Ritter der Sieben Mönche - Andrea Rohn - E-Book

Ritter der Sieben Mönche E-Book

Andrea Rohn

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Beschreibung

Calan ist äußerlich ein Mensch, besitzt aber viele Eigenschaften einer Katze. Seine Bestimmung ist es, in jedem Jahr seiner Knappenzeit einen der sieben ansassi aus seinem jeweiligen magischen Kerker zu befreien. Die schweren Opfer, welche Calan dafür bringen muss, verlangen ihm mehr ab, als ein Mensch ertragen kann. Wird er alle Aufgaben, vor die er immer wieder überraschend gestellt wird, lösen können? Oder bewahrheitet sich sein Albtraum, dass er an die Stelle eines ansassi treten muss?

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Inhaltsverzeichnis

Personenverzeichnis

Die Prophezeiung

01. Kapitel: Die Klosterfalle

02. Kapitel: Die Auferstehung des ersten „Mönchs“

03. Kapitel: Das Wesen Calan

04. Kapitel: Die Kapelle mit dem Siegel lösenden Buch

05. Kapitel: Wie ich für Nercc einen Leib erträumte

06. Kapitel: Verschleppt

07. Kapitel: Die Furie Komtess Candella

08. Kapitel: Nercc und die falsche Schwester

09. Kapitel: Im Untergrund

10. Kapitel: Nur ein bestimmter Ton

11. Kapitel: Eleganz ohne Balancegefühl

12. Kapitel: Aufbruch zur Kare-san-Sui

13. Kapitel: In der Wüste

14. Kapitel: Gehetzt

15. Kapitel: Der Fluch

16. Kapitel: Zwei neue Dienstherren

17. Kapitel: Waghalsige Kinderspiele

18. Kapitel: Ein ungewöhnlicher Besucher

19. Kapitel: Abt Sebalds Rückkehr nach Kampret

20. Kapitel: Calans siebte Aufgabe

21. Kapitel: Das entscheidende Buch

Dank

Über die Autorin

Bereits erschienen

In Vorbereitung

Personenverzeichnis

Die Ordensmitglieder

Aileam:

seancha in der Ordensniederlassung Jotam

Calan (Beginn):

Knappe des Ordens in der Niederlassung Jotam und Protagonist

Cyrill:

Knappe des Ordens in der Niederlassung Neyschat , Bruder von Candella

Evermod, Sir:

Kommandant der Bergfeste

Gordian:

seancha in der Ordensniederlassung

Ingbert, Sir

Gehilfe des Pagenmeisters Sir Mertin in der Ordensniederlassung Jotam

Maurus, Sir:

Ritter des „Ordens von den Elementen“ in der Niederlassung

Mertin, Sir:

Pagenmeister in der Ordensniederlassung Jotam

Method:

seancha in der Ordensniederlassung Enrik

Polykarp, Sir:

Kommandant der Ordensniederlassung

Thurid, Sir:

Ritter des „Ordens von den Elementen“ in der Niederlassung Jotam, Dienstherr und Ziehvater von Calan

Die Sieben Mönche

Brathair (Bruder):

doppelgeschlechtiger ansass

Jyoti (Licht):

weibliche ansass

Kola (Freund):

männlicher ansass

Laila (Nacht)

weiblicher ansass

Maisi (Schönheit):

weibliche ansass

Nercc (Krieger):

männlicher ansass

Nissi (Schutz):

männlicher ansass

Die Magier

Cameron, Sir

Magiersohn von Rell-Peras, Bruder von Luciano

Jolar tu-Jas-Joklas

ursass (Geistwesen), Magier, Großkönig von Glendalach

Master Luciano Da’Simh

Magiersohn von Rell-Peras, Bruder von Cameron

Rell-Peras

ursass (Geistwesen), Magier, Großmeister des „Ordens der Ritter von den Elementen“

Die Götter

Adalar

Gottheit des Windes

Catandra

Gottheit der Erde

Dilar

Gottheit des Wassers

Feular

Gottheit des Feuers

Melar

Gottheit der Metalle

Sonstige Personen

Candella:

Schwester von Cyrill, Komtess

Darja:

„Mutter“ von Calan, Gemahlin von Sir Thurid

Nistork:

Baron und Rebell

Sebald:

Abt eines Klosters in der Nähe der Ordensniederlassung

Side (Frieden):

Heiler und Mönch eines Klosters in der Nähe der Ordensniederlassung

Vasir Vatger:

Räuberhauptmann

Werfried:

Senner

Zeno:

Prior eines Klosters in der Nähe der Ordensniederlassung

Für meine Nichten

Träumerei ist der erste Flug auf dem Weg zur Unendlichkeit.

Käthe Braun-Prager

Die Prophezeiung

Die „Sieben Mönche“

Lange vergessen sind die Orte wo die „Sieben Mönche“ ruhn. Es bedarf der heilgen Worte, um die Verstecke aufzutun.

„Schutz“ kann sich nur befreien, wenn ein Opfer wird gegeben. Gewalt muss ER nicht verzeihen, gibt als Einsatz ER sein Leben.

„Licht“ kann nur hell erscheinen, wird das Rätsel ganz gelöst. In dem Feuer darf ER weinen, wenn ER inneres entblößt.

„Krieger“ kämpft nicht für sich allein; trägt die Maske eines andern, wird zum Schluss der Sieger sein, muss ER still durch‘s Dunkel wandern.

„Schönheit“ nur neu erblühen kann, kennt ER die richt‘ge Melodie. Einsamkeit ihn hinführt dann in Höhen der Fantasie.

„Freund“ den Fluch nur brechen kann, bringt die Klippe ihm den Tod. Er wird auferstehen dann, kommt sein Retter selbst in Not.

„Nacht“ erhält ein neues Leben, schafft ihr Wandler den Verzicht. Hunger muss ER selbst anstreben, obgleich die Tafel beinah‘ bricht.

„Bruder“ darf nur wiederkehren, wandelt eig‘nes Leiden ER. Not und Dunkel muss ER wehren, ist die Marter auch recht schwer.

Wenn erlöst sind alle sieben, wird zum Ritter erst der Knappe. Was bis hier aufgeschrieben ist nur die erste Etappe.

3. Kapitel: Das Wesen Calan

Am Tage meiner Geburt wurde ich, nur in ein Tuch gewickelt, vor der Haustür von Darja und deren Mann, Sir Thurid, abgelegt. Da das Ehepaar keine eigenen Kinder bekommen konnte, nahmen sie sich bereits seit vielen Sommern männlicher Waisen an. Diese Tatsache war weit und breit bekannt. Daher vermuteten sie, dass meine Mutter oder eine ihr nahestehende Person mich auf das kleine Gestüt gebracht hatte.

Normalerweise suchte der jeweilige Heiler der naheliegenden Niederlassung jeden Sommer11 mehrfach das vom Orden der Ritter von den Elementen aufgebaute Waisenhaus auf. Dort prüfte er mit der ihm verliehenen Gabe, welches Kind für eine Laufbahn im Orden vorgesehen war. Ganz einerlei, wie alt die von ihm ausgesuchten Kinder waren, nahm er sie mit sich.

Handelte es sich um Waisen, die weniger als sieben Sommer zählten, brachte er sie bei Familien unter, die von ihm handverlesen waren. Meist handelte es sich dabei um solche, denen keine eigenen Nachkommen geschenkt worden waren oder diese bereits recht früh verloren hatten. Dort wurden sie liebevoll aufgezogen, bis sie im Alter von sieben Sommern ihren Dienst als Pagen in der nahen Niederlassung antraten. Sie wohnten weiterhin bei ihren Zieheltern, bis sie mit vierzehn Sommern als Knappe von einem Ritter angenommen wurden. Von da an zogen sie in die Besitzung des Ordens. Da sie nun einem Dienstherrn verpflichtet waren, schliefen sie im gleichen Raum wie dieser. Solange der Ritter sich in der Heimatniederlassung aufhielt, stand es den Knappen frei, ihre Zieheltern, so ihr Dienst es zuließ, zu besuchen.

Waisen, die älter als sieben Sommer waren, zogen in ein sogenanntes Pagen- und Knappenhaus, welches innerhalb der Mauern der jeweiligen Niederlassung stand. Dort gab es den Pagenund den Knappenmeister. Diese Männer kümmerten sich um die Belange ihrer Anvertrauten. Meist verhielt es sich so, dass der Knappenmeister wenig zu tun hatte, da Knaben ab vierzehn Sommern recht schnell von Rittern in Dienst gestellt wurden. Daher half der Knappenmeister meist dem Pagenmeister, seine Aufgaben zu erfüllen. Bei mir verhielt es sich etwas anders.

*

In jener Nacht, als das Kind vor der Tür von Darjas und Sir Thurids Wohnhaus ausgesetzt worden war, träumte Darja, dass ihr ein besonderes Kind in die Arme gelegt wurde. Diesmal stand nicht der Heiler Aileam12 der nahegelegenen Niederlassung Jotam im Landesteil Urtiklet vor ihr, sondern ein in eine lilafarbene Kutte gekleideter Mönch. Ein Stück hinter diesem hielten sich weitere sechs ebenso gewandete Klosterbrüder auf.

„Ziehe dieses Kind als Knaben auf, Darja!“, befahl ihr eine weiblich klingende Stimme aus den Tiefen der Kapuze. „Du wirst feststellen, dass wir dir ein außergewöhnliches Wesen übergeben haben. Sein Name sei Calan, was in der Alten Sprache »Beginn« bedeutet. Calan soll dir und deinem Gemahl wie ein eigener Sohn sein! Lehre ihn mit seinen körperlichen und geistigen Besonderheiten umzugehen. Bereite ihn auf das Leben im Orden der Ritter von den Elementen vor. Er wird kein einfaches Leben haben, denn schon als Knappe wird er viel für die Zukunft Glendalachs bewirken.“

Obgleich Darja das Antlitz des Wesens vor sich nicht erkennen konnte, war sie der festen Überzeugung, ein Weib vor sich zu haben. Bestätigung fand sie, als sie die Hände, welche ihr den Knaben reichten, erblickte. Sie waren zartgliedrig und weich, wie diejenigen von Edelfrauen.

„Ich weiß nicht, wer Ihr seid, dennoch strahlt Ihr eine Aura der Macht aus, die mich nicht daran zweifeln lässt, dass Ihr mir ein wahrhaft wertvolles Geschenk macht“, entgegnete Darja und verneigte sich vor den seltsamen Mönchen. Erst dann nahm sie das schlafende Kind entgegen. „Ich werde Calan behüten und über ihn wachen, wie Ihr es mir befohlen habt.“

In diesem Augenblick erwachte das Kind in ihren Armen. Fast hätte Darja es fallen gelassen, denn aus der Decke kam ein Schnurren, als ob darin eine Katze läge. Verblüfft starrte das Weib in das Gesicht des Knirpses, der sie anlächelte.

„Ja, das ist eine der Besonderheiten dieses Geschöpfes“, bestätigte ihr das Wesen in der lila Kutte. „Er schnurrt nicht nur wie eine Katze, sondern wird auch viele ihrer Verhaltensweisen und Eigenschaften aufzeigen. Aber auch körperlich wirst du Merkmale an ihm feststellen, die so manche Mutter zumindest traurig stimmen würden. – Doch nun müssen wir gehen. Hüte das Kind wie einen wertvollen Schatz, Darja!“

Wie zum Segen legte sie eine Hand auf die Stirn des Kindes, dann sank sie vor ihm in eine Kniebeuge. Als sie sich umwandte, trat einer der anderen Mönche auf Darja zu und tat es seiner Vorgängerin gleich. Nacheinander segneten die Klosterbrüder das Kind und erwiesen ihm Ehre. Dann verschwanden sie, so plötzlich, wie sie erschienen waren.

Darja erwachte verwirrt und weckte ihren Gemahl. „Ich hatte einen seltsamen Traum, Thurid“, flüsterte sie.

„Er muss schon ganz besonders sein, dass du mich mitten in der Nacht weckst, Darja“, meinte ihr Gespons verschlafen, dennoch forderte er sie auf, ihm zu erzählen, was sie beschäftigte.

„Lass uns nachschauen, ob das Kind vor der Tür liegt, Thurid“, bat sein Weib ihn. Gemeinsam erhoben sie sich und gingen hinunter, um nachzusehen.

Auf der Türschwelle lag, eingehüllt in ein Laken, ein winziges Neugeborenes. Darja nahm es sofort hoch und blickte in zwei unterschiedlich gefärbte Pupillen. Die eine war himmelblau, die andere frühlingsgrün. Auf dem Kopf schimmerten fuchsfarbene Haare.

„Welch ungewöhnliches Kind“, wunderte das Weib sich und trug das Bündel in die Stube.

Thurid folgte ihr, nachdem er mit seiner eigens entzündeten Laterne kurz über den Hof geleuchtet hatte. Er wollte sich davon überzeugen, ob jemand in der Nähe war, der ihm Aufschluss über das kleine Wesen geben konnte.

„Seltsam“, murmelte er vor sich hin, während er die Haustür schloss, „dass die Hunde nicht angeschlagen haben.“

„Sieh nur, Thurid!“, machte sein Weib auf sich aufmerksam, woraufhin er zu ihr an den Tisch trat.

Darja hatte das niedliche Geschöpf mittlerweile ausgepackt und festgestellt, dass es nur eine Windel trug. „Die ist ja ganz nass. Das müssen wir ändern. – Thurid, tu mir die Lieb und hole mir mal meinen Wickelkorb!“

Ihr Gemahl konnte sich nur mit Mühe von dem Anblick des Knaben losreißen. Darja und er hatten schon einige Kinder in diesem Alter von dem seancha übergeben bekommen. Doch niemals zuvor hatte er eine solch innige Verbindung zu einem der Waisen wie zu Calan verspürt. Thurid kam in den Sinn, dass der Name »Beginn« bedeutet. Und wahrhaftig: Dieser kleine Mensch stellte für ihn den Beginn einer neuen Zeit dar.

„Träumst du vor dich hin oder hast du dich bereits in den Kleinen verliebt, mein Alter?“, riss seine Liebste ihn aus den Grübeleien. „Wenn er auch nicht schreit, so muss es für ihn doch unangenehm sein, in einer nassen Windel zu liegen. Würdest du dich bitte etwas beeilen?“

„Wollen wir ihn an Sohnesstatt annehmen?“, fragte Thurid übergangslos, während er den gewünschten Korb herbeiholte und ihn auf einem am Tisch stehenden Stuhl abstellte. Sein Blick versank regelrecht in den so unterschiedlich gefärbten Augen des Knirpses. Ein seliges Lächeln spielte um den Mund sowohl des Mannes als auch des Kindes.

„Du bist ja schon jetzt ganz vernarrt in den Buben!“, rief Darja erfreut aus. Auch sie hatte den Wicht bereits ins Herz geschlossen. Da sie selbst keine Kinder gebären konnte, freute sie sich, dass Ihr Gemahl darüber nachdachte, den Knaben als ihr Eigen anzuerkennen. Sollte dies wahr werden, würde er ihr den größten Wunsch mit seinem Vorschlag gewähren.

„Wir sollten darüber mit dem seancha reden“, schlug Thurid vor und blickte sein Gespons verliebt an.

Darja befreite das Kind gerade von dem durchweichten Tuch, warf ihrem Gatten aber schnell ein dankbares Lächeln zu. Niemals hätte sie Thurid zu solch einem Schritt aufgefordert. Seit Darja die Knaben für den Orden aufzog, war klar gewesen, dass sie die Kinder ab einem bestimmten Alter hergeben musste. Andererseits hatte sie noch niemals eine solch starke Liebe zu und eine so innige Verbundenheit mit einem der Knirpse empfunden.

„Lass uns gleich Morgen zu dem Heiler gehen und mit ihm über unser Anliegen reden“, schlug sie daher sogleich vor. Ein liebevoller Blick traf Thurid, ehe ihre Augen sich wieder dem zuwandten, was ihre Hände taten.

Gerade wollte sie die Windel unter dem Hintern des Kleinen wegziehen, da sah sie etwas, was sie noch nie geschaut hatte. Das Wickelkind hatte nicht nur die Geschlechtsteile eines Knaben, sondern auch die weibliche Scham. Erschrocken starrte sie auf das, was sich ihr da offenbarte.

„Thurid, ... sieh nur!“, brachte sie mit Bestürzung heraus und zeigte auf die Besonderheit, welche sich zwischen den Beinen des Kindes befand.

Ihr Gemahl, der bisher nur Augen für das Gesicht des ihn anlächelnden Fratzes gehabt hatte, betrachtete erstaunt und gleichzeitig verwirrt, was seinem Weib aufgefallen war. Zunächst machte ihn der Anblick sprachlos. Doch dann siegte seine Ausbildung als Ritter. „Kein Wunder, dass seine Sippe ihn nicht behalten wollte.“ Seine Feststellung war weder abwertend, noch beleidigend.

Die Zeit, welche Thurid benötigte, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, nutzte die praktisch veranlagte Darja dafür sich darüber klar zu werden, was sie wollte. „Jetzt verstehe ich, was mir die Mönche in meinem Traum sagen wollten, als sie das Kind ein außergewöhnliches Wesen nannten und von körperlichen und geistigen Besonderheiten sprachen. Calan braucht Eltern, die ihn so lieben, wie er nun einmal ist.“

Entschlossen trat sie zum Ofen, auf dem ständig ein Kessel mit warmem Wasser stand. Sie prüfte, ob die Flüssigkeit nicht zu heiß war, und kam, nachdem sie sie als angenehm empfunden hatte, mit dem Gefäß zum Tisch zurück. Während sie dem Knirps den Hintern abwusch, eincremte und ihn anschließend frisch windelte, blickte sie dem weiterhin schnurrenden und sie anlächelnden Kind in die Augen. Dann hatte sie sich endgültig entschieden.

„Thurid, zu welchem Entschluss du auch gelangst, ich werde Calan als meinen Sohn aufziehen! Und daran wird weder der Heiler noch sonst jemand etwas ändern. Selbst, wenn ich bis zum Großmeister gehen muss, um meinen Willen durchzusetzen, werde ich diesen Weg auf mich nehmen.“

Ihr Gemahl schüttelte den Kopf und lächelte sie an. Er nahm das Kind vom Tisch auf und legte es seinem ihn erstaunt ansehenden Weib in die Arme. „Ich glaube nicht, dass der seancha etwas dagegen haben wird, dass wir Calan an Kindesstatt annehmen. Zum einen hat nicht er uns den Knirps anvertraut, sondern Mächte, mit denen er sich keinesfalls anlegen wird. Zum anderen wurde uns in keinster Weise untersagt, ein Kind anzunehmen, solange wir uns weiterhin um die Knaben kümmern, die uns der Orden anbefiehlt.“ Thurid umarmte Darja, die ihn selig anlächelte.

Beiden kam es vor, als würde der Wicht nach dieser Kunde lauter schnurren, um ihnen damit seine Zustimmung mitzuteilen. Die Eheleute schüttelten lachend die Häupter und betrachteten ihren ungewöhnlichen Familienzuwachs liebevoll.

„Komm her, du großer Held!“, forderte Darja ihren Gatten auf, als er sie losließ, um sich auf den Weg zurück ins Bett zu begeben. „Willst du mir keinen Kuss geben?“

Thurid drehte sich zu seinem Gespons um und ließ seinen Blick wohlwollend über Weib und Kind gleiten. „Jetzt sind wir endlich eine richtige Familie. Allerdings werden wir uns wohl an manche Eigentümlichkeit gewöhnen müssen.“

Da er noch immer auf seinem Platz stehen blieb, ergriff Darja die Gelegenheit und schritt auf ihren Ritter zu. Da ihr Gemahl sie um gut einen Kopf überragte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen. Auf einem Arm den Knaben haltend, legte sie Thurid den anderen um den Nacken und zog sein Haupt zu sich herunter. Ehe er Einwände erheben konnte, verschloss sie ihm den Mund mit dem ihren.

Vorsichtig schlang er den Arm um sie und zog sie, darauf achtend, dass es dem kleinen Wesen nicht zu eng wurde, dichter an sich heran.

Als sie nach geraumer Zeit nun zu dritt das Bett aufsuchten, meinte Thurid: „An sein Schnurren werde ich mich erst noch gewöhnen müssen. Dabei dachte ich stets, dass Kinder eher wie ein Hahn krähen, wenn sie sich wonniglich fühlen.“

„Ganz einerlei, was ihn dazu bewegt den Wohlfühllaut einer Katze nachzuahmen, ich werde ihn nie mehr hergeben.“ Nach dieser Bestätigung blies sie die Kerze aus.

*

Im Laufe der Zeit sollten Darja und Thurid noch wesentlich mehr Merkmale einer Katze an mir feststellen. Ich war bereits als Kleinkind sehr vorsichtig mit Fremden und ließ mich nur von Menschen anfassen, die es wirklich gut mit mir meinten. Aber auch mein Hör-, Seh-, Tast- und Geruchsvermögen waren erheblich besser ausgebildet als das eines normalen Menschen. Außerdem genoss ich es, mich von meinen Eltern streicheln zu lassen. Andererseits wagte ich mich bis in die Wipfel hoher Bäume hinauf, die nur die Hofkatzen und die Eichhörnchen erklommen. Einzig mein Vermögen, so elegant wie die Miezen über Zäune oder schmale Balken zu balancieren, war nicht ganz so gut angelegt. Hierbei hatte ich stets das Gefühl, mir würde ein wichtiger Körperteil fehlen.

Stattdessen besaß ich zumindest eines bereits seit meiner Geburt zu viel. Dieser Umstand und auch mein katzenhaftes Verhalten sorgten dafür, dass meine Eltern mich schon früh darauf aufmerksam machten. Um meine körperliche Besonderheit geheim zu halten, erklärten sie mir, dass ich etwas Außergewöhnliches sei. Dieses Geheimnis musste ich unbedingt für mich behalten. Sie erklärten mir, dass mich jemand hänseln oder schmähen könnte, sollte er davon erfahren.

Aber auch ohne preiszugeben, welche Eigentümlichkeit sich in meiner Bruche verbarg, stellte ich fest, dass meine Sinne weitaus empfindlicher als diejenigen meiner Geschwister auf Zeit waren. Allein mein geschmeidiger Gang, die Gelenkigkeit meines Leibes und vor allem die unterschiedlichen Farben meiner Augen machten mich zum Außenseiter.

Deshalb fiel es kaum auf, wenn ich es vermied, mit den anderen Pagen im nahen See zu baden. Abgesehen davon, dass ich Wasser nur zum Trinken und Waschen nutzte, verspürte ich Angst vor dem nassen Element. Daher lernte ich erst spät, zu schwimmen. Um alle Gewässer, die tiefer als ein Rinnsal waren, machte ich als Kind einen weiten Bogen.

Hingegen liebte ich es, mich in engen dunklen Gängen herumzutreiben. Schmale Einlässe zogen mich regelrecht an. Kein Kellergewölbe, keine Höhle und keine halb verfallene Hütte waren vor meiner Neugierde sicher. Aber auch waghalsige Kletterpartien reizten mich bereits früh in meinem Leben. Ob Bäume oder Gebäude, nichts erschien mir unbezwingbar. Sogar die Türme der Niederlassung waren vor meinen Kletterkünsten keineswegs gefeit. Schon im Alter von sechs Sommern bestieg ich den ersten ohne die geringste Absicherung. Nicht nur meine Eltern sorgten sich, als sie davon erfuhren. Auch der Pagenmeister stand Ängste aus. Andererseits stieg mein Ansehen unter den Pagen, da sich niemand von ihnen traute, es mir nachzumachen. Selbst diejenigen, welche sich kurz davor befanden, in den Stand eines Knappen erhoben zu werden, winkten ab. Ärger bekam ich trotzdem, sowohl mit meinen Eltern als auch mit dem Pagenmeister. Unabhängig voneinander bestraften sie mich. Dennoch ließ ich nicht von meinen gewagten Kletterpartien ab. In mir gab es ein Drängen, das stärker als alle Vernunft schien, wenn ich dem nicht nachgeben konnte, wurde ich gereizt.

Da mein Verlangen keinesfalls dazu diente, mich bei den anderen Pagen beliebt zu machen, sah ich darüber hinweg, dass ich nur sehr wenige Spielkameraden hatte. Einen wahren Freund fand ich unter ihnen während meiner gesamten Pagenzeit nie. So wurde ich bereits recht früh zum Einzelgänger, der, sobald es meine Aufgaben erlaubten, sich allein herumtrieb. Erst mit dem Erreichen meines vierzehnten Sommers und dem damit verbundenen Eintritt in den Knappenstand kam mir diese Eigentümlichkeit zupass.