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Schon allein der Titel "Die schöne Unbekannte" lädt sofort zum schmökern ein. Wer ist die geheimnisvolle Fremde, welche Graf Günter Nordau in diesem Werk der Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahlers bereits bei ihrem ersten Anblick den Kopf verdreht? Licht ins Dunkel bringt erst eine Erbschaft, verknüpft mit einer besonderen Auflage im Testament...-
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Seitenzahl: 170
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Die schöne Unbekannte
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1926, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950199
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Der Nizzaer Karneval war vorüber. Die Strassen waren von dem bunten Konfetti gereinigt worden, und die Blumenfeste sollten beginnen. Schon im Karneval hatten deren einige stattgefunden, gewissermassen als Vorläufer, allein sie waren noch ein wenig kümmerlich ausgefallen, ohne den Glanz vollerblühter, südlicher Blumenpracht.
Auf der mit scharlachrotem Tuch bekleideten, auf der Mitte der Korsobahn belegenen Tribüne hatte eine freudig erregte Menge Platz genommen. Die Damen waren fast alle in die neuesten, duftigsten Frühjahrstoiletten gekleidet und wirkten darin selbst wie mehr oder minder schöne grosse Wunderblumen. Auch die Herren bevorzugten lichte Kleidung, um nicht als Schatten in dem farbenfreudigen Bild zu erscheinen. Überall sah man die flachen, mit Blumen gefüllten Körbe, ohne die ein Blumenfest in Nizza undenkbar ist.
Endlich ertönten vom Jardin Public her, von dort, wo der gläserne Pavillon des Jeténkasinos ins Meer hineinragt, die Klänge des Musikkorps, das den Zug der blumengeschmückten Wagen anführt. Unbeschreiblich, sinnverwirrend schön war der Anblick dieser geschmückten Wagen, die langsam hintereinander herrollten.
Auf einem Balkon eines der vornehmsten Hotels stand eine schlanke, junge Dame, in ein duftiges, aber schlichtes, weisses Kleid gehüllt, hinter dem Sessel, in dem eine weisshaarige Greisin mit einem müden, fahlen Gesicht Platz genommen hatte.
„Wie schön — wie wundervoll! “ rief die junge Dame entzückt und schaute wie gebannt auf den farbenprächtigen Zug herab.
Mit teilnahmslosen, starren Augen sah die Greisin hernieder.
„Ist es so schön, Fräulein Hardy?“ fragte sie mit ihrem gebrochenen, heiseren Organ. „Ich weiss nicht mehr, ob es schön ist. Zu oft habe ich es schon gesehen. Alle Jahre das gleiche. Ich habe mich müde daran gesehen, wie am ganzen Leben.“
Mitleidsvoll blickten die jungen, tiefblauen Augen auf die alte Dame herab.
„O, wie bedaute ich Sie, Frau Gräfin, dass Sie diese Schönheit nicht mehr empfinden. Auf mich wirkt sie wie ein herrliches Wunder.“
„Wohl Ihnen, Kind. All meinen Reichtum gäbe ich willig für Ihre genussfrohe Aufnahmefähigkeit, für Ihre Jugend. Ich tauschte sofort mit Ihnen.“
Hardy von Rosen schauerte leicht im warmen Sonnenlicht zusammen. Nein — wenn sie auch nur die arme Gesellschafterin dieser reichen, vornehmen Dame war, um keinen Preis hätte sie mit ihr tauschen mögen. Sie atmete tief auf. Leuchtend flogen ihre schönen Augen wieder hinunter zu den geschmückten Wagen, nach der lebensfrohen, jauchzenden Menge.
Die Autos, die mit edeln Pferden bespannten Equipagen verschwanden fast unter der Blütenfülle. Die Herren und Damen in diesen Wagen beteiligten sich sitzend oder stehend an der fröhlichen Blumenschlacht. Sie warfen duftende Grüsse in die Menge und fingen wieder solche auf. Und manch heisser Blick, manch verstohlenes Lächeln flog zwischen den Blumen herüber und hinüber.
In einem sehr apart geschmückten Wagen, dessen Dekoration aus geschmackvoll angeordneten Narzissen und Veilchen bestand, sassen zwei Herren, sehr vornehme, aristokratische Erscheinungen, etwa in der Mitte der Dreissig. Beide hatten glattrasierte Gesichter, deren charakteristische Linien nicht durch einen Bart verhüllt wurden. Es waren zwei kraftvolle, sehnige Gestalten, mit tiefgebräunten, fast bronzefarbenen Gesichtern, an denen manches Frauenauge wohlgefällig haften blieb.
Das frische, frohe Wesen der beiden Herren verriet nichts von müder Blasiertheit. Mit fast jungenhaftem Eifer beteiligten sie sich vielmehr an der Blumenschlacht.
Und jetzt erblickte der eine der Herren dort oben auf dem Balkon die reizende Hardy von Rosen, deren liebliches Gesicht selbst wie eine Rose blühte, und deren tiefblaue Augen wie glücksuchend auf das frohe Treiben zu ihren Füssen niederblickten. Im selben Moment tauchten die beiden jungen Augenpaare ineinander und blieben wie gebannt eine Weile aneinander hängen.
Ein Aufleuchten in dem Antlitz des jungen Mannes bewies sein Entzücken über die reizende Erscheinung. Dann griff er in den Blumenkorb neben ihm. Seine Gestalt reckte sich, und sicher gezielt flog ein Rosenstrauss, über den Kopf der Greisin hinweg, der jungen Dame an die Brust. Sie fasste danach wie im Traum und konnte ihre Augen nicht von den seinen lösen, trotzdem sie unter seinem Blick erglühte. Mechanisch steckte sie die Rosen, die er ihr zugeworfen hatte, in den Gürtel; sie tat es willenlos, wie bezwungen durch eine magische Gewalt.
Und hell leuchteten die Männeraugen auf. Er verneigte sich, ehrerbietig dankend für diese Auszeichnung. Und seine Blicke liessen nicht von ihr, bis ihn sein Begleiter anrief und ihn auf etwas jenseits der Strasse aufmerksam machte.
Fast widerwillig wandte er sich einen Moment von ihr ab. Aber sogleich kehrten seine Augen zurück zu dem lieblichen, süssen Mädchenbild auf dem Balkon. Noch einmal fasste er in den Korb, berührte mit seinen Lippen einen Rosenstrauss und warf auch diesen der jungen Dame wieder zu.
Hardy von Rosen fing ihn auf und erglühte noch viel tiefer. Ihre Hand zitterte leise, und ihre tiefblauen Augen erschienen in der Erregung fast schwarz. In den Mienen dieser beiden jungen Menschen lag ein Ausdruck, der verriet, dass die flüchtige Luft dieser Stunde jäh von einem schicksalsschweren Ernst abgelöst wurde.
Aber das bunte Treiben da unten wollte keinen Ernst gelten lassen. Einige Herren Hatten jetzt ebenfalls die reizende junge Dame da oben entdeckt. Zahlreiche duftende Wurfgeschosse suchten sie als Ziel, als Huldigung ihrer Jugend und Schönheit. Hardy merkte es kaum. Sie achtete gar nicht einmal auf alle, diese ihr dargebrachten spontanen Huldigungen. Sie hielt den zweiten Strauss des jungen Fremden, den er mit den Lippen berührt, krampfhaft fest in ihrer bebenden Hand, und ihr junges Herz klopfte gegen den ersten Strauss, den er ihr heraufgeworfen hatte, und der in ihrem Gürtel steckte. Ihre Augen folgten ihm, gebannt durch seinen Blick, der nicht von ihr liess.
„Es ist ein Traum — ein wonniger Blütenrraum — etwas, das ich nie mehr erleben werde, und das verwelken wird, wie diese Blüten — weil es schön und vergänglich ist, wie sie,“ dachte sie und seufzte tief auf.
Nun war sein Wagen schon weit entfernt, sie konnte sein Gesicht nicht mehr erkennen. Aber er winkte noch einen Gruss zurück, und sie neigte leise das Haupt. Zwei Menschen grüssten sich so, deren Schicksalsfäden durch diese flüchtige Begegnung so stark miteinander verwoben wurden, dass sie sich nie mehr entwirren konnten.
„Da fuhr das Glück an mir vorbei — es lässt sich nicht halten,“ dachte Hardy traumverloren.
Die Blumengrüsse, die zu dem schönen Mädchen emporflogen, mehrten sich immer noch.
Da machte die Greisin eine abwehrende Bewegung.
„Mir scheint, man will mich hier ganz begraben unter den Blumen, die Ihrer Schönheit gelten, Fräulein Hardy. Ich komme mir vor wie eine Dissonanz in dieser Blütenpracht. Es ist doch immer dasselbe — ein närrisches Schauspiel. Ich habe genug davon,“ sagte sie und erhob sich.
Hardy reichte ihr, aufschreckend aus ihrem Traum, den Arm.
„Ich führe Sie hinein, Frau Gräfin.“
„Nein, nein, bleiben Sie ruhig, so lange es Ihnen gefällt. Vielleicht sehen Sie das nie wieder. Ich lege mich inzwischen ein wenig nieder. Ich habe wieder Schmerzen.“
„Dann will ich doch bei Ihnen bleiben und Ihnen Kompressen machen, das schafft Ihnen immer Erleichterung.“
„Sie brauchen nur meine Kammerfrau zu rufen. Die kann mir Kompressen machen. Sie hat dies Treiben schon oft gesehen. An die zwanzigmal ist sie mit mir hier in Nizza gewesen. Sie sollen das Schauspiel bis zum Schluss geniessen.“
„Sie sind so sehr gütig, Frau Gräfin,“ sagte Hardy und führte sorglich die alte Dame hinein.
„Ich muss Ihnen doch das Leben an der Seite einer mürrischen, kranken, alten Frau leidlich erträglich machen, sonst laufen Sie mir davon. Und ich möchte mich nicht noch einmal an eine andre Gesellschafterin gewöhnen müssen.“
Hardy küsste der Gräfin Herdern die Hand.
„Ich habe es doch so gut bei Ihnen, Frau Gräfin.“
Mit einem müden Lächeln sank diese in einen Sessel.
„Sie sind ein sehr bescheidenes Gemüt, liebes Kind. Nun klingeln Sie meiner Kammerfrau, und dann gehen Sie wieder hinaus.“
Hardy klingelte und wartete, bis sie ihre Herrin in der Obhut ihrer Kammerfrau wusste. Dann kehrte sie auf den Balkon zurück.
Ihre Augen folgten auch jetzt noch dem bunten Treiben da unten mit warmen Interesse. Aber ihr Herz war nicht mehr dabei. Das flog dem fremden Manne nach, dessen Blumen sie im Gürtel trug.
Die herrlichsten geschmückten Wagen zogen unten vorüber. Soeben passierte der Wagen einer bekannten russischen Fürstin, deren Extravaganz viel von sich reden machte. Sie sass zwischen lichtblauen Levkoien in einem Kleid und einem Hute, der genau in den Farben dazu passte. Selbst die Räder ihres Wagens, waren mit diesen Blumen so dicht umwunden, dass man sie nicht mehr sah.
Diesem Wagen folgte der eines italienischen Prinzen, dessen gelbliches, kleines Gesicht kaum über die langstieligen Lilien hinausragte, die seinen Wagen schmückten. Eine gefeierte Künstlerin, deren Schönheit auf der Bühne nicht weniger wirkte als ihre Kunst, folgte in einer Woge von rosa Nelken. Im nächsten Wagen, der wie eine Laube aus Margueriten gebildet war, sassen zwei junge, bekannte. Aristokratinnen aus Wien, und daran schloss sich ein langes, scheinbar aus weissen Levkoien und Mimosen gebautes Auto, das einem reichen Finanzmann gehörte.
Auch Wagen, die durch den Blumenschmuck allerlei phantastische Gestalten angenommen hatten, zum Beispiel ein Tempel, eine Gondel, ein Riesenkorb und dergleichen, belebten den Zug. Auch ein wimpelgeschmücktes Blumenschiff, in dem sich eine Anzahl kleiner Knaben und Mädchen befanden, ward sichtbar.
Und nun flog auch noch oben im Äther ein Aeroplant, aus dem Blumen auf die festlich frohe Menge hernieder fielen.
Allein alle diese sinnverwirrenden Bilder vermochten aus Hardys Seele nicht das des jungen Mannes zu verdrängen, dessen Blumen sie trug. Immer wieder fragte sie sich, warum er einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht habe, und weshalb sie nichts andres denken konnte, als an ihn. Was war das?
„Liebe auf den ersten Blick?“ fragte sie sich, vor sich selbst errötend.
Sie hatte von solcher Liebe wohl schont gehört, aber stets daran gezweifelt, dass es solch eine Liebe gäbe. Und sie wollte es auch jetzt nicht zugestehen, trotzdem ihr Herz in einer schmerzlich-süssen, sehnsüchtigen Pein klopfte. Und sie war zum erstenmal in ihrem Leben traurig, dass sie nicht zu den Glücklichen gehörte, die sorglos auf den Höhen des Lebens wandeln.
Sie war die Waise eines Offiziers, der ihr nichts hinterlassen hatte als einen guten Namen und ein stolzes, tapfres Herz, das sich bei aller Weichheit des Gemüts im Lebenskampf behauptete.
Und dieser Kampf war ihr schon oft genug sehr schwer geworden. Sie musste abseits von den Menschen stehen, die an der vollen Tafel des Lebens sassen. Der fremde, junge Mann in dem blumengeschmückten Wagen gehörte ganz sicher zu den Glücklichen, bei denen Geld keine Rolle spielte. Er sah so vornehm aus, wie es die Menschen tun, denen alle Sorgen des Lebens fremd sind.
Sie seufzte leise auf. Es war besser für sie, wenn sie sich mühte, diese Begegnung zu vergessen. Aber bei diesen Gedanken schüttelte sie das Haupt.
„Ein Blütentraum war es — nur ein Blütentraum. Aber ich werde ihn nie vergessen.“
* * *
Am nächsten Tage schritt die Gräfin Herdern, auf den Arm ihrer Gesellschafterin gestützt, auf die zum Hotel gehörige Terrasse, die nach dem Meere hinaus lag. Als die beiden Damen die vordere Terrassenbrüstung erreicht hatten, zuckte Hardy von Rosen leicht zusammen. Da vorn an der Rampe lass an einem Tisch der fremde, junge Herr, an der sie seit gestern immerfort hatte denken müssen und ihn gegenüber sein Begleiter. Dieser sass so, dass er Hardy den Rücken zukehrte, aber der Blumenspender sah Hardy voll ins Gesicht.
Seine Augen weiteten sich, wie in heisser Freude aufblitzend. Und ihr Strahl drang tief in Hardys Herz hinein, während jähe Röte ihre Wangen färbte. Als er es sah, leuchteten seine Augen noch heller, aber er wandte den Blick diskret zur Seite, um sie nicht verlegen zu machen. Die Gräfin bog rechts von dem Platz der beiden Herren ab und steuerte auf einen freien Tisch in der Nähe zu.
Der junge Herr beugte sich zu seinem Begleiter hinüber.
„Da ist meine schöne Unbekannte, Norbert, um derentwillen ich dich bat, mit mir in diesem Hotel Wohnung zu nehmen. Wenn du etwas zur Seite blickst, kannst du sie sehen. Ist sie nicht ein entzückendes Geschöpf?“
Der mit Norbert Angeredete wandte sich diskret zur Seite. Sein Blick flog prüfend über die junge Dame hin, und ein Lächeln flog über sein sympathisches Gesicht, aus dem die Augen frisch und zielbewusst herausschauten.
„Das also ist der Engel, dessen glühendes Lob du mir seit gestern in den poetischsten Tönen singst? Nun — du hast einen guten Geschmack, Günter. Die junge Dame ist wirklich entzückend. Ich will mich bemühen, dies Faktum mit kühler Objektivität festzustellen, damit ich nicht etwa auch noch mein Herz an sie verliere.“
„Untersteh dich!“ rief Günter.
Norbert lachte.
„Du wärst imstande, mir darum die Freundschaft zu kündigen. Hast du dich wirklich so schnell und aller Vernunft zum Trotz in diese dir ganz fremde, junge Dame verliebt?“
Günter schob den Hut aus der Stirn zurück, als sei ihm zu heiss.
„Die Liebe schaltet bekanntlich alle Vernunft aus. Ich weiss nur, dass mich der Anblick dieses holdseligen Geschöpfes bis ins tiefste Herz getroffen hat, und dass ich seit gestern ihretwegen keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.“
„Ja ja — dich hat es wie ein Fieber gepackt. Und mich hast du erbarmungslos in dieses Hotel geschleift, nur, weil du diesem Engel näher sein wolltest.“
„Du musst aber doch zugeben, Norbert, dass so viel Schönheit und Lieblichkeit alles entschuldigt.“
„Na — sagen wir viel,“ erwiderte Norbert von Halldorf lächelnd. „Aber mir würde sie, offen gestanden, noch besser gefallen, wenn ihre Augen nicht so ernst, fast traurig blickten.“
„Ich weiss, du liebst fröhliche, lachende Frauen, deren Temperament den deinem Schritt hält. Aber gerade diese ernsten, traurigen Augen, die dem reizenden Antlitz etwas Süsses, Hilfloses geben, haben mich zuerst gefesselt. Und ich muss sobald als möglich erfahren, wer sie ist, muss versuchen, ihre Bekanntschaft zu machen. Hältst du die alte Dame für ihre Mutter?“
„Dazu scheint sie mir zu alt, es könnte eher ihre Grossmutter sein. Ich will dir nicht abraten, die Bekanntschaft der Damen zu machen. Es würde nichts nützen. Verliebte sind immer unzurechnungsfähig. Deshalb bin ich auch willig mit hierher übergesiedelt, zumal es hier überall schön ist. Wenn ich aber eine Ahnung gehabt hätte, dass du hier in Nizza eiligst dein Herz verlieren würdest, kaum dass wir aus der Wildnis Afrikas in zivilisierte Gegenden zurückkommen, hätte ich wahrscheinlich nicht für einen Aufenthalt in Nizza gestimmt. Wir hätten ebensogut an einem andern Ort dieser idyllischen Meeresküste Station machen können. Der Übergang von der Wildnis, die wir seit zwei Jahren durch streift haben, zu der hier herrschenden Überkultur ist ohnedies ein wenig unvermittelt. Als wir gestern im bunten Gewühl der Blumenschlacht herumgaukelten, musste ich an die Kaffern und andre Negerstämme denken, die in der letzten Zeit unsern Umgang bildeten. Ich glaube, ich habe immerfort meinen Empfindungen in ihrer Sprache Luft gemacht.“
Günter lachte.
„Ich hörte dich allerdings verschiedene Male in unzivilisierten Gutturallauten in die Menge rufen.“
Auch Norbert von Halldorf lachte.
„Siehst du wohl. Ich werde mich erst wieder an zivilisierte Umgangsformen gewöhnen müssen. Aber, wie gesagt, das hätte auch an einem andern Ort als Nizza geschehen können.“
Günter zückte die Achseln.
„Fatum, mein Alter, man muss es hinnehmen. Und momentan bin ich hier so unsinnig glücklich, weil ich da drüben in das holde Mädchengesicht sehen kann, dass ich nirgends anders auf der Welt sein möchte.“
„Du sprichst immer so bestimmt davon, dass die junge Dame ein Mädchen ist. Kann sie nicht auch verheiratet sein?“
Energisch schüttelte Günter das Haupt.
„Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass sie unverheiratet ist. Wenn du sehen könntest, wie sie in holder Verwirrung die Farbe wechselt, wenn mein Blick dem ihren begegnet.“
„Also du bist, scheint mir, ganz hoffnungslos verliebt.“
„Hoffnungslos? Ich bin überhaupt noch nicht dazu gekommen, mir klarzumachen, was ich hoffen und wünschen soll. Ich weiss nur, dass ich unsinnig glücklich bin.“
„So bleibe es so lange als möglich, mein Alter, ich wünsche es dir von Herzen.“
Etwa eine Stunde blieben die beiden Damen drüben an dem Tisch sitzen. Ringsum waren mittlerweile alle Plätze besetzt worden, und zu dem Lachen und Plaudern gab eine leichte Musik aus dem Pavillon die Begleitung. Niemand hörte genau auf diese Musik, aber ab und zu summte man eine bekannte Melodie mit, oder man schlug verstohlen mit dem Fuss den Takt dazu.
Die beiden Herren hatten natürlich ihren Platz behalten. Günter liess seine Augen kaum von Hardy von Rosen, und Norbert von Halldorf amüsierte sich, indem er die Gesellschaft ringsum beobachtete und Randglossen dazu machte in einer geistreichen, übermütigen Art, die auch Günter mit fortriss. Als aber die Damen nach dem Hotel zurückkehrten, folgte ihnen Günter unauffällig.
Im Vestibül des Hotels fragte er, nachdem die Damen im Lift verschwunden waren, den Portier nach ihren Namen. Dieser gab ihm sogleich Auskunft. Die Damen seien Deutsche; die ältere eine Gräfin Herdern und die jüngere ihre Gesellschafterin, deren Namen er nicht kenne.
Günter sah etwas betroffen aus bei dieser Auskunft. Seufzend ging er zu seinem Freund zurück, der ihm schon erwartungsvoll entgegensah.
„Nun?“ fragte er.
Günter liess sich in seinen Sessel nieder und berichtete, was er von dem Portier erfahren hatte.
„Für eine Gesellschafterin hätte ich sie nicht gehalten. Sie macht einen so durchaus vornehmen und damenhaften Eindruck,“ sagte er.
Norbert von Halldorf zuckte die Achseln. „Es gibt sehr vornehme Damen, die durch die Not gezwungen werden, derartige Stellungen anzunehmen. Jedenfalls also ist deine schöne Unbekannte ein armes Mädchen. Und deshalb, mein lieber Günter, musst du sie dir aus dem Sinne schlagen, ehe es zu spät ist. Lass uns lieber abreisen. Eine so aussichtslose Neigung schafft dir nur Pein. Heiraten kannst du eine arme Frau nicht, weil du selbst kein nennenswertes Vermögen hast.“
„Das weiss ich selbst, Norbert.“
„Nun also. Auf eine andre als reelle Art kannst du dich dieser jungen Dame nicht nähern. Dazu hast du eine zu anständige Gesinnung, und sie sieht auch nicht aus, als liesse sie sich auf einen aussichtslosen Flirt ein.“
„Wo denkst du hin, Norbert, dazu steht sie mir viel zu hoch. Du hast recht, ein Mensch wie ich, der nicht viel mehr hat als seinen Grafentitel und keine andre Aussicht, als dass er sich, wenn du ihn nicht mehr als Mitarbeiter und Reisebegleiter brauchst, als Privatdozent an irgendeiner Universität niederlassen kann, darf natürlich, trotzdem er seinen Doktor summa cum laude gemacht hat, nicht darauf rechnen, in absehbarer Zeit ein Einkommen zu besitzen, das ihm gestattet, mit einer armen Frau glücklich zu werden. Also heisst es: Zähne zusammen und das Bild dieses holder Kindes aus dem Herzen reissen. Es wäre ganz sicher das Vernünftigste, wenn wir sofort abreisten. Aber nein — so vernünftig bin ich momentan nicht. Ich muss mich erst an den Gedanken gewöhnen, dass dieses Mädchen nicht für mich existieren darf. Und im übrigen bin ich doch ein Mann, der gewöhnt ist, sich im Zaume zu halten. Meinetwegen also brauchen wir unsern Aufenthalt hier nicht abzubrechen.“
„Ich halte es doch für besser, Günter.“
Doch Graf Günter schüttelte den Kopf, und seine Augen flogen mit brennendem Ausdruck zu dem Hotel hinüber.
Die beiden Herren brachen auf und schritten den breiten, an der Meeresküste hinführenden Promenadenweg entlang. Einige der ihnen begegnenden Kurgäste grüssten sie und wurden dann von andern gefragt, wer sie seien.
„Zwei bekannte Afrikaforscher, die eben erst von einer längeren Reise zurückgekehrt sind.“ Mehr wusste niemand von ihnen. Aber ihre interessanten Erscheinungen fielen allgemein auf. Und hauptsächlich die jungen Damen sahen sehr wohlgefällig nach ihnen hin.
Halldorf nahm das mit heimlichem Behagen hin, aber Graf Günter hatte keine Augen für alle diese mehr oder minder schönen Frauen. Seine Gedanken weilten unablässig bei Hardy von Rosen, und er härmte sich ins geheim über die sie beide trennende Kluft. Ganz ernsthaft glaubte er mit einer Frau, wie sie ihm zu sein schien, glücklich werden zu können, obwohl er noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte.
Bei der Mittagstafel im Hotel sah er Hardy an der Seite der Gräfin Herdern wieder. Beim Vorübergehen hörte er sie sogar einige Worte sprechen, und ihre weiche dunkle Stimme übte einen neuen Zauber auf ihn aus. Doch vermied er es möglichst, nach ihr hinüberzusehen, als er Platz genommen hatte.
Aber einige Male trafen ihre Augen doch zusammen, und wenn es auch nur immer auf einen kurzen Moment war, so sind doch solche Momente oft entscheidend für ein Schicksal.