sie den Sicherheitsgurt und öffnete die Tür. Der Ball lag links von ihr auf dem Grünstreifen, und die beiden Jungs, beide etwa zehn Jahre alt, liefen auf der Suche danach zwischen den Wagen hin und her.

Wenn es gleich weitergeht, gibt es ein Unglück, schoss es Barbara durch den Kopf, und rasch bückte sie sich nach dem Ball.

»Hier … hier ist euer Ball!« Sie hielt den roten Fußball hoch über ihren Kopf. Regen lief ihr übers Gesicht, doch sie spürte ihn kaum. Ihr Augenmerk war auf die beiden Jungs gerichtet, die auf sie zugelaufen kamen. »Vorsicht! Passt auf!«

»Danke!« Der größere der Jungs streckte schon die Arme nach dem Spielzeug aus.

»Hier. Bitte. Aber seid vorsichtiger! Woher kommt ihr überhaupt? Ihr könnt doch nicht auf der Autobahn spielen.« Sie sah sich um. »Wo sind denn eure Eltern?«

Noch ehe eines der Kinder antworten konnte, kam eine junge blonde Frau aufgeregt auf sie zugelaufen.

»Tim, Luca … Was macht ihr denn für einen Unsinn! Ihr könnt doch nicht einfach weglaufen!«

»Der Ball … Mami, der Ball ist mir aus der Hand gerutscht, und deshalb sind wir hinterhergelaufen.« Der größere der beiden Jungen biss sich auf die Lippe und sah mit schräg gelegtem Kopf zu seiner aufgeregten Mutter hoch.

»Wie konntet ihr nur einfach aussteigen!« Kopfschüttelnd, doch sichtlich erleichtert, dass nichts passiert war, legte die Frau die Arme um die Jungs. Dann sah sie Barbara an. »Danke, dass Sie die beiden aufgehalten haben. Sie sind einfach aus dem Wagen gesprungen.«

»Tim hat den Ball aus dem Fenster gehalten, nur um mich zu ärgern. Dabei ist das mein Ball!« Der kleinere der Jungs sah trotzig erst seine Mutter, dann den älteren Bruder an.

»Darüber reden wir noch. Und jetzt kommt zurück ins Auto.« Noch einmal nickte sie Barbara zu. »Danke für Ihr schnelles Eingreifen.«

»Schon gut. Es ist ja zum Glück nichts passiert. Aber jetzt sollten Sie sich beeilen, ich glaube, es geht weiter.«

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