Die Mädchen aus meiner Klasse - Christine Brückner - E-Book

Die Mädchen aus meiner Klasse E-Book

Christine Brückner

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Beschreibung

In den Kreis von fünf Freundinnen, die vor vielen Jahren miteinander Abitur gemacht haben, bricht eine Außenseiterin ein: Dr. Karla Oeser, Expertin für Frauenfragen, Junggesellin. Karla provoziert, bringt die Freundinnen dazu, bisher gehütete Geheimnisse preiszugeben ...

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Die AutorinChristine Brückner (1921 - 1996) zählt zu den renommiertesten Schriftstellerinnen Deutschlands. Sie verfasste Romane, Erzählungen, Kommentare, Essays, Schauspiele, auch Jugend- und Bilderbücher. Besonders mit der Poenichen-Trilogie wurde sie einem großen Publikum bekannt.  Mehr über Christine Brückner erfahren Sie über die Stiftung Brückner-Kühner unter http://www.brueckner-kuehner.de/.

Das Buch

In den Kreis von fünf Freundinnen, die vor vielen Jahren miteinander Abitur gemacht haben, bricht eine Außenseiterin ein: Dr. Karla Oeser, Expertin für Frauenfragen, Junggesellin. Karla provoziert, bringt die Freundinnen dazu, bisher gehütete Geheimnisse preiszugeben ...

Christine Brückner

Die Mädchen aus meiner Klasse

Refinery by Ullsteinwww.ullteinbucherlage.de/verlage/refinery

Neuausgabe bei Refinery Refinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2017 (1)  © Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München 2001 © Ullstein Buchverlage GmbH & Co. KG, Berlin 1975 Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin  ISBN 978-3-96048-084-6  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Alle gehören sie dem Jahrgang 1933 an. Sie waren sechs Jahre alt, als der Krieg ausbrach. In den ersten Schuljahren haben sie mehr Stunden in Luftschutzkellern gesessen als auf der Schulbank. Sie waren elf Jahre alt, als der Krieg zuende war. Ihre Väter sind gefallen, vermißt, oder kamen spät aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Die Häuser und Wohnungen ihrer Eltern sind durch Luftangriffe zerstört worden.

1952 haben sie miteinander Abitur gemacht: Jutta, Marianne, Birgit, Karin und Sigrid. Sie haben Berufe erlernt oder von der Schulbank weg geheiratet, sie haben Kinder. Alle wohnen sie noch in derselben Stadt, in der sie miteinander zur Schule gegangen sind. Sie leben in guten Verhältnissen, wie man so sagt. Seit Jahren schon treffen sie sich einmal im Monat. Jetzt sind sie Ende dreißig. Sie haben schwere und gute Jahre hinter sich und vermutlich gute und schwere Jahre vor sich. Sie treffen sich reihum, trinken miteinander Kaffee, zeigen die neuesten Familienfotos, sprechen über Abmagerungskuren, neue Fußbodenbeläge, über Schulprobleme, Ferienerlebnisse, neue Bücher, selten über gemeinsame Schulerlebnisse.

Jutta Bachmann, verheiratete Morelli, ist blond. Als Schülerin trug sie einen dicken Zopf, jetzt schlägt sie das Haar mit einem Kamm ein: fraulich, sympathisch. Sie war die beste in der Klasse, studierte Philologie, wurde Referendarin, aber bevor sie noch ihren Assessor gemacht hatte, heiratete sie einen Zahnarzt, der wesentlich älter war als sie. Sie arbeitet in der Praxis mit. Vor einigen Jahren haben sie gebaut, ein Sohn.

Karin Sostmann, verheiratete Kümmerle, ist dunkel, lebhaft, im Turnunterricht stand sie immer an der Spitze ihrer Riege. Von Sexta an war sie die größte. Sie ist die einzige, die ihre Figur gehalten hat, mühelos, ohne sich zu kasteien. Sie ißt zwei und drei Stücke Torte an den Donnerstagnachmittagen. Ihr Mann ist Ingenieur. Eigentumswohnung, zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen.

Birgit Siggert ist die Jüngste von ihnen, sie ist 1934 geboren. Sie hat eine kurze, unglückliche Ehe hinter sich, über die nie gesprochen wird. Sie führt ihren Mädchennamen. Seit einigen Jahren leitet sie die Jugendbücherei der städtischen Bibliothek. Sie hat eine, inzwischen zwölfjährige, Tochter und lebt mit ihrer Mutter zusammen. Sie fährt einen VW.

Sigrid Buda, verheiratete Knophius, lebt nicht wie die anderen in guten Verhältnissen, sie ist auch nicht wohlhabend, sondern reich. Auch kinderreich! Auch wortreich! Außerdem ist sie heiter und hat Witz. Sie ist vielleicht ein wenig zu klein und ein wenig zu üppig, dafür aber elegant und charmant. Ein Haus am Stadtpark, drei Söhne, eine Tochter. Eine ständige Hausgehilfin, außerdem eine Putzfrau, ein Sportwagen.

Marianne Penitschka, verheiratete Gehl, ist weder dunkel noch blond, weder groß noch klein, weder reich noch arm. In der Schule gehörte sie weder zu den guten noch zu den schlechten Schülerinnen. In allem: weder noch. Ihr Mann ist Versicherungskaufmann, fährt einen Opel. Sie hat zwei Söhne, die zur Realschule gehen. Sie spielt hübsch Klavier, liest viel. Sie ist anhänglich, sie ist es, die diesen Kreis zusammenhält.

Die fünf Frauen kennen sich gut. Jede von ihnen würde ohne Zögern sagen: ich kenne doch unsere Sigrid! Ihr wollt mir doch nichts Neues von Birgit erzählen!

Bis dann an einem Donnerstag Karla dazukam.

Alle lieben sie ihre Zusammenkünfte. Sie möchten sie nicht missen. Diesen einen Nachmittag im Monat halten sie sich immer frei. Natürlich wird geklatscht. Warum auch nicht? Klatsch ist gut für die Gesundheit der Seele, sagen die Psychologen.

An jenem Donnerstag im Mai trafen sie sich bei Marianne. Der Nachmittag wäre heiter und harmonisch verlaufen wie so viele vorher, wenn nicht Karla aufgetaucht wäre. Dr. Karla Oeser. Keiner hat sie in den sechzehn Jahren, die seit dem Abitur vergangen sind, wiedergesehen, keine hat je einen Brief von ihr bekommen. Sie wissen, daß Karla Journalistin geworden ist, sie haben ihren Namen manchmal in der Zeitung gelesen. Birgit hatte sie zufällig auf der Treppe, die zum Lesesaal der Bibliothek führt, getroffen. Sie war zu einer Tagung in ihre Vaterstadt gekommen, von der sie nichts mehr wissen wollte, aber: sie hatte eingewilligt, am Donnerstagnachmittag bei Marianne zu erscheinen.

Sie ließ auf sich warten. Die anderen saßen längst bei Sachertorte. Mariannes Spezialität. Sigrid hat gerade erklärt, daß sie Hunger leiden müsse, wie eine Hindufrau. Vor einer leeren Reisschale sei das schlimm, aber vor einem Teller mit Sachertorte zu hungern, das sei auch schlimm. Da schellt es.

Karla war kein hübsches Kind gewesen und auch jetzt ist sie nicht hübsch, aber: apart, attraktiv. Ihre Eleganz wirkt salopp, fast schlampig.

Sie blieb an der Tür stehen. »Die Mädchen aus meiner Klasse!« sagte sie, »beim Kaffeekränzchen wie Anno 1904. Ah –! Das tut wohl, Ihr glaubt gar nicht wie beruhigend das ist, wenn man gerade von einem Kongreß über Frauenfragen kommt. Jutta mit dem blonden Zopf. Gut steht dir die Frisur! Du siehst aus, als hättest du drei Kinder und alle spielten sie Flöte!«

Jutta kam nicht dazu, die Zahl auf ›zwei‹ zu korrigieren. Karla begrüßte bereits die Nächste. »Karin Sostmann, du liebe Zeit, hat dir je einer gesagt, daß du aussiehst wie die Hepburn? Wie hieß doch der Film – spielt in Paris, ihr wißt schon, mit dem Cello. Hübsch sind die Ohrringe, das ist Jade, stimmt’s? Genau die Farbe deiner Augen! – Sigrid! Ist das wirklich unsere Sigrid Buda: Phantastisch! Wen hast du geheiratet? Das schafft eine Frau aus eigener Kraft doch nie. Behängt mit Gold und Silber. Entschuldige! Platin, das wird kein Silber sein oder Weißgold? Armbänder und Ringe – die Jagdbeute der Frauen, seit tausend Jahren! Präsente zur Wiedergutmachung! Kein Widerspruch, Sigrid! Ich freue mich, daß es dir so gut geht. Faltenlos und makellos von Kopf bis Fuß. Sieh mich an! Mich hat das Leben ramponiert! Entschuldige, Marianne, ich trinke entsetzlich viel Kaffee.« Sie schob bereits die zweite Zigarette in eine lange Ebenholzspitze. »Allüren! Ich brauche einfach in meinem Beruf Allüren. Man muß auffallen. Man muß überall dabei sein. Ich verdiene glänzend, aber wo bleibt’s? Es zerrinnt mir unter den Händen. Bei euch sieht man doch wenigstens, daß ihr es zu was gebracht habt. Wie ihr da in euren Sesseln sitzt: Ihr habt’s geschafft! Die kleine schüchterne Birgit leitet eine Jugendbücherei! Und ich stehe da mit meinen schönen Theorien von der gleichberechtigten, selbständigen, berufstätigen Frau. Heiraten muß man! Einen Mann muß man haben, der einem goldene Armbänder schenkt. Die Geschichte eurer Schmuckstücke möchte ich kennen! Mein einziges Vermögen sind Erinnerungen. Ich habe Erinnerungs-Vermögen. Ich sammle Erinnerungen wie andere – was weiß ich, was ihr sammelt. Schmuckstücke wie es scheint. Ich bin auf Glück aus, auch auf Erfolg, aber zuerst mal auf Glück. Ihr müßt mir erzählen, was mit euch los ist. Immer noch in dieser Stadt! Wie kann man bloß hier leben? Ihr seid mir ein Rätsel.«

Die Fünf haben längst die Kuchengabeln hingelegt, sie machen keinen Versuch mehr, die Zwischenfragen zu beantworten. Karla war in diesen harmonischen Kreis mit solcher Heftigkeit eingebrochen, daß sie ihn in wenigen Minuten aufbrach.

Sie attackierte jede einzelne, vor allem aber Sigrid, und die nimmt den Fehdehandschuh auf. Noch während Karla sprach, fing sie an, ihren Schmuck abzulegen. Sie öffnete das Sicherheitskettchen ihrer zierlichen brillantbesetzten Armbanduhr, zog einen Ring vom Finger, legte ihn zu der Uhr.

Die erste Atempause, die Karla machte, nutzte sie und fragte: »Wie hast du das genannt?« Sigrid wandte sich direkt an Karla, beugte sich über den Tisch. Sie ist immer geradezu, aber nie unliebenswürdig. »Jagdbeute einer Frau? Sagtest du Jagdbeute? Du hast mich gemeint, natürlich hast du mich gemeint. Ich liebe Schmuck! Es sind die Trophäen, die ich im Laufe meiner Ehe eingebracht habe, ganz recht! Jetzt will ich dir mal etwas erzählen. Von einer Ehe scheinst du nämlich nicht viel Ahnung zu haben, auch wenn du Expertin für Frauenfragen bist.«

Sie wandte sich an die anderen: »Ihr könnt ruhig alle zuhören und erfahren, wie es der armen reichen Sigrid in ihrer Ehe ergangen ist. Das meint ihr doch: Sie hat alles, was eine Frau sich nur wünschen kann. Sie sieht gut aus, das weiß ich selbst, daß ich gut aussehe. Ich habe fünf bis sechs Pfund zuviel, aber die sitzen an der richtigen Stelle. Ich habe soviel Geld, daß ich mich elegant anziehen kann. Ich habe Geschmack, schließlich war ich mal eine Weile Mannequin, da muß ich das ja gelernt haben. Wenn ihr widersprechen wollt, tut das ruhig! Ich habe mich gut verheiratet. Mein Mann hat Erfolg, er ist angesehen. Wir haben vier Kinder, die normal begabt, gesund und leidlich wohlerzogen sind. Wir haben ein Haus am Stadtpark, das in Illustrierten abgebildet wird, einen großen Garten, ein Areal! Ich fahre einen Sportwagen. Was noch? Eine Hilfe im Haus habe ich auch. Und wenn ihr es wissen wollt, ich bin sehr zufrieden! Ich lebe gern so, wie ich lebe! – Und was diesen Christbaumschmuck angeht« – sie versuchte das Schloß der Perlenkette zu öffnen, »hilf mir doch mal!« sagte sie zu Birgit, »ich kriege das Ding nicht auf!«

Die liebenswürdige Sigrid hatte einen neuen, aggressiven Ton in der Stimme, der jeden Einspruch im Keim erstickte.

Karla hatte sich in den Sessel zurückgelehnt, zufrieden, daß sie so erfolgreich ihren Köder ausgelegt hatte.

Sigrid öffnete das breite goldene Armband, legte es zu der Perlenkette, schraubte die Ohrringe einen nach dem anderen auf und tat sie dazu, schob Kaffeetasse und Zuckerdose beiseite, streifte den Ring mit dem Saphir ab, häufte alles vor sich auf und sah ihre Schulfreundinnen eine nach der anderen an: »Nun, wie gefällt euch die demontierte Sigrid? Besser?«

»Nein!« sagte Jutta. »Zu dir gehört einfach Reichtum. Ich glaube nicht, daß man es nur gewöhnt ist. Es paßt zu dir.«

»Sag es nur ehrlich! Ohne Schmuck sehe ich aus wie ein Christbaum zu Maria Lichtmeß! Ich brauche Ausstattung. Ich bin landläufig hübsch, aber auch nicht mehr. Die Attraktionen hat Mutter Natur an andere vergeben. Bei mir ist das meiste Kosmetik, Garderobe, Schmuck.

Erinnerst du dich, Karla? Ich war ein armes Mädchen, aus gutem Hause. Als ich meinen Mann geheiratet habe, war ich arm wie Aschenputtel, na, sagen wir wie die Schwestern von Aschenputtel. Ein paar hübsche Kleider hatte ich, die ich wirkungsvoll spazierentragen konnte.

Habe ich eben gesagt: als ich meinen Mann geheiratet habe?« erkundigte sie sich. »Schon falsch! Ich gedenke euch nämlich jetzt die Wahrheit zu sagen. Er hat mich geheiratet. Das ist ein Unterschied, ihr anderen werdet das wissen. Er wollte mich haben, und ich hatte nichts dagegen. Genauso war es. Mir war kurz vorher eine Liebesgeschichte schief gegangen. Herbert war gelernter Kaufmann, aber er war noch ziemlich unten auf der Leiter, obwohl er schon damals gut verdiente. Er hat alles aus eigener Kraft geschafft. Nichts erheiratet und nichts ererbt. Darauf war er stolz, das ist er heute noch. Jetzt ist er ziemlich weit oben. Leitender Direktor. Ich bin einer der Beweise dafür, wahrscheinlich der auffälligste, daß er es geschafft hat. Ich trage seinen Erfolg zur Schau. Ich kaufe im besten Delikatessengeschäft ein, ich fahre einen auffälligen Wagen, ich bin im Golf-Klub; wir geben Parties, bei denen sich die prominenten Gäste drängeln. Das gehört alles dazu. Auch diese Trophäen, Karla! Ich habe das meine dazu getan, oder auch nicht getan, – das wirst du gleich sehen.«

Marianne unterbrach sie: »Sigrid! Bist du sicher, daß du uns das erzählen willst?«

»Ich bin todsicher!«

»Gut!« sagte Marianne und stand auf. »Dann hole ich uns was zu trinken. Sekt? Kognak? Was wollt ihr?«

Sie entschieden sich für Sekt. Marinne plagte sich mit dem Verschluß. Karla nahm ihr die Flasche ab. »Daran erkennt man mal wieder die Ehefrauen! Sie sind so unselbständig, daß sie nicht mal eine Sektflasche öffnen können.« Sie löste geschickt den Draht, lockerte den Pfropfen. Es gab den vorschriftsmäßigen Knall, nicht zu laut, nicht zu leise. Sie füllte die Gläser; Marianne räumte das Kaffeegeschirr weg.

Sigrid wartete ungeduldig. »Seid ihr soweit?« Sie hob das Glas. »Prost auf die Trophäen! Welche Geschichte wollt ihr zuerst hören? Die von dem Armband? Die von dem Saphir? – Wartet! Ich weiß, in welcher Reihenfolge Herbert sie mir geschenkt hat.« Sie sortierte die Schmuckstücke. »Die Perlenkette zuerst. Ich hatte sie mir schon lange gewünscht. Ich besaß eine imitierte, die ich viel getragen habe, aber ich kann mir Modeschmuck nicht leisten, er sieht bei mir unecht aus, billig.

Wir hatten noch die Etagenwohnung, ich glaube, da seid ihr nie gewesen. Drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon. Wißt ihr, daß ich im Anfang unserer Ehe Adressen geschrieben habe? Herbert wollte nicht, daß ich mit in der Firma arbeitete. Das mache einen schlechten Eindruck, sagte er. Noch weniger durfte ich als Mannequin weitermachen. Gegen das Adressenschreiben hatte er nichts. Ich behielt das Geld für mich und kaufte mir ab und zu ein Kleid. Herbert war in der Importabteilung. Er war meist die Woche über nicht zu Hause. Zum Schreiben kam er nicht. Er ist kein Briefschreiber. Aber er hat nie vergessen, mir im Lauf der Woche ein Telegramm zu schicken. Meist stand darin ›Ich liebe dich!‹. Vermutlich hat sich das Fräulein am Telegrafenamt darüber amüsiert. Mir war das zur Gewohnheit geworden, manchmal habe ich es nicht einmal gleich geöffnet.

Ich erwartete ein Kind. Das erste. Ich war schon im siebten Monat und vermutlich keine sehr angenehme Ehefrau, wenn mein Mann zum Wochenende nach Hause kam. Er war sehr besorgt, brachte mir meist eine Überraschung mit, tröstete mich über mein Aussehen. Mir stand die Schwangerschaft nicht. Manche Frauen sehen auch im neunten Monat noch ganz nett aus. Ich bin zu klein. Ich litt auch an Depressionen. Ich war zuviel allein.

Eines Nachmittags, es war Samstag, ich erwartete meinen Mann im Lauf des Abends zurück, freie Wochenenden gab es da noch nicht, da ruft mich jemand an. Nicht Herbert. Eine Frau. ›Wissen Sie, daß Ihr Mann Sie betrügt?‹ Nichts weiter. Dann wurde aufgelegt. Das wiederholte sich an drei Samstagnachmittagen. Einmal hieß es: ›Ihr Mann hat eine Geliebte.‹ Das andere Mal weiß ich nicht mehr. Ich fing an, Herbert zu beobachten. Ich sagte ihm nichts von den anonymen Anrufen. Er brachte mir kandierte Früchte mit, brachte mir ein Bettjäckchen für die Klinik mit, hellblau mit Fellbesatz. Er war freundlich und zärtlich, ich merkte keinen Unterschied. Ich benahm mich abweisend; ich mochte nicht einmal, daß er mich küßte, das lag an meinem Zustand. Nicht an meiner Eifersucht! Inzwischen dachte ich, eine frühere Freundin von ihm mache sich einen üblen Scherz mit mir. Irrtum! Ganz großer Irrtum! An einem Sonnabend kam er erst nachts um elf Uhr nach Hause. Ich hatte kein Telegramm in jener Woche bekommen, keinen Brief, auch keinen Anruf, selbst der anonyme, auf den ich bereits wartete, blieb aus. Er hatte etwas getrunken. Er leide sonst sehr unter Nüchternheit, behauptet er. Ich lag schon im Bett. Ich machte das Licht nicht an. Ich hatte damals immer Angst, er fände mein Gesicht abstoßend. Das Licht unseres Nachttischlämpchens war so grell. Er zog nicht mal den Mantel aus. Er kam ins Schlafzimmer gestürzt, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und legte aus drei Meter Entfernung ein Geständnis ab. Er hätte eine Freundin. Gehabt – er wiederholte immer wieder: gehabt. ›Glaub mir, es ist vorbei! Ich habe Schluß gemacht. Ich liebe dich, Siggi, ich liebe dich doch! Ich bin ein Schuft, ich bin es nicht wert, daß du mich liebst. ‹ Er sagte immer wieder, daß es keine Entschuldigung für ihn gäbe, daß er es selbst nicht begreifen könnte. Er sei einfach abends in den Hotels so allein; im gleichen Atemzug sagte er: du bist hier auch allein, ich weiß. Er wollte es nicht mal beschönigen.

Er hatte mir die Perlen mitgebracht. Doppelreihig, mit diesem rosa Schimmer, wie ich sie mir gewünscht hatte. Er hatte dafür einen Kredit aufgenommen. Er war überzeugt, daß ich ihn verlassen würde, sobald ich von seiner Untreue erführe. Aber verschweigen konnte er es mir nicht. Er ist grundehrlich. Bis zur Unbarmherzigkeit. Ehrlichkeit kommt mir immer sehr brutal vor, auch egoistisch, aber das ist ein anderes Kapitel.« Sigrid hielt die Perlenkette hoch, damit alle sie betrachten konnten.

»Am späten Vormittag, nach jenem Samstag, setzten die Wehen ein. Er brachte mich in die Klinik. Er war aufgeregter als ich. Er muß sich dort wie der erste Vater aufgeführt haben! Er hat wohl wirklich geglaubt, ich würde sterben, und das sei dann seine Schuld. Unter diesen Umständen wurde Tommy, der Stammhalter, geboren. Zwischendurch habe ich immer gedacht: du mußt nachdenken! Du mußt überlegen, was du jetzt tun sollst. Du mußt Konsequenzen ziehen.

In Wahrheit mußte ich gar keine Konsequenzen ziehen. Ich mußte mich überhaupt nicht entscheiden. Ich hatte gar keine Wahl. Ich glaubte, das käme häufiger vor, daß ein Mann seine Frau betrügt, wenn sie in andren Umständen ist, die meisten erführen es nur nicht. Ich verzieh ihm. Mir war nach nichts anderm zumute als nach Verzeihen! Ich lag in der Klinik, bekam Blumen und Besuche. Ich fand mich wieder etwas hübscher, zog das Bettjäckchen an, das er mir geschenkt hatte, und: ich trug seine Perlen. Alle hielten sie für ein Geschenk zur Geburt des Sohnes. Ich entschloß mich, das auch zu tun.«

Sigrid schloß die Kette im Nacken. »Der Sohn, die hübsche junge Frau, die er verwöhnte, das trug nicht wenig zu seinem Ansehen bei. Auch sein Chef machte einen Besuch in der Klinik, und dort eröffnete er meinem Mann, daß er ihn zum Abteilungsleiter befördern wolle. ›Jetzt, wo Sie Familienvater sind!‹ dabei schlug er ihm jovial auf die Schulter. So geht das zu, Karla, genau so! Das kann man doch gar nicht trennen: hier Beruf und da Familie. Mein Mann war noch eine Weile zerknirscht, aber im Grunde war er natürlich erleichtert und nur noch verliebt in seinen Sohn. Er ging geschickter mit ihm um als ich, er badete ihn, windelte ihn.

Ich hatte nicht viel Zeit, über Ulla nachzudenken. Ulla hieß sie, sie war weit weg. Die Beförderung meines Mannes, der kleine Tommy, das lenkte mich alles ab. Die Entbindung hatte sowieso zur Folge, daß das Eheleben – ach, ihr wißt schon! Bis ich wieder soweit war, lagen Wochen dazwischen. Es war nicht vergessen, aber: es war vorüber.«

Sigrid legte eine Pause ein. »Das waren die Perlen. Perlen bedeuten Tränen, sagt man nicht so? Ich habe übrigens nicht geweint. – Oh – jetzt lüge ich! Bei der Entbindung habe ich geweint. Ob vor Schmerzen oder vor Kummer oder vor Ratlosigkeit, das weiß ich bis heute nicht. Ich weiß auch nicht, ob er dieser Ulla auch ein Geschenk gemacht hat. Kleinlich ist er nicht. Ich weiß nicht, ob ich beim erstenmal schon so gedacht habe, aber beim zweitenmal bestimmt: für die Andere, für die Freundin, die Geliebte, für die ist es viel schlimmer.

Wirklich schlimm war erst die Zweite. Was ich für einmalig gehalten hatte, passierte ein zweites Mal! Obwohl Herbert geschworen hatte, daß es nie wieder vorkommen würde. Hoch und heilig. Was zweimal passieren kann, kann immer wieder passieren. Das gehört zu meinen ureigensten Lebenserfahrungen. Sie sind allgemeingültig, nehme ich an. Oder bist du anderer Meinung, Karla? Junggesellinnen denken darüber vielleicht anders.«

Karla nahm keine Stellung, blies Ringe in die Luft und sagte lediglich: »Ich höre zu!«

»Als Tommy zwei Jahre alt war, haben wir gebaut. Herbert hatte nicht viel Zeit, sich um den Bau zu kümmern. Ich suchte die Kacheln für die Badezimmer aus, ich sprach mit dem Architekten, dem Bauführer, telefonierte, fuhr jeden Tag mit dem Bus zur Baustelle. Mein Mann versicherte mehrmals: Es ist gar nicht mein Haus, es ist nicht mal unser Haus, eigentlich ist es dein Haus! Er ließ mir freie Hand. Ich war so richtig in meinem Element. Bei mir muß es rundgehn! Am liebsten würde ich alle drei Jahre – na, sagen wir alle vier Jahre ein Haus bauen! Anstrengend war es natürlich trotzdem und Ärger gab es auch.

Ich hatte meinen lieben Mann wohl etwas aus den Augen verloren. Diesmal hieß die Freundin Sylvia und war seine Sekretärin. Das Leben ist überhaupt nicht originell. Eines Tages wollte ich Herbert in der Firma abholen. Ich hatte ihm nicht Bescheid gesagt. Sein Vorzimmer war leer. In flagranti! Wie in einem Schmierentheater! Er hatte sie auf dem Schoß! Er sagte: Tut mir leid! – Ich weiß nicht mal, zu wem er das sagte, wahrscheinlich tat es ihm wirklich leid für beide. Sie sah gut aus, war tüchtig. Er konnte sich auf sie verlassen. Sie konzentrierte sich ganz auf ihn und die Firma, wußte besser als ich, was er wann gern ißt und trinkt und raucht. Diese hundert Kleinigkeiten, wenn man täglich neun und mehr Stunden zusammen verbringt. Man kann es in jedem Ratgeber nachlesen, daß die Sekretärinnen den Ehefrauen haushoch überlegen sind. Tagsüber zumindest. Wochentags! Ihre Wochenenden möchte ich nicht haben!