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Was auf dem Spiel steht Krisen überall: Klima, Konjunktur, Kapitalismus, Kriege. Werden wir sie lösen können? Fritz B. Simon wirft einen mehr als skeptischen Blick auf die politischen Entwicklungen im Kontext der unübersehbaren internationalen Probleme. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Aussichten für eine zukünftige Bewohnbarkeit der Erde angesichts des von niemandem ernsthaft bezweifelten Klimawandels. Gerade diese weltweite Herausforderung wird allerdings, wie viele andere auch, nach wie vor eher national angegangen – wenn überhaupt. Angesichts fehlender politischer Lösungserfolge gewinnt der Autoritarismus an Zustimmung und tatsächlich auch an Einfluss und Macht. Demokratien geraten ernsthaft in Gefahr. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir Diktaturen, und damit Diktatoren, das Ruder überlassen werden, wächst. Neuere Systemtheorie kann schlüssig erklären, was hier geschieht. Wer versteht, was vor sich geht, kann nicht überrascht sein, wenn am Ende Freiheiten und Wohlstand radikal eingeschränkt werden. Dass autoritären bzw. diktatorischen Regierungen gelänge, was wissenschaftlich angeraten ist, um die Erde großflächig bewohnbar zu halten, darf bezweifelt werden. Dieser Essay zeichnet ein einleuchtendes Worst-Case-Szenario, das aufrüttelt und klarmacht, was wir riskieren. Der Autor: Fritz B. Simon, Dr. med., Professor für Führung und Organisation am Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke; Systemischer Organisationsberater, Psychiater, Psychoanalytiker und systemischer Familientherapeut; Mitbegründer der Simon, Weber and Friends, Systemische Organisationsberatung GmbH. Autor bzw. Herausgeber von ca. 300 wissenschaftlichen Fachartikeln und 36 Büchern, die in 15 Sprachen übersetzt sind. Zuletzt: "Anleitung zum Populismus oder: Ergreifen Sie die Macht!" (2019) und "Stalin und der Apparat. Die Organisation der Diktatur und die Psyche des Diktators" (2023).
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Seitenzahl: 79
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Fritz B. Simon
Ein Worst-Case-Szenario
2024
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
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Bernhard Trenkle (Rottweil)
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Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Reihe »update gesellschaft«
hrsg. von Matthias Eckoldt
Umschlagentwurf: B. Charlotte Ulrich
Redaktion: Vera Kalusche
Layout und Satz: Melanie Szeifert
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2024
ISBN 978-3-8497-0556-5 (Printversion)
ISBN 978-3-8497-8507-9 (ePub)
© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag
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Vorbemerkung – Was passiert, wenn nichts passiert?
Die gegenwärtige Struktur der Weltgesellschaft
Klimaschutz in der Wirtschaft
Klimapolitik
Attraktion und Funktionalität autoritärer Herrschaft
Wie im Wilden Westen: Eine Phase des Chaos
Diktatur und Klimafaschismus
Was tun?
Hinweis/Dank
Anmerkungen
Literatur
Klimaforscher prognostizieren eine Erderwärmung, die über kurz oder lang weite Teile der Erde unbewohnbar machen wird. Da heute niemand weiß, was morgen wirklich passiert, sind solche Vorhersagen immer unsicher und daher von Zweifeln und Zweiflern begleitet. Die Bilder der Zukunft, die ein Einzelner oder eine Gesellschaft entwickeln, entfalten ihre Wirkung immer in der Gegenwart, da sie die Entscheidungen der Staaten wie die der Staatsbürger beeinflussen. Menschen sind historische Wesen, das heißt, unser aktuelles Handeln wird nicht nur von unserer individuellen und kollektiven Vergangenheit bestimmt, sondern auch von unserer Zukunft – genauer gesagt: unserem aktuellen Bild der Zukunft (von Konstruktivisten gern als „gegenwärtige Zukunft“ bezeichnet, was verdeutlichen mag, dass die reale Zukunft – die „zukünftige Gegenwart“ – möglicherweise ganz anders aussehen wird, als unsere Vorhersagen suggerieren).
Wenn über Zukunft gesprochen oder geschrieben wird, handelt es sich also stets um – mal mehr, mal weniger – durch Daten und Trends sowie deren Analyse gestützte Gedankenexperimente. Das Schöne an dieser Art des Experimentierens ist, dass sich ohne große Kosten einzelne Variablen hypothetisch variieren lassen, um ihre systemischen Folgen in den Blick zu nehmen (diese Nutzung des Konjunktivs wurde von Georg Christoph Lichtenberg erfunden; die Suchformel seiner Ars inveniendi lautet: „Wenn dieses gar nun nicht da wäre, was würde alsdann werden?“1). Erst mithilfe solcher Szenarien wird es in der aktuellen Gegenwart möglich, verantwortungsbewusst Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen.
Das Problem ist allerdings, dass derartige Gedankenexperimente unterschiedlich gestaltet und unterschiedliche Faktoren in Rechnung gestellt werden können, sodass sich manchmal konträre Resultate – unterschiedliche „gegenwärtige Zukünfte“ – ergeben und, damit verbunden, unterschiedliche Handlungskonsequenzen in der Gegenwart nahegelegt werden. Die sogenannte Klimakrise liefert Dutzende von Beispielen scheinbar logisch daraus abgeleiteter politischer Programme: Autos mit Vergaser müssen verboten werden vs. es wird bald alternative, klimaneutrale Brennstoffe geben; ein Tempolimit auf Autobahnen ist die preiswerteste Schutzmaßnahme für das Klima vs. weiterhin muss gelten „Freie Fahrt für freie Bürger“; Wärmepumpen werden vorgeschrieben vs. der Markt findet die beste Heiztechnologie zur Senkung des CO2-Ausstoßes; Atomkraft ist die sauberste Art der Energieerzeugung vs. erneuerbare Energien sind billiger und produzieren keinen Jahrtausende strahlenden Müll usw.
Je nachdem, wie die Wichtigkeit einzelner Variablen und Maßnahmen für die weitere Entwicklung des Klimas bewertet wird, werden andere Entscheidungen getroffen. Prognosen sind daher nie harmlos, sondern höchst brisant, weil sie schon die Gegenwart verändern. Sie berühren aktuelle Interessen und führen zu Interessenkonflikten. Wenn sie die Gesellschaft betreffen und massive politische Auseinandersetzungen auslösen, so ist dies – so anstrengend es auch sein mag – nicht zu beklagen, sondern angemessen. Denn Entscheidungen hier und heute haben Einfluss darauf, wie sich pfadabhängig die Zukunft morgen und übermorgen präsentieren wird. Da niemand garantieren kann, wie sie sich tatsächlich entwickeln wird, ist es nützlich, sich über die denkbaren Szenarien sachlich und kritisch auseinanderzusetzen. Solche Konflikte sind dann nicht das Problem, sondern Wege zu intelligenteren Entscheidungen (wenn auch leider nicht zwangsläufig zur besten Lösung).
Dabei geht es nicht nur um die jeweils zu berücksichtigenden Faktoren einer zu prognostizierenden, unsicheren Entwicklung, sondern auch um die theoretischen Vorannahmen. Solange dabei lediglich naturwissenschaftliche Fragestellungen diskutiert werden, mag es noch relativ einfach sein, einen Konsens über sie zu finden; die Naturgesetze erweisen sich nun einmal als ziemlich zuverlässig. So sind sich die meisten Klimaforscher einig, wenn nichts passiert, die Entwicklung wie bisher weitergeht und, beispielsweise, das Grönlandeis abschmilzt, wird der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen (Nord- und Ostsee vereinigen sich dann, Dänemark steht nicht mehr als Reiseland zur Verfügung und Clausthal-Zellerfeld wird zum Seebad).
Was gesellschaftliche und politische Fragestellungen angeht, ist ein Konsens über die kommende Entwicklung sehr viel schwieriger zu finden. Schließlich ist der Markt politischer Modelle erheblich vielfältiger, als es die Modelle der Klimaforscher sind. Ideologische Vorannahmen spielen dabei oft – explizit oder implizit – eine gewichtige Rolle, da sie sich politisch instrumentalisieren lassen. Durch jede Entscheidung heute entscheiden wir uns auch in Bezug auf das Gesellschaftssystem, in dem wir und/oder große Teile der Welt einmal leben werden, für eine bestimmte Zukunft. Wir stellen Weichen, eröffnen oder verschließen Optionen. Es ist also sinnvoll, auch in Bezug auf die gesellschaftlichen und politischen Folgen der Erderwärmung Zukunftsszenarien zu entwickeln. Die basale Frage lautet auch hier: Was passiert, wenn nichts passiert? Das heißt, wenn die Entwicklung so weitergeht wie bislang, wie wird dann unsere Gesellschaft bzw. die Weltgesellschaft in Zukunft aussehen – morgen, nächstes Jahr, in x Jahren oder Jahrzehnten?
Grob gesagt lassen sich prinzipiell zwei Zukunftsszenarien gegeneinander abgrenzen. Eines, bei dem durch eine rosa gefärbte Brille geschaut wird („Alles wird gut!“), das heißt, es wird als „Best-Case-Szenario“ eine positive Utopie entwickelt – wenn nicht das Paradies auf Erden, so doch eine anzustrebende Zukunft (die konkreten Utopien sind im Folgenden beiseite gelassen, da sie meist irgendeinen Deus ex machina – z. B. die rettende technische Innovation – einführen, der/die für ein Happy End sorgt; sollte sich solch eine Utopie realisieren, wird ja eh alles gut, und wir müssen uns keine weiteren Sorgen machen). Die andere Perspektive ist düsterer, das Bild ist dunkel, eine Dystopie wird konstruiert, eine Zukunft, die es zu vermeiden gilt. Natürlich macht es mehr Spaß, sich eine glorreiche und glückliche Zukunft vorzustellen, als sich mit Schwarzseherei zu belasten. Doch pragmatisch erscheint es ökonomischer, seine schwarzen Fantasien zur Entscheidungsfindung zu nutzen, statt sich durch schön gefärbte Visionen beruhigen und einschläfern zu lassen. Der Grund dafür ist relativ einfach: Worst-Case-Szenarien sagen zwar nicht, welche kreativen neuen Aktionen realisiert werden sollten, um die Wahrscheinlichkeit einer wunderbaren Zukunft zu erhöhen, aber sie zeigen, was zu vermeiden ist, um eine wahrscheinlich miserable Zukunft zu vermeiden. Bezogen auf die Erderwärmung würde die Frage dann lauten: Wenn wir innerhalb kürzester Zeit – sicher und zuverlässig – die Erderwärmung um 3,5 oder mehr Grad steigern wollten, wie könnten wir das am besten schaffen?
Wahrscheinlich wird jeder erst einmal schräg angesehen, der solch eine Frage ernsthaft stellt. Aber wenn die Frage dann beantwortet wird, dürfte sich herausstellen, dass etliche der fürs Erreichen dieses dystopischen Ziels notwendigen Maßnahmen bereits beschlossen sind und schon umgesetzt werden.
Charme und Nützlichkeit von Worst-Case-Szenarien bestehen darin, dass vermeiden und unterlassen nun einmal einfacher und preiswerter zu realisieren ist als alternative neue Handlungsmuster zu implementieren, die möglicherweise erst mühsam erlernt oder erfunden werden müssen (so viel zum Stichwort Technologieoffenheit).
Ein solches Worst-Case-Szenario soll im Folgenden skizziert werden. Allerdings ist der Fokus der Aufmerksamkeit nicht auf die naturwissenschaftlichen und/oder technischen Fragen der Erderwärmung gerichtet, sondern es skizziert die potenziellen gesellschaftlichen Bedingungen und Konsequenzen einer Klimakatastrophe. Ziel und Hoffnung ist dabei – um hier Missverständnisse zu vermeiden –, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass dieses Szenario sich realisiert.
Es handelt sich bei dem im Folgenden skizzierten Szenario nicht um einen Ausbruch ungezügelter schwarzer Fantasie, sondern es stützt sich theoretisch auf die neuere soziologische Systemtheorie* und folgt der dort analysierten Logik sozialer Dynamiken. Die Skizze beginnt mit einer Darstellung der Weltgesellschaft und ihrer aktuellen Strukturen sowie der Darstellung der Logik, nach der in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Recht und Politik Entscheidungen getroffen werden, um dann die Konsequenzen für das Klima zu diskutieren und – in der weiteren Folge wiederum – die wahrscheinlichen Rückwirkungen auf die Politik und die Strukturen der (Welt-)Gesellschaft.
Dass diese Analyse zu keinen für die Demokratie positiven Ergebnissen führt, zeigt schon der Titel dieser Schrift. Doch das ist nur ein Worst-Case-Szenario. Seine Realisierung kann wahrscheinlich/hoffentlich verhindert werden, wenn der Wille dazu vorhanden ist.
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