Die kompetente Familie - Jesper Juul - E-Book

Die kompetente Familie E-Book

Jesper Juul

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Erziehungskompetenz für Eltern - Das Orientierungsbuch für die Familie

Die wichtigste Frage für jede Familie lautet: Wie verwandeln wir liebevolle Gefühle in liebevolles Verhalten? Denn dass wir einander lieben, bedeutet nicht automatisch, dass wir auch gut miteinander auskommen. Jesper Juul, einer der bedeutendsten Familientherapeuten unserer Zeit, bietet in seinem neuen Bestseller Orientierung und konkrete Hilfestellung.

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Seitenzahl: 189

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Das Zusammenspiel in der Familie
Wie gehen wir mit Konflikten um?
Verantwortung oder Gehorsam?
Zu unseren eigenen Werten finden
Grenzen
Was sind Grenzen?
Wo sind Ihre Grenzen?
Grenzen setzen
Sich persönlich äußern
Ich will
Veränderte Grenzen
Wann wir scheitern
Sich gemeinsam entwickeln
Empathie
Ist Empathie das gleiche wie Mitgefühl?
Kinder mit mangelnder Empathie
Gibt es ein Trotzalter?
Der Drang zur Selbstständigkeit
»Was du willst, das sollst du auch bekommen«
Grenzen der Demokratie
Kinder kooperieren
Aggression – ein notwendiger Teil des Familienlebens
Sich wertgeschätzt fühlen
Essen in der Familie
Geschmäcker sind verschieden
Der Vater in der Küche?
Mythen über Kinder und Essen
Schlussbemerkung
Die gleichwürdige Beziehung
Die Qualität der Beziehung
Die Führung in der Familie
Zwei Formen von Macht
Kurzer historischer Rückblick
Die notwendige Führungsrolle
Führungsprinzipien
Immer an einen Strang ziehen
Gemeinschaft
Dialog
Diskussionen
Gemeinsame Verantwortung – eigene Verantwortung
Aufgabenverteilung
Gemeinsame Energie
»Was will ich und was sollte ich?« Über den Konflikt zwischen Zusammenarbeit ...
Sich selbst treu bleiben
Was sollte ich?
Besorgnis – der depressive Ausdruck der Liebe
Opfer unserer Fantasien
Es ist nicht immer von Vorteil, etwas von Kindern zu verstehen
Wie aus dem Lehrbuch...
Das Kind im Mittelpunkt
»Mama mag es nicht, wenn du ein Symptom zeigst«
Zurück zum Wesentlichen
Eltern als Sparringspartner für ihre älteren Kinder
Normen müssen sich entwickeln
»Jetzt kann ich meiner Mutter nicht mehr vertrauen!«
Die Sehnsucht nach einem harmonischen Miteinander
Maximaler Widerstand ohne Schaden
Die neue Offenheit
Der notwendige Dialog
Kinder brauchen Aufmerksamkeit
»Ich will, dass du mich siehst!«
Sollen Kinder Pflichten haben?
Gut für die Entwicklung?
»Wir hatten eine Abmachung!«
»Soll ich dir helfen?«
»Kannst du nicht mal selbst die Initiative ergreifen?«
Klare Erwartungen
Eine neue Qualität der Hilfsbereitschaft
Geschäfts- oder Familienleben?
Das Zusammenspiel der Erwachsenen: Herz und Nahrung der Familie
Lasten unserer Herkunftsfamilie
Zusammen sein, zusammen bleiben, auseinander gehen
Liebe ich oder bin ich verliebt?
Kann Erziehung liebevoll sein?
Gemeinsames Sorgerecht
Partnerschaft und Elternschaft
Zusammenarbeit
Die Situation der Kinder
Den Kindern Beachtung schenken
Von der Kunst, sich beraten zu lassen
Was müssen wir wissen?
Haben denn immer die Eltern Schuld?
Zorn und Enttäuschung
Wer berät uns?
Berater sind auch nur Menschen
familylab – die Familienwerkstatt
Über den Autor
Copyright
Jesper Juul Die kompetente Familie
Vorwort

Die kompetente Familie – Ein Orientierungsbuch für Eltern

Die wichtigste Frage für jede Familie lautet: Wie verwandeln wir liebevolle Gefühle in liebevolles Verhalten? Denn die Tatsache, dass wir einander lieben, bedeutet nicht automatisch, dass wir auch gut miteinander auskommen. Jesper Juul, einer der bedeutendsten Familientherapeuten unserer Zeit, will Sie dabei unterstützen, auf diese Frage Ihre ganz persönliche Antwort zu finden.
Dieses Buch, das auf dem europaweiten Seminar- und Beratungsprojekt »familylab – die Familienwerkstatt« basiert, bietet Orientierung und konkrete Hilfestellung. Jesper Juuls größtes Anliegen ist es, Eltern zu helfen, ihre Entscheidungskompetenz zu erweitern, um auch in schwierigen Situationen gute Entscheidungen zu treffen. Das klappt dann am besten, wenn es Eltern gelingt, ihre ganz persönlichen Werte und Ziele im Zusammenleben in der Familie umzusetzen. Das Buch vermittelt daher die Quintessenz von Jesper Juul Erziehungsansatzes und seiner langjährigen Erfahrung damit, was Eltern und Kinder brauchen, damit es ihnen zusammen gut geht.

Kompetente Kinder brauchen kompetente Eltern

Es ist hilfreich, sich einmal zu fragen, welche Haltung und welches Denken wir mit unserer Erziehung und unseren Beziehungen in der Familie eigentlich fördern möchten. Wollen wir noch Untertanen heranziehen, die auf Anweisungen und Befehle handeln? Oder wünschen wir uns, dass unsere Kinder zu Menschen heranwachsen, die ein hohes Maß an Selbstständigkeit, Kompetenz und ein starkes Selbstwertgefühl mitbringen?
In letzterem Fall brauchen Kinder Eltern, die bereit sind, sich zu entwickeln. Eltern, die wie Leuchttürme sind, die ständig klare Signale geben und deutlich sagen, was sie wollen (statt bloß zu sagen, was sie nicht wollen). Sie brauchen Eltern, die wie Sparringspartner sind, die zu Hause gleichsam eine Trainingssituation bieten und dabei den größtmöglichen Widerstand leisten und zugleich den geringstmöglichen Schaden anrichten. Eltern, die bereit sind, mit ihren Kindern zu wachsen. Eltern, die täglich viele Fehler machen und keine Lust mehr haben, perfekt zu sein. Eltern, die sich entspannen und die Kraft haben, Nein zu sagen, wenn ihnen danach ist. Eltern, die ihre Verantwortung ernstnehmen – wissend, dass diese Kinder nicht ihr Besitz sind, sondern das Geschenk des Lebens. Eltern, die wissen, dass ihre Kinder nicht wie ihre Eltern werden müssen, um gut zu sein. Eltern, die die Kraft in sich entwickelt haben, sich und ihren Kindern immer mehr zu vertrauen.
Hehre Ansprüche, aber unrealistisch, meinen Sie? Jesper Juul zeigt in diesem Buch, wie es praktisch gehen kann. Es sind Inspirationen, die uns Eltern zum Ausprobieren animieren wollen, es einmal anders zu machen, als wir es von unseren Eltern gelernt haben. In seiner deutlichen, zugewandten Haltung gibt er keine Anleitung zum Glücklichsein in Familien, sondern zeigt, dass wir inmitten einer tief greifenden Veränderung stecken, auf deren Weg wir selbst wieder mehr Freude an Familie und Partnerschaft finden können. Dies gelingt, wenn Eltern ihre Führungsrolle ausüben und die Macht, die sie gegenüber ihren Kindern haben, transparent machen. Denn Eltern haben die Autorität in der Familie – physisch, psychisch, sozial, daran besteht kein Zweifel. Wenn Eltern nicht dazu stehen, fangen die Kinder an, die Führung zu übernehmen: Chaos ist die Folge. Deshalb ist es für Eltern wichtig, die Autorität in der Familie offen, in einer guten Weise und zum Wohle aller auszuüben, ohne die Abhängigkeit der Kinder auszunutzen.
In bewusst kurzen und in sich abgeschlossenen Kapiteln (wer will nach einem anstrengenden Tag schon noch lange pädagogische Abhandlungen lesen?) beleuchtet Jesper Juul Themen wie Trotz, Pflichten, Grenzen, Aggression, Probleme beim Essen – also vor allem die Fragen, die Eltern unter den Nägeln brennen. Es sind überschaubare Kapitel, die dazu einladen, die 8 bis 10 Seiten in einem Rutsch zu lesen.
Dabei möchte ich als Herausgeber an dieser Stelle besonders dem Übersetzer Knut Krüger für seine Arbeit danken. Übersetzer ist eigentlich nur eine unzureichende Bezeichnung. Es sollte eher »Einfühler« heißen. Denn aus der Zusammenarbeit mit Jesper Juul weiß ich, wie wichtig es für ihn ist, menschlich zu bleiben und von »Subjekt zu Subjekt« zu sprechen. Diese innere Haltung bringt Knut Krüger in seiner Übersetzung auf wunderbare Weise ins Deutsche.

Was genau ist »familylab«?

»Aus Erziehung wird Beziehung«, »Vom Gehorsam zur Verantwortung«, »Was Familien trägt – Werte in Erziehung und Partnerschaft«, »Das kompetente Kind«, »Grenzen, Nähe, Respekt«: Das sind nur einige der Bücher von Jesper Juul. Seine Arbeit, die für viele Eltern ebenso wie für pädagogische Fachkräfte einen Quantensprung bedeutet, bekannt zu machen, dafür ist »familylab« angetreten.
»familylab« vermittelt eine solide Basis für alle, die die eigene Rolle als Eltern und Partner finden wollen. Das geschieht mit Büchern, Elternbegleitung in Seminaren und Vorträgen, Internetberatung, unzähligen Interviews und Veröffentlichungen zu Elterninspiration und Kompetenzstärkung. Bis Ende 2007 werden bereits etwa einhundert »familylab«-Kursleiter in Deutschland und Österreich weitergebildet sein. Das sind Fachleute wie z.B. Familien-Sozialtherapeuten und Familienberater mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. Derzeit ist »familylab« in Dänemark, Norwegen, Schweden, Deutschland und Österreich aktiv. In der Schweiz und Kroatien befindet es sich im Aufbau.
»familylab – die Familienwerkstatt« fordert dazu auf, Kindererziehung als einen lebenslangen, in das Familienleben eingebetteten Prozess anzusehen. Dabei geht es nicht um Rezepte und Methoden für Elternausbildung. »familylab« versteht sich als Familienlabor, in dem gemeinsam experimentiert und gelernt werden kann.1

Was können wir Eltern tun, wenn es schwierig wird?

In Krisensituationen wünschen wir uns Allheilmittel. Doch ein erfolgreiches allgemeingültiges Rezept gibt es nicht. Überall in der westlichen Welt suchen Familien nach gangbaren Wegen, mit ihrer Situation in der Partnerschaft und Erziehung fertig zu werden. Dabei gibt es nicht die eine Lösung für Erziehung und auch nicht die eine Lösung, die für jedes Elternpaar passen würde. Auch kein Familienberater, Arzt oder Therapeut hat dieses Rezept. Wenn jemand Ihnen gegenüber so tut als ob, sollten Sie hellhörig werden. Die Praxis hat gezeigt, dass es sehr persönliche Umstände sind, die in eine Krise führen. In einer Familienberatung geht es darum, mit jedem Paar, mit jeder Familie herauszufinden, was die Erwachsenen fühlen, was ihr Kind fühlt, was das Kind ausdrücken möchte. Da ist jede Familiensituation ein bisschen anders. Deshalb helfen keine vorgefassten Meinungen, vorfabrizierten Theorien oder altbewährten Methodologien.
Jede Familie ist ihr eigener kleiner Kosmos mit eigenen Gesetzen und Spielregeln. Wenn es dem Berater gelingt, diese Spielregeln zu entschlüsseln und diese Regeln transparent zu machen, können sie verstanden und verändert werden. Dabei weisen unsere Kinder durch ihr Verhalten auf die Ungleichgewichte in der Familie hin. Wenn Kinder schwierig werden, halten sie ihrer ganzen Familie den Spiegel vor. Statt dieses Verhalten als »unpassend« oder »unartig« abzutun, können wir diese Kindersprache so deuten, dass sie zu einer fruchtbaren Veränderung im Familienkosmos führt.

Verantwortung statt Gehorsam

Manche loben heutzutage wieder die Disziplinierung in Schrift, Wort und Tat, und sie finden eifrige Leser und Applaus. Ich bin ihnen für diese Möglichkeit zur Abgrenzung dankbar! Das ist das Gegenteil unserer Arbeit. Es ist nicht unser Ziel, Kindern immer wieder vor Augen zu führen, dass sie nur dazugehören dürfen, wenn sie parieren. Auch geht es uns nicht darum, dass Sie, als Eltern, immerfort mit der Höchststrafe in Beziehungen, dem Ausschluss, drohen: »Wenn du nicht folgst, fliegst du raus«, »musst du ins Eck« oder »auf den stillen Stuhl«, »solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst« etc. Das sind die denkbar schlechtesten Voraussetzungen, um in jungen Menschen Selbstwert und Selbstvertrauen zu begründen. Und es ist ein Zeichen von Hilflosigkeit und Mangel an überzeugenderen Ideen. Väter und Mütter spüren das! Sie wissen – meist aus eigener, leidvoller Erfahrung -, dass an diesem Bevormundungssystem, das bedingungslose Unterwerfung fordert, etwas nicht stimmt. Sie wissen oft nicht genau, was es ist, aber sie spüren, dass es mit Schnellschüssen nicht getan ist, um eine Veränderung zu schaffen.
In diesem Buch geht es daher nicht um die zehn Tricks, wie Ihre Familie wieder gut läuft, hier geht’s ums Ganze. Um Ihre Werte und wie Sie die in Ihrer Familie etablieren können. Die Arbeit von »familylab« wird getragen von dem Vertrauen in die Entwicklungskräfte aller Beteiligten und dem Wunsch, niemanden je zu beschämen. Die Arbeit von Jesper Juul bringt hierzu Klarheit, Ideen und Inspiration. Und sie eröffnet eine sinnvolle Alternative: Jesper Juul zeigt den Weg zwischen antiautoritären Träumereien und autoritären Allmachtsfantasien. Er bietet das Handwerkszeug, das über drei Jahrzehnte gewachsen ist, sich bewährt hat und wissenschaftlich begründet ist – damit jede Familie sich die Anregungen nimmt, die sie im Moment braucht, um den nächsten Schritt zu gehen.
Ich wünsche Ihnen den größtmöglichen Gewinn für sich und Ihre Familie aus diesem Buch.
Ihr Mathias Voelchert
Mathias Voelchert leitet »familylab« Deutschland.
Das Zusammenspiel in der Familie
Es gibt unzählige Möglichkeiten, als Mann und Frau oder als Familie zusammenzuleben, und kein Experte kann Ihnen garantieren, dass Sie durch eine bestimmte Art und Weise damit Erfolg haben werden. Dazu sind viel zu viele Faktoren im Spiel. Mit dem Zusammenleben verhält es sich wohl wie mit dem Leben selbst – es kann kaum geplant, nur gelebt werden.
Eine Glücksformel gibt es also nicht, doch wissen wir einiges darüber, welchen Aspekten wir besondere Aufmerksamkeit schenken sollten.
Es ist die Qualität des Zusammenspielszwischen den Erwachsenen, die einenbestimmten Ton setzt und über dieAtmosphäre in der Familie entscheidet.
Das mag zunächst etwas zweifelhaft klingen, wenn man beispielsweise daran denkt, wie sehr ein krankes Kind die Stimmung beeinflussen kann, oder wie furchtbar anstrengend es ist, nachts von einem schreienden Säugling wachgehalten zu werden, oder wie groß die Besorgnis werden kann, wenn die dreizehnjährige Tochter am Abend nicht zum verabredeten Zeitpunkt nach Hause kommt.
Doch dies alles sind nur Gefühle, die durch verschiedene Begebenheiten in uns geweckt werden, und sie haben natürlich ihren Sinn und ihre Berechtigung. Die Grundatmosphäre in einer Familie hängt jedoch mehr davon ab, wie die Erwachsenen – gemeinsam – mit diesen Gefühlen umgehen. Kann ich mit meinem Partner aufrichtig über meine Sorgen und Nöte sprechen? Werden meine Gefühle in der Familie ernst genommen? Darum geht es im Wesentlichen.

Wie gehen wir mit Konflikten um?

In allen Familien entstehen Konflikte, die sich nicht im Handumdrehen lösen lassen, wie sehr wir uns auch lieben und wie gesprächsbereit wir auch sein mögen. Einige Konflikte wurzeln so tief in unserer individuellen Existenz, dass sie immer wieder aufbrechen und vielleicht erst zehn oder zwanzig Jahre später gelöst werden können. Die Atmosphäre in der Familie hängt entscheidend davon ab, wie wir gerade mit solchen Konflikten umgehen.
Manche Menschen haben so große Angst, den Partner zu verlieren, dass sie schon beim geringsten Anlass in Panik ausbrechen. Andere brauchen lange Zeit zum Nachdenken, ehe sie in der Lage sind, einen Dialog aufzunehmen. Wieder andere müssen jeden Konflikt besprechen und irgendeiner Lösung zuführen, ehe die Sonne untergeht. Der eine betrachtet jeden Konflikt als Machtkampf und will immer unbedingt Recht bekommen, während der andere von vornherein auf Flexibilität und Kompromisse eingestellt ist. Entscheidend für das Wohlergehen der Familie ist, dass beide Partner die Notwendigkeit von Konflikten begreifen und gemeinsam einen Weg finden, mit diesen umzugehen. Wenn beide Partner mit diesem Weg »leben« können, dann ist es der richtige und macht die Familie auch für die Kinder zu einem Ort der Geborgenheit.
Es bedarf zweier Dinge, um eine guteAtmosphäre in der Familie zu schaffen:Liebe und Bereitschaft.
Es genügt nicht, dass die Erwachsenen sich lieben, sie müssen die Gemeinschaft auch wollen. Wir alle erleben Augenblicke, Stunden oder Tage, an denen wir wünschten, wir würden nicht zusammenleben – es gibt zu viele Streitigkeiten, wir fühlen uns einsam, das Leben wirkt zu kompliziert... Solche Gefühle sind ganz normal, und auch an ihnen werden die Kinder keinen Schaden nehmen, wenn, ja wenn wir richtig mit ihnen umgehen. Möglichst offen und ehrlich mit ihnen umzugehen, ist alles, was wir tun können – aber das ist auch genug.
Kinder sind trotz ihrer ihnen innewohnenden Weisheit überaus harmoniebedürftig. Sie hassen es, wenn zwischen den Eltern Disharmonie besteht, kommen aber ohne Weiteres damit zurecht, wenn sie spüren, dass die Erwachsenen sich wirklich wollen. Es gibt also keinen Grund, Konflikte vor den Kindern zu verheimlichen – was im Übrigen auch gar nicht möglich ist! Kinder spüren Streitigkeiten oft, bevor die Erwachsenen sie wahrnehmen, und wir gehen am besten mit Konflikten um, indem wir nicht dem anderen die Schuld geben, sondern zu unserer eigenen Verantwortung stehen. Zu einem Konflikt oder einem Machtkampf gehören immer zwei Personen.
Oft entstammen wir völlig unterschiedlichen Familien und haben schon von daher verschiedene Erfahrungen und Träume im Gepäck. Niemand beherrscht von vornherein die Kunst, gerade mit der Person zusammenzuleben, mit der wir eine Familie gründen wollen. Ich bezeichne es als Kunst, weil hier Dinge zum Tragen kommen, die auch bei der Entstehung von wirklichen Kunstwerken eine Rolle spielen: Intuition, Ehrlichkeit, Lust, Selbstkritik und vor allem Übung, Übung, Übung. Dann mag es zu Augenblicken kommen, in denen das Gefühl des Gelingens Körper und Seele bis zum Rand erfüllt!
Es ist ein nahe liegender Gedanke, dass alles einfacher wäre, würde einem der Partner mehr gleichen. Auch gegen den Gedanken, den anderen in Reparatur zu geben, damit dieser möglichst runderneuert und fehlerfrei in die Familie zurückkehrt, ist an sich nichts einzuwenden. Man sollte allerdings wissen, dass beides unmöglich ist. Dasselbe gilt für Kinder, die mit ganz individuellen Eigenschaften auf die Welt kommen, deren Verhalten aber wesentlich davon abhängt, wie sich die Erwachsenen zu diesen Eigenschaften stellen.
Das Leben in der Familie handelt nicht von dem, was wir gemeinhin als Kindererziehung bezeichnen. Es wird im Wesentlichen von der Qualität bestimmt, die das individuelle und gemeinsame Leben der Erwachsenen hat. Diese Qualität beeinflusst das Wohlergehen der Kinder in weitaus höherem Maße, als es unsere bewusste »Erziehung« je könnte.
Verantwortung oder Gehorsam?
Welches Ziel verfolgen wir mit der Art und Weise, mit der wir unsere Kinder erziehen? Die Überschrift dieses Kapitels deutet bereits eine prinzipielle Wahlmöglichkeit an, und die hat man in vieler Hinsicht tatsächlich. Für Kinder ebenso wie für Erwachsene ist es jedenfalls unangenehm und verwirrend, wenn die Eltern diesbezüglich einen Zickzackkurs fahren.
Historisch betrachtet war Gehorsam über viele Generationen hinweg ein selbstverständliches Erziehungsziel. Die Gesellschaft im Ganzen war autoritär, was sich in den meisten Familien, in der Schule und am Arbeitsplatz widerspiegelte. Sozial bewährte man sich am besten, wenn man gelernt hatte, sich Autoritäten nicht zu widersetzen. Der Nutzen einer solchen Haltung in psychologischer und existenzieller Hinsicht darf jedoch bezweifelt werden.
Dann wurde die Gesellschaft plötzlich von einer antiautoritären, demokratischen Welle ergriffen. Die Frauen begehrten gegen die Unterdrückung auf; unser Wissen über Kinder explodierte förmlich und veränderte fundamental unsere Sichtweise auf sie und die Kindheit im Allgemeinen. Für mehrere Jahrzehnte standen sich die alte autoritäre Erziehung mit ihren starren Normen, Regeln und Strafen sowie eine freiere, demokratische Erziehung unversöhnlich gegenüber, bis viele von uns entdeckten, dass eigentlich keine dieser beiden Erziehungsmethoden wirklich überzeugend ist.
Darf man den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen Glauben schenken, so schneidet diejenige Erziehung am besten ab, die man heutzutage als »autoritativ« bezeichnet:
Aussichtsreich ist eine Erziehung, in der dieEltern Autoritäten sind, ohne autoritär zu sein.
In der die Eltern ihre Macht anerkennen, ihre Führungsrolle nicht scheuen und für die Integrität ihrer Kinder Sorge tragen.
Die große Frage lautet allerdings: Wie macht man das? Zum Glück gibt es darüber viele verschiedene Ansichten und inzwischen auch die unterschiedlichsten Erfahrungen zahlreicher Familien.
Originalausgabe
Weitere Informationen zu Jesper Juul und familylab unter www.familylab.dewww.jesperjuul.comwww.kempler.dk
4. Auflage 2008
Copyright © 2007 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
eISBN: 978-3-641-03612-6V003
www.koesel.de

www.randomhouse.de