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Für Männer ist es eine riesige Chance, Vater zu sein und Verantwortung für ein Kind zu tragen. Doch wie sie ihre Vaterrolle ausfüllen wollen, müssen sie erst herausfinden. Jesper Juul zeigt, welche vielfältigen Erfahrungen und Emotionen junge Väter durchleben und wie die Bindung zu ihrem Kind sie verändert. Er erklärt, warum Männer in der Beziehung zum Kind andere Kompetenzen haben als Frauen und warum es so wichtig ist, dass sie diese aktiv einbringen. Davon profitieren zuallererst die Kinder, die sich besser entwickeln können, wenn sie eine enge Bindung zum Vater haben. Daneben profitieren auch die Mütter, die sich in der Mehrheit die Verantwortung für die Familie teilen wollen. Nicht zuletzt gewinnen die Väter selbst, welche unbekannte Stärken an sich entdecken und eine neue Lebendigkeit erleben. Juuls Buch ist ein Klassiker zum Thema Vaterrolle, der männliche und weibliche Leser inspiriert und spannende Einblicke in die Familienbeziehungen eröffnet.
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Seitenzahl: 237
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Das Buch
Dass Väter ausschließlich die Rolle des Ernährers spielen, ist lange vorbei. Heute wollen Männer aktiv am Alltag ihrer Kinder teilnehmen und eine enge emotionale Bindung aufbauen. In diesem Buch beschreibt der renommierte dänische Familienberater, wie Väter ihren ganz individuellen Part in der Familie übernehmen. Denn Männer agieren in der Erziehung anders als Frauen, sagt Jesper Juul. Er ermutigt sie, jenseits traditioneller Klischees ihre Stärken zu entdecken und diese in eine lebendige Beziehung zum Kind einzubringen. Dabei können sie neue Kompetenzen entwickeln, von denen sie auch in anderen Lebensbereichen profitieren – etwa im Beruf. Das Buch speist sich aus den langjährigen Erfahrungen des Autors und aus 13 Interviews mit jungen Vätern, die als exemplarische Berichte am Ende stehen. Kinder sind ein Geschenk und eine Bereicherung, so die Botschaft. Sie brauchen verantwortungsvolle Papas und ermöglichen diesen persönliches Wachstum und Glück.
Der Autor
Jesper Juul (1948–2019 in Dänemark) war Lehrer, Gruppen- und Familientherapeut und gründete 1979 The Kempler Institut of Scandinavia. Er war ab 1987 Herausgeber der Zeitschrift »Familien« und leitete das familylab, das mit Elternkursen und Schulungen auch in Deutschland und Österreich aktiv ist. Als Gastprofessor für Psychologie war Jesper Juul an der Universität Zagreb tätig, außerdem als Ausbilder für Familientherapie in Kroatien und Bosnien. Dort leistete er auch therapeutische Familienarbeit in Flüchtlings lagern. Jesper Juul ist Autor zahlreicher Bücher über Familienbeziehungen.
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.de
Umschlaggestaltung: (rincón) medien gmbh, KölnUmschlagmotiv: © Masterfile (Royalty-Free Division)
Satz: de·te·pe, Aalen
E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN Print 978-3-451-03357-5
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-82748-8
Vorwort
Einleitung: Väter gestern und heute
Väter in der Schwangerschaft
Du und dein eigener Vater
Macht und Verantwortung
Deine Position als Mann
Deine Position als Vater
Vater sein, wenn Erziehung nicht mehr geht
Mit Konflikten umgehen
Dein verborgenes emotionales Leben
Ich will wertvoll für meine Familie sein
Aggression und Gewalt
Der Mann als Liebesminister
Die Familie im Mittelpunkt
Partner oder Butler sein?
Liebe ist anders
Sei authentisch!
Väter haben auch Ängste
Der Bonusvater
»Wie überzeuge ich meine Frau, dass ich ein guter Vater bin?«
Was bedeutet dir dein Kind?
Und so sieht es in der Praxis aus: 13 Väter berichten
Nachwort: Späte Liebeserklärung
Pünktlich zum 50. Jubiläum der 68er-Bewegung erscheint eine Neuausgabe von Jesper Juuls Buch »Mann & Vater sein«. Kein Datum könnte geeigneter sein.
Die 68er werden heute von links und rechts gescholten – sie seien eine große Enttäuschung gewesen, völlig naiv und kopflos. Gescheitert seien sie – die unzufriedenen, wütenden jungen Männer und Frauen ohne Plan. Zum Glück gab es keinen Plan! Wir, die wir in den 60er-Jahren geboren und ihre Nachfahren sind, hätten sonst kaum von ihrem gewagten gesellschaftlichen Experiment profitiert.
Woodstock-Flair – Schlaghosen und bunte Schals. Ja, Kleidung kann altmodisch werden, nicht aber Ideen, die befreiend gewirkt und bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben. Große Themen wie die ökologische Wende, die Abschaffung der Prügelstrafe in Schule und Familie, die Aufhebung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches sind ohne die 68er-Generation undenkbar. Doch selbst wenn diese Generation nur ein einziges Desiderat verfolgt hätte – die versteinerte Familienkultur umzustürzen –, würde sie unsere Wertschätzung verdienen.
In den 60er-Jahren fingen junge Väter wie Jesper Juul an, ihre Rolle als Ernährer der Familie zu hinterfragen. Sie wollten ihre Maske als Befehlshaber und ewiger Gast ihrer Familie ablegen. Sie wollten nichts Absonderliches, sondern lediglich allzu menschlich empfinden dürfen, das Glück und Leid ihrer Kinder teilen, mit ihren Frauen in Dialog treten. Authentisch sein – das wollten sie versuchen. Doch wie, wenn es dafür keine Vorbilder gab, wenn sie sich bloß an abwesende, manipulierbare oder autoritäre Väter erinnern konnten? Es gab für sie nichts, woran sie hätten anknüpfen können – außer vielleicht einen vielsagenden Blick oder Händedruck des Vaters.
An einen solchen Augenblick erinnert sich Jesper Juul: Als Jugendlicher sollte er mit seinen Eltern einen Onkel besuchen, zu dem er sich nicht hingezogen fühlte. Dass er dazu keine Lust habe, sagte er zwar den Eltern, doch diese redeten so lange auf ihn ein, bis er schließlich mitging. Was auf diesem Familienfest passierte, war nichts Neues: In den ersten paar Minuten wurden Kinder und Jugendliche von halbanwesenden Erwachsenen mit immer den gleichen, von Desinteresse zeugenden Fragen bombardiert. Nach weniger als zwei Minuten, in denen oft nicht einmal die Antworten der jungen Leute abgewartet wurden, widmete sich die Elternschaft den »seriösen« Themen. Jespers Anwesenheit wurde auch dieses Mal völlig ignoriert. Ein echtes Interesse an ihm als Heranwachsendem zeigte niemand. Kurzerhand beschloss er, die Gesellschaft zu verlassen. Als er sich erhob, traf ihn plötzlich der Blick seines Vaters. Die beiden sahen sich an. Ein langer Augenblick des stillen Einvernehmens. Der Vater wusste, dass der Sohn sich »davonstehlen« wollte. Und der Sohn wusste, dass der Vater es wusste, aber auch: dass der Vater sein Gehen billigte. Der Blick vermochte das zu vermitteln, was Worte nur ungenügend ausdrücken: »Geh nur, ich verstehe dich und finde deine Entscheidung gut!«
Rückblickend meint Jesper Juul: »Ich hätte es mir gewünscht, solche stillen Botschaften viel öfters zu erhalten – vor allem als Kind, aber immerhin, es war einmal passiert, und das war viel!«1 – Es war viel – in einer Zeit, in der Mütter für die Kommunikation mit den Kindern zuständig waren und sich Väter hinter Zeitungen oder mächtigen Bürotischen verbargen. Aber es war genug, um zu spüren, dass das Tun eines Menschen mehr bedeuten kann als zig Liebesbeteuerungen – mit Nachdruck geäußert und allseits vernehmbar.
»Mein Vater hat in all den Jahren meiner Kindheit und Jugend kaum was erzählt«, erinnert sich Jesper Juul weiter, »und wenn er mal was sagte, dann war das kurz und bündig. Meine Mutter hingegen redete die ganze Zeit, aber sie wusste nicht, wie man ein Gespräch führt. Sie wusste immer, was man in der einen oder anderen Situation zu sagen hat, was von einem erwartet wird: Sie hatte also Phrasen für den Todesfall, für Glückwünsche, für Unfälle oder Krankheiten parat, aber sie hat es nie zu ihrer eigenen Sprache gebracht. Sie sprach eine soziale Sprache, die ich nie lernen konnte und lernen wollte, so dass ich bis zum heutigen Tag nicht weiß, was man sagt. Manchmal würde ich diese Sprache auch gerne beherrschen und beispielsweise in einem Zugabteil einen small-talk führen können, aber ich kann es nicht! Statt zu sprechen, schwieg ich also lange Zeit, weil mir einfach eine persönliche Sprache gefehlt hat und ich sie in diesem familiären Kontext auch nicht entwickeln konnte. Denn da galt folgender Satz: Die elementare Sprache, mit der Kinder geboren werden, bedurfte einer Korrektur – uns wurde damals das direkte ›Ich will!‹ oder: ›Ich will nicht‹ ausgemerzt, und in der Schule erst recht: Kein Satz durfte mit ›Ich‹ anfangen.«2
Das war nicht nur Jespers Erfahrung oder die Beobachtung der 68er-Generation – unpersönliche Sprache und Geschwätzigkeit erleben wir auch heute tagtäglich. Doch der 68er-Generation sei Dank: Heute fällt sie uns auf! Wir ertappen uns selbst dabei: Was war das denn für eine formelle Aussage ohne Inhalt und Empathie? Und wir, die wir in den Sechzigern geboren sind, können uns korrigieren. Jeden Tag aufs Neue bemühen wir uns, unsere eigene Sprache zu finden. Der Prozess hört nicht auf. Das haben wir von unseren Eltern gelernt. Jene, die in den 80er-Jahren oder später geboren wurden, sind oft peinlich berührt, ja schämen sich gar, wenn ihre Eltern nach treffenden Worten ringen und deshalb manchmal ins Stottern geraten oder nur mit Verzögerung reagieren …
Geschichten wiederholen sich. Bloß die eine Geschichte, in der Mann und Frau, Eltern und Kinder, Pädagogen und Eltern, Erwachsene und Jugendliche aneinander vorbeigeredet haben, wird es – zumindest solange Vertreter oder Verfechter der 68er-Bewegung leben –, nicht mehr leicht haben, sich durchzusetzen. Grund genug, den 50. Geburtstag einer unvergesslichen Generation zu feiern!
Juni 2017
Ingeborg Szöllösi
1Jesper Juul/Ingeborg Szöllösi: Wie aus Erziehung Beziehung wird, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2005, S. 114.
2Ebenda, S. 14.
Bis zum Auftauchen der neuen Familie, wie wir sie heute kennen, lebten und verstanden sich Männer als Ernährer ihrer Familie – obwohl Familienoberhaupt waren sie an der emotionalen Infrastruktur der Familie kaum beteiligt. Dieses eingeschränkte Rollenverständnis hatte lange Gültigkeit: vom Ende des Mittelalters bis in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Erst ab den 60er Jahren – in meiner Generation – kamen Männer auf die Idee, dass sie ein integrierter Teil ihrer Familie werden sowie existenziell und emotional für ihren Nachwuchs Sorge und Verantwortung tragen könnten.
Es ist eine möglicherweise nicht ganz begründbare Tatsache, dass es zum Beispiel dein Vater und du leicht hattet, Musiker zu werden, wenn bereits dein Großvater und Urgroßvater Musiker waren. Dasselbe lässt sich vom Vatersein feststellen. In meiner Generation geschah Folgendes: Wir, die wir uns als »neue Väter« empfanden, wollten zwar keineswegs das Verhalten unserer Väter übernehmen, trotzdem haben wir gar nicht versucht – jedenfalls nicht bewusst –, eine eigenständige Rolle in unseren Familien zu entwickeln und zu begründen, sondern wir hatten lediglich die Tendenz, die Mütter nachzuahmen. Was sie taten, wollten wir auch tun, also sahen wir uns plötzlich mit ganz neuen Aufgaben konfrontiert – wir fingen an, unsere Kinder zu baden und zu füttern, ihre Windeln zu wechseln, sie auf dem Schoß zu halten und zu wiegen, mit ihnen zu spielen und spazieren zu gehen. Alles, was wir taten, fand unter strengster Supervision der Mütter statt.
In unserer Geschichte sind »abwesende Väter« eher die Regel als die Ausnahme. »Abwesende Väter« – so nannte man seit vielen Generationen die einsamen Patriarchen an der Spitze des Familiengefüges. Sie versuchten, Vater zu sein, indem sie in ihrem Heim die führende und bestimmende Funktion übernahmen, doch waren sie fast unsichtbar, emotional unerreichbar und so gut wie nie präsent. Die neue Väter-Generation der 60er Jahre hatte demnach keine Vorbilder, an denen sie sich hätte orientieren können. Zudem scheint es mir, dass der Industrialisierungsprozess für die persönliche Würde der Männer ein harter Schlag war. Wenn wir auf die Stammesführer oder die Patriarchen aus frühen biblischen Zeiten zurückblicken, so müssen wir feststellen, dass sie nicht nur so etwas wie Stolz hatten, sie hatten auch eine ganz persönliche Würde, die ihre Werte und Grenzen bestimmte und die ihnen half, mit anderen Menschen gut umzugehen. Die Industrialisierung der Gesellschaft hat diese Würde des Einzelnen in kürzester Zeit zerstört – das betraf nicht nur den einfachen Fabrikarbeiter, sondern auch die Bürokraten der Stadtverwaltung sowie die niedere Führungsetage in kleineren oder größeren Betrieben. Von Menschen als Angestellte erwartete man nicht, dass ihnen ihre Arbeit Freude und Genugtuung bereitet. In den Unternehmen waren persönliche Gedanken und Emotionen nicht willkommen. Arbeit diente nur dazu, Geld zu verdienen, um eine Familie versorgen zu können.
Kinder hatten es in jener Zeit nicht leicht. Dass sie einmal ihren eigenen Weg gehen würden, war nicht vorgesehen; die meisten traten in die Fußstapfen ihrer Väter. Die Jungen fingen dort an zu arbeiten, wo bereits der Vater arbeitete, die Mädchen wurden dazu erzogen, sich lediglich auf Mutterschaft und Haushaltspflege vorzubereiten.
In dem damaligen Kontext war die Erziehung zum Gehorsam sinnvoll, weil sich für den größten Teil der Bevölkerung keine anderen Perspektiven oder Möglichkeiten auftaten, Geld zu verdienen. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass Bauern und selbstständige Handwerker, die immer extrem hart arbeiten mussten, um überhaupt überleben zu können, die Freiheit als obersten Wert hochhielten.
Die industrielle Gesellschaft war so beschaffen, dass sie den Menschen als Individuum zum Krüppel machte – Männer wie Frauen befanden sich unter diesem Joch. In gewisser Hinsicht waren Männer schlimmer dran als Frauen, was der Tatsache zuzuschreiben ist, dass Frauen sehr viel Zeit mit ihren Kindern verbrachten und somit an gefühlsmäßigen Beziehungen teilhatten. Das soll natürlich nicht heißen, dass es zu der Zeit zwischen Männern und Frauen gar keine emotionale Beziehung gab, doch überwog leider die Tendenz, dass sich beide in die ihnen zugedachten Rollen schickten und sich, so gut es ging, den Umständen anpassten, ohne sich dabei die Frage nach individueller Entfaltung zu stellen.
Wenn wir uns also diese plötzliche Forderung der Väter in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, aktive Familienmitglieder werden und am Familienleben teilnehmen zu wollen, vor Augen halten, ist dies einerseits, von einer weiblichen Warte aus gesehen, eine absolut gerechtfertigte Initiative. Denn bislang hatten den Haushalt immer Frauen in der Hand, was leider auch hieß, dass sie in ihrer persönlichen Lebensgestaltung kaum eine andere Wahl hatten. Andererseits hingegen war diese Forderung, von einer männlichen Warte aus gesehen, eine überwältigende Herausforderung – selbst für Väter, die besonders bereitwillig und motiviert waren, das Neue anzugehen.
Kinder waren die Offenbarung! Frauen hatten über Jahrhunderte Kontakt zu Kindern sowie zu anderen Frauen, und der Umgang mit Kindern öffnet nicht nur die Augen, sondern auch die Herzen. Frauen hatten seit jeher etwas in ihrem Heim, was Männer nicht hatten – weder am Arbeitsplatz noch zu Hause –, sie hatten eine persönliche Beziehung. Doch hat ihnen die persönliche Beziehung zu ihren Kindern nicht geholfen, ihrer Rolle zu entkommen und sich als authentisches Wesen zu entdecken. Es war üblich, dass die Mütter ihre Kinder dressierten, damit diese sich später leicht in die Gesellschaft, in der sie aufwuchsen, integrierten. Obwohl Mütter die Gelegenheit hatten, eine persönliche Beziehung zu ihren Kindern zu entwickeln, haben sie darauf verzichtet und stattdessen sehr früh mit dem »Training«, der Erziehung, angefangen. Mütter waren in ihrer Rolle gefangen. Und Kinder entbehrten das, was wir heute Kindheit nennen.
Obwohl Mütter nach einem von der Gesellschaft vorgegebenen Muster agierten, hieß es nicht, dass sie den Kindern nicht doch nahestanden, denn wenn Väter losbrüllten und ihre Kinder anschrien oder sie sogar schlugen, waren es die Mütter, die ihre Kinder beiseite nahmen – vor dem Vater durfte so etwas natürlich nicht geschehen – und trösteten.
Heute beobachten wir in vielen Partnerschaften, dass Frauen auf einer emotionalen Ebene gewisse Erwartungen gegenüber ihren Männern haben. Sehr viele Frauen sind auch immer wieder recht frustriert, dass sie nicht die Nähe oder gefühlsmäßige Reaktion seitens ihrer Partner erfahren, die sie sich wünschen. Und sie sind dann besessen von der Idee, dass die Männer ihnen etwas verbergen wollen, sie an ihrem Innenleben nicht teilhaben lassen wollen und fassen alles persönlich auf.
Väter fühlen sich oft unsicher oder sind ängstlich im Umgang mit Kindern. Und das ist verständlich: Es hat schon durchaus etwas Erschreckendes, wenn du dich plötzlich der bedingungslosen Liebe eines Kindes gegenübersiehst, dich nun auf das Kind beziehen und dich ihm öffnen sollst, schließlich hattest du es bislang nur mit der Liebe einer Frau zu tun, einer Liebe, die immer mit Bedingungen einhergeht. Zudem wird der authentische Bezug der Väter zu ihren Söhnen auch durch die Tatsache erschwert, dass die Mehrheit der Väter seit vielen Generationen abwesend waren und sie dadurch eine Reihe von Rollen in der Phantasie ihrer Kindern eingenommen haben. Ein Teil der Väter wurde von ihren Kindern, die sich stets nach einem Kontakt zu ihren Vätern sehnten, idealisiert, ein anderer Teil der Väter wurde gefürchtet, weil die Väter mehr oder weniger aus eigenem Antrieb die Rolle der Familienpolizei oder des Familiengerichts übernahmen – von ihnen erwartete man, korrigiert und bestraft zu werden, also hatte man als Kind zwangsläufig Angst vor ihnen. Die Geschichte der Menschheit, insbesondere der Literatur, ist voll von Beispielen unglücklicher oder gescheiterter Beziehungen zwischen Vätern und Söhnen – von Söhnen, die lebenslang um die Anerkennung des Vaters rangen, oder von Söhnen, die ihren Vater aus lauter Hass ermordet haben.
Viele Mädchen wuchsen mit einem äußerst idealisierten Vaterbild auf, weil ihre Väter sie zu ihrer persönlichen Prinzessin machten. Daher kommt es häufig vor, dass sie als Frauen 30, 40 oder gar 50 Jahre alt werden müssen, um festzustellen, wie hohl die Beziehung zu ihrem Vater eigentlich war und dass sie in ihrer Rolle als Vaters Prinzesschen eher missbraucht als gefördert worden sind.
Aus den Gesprächen, die wir mit jungen Vätern geführt haben (siehe Anhang), hört man heraus, wie sehr sie heute noch Angst haben, so zu werden wie ihre eigenen Väter.
Die Machtstruktur oder -verteilung in der Familie heute ist nicht so leicht auszumachen wie die von früher, als es, von außen betrachtet, noch eindeutig war, wer sich an der Spitze der Familienpyramide befand und die Macht innehatte – der Vater, gefolgt von der Mutter, dann von den Söhnen ab 14 Jahren aufwärts usw. Innerhalb des Familiengeschehens und in der Haushaltsführung besaßen allerdings die Mütter mehr Macht als die Väter, nur konnten sie diese Macht nicht direkt ausüben und mussten zu indirekten Mitteln sowie manipulatorischen Strategien greifen, um sich durchzusetzen. In vielen Büchern mit verhaltensregulatorischem Hintergrund wurden die Positionen der einzelnen Familienmitglieder und deren Verpflichtungen von Experten klar und deutlich formuliert. In einem dänischen Buch aus dem Jahr 1928 zum Thema Kindererziehung, von einem Mann für Frauen verfasst, wird unmissverständlich festgehalten, welche Position dem Familienvater zukommt und welche Verhaltensweisen sich daraus für Frau und Kinder ableiten. Zum Beispiel: Wenn der Gatte von der Arbeit zurückkommt und ihm das Abendessen serviert wird, sollten alle Kinder unter 15 Jahren bereits in ihren Kinder- oder Schlafzimmern sein, denn es gehörte sich nicht, dass ein Mann seine Mahlzeit in der Gesellschaft kleiner Kinder einnimmt. Das waren die Botschaften, die Mütter von – wohlgemerkt – Experten erhielten: Sie mögen ihr Bestes tun, um Kinder von ihren Vätern fernzuhalten.
Aus historischer Sicht ist es demnach nicht verwunderlich, dass Männer heute etwas verunsichert, widerwillig und ängstlich sind, wenn sie Väter werden. Ihr Hintergrund und Erfahrungsschatz ist arm – und sie stehen Frauen gegenüber, die immer stärker, selbstständiger und fordernder geworden sind.
In meiner Generation fing es an, dass Väter plötzlich das Bedürfnis hatten, ihren Kindern näher zu kommen, und dass Väter die Beziehung zu ihren Kindern als einen besonderen Wert wahrzunehmen begannen. Wir waren auch die ersten Väter, die in Erfahrung brachten, dass wir das Verhalten nicht einfach kopieren können, dass wir das Vatersein keineswegs von den Frauen lernen können, sondern im Grunde nur von anderen Männern. Doch hatten die meisten von uns keine Väter, die wir gerne nachgeahmt hätten, also mussten wir uns nach anderen Vorbildern umschauen – nach Männern, gleichaltrige oder auch ältere, die Qualitäten besaßen, wie wir sie in uns entwickeln wollten. Und dies gilt auch für heutige Väter, die ihren eigenen Vater nicht als Vorbild nehmen wollen.
Die treibende Kraft in der Einübung der Vaterschaft sind die Kinder selbst: Ihre bedingungslose Liebe und ihr uneingeschränktes Vertrauen macht es den Vätern im direkten Zusammenspiel mit ihren Kindern möglich, väterliche Fähigkeiten zu entwickeln. Die Herausforderung für Männer besteht heute nicht nur darin, ihre Vaterschaft neu zu erfinden und zu bestimmen, sie besteht auch darin, ihre Position zu finden – in einer Partnerschaft, in der sich die Verantwortung und Macht gleichermaßen auf Frauen wie Männer verteilt und ihre Beziehung insbesondere von weiblichen Werten bestimmt ist. Es ist heute riskant, von spezifisch weiblichen und spezifisch männlichen Werten oder Eigenschaften zu sprechen, trotzdem werden die meisten mit mir übereinstimmen, dass das Hervorheben der Bedeutung von emotionalem Austausch und Interaktion ein von Grund auf weiblicher Zug ist, obwohl er auch einen allgemeinmenschlichen Wert darstellt, der sowohl Frauen wie Männern zugute kommt.
Das Thema »Vorbilder« erschöpft sich bei Weitem nicht darin, dass ein werdender oder junger Vater von einem gleichaltrigen oder älteren Mann, den er als positives Vorbild betrachtet, lernt, wie man sich als Vater zu verhalten hat. Manchmal lernen wir sehr viel mehr von negativen Vorbildern – von jenen Menschen, die wir auf gar keinen Fall nachahmen wollen. Aber selbst wenn es sich um ein positives Vorbild handelt, kein junger Vater sollte dessen Verhalten eins zu eins übernehmen, also einfach nur kopieren, denn dann ist es nicht weit her mit seiner Authentizität und Glaubwürdigkeit als Vater.
Auf den jungen Vätern lastet heute eine große Bürde: nämlich die Forderung, sie mögen für ihre Kinder positive Vorbilder sein. Diese Forderung ist unrealistisch! Dass Eltern für ihre Kinder Vorbilder sind, ist klar, aber dass sie ausschließlich »gute Vorbilder« sein können, ist schlichtweg unmöglich und ein völlig illusorischer Anspruch. Ob negativ oder positiv – die Eltern, die du hast, sind dein Ausgangspunkt und deine Inspirationsquelle. Im Lauf der Zeit kommt dann vermehrt der Einfluss der Gleichaltrigen dazu.
Die Tatsache, dass viele junge Väter Angst haben, so zu werden, wie ihre eigenen Väter, und ebenso viele junge Frauen nicht in die Fußstapfen ihrer Mütter treten wollen, widerspiegelt eine echte Angst, die wir beachten sollten. Wir alle haben die Tendenz, das Verhalten unserer Eltern zu wiederholen, selbst wenn wir sehr darunter gelitten haben oder wir das Verhalten unserer Eltern auf einem intellektuellen Niveau sogar scharf kritisieren – wir wiederholen es trotzdem. Als Erklärung dieses Wiederholungsmechanismus’ mag gelten, dass in unserer Ursprungsfamilie die Weichen für die Art und Weise gestellt wurden, wie man einen anderen Menschen liebt. Die Art und Weise, wie uns unsere Eltern geliebt haben, wird Bestandteil unserer selbst – ihr Verhalten wird von uns integriert, denn bis zum Alter von elf oder zwölf Jahren meint jedes Kind, es habe die besten Eltern auf der ganzen Welt. Kein Kind hinterfragt die Fähigkeiten seiner Mutter oder seines Vaters, es zu lieben, oder stellt das Verhalten, das diese Liebe zum Ausdruck bringt, in Frage. Kinder hinterfragen immer nur sich selbst: Wenn dein Vater ein destruktives Verhalten an den Tag legt, wirst du ihn als sein Kind nicht kritisieren, sondern dich selbst beschuldigen und fragen, was machst du falsch, dass er sich so verhält, wie er sich verhält. So häufen sich in jedem Kind Schuldgefühle an: »Mein Vater tut dies und jenes, weil ich ein schlechtes Kind bin.«
Die Art des Vaters, seinen Sohn zu lieben – zum Beispiel indem er ihn verbal oder sogar physisch bestraft, oder indem er ihn, immer wenn er in Not gerät, seiner Frau überlässt –, wird sich später im Verhalten des Sohnes niederschlagen. Das einzige Mittel, das diese frühe Prägung heilen kann, ist eine nahe, verantwortungs- und pflichtbewusste Beziehung zum eigenen Kind zu entwickeln. Und wo lernst du als Vater so etwas? Ganz einfach: indem du dich auf dein Kind beziehst und sein Feedback ernst nimmst. Allein durch deine eigene Willenskraft schaffst du es nicht, das Verhalten deines Vaters nicht doch zu wiederholen, du schaffst es nur, wenn du dich von deinem Kind inspirieren lässt – auf diese Weise erst wirst du allmählich dem verhängnisvollen Einfluss deines Vaters entkommen und andere Verhaltensweisen entwickeln, die dir und deinem Kind gemäß sind. Auch in diesem Fall kann dir deine Partnerin und Mutter deines Kindes nicht helfen. Selbst wenn sie merken sollte, dass dein Verhalten destruktiv ist und deinem Kind schadet, wird sie leider auf dich keinen tieferen Einfluss ausüben: Für einen Mann ist es immer sehr schwer, eine weibliche, korrigierende Perspektive wirklich zu integrieren, es ist leichter, wenn ein alternatives Verhalten von einem anderen Mann vorgeschlagen wird.
Daher finde ich Männergruppen sehr wichtig – und ich meine damit nicht das Treffen mit Freunden, wo jeder dem anderen nur vormacht, wie cool und sorgenlos er ist, wie problemlos er alles mit seiner Familie bewältigt, ich meine eine anonyme Gruppe in einem geschützten Raum, in der sich Männer regelmäßig treffen, um sich offen und aufrichtig zu begegnen.
Nach mehr als 40 Jahren Arbeit mit Familien und Paaren, erlaube ich mir zu behaupten, dass es für Kinder sehr wichtig ist, zwei verschiedene Elternteile zu haben, die mit ihnen zusammenleben. Aufgrund unserer tiefen Sehnsucht nach echtem Kontakt und echter Nähe, tendieren wir dazu zu verdrängen oder zu vergessen, dass Männer und Frauen völlig verschieden sind: Männer und Frauen denken unterschiedlich, sprechen verschiedene Sprachen und haben unterschiedliche Werte. Kurzum: Wir erfahren und interpretieren die Realität auf unterschiedliche Weise. Auch wenn diese Tatsache meistens die Kommunikation zwischen Männern und Frauen erschwert, gibt es keinen Zweifel daran, dass diese Unterschiede für unsere Kinder sehr wertvoll sind.
Mag sein, dass es für dich und deine Partnerin wichtig ist, über grundsätzliche Werte und Prinzipien in Sachen Kindererziehung übereinzustimmen, aber selbst dann werdet ihr als Mann und Frau diese gemeinsamen Werte und Prinzipien völlig unterschiedlich in euer alltägliches Verhalten übersetzen.
Zum Thema »unüberbrückbare Unterschiede zwischen Mann und Frau« gibt es kaum etwas Besseres als folgenden Witz: »Ein Mann geht an der kalifornischen Küste entlang und ist tief in ein Gebet versunken. Plötzlich hört er über sich, aus dem stark bewölkten Himmel, eine dröhnende Stimme: »Weil du so hingebungsvoll an mich glaubst, bin ich bereit, dir einen Wunsch zu erfüllen.«
Darauf der Mann: »Bau mir bitte eine Brücke von hier nach Hawaii, sodass ich, wann immer mich die Lust überkommt, hinüberfahren kann.«
»Dein Wunsch ist sehr materialistisch«, erwiderte Gott. »Denk daran, welch eine enorme Herausforderung das ist, den Grund des Pazifiks zu erreichen. Wie viel Arbeit, wie viel Mühe! Und noch dazu würde dieses Unterfangen meine natürlichen Ressourcen völlig überstrapazieren! Ich könnte zwar deinen Wunsch erfüllen, aber es fällt mir sehr schwer ihn zu rechtfertigen. Nimm dir noch ein bisschen Zeit und denk über ein Werk nach, das mich für immer zu ehren und lobpreisen vermag.«
Der Mann dachte lange nach, schließlich wendete er sich an Gott und sagte: »Du, mein Gott, was ich mir seit jeher wünsche: Mach, dass ich meine Frau verstehe! Ich möchte so sehr wissen, was sie fühlt, was sie denkt, wenn sie mir mit Schweigen antwortet, warum sie manchmal weint und was sie meint, wenn sie sagt: »Es fehlt mir nichts!«. Was kann ich tun, um meine Frau glücklich zu machen?«
Die Antwort Gottes: »Wie viele Spuren willst du auf deiner Brücke nach Hawaii haben – zwei oder vier?«
Von einem psychologischen und existenziellen Standpunkt aus betrachtet, bedeutet die Herausforderung für dich als jungen Vater heute sehr viel: Ein gleichwertiger Partner und gleichzeitig voll verantwortlicher Vater zu sein, wird dein Leben auf einer sehr tiefen seelischen Ebene bereichern. Als junger Mann stehst du vor einer besonderen Wahl: Du kannst dich entscheiden, wieder ein abwesender Vater zu werden, wie wir sie aus der Geschichte zuhauf kennen, oder du entscheidest dich, eine Beziehung zu deinen Kindern einzugehen – und das wiederum bedeutet, dass du die Erfahrung machst, durch deine Kinder genötigt und inspiriert zu werden, als menschliches Wesen zu wachsen und dich weiterzuentwickeln. Triffst du diese Entscheidung und lässt dich auf eine Beziehung zu deinen Kindern ein, wird dich dies nicht nur zu einem »besseren« Vater machen, als dein möglicherweise abwesender Vater es mal war, sondern es wird dich auch zu einem besseren Partner und Freund, zu einem besseren Manager, Unternehmer oder Arbeitnehmer machen.
Viele Väter, die wir interviewt haben, aber auch viele, die ich im Lauf meiner therapeutischen Praxis kennengelernt habe, haben die zweite Wahl getroffen und einige Monate Vaterschaftsurlaub in dem ersten Lebensjahr ihres Kindes genommen. Viele arbeiten in Führungspositionen und berichten aufschlussreich und überzeugend, wie sie gelernt haben, Führungsfähigkeiten zu entwickeln, indem sie einige Zeit mit ihrem Kind oder ihren Kindern verbracht haben. Drei bis fünf Monate mit ihrem Kind oder ihren Kindern haben ihnen mehr gebracht als professionell geleitete Seminare zum Thema »Gute Führung in Betrieben«.
Um das zu werden, was heute oft als Familienmensch bezeichnet wird, muss jeder junge Mann einen lebenslangen, ganz persönlichen Entwicklungsprozess durchlaufen. Ob du nun in diesen Prozess willentlich hineingehst und dich ihm ganz bewusst stellst oder nicht – du kannst davon ausgehen, dass jede Menge Konflikte auf dich zukommen. Ob diese Konflikte Schmerzen verursachen oder eine Kombination von schmerzhaften wie erfreulichen Erfahrungen sind, kannst du in weiten Teilen – aber gewiss nicht im Ganzen – beeinflussen.
Nach den Thesen aus der Bindungstheorie können wir davon ausgehen, dass das Phänomen der Bindung zwischen Eltern und Kindern extrem wichtig ist für die gesunde Entwicklung und Entfaltung eines Kindes, aber mindestens genauso wichtig für die künftige Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Dieser Bindungsprozess, der in den ersten vier Jahren vonstatten geht, war lange Zeit ein absolutes Privileg der Mütter – aber selbst heute noch ist es eine sehr optimistische Einschätzung, wenn wir davon ausgehen, dass 50 Prozent der Väter es schaffen, in den entscheidenden ersten Jahren eine Bindung zu ihren Kindern herzustellen.
Was wir Männer oft als ein überwältigendes Know-how von Müttern schätzen, ist nicht nur eine zwangsläufige historische oder gattungsgeschichtliche Folge, sondern auch ein Resultat gelungener Bindung. Um diesen Bindungsprozess zwischen dir und deinem Kind zu ermöglichen, und die Bindung auch tatsächlich herzustellen, dafür musst du sehr viel Zeit mit ihm verbringen, mit ihm durch dick und dünn gehen: durch Konflikte, Schmerzen, Krankheiten, aber auch freudige Erlebnisse mit ihm teilen, seine ersten Erfolge miterleben, mit ihm spielen und herumtollen, du musst bereit sein, dich mit Haut und Haar zu öffnen, mit Herz und Verstand dabei zu sein, um dem Kind das geben zu können, was es braucht. Aber wichtiger als alles andere ist: Du musst dem Kind den Zugang zu dir selbst ermöglichen, es spüren lassen, wer du überhaupt bist – und dabei kein Versteckspiel spielen. Das ist nicht leicht. Für die meisten Männer ist dies der schwierigste Part. Aber er erscheint ihnen nur deshalb als gefährlich und riskant, weil er ungewohnt ist.