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Eine berührende Liebesgeschichte zur Zeit des ersten Weltkrieges. Nachdem Ursula den Heiratsantrag des Barons von Ruppach abgelehnt hat, wird sie von ihrem Vormund Rudolf von Feldegg des Hauses verwiesen. Das junge Mädchen findet daraufhin eine Anstellung als Stiftssekretärin in St. Annen. Dort soll sie auch dem Verschmähten Baron und ihrer heimlichen Liebe Malte von Feldegg noch einmal begegnen...-
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Seitenzahl: 270
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Die Stiftssekretärin
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1921, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950243
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Es war im Frühsommer des Jahres 1914. Im warmen Sonnenschein sassen zwei junge Damen auf der breiten Veranda des Herrenhauses von Feldegg, mit feinen Handarbeiten beschäftigt.
„Wenn ich nur wüsste, welchen Zweck diese langweiligen Stickereien nun haben sollen, Ursula! Mama hat schon einen ganzen Schrank voll davon. Und nie wird etwas davon gebraucht.“
Die jüngere der beiden Damen, ein reizender, brünetter Backfisch, sah mit einem fragenden Blick von der Arbeit auf.
„Deine Mutter hat nun einmal ihren Gefallen daran, Gusti. Also machen wir ihr mit diesen Arbeiten Freude,“ erwiderte Ursula von Ronach.
Gusti von Feldegg holte tief Atem und wirbelte die Stickerei in der Luft herum.
„Ach geh doch, Ursula, sie sieht sie ja nie mehr an, wenn sie erst mal fertig im Schranke liegen. Übrigens sei einmal ehrlich: dich ödet diese nutzlose Arbeit auch schon längst im Grunde deines Herzens an. Aber du armes Hascherl wagst es nur nicht, deinem Groll Luft zu machen.“
Ursula sah nicht auf von ihrer Arbeit, aber in ihr Antlitz stieg ein leises Rot.
„Du irrst, Gusti. Ich muss ja doch froh sein, dass ich mich nützlich machen kann. Se mehr Arbeit ich habe, je weniger überflüssig komme ich mir vor.“
Gusti warf die Stickerei in Den Korb, der auf dem Tisch vor ihnen stand.
„Armes Aschenbrödel! Ja, ja, ich weiss schon! Für das Unterkommen, das du dir hier in Feldegg seit dem Tode deiner Eltern gefunden hast, musst du dem lieben Gott, noch mehr aber deinem gestrengen Herrn Vormund samt der ganzen hochlöblichen Familie täglich auf den Knien danken! Du Ärmste! Ich wundere mich wirklich, dass du nicht schon unter der ,Last der Wohltaten‘, die dir hier in Feldegg erwiesen werden, zusammengebrochen — oder aus der Haut gefahren bist. Das letztere hätte ich nämlich an deiner Stelle längst getan.“
Ursula von Ronach fädelte einen neuen Faden ein und sah dann einen Moment mit einem seltsamen Blick zu Gusti hinüber.
„Nein, Gusti, an meiner Stelle hättest du das nicht getan. Du hättest dich, gleich mir, bescheiden ducken müssen und hättest, in dem Bestreben, die Last dieser Wohltaten zu verringern, dein Möglichstes getan, um das — Gnadenbrot, das dir geboten wurde, wenigstens zu verdienen.“
Gusti machte eine ungeduldige Bewegung.
„Ach, du verdienst es doppelt und dreifach, das weisst du so gut wie ich — wenn es auch sonst niemand hier im Hause einsehen will. Mama erspart an dir geradezu eine Wirtschafterin. Wenn du bei fremden Leuten so viel leisten würdest, wie hier in Feldegg, dann bekämst du neben guter Behandlung auch noch ein hohes Gehalt. Ausserdem würde man deine Dienste anerkennen und dich mit allen Kräften zu halten suchen. Aber bei uns wird dir als Gnadenbrot geboten, was dein gutes Recht ist und was du dir schwer genug verdienen musst: Ach, Urselchen — manchmal könnte ich weinen vor Ärger und vor Mitleid. Wenn man dir nur wenigstens ein bisschen Liebe entgegenbrächte!“
Mit warmem Ausdruck blickte Ursula in Gustis Augen, und ein leises Lächeln huschte um ihren Mund.
„Ein bisschen Liebe? Hast du mich denn nicht lieb, meine kleine Gusti?“
Gusti sprang auf und umarmte und küsste Ursula herzlich.
„Ach du, wie lieb ich dich habe, weisst du ganz genau. Papa und Mama haben ja nie Zeit für mich gehabt, und meine Schwester hat von jeher nur an sich selbst gedacht. Siehst du, Urselchen, so war ich einsam und verlassen, bis du hierher kamst und mir Liebe schenktest.“
Ursula zog sie an sich und küsste sie.
,,Aber dein Bruder, Gusti! Vergisst du denn Malte ganz? Der hat dich doch sehr lieb,“ sagte sie, während die Röte in ihrem Gesicht noch tiefer wurde.
Gusti atmete tief auf und ihre Augen strahlten zärtlich. „Ach, mein Bruder — ja, der! Der hat mich lieb und ist gut zu mir. Er weiss auch, wie mir ums Herz ist, denn siehst du, Ursula, er fühlt sich auch nicht wohl daheim. Es ist, als seien Malte und ich ganz andere Menschen, als die Eltern und. Astrid. Malte versteht, dass ich hier zu Hause an Liebe darben musste. Er ist ja so herzensgut, wenn er auch immer so ernst und streng aussieht. Das macht, weil er unter den Verhältnissen leidet, viel mehr noch als ich, und weil er doch nichts ändern konnte. Aber er bemitleidet mich — und dich auch, Ursula.“
„Mich?“ fragte diese leise.
Gusti nickte. „Ja, dich! Er hat es mir gesagt, als er das letztemal auf Urlaub zu Hause war. Es empört ihn innerlich, dass man dich hier bei uns wie ein Aschenbrödel hält. Er möchte dir so gern helfen, und dass er es nicht kann, bedrückt ihn sehr. Aber siehst du, so lieb mich Malte auch hat — er ist ja doch leider so selten zu Haus. Und ist er einmal da, dann quälen ihn wie Eltern immerfort, er müsse eine reiche Heirat machen, um Feldegg wieder emporzubringen. Das quält ihn, denn er ist doch nicht ein Mensch, der sich einfach verkaufen lässt, wie das Astrid wohl tun könnte. Und denken zu müssen, dass die Eltern zum grössten Teil selbst schuld sind, dass Feldegg so heruntergekommen ist. Nein, nein — du brauchst mich nicht auszuschelten — ich weiss, dass es unkindlich klingt, wenn ich so etwas sage. Aber wahr ist es doch und es tut mir in der Seele leid, dass der arme Malte nun dafür büssen soll. Ich glaube nämlich, es steht sehr schlecht um Feldegg. Papa macht jetzt immer so ein sorgenvolles Gesicht und Mama hat manchmal ganz verweinte Augen.“ Sie machte eine Pause, als ob sie überlege, und fuhr dann fort. „Weisst du, und dann werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, Baron Lutz von Rippach für Astrid zu kapern. Sie bekommt trotz der schlechten Finanzen eine neue Toilette nach der andern. Aber das könnten sie sich sparen. Trotzdem Astrid ein sehr schönes Mädchen ist, fällt es Baron von Lutz nicht ein, um sie anzuhalten. Er mag sie nicht.“
„Aber Gusti, das kannst du doch nicht wissen,“ warf Ursula ein.
Gusti zuckte die Achseln und setzte sich wieder auf ihren Platz. „Man hat doch Augen im Kopf, Ursula. Und meine sind immer sehr scharf gewesen. Er ist attig und höflich gegen Astrid — aber so gemessen und kühl, obwohl das sonst gar nicht in seiner Art liegt.“
„Er kommt aber doch so oft nach Feldegg.“
Gusti nickte und sah Ursula mit einem seltsamen Blick an.
„Gewiss! Sehr oft sogar — aber erst seit du in Feldegg bist.“
Betroffen sah Ursula von ihrer Arbeit auf. „Was willst du damit sagen, Gusti?“
Die Kleine machte ein schlaues Gesicht. „Bist du wirklich so ahnungslos, Urselchen? Merkst du wirklich nicht, dass Baron Lutz nur deinetwegen so oft nach Feldegg kommt?“
Unwillig rötete sich das feine Gesicht Ursulas. Sie sagte sehr ernst: — „Liebe Gusti, du sprichst manchmal recht unbedacht, aber mit solchen Dingen soll man keinen Scherz treiben. So unter vier Augen nehme ich es dir nicht übel, aber wenn es vor anderen geschieht, etwa vor deiner Mutter oder vor Astrid, würdest du meine Stellung hier im Hause unhaltbar machen.“
Gusti tippte lachend mit dem Zeigefinger an die Stirn: „Aber Ursula, so einfältig werde ich doch nicht sein. Astrid kann dich ohnehin nicht ausstehen, weil du ebenso schön bist wie sie— nur noch viel lieber! Astrid wirkt bei aller Schönheit immer wie eine Gletscherjungfrau, du aber wie die liebe warme Sonne. Und alle Menschen sehen doch nun mal am liebsten nach der Sonne. Baron Lutz auch.“
Ursula schüttelte unwillig den Kopf. „Sage das nicht! Und sprich auch nicht so über Astrid. Sie ist nur ein wenig stolz und unnahbar.“
,,Ach das kommt sehr darauf an. Baron Lutz gegenüber ist sie ganz sicher nicht unnahbar.“ Aber dir kann sie das Wasser nicht reichen. Wäre ich ein Mann, ich wüsste ganz genau, wem von euch beiden ich die Palme reichen würde. Und Baron Lutz weiss das auch Verlasse dich darauf.“ Und nach einer Weile fuhr sie schermisch fort: „Ich möchte wissen, was du sagen würdest, wenn Baron Lutz eines Tages um deine Hand anhielte.“
Ursula richtete sich stolz auf.
„Hoffentlich geschieht das nie. Und ganz bestimmt würde ich ihm ein Nein antworten.“
Gusti zog die Stirn in Falten.
„Ach du — lass ihn nur erst einmal kommen! Er ist doch ein sehr netter Mensch! Und dann sein Reichtum, Urselchen! Er ist doch nicht nur Majoratsherr von Rippach, sondern auch noch Besitzer des benachbarten Waldau. Und ausserdem soll er ein grosses Privatvermögen haben.
Denke nur, was das für eine Genugtuung für dich wäre, wenn du als Majoratsherrin von Rippach Feldegg verlassen würdest. Das gönnte ich dir. Astrid würde grün vor Neid! Nicht etwa, weil sie Baron Lutz liebt — sie liebt ja niemand als sich selbst — aber weil er so reich ist und sie sich als seine Frau jeden Wunsch erfüllen könnte. Sie rechnet nämlich schon sehr stark damit, Baronin Rippach zu werden. Aber sie verrechnet sich.“
„Nun, ich wünsche ihr von Herzen, dass sie sich nicht verrechnet und dass sich ihr Wunsch erfüllt. Ich gönne es ihr neidlos.“
Gusti schüttelte sehr energisch den Kopf. „Das sollst du nicht tun, Ursel. Du kannst es mir glauben, Baron Lutz liebt dich.“
Ursula sah die Kleine ernst und durchdringend an. „Hoffentlich täuschest du dich, Gusti. Es sollte mir sehr leid tun, wenn ich in Baron Rippach Gefühle erweckt hätte, die ich nicht erwidern kann.“
Gusti seufzte. „Magst du ihn denn gar nicht leiden, Ursula?“
Diese sah ernst vor sich hin. „Doch Gusti, sehr gut sogar. Er ist ein guter, liebenswerter Mensch. Ich schätze ihn sehr hoch und hege unbedingte Hochachtung vor ihn. Aber ich liebe ihn nicht, könnte ihn nie lieben.“
Nachdenklich stützte Gusti die Arme auf den Tisch und legte das Kinn auf die Hände. „Schade — jammerschade! Ihr zwei würdet so gut zusammen passen. Ich hoffe doch, du wirst noch anderen Sinnes.“
Energisch schüttelte Ursula den Kopf.
„Niemals, Gusti.“
Mit einem Ruck fuhr Gusti empor und sah Ursula forschend an. „Dann gibt es nur eine Erklärung für mich.“
Ruhig stickte Ursula weiter. „Welche denn?“
Gusti beugte sich vor und sah sie scharf an. „Dann liebst Du einen andern!“
Dunkle Glut schoss in Ursulas Gesicht. „Ich bitte dich, Gusti, schwarze doch nicht solchen Unsinn!“ rief sie heftig.
Mit einem Achselzucken lehnte sich Gusti wieder zurück. „Nun ja! Ich bin still, Urselchen, sei nur nicht gleich böse. Aber wenn man solch einen Freier ausschlagen will wie Baron Lutz — das muss doch einen besonderen Grund haben.“
„Warum nur, Gusti? Möchtest du denn seine Frau werden?“
Gusti lachte ein wenig verlegen.
„Ach du lieber Gott! Baron Lutz und ich? Wo denkst du hin, Ursula! Er ist doch schon fünfunddreissig Jahre, also achtzehn Jahre älter als ich. Für ihn bin ich noch ein halbes Kind, zu mir ist er immer wie ein guter alter Onkel. Aber zu dir passt er famos. Erstens bist du schon fast zweiundzwanzig Jahre und auch so ernst und gesetzt. Für mich wäre so ein ernsthafter Mann überhaupt nichts. Wenn ich mal heirate, dann möchte ich einen Mann haben, der lachen kann, so recht aus vollem Herzen! So ein froher Sonnenmensch müsste es sein, dafür schwärme ich.“
Jetzt sah Ursula schelmisch lächelnd in Gustis gerötetes Gesichtchen. „Dann würde ja zum Beispiel Baron Rippachs Vetter Hans sehr gut zu dir passen.“
Gusti wurde sehr rot, sagte aber ganz ernsthaft: „Ja, Urselchen, Baron Hans könnte mir gefallen. Mit ihm kann man lachen und fröhlich sein, sogar, wenn man gar keinen Grund dazu hat. Aber, aber — ja siehst du, Ursula — das grosse Aber. Er ist ein armer Schlucker und auf das angewiesen, was ihm sein Vetter Lutz gibt. Wenn der nun auch ein sehr grossherziger, vornehmer Charakter ist, der seinen armen Vetter eine anständige Zulage gibt, so kann doch Baron Hans gerade nur allein sorgenlos davon leben. Eine arme Frau kann er also ebensowenig heiraten wie mein Bruder Malte.“
Ursula streichelte Gustis Hand. „Kleine Gusti. Hast du auch schon Sorgen,“ sagte sie liebevoll.
Gusti seufzte. „Du musst nicht denken, dass ich so gedankenlos in den Tag hineinlebe, weil ich mir den Anschein gebe, als schwimme ich nur immer so auf der Oberfläche. Ich sehe mit offnen Augen um mich, und mir entgeht es nicht, dass wir dem Untergang zusteuern — wenn uns nicht von irgendeiner Seite Hilfe kommt. Und ich weiss, dass Luftschlösserbauen ein sehr undankbares Geschäft ist. Deshalb nehme ich mein Herz tapfer in beide Hände — und bin vernünftig. Was nützt das Kopfhängen? Nichts. Aber ich schlage keine gute Stunde aus, die mir noch geboten wird. Und das gestehe ich dir ganz offen, Ursula — denn zu dir habe ich unbegrenztes Vertrauen —, die schönsten Stunden sind mir die, die ich mit Baron Hans verleben kann. Nicht eine will ich mir davon trüben lassen — denn davon muss ich vielleicht ein langes Leben zehren.“
Ursula liess ihre Stickerei sinken und streichelte Gustis Wangen. „Meine kleine tapfere Gusti! Wenn du doch einmal recht glücklich würdest. Wie wollte ich mich darüber freuen.“
„Das weiss ich, Urselchen. Und ebenso gern möchte ich dich glücklich sehen. Aber weisst du, viel Aussicht haben wir beide nicht — da du doch nicht Baronin Rippach werden willst!“
„Still, Gusti,“ mahnte Ursula, „dort kommen deine Mutter und Astrid.“
Gusti beugte sich wieder emsig über ihre Stickerei, während Mutter und Schwester die Treppe, die vom Park zu der Veranda emporführte, heraufkamen.
Frau von Feldegg war trotz ihrer Jahre noch eine sehr stattliche Erscheinung mit Spuren einstiger Schönheit. Ihr verjüngtes Ebenbild war ihre älteste Tochter Astrid, eine schlanke, elegante Erscheinung mit fast klassisch schönem, aber kaltem und unbeseeltem Gesicht.
Gusti sah nicht auf, bis die Mutter dicht neben ihr stand und ihr die Stickerei aus den Händen nahm.
„Warst du fleissig, Gusti?“
Gusti seufzte.
„Soviel es in meiner Macht stand, Mama,“ antwortete sie diplomatisch.
Die Mutter prüfte die feine Durchbrucharbeit.
,,Meit bist du freilich nicht gekommen,“ sagte sie tadelnd.
Gusti machte ein schmollendes Gesicht, und während ihre Mutter schweigend Ursulas: Arbeit prüfte und ohne ein Mort zurückgab, sagte sie: „Ach Mama — wenn ich nurmüsste, wozu du diese vielen Stickereien sammelst.“
Frau von Feldegg sah unwillig auf ihre Jüngste herab.
„Ich verwahre sie für dich und Astrid. Wenn ihr einmal heiraten werdet, kommen euch diese Arbeiten bei eurer Aussteuer zugute. Dann wirst du froh sein, wenn du sie hast.“
,,Ich werde nie heiraten, Mama. Und wenn die Stickereien für Astrid bestimmt sind, dann könnte sie doch zum mindesten mithelfen.“
Astrid hatte sich in einen Korbsessel gelehnt und betrachtete aufmerksam ihre feinen, gepflegten Hände. Dann blickte sie spöttisch zu Gusti hinüber und wollte etwas erwidern. Aber ihre Mutter kam ihr zuvor:
„Du weisst doch, dass Astrid kein Talent hat für solche Arbeiten, während du und Ursula sehr geschickt darin seid.“
Mit einem Seufzer nahm Gusti ihre Arbeit wieder auf.
„Ich wünschte wirklich, dass ich ebenso talentlos wäre wie Astrid. Jede andere Arbeit wäre mir lieber. Dürfen wir nicht spazieren gehen? Wir sind schon ganz steif vom Sitzen.“
Frau von Feldegg machte ein unwilliges Gesicht. Sie fand das Benehmen ihrer jüngsten Tochter wieder einmal sehr despektierlich.
„Du sitzest ja kaum eine Stunde bei der Arbeit. Aber meinetwegen gehe in den Park, wenn dir wirklich der Rücken weh tut. Ursula kann dich aber nicht begleiten. Sie hat noch im Haushalt zu tun. Nicht wahr, Ursula?“
Diese erhob sich sofort und legte ihre Arbeit zusammen.
„Ja, Tante Anna, ich habe noch viel zu tun,“ sagte sie ruhig und verliess die Terrasse.
Gustis Augen sprühten, und als Ursula verschwunden war, konnte sie sich nicht enthalten, zu sagen:
„Dass nur Ursula ja nicht einmal eine halbe Stunde für sich hat! Eine kleine Erholungspause könnte ihr wahrhaftig nicht schaden. Sie kommt von früh bis spät kaum zum Atemholen, viel weniger zur Erholung und Ruhe.“
Ihre Mutter machte ein sehr erstauntes Gesicht. Aber Gusti liess sich nicht einschüchtern, sondern sagte tapfer:
„Ihr solltet einsehen, was ihr an Ursula habt und wie viel mehr sie für uns tut, als wir für sie. Und wenn du auch noch so böse wirst, Mama — einmal muss ich es sagen, dass es ein Unrecht ist, wie Ursula hier ausgenutzt wird, ohne einen Dank dafür zu erhalten.“
Zornig streckte ihre Mutter die Hand aus.
„Du gehst sofort auf dein Zimmer und bleibst dort, bis ich dir erlaube, wieder herunterzukommen.“
Mit einem seltsamen, halb schmerzlichen, halb trotzigen Blick sah Gusti ihre Mutter an. Dann drehte sie sich um ohne ein weiteres Wort und ging ins Haus.
„Was sagst du dazu, Astrid?“ fragte Frau von Feldegg empört.
Astrid zuckte die Achseln.
„Von Gusti wundert mich gar nichts, Mama. Ich glaube, sie wird von Ursula beeinflusst.“
Frau von Feldegg sah sie unsicher an.
„Ach nein, Astrid, das glaube ich doch nicht. Ursula beklagt sich ja nie selbst und ist stets willig, das muss man ihr lassen.“
„Nun ja, persönlich hat sie eben nicht den Mut, sich zu beschweren. Deshalb steckt sie sich hinter Gusti.“ Sie hätte ihrer Abneigung gegen Ursula wohl noch deutlicheren Ausdruck gegeben, wenn nicht vom Parkwege her rascher Hufschlag ihre Aufmerksamkeit abgelenkt hätte.“
Sie sah über die Brüstung. „Mama, ich glaube, dort kommt Baron Rippach geritten. Du sorgst wohl dafür, dass ich eine Weile mit ihm allein bleibe.“
„Gewiss, mein Kind. Ich gehe schon.“ Damit verschwand Frau von Feldegg im Hause.
Als die Mutter gegangen, erhob sich Astrid und trat an die Verandabrüstung heran. Baron Lutz von Rippach, der unter den Bäumen hervorgeritten war und auf das Haus zu kam, musste sie erblicken. Sie winkte ihm lächelnd zu.
So blieb ihm nichts übrig, als nach der Veranda hinüber zu reiten.. Artig grüssend zog er den leichten Reithut.
„Guten Tag, mein gnädiges Fräulein!“
„Guten Tag, Baron! Es ist reizend von Ihnen, uns zur Teestunde Gesellschaft zu leisten.“
„Darf ich das — im Reitanzug, gnädiges Fräulein?“
Astrid lächelte liebenswürdig.
„Aber lieber Baron — wir sind doch auf dem Lande. Und zwischen guten Nachbarn gibt es doch keine Förmlichkeit. Also bitte, steigen Sie ab und kommen Sie herauf.“
Baron Rippach schwang sich vom Pferde und übergab es dem herbeieilenden Knechte. Dann eilte er die Verandastufen empor.
Er beugte sich artig über Astrids Hand, die sie ihm lächelnd reichte.
„Bitte nehmen Sie Platz, lieber Baron. Ich lasse Sie nachher gleich Mama melden. Ein Weilchen müssen Sie aber mit meiner Gesellschaft fürlieb nehmen, Mama hat einen wichtigen Brief zu schreiben.“
Sie deutete auf einen der Korbsellel und schmiegte sich graziös ihm gegenüber in einen anderen. Der Baron verneigte sich und liess sich nieder, aber seine Augen schweiften unruhig suchend umher, und sein Gesicht drückte keine sonderliche Freude an diesem Alleinsein aus. Aber er sagte doch artig: „Vor einem Fürliebnehmen kann keine Rede sein, mein gnädiges Fräulein, wenn Sie mir die Ehre Ihrer Gesellschaft zuteil werden lassen.“
Schermisch sah sie ihn an. „Ach, wozu diese förmlichen Redensarten zwischen uns, lieber Baron? Ich für meinen Teil freue mich — das sage ich ganz ehrlich —, dass ich Sie ein Weilchen für mich allein habe und ungestört mit Ihnen plaudern kann.“
Der Baron fühlte sich peinlich berührt. Ihr ganzes Verhalten machte ihm den Eindruck, dass dies Alleinsein nicht zufällig war, zumal er Frau v. Feldegg auf der Veranda zu sehen gemeint hatte, als er vom Park aus herüber blickte. Sollte Astrid irgendwelche Absichten haben?
„Es wird mir immer eine Ehre und ein Vergnügen sein, mit Ihnen plaudern zu dürfen, gnädiges Fräulein. Indes, ich hoffe, auch Ihre verehrten Eltern, Jhr Fräulein Schwester und Fräulein von Ronach begrüssen zu dürfen. Die Herrschaften befinden sich doch wohl?“ sagte er höflich.
Astrid ärgerte sich im stillen, dass er auch nach Ursula fragte, aber sie hielt doch das liebenswürdige Lächeln fest.
„Ob Sie Gusti zu sehen bekommen, ist fraglich, lieber Baron. Sie hat Stubenarrest bekommen.“
,,O, das tut mir herzlich leib. Ich werde bei Ihrer Frau Mutter ein gutes Wort einlegen, damit sie aus ihrer Haft entlassen wird.“
In diesem Augenblick ging Ursula draussen an der Veranda vorbei nach dem Wirtschaftshofe zu. Ruhig schritt sie mit ihrem elastischen Gange dahin, der doch so anmutig war. Lutz erhob sich, sie zu begrüssen.“
Astrid streifte ihn mit einem bösen Blick, den Ursula auffing. So beeilte sie sich denn, das Gespräch mit dem Baron abzubrechen, indem sie sich mit ihren wirtschaftlichen Pflichten entschuldigte.
Längst hatte Rippach gemerkt, dass Ursula in Feldegg nicht auf Rosen gebettet war, und er sehnte sich danach, sie aus den bedrückenden Verhältnissen zu befreien. Schon längst hätte er sie gern gefragt, ob sie seine Frau werden wollte, aber nie war es ihm vergönnt, einmal einige Minuten mit ihr allein zu sein.
Bisher hatte er das für einen Zufall gehalten. Aber jetzt, da er in Astrids Gesicht sah, wollte es ihm plötzlich scheinen, als sei das mehr als ein Zufall gewesen.
Das unterbrochene Gespräch mit Astrid wollte night wieder in Fluss kommen, und so atmete der Baron auf, als Frau von Feldegg erschien und sich wortreich und liebenswürdig wegen ihres langen Zögerns entschuldigte. Sie liess nun den Teetisch auf der Veranda herrichten. Es war so warm und sonnig, dass man noch draussen sitzen konnte. Auch Herr von Feldegg erschien nun, ein eleganter, noch gut wirkender Sechziger mit graumeliertem Haar, bartlosem, scharfmarkiertem Gesicht und blitzenden Augen. Er begrüsste den Baron mit etwas zu stark betonter Jovialität, die Lutz jedesmal unangenehm berührte.
Baron Rippach hatte inzwischen bei Frau von Feldegg um Straferlass für Gusti gebeten und Heinrich, der alte Diener, war abgeschickt worden, sie herunterzurufen. Sie erschien auch gleich darauf und begrüsste den Baron in ihrer frischen, herzlichen Art.
Als man schon am Teetisch Platz genommen hatte, fragte Gusti:
„Wo bleibt denn Ursula? Ich will sie doch gleich rufen.“
Und ehe man sie hindern konnte, war sie ins Haus geeilt und kam gleich darauf mit Ursula zurück.
Ruhig trat Ursula an den Tisch und waltete, wie immer, ihres Amtes. Sie füllte die Tassen, reichte sie mit Sahne und Zucker herum und bot Toasts und Keeks an.
Sich selbst bediente sie zuletzt und sass dann still und bescheiden auf ihrem Platz. Immer wieder flogen Baron Rippachs Blicke zu ihr hinüber, und er wandte sich auch im Gespräch heute besonders oft an sie. Wie gern hätte er ihr gesagt, was sie ihm sei. — Inzwischen hatte Gusti von ihrer Mutter erfahren, dass der Baron sie freigebeten habe. Sie reichte ihm lächelnd die Hand: „Ich danke Ihnen, Baron Lutz, — es war nämlich schcusslich langweilig auf meinem Zimmer,“ sagte sie in ihrer burschikosen Art und streckte ihm die Hand hin, die er kameradschaftlich drückte.
„Ich habe Sie nur aus egoistischen Gründen losgebeten, Fräulein Gusti, weil ich auf Ihre Gesellschaft nicht verzichten wollte,“ erwiderte er lachend.
Dann nahm ihn Frau von Feldegg mit ihrer Unterhaltung vollständig in Anspruch, in die Astrid nur ab und zu ein Wort hineinwarf. Nach einer halben Stunde erhob sich der Baron, um sich zu verabschieden. Den Augenblick benutzte Gusti, um aus der Zuckerdose schnell ein paar Stücke zu stibitzen und sich von der Veranda wegzustehlen.
Auf dem Vorplatz wurde das Pferd des Barons eben vorgeführt, und diesen Augenblick hatte sich Gusti zunutze gemacht.
Sie trat an das schöne Tier heran und streichelte seinen schlanken Hals. „Ich darf Fafner doch den Zucker geben?“ fragte sie über die Schulter, als sie den Baron die Treppe der Veranda herabkommen hörte.
Er trat lächelnd an ihre Seite und nahm dem Diener die Zügel ab.
„Sie verwöhnen mir den Gaul, Fräulein Gusti!“ sagte er scherzend, „ich halte ihn knapper!“
Sie sah ihn einen Augenblick lustig an, dann sagte sie leise: „Kommen Sie, ich begleite Sie noch bis zum Ausgang des Parkes. Das mit dem Zucker für Fafner ist nur ein Vorwand, Baron Lutz. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich wirklich unverdientermassen zum Stubenarrest verurteilt wurde. Astrid war wieder so hässlich gegen Ursula, und da habe ich für unser armes Aschenbrödel eine Lanze gebrochen. Das ist nun wohl freilich ein bisschen heftig geschehen und so wurde ich eingesperrt.“
Er sah sie warm und herzlich an.
„Dann freut es mich doppelt, dass ich Sie losbitten konnte, Fräulein Gusti. Sie haben mir neulich einmal gesagt, Fräulein vor Ronach sei ein wundervoller Mensch. Mir scheint, Sie sind auch so ein wundervoller Mensch! Ich habe Sie immer sehr hoch eingeschätzt und mein Vetter Hans auch. Er sagte mir, als er das letztemal in Rippach war, — aber nein —, das darf ich Ihnen doch nicht wieder sagen.“
Gusti sah ihn bittend an.
„Aber Baron Lutz, Sie werden mir doch nicht unterschlagen, wenn jemand etwas Nettes von mir gesagt hat, das passiert nämlich sehr selten.“
„Dann bitte ich aber um Diskretion Ihren Angehörigen gegenüber.“
„Wird prompt zugesichert, Baron Lutz.“
„Gut! Also mein Vetter hat gesagt: In Feldegg gibt es ausser Ursula von Ronach nur zwei Menschen mit fühlenden Herzen, das ist die kleine, warmherzige Gusti mit ihrem goldenen Gemüt und ihren herzerfrischenden Frohsinn, und unser Freund Malte.“
Gusti war rot geworden.
„Das hat Baron Hans wirklich gesagt?“
„Ich hoffe, Sie zweifeln nicht, an meiner Wahrhaftigkeit.“
Sie strich sich die dunklen Locken aus der Stirn.
„Nein, nein, — das tue ich gewiss nicht. Aber, — ich bin so gar nicht gewöhnt, dass man mir etwas so Schönes sagt. Ausser Malte und Ursula scheinen sie alle in Feldegg zu glauben, dass ich ein ganz unnützes Geschöpf bin. Es freut mich sehr, dass Baron Hans so etwas gesagt hat. Wir sind ja freilich gut freund miteinander. Er kommt wohl bald wieder auf Urlaub?“
„Zu Pfingsten, Fräulein Gusti.“
„O, fein! Malte kommt. Pfingsten auch. Das soll famos werden. Wenn Sie an Baron Hans schreiben, — dann grüssen Sie ihn bitte von mir.“
„Das will ich gern tun“, erwiderte der Baron lächelnd und schwang sich auf sein Pferd. Er reichte Gusti mit warmem Händedruck die Hand, und Gusti kehrte langsam nach der Veranda zurück.
Sie wurde dort sehr ungnädig von Astrid empfangen.
„Was hast du so lange mit Baron Rippach allein zu sprechen? Es schickt sich nicht, dass du ihn zu seinem Pferde begleitest.“
Gusti sah sie mit einem spöttischen Blick an.
„Dann schickt es sich doch wohl ebensowenig, dass du dich vorhin so lange mit ihm isoliert hast. Über eine halbe Stunde hast du hier mit ihm auf der Veranda gesessen. Ich habe es von meinem Zimmer aus gesehen.“
Damit verschwand Gusti im Hause.
Im selben Augenblick kam Ursula mit einem Tablett zurück und wollte den Teetisch abräumen.
Astrid musste ihrem Groll Luft machen. Über die Schulter hinweg sagte sie zu Ursula: „Ich finde es sehr unfein und aufdringlich von dir, dass du dich so auffällig in Baron Rippachs Gesellschaft drängst und ihm, wie du es vorhin tatest, direkt in den Weg läufst, um seine Aufmerksamkeit auf dich zu lenken.“
Ursula war bei diesen verletzenden Worten Astrids sehr bleich geworden. Sie richtete sich stolz auf.
„Es ist ein trauriges Vorrecht, Astrid, das du dir nimmst. Einen wehrlosen Menschen zu beleidigen, zeugt nicht von vornehmer Gesinnungsart. Du weisst ganz genau, dass es mir meine abhängige Stellung hier im Hause verbietet, dir so zu antworten, wie du es verdientest. Aber eines will ich dir wenigstens sagen. Es liegt durchaus nicht in meiner Absicht, Baron Rippachs Aufmerksamkeit zu erregen — oder dir sonst in irgendeiner Weise ins Gehege zu kommen. Du kannst ganz unbesorgt sein. Selbst wenn mir Baron Rippach irgendwelche Beachtung schenken würde, müsste ich sie ignorieren.“
Astrid lachte spöttisch auf.
„Du willst aus der Not eine Tugend machen, meine Liebe. Weil du merkst, dass sich der Baron um mich bewirbt, siehst du ein, dass deine Bemühungen aussichtslos sind.“ Es drängte sich ein rasches Wort auf Ursulas Lippen, aber sie hielt dies Wort zurück und biss sich auf die Lippen. Nur ihre Augen liess sie noch einmal gross und voll auf Astrid ruhen. Dann ging sie stolz und ruhig an ihr vorbei.
Astrid hatte ja nun ihrem Groll Luft gemacht, aber wohler war ihr nicht dabei geworden. Sie hatte fast einGefühl, als hätte sie eine Niederlage erlitten. Dies Bewusstsein verstärkte noch ihren Groll gegen Ursula.
Sie suchte ihre Mutter auf.
„Mama,“ sagte sie erregt, „das eine kann ich dir sagen, wenn Ursula nicht aus dem Hause kommt, so schnell wie, möglich, dann komme ich mit dem Baron nicht zum Ziel. Sie kokettiert in der aufdringlichsten Weise mit ihm.“
Die Mutter sah sie zweifelnd an.
„Davon habe ich noch nichts bemerkt, Astrid“, sagte sie betroffen.
„Aber ich, Mama. Und ich bleibe dabei, — sie muss aus dem Hause.“
Frau von Feldegg schien von Astrids Wunsch sehr unangenehm berührt.
„Mein Gott, Kind, das geht doch nicht so von heute zu morgen. Wir können sie doch nicht einfach fortschicken, zumal wir sie so notwendig brauchen. Ich wüsste nicht, wie wir ohne sie fertig werden sollten. Un ihrer Stelle müsste ich eine teure, bezahlte Hilfe engagieren und du weisst doch, dass wir keinen Pfennig übrig haben.“
Astrid zuckte die Achseln. „Nun, so wundere dich bitte nicht, wenn sie mir den Baron wegkapert, und mache mir dann keinen Vorwurf.“
Die Mutter seufzte.
„Aber Astrid, ich bitte dich, ich kann mir nicht denken, dass der Baron sich für Ursula interessiert! Aber ich werde dafür sorgen, dass er Ursula möglichst wenig zu Gesicht befommt.“
„Das ist allerdings das Nötigste. Du musst aber dann auch verhindern, dass Gusti Ursula immer in so unpassender Weise in Szene setzt. Am besten, du hältst auch Gusti von ihm fern. Sie ist entschieden unpassend vertraulich zu ihm. Ich habe ihr das schon vorgehalten, aber sie wurde natürlich wieder schnippisch.“
Frau von Feldegg seufzte.
„Mein Gott, es ist ein Kreuz mit Gusti!“
So war es immer. Stets nahm Frau von Feldegg Astrids Partei, auch wenn sie im Unrecht war.
* * *
Wenige Tage später war Baron Rippach wieder in Feldegg. Diesmal bekam er aber weder Ursula noch Gusti zu Gesicht. Es wurde ihm gesagt, die beiden jungen Damen seien zur nahen Kreisstadt gefahren, um Besorgungen zu machen.
So liess sich Baron Rippach trotz Astrids Liebenswürdigkeit nicht lange fesseln, sondern verabschiedete sich bald.
Als er aber sein Pferd bestieg, sah er, dass oben, über der Veranda, leise ein Fenster geöffnet wurde, und im Rahmen desselben erschien Gusti, legte den Finger auf die Lippen und nickte ihm lächelnd zu. Für einen Augenblick erschien auch Ursulas Kopf neben dem Gustis.
Die beiden jungen Mädchen waren von Frau von Feldegg auf ihr Zimmer geschickt worden mit der Weisung, dort zu bleiben, bis man sie rufen würde. Gusti hatte natürlich sofort erfasst, warum das geschah.
„Wir sind hier festgesetzt, Urselchen, solange Baron Rippach unten ist. Natürlich wird man ihm sagen, dass wir nicht zu Hause sind. Aber ich werde mich ihm schon bemerkbar machen.“
Und das hatte sie denn auch getan, ohne dass die Mutter es ahnte.
,,Du hättest dich nicht zeigen sollen, Gusti,“ sagte Ursula vorwurfsvoll, „du wirst deinen Eltern damit Unannehmlichkeiten bereiten.“
„Nun — bereiten sie mir keine?“
„Man muss nicht. Gleiches mit Gleichem vergelten. Und du darfst nicht vergessen, dass es für deine Eltern von grosser Bedeutung wäre, wenn Astrid Baronin Rippach würde. Dann wären sie mit einem Male aus aller Sorge und — ja, Gusti — du musst dabei an Malte denken. Wenn Astrid eine so glänzende Partie machen würde — dann brauchten deine Eltern nicht immer wieder Malte zu drängen, eine reiche Partie zu machen. Du weisst doch, wie dein Bruder darunter leidet.“
Gusti wurde nachdenklich.
„Meinst du wirklich, dass Malte dann Ruhe bekäme?“
„Man würde ihm wenigstens nicht mehr so zusetzen. Sicher würde Baron Rippach als Astrids Verlobter deinem. Vater mit Kapital aushelfen.“
„Ach, von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet! Aber vielleicht hast du recht, Ursula. Und da du nun einmal Baron Lutz nicht heiraten willst, dann will ich die Dinge gehen lassen. Aber ich glaube doch nicht, dass Baron Lutz Astrid heiraten wird. Der hat dich lieb — dich allein.“
* * *
Baron Rippach sagte sich auf dem Heimweg, dass man ihm in bestimmter Absicht Ursulas und Gustis Anwesenheit verheimlicht hatte. Und er kam der Wahrheit ziemlich nahe mit der Vermutung, warum man das getan hatte.
Er war aber nicht der Mann, sich dadurch in seinen Entschlüssen beirren zu lassen. Im Gegenteil — nun nahm er sich fest vor, seinem Zögern ein Ende zu machen.
Kurz entschlossen fuhr er am nächsten Tage zur Besuchsstunde nach Feldegg, um sich bei Herrn von Feldegg um Ursula zu bewerben.
Astrid stand am Fenster des Wohnzimmers und sah ihn kommen.