Es gibt keine unerreichbaren Jugendlichen! - Jesper Juul - E-Book
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Es gibt keine unerreichbaren Jugendlichen! E-Book

Jesper Juul

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Beschreibung

Stürmische Zeiten gemeinsam meistern

Was tun, wenn Kinder nicht mehr mitmachen? Wenn es nicht einmal mehr heftige Auseinandersetzungen gibt, weil sie sich vollständig entziehen und man das Gefühl hat, sie überhaupt nicht mehr erreichen zu können?

Jesper Juul empfiehlt in solchen Fällen, die eigene Haltung zu überdenken. Er argumentiert leidenschaftlich dafür, kein Kind »schwierig« zu machen oder es gar aufzugeben. Selbst mit Heranwachsenden, die komplett aus der Norm ausscheren, ist immer noch ein echter Dialog möglich.

Eltern, Schulen und alle, die mit ihnen zu tun haben, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, statt diese an die Kinder abzugeben. Schon vor der Pubertät ist eine Beziehung auf Augenhöhe gefragt: Wenn sich Erwachsene als gelassene Sparringspartner anbieten, können sie Kinder und Jugendliche wieder erreichen und vertrauensvoll und einfühlsam ins Leben begleiten.

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Seitenzahl: 175

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Was tun, wenn Kinder nicht mehr mitmachen? Wenn es nicht einmal mehr heftige Auseinandersetzungen gibt, weil sie sich vollständig entziehen und man das Gefühl hat, sie überhaupt nicht mehr erreichen zu können? Jesper Juul empfiehlt in solchen Fällen, die eigene Haltung zu überdenken. Er argumentiert leidenschaftlich dafür, kein Kind »schwierig« zu machen oder es gar aufzugeben. Selbst mit Heranwachsenden, die komplett aus der Norm ausscheren, ist immer noch ein echter Dialog möglich. Eltern, Schulen und alle, die mit ihnen zu tun haben, müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, statt diese an die Kinder abzugeben. Spätestens ab der Pubertät ist eine Beziehung auf Augenhöhe gefragt: Wenn sich Erwachsene als gelassene und konstruktive Sparringspartner anbieten, können sie Jugendliche wieder erreichen und vertrauensvoll und einfühlsam ins Leben begleiten.

JESPERJUUL (1948-2019) war einer der bedeutendsten und innovativsten Familientherapeuten Europas, Konfliktberater und Gründer des Elternberatungsprojekts familylab international. Durch zahlreiche Seminare, Vorträge, Medienauftritte und erfolgreiche Elternbücher wurde er international bekannt. Seine respektvolle, gleichwürdige Art, mit Menschen umzugehen, beeindruckt Fachleute wie Eltern auch heute noch immer wieder neu.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die Grundlage für dieses Buch sind die Vorträge zum Thema Pubertät, die Jesper Juul anlässlich des familylab-Symposiums im Oktober 2009 gehalten hat und die aus der DVDGibt es unerreichbare Jugendliche – oder sind unsere Arme zu kurz, hrsg. 2010 von familylab.de – die familienwerkstatt, zusammengefasst wurden. Ergänzt wurden diese durch Auszüge aus Vorträgen auf anderen Veranstaltungen und aus Interviews mit Jesper Juul.

Copyright © 2023 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: FAVORITBUERO, München

Umschlagmotiv: © plainpicture.com / Ralf Mohr

Vignetten: © Keya / stock.adobe.com

Verschriftlichung und Vorlektorat: Nuka Matthies

Redaktion: Knut Krüger

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30003-6V001

www.koesel.de

Anmerkungen des Herausgebers und der Vorlektorin Nuka Matthies:

Wir haben uns entschieden, in diesem Text durchgängig die weibliche Form zu verwenden, wenn von Personengruppen die Rede ist. Natürlich sind in diesen Fällen immer alle Geschlechter gemeint.

Ausnahme: Der Begriff »Partner« ist für uns trotz seines grammatikalischen Geschlechts (und trotz des auch existierenden Wortes »Partnerin«) gefühlt neutral und wird bei allgemeinen Personengruppen stellvertretend für alle Geschlechter verwendet.

Inhalt

Vorwort

Von Mathias Voelchert

Begegnungen auf Augenhöhe

Wollen wir wirklich starke Kinder?

Die Macht der Eltern

Kindern Raum lassen

Das »Trotzalter«

Unsere Kinder sollen zu gesunden Erwachsenen heranwachsen

Die Angst vor dem Nein der Kinder

Freundliche Führung und empathische Begleitung

Eigenverantwortung – für Eltern und für Kinder

Zwang und Wahlfreiheit

Mut, Loyalität und Verantwortung

Eine neue Kultur des Dialogs

Geschwisterrivalität

Familienzuwachs

Take five! Nimm dir fünf!

Kinder und Pornografie

Gibt es unerreichbare Jugendliche – oder sind unsere Arme zu kurz?

Die Mitverantwortung der Gesellschaft

Was wir tun müssen

Darf ich sein, wer ich bin?

Entwicklung des Selbstgefühls

Was Kritik bewirkt

Was machen wir mit denen, die nicht mitmachen?

Eigenverantwortung und wirkliche Anerkennung

Ganztagsschulen

Vertrauen statt Dressur

Beziehung statt Projektarbeit

Überforderung oder Herausforderung?

Frustration und Angst

Nicht tatenlos zusehen, sondern in Beziehung sein

Es gibt immer einen Zugang

Beziehungsfähigkeit kann man lernen

Was für Wertvorstellungen leiten uns?

Ein neues Menschenbild

Wir müssen uns verwundbar machen

Die Jugendlichen selbst fragen

Einsamkeit

Den Fokus auf die Familien

Verantwortlich, überverantwortlich, unverantwortlich?

Ja zu sich selbst sagen – eine lebenswichtige Fähigkeit

Selbstgefühl und Selbstvertrauen

Ohne Integrität kein Selbstgefühl

Die existenzielle Ebene

Du darfst für dich verantwortlich sein

Sich als wertvoll für andere empfinden

Über das Wesentliche sprechen

Das Smartphone als Familienmitglied?

Der Umgang mit Handys

Antidepressiva

Die Natur von persönlichen Beziehungen

Wir brauchen eine neue Lebensweise

Meine Empfehlungen

Danksagung

von Mathias Voelchert

Anhang

Buchtipps

Anmerkungen

Der Autor

familylab – die Familienwerkstatt

Vorwort

Von Mathias Voelchert

Im Frühjahr 2009 saßen Jesper Juul und ich im Aumeister, einem wunderschönen Münchner Biergarten, zusammen. An diesem Abend wurde die Idee zum ersten familylab-Symposium geboren, das am 19. und 20. Oktober 2009 in der Freiheizhalle in München stattfand. Zu unserer Freude war die Veranstaltung schnell ausverkauft. Im Jahr darauf haben wir die DVD zu diesem Symposium produziert, sie hieß: Gibt es unerreichbare Jugendliche – oder sind unsere Arme zu kurz.

Jetzt könnten Sie sich natürlich fragen, warum rund 15 Jahre nach dieser Veranstaltung ein Buch von Jesper Juul zu diesem Thema erscheint. Die einfache Antwort lautet: Weil die Probleme unserer Jugendlichen seitdem weiter zugenommen haben, sei es durch noch größeres Arbeitsengagement ihrer Eltern, sei es durch neue »elektronische Familienmitglieder« oder den Druck in den Schulen, die 80 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler alleinlassen, indem sie fast ausschließlich auf deren Noten fixiert sind.

Sie könnten sich auch die Frage stellen, warum ein Buch zu schwer erreichbaren Jugendlichen Texte und Dialoge mit Eltern enthält, deren Kinder fünf oder acht Jahre alt sind. Darauf habe ich zwei Antworten. Die eine lautet: Wir erleben in den Familienberatungen immer wieder, dass das Verhalten der Jugendlichen in ihrer Kindheit wurzelt. Was bedeutet, dass viele »Probleme«, die in der Pubertät zutage treten, sich über einen langen Zeitraum angebahnt haben. Und natürlich haben die Erwachsenen aus dem nahen Umfeld der Jugendlichen ihren Anteil (wenn auch keine Schuld!) an dieser Entwicklung.

Zweitens beobachten wir, dass Eltern eine Art Erziehungsturbo zünden wollen, wenn sie bemerken, dass ihre jugendlichen Kinder langsam flügge werden und sich allmählich ihrem Einfluss entziehen. Statt auf das zu vertrauen, was sie selbst bereits geleistet haben, versuchen die Eltern quasi im letzten Moment, ihre Kinder doch noch nach ihrem Bilde zu formen.

Jesper Juul formulierte das Ziel des Symposiums folgendermaßen: »Während der letzten zwei Jahrzehnte hat die Welt der Erwachsenen und Experten bestimmte junge Menschen als ›aus pädagogischer Sicht unerreichbar‹ definiert. Medien und Politiker haben sich dieser defensiven Haltung angeschlossen, die an ihrer unprofessionellen Projektion ›Du bist unerreichbar‹ anstatt ›Ich kann dich nicht erreichen‹ leicht zu erkennen ist. Die letztere Formulierung würde den Wunsch ausdrücken, mit diesen jungen, isolierten Jungen und Mädchen irgendeinen produktiven Kontakt herzustellen. Ein Wunsch, der meines Erachtens immer noch in den Herzen und Seelen der Eltern und der professionellen Gemeinschaft vorhanden ist.

Wir haben offensichtlich alle vorhandenen Methoden und Strategien angewandt, die wir kennen, um Jugendliche zu erreichen – und das mit sehr wenig Erfolg. Ich meine, dass dies nach einem neuen Paradigma verlangt – nach einer kompletten Änderung unseres Standpunkts und unserer Haltung. Wenn wir uns nicht trauen, dies zu riskieren, werden wir die gleichen Dinge in veränderter Form wiederholen und dabei scheitern.

Die meisten Experten wissen, dass ›strengere Grenzen‹, ›härtere Bestrafung‹, ›mehr Disziplin‹ und ›unverzügliche Konsequenzen‹ nicht mehr sind als ein politisches Alibi, um unsere Hilflosigkeit zu kaschieren. In der heutigen ›Erziehung‹ stehen Eltern und Pädagogen eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, und wenn wir diese auf ihre Essenz reduzieren, bleiben zwei Gruppen von Erziehenden übrig. Die einen sind überzeugt von der Notwendigkeit, eine Subjekt-Subjekt-Beziehung zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Die anderen sind davon überzeugt, dass es richtig ist, auf der Basis einer Subjekt-Objekt-Beziehung zu arbeiten.

Wir wollen beide Paradigmen gründlich untersuchen und einen Dialog zwischen ihnen ermöglichen. Junge Menschen sollen dabei ebenfalls zu Wort kommen wie Praktiker, die wissen, wie Erwachsene auf Jugendliche zugehen müssen, um sie zu erreichen. Auf diese Art und Weise hoffen wir, die beiden Positionen deutlicher zu machen, der Diskussion aber auch neue Energie und Optimismus zuzuführen.«

Eines der ersten Bücher, das ich für Jesper Juul herausgebracht habe, hieß Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht. Das vorliegende Buch Es gibt keine unerreichbaren Jugendlichen stellt in gewisser Weise die Fortsetzung des darin angestoßenen Dialogs dar. Des Dialogs der Erwachsenen mit ihrem Erziehungsstil, ihrer Verantwortung, ihrem Handeln bzw. ihrer Untätigkeit. Es soll uns Eltern einen guten Weg weisen, wie wir uns selbst und unsere Kinder und Jugendlichen besser erreichen. Dabei ist es nicht hilfreich, den Jugendlichen ihr angebliches Fehlverhalten unter die Nase zu reiben oder gar hysterisch zu werden. Was hilft, ist der Blick auf die Tatsachen: Ein bestehender Konflikt ist immer eine Momentaufnahme, ist wie der Ausschnitt aus einem Film, dessen Beginn und Fortsetzung wir in diesem Moment nicht sehen. Wir Eltern und Erwachsenen stecken allzu oft voller Zukunftsangst, weil wir dem, was wir geleistet haben, nicht vertrauen. Diese Unsicherheit projizieren wir auf unsere Jugendlichen und schwächen sie damit. Was sie stattdessen brauchen, ist unsere Zuversicht in ihre Fähigkeiten. Unsere Bestärkung »Du schaffst das!«. Was sie nicht brauchen, sind unsere Verzagtheit und Enttäuschung darüber, dass wir ihnen nicht die Väter und Mütter waren, die wir sein wollten.

Falls dies der Fall ist, wäre es jetzt an der Zeit, es zuzugeben. Wir sollten zu unseren eigenen Fehlern und Versäumnissen stehen und auch für sie die Verantwortung übernehmen. Denn als Eltern sind wir immer beteiligt. Nicht schuld, aber beteiligt! Und weil wir das sind, haben wir Einfluss. Nutzen wir diesen Einfluss, indem wir zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Das setzt einen neuen Ton in unserer Familie – weg von den Schuldzuweisungen, hin zur Eigenverantwortung. Erst dann können Jugendliche von uns Eltern und anderen Erwachsenen profitieren. Denn in gewisser Weise »ernähren« sie sich von unseren guten Erfahrungen, von unserer Zuversicht, unserer Selbstreflexion und unseren hilfreichen Erkenntnissen. Was es ihnen auch erspart, den schmerzhaften Weg der Selbstverurteilung zu beschreiten.

Wenn es uns Eltern gelingt, aus Erziehung eine gute Beziehung zu unseren Jugendlichen werden zu lassen, dann legen wir damit das beste Fundament für ihre Zukunft. Dann geben wir ihnen das Gefühl, dass sie so sein dürfen, wie sie sind, und wir sie nicht ändern wollen. Dieses Menschenbild tut allen Beteiligten gut. Das heißt nicht, dass wir alles gutheißen müssen, was sie uns anbieten. Doch jeder Mensch braucht Verbündete, vor allem wenn etwas schiefgegangen ist. Wir Eltern sollten die engsten Verbündeten unserer Jugendlichen sein. Dieses bedingungslose Vertrauen bekommen wir von unseren Kindern geschenkt, und wenn wir dabei sind, es zu verspielen, ist es an uns, es zurückzugewinnen. Wie? Das steht ausführlich in diesem wertvollen Buch.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, sagt man, doch im Grunde müsste es heißen: Was Hänschen nicht gelernt hat, das lernt eben Hans. Wir Eltern brauchen diese Zuversicht ebenso wie das Vertrauen in das, was wir als Erzieher geleistet haben. Denn eines ist sicher: Erziehung findet zwischen den Zeilen und weitgehend nonverbal statt. Erziehung ist Vormachen, Vorleben, Sein. Erziehung ist all das, was wir Eltern im Leben tun. Wie wir miteinander umgehen, wie wir streiten, wie wir uns trennen, wie wir unsere Zuneigung zeigen, wie wir leben. Das ist es, was unsere Kinder aufsaugen und sie dazu verleitet, es uns gleichzutun oder das Gegenteil zu versuchen.

Deshalb ist es umso wichtiger, Jesper Juuls Grundgedanken der Gleichwürdigkeit weiter in die Welt zu tragen. Den Gedanken, dass alle von gleicher Würde sind, aber nicht gleich. Dass die Älteren Verantwortung für die Jüngeren haben. Dass denen, die die Macht innehaben, eine besondere Verantwortung zukommt. Wenn dieser Gedanke der gleichen Würde immer mehr Anhänger findet, sind wir auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft.

Mir ist bei der Arbeit an diesem Buch wieder aufgefallen, was Jesper Juuls Haltung so einmalig gemacht hat: Er hatte keine Agenda für den Klienten; es gab nicht die geringste Verurteilung in seinen Fragen; er hat sich einfach für sein Gegenüber interessiert und wollte wirklich verstehen, wie der andere tickt. Er sagte: »Das Wichtigste sind Neugier und Offenheit.« Getreu seinem Motto: »Hier bin ich, wer bist du?«

In seinen Vorträgen auf dem familylab-Symposium stellte Jesper Juul den Teilnehmerinnen und Zuhörerinnen sein komplettes Wissen zur Verfügung. Ein Wissen, das auf seinen vielfältigen Erfahrungen mit Familien, Schulen und Fachleuten beruhte. Die Ergebnisse sind praxistaugliche Ideen, die wir sofort umsetzen können. Ich kann mir keine bessere Zusammenstellung seiner Werte und Erfahrungen vorstellen. Eine Goldgrube für Eltern!

Ich wünsche Ihnen den größtmöglichen Erfolg bei der Umsetzung dieser Ideen in Ihrer Familie.

Mit den besten Grüßen

Ihr Mathias Voelchert

Gründer von familylab in Deutschland und dessen Leiter von 2006–2022

Begegnungen auf Augenhöhe

Bevor ich als Familientherapeut tätig wurde, habe ich mit verhaltensauffälligen Jugendlichen und ihren Familien gearbeitet. Und in unserer klinischen Praxis habe ich erlebt, dass alles, was ich als Vater und als Lehrer über Entwicklungspsychologie gelernt hatte, falsch war. Das war kaum zu glauben, aber in meinem Umkreis gab es damals fünfzig, sechzig Personen, die alle dieselbe Erfahrung gemacht haben. 

Ich habe dann mit einem mulmigen Gefühl das Buch Dein kompetentes Kind veröffentlicht. Davor hatte ich eine gute Freundin um Rat gebeten: »Ich weiß nicht, ob ich den Mut habe, das zu veröffentlichen, weil das ja nur so eine aus meiner Praxis entwickelte Theorie ist. Das ist ja keine Forschung.« Worauf sie entgegnete: »Da kannst du ganz beruhigt sein, die Forschungsergebnisse werden dir bestimmt recht geben.« Und tatsächlich wurde der US-amerikanische Kinder- und Jugendanalytiker Daniel Stern in dieser Zeit zu einem der führenden Spezialisten der empirischen Säuglingsforschung. Mit ihm machte eine neue Generation von Psychoanalytikerinnen auf sich aufmerksam, die sich zum ersten Mal mit zwischenmenschlichen Beziehungen im Allgemeinen beschäftigten und all meine Erfahrungen bestätigen konnten – beispielsweise die Tatsache, dass Kinder kooperieren. Dann trat die Hirnforschung auf den Plan und entdeckte die Spiegelneuronen.

Was mir persönlich guttat, war der Umstand, dass ich mit vielen Eltern persönlich reden und ihnen erklären konnte, dass ihre Kinder nicht »unmöglich« waren, sondern es nur so aussah. Und dass das Verhalten des Kindes eigentlich ein Geschenk für die Eltern ist. Dieses Geschenk muss man annehmen, auspacken und verdauen – dann geht es allen besser.

Ich habe wohl auch ein gewisses – nicht therapeutisches, sondern pädagogisches – Talent gehabt, das heißt, ich habe den Eltern diese Idee gut verkaufen können. Und mit der Zeit habe ich gelernt, dass sich viele Eltern von einem althergebrachten Dilemma befreit fühlen, wenn sie das hören. Die meisten Eltern denken ja: »Ich will es unbedingt anders machen als meine eigenen Eltern.«

Die Reaktionen von Eltern und Fachleuten haben mir damals sehr den Rücken gestärkt und mich ermutigt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Für mich hat diese Arbeit in all den Jahren nichts von ihrer Faszination verloren und ich rede sehr gern darüber, weil sie meine Leidenschaft ist – wie für andere vielleicht die Mathematik. Ein paar Jugendliche haben mir das schön beschrieben. Sie hatten einen Lehrer, der ein begeisterter Mathematiker war: »Er liebt einfach die Mathematik. Und als er gehört hat, dass elf von uns Mathe nicht ausstehen können, hatte er fast Tränen in den Augen und sagte: ›Mein Gott, das ist so ein Schatz, so eine Schönheit! Dass ihr das nicht mitbekommt!‹ Danach hat es bei uns innerhalb von drei, vier Tagen klick gemacht und plötzlich fanden wir Mathe richtig gut.«

Das entspricht meiner Erfahrung, die ich im Verhältnis von Pädagoginnen und Eltern gesammelt habe.

Man sollte auch Erwachsenen auf eine Art und Weise begegnen, wie sie ihren Kindern begegnen sollten – auf Augenhöhe statt zu schimpfen.

Ich glaube, mein Erfolg in Deutschland hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass ich nicht schimpfe, den Leuten kein schlechtes Gewissen einrede und keine Schuldgefühle bei ihnen auslöse. Das Konzept der Schuld mag in die Kirche gehören, in der Pädagogik hat es nicht die geringste Berechtigung.

Mein größtes Glück besteht darin, wenn Familien in meine Beratung kommen, deren Mitglieder seit vielen Jahren heillos zerstritten sind, und plötzlich, wie durch ein Wunder, löst sich innerhalb von fünfundvierzig Minuten der Knoten und sie beginnen wieder fruchtbare Gespräche miteinander zu führen – danach wird man süchtig! Das ist so eine Freude! Das ist viel besser, als ein (Be-)Lehrer zu sein!

Wollen wir wirklich starke Kinder?

Die Erwachsenen der letzten Generation haben zwar versucht, ihr Verhalten zu ändern, doch jetzt sehen wir, dass der Wille zu einer nachhaltigen Veränderung nicht stark genug war. Im Grunde wollten Eltern und Erzieherinnen von den Kindern genau dasselbe wie die Generation vor ihnen – sie wollten es nur mit »netteren« Mitteln erreichen, also gaben sie sich freundlich, süß und demokratisch. Doch nach wie vor sollten Kinder gehorchen und sich nett, freundlich und höflich verhalten.

Es gibt ja in Deutschland eine Bewegung, die »Starke Eltern – starke Kinder« heißt. Allerdings frage ich mich und auch die Eltern sehr oft: »Wollen wir eigentlich starke Kinder? Wissen wir überhaupt, wie wir mit starken Kindern umgehen sollen?« Dann zeigt es sich, dass viele Eltern dies nicht wirklich wollen beziehungsweise fürchten, einen hohen Preis dafür zahlen zu müssen.

Erzieherinnen haben natürlich ihre eigenen Vorstellungen, und ohne irgendjemandem zu nahe treten zu wollen, lässt sich konstatieren, dass die Erziehung in unseren Kitas und Kindergärten zu zehn Prozent auf Kompetenz und zu neunzig Prozent auf Moral beruht. Eine Moral, mit der man die Kinder immer früher in ihrem Leben behelligt. Dabei geht es zum Beispiel um Aggression, der man sozusagen ein großes Verbotsschild umgehängt hat. Und neben der Aggression geht es auch mal wieder um Sexualität. Anders ausgedrückt:

Alles, was zur Grundsubstanz des Lebens gehört, wollen wir unseren Kindern am liebsten verbieten. Und wenn wir es ihnen nicht verbieten, dann billigen wir ihnen nur eine schwache Dosis zu.

Wir vermitteln ihnen: »Du darfst nicht unglücklich sein. Mama will keine unglücklichen Kinder haben! Wenn du manchmal ein kleines bisschen traurig bist, ist das in Ordnung, aber das muss reichen.« Oder: »Wütend sein geht leider nicht. Das ist verboten! Irritiert schon, aber nicht wütend. Und keinesfalls schlagen!«

Man verbietet den Kindern diese elementaren Reaktionen und schiebt sich gegenseitig die Verantwortung zu. Die Erzieherinnen behaupten, die Eltern wollten es so. Und die Eltern berufen sich auf die Erzieherinnen und deren angebliche Überzeugung.

Die Macht der Eltern

Innerhalb der alten Polarisierung – autoritäre Erziehung versus Laissez-faire – werden wir keine Antworten auf unsere Fragen finden. Wir müssen hingegen etwas ganz anderes begründen und dabei auf Phänomene bauen, die wir schon ziemlich gut kennen.

Es scheint Erwachsenen immer noch schwerzufallen, den Kooperationswillen ihrer Kinder anzuerkennen.

Kinder wollen ihre Eltern eigentlich immer glücklich machen. Aber für Eltern scheint es schwierig zu sein, ihre Macht aufzugeben. Ich spreche hier von der »oberflächlichen« Macht, die Eltern entscheiden lässt, wann ihr Kind ins Bett muss, ob es ein oder zwei Eis haben darf, weil gerade die Sonne scheint, oder ob es im Tennis- oder im Fußballverein anfangen soll. Eltern – auch Lehrerinnen – sprechen immer nur über diese Art von Macht. Worüber sie aber nie sprechen, ist die unglaublich große Macht, die Eltern aus dem einfachen Grund haben, weil ihre Kinder alles mitmachen.

Hinzu kommt eine Pädagogik, die auf Defizite statt auf Potenziale fokussiert ist – und das ist furchtbar. Ich habe einmal mehrere Tage mit zwölf 17-jährigen Schulverweigernden und ihren Eltern in Norwegen verbracht. Die meisten dieser Jugendlichen hatten enorme Probleme. Man muss allerdings dazusagen, dass die Diagnose »Schulverweigerung« fast immer falsch ist beziehungsweise zu kurz greift. Zunächst wurden sie alle von den Lehrerinnen und vom Schulsystem abgelehnt – erst dann weigerten sie sich, weiterhin zur Schule zu gehen. Diese Jugendlichen hatten alle Probleme mit Mathematik. Dann haben sie sechs Wochen mit ausgezeichneten Lehrerinnen in einem Camp auf einer Insel verbracht, und neunzig Prozent der jungen Leute haben innerhalb von vier Wochen genauso viel Mathe gelernt, wie andere Kinder im Zeitraum von sechs Jahren. In Anbetracht des ramponierten Selbstbilds dieser Jugendlichen ein wunderbares Ergebnis.

Wir konnten auch feststellen, dass die Eltern – ob sie wollen oder nicht – am Schulerfolg ihrer Kinder beteiligt sind. Die Eltern tragen dazu bei, wenn ihr Kind keinen Erfolg in der Schule hat, und sie tragen dazu bei, wenn es dort erfolgreich ist.

Kindern Raum lassen

Es scheint, als würden wir uns sicherer fühlen, wenn wir den Fokus auf Leistungen und Ergebnisse legen, statt den Kindern Raum zu lassen. Das kenne ich sowohl von Pädagoginnen als auch von Eltern. Dabei wissen die meisten von ihnen genau, wie wichtig es ist, eine persönliche Sprache zu haben, sich durchsetzen zu können, die eigenen Grenzen zu kennen und so authentisch wie möglich zu sein. Das alles sind Kompetenzen, mit denen Kinder geboren werden! Doch leider arbeiten die meisten Eltern hart daran, diese Kompetenzen ihrer Kinder aus dem Weg zu räumen – obwohl sie wissen, dass gerade sie lebensnotwendig sind.

Eltern verwenden leider viel Zeit und Energie darauf, ihre Kinder von oben herab zu behandeln und ihnen einzutrichtern, wie man nett und höflich ist: »Sag schön guten Tag!«, »Gib den Leuten die Hand!«, »Sag danke und bitte!«. Da die Eltern von oben aber nur die Haare ihres Kindes und nicht sein Gesicht sehen, erkennen sie nicht, dass diese Anweisungen für das Kind äußerst unangenehm sind. Könnte es seine Gefühle in Worte fassen, würde es vermutlich sagen: »Papa, kannst du bitte einfach ein bisschen warten? Ich bin nicht nur willens, sondern auch fähig, mich so zu verhalten, aber es dauert seine Zeit. Ich möchte das ja gerne tun, weil ich die Erwachsenen in dieser Welt beobachte, und die verhalten sich alle so. Und ich möchte auch gerne dazugehören.«