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Angeregt durch die Einteilung der Welt in vier Elemente hat der Autor seine Essays unter vier Begriffe zusammengefasst: Lehm, Glut, Tinte und Äther. Der letzte Essay dreht sich um die Quintessenz des Ganzen. "Lehmig" sind die Texte, die sich mit Handfestem, Materiellem, beschäftigen, "glutvolle" handeln von Begeisterung und Bewegung, "tintige" selbstredend von Literatur und im "Äther" geht es um Ideen, Fantasien und Zahlen. Die Quintessenz wird an dieser Stelle nicht verraten! Schenkels Sujets sind überaus vielfältig: ein altes Haus, der Schnee von morgen, Bogenschießen und Radfahren, Zauber und Fluch von Bibliotheken und warum Märchen gut tun. Zahlenmystik und fliegendes Geld begegnen sich auf der Einbahnstraße Walter Benjamins. Es sind Essays, die scheinbar leicht daherkommen, den Leser unterhalten und dabei zum Nachdenken anregen. Mit Wortwitz und Hintersinn steigern sie unsere Neugier auf die Welt.
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Seitenzahl: 242
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Angeregt durch die Einteilung der Welt in vier Elemente hat der Autor seine Essays unter vier Begriffe zusammengefasst: Lehm, Glut, Tinte und Äther. Der letzte Essay dreht sich um die Quintessenz des Ganzen.
„Lehmig“ sind die Texte, die sich mit Handfestem, Materiellem, beschäftigen, „glutvolle“ handeln von Begeisterung und Bewegung, „tintige“ selbstredend von Literatur und im „Äther“ geht es um Ideen, Fantasien und Zahlen. Die Quintessenz wird an dieser Stelle nicht verraten.
Schenkels Sujets sind überaus vielfältig: ein altes Haus, der Schnee von morgen, Bogenschießen und Radfahren, Zauber und Fluch von Bibliotheken und warum Märchen gut tun. Zahlenmystik und fliegendes Geld begegnen sich auf der Einbahnstraße Walter Benjamins. Es sind Essays, die scheinbar leicht daherkommen, den Leser unterhalten und dabei zum Nachdenken anregen. Mit Wortwitz und Hintersinn steigern sie unsere Neugier auf die Welt.
Elmar Schenkel wurde 1953 in Lippetal bei Soest geboren. Er studierte Anglistik, Romanistik und Japanologie und ist heute Professor für Anglistik in Leipzig. Mitherausgeber der Literaturzeitschriften Nachtcafé und Chelsea Hotel. Übersetzer englischsprachiger Lyrik, seit einigen Jahren auch tätig als Maler. Schenkel schrieb Reiseliteratur, Romane, Essays, Gedichte und ein Kinderbuch. Letzte Publikationen: Cyclomanie – Fahrrad und Literatur, die Essaybände Vom Rausch der Reise sowie Zahlen undGärten und Reisen in die ferne Nähe (ein Reisetagebuch).
Elmar SchenkelDie Stille und der Wolf
Essays
persona verlag
Vorwort
I. Lehm
Das alte Haus
Herbst und Laub
Glückspilz
Pfütze und Unsterblichkeit
Schnee von morgen
Porzellan und der Traum vom Ewigen Leben
Verlorene Formen
Das Brett als Mikrokosmos
Das unsichtbare Buch
II. Glut
Cyclosophie – Was hat das Fahrrad mit Philosophie zu tun?
Der gestohlene Rucksack
Zweimal Kabelbinder
Der Bogenschütze
Vom Glück der Wiederholung
Die Kunst, das Paradies und die Unsicherheit. Über Farbe
Vom Nutzen und Nachteil des Sammelns. Ein Dialog
Das Wir
III. Tinte
Balzac oder das Evangelium des Kaffees
Verweile doch: Die Bibliothek, das Paradies und der Tod
Literarisches Bogenschießen
Begegnung auf der Einbahnstraße
Mark Twain als Erfinder des Brettspiels Memory Builder
Warum Märchen gut tun
Der Name der Rose: Literarische Blumen
Essen und Essay
Die Tragik der Dichterlesungen
IV. Äther
Die erste Erinnerung
Die Macht des Verborgenen. Überlegungen zum Geheimnis
Über Namen und Namenlosigkeit
Im Zeichen der Vier
Pickelhaube und Pirouette. Ein Zahlenspiel
Der neue Altar
Das fliegende Geld
Zeit über Kreuz. Über Zeit, Beschleunigung und Fledermäuse
Die Stille und der Wolf
V. Quintessenz
Alles Käse!
TextnachweisVerwendete Literatur / QuellenImpressum
Heute Nacht erreichte mich die Stille wieder. Es ist interessant, dass der Schlaf keine Stille kennt. Wir träumen, wir wälzen uns herum, wir knirschen mit den Zähnen. Erst wenn wir wach sind, werden wir still, oder besser, wir werden uns der Stille bewusst. Dann beginnt sich allerdings im Kopf ein Karussell zu drehen oder, um im Bild dieses kleinen Buches zu bleiben, der Wolf zu heulen. Komisch jedoch, wie wenig man in der Lage ist, Unterscheidungen zu treffen oder Dinge zu gewichten. Heute Nacht etwa beschäftigte mich – welch ein Unterschied schon zwischen „etwas beschäftigt mich“ und „ich beschäftige mich mit etwas“ liegt! Ein Philosoph hat sich im Übrigen auch mit dem Unterschied zwischen „ich träumte“ und „mir träumte“ beschäftigt – heute Nacht also: eine Quittung, die nicht vollständig war und eher hätte eingereicht werden müssen und bei der es um eine Summe von 130 Euro ging, und danach die Frage, wie ist das Universum eigentlich entstanden: durch einen Knall oder durch eine Melodie? Der Kampf wogte hin und her, mal siegte der Kosmos (so wie ihn die Feder von J. R. R. Tolkien zeichnete), mal die Quittung, die mir mit einem schäbigen Grinsen die Erniedrigungen aufzählte, die ich mir bei der Verwaltung wegen meiner Verspätung einholen würde, möglicherweise auch weil die Quittung durch das lange Herumtragen zerknittert war und daher meinen Ruf bei der besagten Verwaltung als zerknirschter Zerknitterer festigen würde. Kurz darauf hatte aber der Kosmos wieder die Oberhand. Ich hörte schon die Melodie, mit der das Silmarillion anhebt, Ilúvatar hat sie vorgegeben, es summt sich etwas in den Schlaf hinein, eine Harmonie der Dinge, doch da erhebt sich Melkors dissonante Stimme und das Ungeheuer wedelt mit einer Quittung. Dem Schöpfer aber gelingt es, die Dissonanz dieses Gewedels, dieser schnarrenden Stimme umzuweben in einen anderen, gar höheren Gesang, ich drehe mich um, es will weiterschlafen in mir, doch wieder mischt sich der unsägliche Melkor ein, und der alte Ilúvatar muss zu stärkeren Mitteln greifen, um die neue Dissonanz zu bewältigen. Diesmal erschafft er sich den Menschen dafür: die große Antwort auf die kosmische Dissonanz. Und der Mensch erschafft sich die Bürokratie und die Bürokratie erfindet die Quittung. Dieser Zettel ist keine große Antwort, sie ist ein kleines Übel. Groß und klein? Was für eine Bedeutung hat solch ein Wortpaar in der Nacht? Die Nacht verzerrt, sie stellt die Optik fortwährend um, als wolle sie unsere seelischen Augen trainieren. Nachts fehlen uns die Normen, die Gewichte, mit denen der Apotheker hantiert, wir wissen nicht mehr, wie lang ein Meter ist (er ist irgendwo in Paris versteckt, wen interessiert das). Eine Feder wiegt so viel wie ein Pferd, ein Jumbojet weht durch die Nacht wie Papier. Ich erinnere mich an frühe Träume, in denen die reine Schwere auf mich zukam. Ja, wir sind schon am Träumen. Der Traum ist die Antwort des nächtlichen Menschen auf die Dissonanz der Tage. Wenn man nachts aufwacht, hat man nicht das Gefühl, geschlafen zu haben. Man wälzt sich einfach wieder hin und her. Schlaflosigkeit ist eine der großen Quellen der Literatur. Charles Dickens ging nachts, wenn er nicht schlafen konnte, ins finstere London und machte Entdeckungen, über die er später schreiben sollte, auch als Essayist. Das italienische Wort saggio, das für Essay steht, das französische essai, geht zurück auf lateinisch exagium, das so viel bedeutet wie Wägen und Abwägen.
Mit meiner Verlegerin und Lektorin Lisette habe ich lange gewägt und gewogen. Solches Tun spiegelt sich in der Serie von Titeln, die das Unbewusste oder der Zufall hervorbringen. Schreibend kümmert man sich nicht um Überschriften oder Gliederungen. Da muss erst die behutsame Hand oder das kluge Nachfragen der Leserin eingreifen, und schon sieht man sich als Autor neuen Herausforderungen gegenüber. Gibt es ein, zwei, drei Worte oder einen Satz, der das, was man drauflosgeschrieben hat, zusammenfasst? Kann ich durch die Anordnung diesen Satz ausdrücken, den es so vielleicht gar nicht gibt?
Es fiel uns auf, dass die Stücke am Ende doch den Gesetzen des Universums unterliegen, das aus vier, manchmal fünf Elementen besteht – nach alter Sage zumindest. An die haben wir uns gehalten und sie ein wenig übersetzt, sodass aus den bekannten vier Elementen nun Glut und Lehm, Äther und Tinte wurden. Kaum hatte sich dieser Gedanke einer Gliederung durchgesetzt, änderten die noch zu schreibenden Texte ihre Richtungen, und einer von ihnen schwang sich gar als fünftes Element, als Quintessenz, auf. Auch der Titel brauchte lange auf seinem Weg durch das Unwägbare. Kaum stand der eine fest, kam die Mail des Autors, es doch mit einem anderen zu versuchen. Mal war es „Zeit über Kreuz“, dann „Fledermauszeit“ und nun ist es (zum Beispiel) der Unterschied von Tag und Nacht, die nächtliche Sichtweise am Tag, die des Tages in der Nacht.
Um die Entdeckungen, die dabei zu machen sind, geht es mir. In der Nacht ist man kein Essayist, aber ohne die Nächte mit ihrer Stille und ihrem Geheul gibt es keine Essays.
Der Mensch vergeht – schnell. Alte Häuser vergehen – etwas langsamer. Kirchen halten am längsten. Selbst wenn sie verschwunden sind, werden sie oft wieder aufgebaut – wohingegen die wenigsten Burgen, Banken oder Bahnhöfe wiederauferstehen. Wer also aus dem Mittelalter in unsere Zeit kommt, würde sich an den Kirchen orientieren können. Zugleich sind es ja die Bauten, die am ehesten mit dem Geist und dem Gefühl verbunden sind, und gerade nicht Fabriken oder andere Brennpunkte des Materiellen. Der Mensch baut dem Geist, der doch so schlecht greifbar ist, das dauerhafteste Gebäude, und was soll damit gesagt sein? Am besten überleben Ideen, ob in gedruckter, gesprochener oder gebauter Form. Noch heute reden wir von Philosophen, die vor 2500 Jahren gelebt haben, sie sind weiterhin Säulen in unserem Geistesleben, auch wenn sie immer mal neu dekoriert werden.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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