Die Legende von Tangalan - Andrea Rohn - E-Book

Die Legende von Tangalan E-Book

Andrea Rohn

0,0

Beschreibung

Der Hexer Fentor und seine Kinder Krid und Inish beherrschen das Vereinigte Königreich; Fentor und Krid mit ihren Hexenkünsten und Inish mit roher Gewalt. Selbst das magische Land Tangalan ist vor ihnen nicht sicher. Rücksichtslos zerstört Inish die Lebensadern dieses Paradieses. Die einzige Hoffnung der Untertanen sind sechs Jungfern, welche von der Zauberin Followmare mit magischen Schwertern ausgestattet werden. Doch die Maiden allein können es nicht mit allen drei Unterdrückern aufnehmen. Hilfe bekommen sie von unerwarteter Seite. Saráyu, der junge Bettgefährte und Handelspartner eines Sklavenhändlers rettet sie vor der Leibeigenschaft. Ein sprechender Kater und eine vom Feuer gezeichnete Jungfer begleiten sie auf ihrem Weg. Kann es den so unterschiedlichen Gefährten gelingen, bis ins Herz der Macht vorzudringen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 326

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alle Rechte der Verarbeitung vorbehalten, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige heute bekannten und zukünftigen Kommunikationsmittel, fotomechanische und vertonte Wiedergabe, sowie des auszugsweisen Nachdrucks.

Titelfoto: Andrea Rohn

Inhaltsverzeichnis

Personenverzeichnis

Prolog: Leichte Beute?

01. Kapitel: Wie alles begann

02. Kapitel: Sinnestäuschungen

03. Kapitel: Die sieben Schwerter des Guten

04. Kapitel: Sorgen des Volkes

05. Kapitel: Alanya

06. Kapitel: Bettspiele

07. Kapitel: Die Falle

08. Kapitel: Alanyas tierische Begegnung

09. Kapitel: Saráyus erste Reise mit Baron Geluk

10. Kapitel: Die Pläne werden konkreter

11. Kapitel: Saráyus und Inishs Reise zu Fentors Feste

12. Kapitel: Die Bedenken der fünf Schwertmaiden

13. Kapitel: Wareneinkauf und Gereons Verschleppung

14. Kapitel: Aufbruch zum Palast

Dank

Über die Autorin

Bereits erschienen

In Vorbereitung

Personenverzeichnis

Die Erzähler

Alanya

(Schöpferin), Jungfer mit tangalanischen Wurzeln

Inwind

Knappe, Mitbewohner Alanyas

Saráyu

(Windhauch), Handelspartner des Barons, engelsgleicher Bettgefährte von Geluk und Linnea

Die Magier

Jolar tu-Jas-Joklas

ursass (Geistwesen), Magier, Gestaltwandler

Rell-Peras

ursass (Geistwesen), Magier, Großmeister

Auf Burg Vorberg

Linnea zu Vorberg

Baronin, zweite Ehefrau von Geluk

Geluk zu Vorberg

Baron, Ehemann von Linnea, Sklavenhändler

Lovis

Leibwächterin des Barons und noch mehr

Amrit

(Nektar) Zofe der Baronin Linnea zu Vorberg

Gereon

ehemaliger Stadtvogt von Salgin, Sohn von Olivia und Sir Herfried

Dama

(Ball), Masseur

Ebony

(Ebenholz) Heilerin

Olivia

Ehefrau von Sir Herfried, Mutter von Gereon

Sir Herfried

Ritter mit kleinem Landgut, Ehemann von Olivia, Vater von Gereon

Die Götter

Adalar

Gottheit des Windes

Catandra

Gottheit der Erde

Dilar

Gottheit des Wassers

Feular

Gottheit des Feuers

Melar

Gottheit der Metalle

Die magischen Freunde der Götter

Lung

(Wind), weißer Drache, Adalars Reittier

Kirtan

(Lied), geschecktes Einhorn, Catandras Reittier

Kastehelmi

(Tautropfen), Regenbogenschlange/ Meerjungfrau; Begleiterin Dilars

Luth

(Stärke), Zwerg, Begleiter Melars

Die Herrscherfamilie

Fentor

Hexer, Vater von Krid und Inish

Krid

hexerisch begabte Tochter Fentors und Schwester von Inish

Inish

(Insel) fast unsterblicher Sohn Fentors und Bruder von Krid; hexerische Niete

Die Schwertmaiden

Anger

14 Sommer alte, einfache Maid

Blua

14 Sommer alte, einfache Maid

Dulband

14 Sommer alte, einfache Maid

Eske

14 Sommer alte, einfache Maid

Naho

14 Sommer alte, einfache Maid

Sern

14 Sommer alte, einfache Maid

Die Zauberinnen

Astrantia

(Sterndolde) magische Heilerin (naomh)

Followmare

alte, weise Führerin der Schwertmaiden

Die Dorfbewohner

Amalia

junge, ängstliche Nachbarin von Gerlinda

Gerlinda

alte, resolute Nachbarin von Amalia

Korbinian

Dorfvogt, Eheherr von Reginlind

Reginlind

Eheweib des Dorfvogtes

Ein besonderes Wesen

Merce

(Grenzbewohner), gestaltwandelnder Kater

Für meine Brüder

Fantasie muss grenzenlos sein dürfen. Gezähmt wäre sie keine Fantasie!

August Everding

Prolog: Leichte Beute?

Saráyu

„Ich konnte bis jetzt nicht glauben, dass es im Königreich nach wie vor einen Landstrich gibt, der von den Göttern verlassen scheint“, wunderte ich mich.

Baron Geluk zu Vorberg und ich, sein Bettgespiele und mittlerweile Handelsgenosse, standen unter den Randbäumen. Vom Hügelkamm, welcher das Tal gegen Süden abschloss, hatten wir einen freien Überblick auf die idyllischen Dörfer. Bis zu diesem Ort schienen die marodierenden Truppen des Hexers Fentor bisher nicht vorgestoßen zu sein. Jedenfalls fielen mir keine verwüsteten Felder oder zerstörten Häuser auf. Das lag höchstwahrscheinlich an der einsamen Gegend.

Einen ernsthaften Schutz, dünkte mir, bildete die Postenkette auf den umliegenden Hügeln keineswegs. Auf unserem Weg hierher waren wir auf eine Handvoll Bauernlümmel gestoßen, die wohl als Wachen fungierten. Ungemein ernst nahmen sie ihre Tätigkeit indessen nicht, da sie sich von uns leicht umgehen ließen.

„Wir sollten in den nächsten Tagen zuschlagen, wenn wir hier noch gute Ware mitnehmen wollen.“ Der Blick des Barons streifte mitnichten über die saftigen Wiesen und die kurz vor der Reife stehenden Kornfelder.

„Ihr lest meine Gedanken, Herr.“

„Was sich oft zu unser aller Vorteil entwickelt hat.“ Ohne mich anzusehen, legte er einen Arm besitzergreifend um meine Taille und zog mich gegen seinen Leib.

Sogleich kribbelte mein ganzer Körper, bereit, mit ihm jetzt auf dem Laub das Lager zu teilen. Dass es ihm nicht anders erging, merkte ich an seinem sich steigernden Atemrhythmus. Sein galoppierender Herzschlag drang durch seine Brust bis in die meinige und riss mich regelrecht mit.

„Später“, hauchte ich. Abrupt befreite ich mich und rückte von ihm ab.

Wir brauchten beide eine Weile, bis wir unsere Lust in die hintersten Winkel verbannt hatten. Solange beobachteten wir die Menschen in dem Dorf unter uns.

„Es sind einige ansehnliche Jungfern und Knaben. Sie werden uns auf den Märkten aus den Händen gerissen. Aber auch für ihre Mütter und kleineren Geschwister hätte ich reichlich Abnehmer.“ Der Sklavenhändler fuhr sich genießerisch mit der Zunge über die Lippen.

„Die Männer sind kräftig und gut genährt“, ergänzte ich. Insgeheim rechnete ich durch, welchen Gewinn wir mit den Bewohnern dieses einen Fleckens erzielen würden. Und unter uns erstreckte sich nur eines von vier Dörfern im Tal. „Auch sie fänden schnell Käufer. – Mir schweben da bereits einige Händler vor.“

„Zuförderst jedoch solltest du Uns deine Qualitäten als Minnelump beweisen, Saráyu1.“

„Nein, Geluk, als Erstes kehren wir zu Euren Gehilfen zurück“, weigerte ich mich mit einem verheißungsvollen Lächeln. „Dort wartet ein prächtiges Zelt mit einem weichen Lager auf uns. Ehe Ihr mir untreu werdet, möchte ich dafür Sorge tragen, dass Ihr Euch mit mir verausgabt. Nicht, dass Ihr auf die Idee kommt, Euch den Sohn des Kochs auf die Laken zu holen.“

Verschmitzt grinsend musterte er mich mit schräggelegtem Haupt. „Du bringst Uns auf anregende Gedanken, lüsterner blonder Engel. Zunächst jedoch ziehen Wir deine Gesellschaft vor. Zurzeit ist Uns keineswegs nach der Zucht2 eines Knaben zumute. – Lass uns gehen! Wir können es kaum erwarten Uns mit dir zu vergnügen.“

„Wusste ich es doch!“, triumphierte ich mit gedämpfter Stimme und sah ihn von oben herab an. „Es gibt Verlockungen, denen selbst der gefürchtete Sklavenhändler erliegt.“

Ein strenger, jedoch keinesfalls ernst gemeinter Blick traf mich, ehe wir uns mit der nötigen Vorsicht zurück auf den Weg zum Lager begaben. Wir würden eine wonnigliche Nacht miteinander verbringen, ehe ich mich im Morgengrauen bedauerlicherweise aus seinen Armen befreien musste.

Eine abenteuerliche Aufgabe lag vor mir, bei der ich meine Reize einsetzen durfte. Trotzdem würde ich die Schläue eines Fuchses benötigen, um das gesamte Unternehmen nicht zu gefährden. Zusätzlich wollte ich meine mit dem Baron abgeschlossene Wette gewinnen, dass ich ihm innerhalb von drei Tagen zumindest vier Jungfern verschaffen könnte.

1. Kapitel: Wie alles begann

Es liegt bereits viele Generationen zurück, da erstreckten sich zwei Länder auf dem heutigen Gebiet Glendalachs. Die Baronien hießen Sintar und Querland.

In beiden Ländern lebten gute und böse Menschen und auch solche, die weder ganz gut noch ganz böse waren. Es gab kleine Streitereien und Feste, es gab Sorgen und Nöte, Reichtum und Armut, kurz, alles, was es in jedem Land und in jeder zwischenmenschlichen Beziehung gibt. Eines aber gab es niemals: Krieg. Zwischen den zwei Ländern war es seit ihrem Bestehen noch nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Stets hatten sich ihre Landesoberhäupter auf ihr diplomatisches Geschick verlassen und bisher immer Auswege oder Kompromisse gefunden.

Alles wäre wohl auch heute noch so, wenn damals nicht der Neid und die Gier überhandgenommen hätten.

Eines Tages schlossen sich in Sintar einige machthungrige Untertanen zusammen, welche selbst die Herrschaft übernehmen wollten. Sie drängten ihren Baron Theodosius den Freiherren Wigbert von Querland zu einem Fest einzuladen. Diese ausgelassene Veranstaltung sollte als Verlobungsfeier der ältesten Kinder beider Länder die Beziehungen stärken.

Eine gleichgesinnte Gruppe Menschen aus Querland sorgte dafür, dass Baron Wigbert die Einladung hocherfreut annahm. Wenige Wochen später reiste die ganze Familie des Freiherrn zu den Festivitäten.

Baron Theodosius hatte Musikanten, Gaukler und sonstiges fahrendes Volk bestellt, um vor, während und auch nach dem Mahl alle geladenen Gäste aufs trefflichste zu unterhalten. Alle feierten vergnügt, bis kurz nach dem Abtragen der Tafel die ersten Kinder der Freiherren über Bauchschmerzen klagten. Nur wenig später wanden sie sich in Krämpfen auf den Dielen und verstarben innerhalb von Augenblicken. Ihnen folgten gleich darauf die restlichen Familienmitglieder.

Die Leichen wurden schnell verscharrt und die zwei mörderischen Gruppen übernahmen die Herrschaft über die Baronien. Damit hielt das Böse Einzug.

Neue Gesetze brachten Ausbeutung und Tod. Viele gegen die neuen Machthaber rebellierende Menschen verloren innerhalb kurzer Zeit ihr Leben oder ihre Freiheit. Hunderte starben an Hunger und Krankheiten. Misswirtschaft ruinierte beide Länder. Strafaktionen gegen die säumigen Untertanen fanden täglich statt. Hatten die einstigen Umstürzler anfangs noch in Saus und Braus gelebt, indem sie das einfache Volk auspressten, so mussten auch sie ihre Gürtel enger schnallen. Die Länder verarmten zusehends.

Immer mehr Gesindel trieb sich herum. Überfälle am helllichten Tag, bei denen wegen einem Brotkanten Menschen ausgeraubt und umgebracht wurden, waren an der Tagesordnung. Ganze Dörfer gingen in Flammen auf und der Handel mit den Nachbarländern kam vollständig zum Stillstand. Die Lage verschlimmerte sich so sehr, dass ehemalige Freunde zu erbitterten Gegnern wurden, weil einer eine Kleinigkeit mehr als der andere besaß.

Doch es gab auch noch ein paar anständige Menschen, die niemandem etwas missgönnten. Sie versuchten mit jedem in Frieden auszukommen. Ihre wenige Habe teilten sie mit den Schlechtergestellten.

Eines Tages landete bei diesen guten Menschen ein kleiner Vogel, der sich vor ihren Augen in ein wunderschönes junges Weib verwandelte. Dieses forderte die Leute auf, mit ihm in ein Land zu kommen, in dem das Gute noch lebte. Dort könnten sie alles Böse und Schlechte hinter sich lassen und für immer in Frieden und Glück leben.

Es bedurfte nur kurzer Überlegungen, um zuzustimmen. In Sintar und Querland war für sie kein Bleiben mehr. Wenn noch etwas Gutes überleben sollte, mussten sie ihre Heimat verlassen und sich in das Land zurückziehen, von dem das Weib gesprochen hatte. Dort wollten sie auf eine Gelegenheit warten, um irgendwann einmal aus den ehemaligen Baronien wieder friedliche Länder zu machen.

In der Nacht nach ihrem Entschluss wurden sie im Schlaf samt ihrem ganzen Hab und Gut durch Magie in den Wald der Zauberei verbracht. Mitten in diesem Wald entstand so ein Dorf, in welchem nur anständige Menschen lebten.

Vor der gewaltsamen Machtübernahme hatte der Wald der Zauberei einmal zu Querland gehört. Diese Baronie hieß so, weil sie sich quer durch ein Gebiet zog, das im Süden von hohen Gebirgen und im Norden von einem unendlichen Ozean begrenzt wurde. Ein ausgeprägtes Sumpfgebiet im Osten und eine riesige Sandwüste bildeten gute Schutzzonen nach diesen Himmelsrichtungen.

Vor der Wüste lag ein alter weit ausgedehnter Wald, der einen unermesslichen Tier- und Pflanzenreichtum beherbergte. Er war zwar nicht der einzige Wald in Querland, aber kein anderer war so unerschöpflich und wunderschön wie der Wald der Zauberei. Nicht von ungefähr nannte man ihn so.

Ein Pilz, welcher morgens gepflückt wurde, wuchs bereits abends wieder nach. Ein vormittags erlegtes Tier wurde nachmittags wiedergeboren. So verhielt es sich mit allem, was sich dort bewegte, wuchs und lebte.

Die Leute, welche früher in den Dörfern und Weilern am Waldrand gelebt hatten, erzählten von magischen Wesen, welche ihn beschützten. Gesehen hatte sie aber noch niemand.

Dennoch galt es für den Fortbestand dieses Paradieses bestimmte Regeln einzuhalten, welche nun auch für die neuen Dorfbewohner galten.

1. Zerstöre nichts mutwillig!

2. Entnehme dem Wald nie mehr, als du benötigst!

3. Bringe allem Leben Respekt entgegen!

4. Verschmutze den Wald und seine Gewässer nicht!

Wer diese Regeln missachtete, durfte den Lebensraum nicht mehr betreten. Eine unsichtbare Barriere hielt ihn am Waldrand auf.

Allerdings gab es die Möglichkeit, dass diese Strafe aufgehoben wurde. Um wieder eingelassen zu werden, musste man eine Aufgabe erfüllen. Diese erhielt man von einer alten Vettel, welche am Waldrand außerhalb der Barriere in einer windschiefen Kate hauste. Diese Chance wurde dem Missetäter aber nur ein einziges Mal gewährt. Danach gab es keine Aussicht auf Wiedergutmachung mehr.

Auch in Sintar gab es eine Besonderheit: die Quelle der Wunder.

Dieser Bronn lag am Rand der Wüste. Hierher waren schon immer viele Menschen aus beiden Baronien gewandert, da er alle Krankheiten und Wunden heilte.

Natürlich existierten hier genauso strenge Regeln für die Nutzung:

1. Verunreinige niemals die Quelle oder deren Umgebung!

2. Zerstöre die Quelle oder deren Umland nicht!

3. Entnimm keine großen Wassermengen!

4. Benutze das Becken unterhalb der Quelle unter keinen Umständen als Badestelle!

5. Stelle dich an und drängle nicht vor!

Bei einem Verstoß gegen auch nur eine dieser Gepflogenheiten gab es auch nur eine einzige Chance der Wiedergutmachung. Auch hier musste eine Aufgabe erfüllt werden, die von einem alten Mütterchen, welches in der Nähe lebte, gestellt wurde. Die Auswirkungen waren die gleichen wie beim Wald der Zauberei.

Um diese beiden Gebiete legte sich, im selben Moment, da die Morde geschahen, eine magische Schutzbarriere: die rote Mauer. Sie war für jeden sichtbar, doch niemand von außerhalb konnte sie überwinden. Und genau dieser Landstrich wurde nun für die Menschen, welche dem Vogel-Weib vertraut hatten, zur neuen Heimat.

Als die Leute am Morgen erwachten, befanden sie sich bereits im versprochenen Land des Friedens, welches sie Tangalan3 nannten. Dort lebten sie in völliger Harmonie miteinander und eins mit der Natur.

Nur einen Sommer4 nach dem Mord an den ehemaligen Herrschern von Sintar und Querland, zerstritten sich die neuen Machthaber. So entstanden aus dem zusammengelegten einen, wieder zwei Länder.

Den Regenten aus Querland war das Verschwinden der guten Menschen und die Errichtung der magischen Mauer um ein neues Land wie ein Fingerzeig erschienen. Doch in Sintar, welches Querland wie ein Hufeisen von drei Seiten umschloss, tat man das als Unsinn ab.

Während in Querland die Abgaben gesenkt wurden und mit dem Gesindel radikal aufgeräumt, herrschte in Sintar weiterhin die Gewalt. So kam es, dass viele Menschen von dort nach Querland flohen und das Lumpenpack in Sintar Einzug hielt. Daraufhin schloss Sintar die Grenze zu seinem Nachbarland, um nicht noch mehr Untertanen zu verlieren.

Nach einem weiteren Sommer stabilisierte sich die Lage in Querland. Das wenige umtriebige Geschmeiß wurde von Querlands Gesetzeshütern gehetzt und gefangen gesetzt. Die Felder wurden wieder regelmäßig bestellt und die Weiden füllten sich mit Vieh. In den Gärten wuchs nicht nur Gemüse, sondern auch hier und da die erste Blume. Die Menschen erholten sich langsam von den Schrecken der letzten Zeit. Hier und da war wieder Kinderlachen zu hören. Auch der Handel mit anderen Ländern begann zaghaft erneut anzulaufen.

In Sintar gab es mittlerweile nur noch einen Herrscher. Die anderen hatten seine Lakaien unter die Erde gebracht. Immer noch war seine Machtgier nicht gestillt. Querland, dieses aufstrebende, gegenüber Sintar nun reiche Land, musste ihm gehören.

Sein Problem stellte der Mangel an Männern für einen Krieg dar, ohne seine Grenzen dafür zu entblößen. Das Gesindel, welches er früher hinüber nach Querland geschickt hatte, weigerte sich mittlerweile strikt nochmals das Nachbarland zu betreten. Dessen Gesetzeshüter waren zu gut ausgebildet.

Die wenigsten Lumpen kamen zurück. Hinzu kam, dass die Beute die Gefahr bei Weitem nicht aufhob. Daher schickte er die Spitzbuben in die beiden Nachbarländer. Aber auch dort wurde es immer schwieriger Beute zu machen. Sintars Einnahmen schrumpften und sein Herrscher begann zu verzweifeln.

Seine Rettung kam in Gestalt einer bezaubernden jungen Dame namens Krid, ihrem Vater und einem Knaben von neunzehn Sommern. Sintars Landesherr war sofort von der außergewöhnlichen Schönheit und Klugheit Krids, die im Augenblick der Not in seinem Schloss auftauchte, geblendet. Sie versprach, ihn und sein Land reich zu machen, wenn er sie heiratete. Außerdem stellte sie die Bedingung, dass ihr Vater und der Junge die Erlaubnis erhielten, bei ihr zu bleiben.

Die Aussicht von einer solchen Dame als Ehemann ausgesucht zu werden und gleichzeitig seine Sorgen in ihre zarten Hände zu legen, ließen ihn schnell handeln. Bereits zwei Tage später ehelichte der Herrscher Sintars die wunderschöne Krid mit den langen blonden Haaren und den veilchenblauen Augen. Die Hochzeit fiel etwas schlicht aus, was weder die Braut, noch den Bräutigam zu stören schien. Bald schon würden sie reich und mächtig sein, das wog alle Unannehmlichkeiten auf.

Ein paar Tage später wollte der auf rosa Wolken der Glückseligkeit schwebende Gemahl seine Gattin überraschen. Er schlich sich morgens in aller Frühe in ihr Zimmer, um sie mit einem Kuss zu wecken. Doch schon in der Tür blieb er verblüfft stehen, denn sein Eheweib zog sich ihr Gewand nicht einfach an. Sie murmelte einen Zauberspruch, der sie ankleidete. Ein weiterer richtete ihre Frisur, und Schmuck entstand aus dem Nichts.

Kurze Zeit später fand ihn sein Diener tot in seinem Bett. Das Gerücht wusste von einer Überanstrengung beim Teilen des Lagers mit seinem jungen Ehegespons zu berichten. Die Wahrheit war ein ihm von Krids Vater, dem Magier Fentor, gereichtes Zaubergebräu.

In der darauffolgenden Nacht brach ein heftiger Sturm los. In diesem flogen zwei dunkle Gestalten über Sintar und säten Hass und Verderben in die Herzen der Menschen. So kam es, dass die Überwachung der Grenze als nicht mehr notwendig angesehen wurde. Niemand wollte mehr aus Sintar fliehen.

So standen die Wächter für andere Aufgaben bereit. Ihre erste lautete: Eroberung Querlands. Begeisterte Söldner und mutig gewordenes Gesindel schworen ihrer Herrscherin die Treue. Sie folgten dem Knaben, den sie und ihr Vater mit ins Schloss gebracht hatten, als ihrem Anführer.

Bei Inish, dem jungen Befehlshaber dieser Armee des Bösen, handelte es sich um den jüngeren Bruder Krids. Er stammte aus einer Verbindung seines Vaters mit einer Adligen. Damals war eine solche den Magiern noch möglich gewesen.

Obgleich der Knabe durch das Eingreifen der Göttin der Erde keine magischen Kräfte entwickeln konnte, war er ein guter Streiter für das Böse. Der Gott des Feuers hatte sein Potenzial erkannt und ihm vollständige Unverwundbarkeit verliehen. Eine von Menschenhand geschaffene Waffe war nicht imstande, ihn zu verletzen oder zu töten. Melar, die Göttin der Metalle sorgte dafür, dass Inish dennoch nicht gegen alles gefeit war. Die Sieben Schwerter Followmares5 bildeten die Ausnahme, da sie magisch erschaffene Waffen waren. Töten hingegen konnten auch sie ihn nicht. Es sei denn, ein Wesen, das weder weiblich noch männlich war, würde das Einhornschwert führen. Anders als seine geistigen Nachfahren war er auch vor einer Krankheit, einer Verwundung durch ein Tier oder die Wirkung eines Gifts geschützt.

Den Fluch Dilars, des Wassergottes und Adalars, des Windgottes zu brechen, lag ganz allein in Inishs Händen. Er müsste sich aus freien Stücken für eine große und wichtige Sache des Guten opfern. Dass dies jemals geschehen könnte, daran glaubte wohl niemand, der von ihm gehört oder ihn selbst kennengelernt hatte.

Der Knabe war das beste Vorbild für die Söldner Sintars. Immer stürmte er voraus, war der Erste beim Angriff und der Letzte, der das Feld räumte. Mitten im dichtesten Kampfgetümmel sah man ihn stehen und unbarmherzig seine Gegner niedermähen. Für ihn gab es kein Erbarmen. Erst, wenn keiner seiner Widersacher mehr lebte, war er zufrieden.

Die offen ausgesprochene Begründung des ansonsten schweigsamen jungen Mannes lautete: Wo kein Leben zurückbleibt, ist die Herrschaft unserer Hoheit Krid gesichert! Wer sich uns nicht anschließt, ist unser Feind und muss vernichtet werden. Dabei ist es ganz egal, ob er ein Bauer oder ein Krieger, ein Mann, eine Frau oder ein Kind ist.

Noch ehe die Einwohner Querlands richtig begriffen, wie ihnen geschah, lag das halbe Land in Schutt und Asche. Eine Armee, welche das Land verteidigen konnte, gab es nicht mehr. Selbst der gut geschützte Herrscher war auf seinem Schloss überrannt worden. Keiner der Bewohner war lebend davongekommen. Der junge Tod, wie Inish nur noch genannt wurde, blieb seinem Grundsatz treu.

Ein paar Tage nach diesem Massaker hingen über Nacht in ganz Querland Schreiben der Herrscherin Sintars aus. In jeder Stadt, jedem Dorf oder Weiler fand sich, gut sichtbar für das Volk angebracht, ein Dekret.

Königlicher Erlass

Wir, Ihre Königliche Hoheit, Krid, alleinige Herrscherin über Sintar und Querland, geben Folgendes kund und zu wissen: Vom heutigen Tage an sind Wir es, die dieses Land vor Eindringlingen jeglicher Art schützen. Wir werden das Königreich befrieden. Als Gegenleistung verlangen wir von Unseren Untertanen Gesetzestreue und pünktliche Entrichtung der Uns zustehenden Abgaben.

Um dem Volk Unseren guten Willen zu zeigen, haben Wir die Außengrenzen Unserer Reiche bereits gesichert. Die Ansiedlungen werden folgen, sobald die ersten Abgaben zu Unserer Zufriedenheit entrichtet wurden.

Eine Weigerung, Uns zu geben, was Uns zusteht, wird durch Unseren

Heerführer, den „Jungen Tod“, bestraft werden.

Aufstände wird Unsere Armee ohne Vorwarnung niederschlagen.

Andererseits sind Wir gewillt die Krieger bereits ab dem heutigen Tage als Schutz für die Gebiete der ehemaligen Länder Querland und Sintar bestehen zu lassen. Von weiteren

Machtdemonstrationen

werden Wir absehen, sobald Wir Uns sicher sind, dass Unsere Untertanen, Uns, seine Herrscherin, treu ergeben sind.

Gezeichnet Ihre Königliche Hoheit Krid, Herrscherin über Sintar und Querland

Was sie verkündet hatte, geschah. Mord und Plünderung hörten auf, stattdessen presste sie die Menschen noch mehr aus als zuvor. Kamen die Leute ihren Forderungen nicht nach, verschwanden ganze Familien über Nacht oder Der junge Tod tauchte mit seinen Männern auf und hinterließ ein Massaker.

Trotz Terror, Gewalt und der unmissverständlichen Warnung Krids schlossen sich einige Leute zusammen. Sie wollten sich gemeinsam gegen die Gewaltherrscherin auflehnen. Kaum hatte sich die Gruppe gebildet, wurde sie auch schon von Inish ausgelöscht. Das mysteriöse an der ganzen Sache war, dass die Leute in der Nacht, in der sie umgebracht wurden, ihre erste Zusammenkunft abhielten. Sie hatten noch kein Wort miteinander gesprochen, als Inish auftauchte. Und das war nicht das einzige Mal, dass er erschien, bevor sich jemand öffentlich gegen die Königin äußerte. Manchmal reichte es bereits aus gegenüber einem anderen Menschen nur von Auflehnung zu reden oder zu sagen, dass man nicht weiter den Rücken beugte. Immer wieder kam es zu solchen plötzlichen Strafmaßnahmen im Namen Ihrer Hoheit Krids.

Noch herrschte in Tangalan Frieden, aber die machthungrige Krid und ihr Vater hatten schon ein Auge auf dieses Zauberland geworfen.

Die Lebewesen in Tangalan hatten natürlich, trotz der magischen Mauer, die für sie kein Hindernis darstellte, mitbekommen, was in Sintar und Querland geschah. Sie machten sich ernsthafte Sorgen.

Die Zauberin Followmare hatte den ehemaligen Bewohnern der beiden Nachbarländer erzählt, dass Fentor, der Vater Krids, ein herrschsüchtiger und äußerst mächtiger Hexer sei, der bestimmt auch nicht vor Tangalan haltmachen würde. Wenn er es schaffen sollte, die Magische Mauer zu durchdringen, würde er Tangalan zerstören. Sie selbst sei keine so mächtige Zauberin, als dass sie ihn zurückschlagen könnte. Falls die Mauer fiel, sollten sich alle Menschen in die Höhlen unter der Wüste zurückziehen. Sie würde Fentor solange aufhalten, bis alle in Sicherheit wären. Erst dann würde sie ihnen folgen und einen Plan vorstellen, um Fentor und Krid zu besiegen.

Die ehemaligen Bewohner Querlands und Sintars redeten in einer Weise, die nur für Tangalaner verständlich war. Für jeden anderen waren es Tierlaute oder Blätterrauschen. Sie behielten aber weiterhin auch ihre Sprache bei, um sich gegebenenfalls mit den Menschen aus Sintar oder Querland unterhalten zu können.

Zwei Tage nach Followmares Ansprache tauchten plötzlich aus dem Nichts sechs unterschiedlich verzierte Schwerter auf. Sie standen in sechs verschiedenen Häusern der Bewohner Tangalans jeweils auf der Klingenspitze vor dem Bett einer Maid. Erstaunt liefen die sechs Jungfern zu Followmare und erzählten von ihrer Entdeckung.

„Das sind sechs der Sieben Schwerter des Guten. Ihr müsst sie annehmen! Diese Schwerter zeigen sich einzig, wenn ein schwerer Kampf gegen das Böse zu bestehen ist. Das Wichtigste aber ist, dass sie sich ihre Kämpfer selbst wählen. Und nur der jeweilige Kämpe kann das Schwert berühren und es meisterhaft führen“, erläuterte die Zauberin nach außen völlig ruhig. Innerlich aber war sie aufgewühlt. Dieses Zeichen konnte nur bedeuten, dass Fentor auf dem Weg war.

„Aber wir haben noch nie ein Schwert in der Hand gehabt!“, wandte Anger ein. Die anderen nickten zustimmend und sahen die Zauberin Hilfe suchend an.

„Wen diese Waffen wählen, der braucht keinen Unterricht. Er oder sie kann damit umgehen, als sei es ein Stück seiner selbst. Macht euch darüber keine Sorgen. Solange ihr die Schwerter besitzt und euch einig seid, kann selbst Fentor euch nicht schaden. Aber auf euch lastet nun eine schwere Verantwortung. Eure Aufgabe ist es, euer Volk und Land, also Tangalan und dessen Bewohner, zu beschützen. Am besten fangt ihr sofort damit an. Sagt den Menschen, dass sie ihre Habe zusammenpacken sollen, und weist ihnen den Weg zu den Höhlen unter der Wüste. Die Schwerter werden euch führen. Dort findet ihr auch eure Harnische. – Beeilt euch! Und denkt immer daran, dass ihr allein Tangalan und seine gesamten Bewohner vor Fentor bewahren könnt, ohne dass er euch etwas anhaben kann! Macht euch auf den Weg!“, sagte Followmare und ging zum Waldrand.

Noch immer verwundert über die Dinge, die geschehen waren, liefen die Maiden durch die Siedlung und trieben die Leute zur Eile an. Dann packten auch sie zusammen und griffen scheu nach dem jeweiligen Schwert in ihren Gemächern. Sie rechneten fest damit, dass sie zumindest ein leichter Blitzschlag treffen würde, wenn sie diese Zauberschwerter berührten, doch nichts geschah. Das einzig Ungewöhnliche war, das Gefühl diese Schwerter schon immer besessen zu haben.

Als die Bewohner Tangalans aufbrachen, folgten ihnen die anderen Lebewesen ein Stück – soweit es sich nicht um Pflanzen handelte – dann verschwanden sie plötzlich. Einsam und verlassen blieb der Zauberwald zurück. Selbst der Wind schien verschwunden zu sein. Eine unheildrohende Stille senkte sich auf ganz Tangalan. Traurig ließen die Pflanzen und Bäume die Blätter hängen.

Followmare stand mutterseelenallein am Waldrand und wartete auf Fentor, der jeden Moment erscheinen musste, um die Magische Mauer zu zerstören. So zuversichtlich sie den Mädchen über geklungen hatte, so hoffnungslos war sie in ihrem Innern. Sie konnte Fentor nicht besiegen. Wenn sie ihn so lange aufhielt, bis die Leute in Sicherheit waren und sich selbst dann zu ihnen retten konnte, hatte sie viel erreicht. Ihre Zauberkraft war nur schwach entwickelt. Wenn sie auch Tangalan durch eine magische Mauer geschützt hatte, so war ein Kampf gegen einen alten Hexer eine ganz andere Angelegenheit. Hier konnte nur ein Meistermagier auf einen Sieg hoffen, keinesfalls eine Gesellin wie sie.

Doch Fentor kam nicht, um sich einem Kampf mit ihr zu stellen. Krid und er hatten ihre Zauberkraft vereint. Obgleich dies auch nur für kurze Zeit möglich war, so reichte sie dennoch aus, um zwei Hexereien möglich werden zu lassen. Dafür mussten sie nicht einmal das Schloss verlassen.

Followmare sah für einen kurzen Moment, wie die Mauer vor ihr zusammenfiel. Sofort drangen drei Reiter in Tangalan ein. Im selben Augenblick wurde die Zauberin in einem Felsklotz eingeschlossen und dieser in eine der Höhlen unter der Wüste verbannt.

Fentor tobte, als er erfuhr, dass die Zauberin verschwunden war. Seine Hexerei beschränkte sich in ihrem Fall nur darauf, sie in diesen Klotz zu sperren. Aber Krid meinte dazu, es sei besser, dass sie unauffindbar wäre. Wer konnte schon wissen, wie stark ihr Zauber war?

Zu den drei Reitern gehörte außer zwei einfachen Soldaten auch Inish. Mit Genugtuung sah er, wie die Zauberin vor seinen Augen verschwand und somit der Weg zum Lebensspender Tangalans frei wurde.

Sie galoppierten geradewegs auf diesen uralten Baum zu, der mitten im Wald aufragte. Dort sprangen sie von den Pferden und begannen ihr grausames Werk. Zu dritt fällten sie den Giganten, der neben einem kleinen milchigen Teich stand. Unter seinen Wurzeln entsprang eine ebenso milchige Quelle, welche dieses Gewässer füllte. Bei jedem Axtschlag stöhnte der Baumriese vor Schmerz, was Inish nur noch fester zuschlagen ließ.

Sei es, dass den beiden Soldaten die Arme lahm wurden oder dass ihnen das vom Baum ausgehende Stöhnen, was durch den ganzen Wald zu hallen schien und ihnen durch Mark und Bein ging, zu viel wurde, jedenfalls sanken sie schon nach kurzer Zeit erschöpft ins Gras. Inish achtete gar nicht auf sie. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen und den würde er zur Zufriedenheit seines Vaters ausführen. So grub er die Axt immer tiefer in den Stamm ein, bis der Baumriese mit einem lauten Aufschrei zu Boden stürzte. Augenblicklich versiegte die Quelle und der Teich trocknete aus.

Mit einem triumphierenden Grinsen wischte Inish sich den Schweiß von der Stirn und stellte sich mit siegreich erhobenen Armen auf den gefällten Baumstamm.

Plötzlich erschien dort, wo zuvor der Tümpel gewesen war, in einer Luftspieglung der Vater der Königin. Erschrocken sprangen die beiden Soldaten auf und sanken dann auf die Knie.

Auch Inish schwang sich von seinem besiegten Gegner herunter und verwandelte das Ende dieser Bewegung schwungvoll in einen Kniefall. In dieser Stellung blieb er mit auf die Brust gesenktem Haupt, die zur Faust geballte rechte Hand auf seinem Herzen. Selbst als Fentor ihn ansprach, verharrte er in dieser Haltung.

„Wie ich feststelle, hast du meinen Auftrag wie immer zu meiner Zufriedenheit ausgeführt. Nun reite auch zur Quelle der Wunder und zerstöre sie, damit diesen Schwachköpfen meine Macht bewusst wird!“, wies das Luftbild ihn an und lachte triumphierend auf. „Folge meinem Befehl, Inish!“ Damit verschwand die Erscheinung wieder.

Inish stand sofort auf und schwang sich in den Sattel seines Pferdes. Die Söldner blickten sich erstaunt an und kamen nur langsam wieder auf die Beine. Wenn sie auch kein Wort sagten, so wunderten sie sich doch sehr über dieses Phänomen. Dann bestiegen sie ihre Pferde und folgten Inish zur Quelle der Wunder, um die Weisung ihres Herrschers auszuführen.

Als sie jedoch einen halben Kerzenstrich6 geritten waren, befahl Inish den beiden Männern allein vorauszureiten. Er hätte noch etwas zu erledigen, würde sie aber bestimmt noch vor der Quelle einholen.

Die beiden taten, was er verlangte, ohne eine Frage zu stellen. Wenn sie auch nicht die hellsten Köpfe waren, so waren sie doch sehr beeindruckt von Inish. Aber mehr noch machte ihnen dieser Knabe, der keinen Widerspruch duldete und stets mit Grausamkeit vorging, Angst.

Kaum waren sie nicht mehr hinter dem dichten Geäst des Waldes zu sehen, schwang sich Inish vom Pferd. Er sank in einen Kniefall, senkte das Haupt auf die Brust und legte die rechte Faust auf die Stelle, unter der sein Herz schlug.

Wieder erschien Fentor als Luftbild vor ihm. Ein dunkler, wehender Mantel umgab seine Gestalt und ein Stein am Stab des Zorns, den er stets in der Hand hielt, blinkte.

„Die Zeit ist wieder einmal gekommen. Diesmal wird dieser Fluch dich sehr viel Kraft kosten. Es wird schlimmer werden als alles, was du bisher ertragen hast. Daher werde ich dich ins Schloss holen. Setz dich auf dein Pferd“, sagte der Hexer zu ihm und verschwand.

Inish stand auf, bestieg sein Pferd und ritt weiter. Rasend schnell veränderte die Magie die Landschaft um ihn herum, bis er den Waldrand vor dem Palast erreichte. Dort hörte Fentors Hexerei auf. Von hier musste er selbst weiterreiten.

Im Schlosshof sprang er von seinem Reittier und warf dem nächstbesten Stallburschen die Zügel zu. Er stürmte die Treppe hinauf und durch die langen dunklen Gänge bis zu der Tür, die in einen der Türme führte. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hetzte er die schmale Wendeltreppe empor bis zu der kleinen Holztür, hinter der sein Gemach lag. Mit Schwung riss er die Pforte auf, schlüpfte hinein, warf sie hinter sich zu und schob den Riegel von innen vor. Eilig zerrte er sich sein Waffengehänge auf dem Weg zum Bett herunter und ließ es achtlos fallen. Erschöpft warf er sich auf sein Lager. Kurz darauf fiel er in einen tiefen Schlaf.

Hätte sich jemand im Zimmer verstecken können, er hätte seinen Augen und Ohren nicht getraut. Doch Fentor sorgte mit seinen Hexenkünsten dafür, dass niemand außer seinem Sohn das Gemach betreten konnte. Außerdem hielt er mit Magie jeden Laut im Raum.

Dort auf dem Bett aber wälzte sich der gefürchtete Junge Tod unter Schmerzensschreien herum. Wer würde bei diesem Anblick des schreienden, sich vor Qualen krümmenden Knaben, daran denken, wer er war, welche Gräueltaten er verübt hatte?

An diesem Tag war Inish in seinem Traum der uralte Baum, welchen er gefällt hatte. Er sah und fühlte die Erlebnisse dieser Tat aus der Sicht des Lebensspenders von Tangalan. Jeder Axtschlag, der den Baumriesen getroffen hatte, galt nun ihm. Und als der Stamm endlich fiel, stürzte Inish mit einem langen gequälten Aufschrei auf den Dielenboden. Wenig später zog er sich, ohne zu erwachen, auf sein Lager hinauf.

Immer und immer wieder begann dieser Albtraum von vorn, ohne dass er aufwachen konnte oder ihn jemand zu wecken vermochte.

Diese Träume durchlebte er jedes Mal, immer genau einen Kerzenstrich, nachdem er eine böse Tat begangen hatte. Diesmal aber waren die Schmerzen so stark, dass er schließlich in eine tiefe Bewusstlosigkeit fiel. Erst gegen Abend kam er wieder zu sich.

Dies war der Fluch von Dilar, dem Gott des Wassers gewesen. Es war ihm keineswegs möglich die dem Jungen von Feular, dem Gott des Feuers, verliehenen Eigenschaften zurückzunehmen. So sorgte er eben auf diese Weise dafür, dass dem Hexersohn seine Strafe auf dem Fuß folgte.

Immer, wenn Inish eine böse Tat ausführte, fiel er genau einen Kerzenstrich später in einen tiefen Schlaf. Während dieses Schlummers erlebte und spürte er selbst die widrig Tat, welche er begangen hatte, am eigenen Leib. Der Traum war stets so real, dass er nach dem Erwachen glaubte, nicht er habe diese Freveltat verübt. Auch wenn er keine Schmerzen mehr gewahrte, so vermeinte er, das Unrecht sei ihm angetan worden.

*

Die Quelle der Wunder lag einen guten Tagesritt vom Lebensspender Tangalans entfernt. Für Fentor hingegen war es ein Leichtes seinen Sohn dort noch vor den beiden Söldnern ankommen zu lassen. Da sie schon oft mit Inish geritten waren, wunderten sie sich auch diesmal nicht, als er neben dem Bronn auf sie wartete.

„An die Arbeit, Männer! Sprengt die Quelle in die Luft!“, befahl er.

Ohne Widerrede holten die Krieger Sprengstoff aus ihren Satteltaschen, brachten die Ladungen neben der Quelle an und wickelten die dort angebrachten Zündschnüre einige Armlängen ab.

„Den Rest erledige ich. Setzt euch auf eure Pferde und reitet zum Schloss zurück. Ihr solltet weit genug weg sein, wenn die Sprengladungen hochgehen!“, sagte Inish, der bis dahin auf einem Felsbrocken gesessen und sie überwacht hatte. „Nehmt mein Reittier mit! Ich habe keine Lust, mir schon wieder ein neues suchen zu müssen.“

Schnell wie der Wind kamen sie seinen Befehlen nach, froh, diesen Frevel nicht zu Ende führen zu müssen. In rasendem Galopp jagten sie davon und waren bald nur noch als kleine Punkte in der Ferne zu sehen.

Nun entzündete Inish mit einem Feuerstein die beiden Lunten. Mit entzücktem Grinsen verfolgte er, wie das Feuer auf die Quelle zulief. Dann brach er, als die Explosionen kurz hintereinander erfolgten, in triumphierendes Gelächter aus.

Die Erde bebte und der Knall der Detonationen war noch meilenweit zu hören. Gesteinsbrocken, Büsche und Sand wirbelten durch die Luft, ohne Inish, der durch die Magie seines Vaters geschützt war, zu verletzen. Als der herumwirbelnde Staub sich gesenkt hatte, war die Quelle der Wunder versiegt. Wo sie einmal gewesen war, gab es nur noch einen tiefen Krater.

Wieder erschien nun Fentor in einer Luftspiegelung. Inish ließ sich in einer eleganten Bewegung in seine Haltung der Ehrerbietung gleiten.

„Wie ich es nicht anders vorhergesehen habe, hast du ganze Arbeit geleistet, freute sich Fentor. „Du weißt, was dich jetzt erwartet, denn auch der Born hat gelebt. Deshalb ist es besser, ich bringe dich in deinen Turm.“ Die Erscheinung verschwand.

Nur einen Moment später fand Inish sich in seinem Turmzimmer wieder. Dort entledigte er sich seiner Waffen, legte sich auf sein Bett und schlief augenblicklich ein. Genau einen Kerzenstrich danach erlebte er im Traum die Sprengung aus der Sicht der Quelle wieder und wieder. Erleichterung brachte ihm eine tiefe Bewusstlosigkeit, die einen ganzen Tag andauerte.

*

Fentor beschäftigte inzwischen ein anderes Problem: seine Söldner. Da viele von ihnen nichts zu tun hatten, betranken sie sich und wurden träge. Sie brauchten eine längerfristige Aufgabe. Doch was sollte das sein?

Selbst Tangalan gehörte nun ihm. Nein, nicht ganz. Obgleich der Wald starb und mit ihm alle Pflanzen darin, gab es noch Menschen, die er nicht unterworfen hatte und die sich vor ihm versteckten.

Ja, das war eine Aufgabe für die faulen Krieger. Also befahl er ihnen, diese Leute aufzuspüren und zu ihm zu bringen. An ihnen würde er ein Exempel statuieren. Niemand sollte sich gegen ihn stellen können!

Hatte er nicht mit Hilfe seines Sohnes die beiden magischen Stätten zerstört?

Dass, was ihm als mächtiger Hexer nicht möglich war, weil diese von mehreren Göttern gemeinsam erschaffen worden waren, hatte Inish zu Wege gebracht. Selbst die vereinte Hexenmacht von ihm und seiner Tochter Krid hätte nicht ausgereicht, sie dem Erdboden gleichzumachen. Aber gegen diese einfachen menschlichen Vernichtungsarten waren sie nicht geschützt, das hatten ihre Schöpfer übersehen.

2. Kapitel: Sinnestäuschungen

Saráyu

Es war Spätsommer und die Dämmerung setzte – zumal hier unter den mächtigen, alten Bäumen – schon verhältnismäßig früh ein. Außerdem wurden die Nächte schon kühl. Somit war ich froh, als ich mit dem letzten Tageslicht das namenlose, mitten im Wald gelegene Gasthaus erreichte. Nach langer Zeit wollte ich mir eine Pause gönnen. Meine Handelsgeschäfte waren gut gelaufen, weshalb ich es mir richtig gut gehen lassen wollte.

Erleichtert stellte ich fest, dass sich, noch ehe ich vor der Tür abgestiegen war, ein Junge meines Pferdes annahm. Gleichzeitig trat ein wohl gut vierzig Sommer alter, muskulöser Mann aus dem Haus.

„Willkommen in unserer bescheidenen Herberge!“, begrüßte er mich und wies an sich vorbei in die Gaststube. Damit hatte er recht, dennoch schätzte ich die sauberen und flohfreien Zimmer. Hinzu kam, dass die Wirtsleute – gegen ein, wie auch ich fand, angemessenes Entgelt – verschwiegen und vertrauenswürdig waren. Schließlich konnte man in meinem Gewerbe nicht vorsichtig genug sein.

„Du bist sehr aufmerksam, genau wie dein Sohn“, entgegnete ich erfreut und trat ein.

In dem kleinen Raum standen nur drei Tische, von denen zwei bereits besetzt waren. An dem rechts neben dem Eingang saßen zwei schon reichlich betrunkene Zecher. Während sich eine Familie mit drei kleinen Kindern gesittet an dem geradeaus stehenden zum Essen versammelt hatte. Wie ich später aus ihren Gesprächen erfuhr, waren sie auf der Durchreise. Der Mann wollte das Handelshaus seines dahingeschiedenen Vaters übernehmen.

Der Wirt wies mir die Tafel links des Zugangs zu. Er fragte nach meinen Wünschen und verschwand gleich darauf durch eine Tür im hinteren Bereich der Stube.

Kurze Zeit später erhielt ich einen Becher hervorragenden Rotweins und ein großes Stück Hasenbraten mit einer Weizengrütze und frischem Kräutersalat. Erstaunt ob dieser Köstlichkeiten blickte ich den Schankwirt an. Doch er grinste nur verschmitzt und meinte: „Esst nur! Heute hat mein Weib besonders gut gekocht. Solche Leckereien gibt es keinesfalls alle Tage und nicht für jeden Gast.“ Bevor er sich zu den nach Nachschub schreienden Zechern umwandte, blinzelte er mir mit einem Auge verschwörerisch zu.

Jetzt begriff ich. Mein Geliebter und Handelspartner hatte mich also schon angekündigt, wie er es mir versprochen hatte. Derart beruhigt genoss ich mein wirklich ausgezeichnetes Mahl.

Als der Wirt abräumte, bestätigte ich ihm die fabelhafte Kochkunst seines Weibes und hieß ihn mein Lob an diese weiterzugeben. Er bedankte sich.

„Sicherlich seid Ihr erschöpft und möchtet Euer Zimmer aufsuchen“, wandte er sich fürsorglich an mich, bevor er das leere Geschirr hinaustrug. „Wartet nur einen kleinen Moment, dann stehe ich Euch wieder zur Verfügung!“

Auf seinem Weg zur Tür hielt er kurz bei der Familie an, die ihm geschlossen hinaus folgte. Gleich darauf hörte ich im Raum über mir Schritte. Die Sippschaft wurde also über der Wirtsstube untergebracht.